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Eine Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis

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Was ist drin?

Esse est percipi: Nur was wahrgenommen wird, existiert. Der irische Philosoph George Berkeley nahm an, dass die Welt eigentlich nur in unserem Kopf besteht.


Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Aufklärung

Worum es geht

Die Welt existiert nicht - außer, wir nehmen sie wahr

Wie kommen die inneren Bilder, die wir uns von der Welt machen, zustande? Wie er-kennen wir, nehmen wir wahr, denken wir? Die Philosophie der Aufklärung suchte im 17. und 18. Jahrhundert nach Antworten auf diese Fragen und ging dabei von der menschlichen Vernunft als der treibenden Kraft der Erkenntnis aus. Der irische Philosoph und Theologe George Berkeley war ein Vertreter des Empirismus, der annahm, dass wir nichts denken können, was nicht auf sinnlichen Wahrnehmungen beruht. Wenn wir einen Tisch wahrnehmen, dann erkennen wir nicht den Tisch selbst, sondern nur die innere Vorstellung von ihm. Berkeley entwickelte diesen Gedanken radikal weiter: Der Tisch existiert überhaupt nur, weil wir ihn wahrnehmen. Dass mehrere Menschen in einem Raum den gleichen Tisch sehen, liegt daran, dass Gott uns ähnliche Wahrnehmungen eingibt; er verhindert, dass jeder in seiner eigenen Welt lebt. Anders als berühmte materialistische Philosophen seiner Zeit war Berkeley ein Idealist, für den nur die Vorstellungen in unserem Kopf existierten. Den Materialismus sah er, der auch als Bischof und Missionar tätig war, als Grund für das Freidenkertum und den Atheismus seiner Zeit, wogegen er kämpfte: Sein Ziel war es, mit seiner philosophischen Arbeit letztlich einen Gottesbeweis vorzulegen.

Take-aways

  • George Berkeley war neben John Locke und David Hume einer der wichtigsten Vertreter des angelsächsischen Empirismus im 17. und 18. Jahrhundert.
  • Der Empirismus behauptet, dass wir nur erkennen können, was wir sinnlich wahrnehmen – im Gegensatz zum Rationalismus, der annimmt, dass wir auch aus reinem Nachdenken Erkenntnisse gewinnen können.
  • Berkeleys Philosophie ist besonders radikal: „Esse est percipi“, d. h. nur was wahrgenommen wird, existiert. Was nicht wahrgenommen wird, gibt es also nicht.
  • Dass die Welt dennoch für alle Menschen ähnlich aussieht, liegt an Gott: Er sorgt dafür, dass wir alle die gleichen Wahrnehmungen haben.
  • Berkeleys Erkenntnistheorie ist idealistisch und immaterialistisch: Wir sehen die Welt nicht so, wie sie ist, sondern so, wie wir sie wahrnehmen.
  • Berkeley stellte sich vehement dem Materialismus entgegen: Wer Materialist ist, neigt dazu, ein Walten Gottes in der Welt zu verneinen und damit Gott selbst zu leugnen.
  • Für Berkeley diente seine Theorie hauptsächlich als Gottesbeweis: Er wollte das aufkeimende Freidenkertum bekämpfen.
  • Berkeley war nicht nur Philosoph, sondern auch Theologe, Bischof und Missionar.
  • Seine philosophischen Schriften veröffentlichte er bereits mit Anfang 20.
  • Neben erkenntnistheoretischen Werken verfasste er politische, mathematische, physikalische, medizinische und volkswirtschaftliche Schriften.
  • Er war ein talentierter Schriftsteller und präsentierte seine Gedanken oft in Form von Dialogen, ähnlich wie manche antike Philosophen.
  • Auch die Abhandlung ist klar und unterhaltsam geschrieben; sie richtet sich häufig direkt an den Leser und fordert zum Mitdenken auf.

Zusammenfassung

Für ein richtiges Denken

Philosophie ist das Streben nach Weisheit und Wahrheit. Man sollte meinen, wer sie betreibe, gelange zu einer tieferen Erkenntnis der Dinge und zu größerer Seelenruhe als andere Menschen. Aber eigentümlicherweise sind es eher die einfachen Naturen, die sich des so genannten gesunden Menschenverstandes bedienen und damit viel zufriedener leben als die Denker. Diese sind mit Zweifeln beladen, verstricken sich in Widersprüche und fallen dem Skeptizismus anheim. Sie beginnen Dinge infrage zu stellen, die sie kurz vorher noch für unangreifbar gehalten haben.

„Was ich hier nach langer und peinlich genauer Prüfung der Öffentlichkeit übergebe, scheint mir evident wahr zu sein und einigermaßen wissenswert - zumal für diejenigen, die vom Skeptizismus infiziert sind oder denen an einem Beweis der Existenz und Immaterialität Gottes oder der natürlichen Unsterblichkeit der Seele gelegen ist.“ (S. 3)

Den Grund solcher Zweifel sehen diese Skeptiker darin, dass unser Erkenntnisvermögen allzu beschränkt sei. Unser Verstand sei von der Natur eingerichtet worden, damit wir uns dem Leben widmen, nicht aber um über das innere Wesen der Dinge nachzudenken. Auch sei die Vernunft endlich; viele Dinge, über die sie nachdenken will, seien aber unendlich: Die Vernunft sei also gar nicht in der Lage, den Gegenstand ihrer Untersu-chungen zu erfassen.

„Denn die Rede von der absoluten Existenz nichtdenkender Dinge ohne alle Beziehung auf ihr Wahrgenommenwerden scheint schlechthin unverständlich zu sein. Ihr esse ist percipi, und es ist nicht möglich, dass ihnen irgendein Dasein außerhalb der Geister oder denkenden Dinge, die sie wahrnehmen, zukäme.“ (S. 26)

Aber sollte Gott uns mit so unbändigem Wissensdurst ausgestattet haben, ohne uns gleichzeitig die Mittel an die Hand zu geben, diesen zu stillen? Nein, es scheint vielmehr so zu sein, dass wir unsere Fähigkeiten nicht richtig nutzen. Daher ist es angebracht, die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis genauer zu untersuchen.

Es gibt keine abstrakten Ideen

Statt den bequemen Antworten des gesunden Menschenverstandes zu vertrauen, sollten wir uns über eine Grundbedingung der menschlichen Erkenntnis Gewissheit verschaffen – darüber, was wir eigentlich meinen, wenn wir sagen, ein Ding „existiert“. Einige der größten Irrtümer der Philosophie beruhen auf dem Glauben, es gebe so etwas wie abstrakte, allgemeine Ideen. Dieser Glaube wird uns durch unsere Sprache nahegelegt, die ja abstrakte Begriffe bereithält und uns dadurch verleitet, an die Existenz der so bezeichneten Dinge zu glauben.

„In der Tat aber herrscht unter den Menschen befremdlicherweise die Meinung vor, dass Häuser, Berge, Flüsse, kurz: alle Sinnesobjekte ein vom Wahrgenommenwerden durch den Verstand verschiedenes natürliches oder reales Dasein besitzen.“ (S. 26)

Philosophen wie John Locke, die die Theorie der abstrakten Begriffe vertreten, argu-mentieren ungefähr so: Um sprachliche Ausdrücke zu bilden, ordnet der Mensch die schier unendliche Vielfalt der Sinneseindrücke nach Gemeinsamkeiten. Er betrachtet z. B. drei Menschen, Peter, Jakob und Johann, lässt alle individuellen Eigenschaften weg und konzentriert sich nur auf die Gemeinsamkeiten. Dadurch filtert er allgemeine Eigenschaften heraus, und zwar in Form abstrakter Kategorien. Für diese findet er Namen: Hier wäre es beispielsweise die Kategorie „Mensch“, die sich aus vielen Unterkategorien zusammensetzt. Grundlegende Kategorien sind etwa Farbbegriffe wie „rot“ oder Eigenschaften wie „Bewegung“.

„Auf diese Feststellung lege ich daher besonderen Nachdruck, dass nämlich die Worte ‚absolute Existenz nichtdenkender Dinge’ sinnlos oder widersprüchlich sind. Das wiederhole ich mit aller Eindringlichkeit und empfehle es dem aufmerksamen Nachdenken des Lesers.“ (S. 37)

Wir sind selbstredend in der Lage, von dem Wahrgenommenen zu abstrahieren: Wir können einzelne Sinnesqualitäten wie Farbe, Form oder Ausdehnung als von den Dingen losgelöst betrachten und sie mittels unserer Einbildungskraft auf beliebige Weise neu kombinieren – etwa indem wir uns irreale Fabelwesen oder auch einen ins Unendliche ausgedehnten Raum vorstellen. Eine wirkliche Idee dieser Dinge bilden wir dabei jedoch nicht. Denn anders als beim Wahrnehmen oder Erinnern sind die durch Abstraktion gewonnenen Bilder stets unvollständig. Es mangelt ihnen an der Verknüpfung vieler konkreter Eigenschaften, über die jeder Gegenstand verfügt. So kann man z. B. keinen Apfel „an und für sich“ denken: Jeder Apfel verfügt über eine bestimmte Farbe, Form und Größe, und von diesen Eigenschaften kann man in seiner Vorstellung nicht abstrahieren.

„Ein Geist ist ein einfaches, unteilbares, tätiges Wesen, das Verstand genannt wird, wenn es Ideen wahrnimmt, und Wille, wenn es Ideen hervorbringt oder in anderer Weise in Bezug auf sie handelt.“ (S. 38)

Wenn uns aber jede Sinnesempfindung als etwas Einzelnes begegnet, so ist es nicht sinnvoll, die in der Wahrnehmung gegebene Ganzheit als etwas anzusehen, das auch unabhängig von dieser Wahrnehmung existiert. Denn eine abstrakt-allgemeine Idee eines solchen Gegenstands kann man schlechterdings nicht bilden. Was genau heißt „Bewegung“? Wir können uns „Bewegung“ nicht vorstellen, außer wir stellen uns ein konkretes Objekt in Bewegung vor, beispielsweise ein Tier.

„Die strikten Regeln und festgelegten Verfahrensweisen, nach denen der Geist, von dem wir abhängen, in uns die Ideen der Sinne erzeugt, werden Naturgesetze genannt.“ (S. 39)

Übrigens ist auch der Mann auf der Straße dieser Meinung: Auch er findet, man könne nicht über „den Apfel an sich“ nachdenken. Ein Denken dieser Art wird im Allgemeinen den Gelehrten zugeschrieben, Ungebildete stellen sich Äpfel nur als konkrete Objekte vor. Die Gelehrten, insbesondere John Locke, behaupten aber, dass es den Menschen wesentlich vom Tier unterscheide, solche abstrakte Gedanken zu hegen. Es benötige einfach nur etwas Übung, so Locke, um sich beispielsweise ein „Dreieck an sich“, also die Idee eines Dreiecks vorzustellen.

„Dass die Dinge, die ich mit meinen Augen sehe und mit meinen Händen taste, existieren, wirklich existieren, bezweifle ich nicht im Geringsten. Das Einzige, dessen Existenz wir in Abrede stellen, ist das, was die Philosophen Materie oder körperliche Substanz nennen.“ (S. 42)

Es ist aber absurd, zu behaupten, dass diese abstrakten Ideen Grundlage unseres Denkens und Sprechens sein sollen. Es ist ja auch schwer vorstellbar, dass ein Kind, wenn es die Sprache lernt, sich gleichzeitig schon solche abstrakte Bedeutungen aneignet.

Nur was wahrgenommen wird, existiert

Das Sein eines Dings besteht in seinem Wahrgenommenwerden, oder auf Latein: „Esse est percipi.“ Dass Gedanken oder Gefühle nicht außerhalb des Menschen, der denkt und fühlt, existieren, ist leicht zu verstehen. Aber auch die äußeren Dinge gewinnen ihr Dasein erst dadurch, dass wir sie wahrnehmen: Ein Tisch existiert nur insofern, als wir ihn erkennen, sehen oder ertasten. Befindet man sich allerdings an einem anderen Ort, so bedeutet die Behauptung, der Tisch existiere, nur, dass man ihn unter bestimmten Umständen – etwa wenn man das Zimmer betritt – wahrnehmen würde oder dass er in diesem Moment von einem anderen geistigen Wesen (z. B. Gott) wahrgenommen wird.

„In derlei Angelegenheiten gilt: mit den Gelehrten denken und mit dem Volk sprechen.“ (S. 50 f.)

Alles sinnlich Wahrnehmbare existiert nur im Geist und nirgendwo sonst. Das gilt nicht nur für sekundäre Eigenschaften wie die Farben, die im menschlichen Geist entstehen und nicht etwa den Dingen selbst anhaften. Auch die so genannten primären Qualitäten sind davon betroffen, z. B. Ausdehnung, Gestalt oder Festigkeit. Die Behauptung, es gebe so etwas wie eine von den Sinnen losgelöste körperliche Substanz, ist nutzlos und folglich abzulehnen. Denn die primären Qualitäten lassen sich nicht von den sekundären trennen: Beide hängen zusammen, woraus folgt, dass sie auch beide nur im Geist existieren. Was nicht wahrgenommen werden kann, wie „inhaltlose Ausdehnung“ oder „reine Bewegung“, existiert folglich nicht.

„Wenn ihr mit dem Wort Materie nichts weiter meint als den unbekannten Träger unbekannter Qualitäten, so macht es keinen Unterschied, ob es ein solches Ding gibt oder nicht, da es gänzlich bedeutungslos für uns ist.“ (S. 65)

Und selbst wenn so etwas wie reine Materie existieren würde, könnten wir von dem Wesen dieser materiellen Substanz aus den genannten Gründen niemals Kenntnis erlangen. Es scheint daher sinnvoller, allein zwei Arten von Dingen als existent anzusehen: Ideen und Geist. Mit „Geist“ bezeichnen wir dasjenige, worin sich unsere Ideen bilden; er wird „Verstand“ genannt, wenn er Ideen empfängt, und er wird „Wille“ genannt, wenn er sie selbst hervorbringt.

„Qualitäten sind, wie wir gezeigt haben, nichts anderes als Sinnesempfindungen oder Ideen, die nur in einem Geist existieren, der sie wahrnimmt.“ (S. 65)

Gegen diese Vorstellung, so unabweisbar logisch sie sein mag, regt sich natürlich Widerstand. Im Alltag gehen wir ja wie selbstverständlich davon aus, dass die Welt um uns herum mit materiellen, von unserer Wahrnehmung unabhängigen Dingen angefüllt ist. Wer sich jedoch die hier vorgebrachte Auffassung einmal zu eigen macht, stellt bald fest, dass ihm dadurch kein einziger Sinnesgegenstand verloren geht. Denn er bezweifelt ja nicht, dass ihm die Sinne lebhafte, real wirksame Ideen eingeben. Nur haben diese Ideen eben keine körperliche Substanz. Wenn die Materialisten also argumentieren, unsere Ideen und Vorstellungen könnten von einer real existierenden, körperlichen Welt angestoßen oder ausgelöst werden, dann stellt sich die Frage, wie diese Ideen von der Welt in unseren Kopf kommen. Die Materialisten bleiben die Antwort schuldig und erklären nicht, auf welche Weise die Materie und der Geist miteinander verbunden sind.

„So werden allerhand schwierige und dunkle Fragen, an die maßlos viel spekulativer Scharfsinn verschwendet worden ist, ein für alle Mal aus der Philosophie verbannt.“ (S. 69)

Ein anderer Einwand besagt, dass es vom idealistischen Standpunkt aus unmöglich wäre, zwischen Fantasiegebilden einerseits und dem tatsächlich Gegebenen andererseits zu unterscheiden. Müssten wir nicht alles, was uns die Sinne eingeben, als existent anerkennen, und seien es noch so abwegige Hirngespinste oder Wahnideen? Die Antwort ist Nein, denn die Art und Weise, wie der Geist Ideen bildet, folgt festen Regeln und Gesetzmäßigkeiten, die sich mit den Mitteln der empirischen Wissenschaft und Mathematik ergründen lassen. Diese Regeln, die wir Naturgesetze nennen, bewirken in der Wahrnehmung, dass uns echte Sinnesideen klarer, deutlicher und konsistenter erscheinen als bloße Einbildungen. Die Unterscheidung von Fantasie und Wirklichkeit behält somit uneingeschränkte Gültigkeit.

„Denn unser vornehmstes Erkenntnisziel kann doch zuletzt nichts anderes sein als die Betrachtung Gottes und die Besinnung auf unsere Pflicht. Dies beides zu befördern, war Hauptantrieb und Zweck meiner Bemühungen.“ (S. 109)

Heißt dies aber, dass die Dinge – je nachdem ob wir sie wahrnehmen oder nicht – stets aufs Neue entstehen und wieder verschwinden? Sind die Welt und alle Erscheinungen in ihr einem ständigen Werden und Vergehen unterworfen? Ob dem so ist oder nicht, ist letztlich unerheblich. Denn solange wir die dargelegten Argumente als gültig anerkennen, gibt die Erzeugung von Ideen im Geist keinen Grund her, eine körperliche Substanz anzunehmen. Diese bliebe so oder so ganz unerklärlich, da sich jede Sinnesempfindung einzig und allein im Geist manifestiert.

Mit den Gelehrten denken und mit dem Volk sprechen

Aber würde derjenige, der überall das Wirken von Geistern am Werk sieht, nicht zu Recht für verrückt gehalten? Mag sein – doch sollten wir uns dennoch nicht von Denkgewohnheiten und dem üblichen Sprachgebrauch täuschen lassen und notfalls der Devise folgen: „Mit den Gelehrten denken und mit dem Volk sprechen!“ Sicher gibt es nichts Einfacheres, als sich vorzustellen, dass beispielsweise die Bäume in einem Park oder die Bücher in einem Regal auch dann existieren, wenn man sie nicht sieht. Wir tun in diesem Fall nichts anderes, als im Geist jene Ideen zu bilden, die man „Bäume“ oder „Bücher“ nennt, ohne uns dabei jemanden vorzustellen, der diese Dinge wahrnimmt.

Dem Verlust einer materiellen Substanz durch diese Erkenntnistheorie steht ein unschätzbarer Vorteil gegenüber: Durch sie löst sich so manches Problem der Philosophie mit einem Schlag in Luft auf. In der irrigen Trennung von Sinnesempfindung und körperlicher Existenz liegt nämlich die Wurzel jedes Skeptizismus. Indem wir zwischen einer unbekannten, objektiven Materie und deren geistigem Abbild unterscheiden, öffnen wir den größten Zweifeln am menschlichen Erkenntnisvermögen Tür und Tor. Wie könnte man dagegen jemals die Realität der durch die Sinne gegebenen Ideen anzweifeln?

Aus dem Dargelegten ergeben sich wichtige Konsequenzen. So scheint zum einen offenkundig, dass das Vergehen der Zeit aufs Engste mit der Abfolge der Ideen in unserem Geist verbunden ist. Außerhalb unseres Geistes gibt es keine Zeit – woraus folgt, dass die Seele immer denkt. Da diese zudem unteilbar, unkörperlich und unausgedehnt ist, kann ihr auch der Lauf der Natur nichts anhaben. Das wiederum heißt nichts anderes, als dass die Seele unsterblich ist. Zudem können wir von dem Geist anderer denkender Wesen – wie auch von unserem eigenen – nur insofern wissen, als er auf uns wirkt, d. h. Ideen in uns hervorruft. Nur solcherart tätige Wesen kommen als Urheber des ganzen Reichtums der Schöpfung infrage. Mithin muss es auch nichtmenschliche, denkende Wesen geben.

Folglich haben die Dinge der Natur, die den weitaus größten Teil unserer Ideen ausma-chen, ihre Ursache in einem anderen, höheren Geist. Denn es ist schwer vorstellbar, dass sie aus sich selbst heraus bestehen. Sie sind daher kein Nebenprodukt kausaler Wirkgesetze, wie uns die Naturforscher glauben machen wollen, sondern Zeichen geistiger Willensakte. Das Wirken Gottes kann von uns somit ebenso unmittelbar und deutlich erkannt werden wie jedes andere geistige Wesen. Mehr noch: Eine unbekannte Materie als Träger unbekannter Qualitäten kann unmöglich dasjenige sein, was Sinnesempfindungen in uns veranlasst. Wenn es aber keine materiellen Dinge gibt, woher nehmen dann die uns eingegebenen Ideen ihren Ursprung? Ein höherer Geist muss sie in uns bewirken. Zum Unwillen aller Atheisten ist damit die Existenz Gottes ein für alle Mal bewiesen.

Zum Text

Aufbau und Stil

„Ich hatte keine Neigung, die Welt mit dicken Büchern zu irritieren“, sagte George Berkeley einmal. Zu Recht: Sein Werk ist knapp gehalten und schnörkellos, aber mit viel Humor geschrieben. Die Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis besteht aus einem Vorwort, einer Einleitung mit 24 Paragrafen und einem Hauptteil mit 155 Paragrafen. Die Einleitung klärt die Grundlagen: Hier steht Berkeleys Kritik an den „abstrakten Ideen“ und der Sprache, die uns dazu verführe, von deren Existenz auszugehen. Im Hauptteil legt Berkeley seinen eigenen Gegenentwurf dar. Bereits im Untertitel der Originalausgabe kündigt er an, dass es ihm nicht nur um die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis geht, sondern auch um die Analyse der Hauptursachen von Irrtümern und Schwierigkeiten in den Wissenschaften und der Grundlagen des Skeptizismus, Atheismus und der Religionsfeindschaft. Im Vorwort ermahnt er den Leser, das Buch konzentriert durchzuarbeiten, bevor er sich eine Meinung bilde: Das Geschriebene sei zwar „wahr“ und „wissenswert“, wie er nach gründlicher Überprüfung behaupten könne, aber nicht unbedingt auf den ersten Blick verständlich. Diese direkte Ansprache des Lesers pflegt Berkeley auch im weiteren Text; er fordert ihn auf, die vorgestellten Argumente mit eigenen Gedanken nachzuvollziehen und zu prüfen, ob sie plausibel sind. Oft entwickelt er seine Ideen in einer Art Dialog mit den Lesern, geht auf mögliche Kritik ein und antwortet auf Vorschläge, die andere Philosophen seiner Zeit machten. Insgesamt ist Berkeleys Schrift eine durchaus flott zu lesende philosophische Untersuchung.

Interpretationsansätze

  • Bei Berkeley vereinen sich Empirismus und Idealismus. Zum einen geht er davon aus, dass nur Erfahrungen die Grundlage unseres Denkens sind. Zum anderen beziehen sich diese Erfahrungen nie auf die Welt, wie sie ist, sondern nur auf Vorstellungen und Ideen, die wir von ihr haben.
  • Berkeleys konsequenter Idealismus nimmt eine zentrale Idee von Immanuel Kant wie auch von Arthur Schopenhauer vorweg, indem er davon ausgeht, dass wir nur Zugang zu Ideen oder Vorstellungen von der Welt haben, nicht zu den Gegenständen der Welt an sich. Allerdings setzte Kant ein existierendes „Ding an sich“ voraus, was Berkeley aufs Heftigste bekämpft.
  • Berkeleys Immaterialismus ist radikaler als der seines philosophischen Vorgängers John Locke: Er schlussfolgert, dass Materielles überhaupt nicht existiert, sondern nur Ideen und Geister. „Esse est percipi“ lautet Berkeleys berühmte Formel; das Wesen der Existenz ist das Wahrgenommenwerden. Der Beweis für Berkeleys radikalen Empirismus steht natürlich aus: Ebenso wenig wie zu beweisen ist, dass die Welt real existiert, lässt sich beweisen, dass sie nur in unseren Köpfen existiert.
  • Die Schlussfolgerung, dass die Welt reine Einbildung ist (Solipsismus), sucht Berkeley zu verhindern, indem er Gott ins Spiel bringt. Gott bewirkt mithilfe der Naturgesetze, dass wir alle die gleichen Wahrnehmungen von der Welt haben. Dadurch, dass jeder Gegenstand im Bewusstsein Gottes existiert, wird die Welt für uns alle wirklich.
  • Berkeleys Erkenntnistheorie dient ihm als Gottesbeweis und wendet sich gegen den Skeptizismus, Atheismus und Materialismus seiner Zeit. Der Materialismus geht davon aus, dass die Materie auch unabhängig von unseren Wahrnehmungen existiert und keinen Eingriff Gottes braucht, um in unser Bewusstsein zu dringen.

Historischer Hintergrund

Aufklärung und Empirismus in England

In England brach gegen Ende des 17. Jahrhunderts eine relativ friedliche und wirtschaftlich prosperierende Zeit an: Der blutige Bürgerkrieg war vorbei, die Religionsstreitigkeiten beendet, in der Bill of Rights (1689) wurde die gesetzgebende Gewalt des Parlaments gegenüber dem König gesichert. Mit der inneren Befriedung erstarkte auch der Handel: England baute seine Kolonialmacht aus, ein liberales Bürgertum trieb technische Neuerungen und die Industrialisierung voran.

All dies bereitete den Boden für aufklärerisches Gedankengut, das nicht mehr Gott, sondern die Vernunft als Fundament allen Denkens und Handelns ansah. Anders als die Aufklärung in Kontinentaleuropa war das englische „Enlightenment“ besonders von der naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise beeinflusst. Dieser so genannte Empirismus begann bereits bei Francis Bacon und wendete sich gegen ein rein metaphysisches (Metaphysik = „jenseits der Physis“, also jenseits des Körperlichen), spekulatives Philosophieren. Herausragender Vertreter dieser Richtung war John Locke. Er argumentierte, dass alle Ideen und Bewusstseinsinhalte nur aus der Erfahrung stammen könnten. Neben Berkeley hat auch der dritte berühmte Empirist, David Hume, diese Gedanken Lockes weitergeführt. Berkeley verfolgte besonders das Ziel, die Existenz Gottes zu beweisen – denn wie vielen anderen Aufklärern auch ging es ihm nicht darum, Gott zu leugnen oder ihn als bloße Spekulation abzutun, sondern seine Existenz gerade aus der menschlichen Vernunft heraus zu begründen.

Als philosophischer Gegenpart des Empirismus trat der kontinentaleuropäische Rationalismus auf, insbesondere vertreten durch René Descartes und Gottfried Wilhelm Leibniz. Sie argumentierten, dass wahre Aussagen über die Welt nicht auf Erfahrungen beruhen dürften, da diese immer täuschungsanfällig seien, sondern auf reiner Denktätigkeit.

Entstehung

Wie bei vielen Denkern seiner Zeit war es auch Berkeleys Ziel, eine umfassende Erklärung für das Phänomen zu bieten, wie wir die Welt „dort draußen“ erkennen, wie wir über sie nachdenken und wie es zu Wahrnehmungen und Ideen in unserem Kopf kommt. Die herrschende Lehre des Mittelalters, die Scholastik, hatte hierzu viele widersprüchliche Theorien geliefert; die Aufklärung wollte diese auf der Basis der Vernunft und der beginnenden neuzeitlichen Naturwissenschaft gründlich klären. Berkeley wurde bei seinem Studium am Trinity College in Dublin stark von den neuen Gedanken beeinflusst: Sowohl die Physik Isaac Newtons und neue Erkenntnisse der Mathematik als auch die Diskussionen, die John Locke mit seinen Vorschlägen zur Erkenntnistheorie angeregt hatte, erfassten den jungen Studenten.

Doch Berkeley war nicht in erster Linie Philosophiestudent, sondern schlug die theologische Laufbahn ein. Von Anfang an setzte er sich mit dem Konflikt auseinander, dass die neuen Ideen auch den Skeptizismus gegenüber der Religion schürten. Er distanzierte sich von der Wissenschaftsgläubigkeit und auch dem beginnenden Freidenkertum, also dem Atheismus. Die Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis spiegelt das wider: Sie ist sowohl erkenntnistheoretische Grundlagenschrift eines jungen (25-jährigen) Denkers als auch religiöses Manifest eines angehenden Priesters. Dabei blieb das Werk Fragment: Das vorliegende Buch enthält eigentlich nur den ersten Teil, die Teile II und III sind nie erschienen. Das Manuskript des zweiten Teils kam Berkeley auf einer Italienreise abhanden.

Wirkungsgeschichte

Als das Werk 1710 erschien, stieß es zunächst auf Unverständnis. Berkeley schrieb die grundlegenden Ideen daher noch einmal in der Dialogform nieder, die er meisterhaft beherrschte, und veröffentlichte 1713 die Drei Dialoge zwischen Hylas und Philonous. Berkeley fand für seinen Kampf um den wahren Glauben mithilfe der Erkenntnistheorie keinen Nachfolger, seine empiristischen Kollegen David Hume und John Locke hatten stärkeren Einfluss auf die Diskussionen der Zeit. Humes Philosophie ist wesentlich skeptischer als Berkeleys, da er zeitweilig jede Form sicherer Erkenntnis anzweifelte; Berkeley hatte diese Sicherheit dagegen in der Existenz Gottes gefunden. Der deutsche Philosoph Immanuel Kant bezog sich später auf den englischen Empirismus, kam aber zu einer ganz anderen Verknüpfung von Empirismus und Idealismus als Berkeley: Manche Kategorien, die laut Kant grundlegend für unsere Verstandestätigkeit sind – nämlich Raum, Zeit und Kausalität – seien nicht aus der Erfahrung abzuleiten, sondern Bestandteile unserer Vernunft. Im 20. Jahrhundert hatte der Empirismus Einfluss auf die Philosophie des Wiener Kreises, der nur das in der Welt Gegebene (lat.: das Positive, daher „Positivismus“) als Grundlage aller Erkenntnis akzeptierte: Eine Aussage ist demnach nur dann sinnvoll, wenn sie sich empirisch überprüfen lässt.

Über den Autor

George Berkeley wird am 12. März 1685 in der Nähe des südirischen Kilkenny geboren. Von 1700–1707 studiert er am Trinity College in Dublin und erhält den Abschluss des Bachelor of Arts. In dieser Zeit verfasst er sein philosophisches Tagebuch, rund 900 skizzenhafte Aufzeichnungen, die nicht veröffentlicht werden sollten und die Grundgedanken seiner Philosophie bereits enthalten. 1709, mit 24 Jahren, publiziert er den Versuch zu einer neuen Theorie des Sehens, eine wahrnehmungspsychologische Schrift. 1710 wird er zum Priester geweiht, im gleichen Jahr erscheint auch sein Hauptwerk, die Abhandlung über die Prinzipien menschlicher Erkenntnis. Als geistlicher Begleiter und Tutor eines Grafen und später eines anglikanischen Bischofssohns unternimmt Berkeley ausgedehnte Reisen auf den Kontinent, besonders nach Italien. Später betätigt er sich als Missionar und bemüht sich darum, ein College für angehende Geistliche auf den Bermudainseln zu gründen, um Amerika zu christianisieren. Dieses Projekt führt ihn 1729 für etwa zwei Jahre ins neuenglische Newport in Rhode Island; da aber die Regierung ihre finanziellen Zusagen nicht einhält, kehrt er schließlich erfolglos nach London zurück. In einer Streitschrift wendet er sich gegen die Freidenker, die die Existenz Gottes leugnen. Außerdem verfasst er ein volkswirtschaftliches Traktat, das die wirtschaftliche Misere Irlands anprangert, sowie eine mathematische Schrift, in der er sich gegen die Infinitesimalrechnung wendet und dadurch eine längere Kontroverse auslöst. 1734 wird er Bischof der anglikanischen Kirche in Cloyne in seiner Heimat Südirland. Er widmet sich zunehmend sozialen und medizinischen Themen. Am 14. Januar 1753 stirbt er bei einem Aufenthalt in Oxford, wo sich auch sein Grab befindet.

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