Melden Sie sich bei getAbstract an, um die Zusammenfassung zu erhalten.

Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand

Melden Sie sich bei getAbstract an, um die Zusammenfassung zu erhalten.

Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand

Meiner,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Hume ergründet die Tiefen des menschlichen Denkens – und bleibt dabei doch auf dem Boden der Tatsachen.


Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Aufklärung

Worum es geht

Praktische Erfahrung statt metaphysischer Spekulation

Mit seinem Traktat über die menschliche Natur hatte David Hume keinen Erfolg, also versuchte er es knapp zehn Jahre später noch einmal. Seine straffere, lesbarere Untersuchung über den menschlichen Verstand, die 1748 erschien, verhalf dem schottischen Philosophen zwar auch nicht zu der erhofften akademischen Karriere; es erwies sich aber als beste Werbung, dass sie kontrovers diskutiert und wegen ihres angeblichen Atheismus von Kirchenvertretern scharf angegriffen wurde. Bis heute zählt die Schrift, die Kant nach eigener Aussage aus dem „dogmatischen Schlummer“ weckte, zu den wichtigsten und einflussreichsten Texten der Philosophiegeschichte. Als Empirist, der nur auf die eigenen Sinne und Erfahrungen vertraut, leuchtet Hume die menschliche Erkenntnisfähigkeit und ihre Grenzen aus. Statt metaphysische Spekulationen anzustellen, sollten wir uns auf die Erforschung der alltäglichen Dinge beschränken, fordert er. Bei aller analytischen Schärfe erinnert das elegant geschriebene Werk daran, dass Philosophie zuallererst für den Menschen da sein sollte.

Take-aways

  • Die Untersuchung über den menschlichen Verstand ist das Hauptwerk des schottischen Philosophen David Hume.
  • Inhalt: Dass die Sonne morgen aufgehen wird, glauben wir nur, weil es immer so gewesen ist – sicher wissen oder verstandesmäßig begründen können wir es nicht. Allein die Erfahrung führt den Menschen dazu, bestimmte Dinge als Tatsachen anzunehmen und kausale Schlüsse zu ziehen. Durch das Leben führt ihn weniger sein Verstand als sein Instinkt.
  • Wie schon John Locke wandte David Hume die experimentellen Methoden der Naturwissenschaft auf die Anthropologie an.
  • Er sah im Skeptizismus eine angemessene philosophische Denkrichtung, die allerdings für das Leben keinerlei Nutzen habe.
  • Bei aller gedanklichen Schärfe und Abstraktheit schreibt Hume sehr pragmatisch.
  • Er fordert die Menschen auf, die alltäglichen Dinge zu erforschen, statt sich in metaphysischen Spekulationen zu verlieren.
  • Zeitgenössische Kritiker warfen dem Werk Atheismus und Untergrabung der Moral vor.
  • Humes Untersuchung über den menschlichen Verstand trug wesentlich zur Begründung der modernen Erkenntnistheorie bei.
  • Das Werk weckte Immanuel Kant aus seinem „dogmatischen Schlummer“ und regte ihn zu eigenen Untersuchungen an.
  • Zitat: „Sei ein Philosoph; aber inmitten all deiner Philosophie bleibe Mensch!“

Zusammenfassung

Zwei Arten von Philosophie

Von der leichten, praktischen Philosophie, die bloß banale Lebensweisheiten in schöne Worte fasst, ist die abstrakte, reine Philosophie zu unterscheiden, die allgemein als schwer und unzugänglich gilt. Ein guter Philosoph muss die Vorzüge beider Denkarten miteinander verbinden, um die allgemeine Unwissenheit zu bekämpfen, den Aberglauben aus den Köpfen zu vertreiben und Platz für die Vernunft zu schaffen. Seine Gedanken müssen klar und nachvollziehbar sein, ohne dass sie an Wahrheit und Tiefe einbüßen.

Eindrücke und Vorstellungen

Auch bei den Auffassungen des menschlichen Geistes lassen sich zwei Arten unterscheiden: zum einen die lebhaften Eindrücke, die entstehen, wenn wir etwas sehen oder hören, fühlen oder wünschen, lieben oder hassen; zum anderen die Vorstellungen dieser Eindrücke, die nur ein schwaches Abbild der Sinneswahrnehmungen liefern und wesentlich aus diesen hervorgehen. Ein Blinder kann sich keine Farben und ein Sanftmütiger keine Rachegefühle vorstellen, und jemand, der noch nie Wein getrunken hat, macht sich keinen Begriff von dessen Geschmack. Alle unsere Vorstellungen sind durch Ähnlichkeit, Berührung oder das Prinzip von Ursache und Wirkung verknüpft, woraus in unseren Gedanken lange Assoziationsketten entstehen, die überhaupt erst geordnete Überlegungen oder Gespräche ermöglichen. Auch Träume und Fantasien, die zunächst absurd erscheinen, lassen sich auf diese Weise immer logisch erklären.

Das Prinzip von Ursache und Wirkung

Die Entdeckung von Tatsachen wie etwa jener, dass Magnete sich anziehen oder Feuer Licht und Wärme erzeugt, beruhen nicht auf einer abstrakten Verstandesleistung, sondern stets auf Erfahrung. Wir neigen dazu, Naturgesetze und andere Dinge des täglichen Lebens, die uns vertraut sind, als selbstverständlich zu betrachten. Dabei vergessen wir leicht, dass wir das zugrunde liegende Prinzip von Ursache und Wirkung allein durch Erfahrung kennen. Dass ein Stein, den man hochhält und loslässt, fallen wird, wissen wir nicht a priori, d. h. rein verstandesmäßig, sondern nur, weil wir es immer wieder beobachtet haben. Aus den Erfahrungen der Vergangenheit schließen wir, dass die Dinge in Zukunft genauso sein werden, etwa dass auch morgen die Sonne aufgehen wird. Die Gewohnheit, als eine Art Instinkt, die unser gesamtes Verhalten regelt und menschliches Zusammenleben überhaupt erst möglich macht, lehrt uns das Prinzip von Ursache und Wirkung – verstandesmäßig begründen aber können wir es nicht. Auch wenn wir die Ursachen noch so weit zurückverfolgen und eine Tatsache auf die andere zurückführen: Die Ursache, die allen Ursachen zugrunde liegt, ist im Dunkeln. Die letzten Dinge bleiben der menschlichen Vernunft für immer verschlossen.

Glaube ersetzt Wissen

Der Glaube ist eine Vorstellung, ein Produkt der Einbildungskraft. Er unterscheidet sich von der reinen Erdichtung – mag sie auch noch so glaubwürdig erscheinen – dadurch, dass er intensiver und beständiger ist als diese und unsere Handlungen stärker beeinflusst. Der Anblick von Bildern und sinnlichen Gegenständen belebt die Einbildungskraft, was etwa die katholische Kirche nutzt, wenn sie Symbole, Reliquien und Rituale einsetzt, um ihre Anhänger in ihrem Aberglauben zu bestärken. Allerdings muss man vorher schon an etwas glauben, damit dieser verstärkende Effekt von Vorstellungsbildern seine Wirkung entfalten kann.

„Sei ein Philosoph; aber inmitten all deiner Philosophie bleibe Mensch!“ (S. 7)

All unsere Vorstellungen sind bloß Abbilder von wirklichen Eindrücken. Man kann also nicht ein Ding denken, von dem man zuvor keinen Sinneseindruck hatte. Die Kraft oder Wirkung, die ein Gegenstand entfaltet, bleibt den Sinnen allerdings verborgen. So verrät nichts am äußeren Erscheinungsbild einer Billardkugel, dass sie, einmal angestoßen, eine zweite Kugel in Bewegung setzen kann. Auch die Willenskraft, mit der wir einen Muskel unseres Körpers bewegen, ist uns unbegreiflich. Wir können beobachten, dass bestimmte Ereignisse anderen Ereignissen regelmäßig folgen, und dadurch in unserem Denken eine Verknüpfung zwischen beiden herstellen. Diese nennen wir Ursache und Wirkung. Erklären aber können wir sie nicht. Manche Philosophen führen daher alle Dinge unmittelbar auf Gottes Willen zurück, ohne zu merken, dass sie seine Schöpferleistung damit mindern. Denn ein wahrhaft allmächtiger Gott müsste nicht dauernd in das Räderwerk des von ihm geschaffenen Getriebes eingreifen, sondern hätte in weiser Voraussicht die Geschöpfe mit eigener Kraft ausgestattet. Auf welche Weise sollte diese göttliche Willenskraft auch wirken? Wir können uns davon keine Vorstellung machen, ebenso wenig wie von der Kraft oder Energie, durch die Körper aufeinander wirken.

Freiheit oder Notwendigkeit?

So wie in der Natur Gleichförmigkeit und Regelmäßigkeit herrschen, so sind die Triebfedern des menschlichen Handelns über Zeit und Raum hinweg die gleichen. Bei aller Verschiedenheit der Charaktere lassen sich daher aus der Erfahrung im Umgang mit Menschen Regeln und Voraussagen zu ihrem künftigen Verhalten ableiten. Der alte philosophische Streit um Freiheit oder Notwendigkeit des menschlichen Handelns beruht allein auf einer unscharfen Begriffsdefinition. Niemand wird ernsthaft bestreiten, dass bestimmte Beweggründe und Umstände, Charaktereigenschaften und Neigungen stets zu bestimmten Willenshandlungen führen. Erst diese Gleichförmigkeit von Ursache und Wirkung – nennen wir sie ruhig Notwendigkeit – macht menschliches Verhalten überhaupt berechenbar. Das Leben in der Gemeinschaft, unsere Politik, Moral und Gesetze beruhen auf diesem Prinzip.

„Genauigkeit kommt immer der Schönheit zugute, und richtiges Denken dem zarten Gefühl.“ (S. 8)

Lohn und Strafe, Schuld und Rache wären unsinnig, wenn man nicht davon ausginge, dass eine Person aufgrund ihres Charakters so oder so handelt und für ihre Handlungen auch verantwortlich ist. Wer einwendet, jede menschliche Handlung lasse sich letztlich auf den Schöpfer der Welt zurückführen, gibt Gott die Schuld für die Verbrechen der Menschen und leugnet die göttliche Vollkommenheit. Die Annahme der Stoiker wiederum, alles individuelle Leid habe in Bezug auf das Ganze sein Gutes, ist reine Spekulation und bietet demjenigen, der gerade unter Schmerzen leidet, kaum Trost. Auch die Auffassung, wonach Handlungen, die jemandem schaden, mit Blick auf das Ganze doch nützlich sein können, widerspricht dem natürlichen Empfinden der Menschen. Wem eine beträchtliche Summe Geld geraubt wurde, wird sich mit solchen abgehobenen philosophischen Erklärungen nicht zufriedengeben. Laster und Tugend sollten ehrlich und ohne philosophische Spitzfindigkeiten als solche bezeichnet werden. Die große Frage, wie sich göttliche Vorsehung und menschliche Willensfreiheit vereinbaren lassen, wird die Philosophie nie auf befriedigende Weise beantworten können.

Die Macht des Instinkts

Tiere beobachten ihre Umwelt und sammeln Erfahrungen. So wie Kinder und die allermeisten anderen Menschen – in ihrem alltäglichen Leben übrigens auch die Philosophen – ziehen sie aus ihren Beobachtungen keine komplizierten Vernunftschlüsse. Es ist die Gewohnheit, die einen Hund lehrt, dass ihm eine zum Schlag erhobene Peitsche Schmerzen bereiten wird, und die sein Verhalten entsprechend lenkt. Bei Tieren kommt zusätzlich der Instinkt ins Spiel, den wir bewundern und bestaunen. Doch auch das menschliche Verhalten wird von einer Art Instinkt, von einer mechanischen Kraft in unserem Innern gesteuert, die uns aus Erfahrung lernen lässt und für die wir letztlich keine Erklärung haben.

Wunder gibt es nicht

Die Lehre von der leibhaftigen Anwesenheit Jesu Christi beim Abendmahl steht in Widerspruch zu allen Regeln der Wahrscheinlichkeit. Es handelt sich dabei um ein Wunder, also eine Verletzung der Naturgesetze, die ihrerseits auf der Beobachtung immer wiederkehrender, gleichförmiger Erfahrungen beruhen. Wenn ein anscheinend gesunder Mensch plötzlich stirbt, ist das zwar ungewöhnlich, aber noch lange kein Wunder, denn Ähnliches wurde vereinzelt schon beobachtet. Wenn allerdings ein Toter plötzlich wieder lebendig sein sollte, dann wäre das ein Wunder, weil es für so etwas niemals und nirgends auf der Welt glaubwürdige Zeugen gab. Derartiges hat es in der Natur noch nie gegeben, und das allein schon ist der schlagende Beweis dafür, dass es dieses Wunder nicht gibt – zumindest so lange, bis jemand mit vollkommener Sicherheit das Gegenteil beweisen kann.

„Die Finsternis ist tatsächlich für den Geist so peinlich wie für das Auge; Licht aus der Finsternis gewinnen, sei diese Arbeit auch noch so schwer, kann deshalb nur angenehm und erfreulich sein.“ (S. 9)

Gerade weil Wunder allen Erfahrungen widersprechen, sind die Menschen bereit, an sie zu glauben. Die Berichte darüber stillen ihre natürliche Neugier und Sensationslust. Mehr noch als Reise- und Abenteuerberichte versetzen religiöse Wundermärchen die Leute auf angenehme Weise in Erstaunen und regen ihre Fantasie an. Sie verbreiten sich wie Klatsch und Tratsch; für die Vernunft bleibt da wenig Platz. Allein schon die Tatsache, dass solche übernatürlichen Vorfälle vor allem von barbarischen, unwissenden Völkern überliefert werden, spricht gegen ihre Existenz. Je mehr wir uns in der Geschichte der aufgeklärten Gegenwart nähern, desto seltener werden denn auch die Zeugnisse von Wunderheilungen, Orakeln und Gottesgerichten. Wie alle betrügerischen Berichte von angeblich erstaunlichen Vorfällen, die irgendwann durchschaut werden, sind auch die Geschichten über religiöse Wunder nichts als Lügen – nur dass sie auf fruchtbareren Boden gefallen sind.

Die Lügen der Religion

Alle Volksreligionen sind nichts als Betrug. Solange sie sich noch in ihrem Anfangsstadium befinden, kümmert das die Gelehrten nicht, und irgendwann ist es mangels Beweisen und Zeugen zu spät, die Lügen aufzudecken. Keine noch so seriös erscheinende Quelle darf uns darüber hinwegtäuschen, dass Wunder ein lächerlicher Betrug sind und nicht als Grundlage eines Religionssystems taugen. Auch wenn noch so viele Menschen glaubwürdig die Auferstehung eines Toten bezeugen, kann er nicht wirklich tot gewesen sein, denn das widerspräche den Naturgesetzen. Eine Religion, die auf solchem Betrug gegründet ist, verdient unsere Beachtung nicht, ganz gleich welche Pracht sie entfaltet. Religion ist eine Sache des Glaubens, und alle Versuche, sie mit vernünftigen Argumenten zu verteidigen, schaden ihr mehr, als dass sie ihr nutzen. Die in der Bibel erzählten Geschichten sind Märchen, denen mit Vernunft nicht beizukommen ist. Wer dennoch daran glaubt, tut dies wider alle Prinzipien seines Verstandes.

„Kurz, aller Stoff des Denkens ist entweder von unserem äußeren oder inneren Gefühl abgeleitet.“ (S. 19)

Jede Aussage über Eigenschaften des göttlichen Schöpfers, in dem wir den Urheber alles Daseins erkennen, ist rein hypothetisch. Wir wissen nichts über Gott, sondern kennen nur die Wirkungen, die wir in den Naturerscheinungen beobachten können. Für die große Güte und Weisheit, die unsere Religion dem Schöpfer zuschreibt, gibt es weder in der Natur noch in der Vernunft eine Grundlage. Wenn es um menschliches Handeln geht, können wir aus der Erfahrung sehr wohl von Wirkungen auf Ursachen und Absichten schließen; über eine göttliche Absicht lassen sich jedoch nur Vermutungen anstellen. Doch die Gläubigen übertragen menschliche Prinzipien und Attribute wie etwa Vollkommenheit auf ein höheres Wesen, das uns fremd ist und mit uns ebenso wenig zu vergleichen ist wie die Sonne mit einer Kerze. Auch können wir das Böse in der Welt, die Unvollkommenheit und das Unglück der Menschen nicht befriedigend erklären, wenn wir von göttlicher Vollkommenheit ausgehen.

Leben und Denken im Hier und Jetzt

Statt über Fragen nach dem Ursprung der Welten zu spekulieren, die wir ohnehin nicht beantworten können, sollten wir uns lieber den praktischen Dingen des menschlichen Zusammenlebens und der Politik zuwenden. Eine gewisse Skepsis gegenüber Vorurteilen und Meinungen, auch den eigenen, bildet die Voraussetzung jeder Philosophie. Aus klaren Prinzipien Schlüsse zu ziehen und diese immer wieder zu überprüfen, ist der einzige Weg, der zur Wahrheit führt, wenn er auch beschwerlich sein mag. Vom rein philosophischen Standpunkt aus betrachtet ist es also richtig, die Zuverlässigkeit der Sinneserfahrungen und damit die Existenz einer Außenwelt in Zweifel zu ziehen. Allein unser mächtiger Instinkt lässt uns annehmen, dass es eine verlässliche Außenwelt gibt, die nicht von unserer Wahrnehmung abhängt – sonst könnten wir gar nicht leben. Der Skeptizismus mag in Gelehrtenkreisen angebracht sein, er widerspricht jedoch unseren alltäglichen Erfahrungen und hat keinerlei gesellschaftlichen Nutzen. Grundsätzlich sollte sich die Forschung mit vertrauten Dingen des täglichen Lebens beschäftigen, die auf Erfahrung beruhen. Sie eignen sich für unseren begrenzten Menschenverstand besser als hochfliegende metaphysische Untersuchungen über Raum, Zeit und Ewigkeit.

Zum Text

Aufbau und Stil// David Humes Untersuchung über den menschlichen Verstand //ist in zwölf längere Abschnitte unterteilt, die teilweise als eigenständige Essays gelesen werden können. Der erste und der letzte Abschnitt bilden eine Art Rahmentext, in dem Hume sich grundsätzlich über verschiedene Arten der Philosophie und deren Möglichkeiten äußert. Während er in der ersten Hälfte des Buches seine Theorie über empirisches Wissen entwirft, stehen in der zweiten Fragen der Metaphysik und Religionsphilosophie im Vordergrund. Egal ob Hume über den Ursprung menschlicher Erkenntnis, über Willensfreiheit oder Wunder nachdenkt, stets ist der aufklärerische Impuls spürbar. Und bei aller Abstraktheit und Systematik des komplexen Gedankengebäudes spricht aus jeder Zeile der Wunsch, verstanden zu werden und nicht nur für einen geschlossenen Gelehrtenzirkel zu philosophieren. Immer wieder zieht Hume Beispiele aus dem alltäglichen Leben, aus Farbenlehre und Dichtung, Medizin und Physik heran, um seine Theorie zu untermauern. Selbst in seinen heftigsten Attacken bewahrt er – ganz Gentleman – eine freundliche, ironische Distanz und gibt offen zu, wenn er an die Grenzen seiner Erkenntnis stößt.

Interpretationsansätze

  • Wie schon der von ihm bewunderte John Locke vertritt David Hume die Auffassung, es gebe keine apriorische, rein verstandesmäßige Erkenntnis von Tatsachen, vielmehr beruhe alles Wissen auf Erfahrung. Hume wie Locke richten sich gegen die Theorie angeborener Ideen, die von Rationalisten wie Descartes oder Leibniz vertreten wurde.
  • Hume entwickelt Lockes Empirismus weiter, indem er den Glauben an die Kausalität als reine Illusion entlarvt. Das Prinzip von Ursache und Wirkung wohne nicht den Dingen selbst inne, sondern beruhe auf einer subjektiven Verknüpfung, die der menschliche Geist aufgrund gleichbleibender Erfahrungen herstelle.
  • Von George Berkeley, der einen extremen subjektiven Idealismus vertrat, übernimmt Hume den Gedanken, eine materielle Außenwelt existiere nicht. Anders als für Berkeley, der im gottgegebenen menschlichen Geist das ordnende Prinzip erkannte, ist für Hume auch die Vorstellung persönlicher Identität eine Illusion: Was wir als Bewusstsein oder Ich begreifen, ist demnach nicht mehr als eine Ansammlung wechselnder Sinneseindrücke.
  • Immer wieder greift Hume auf historische Beispiele zurück – überzeugt davon, dass sich aus der Geschichte allgemeine Prinzipien der menschlichen Natur ableiten lassen.
  • In einem als fiktionalen Dialog gestalteten Kapitel lässt Hume den antiken Denker Epikur die Philosophie gegen Vorwürfe religiöser Eiferer verteidigen. Mit diesem Plädoyer für die Freiheit des Denkens tritt Hume indirekt seinen Kritikern entgegen, die seinem rund zehn Jahre zuvor erschienenen Traktat über die menschliche Natur Atheismus und Untergrabung der Moral vorgeworfen hatten.
  • Hume, selbst ein sehr geselliger Mensch, vertritt in seiner Schrift ein lebensnahes, pragmatisches Menschenbild. Der Mensch ist für ihn ein instinktgeleitetes Wesen, das beständig sein irdisches Glück und die Befriedigung seiner Wünsche als Zweck verfolgt.

Historischer Hintergrund

Die schottische Aufklärung

Noch im 17. Jahrhundert zählte Schottland zu den ärmsten und rückständigsten Regionen Westeuropas. Allerdings blickte das Land auf eine lange und reiche Bildungstradition zurück. Der Presbyterianismus, eine schottische Variante des Protestantismus, legte großen Wert auf die individuelle Bibellektüre und sorgte mit seinen Schulen und Büchereien für eine vergleichsweise hohe literarische Bildung der Bevölkerung – Analphabeten waren seltener als anderswo. Durch die politische Union mit England im Jahr 1707 erlangte Schottland freien Zugang zu den Märkten des britischen Kolonialreichs und erlebte einen ökonomischen Aufschwung. Unter diesen wirtschaftlich günstigen Bedingungen entwickelten sich das Land und vor allem die Hauptstadt Edinburgh in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einem der aufregendsten geistigen Zentren Europas. In den Klubs und verrauchten Hinterzimmern der zahlreichen Edinburgher Kneipen kamen regelmäßig Naturwissenschaftler, Anwälte, Agronomen, Philosophen und Künstler zusammen, um beim gemeinsamen Essen und Trinken den freien Gedankenaustausch zu pflegen. Anders als die französische Aufklärung, die von einigen wenigen führenden Köpfen wie Denis Diderot und Jean-Baptiste le Rond d’Alembert beherrscht wurde, handelte es sich hierbei nicht um einen exklusiven Zirkel mit einer einheitlichen Idee, sondern um einen eher lockeren Verbund von Intellektuellen, die durchaus verschiedene Ansichten vertraten und diese lebhaft diskutierten.

Zu den wichtigsten Vertretern der schottischen Aufklärung zählten neben ihrem Begründer, dem Glasgower Philosophieprofessor Francis Hutcheson, und David Hume so unterschiedliche Figuren wie Adam Smith, James Boswell und James Watt. Bei allen Differenzen teilten sie die Überzeugung, dass es möglich sei, durch Beobachtung die Gesetzmäßigkeiten der Natur zu erfassen und daraus die Prinzipien menschlichen Verhaltens und gesellschaftlichen Zusammenlebens abzuleiten. Von Francis Bacon und dem Physiker Isaac Newton übernahmen die schottischen Aufklärer die experimentelle Methode und übertrugen sie auf die Moralphilosophie. Ihr Ziel war es, den Menschen einen Weg zum diesseitigen Glück aufzuzeigen und zur Verbesserung ihrer Lebensumstände beizutragen. Weder die Versprechungen der Religion noch erhabene philosophische Grundsätze sollten das alltägliche menschliche Zusammenleben bestimmen, sondern konkrete Neuerungen in politischen und wirtschaftlichen Institutionen, in Schule und Wissenschaft, Handwerk und Handel. Nach Auffassung der schottischen Aufklärer sollten die Menschen zwar ruhig ihre Religion ausüben und an Gott glauben, sich aber im alltäglichen Leben auf die eigenen Kräfte verlassen.

Entstehung

Bereits mit knapp 30 Jahren hatte David Hume den Traktat über die menschliche Natur geschrieben, der seine akademische Laufbahn begründen sollte, zu seiner Enttäuschung jedoch ein Misserfolg wurde. Die mangelnde publizistische Resonanz auf das 1739 – seiner Ansicht nach überhastet – veröffentlichte Jugendwerk führte Hume nicht auf dessen Inhalt, sondern allein auf stilistische und formale Mängel zurück. Wie er in seiner Autobiografie schreibt, machte er sich deshalb an eine Neufassung seiner Überlegungen, die 1748 unter dem Titel Philosophische Versuche über den menschlichen Verstand und 1758 erneut als Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand erschien. Nach Humes Aussage enthält die Untersuchung dieselben philosophischen Prinzipien wie der dreibändige Traktat, allerdings in einer vereinfachten, zugänglicheren Darstellung. Tatsächlich aber nahm er auch inhaltliche Korrekturen vor. So wurde etwa das Kapitel über den Wunderglauben gänzlich neu verfasst.

Wirkungsgeschichte

Die Untersuchung über den menschlichen Verstand, der Hume selbst den Vorzug vor dem Traktat gab und die er später zur letztgültigen Darstellung seiner Philosophie erklärte, weckte endlich die öffentliche Aufmerksamkeit, die dem Erstlingswerk versagt geblieben war. Ab 1750 erschienen in England zahlreiche Kommentare und Kritiken zu der Schrift, die der Vatikan zusammen mit Humes übrigem Werk 1761 auf die Liste verbotener Bücher setzte. Viele schottische Philosophieprofessoren ebenso wie Kirchenvertreter griffen Hume scharf an.

Maßgeblichen Einfluss übte die Untersuchung auf die Aufklärung in Deutschland aus. Das Werk, das erstmals 1755 in deutscher Übersetzung erschien, wurde in vielen aufklärerischen Zeitschriften besprochen und war, wie Moses Mendelssohn schrieb, in aller Hände. Immanuel Kant gestand sogar, Humes Schrift habe ihn aus dem „dogmatischen Schlummer“ gerissen und zu weiteren Untersuchungen angeregt. In der philosophischen Erkenntnistheorie wirkte Humes Kritik des Kausalitätsprinzips bis in die Moderne fort und beeinflusste den Wiener Kreis ebenso wie die von Karl Popper begründete Denkrichtung des kritischen Rationalismus.

Über den Autor

David Hume gehört neben John Locke und George Berkeley zu den einflussreichsten Figuren der Aufklärung in Großbritannien. Als zweiter Sohn eines kleinen schottischen Landadligen am 7. Mai 1711 geboren, besucht Hume bereits mit zwölf Jahren die Universität von Edinburgh, um Jura zu studieren. Er nimmt jedoch auch an Lehrveranstaltungen anderer Fächer teil und lernt auf diesem Weg die Schriften von Isaac Newton und John Locke kennen. Hume bricht das Studium nach drei Jahren ohne Abschluss ab. In Bristol betätigt er sich als Kaufmann und begibt sich 1735 auf eine Studienreise nach Frankreich, um sich mit neuerer Philosophie zu beschäftigen. Dort verfasst er seinen Treatise of Human Nature (Ein Traktat über die menschliche Natur). Diese Abhandlung erregt jedoch kaum Aufmerksamkeit. 1745 bewirbt er sich um die Professur für Moralphilosophie an der Universität von Edinburgh. Seine skeptische Haltung gegenüber der Religion führt jedoch dazu, dass seine Bewerbung erfolglos bleibt. 1748 erscheint sein Enquiry Concerning Human Understanding (Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand), ein Werk, das Hume zu einem in ganz Europa bekannten Philosophen macht. 1752–1757 arbeitet er als Bibliothekar an der Universität von Edinburgh, was er mit historisch-politischen Studien verbindet. Das Ergebnis ist die History of Great Britain (Geschichte von Großbritannien), die 1754–1762 erscheint und Humes Ruf als Historiker festigt. In seinem 1757 veröffentlichten Werk The Natural History of Religion (Die Naturgeschichte der Religion) behauptet er, dass Religion vor allem auf Ignoranz, Hoffnung und Furcht basiere und ihre Ausrottung durch Aufklärung einer wahren Erlösung gleichkomme. Damit verwirkt Hume jede Aussicht auf höhere Ämter im calvinistischen Schottland. 1763–1766 ist Hume im diplomatischen Dienst in Paris und macht die Bekanntschaft von Diderot und Rousseau. 1768 kehrt er nach Edinburgh zurück, wo er nach einer langen Krankheit am 25. August 1776 stirbt.

Hat Ihnen die Zusammenfassung gefallen?

Buch oder Hörbuch kaufen

Diese Zusammenfassung eines Literaturklassikers wurde von getAbstract mit Ihnen geteilt.

Wir finden, bewerten und fassen relevantes Wissen zusammen und helfen Menschen so, beruflich und privat bessere Entscheidungen zu treffen.

Für Sie

Entdecken Sie Ihr nächstes Lieblingsbuch mit getAbstract.

Zu den Preisen

Für Ihr Unternehmen

Bleiben Sie auf dem Laufenden über aktuelle Trends.

Erfahren Sie mehr

Studenten

Wir möchten #nextgenleaders unterstützen.

Preise ansehen

Sind Sie bereits Kunde? Melden Sie sich hier an.

Kommentar abgeben