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Frost

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Frost

Suhrkamp,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Ein Buch, so anheimelnd wie ein tiefgefrorener Kadaver – Thomas Bernhards radikaler Debütroman.


Literatur­klassiker

  • Roman
  • Gegenwartsliteratur

Worum es geht

Schmerzzustände in Schnee und Eis

In Thomas Bernhards radikalem Romandebüt werden die österreichischen Alpen nicht als beschauliche Idylle besungen, sondern als Hölle auf Erden. Ein Student wird in ein vereistes Bergdorf geschickt, um einen Maler zu beobachten. Wie sich herausstellt, ist der Mann schwer depressiv und von einem morbiden Zorn auf die Welt getrieben: Die Bauern im Dorf hält er für vom Schwachsinn gezeichnete Schnapsnasen, Österreich nach dem Krieg für ein gespenstisches Leichenfeld, die Künstler des Landes für lächerliche Dilettanten. Der Maler leidet an der Eiseskälte seiner Gedanken, die sich in düsteren Monologen entladen und sich zu einem obsessiven Abgesang auf das eigene Leben und die Welt als Ganzes steigern. Für den Studenten, aus dessen Protokollen das Buch besteht, sind die Tiraden des Malers schließlich unerträglich. Wie in keinem seiner späteren Werke hält Bernhard in Frost seinen Humor zurück und blendet jeden Hoffnungsschimmer aus. Bei der Veröffentlichung 1963 schockierte das handlungsarme, abgründige Buch mit seinem Pessimismus, und auch heute ist der radikale Roman wohl in erster Linie für hartgesottene Bernhard-Fans verdaulich.

Take-aways

  • Frost ist der erste Roman Thomas Bernhards und brachte dem österreichischen Autor 1963 den literarischen Durchbruch.
  • Ein Student wird in das österreichische Bergdorf Weng gesandt, um dort den Maler Strauch zu beobachten.
  • Er mietet sich im gleichen Gasthof wie Strauch ein und gewinnt auf gemeinsamen Schneespaziergängen dessen Vertrauen.
  • Der Künstler entpuppt sich als verzweifelter und todessehnsüchtiger Charakter.
  • Mit atemlosen Monologen, die der Student protokolliert, versucht er seine Seelenqualen zu mildern.
  • Da sein Denken aber stets nur um die Themen Schmerz, Tod und Wahnsinn kreist, steigert er sich immer weiter in seine Depression hinein.
  • Der Student merkt, dass er seiner Aufgabe nicht gewachsen ist; er erträgt die Gegenwart Strauchs nicht mehr.
  • Nachdem er das Dorf verlassen hat, liest er in der Zeitung, dass der Maler vermisst wird.
  • Der Roman kommt mit einem Minimum an Handlung aus. Die vielen Wiederholungen und die wirren, oft unverständlichen Monologe erfordern viel Geduld.
  • Der Maler verwendet Wörter jenseits jeder Konvention. Der Sinn von Ausdrücken wie „große Luftgebärde“ erschließt sich weder dem Studenten noch dem Leser.
  • Dem neuen Nationalbewusstsein der Österreicher nach dem Krieg hielt Thomas Bernhard mit seinem Roman eine Anti-Idylle entgegen.
  • Tod und Vergeblichkeit sind typische Bernhard-Themen. Der charakteristische Humor der späteren Werke ist in Frost nur ansatzweise spürbar.

Zusammenfassung

Der Auftrag

Ein Student leistet in einem Krankenhaus in der österreichischen Kleinstadt Schwarzach ein Praktikum ab. Vom Chirurgen Strauch bekommt er eines Tages den Auftrag, in das Dörfchen Weng zu reisen und dort den Bruder des Arztes zu beobachten: den Maler Strauch. Der Chirurg hat seinen Bruder seit 20 Jahren nicht gesehen, trotzdem scheint er an der offenbar sonderlichen Person interessiert. Der Student soll einen genauen Bericht anfertigen und den Tagesablauf des Malers, sein Verhalten, seine Gespräche und die darin geäußerten Ansichten protokollieren.

„Weng ist der düsterste Ort, den ich jemals gesehen habe.“ (der Student, S. 10)

Bei seiner Ankunft in Weng fühlt sich der Student sofort unwohl. Die Menschen scheinen ihm kleinwüchsig und versoffen, das Gebirgstal ausgesprochen düster. Das Gasthaus, in dem er absteigt, ekelt ihn. Doch weil sich der Maler Strauch dort eingemietet hat, bleibt ihm keine Wahl. Die beiden lernen sich kennen und unternehmen schon am zweiten Tag einen gemeinsamen Spaziergang. Der Maler, an seinem Stock hinter dem Studenten hergehend, entpuppt sich als redseliger, depressiver Charakter. Er ist misstrauisch und glaubt, dass die Wirtin hinter seinem Rücken schlecht über ihn redet. Überhaupt ist er von ihr angewidert, weil sie angeblich manche Hotelgäste in ihr Bett lässt. Von seinem eigenen Leben scheint der Maler nicht mehr viel zu erwarten; er beschreibt seine Existenz als dermaßen sinnlos, dass der Student bald ahnt: Seine Gedanken kreisen um Selbstmord.

Verzweifelte Einsamkeit

Die Tage im Gasthaus verstreichen. Der Student schließt sich dem Maler auf dessen Schneespaziergängen an, nimmt die Mahlzeiten gemeinsam mit ihm ein und führt Protokoll über seine morbid-verzweifelten, oft unverständlichen Monologe. Seit frühester Jugend fühlt sich der Maler zum Alleinsein verurteilt. Während des Kriegs bei seinen geliebten Großeltern aufgewachsen, hat er nach deren Tod seine finstere Weltsicht entwickelt. Die Eltern bevorzugten stets den Bruder, der ein erfolgreicher Chirurg geworden ist, während der Maler sich seinen Grübeleien hingab und trotz Zweifeln an seinem Talent ein Studium an der Kunstakademie aufnahm. Inzwischen hat er all seine Bilder verbrannt. Nachts wird er von Albträumen gequält und tagsüber leidet er an Angstzuständen. Körperliche Schmerzen plagen ihn ebenso wie seine schwarzen Gedanken, zu denen ihn jedes Detail seiner Umwelt nötigt. Vor allem das Heulen und Kläffen der Hunde erträgt er nicht mehr, sagt er.

„Über Nacht drückt sich meine Kopfkrankheit auf meinem Fuß aus. Unheimlich.“ (Strauch, S. 49)

Der Wasenmeister, ein Dorfbewohner und Stammgast im Wirtshaus, findet den Maler am nächsten Tag in einem Waldstück, wo dieser trotz Eis und Schnee einfach auf einem Baumstrunk sitzen geblieben ist. Er bringt ihn zurück in den Gasthof und macht sich Sorgen um Strauchs Gemütszustand. Der Maler komme ja schon seit Jahren regelmäßig aus der Stadt zu Besuch nach Weng, früher aber sei er fröhlicher gewesen und habe sogar am gesellschaftlichen Leben teilgenommen, etwa am „Dreikönigssaufen“. Jetzt aber scheint es dem Wasenmeister, als habe Strauch vorsätzlich im Wald erfrieren wollen.

„Einmal gelingt dann jedem der große Wurf: das Schlussmachen!“ (Strauch, S. 80)

Kopfschmerzen im Fuß Nach dem Vorfall im Wald breiten sich die Kopfschmerzen des Malers, wie er sagt, auf seinen Fuß aus. Tatsächlich hat er dort eine Geschwulst, die der Medizinstudent aber als harmlose Schleimbeutelentzündung erkennt. Der Maler will zum Bahnhof gehen, um sich Zeitungen zu kaufen, die ihm zugleich Ablenkung und Bestätigung seiner verhassten Wirklichkeit sind. Er kommt jedoch nicht weit, die Geschwulst am Fuß schmerzt ihn. Also kauert er sich hinter einen Heuschober. Am Abend wird er dort von dem Studenten entdeckt.

„Was reden die Leute über mich?“, fragte er. „Sagen Sie: der Idiot? Was reden die Leute?“ (Strauch, S. 89)

Der Student belauscht ein Gespräch zwischen der Wirtin und dem Wasenmeister, die offenbar eine Affäre haben. Der Mann der Wirtin sitzt im Gefängnis, weil er einen Gast erschlagen hat; jetzt bittet er brieflich um Geld, um sich in der Anstalt besseres Essen kaufen zu können. Die Wirtin will ihm nichts schicken, der Wasenmeister aber ist dafür, worauf die beiden sich streiten. Es stellt sich heraus, dass die Wirtin ihren Mann selbst angezeigt hat. Der Maler prophezeit dem Studenten, dass ein Unglück geschehen werde, sobald der Wirt aus dem Gefängnis freikomme.

„Die Künstler, das sind die Töchter und Söhne der Widerwärtigkeit, der paradiesischen Schamlosigkeit, das sind die Erztöchter und Erzsöhne der Unzucht, die Künstler, die Maler, die Schriftsteller, die Musiker, das sind die Onanierpflichtigen auf dem Erdball, seine unappetitlichen Verkrampfungszentren, seine Geschwürperipherien, seine Eiterprozessordnungen ...“ (Strauch, S. 132)

In der Nacht kann der Maler nicht schlafen, weil im Gasthaus die Leute aus dem Dorf zusammensitzen. Am Morgen spürt er einen maßlosen Schmerz im Kopf. Der Student geht mit ihm spazieren und gewinnt als einziger Mensch allmählich seine Sympathie. Alle anderen, sagt Strauch, würden ihn wegen seiner Eigenarten verachten. Als sich der Student nach dem Spaziergang auf sein Zimmer zurückzieht, stellt er fest, dass die Gespräche mit dem Depressiven nicht spurlos an ihm vorübergehen. Er hat selbst Kopfschmerzen und zweifelt an seiner Bestimmung zum Arztberuf. In einem nahen Wirtshaus betrinkt er sich.

Das Leben – ein Albtraum

Es gibt nichts, worüber der Maler sich nicht aufregen kann. Das Schlagen der Türen bringt ihn um den Verstand. Das Gasthaus kommt ihm vor wie ein Grab. Die Wahrnehmung seiner Umwelt wird für ihn zu einem Albtraum. Die Äste und Zweige schlagen ihm ins Gesicht „wie Tierhände“. Am meisten leidet er unter der Kälte, dem Frost, der in ihn hineinzukriechen und ihm das Leben zu nehmen scheint – ein Vorgang, von dem er sich in seiner suizidalen Art gleichzeitig angezogen fühlt.

„Was ist das für eine Sprache, die Sprache Strauchs? Was fange ich mit seinen Gedankenfetzen an?“ (der Student, S. 137)

Immer wieder beißen sich die Beobachtungen des Malers an der Wirtin fest. Einerseits fühlt er sich ihr verbunden, da sie wie er im Dorf eine Fremde ist und sich bei den Bauern anbiedern muss, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Andererseits verachtet er die Schamlosigkeit, mit der sie sich an die Männer heranwirft. Zudem vermutet er, dass sie Pferde- und Hundefleisch unter das Essen mischt, und ist schockiert über die Rohheit, mit der sie ihre Tochter behandelt. Diese habe mit einem jungen Mann angebändelt, worauf die Mutter das 14-jährige Mädchen mit einem Schürhaken geschlagen habe, bis es unter einem Baum vor dem Gasthof zusammengebrochen sei.

„Ist Ihnen nicht aufgefallen, dass die Menschen Friedhöfe bewohnen? Dass Großstädte große Friedhöfe sind? Kleinstädte kleinere Friedhöfe? Dörfer noch kleinere? Dass das Bett ein Sarg ist? Kleider Totenkleider? Alles Vorübungen auf den Tod?“ (Strauch, S. 168)

Strauch ist längst nicht mehr künstlerisch produktiv, berichtet dem Studenten aber von seiner aktiven Zeit. Um die nötige Ruhe für die Arbeit zu finden, habe er sich in seinem Atelier eingeschlossen, die Vorhänge zugezogen und in völliger Dunkelheit gemalt. Sei das Bild fertig gewesen, habe er die Vorhänge aufgerissen, um sich vom Licht blenden zu lassen und das Ergebnis seiner Arbeit nicht sehen zu müssen. Der Maler hält alle Künstler grundsätzlich für heuchlerisch, eitel und untalentiert – weshalb er selbst allen „Künstlergedanken“ abschwört.

„Ich warte jetzt auf das Ende, wissen Sie! Wie Sie auf Ihr Ende warten. Wie alle auf ihr Ende warten. Nur wissen Sie nicht, dass Sie warten, warten, worauf ich immer gewartet habe: auf das Ende!“ (Strauch zum Studenten, S. 195)

Einmal behauptet Strauch, dass rund ums Dorf noch immer Skelette von Soldaten zu finden seien, die sich im Krieg im Wald versteckt hätten und erfroren seien. Die Knochen würden oft von Beerensuchern entdeckt, und viele Kinder würden sich mit herumliegenden Waffen in die Luft sprengen. Der Krieg habe die Gegend in eine Geisterbahn verwandelt. Überall sieht der Maler abgeschlagene Hände, die sich ihm aus den Teichen und Seen entgegenstrecken.

Ein verhasster Lehrer

Ebenfalls im Gasthof wohnt ein Ingenieur. Er ist in der Nähe des Dorfs mit dem Bau eines riesigen Kraftwerks beschäftigt und sprengt ein kilometergroßes Loch in den Berg, um einen Stausee anzulegen. Der Maler ist der Meinung, dass Kraftwerke die ohnehin hässliche Landschaft noch weiter verschandeln. Der tatkräftige Ingenieur aber fasziniert ihn ebenso wie dessen Arbeit, die zu den bestbezahlten im Land gehöre. Er selbst, der Maler, habe früher zwischenzeitlich als Aushilfslehrer gearbeitet. Allerdings sei er mit den Schülern nicht zurechtgekommen und habe sich selbst in seiner Rolle als Lehrer gehasst. Seine besten Momente habe er gehabt, wenn er mit seinen Schülern in den Park gegangen sei, sich mit einem Buch seines Lieblingsphilosophen Pascal auf die Bank gesetzt und die Kinder mit einem bösen Blick zum Schweigen gebrachte habe, wann immer sie ihm zu laut geworden seien.

Göttliche Sprache, tödliche Gedanken

Seit zwei Wochen ist der Student nun in Weng. Er überlegt, ob er seiner Familie schreiben soll, kann sich aber zu keinem Brief aufraffen: Wie soll er erklären, dass seine einzige Tätigkeit darin besteht, einen Verrückten zu beobachten und darüber womöglich selbst verrückt zu werden?

„Der Maler ist, glaube ich, so für sich allein, dass keiner ihn jemals versteht.“ (der Student, S. 231)

Ein starkes Schneetreiben setzt ein, die weißen Massen verdecken bald die Sicht aus dem Zimmerfenster. Der Student liest ein Buch von Henry James, kann sich aber nicht auf den Inhalt konzentrieren. Später, bei einem weiteren Spaziergang im Wald, hat der Maler eine poetische Vision. Er nimmt die Wolken und Bäume als Theaterstück wahr, empfindet sein eigenes Sprechen als Musik. Allerdings macht ihn traurig, dass er aus seiner unverständlichen, göttlich-musikalischen Sprache wieder normale Worte formen muss, um dem Studenten seine Erfahrung zu vermitteln. Strauch erkennt, dass seine ständigen Selbstzweifel und Grübeleien ihn ins Grab bringen werden. Da er nie aufhören kann zu grübeln, findet er keine Zerstreuung mehr, und da er jeden positiven Gedanken als bedeutungslos und schönrednerisch zu entlarven versucht, dreht sich sein Denken nur noch um den Tod.

Besuch im Schlachthaus

Der Student und der Maler haben eine gemeinsame Routine entwickelt: Jener wartet, bis dieser zum Frühstück herunterkommt, dann spazieren sie zur Kirche oder auch zum Bahnhof, um Zeitungen zu kaufen. Strauch berichtet von seinen seltsamen Erlebnissen. Einmal ist er einem Holzzieher begegnet, der sich mit ihm unterhalten hat und kurze Zeit später unter seinen eigenen Schlitten gestürzt und erdrückt worden ist. An einem anderen Tag habe er im Wald einen Theaterschauspieler entdeckt, der sich ihm wie tot in den Weg gelegt habe, um zu sehen, wie der Maler auf den vermeintlichen Leichenfund reagiere. Immer wieder spricht Strauch vom Frost: Frost, dem die Soldaten in Russland zum Opfer gefallen seien, Frost, der auch hier bald alles Leben auslöschen werde.

„Was ich Ihnen sage, ist ein unter der Logik reflektierendes Hochgeistestum.“ (Strauch, S. 248)

Der Maler sagt, dass die Luft das einzig Wahre sei – mit dem „Angstschweiß der Träume“ darin. Ein Ausspruch, den der Student sehr poetisch findet. Der Maler jedoch meint, nur die Sache selbst könne poetisch sein: die Luft etwa oder bestenfalls ein einziger Gedanke im Moment seines Entstehens. Sie kommen zu einem Schlachthaus, und Strauch beschreibt das Schreien der Tiere, das für ihn noch in der Luft liege, obwohl die Stimmbänder der Rinder und Schweine längst zerhackt seien. Um die blutige Wirklichkeit vorzuführen, sollten seiner Meinung nach die Lehrer ihren Unterricht im Schlachthaus abhalten.

Dem Ende verschrieben

Der Student merkt, dass er immer mehr den Gedankengängen des Malers folgt und dass dessen wirre Wortkaskaden auf sein eigenes Denken abfärben. Er hält die Gegenwart des schwermütigen Mannes nicht mehr aus, versucht ihm aus dem Weg zu gehen und flüchtet für einen Spaziergang allein aus dem Gasthof. Trotzdem gehen ihm ununterbrochen die absurden und morbiden Grübeleien des Malers durch den Kopf.

„Die einzige Weisheit ist Schlachthausweisheit! Die einzigen Schriften sind Schlachthausschriften! Die einzige Wahrheit ist Schlachthauswahrheit! A-Wahrheit, Wahrheit, Unwahrheit, alles zusammen das ungeheure Schlachthausimmatrikulieren (...)“ (Strauch, S. 255)

Strauch hat geträumt: Sein Kopf sei so sehr angeschwollen, dass er das Gasthaus ganz ausgefüllt und seine Bewohner an den Wänden zerquetscht habe – den Studenten, den Wasenmeister, den Ingenieur, die Wirtin. An Schlafen sei nun nicht mehr zu denken. Jedes Körperteil, jeder Gedanke, alles Sehen tue ihm weh. Er erzählt dem Studenten eine gleichnishafte Geschichte von einem Lehrer – hinter dem er unschwer selbst zu erkennen ist. Am Ende der Erzählung führt er die Figur in eine Felsspalte und lässt sie dort sterben.

Wahrscheinlicher Selbstmord

Der Student fügt seinem Bericht zum Schluss einige Briefe an, die er dem Chirurgen Strauch geschrieben hat. Während er im ersten Brief noch zuversichtlich ist, seiner Aufgabe gewachsen zu sein und einen objektiven Bericht verfassen zu können, beschreibt er später seine Erschöpfung. Er gehe dem Maler aus dem Weg, weil er dessen eindringliche Monologe nicht mehr aufnehmen könne und sich von dessen „Krankheit“ angesteckt fühle. Im letzten Brief geht er vom baldigen Selbstmord des Malers aus.

„Ich leide ganz einfach am Überdurchschnitt, müssen Sie wissen. An den Einwänden der Natur, an mir absolut fremden Rechten. Ich ziehe immer den Kürzeren.“ (Strauch zum Studenten, S. 258)

Wieder nach Schwarzach zurückgekehrt, stößt der Student auf eine Vermisstenmeldung: Der „Beruflose G. Strauch“ sei in der Gegend von Weng verschwunden, die Suchaktionen hätten wegen schwerer Schneefälle eingestellt werden müssen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Bernhards Roman Frost kommt mit ziemlich wenig Handlung aus. Zwar schreitet die Geschichte in jedem der 27 Kapitel um jeweils einen Tag voran – diese Tage unterscheiden sich aber so wenig voneinander, dass man fast meinen könnte, der Roman hätte genauso gut auch an anderer Stelle enden können. Der Bericht des Studenten vermittelt kaum einen optischen Eindruck von den Personen oder Orten des Geschehens, sondern gibt fast ausschließlich die Gedankenwelt des Malers Strauch wieder. In endloser Folge reihen sich dessen erregte Monologe aneinander, die inhaltlich ohne viel Variation um die Themen Einsamkeit, Natur, Denken, Wahnsinn, Scheitern, Schmerz und Tod kreisen. In Bernhards Prinzip der Wiederholung ist durchaus eine Steigerung zu bemerken: Zunehmend verbissen, schließlich mit obsessiver Besessenheit beschreibt der Maler die immer gleichen Details, etwa die Hässlichkeit der Gegend oder seine Kopfschmerzen. Dabei benutzt er alltägliche Wörter ohne Rücksicht auf ihre hergebrachte Bedeutung und schichtet sie zu ebenso poetischen wie kryptischen Wortkaskaden, deren Sinn sich – wenn überhaupt – höchstens ihm selbst erschließt („große Luftgebärde“, „außergründliche Unterkühlung des Gedächtnisses“). Die Trostlosigkeit und Monotonie der Sprache ist ebenso faszinierend wie anstrengend; die humorvolle Verstiegenheit der späteren Romane Bernhards ist in Frost nur andeutungsweise zu finden.

Interpretationsansätze

  • Der Frost ist im Roman eine Metapher für den geistigen Stillstand, für das eingefrorene Denken. Der Maler stellt seine eigenen Gedanken und Ideen prinzipiell so lange infrage, bis sie ihm nichtig erscheinen und bis ihm das Denken selbst zur Qual wird. Dieses Nicht-mehr-denken-Können scheint mit der Außentemperatur verbunden zu sein: Nachts am offenen Fenster oder auf den Spaziergängen im vereisten Wald ist der Maler sich seiner nihilistischen Denkbewegungen besonders schmerzhaft bewusst. Gleichzeitig bietet der Frost die Verheißung, das Denken könne endlich ganz zum Stillstand kommen. Der Kältetod ist zugleich Albtraum und Sehnsucht des Malers.
  • Die Grenze zwischen Wahn und Wirklichkeit verwischt, denn die Wirklichkeit des Romans ist eine Spiegelung der Gedankenwelt des Malers. Nachdem dieser auf seine paranoide Art vermutet, dass die Wirtin heimlich Hundefleisch unter das Essen mischt, bemerkt der Student später tatsächlich, wie der Wasenmeister ihr einen Hundekadaver bringt. Das ist typisch für Thomas Bernhards Arbeitsweise: Er erschafft zunächst eine Figur und lässt dann durch deren Augen eine Romanwelt entstehen.
  • Der Medizinstudent ist für den depressiven, verbitterten Maler ein letzter Verbündeter, ein Adressat für seine Verzweiflung. Typisch sind die ständigen Ausrufe und Hinweise, mit denen er den Studenten vom Wahnsinn der Welt zu überzeugen versucht: „Sehen Sie!“, „Hören Sie!“ usw. Der Student wird vom Maler zusehends vereinnahmt. Zwar gibt es kurze Passagen, in denen der Jüngere seine eigene Wahrnehmung des Dorfes und seine persönliche Weltsicht formuliert. Doch sehr bald unterscheiden sich diese Stellen im Tonfall kaum noch von den protokollierten Monologen des Malers. Dessen düstere Wahrnehmung und Erregung scheinen sich auf den Studenten zu übertragen.

Historischer Hintergrund

Österreichs widerwillige Vergangenheitsbewältigung

Im Mai 1955 zeigte sich der damalige österreichische Außenminister Leopold Figl mit dem frisch unterzeichneten Staatsvertrag auf dem Balkon des Schlosses Belvedere in Wien. Unter dem Jubel der Zuschauer sprach er die Worte: „Österreich ist frei!“ Das Land hatte seine volle Souveränität zurück; die sieben Jahre des Nationalsozialismus während des Zweiten Weltkriegs schienen sich als dunkle Episode aus dem allgemeinen Bewusstsein streichen zu lassen. Da das Land 1938 von den deutschen Nationalsozialisten annektiert worden war, fiel es großen Teilen der Bevölkerung nicht schwer, sich im Nachhinein als Opfer zu fühlen. Eine neue österreichische Identität entstand: War man vor dem Krieg noch deutlich von deutschnationalen Gedanken geprägt gewesen, definierte man sich nun ebenso klar in Abgrenzung zur neu entstandenen Bundesrepublik Deutschland als eigenständige Nation. Was darüber in Vergessenheit geriet, war die Begeisterung, mit der Hitler 1938 in Wien als „Sohn des Landes“ willkommen geheißen worden war. In einer nachträglichen Volksabstimmung wurde der „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich nach amtlichen Angaben von 99,73 % befürwortet.

Dementsprechend schwerfällig erfolgte nach dem Krieg die Aufarbeitung der eigenen Kriegsverbrechen und der Nazivergangenheit. Viele Autoren, z. B. Karl Heinrich Waggerl und Max Mell, die in den Nachkriegsjahren den literarischen Betrieb des Landes und die intellektuelle Diskussion bestimmten, hatten sich vor oder während des Kriegs bereits etabliert und für die NSDAP engagiert. Autoren wie Thomas Bernhard dagegen, die Ende der 1960er Jahre begannen, dem Land eine Negativ-Idylle vorzuhalten, wurden lange Zeit als Nestbeschmutzer beschimpft. Erst Bundeskanzler Franz Vranitzky bekannte sich 1991 öffentlich zur Mitschuld der Österreicher am Zweiten Weltkrieg und dessen Folgen.

Entstehung

Thomas Bernhard inszenierte seinen ersten Roman als spontanen Geniestreich. Der bis dahin kaum bekannte Lyriker kündigte seinem Lektor vollmundig an, er werde den Text in nur vier Wochen schreiben, und lieferte dann tatsächlich innerhalb von nur sieben Wochen das fertige Manuskript. Am Mythos vom vollkommen eigenständigen Textungetüm Frost, das 1963 wie aus dem Nichts über die österreichische Nachkriegsliteratur hereinbrach, fand er selbst durchaus Gefallen. Der Autor tat, als seien ihm alle vorherigen Schreibversuche vollkommen gleichgültig, wandte sich von seiner früheren Lyrik ab und betitelte eine vergangene Prosaarbeit, die sich später als Vorstufe zu Frost herausstellen sollte, als ein „aufgeblasenes Nix“.

Wie sich jedoch aus den im Nachlass gefundenen Texten und Briefen entnehmen lässt, ist Bernhard die Entstehung und Veröffentlichung des Romans nicht ganz so leicht von der Hand gegangen. Dem Fischer Verlag bot er unter dem Titel Schwarzach St. Veit bereits 1960 eine erste Version seines späteren Debüts an – und erhielt eine Absage. Er blieb hartnäckig, feilte weiter am Romantext und versuchte es 1962, wiederum erfolglos, beim Suhrkamp Verlag. Erst 1963 erschien Frost im Frankfurter Insel Verlag. Die Seiten des Originalmanuskripts zeugen von harter Arbeit: Immer wieder sind Textpassagen gekürzt, umgearbeitet oder gestrichen worden. Bernhards langjähriger Freund Karl Ignaz Hennetmair berichtet in seinem Tagebuch, dass Bernhard bei der Arbeit alles andere als lässig und entspannt gewesen sei. Nicht wenige Schreibmaschinen seien unter seinen zornigen Tippattacken zu Bruch gegangen.

Wirkungsgeschichte

Mit seinem Roman Frost legte Bernhard einen Abgesang auf die vermeintliche Idylle der österreichischen Provinz vor. Damit verletzte er das Selbstverständnis vieler Österreicher in der Nachkriegszeit. In Frost sind es nicht Edelweiß und unschuldiges Kuhglockengeläut, die die Alpenrepublik prägen, sondern Krieg, Tod und Irrsinn. Für viele Zeitgenossen des Autors war diese Sichtweise unerträglich, nicht wenige bezeichneten den Roman, wie Bernhard selbst sich Zeit seines Lebens gekränkt erinnerte, als einen „Scheißdreck“.// // Gleichzeitig wurde das Buch von der Kritik in den höchsten Tönen gelobt und brachte Bernhard den literarischen Durchbruch. Der deutsche Schriftsteller Carl Zuckmayer war begeistert vom eigenwilligen Stil und dem radikalen Inhalt des Romans. In seiner Rezension in der Wochenzeitung Die Zeit stellte er Frost als etwas völlig Neues dar: „Es wird da etwas zum Anklang gebracht, was wir (...) mit Erlebtem, Erfahrenem, auch mit literarischen Vorbildern kaum vergleichen können.“ Bernhard wurde für sein Debüt mit mehreren Auszeichnungen geehrt, u. a. mit dem Literaturpreis der Freien und Hansestadt Bremen sowie mit dem Julius-Campe-Preis.

Über den Autor

Thomas Bernhard wird am 9. Februar 1931 in den Niederlanden als unehelicher Sohn österreichischer Eltern geboren. Den Vater lernt er nie kennen. Die Mutter, eine mittellose Haushaltshilfe, gibt den Sohn zunächst in Pflege. Das Verlassensein prägt Bernhard und sein späteres Werk tief. 1932 kehrt die Mutter nach Österreich zurück, sie lebt mit dem Kind bei ihren Eltern. Bernhards Großvater Johannes Freumbichler ist ein verarmter Heimatschriftsteller, der dem Enkel bald als Vaterersatz gilt. Die Schulzeit empfindet Bernhard als Qual. 1945 misslingt ein Selbstmordversuch. Armut und schlechte Noten veranlassen ihn 1947 zur Aufgabe der Schule und zum Beginn einer Lehre. 1949 kommt er aufgrund einer Rippenfellentzündung ins Krankenhaus und entgeht nur knapp dem Tod. Dann wird Tuberkulose diagnostiziert. Bernhard verbringt knapp zwei Jahre in Krankenhäusern und Sanatorien; dort beginnt er zu schreiben und lernt auch seinen „Lebensmenschen“, die 35 Jahre ältere Hedwig Stavianicek kennen. Im Anschluss arbeitet er als Journalist, später studiert er Schauspiel. 1957 veröffentlicht er seinen ersten Gedichtband Auf der Erde und in der Hölle. Doch erst der Roman Frost (1963) bringt den Durchbruch. Bernhard gilt bald als einer der wichtigsten Autoren deutscher Sprache. Auch sein zweiter Roman Verstörung (1967) wird gefeiert. 1970 inszeniert Claus Peymann Bernhards erstes langes Theaterstück Ein Fest für Boris. Damit beginnt eine fruchtbare Zusammenarbeit, denn Peymann wird etliche von Bernhards abendfüllenden Stücken auf die Bühne bringen. Bernhard setzt sich unter Schreibdruck, sei es wegen seiner Immobilienkäufe oder seiner sich verschlechternden Gesundheit. Er veröffentlicht oft mehrere Werke pro Jahr, bis ihn Mitte der 80er Jahre Atemnot und Herzschwäche langsam in die Knie zwingen. 1984 rüttelt der Roman Holzfällen die Wiener Künstlerszene auf, 1986 erscheint sein Prosa-Meisterwerk Auslöschung, und Ende 1988 erlebt Bernhard mit Heldenplatz eine letzte Skandalpremiere. Am 12. Februar 1989 stirbt Thomas Bernhard in Gmunden an Herzversagen.

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