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Haben oder Sein

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Haben oder Sein

Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft

dtv,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
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Was ist drin?

Haben oder Sein? Diese Frage entscheidet über unser Glück und Fortbestehen.


Literatur­klassiker

  • Soziologie
  • Moderne

Worum es geht

Selbstentfaltung statt Raffgier

Haben oder Sein ist neben Die Kunst des Liebens Erich Fromms bekanntestes Werk. Es zeigt, wie sehr unsere Gesellschaft vom Haben und Habenwollen bestimmt ist – der Mensch ist der Diener des Wirtschaftssystems, und er will immer mehr haben, weil das System es so vorsieht. Der Einzelne, entfremdet von sich selbst, wird dabei krank und unglücklich, und zwischen Gesellschaftsklassen und Völkern entstehen Neid und Krieg. Dem stellt Fromm die Existenzweise des Seins gegenüber: Hier definiert der Mensch sich nicht über seinen Besitz, sondern darüber, was er ist. Hier erlebt er, statt zu horten, ist ganz bei sich und anderen und bringt seinen Wesenskern zum Gedeihen. Wäre diese Existenzweise in der Gesellschaft vorherrschend, würde sie für Frieden sorgen und womöglich verhindern, dass die Menschheit sich mit Atomwaffen oder durch eine ökologische Katastrophe selbst auslöscht. Fromm schreibt pointiert und anschaulich, seine Hellsichtigkeit und die Aktualität des Textes sind verblüffend: Burn-out und Finanzkrise sind Symptome der von ihm diagnostizierten Krankheit, und seine Vorschläge, etwa das bedingungslose Grundeinkommen, tauchen in heutigen Diskussionen wieder auf. Eine inspirierende Lektüre für alle, die die Gesellschaft umkrempeln wollen – oder auch einfach erst mal ihr eigenes Leben.

Take-aways

  • Haben oder Sein ist Erich Fromms sozialpsychologisches Hauptwerk.
  • Inhalt: Haben und Sein sind zwei entgegengesetzte Existenzweisen. Das Streben nach Besitz und Profit ist die Religion unserer westlichen Gesellschaft, und sie macht die Menschen krank und aggressiv. Wir müssen wieder zum Sein finden, denn hier ist Lebendigkeit und Vernunft, und nur so kann die Menschheit überleben.
  • Der deutsche Jude Erich Fromm, der 1933 emigrierte, war der einflussreichste Psychoanalytiker Amerikas.
  • In seinen philosophischen Schriften vertritt er eine humanistische Ethik.
  • Seine Motivation für Haben oder Sein war es, das Verbindende zwischen dem mittelalterlichen Mystiker Meister Eckehart und Karl Marx zu finden.
  • Marx’ ursprüngliche Ideen fand Fromm im Sowjetkommunismus pervertiert.
  • Das Buch wurde zum internationalen Bestseller und machte Fromm auch in Deutschland berühmt.
  • Haben oder Sein gilt als einer der Gründungstexte der ökologischen Bewegung.
  • Fromm lebte, was er lehrte, und meditierte jeden Tag eine Stunde.
  • Zitat: „Wenn ich bin, der ich bin, und nicht, was ich habe, kann mich niemand berauben oder meine Sicherheit und mein Identitätsgefühl bedrohen. Mein Zentrum ist in mir selbst.“

Zusammenfassung

Eine Illusion ist am Ende

Unbegrenztes Wachstum und Überfluss, Selbstbestimmung und Glück für alle waren die großen Verheißungen des Industriezeitalters. Doch das Versprochene blieb aus. Immer mehr Menschen erkennen, dass die Befriedigung ihrer Begierden sie nicht glücklich macht, dass sie Räder in einer Bürokratiemaschine sind, dass ihre Gedanken und Gefühle durch die Industrie manipuliert werden, dass die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird und dass der technologische Fortschritt die Gefahr ökologischer Katastrophen und eines Atomkriegs mit sich gebracht hat. Unser Gesellschaftssystem fußt seit dem 18. Jahrhundert auf der Annahme, dass der Egoismus des Einzelnen den allgemeinen Wohlstand befördert. Doch wenn Haben das Ziel ist, das jeder verfolgt, werden die Menschen neidisch, ängstlich und betrügerisch, weil sie ihren Besitz verteidigen oder mehren wollen. Außerdem machen immer neue Wünsche echtes Glück unmöglich. Diese Habgier führt zu endlosen Klassenkämpfen. Wir müssen umdenken. Nicht nur, weil dieses System den Einzelnen krank macht: Erstmals hängt auch das Überleben der Menschheit davon ab, dass sich der Gesellschaftscharakter des Menschen ändert.

Haben oder Sein: Beispiele im Alltag

Wie problematisch eine besitzorientierte Denkweise ist, zeigt sich in allen Bereichen des Lebens. Studenten, die am Haben orientiert sind, sammeln beispielsweise nur Informationen. Das Aufgenommene wird nicht Teil ihrer eigenen Gedanken. Studenten im Seinsmodus hingegen lassen sich von neu Aufgenommenem anregen, sie antworten darauf auf produktive Weise. Sie lernen aktiv und sind nach einer Vorlesung andere als vorher.

„(...) wenn Haben mein Ziel ist, bin ich umso mehr, je mehr ich habe (...)“ (S. 19)

Auch unser Verständnis von Autorität ändert sich mit unserer Lebenshaltung. Rationale Autorität beruht auf Kompetenz und fördert das Wachstum des Menschen, der sich ihr anvertraut. Sie gründet im Sein einer hoch entwickelten Persönlichkeit, die Autorität ausstrahlt, ohne befehlen oder drohen zu müssen. Je komplexer und hierarchischer eine Gesellschaft ist, desto mehr hängt Autorität aber vom sozialen Status ab – Kompetenz ist dann nicht mehr die notwendige Voraussetzung. In der Monarchie etwa entscheiden allein die Gene über die Autorität, in modernen Demokratien genügt dafür sogar oft eine fotogene Erscheinung. Dieses Autoritätsdenken äußert sich auch in der Religion: In der Existenzweise des Habens ist der Glaube der Besitz von Antworten, für die man keine gesicherten Beweise hat. Gott wird zu einem Idol gemacht, auf das die Menschen ihre eigenen Kräfte projizieren. Dadurch schwächen sie sich selbst. In der Existenzweise des Seins aber unterwirft man sich Gott nicht, weil einen Autoritäten dazu zwingen, sondern man erfährt ihn in sich selbst.

„Solange jeder mehr haben will, müssen sich Klassen herausbilden, muss es Klassenkampf und, global gesehen, internationale Kriege geben.“ (S. 19)

Ähnlich verhält es sich mit der Liebe: Wenn man sie als Besitz versteht, wirkt sie lähmend und erstickend. Am Anfang einer Beziehung sind Mann und Frau einander noch nicht sicher, sie versuchen den anderen zu gewinnen, und das macht sie lebendig, interessant und schön. Sie sind ganz im Sein. Nach der Hochzeit sieht man den Partner dann als seinen Besitz, und damit hört das Lieben oft auf. Ein häufiger Partnerwechsel wiederum dient nur dazu, Stimuli gegen die Langeweile zu setzen – das Lieben als Akt im Sein ersetzt er nicht. Ähnliches gilt für das Vergnügen: Es ist die Befriedigung eines Verlangens, zu der es keiner Aktivität im Sinne der Lebendigkeit bedarf. Heute sind die meisten Menschen süchtig danach, sich intensive Vergnügen zu verschaffen – gesellschaftlichen Erfolg, ein üppiges Essen, sexuelle Abenteuer, einen euphorischen Zustand unter Drogen. Freude aber entsteht bei produktivem Tätigsein. Freude ist keine kurzfristige Ekstase, sondern eher ein Plateau, eine lebensbegleitende Glut. Vergnügungen dagegen hinterlassen ein Gefühl der Leere.

Haben und Sein im Alten und Neuen Testament

Sich von allen Fesseln zu befreien, alles zu verlassen, was man hat, ist eines der wichtigsten Themen des Alten Testaments. Als Erster soll Abraham seinen Besitz aufgeben, später soll Moses in die Wüste ziehen. Die Wüste ist ein entscheidendes Symbol der Befreiung von einem durch Besitz beschwerten Leben: Hier leben die Nomaden, nur mit dem Notwendigsten. Wichtige jüdische Festsymbole kommen aus diesem Bereich: Das ungesäuerte Brot ist die schnell hergestellte Mahlzeit der Wanderer, die Laubhütte ist ihre schnell errichtete Behausung. Als die Hebräer Angst haben, in der Wüste zu verhungern, verspricht Gott ihnen, sie zu ernähren, und zwar jeden entsprechend seinen Bedürfnissen. Sie erhalten die Anweisung, nichts zu horten. Nur für den Sabbat sollen sie am Freitag die doppelte Menge Nahrung einsammeln, denn der Sabbat ist ganz dem Sein gewidmet. Man soll dann beten, studieren, essen, singen, lieben – aber nicht arbeiten, um zu haben. Der moderne Sonntag dagegen besteht meist aus Konsum und Zerstreuung.

„Die Entwicklung dieses Wirtschaftssystems wurde nicht mehr durch die Frage: Was ist gut für den Menschen? bestimmt, sondern durch die Frage: Was ist gut für das Wachstum des Systems?“ (S. 20)

Im Neuen Testament ist der Protest gegen ein am Haben orientiertes Leben sogar noch radikaler. Die Frühchristen waren Arme und gesellschaftlich Ausgestoßene, die Luxus und Habgier verachteten. Diese Tradition hat sich in den Mönchsorden fortgesetzt, wo das Gelübde der Eigentumslosigkeit vorausgesetzt wird. Der mittelalterliche Mystiker Meister Eckehart hat die unterschiedlichen Existenzweisen des Habens und Seins besonders eindringlich beschrieben: An den Besitz soll man nicht gefesselt sein, denn das macht unfrei und steht einem dabei im Weg, die inneren Kräfte zu entfalten. Das Sein dagegen ist Lebendigsein, Tätigsein, Verströmen, Produktivität.

Die Existenzweise des Habens

Unsere Gesellschaft beruht auf dem Privateigentum, gemäß dem Motto: „Es geht niemanden etwas an, wo und wie ich mein Eigentum erworben habe oder was ich damit tue.“ Dieses Prinzip erscheint uns heute natürlich, es ist aber in der Geschichte der Menschheit eher die Ausnahme. Alternativen zum Privateigentum sind zum Beispiel eingeschränktes Eigentum (eingeschränkt durch die Pflicht, den Mitmenschen damit zu helfen) oder gemeinsames Eigentum wie im israelischen Kibbuz. Die Normen einer Gesellschaft prägen den Charakter ihrer Mitglieder, und der westliche Gesellschaftscharakter ist darauf ausgerichtet, Eigentum zu erwerben und Profit zu machen. Das Besitzstreben bezieht sich auch auf Lebewesen: In der patriarchalischen Gesellschaft besitzt der Mann seine Frau und seine Kinder. Besitz kann man in vielerlei Hinsicht anhäufen: Freunde, Liebespartner, Gesundheit, Reisen, Kunst, Gott oder das eigene Ich können als Besitz empfunden werden. Oft ist das Besitzergreifen wichtiger als das Behalten: Heute kauft man ein Auto, ein Kleidungsstück oder ein technisches Gerät, um es dann wieder wegzuwerfen oder es erneut zu ersetzen.

„Der Konsumentenhaltung liegt der Wunsch zugrunde, die ganze Welt zu verschlingen, der Konsument ist der ewige Säugling, der nach der Flasche schreit.“ (S. 42)

Alles, was man hat, kann man auch wieder verlieren: Dinge können gestohlen werden oder ihren Wert verlieren, und am Ende verliert man sein Leben. In Wirklichkeit hat nicht der Mensch sein Besitztum, sondern dieses hat den Menschen, weil er so davon abhängig ist, es zu haben. Für Sigmund Freud ist der Mensch, der seine Energie nur auf Besitz, Sparen und Horten richtet, ein „analer Charakter“; er hat mehrfach auf den symbolischen Zusammenhang zwischen Kot und Geld hingewiesen. Die anale Phase ist eine Phase der Kindheit – der vorherrschende Gesellschaftscharakter wäre damit unreif. Das Gegenstück aber, Verzicht und Askese, ist nicht das Gegenteil der Haben-Orientierung, sondern nur die Kehrseite von Besitz und Konsum: Gerade indem der Asket um Verzicht und Entsagen kreist, beschäftigt er sich in Wahrheit meist mit den gegensätzlichen Impulsen. Es geht auch nicht darum, dass alle genau gleich viel haben sollen – denn auch diese Forderung entspringt noch der Existenzweise des Habens. Wichtig ist aber, dass Armut und Luxus verschwinden, also Einkommensunterschiede, die so groß sind, dass damit völlig verschiedene Lebenserfahrungen verbunden sind.

Die Existenzweise des Seins

Die Existenzweise des Seins zeichnet sich durch Unabhängigkeit, Freiheit und kritische Vernunft aus. Der Mensch im Seinsmodus ist aktiv, aber nicht im Sinne von „geschäftig“, sondern im Sinne von „tätig“. Geschäftigkeit ist entfremdete, Tätigsein ist nichtentfremdete Aktivität. Bei nichtentfremdeter Aktivität erlebt man sich als handelndes Subjekt des eigenen Tätigseins, und die Beziehung zum Produkt bleibt lebendig. Das Sein steht nicht nur dem Haben gegenüber, sondern auch dem Schein: Man kann mutig erscheinen, ist aber tatsächlich nur sehr eitel oder lebensmüde. Das Sein ist dann die Demaskierung des Scheins.

„Gott, ursprünglich ein Symbol für den höchsten Wert, den wir in unserem Innern erfahren können, wird in der Existenzweise des Habens zu einem Idol.“ (S. 60)

Eine gesellschaftliche Grundannahme besagt, dass die Existenzweise des Habens in der menschlichen Natur verwurzelt und deshalb unveränderbar sei. Auf der gleichen Grundannahme fußt das Dogma, der Mensch sei von Natur aus faul und nur durch materielle Anreize oder Androhung von Strafe zur Arbeit zu bewegen. Unsere Arbeits- und Erziehungsmethoden beruhen darauf. Doch wir Menschen haben ein angeborenes Verlangen, zu sein: tätig zu sein, auf andere bezogen zu sein. Man sieht das bei Kindern und Jugendlichen: Sie lernen ohne Druck oder Langeweile. Auch Experimente zum Arbeitsverhalten von Erwachsenen zeigen, dass diese zufriedener werden, sobald sie Gelegenheit haben, an ihrem Arbeitsplatz Eigeninitiative zu entfalten. Für das menschliche Bedürfnis, zu geben und zu teilen, gibt es zahlreiche Beispiele: Menschen, die soziale Berufe ausüben, die unentgeltlich Blut spenden oder die ihr Leben für andere riskieren.

Gesellschaftscharakter und Religion

Wenn das religiöse System einer Gesellschaft im Widerspruch zur gesellschaftlichen Praxis steht, dann ist dieses religiöse System reine Ideologie. Die westliche Welt zum Beispiel ist nicht wirklich christlich – nur zwischen dem zwölften und dem 16. Jahrhundert fand eine begrenzte Bekehrung zum Christentum statt. In dieser Zeit versuchte die Kirche, christliche Grundsätze anzuwenden. Es war eine antiautoritär-humanistische Bewegung, in der die Mystik mit ihrem Hauptvertreter Meister Eckehart eine entscheidende Rolle spielte. Nach dem 13. Jahrhundert aber wurde die Vernunft immer mehr zu manipulativer Intelligenz und der Individualismus zur Selbstsucht. Dabei ist der Held des Christentums, Jesus, ein Held der Liebe, der nichts hatte und nicht herrschen wollte, ein Märtyrer, der aus Liebe zu seinen Mitmenschen sein Leben gab. Der Märtyrer ist dem heidnischen Helden genau entgegengesetzt, denn der heidnische Held erobert, besiegt, raubt und zerstört. In Europa und Nordamerika ist das Vorbild nach wie vor der heidnische Held. Das zeigt zum Beispiel der Nationalismus, mit dem viele die Olympischen Spiele verfolgen, die an sich schon eine Feier des heidnischen Helden sind.

„Wer bin ich, wenn ich bin, was ich habe, und dann verliere, was ich habe?“ (S. 136)

Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist der vorherrschende Gesellschaftscharakter der Marketingcharakter. Der Mensch ist eine Ware auf dem „Persönlichkeitsmarkt“, sein Erfolg hängt davon ab, wie gut er sich verkauft. Er ist Verkäufer und Ware zugleich; sein Ziel ist die vollständige Anpassung an das, was gerade gefragt ist. Er ist sich selbst, den Menschen und seiner Arbeit völlig entfremdet.

Der humanistische Protest

Diese Entmenschlichung des Gesellschaftscharakters hat humanistische Protestbewegungen ausgelöst, allen voran den Sozialismus. Dieser wurde jedoch vom Sowjetkommunismus wie auch den westlichen Reformsozialisten zu einem Materialismus pervertiert („Reichtum für alle“). Marx’ „Ziel der Geschichte“ ist eine Welt, in der die Wirtschaft ein Reich der Notwendigkeit ist. In diesem sollte es so würdig und leicht wie möglich zugehen. Jenseits dieser Notwendigkeit aber beginnt die Freisetzung des inneren Reichtums und damit die wahre Freiheit. Doch Marx’ antikapitalistische Idee wurde kapitalistisch verformt: Der real existierende Sozialismus stand weiterhin auf dem Fundament des bürgerlichen Materialismus. Auch viele andere Humanisten, die sich von Marx distanzieren, haben auf die Schädlichkeit der Haben-Orientierung in der Gesellschaft hingewiesen, darunter Albert Schweitzer.

Der neue Mensch und die neue Gesellschaft

Ziel einer neuen Gesellschaft müsste es sein, Menschen mit einer neuen Charakterstruktur hervorzubringen, die sich vom Haben weg und hin zum Sein orientieren. Wichtige Merkmale einer neuen Gesellschaft wären eine dezentrale wirtschaftliche Rahmenplanung und eine völlig andere Einstellung zur Arbeit, bei der nicht mehr der materielle Gewinn im Mittelpunkt steht. Die Existenz des Einzelnen sollte durch ein Mindesteinkommen gesichert sein. Die Produktion müsste auf einen gesunden und vernünftigen Konsum ausgerichtet werden, zum Beispiel durch Subventionen. Auch wäre das Recht der Konzernleitungen einzuschränken, nur vom Standpunkt des Profits her zu entscheiden. Die Verbraucher müssten sich besser organisieren. Es müsste eine Mitbestimmungsdemokratie auf allen Ebenen geben. Frauen sind von der patriarchalischen Herrschaft zu befreien. Schließlich gilt es, die wissenschaftliche Grundlagenforschung von der Frage der industriellen und militärischen Anwendung zu trennen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Haben oder Sein ist in drei Teile und eine Einführung, in der Fromm seine wichtigsten Thesen vorstellt, gegliedert. Der erste Teil befasst sich mit Erklärungen und Illustrationen des Unterschieds zwischen Haben und Sein: Unterschiede im Sprachgebrauch werden herausgearbeitet, Beispiele zu verschiedenen Bereichen des Alltags gegeben und die Wertung von Sein und Haben im Alten und im Neuen Testament sowie bei Meister Eckehart analysiert. Der zweite Teil untersucht beide Existenzweisen, das Haben und das Sein, nacheinander und grundlegender. Der dritte Teil schließlich zeigt den Zusammenhang zwischen Religion, Charakter und Gesellschaft und entwirft wesentliche Elemente einer möglichen alternativen Gesellschaft. Fromm schreibt eher feuilletonistisch als wissenschaftlich und verzichtet zugunsten der Lesbarkeit weitgehend auf Fußnoten. Die Gegenüberstellung der zwei Existenzweisen gipfelt immer wieder in pointierten Sätzen, die bestens zum Zitieren geeignet sind.

Interpretationsansätze

  • Haben oder Sein vermischt Ergebnisse soziologischer und psychologischer Forschung mit Überlegungen zur Religion und Ethik und gelangt so zu einer allumfassenden Gesellschaftskritik. Die heutige, vom Industriezeitalter hervorgebrachte Gesellschaft wird der Unmenschlichkeit bezichtigt: Sie produziert entfremdete, kranke Individuen und Völker, die sich bekriegen. Das System dient nur sich selbst, nicht dem Menschen. Den meisten ist das nicht bewusst: Sie halten die künstlich erzeugten Konsumwünsche für ihre ureigenen und die menschliche Natur für habgierig. Genau das ist nach Fromm der Trick des Systems, mit dem es sich erhält.
  • Besitz und Askese sind für Fromm gleichermaßen fragwürdig. Besitz ist für ihn nicht auf Materielles begrenzt: Es geht allgemein um ein hortendes Verhalten, das auch Menschen und Erlebnisse zum Besitzgegenstand machen kann. Das Gegenteil, die Askese, ist Fromm suspekt, weil sie um dieselben Themen kreist und sich lediglich gegenteilig verhält. Das lässt gemäß Fromm auf verdrängte Neidgefühle und damit auf heimliches Besitzstreben schließen, es ist verdächtig wie jeder Fanatismus. Frei ist demnach nur, wer sich nicht über Besitz definiert.
  • Was Fromm dem entgegensetzt, ist Humanismus, und humanistisch ist auch die Haltung, die all die Denker und Lehrmeister verbindet, die er zitiert: Jesus, Buddha, Meister Eckehart und Karl Marx forderten in ihren Lehren eine radikale Menschlichkeit. Nach Fromm muss sich auch das westliche Gesellschaftssystem dahin verändern, dass es wieder das Wohl des Menschen im Blick hat, statt den Menschen zum Diener eines menschenfeindlichen Systems zu machen. Das Wohl des Menschen liegt nach Fromm im Sein, in der Entfaltung seiner Persönlichkeit, im Tätigsein. Wer sein Leben damit verbringt, zu horten, verpasst es.
  • Nicht nur den westlichen Kapitalismus, sondern auch den Sowjetkommunismus entlarvt Fromm als antihumanistisch und im Kern materialistisch. Fromm nimmt Karl Marx, dem es immer um den Menschen und seine Entfaltung gegangen sei, entschieden in Schutz vor dem, was die sozialistischen Regimes aus seinen Gedanken gemacht haben.

Historischer Hintergrund

Aufbruch in der westlichen Welt

Die Zeit von der Mitte der 1960er- bis zur Mitte der 70er-Jahre war in den USA und in Europa vom Liberalismus geprägt. In den USA gelang es der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, die Rassentrennung zu beenden, und auch die feministische, die homosexuelle und die ökologische Bewegung gewannen an Fahrt. Die Generationenrevolte ab 1968 mit ihrer sexuellen Befreiung und ihren Drogenexperimenten stellte die gesellschaftlichen Normen der 50er infrage und prägte die Kultur.

Der demokratische Präsident Lyndon B. Johnson, der von 1963 bis 1969 regierte, führte die Politik des ermordeten John F. Kennedy weiter: Er brachte neben den Bürgerrechten für Schwarze eine Reihe von staatlichen Programmen zur Gesundheitsversorgung, Bildung und Armutsbekämpfung auf den Weg.

Der Kalte Krieg indes ging weiter. Eines der Streitfelder im Kampf der Systeme war die Raumfahrt: Im technologischen Wettrennen um die Vorherrschaft im All gewannen die Amerikaner 1969 mit dem ersten Mann auf dem Mond eine wichtige Etappe. Gleichzeitig verschärfte sich der antikommunistische Vietnamkrieg der USA, zunehmend begleitet von Protesten. Die amerikanischen Truppen zogen sich erst 1973 unter dem nächsten Präsidenten, dem Republikaner Richard Nixon, aus Vietnam zurück.

Anfang der 1970er-Jahre geriet die bis dahin florierende Wirtschaft unter Druck: Die Konkurrenz ausländischer Produkte wurde in der Auto- und in der Elektroindustrie immer schärfer. Zudem wurden Rohstoffe, vor allem Erdöl, teurer, weil die Öl exportierenden Länder anfingen, ihre Macht auszuspielen. 1973 erhöhten sie ihre Preise um das Vierfache – ein weltweiter Ölschock war die Folge.

Entstehung

Als sich Erich Fromm und seine Frau 1974 entschieden, ihre Wahlheimat Mexiko zu verlassen und ihren Lebensabend im Tessin zu verbringen, fasste Fromm den Plan, dem Grund für seine Faszination nachzugehen, die er für den mittelalterlichen Mystiker Meister Eckehart einerseits und für Karl Marx andererseits empfand. Daraus sollte dann ein Buch entstehen. Fromm fand das Verbindende in der Gegenüberstellung von Haben und Sein. Der Gebrauch dieser Begriffe geht zurück auf Marx’ Kapitalismuskritik in seinen Pariser Manuskripten von 1844.

Fromms Manuskript zu Haben oder Sein im Original auf Englisch verfasst – war zunächst wesentlich umfangreicher. Auf Rat seiner Frau und seiner Freunde kürzte er die Teile über Meister Eckehart und Marx zugunsten vieler Gegenüberstellungen der Existenzweisen Haben und Sein im menschlichen Alltag sowie des abschließenden Gesellschaftsentwurfs, den er ähnlich schon in Wege aus einer kranken Gesellschaft (1955) und Die Revolution der Hoffnung (1968) formuliert hatte.

Im Tessin lernte Fromm über einen ehemaligen Kollegen aus New York einen deutschstämmigen buddhistischen Mönch kennen. Von ihm lernte er buddhistische Meditationsübungen, die er bis zu seinem Lebensende jeden Tag eine Stunde lang praktizierte – Übungen im Sein. Zahlreiche Besucher beschrieben Fromm gerade im Alter als einen sehr in sich ruhenden Menschen, der lebte, was er lehrte.

Wirkungsgeschichte

Wie viele seiner vorigen Bücher wurde auch Haben oder Sein zum Bestseller – mit seinem leicht lesbaren, feuilletonistischen Stil machte Fromm das komplexe Verhältnis von Individuum und Gesellschaft einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Das Buch wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt; es machte ihn nun auch in Deutschland berühmt. Er gab zahlreiche Interviews und traf den alternativen Zeitgeist. Das ließ ihn zu einer wichtigen Figur der alternativen Bewegung werden: Haben oder Sein gilt als einer der Gründungstexte der ökologischen Bewegung, aus der dann in Deutschland die Partei Die Grünen hervorging.

Auch sein Einfluss auf die Pädagogik war beträchtlich: Auf Fromm gründet sich die sogenannte Wachstumspädagogik, die auf Liebe und Achtung dem Kind gegenüber beruht und die dieses in seinem Wachstum fördern will, ohne es sozial zurechtzubiegen.

Haben oder Sein gilt heute als Fromms Hauptwerk. Vonseiten der Wissenschaft, vor allem der Soziologie, wurde das Werk jedoch auch kritisiert – wegen seines Verzichts auf systematische Strenge und wegen mancher Vereinfachungen und Unvollständigkeiten.

Über den Autor

Erich Fromm wird am 23. März 1900 als einziges Kind orthodoxer jüdischer Eltern in Frankfurt geboren; er soll wie viele seiner Vorfahren Rabbiner werden. 1918 beginnt er zu studieren, zunächst für zwei Semester Jura, dann wechselt er zum Soziologiestudium nach Heidelberg. Er promoviert 1922 mit Das jüdische Gesetz. 1926 heiratet er die Psychoanalytikerin Frieda Reichmann. Das Paar gibt seine orthodox-jüdische Lebensweise auf. Fromm lässt sich selbst zum Psychoanalytiker ausbilden. 1930 wird er am Frankfurter Institut für Sozialforschung Leiter der Sozialpsychologischen Abteilung, außerdem zählt er zum Berliner Kreis marxistischer Psychoanalytiker. 1931 trennt er sich von Frieda Reichmann, bleibt jedoch mit ihr befreundet. Gleich nach Hitlers Machtergreifung 1933 emigriert er zunächst nach Genf und dann in die USA. Er lehrt in New York und wird als Mitbegründer einer neofreudianischen Psychoanalyse zu einem der einflussreichsten Psychoanalytiker Amerikas. Ende 1939 kommt es zum Bruch mit dem Frankfurter Institut für Sozialforschung. 1940 erhält Fromm die amerikanische Staatsbürgerschaft, 1944 heiratet er die deutschjüdische Emigrantin Henny Gurland. 1949 übersiedelt er nach Mexiko City und baut dort an der Universität eine psychoanalytische Abteilung auf. 1953 heiratet er nach dem Tod seiner Frau die US-Amerikanerin Annis Freeman. Ab 1957 ist er in der US-amerikanischen Friedensbewegung aktiv. Die ganze Zeit über praktiziert er auch als Analytiker und schreibt eine Reihe von Büchern zur Psychoanalyse und zur Gesellschaft. Viele werden zu Bestsellern: Neben Haben oder Sein (To Have or to Be?, 1976) ist sein bekanntestes Buch Die Kunst des Liebens (The Art of Loving, 1956). 1974 geht Fromm in die Schweiz, nach Muralto, um dort seinen Lebensabend zu verbringen. Er stirbt 1980 an seinem vierten Herzinfarkt, fünf Tage vor seinem 80. Geburtstag.

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    A. vor 1 Jahrzehnt
    Bestimmt würde es sich lohnen, Erich Fromms "Haben oder Sein" Arthur Schopenhauers "Aphorismen zur Lebensweisheit" gegenüberzustellen. Erich Fromm unterscheidet zwischen den beiden Daseinsweisen "Haben" und "Sein", während Schopenhauer eine Dreiteilung anwendet in: "Was einer ist", "was einer hat" und "was einer vorstellt". Diese dritte Kategorie, die man etwa mit dem Verb "repräsentieren" umschreiben könnte, wird bei Fromm nicht gesondert behandelt. Man könnte nun untersuchen, ob Fromm das Repräsentieren eher auf der Haben-Seite oder auf der Sein-Seite verortet.
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      vor 3 Jahren
      Fromm behandelt in seinem Buch den Sachverhalt der "irrationalen Autorität". Dies kommt dem Begriff "Repräsentieren" recht nahe. Mit der Entstehung der Gesellschaften, die auf hierarchischer Ordnung basieren, wird die Autorität durch den sozialen Status ausgeübt.... also durch das Repräsentieren von Status.

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