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Kleider machen Leute

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Kleider machen Leute

dtv,

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12 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Der arme Schneider Wenzel Strapinski wird, einem Mantel sei Dank, zum vornehmen Grafen – und verstrickt sich immer mehr in die Hochstapelei.


Literatur­klassiker

  • Novelle
  • Realismus

Worum es geht

Hochstapler wider Willen

Wenzel Strapinski ist ein rechter Filou: Der Schneider aus dem fiktiven Schweizer Örtchen Seldwyla hat gerade seine Arbeit verloren, mag aber trotzdem nicht auf seinen prachtvollen Mantel verzichten. Dieser ist dann auch für das Phänomen verantwortlich, das der Novelle den Titel gibt: Kleider machen Leute. Denn im reichen Goldach wird der arme Wenzel dank seines äußeren Erscheinungsbildes für einen Grafen gehalten und nach Strich und Faden verwöhnt. Zunächst noch von Zweifeln geplagt, treibt er das falsche Spiel spätestens dann in voller Absicht weiter, als sich die reizende Tochter des Amtsrats in ihn verliebt. Schließlich kommt es aber doch, wie es kommen muss: Mit einem großen Paukenschlag wird Wenzel enttarnt – auf der eigenen Verlobungsfeier. Am Ende geht jedoch alles gut aus, und Gottfried Kellers Held wird, wohlgemerkt dank seiner pragmatischen Verlobten, mit den Insignien des bürgerlichen Lebens ausgestattet: ein gut gehendes Geschäft und eine große Familie. Der Hochstapler wider Willen, der es zum Vorbildbürger bringt, kam beim Publikum glänzend an – und erzeugte in der Literaturgeschichte noch viele Nachfahren, wie z. B. den Hauptmann von Köpenick oder Felix Krull.

Take-aways

  • Gottfried Keller gehört zu den bedeutendsten Autoren des bürgerlichen Realismus im 19. Jahrhundert.
  • Kleider machen Leute ist eine Erzählung aus dem zweiten Band des Novellenzyklus Die Leute von Seldwyla.
  • Keller verarbeitete darin eigene Erfahrungen mit einem Hochstapler sowie eine Anekdote über ein Hochstaplerpärchen im schweizerischen Wädenswil.
  • Der arme Schneider Wenzel Strapinski wird arbeitslos und verlässt sein Heimatdorf Seldwyla.
  • Unterwegs nach Goldach darf der Schneider wegen seines feinen Mantels in einer gräflichen Kutsche mitfahren.
  • Dort angekommen, wird er aufgrund seiner vornehmen Erscheinung für einen Grafen gehal-ten und entsprechend bevorzugt behandelt.
  • Wenzel wird in die Goldacher Gesellschaft eingeführt und lernt Nettchen, die Tochter des Amtsrats, kennen und lieben.
  • Dem Schneider gefällt seine neue Rolle als Graf immer besser. So lässt er seine anfänglichen Fluchtpläne fallen und strebt sogar eine Heirat mit Nettchen an.
  • Am Verlobungstag wird er jedoch von einer Delegation aus Seldwyla enttarnt.
  • Nettchen spricht sich mit Wenzel aus, erkennt seine ehrlichen Absichten und heiratet ihn trotz aller Widerstände.
  • Wenzel Strapinski ist der Vorläufer anderer literarischer Hochstaplerfiguren wie der Hauptmann von Köpenick oder Felix Krull.
  • Die humorvolle Novelle wurde zweimal verfilmt und einmal vertont.

Zusammenfassung

Eine verhängnisvolle Verwechslung

An einem trüben Novembertag marschiert der Schneidergeselle Wenzel Strapinski auf der Straße nach Goldach. Er ist gerade arbeitslos geworden, denn sein Schneidermeister in Seldwyla hat Bankrott gemacht und ist ihm sogar den Lohn schuldig geblieben. Wenzel trägt einen prächtigen Radmantel und eine polnische Pelzmütze, die ihn vornehmer erscheinen lassen als er eigentlich ist. Auf der Straße begegnet dem Schneider eine herrschaftliche Kutsche. Der Kutscher lädt ihn ein, darin Platz zu nehmen, weil gerade ein heftiger Regenguss niedergeht. Die Kutsche kommt aus Basel und ist für einen Grafen in der Ostschweiz bestimmt. In Goldach angekommen, hält der Kutscher vor dem Gasthaus „Zur Waage“ an. Im Nu wird der Wagen von allerlei neugierigen Leuten umringt, die den vornehm gekleideten Herrn natürlich sofort für einen Grafen halten. Eher unfreiwillig betritt Wenzel das Gasthaus, wo der Wirt schon ein üppiges Festmahl improvisiert hat. Der Köchin verrät der Wirt, dass es ihm um die Ehre gehe: Es solle nicht heißen, dass ein hoher Gast in Goldach hungern müsse – wie es wohl in Seldwyla der Fall sei. Zwar freut sich Wenzel über den reich gedeckten Tisch, dennoch ist ihm nicht wohl bei der Sache. Er streift den Mantel über und will das Lokal verlassen – diese Geste missdeutet der Wirt als Frösteln. Es wird also kräftig eingeheizt und Wenzel wird zu seinem Tisch zurückgeführt.

Das Festmahl

Nach der Suppe wird der Fisch aufgetragen. Weil Wenzel sich nicht so recht traut, ordentlich zuzulangen, stochert er nur zaghaft im Essen herum. Die Köchin ist von dieser Zurückhaltung ganz angetan und nun vollends überzeugt, einen adligen Herrn vor sich zu haben. Auch vom Wein nimmt Wenzel nur kleine Schlucke. Als aber schließlich die Rebhuhn-Pastete aufgetragen wird, kann der Schneider nicht mehr an sich halten: Der festen Überzeugung, dass seine Maskerade schon bald auffliegen wird, greift er endlich ordentlich zu. Auch das freut Wirt und Köchin, glauben sie doch, dass sich der echte Gourmet nicht mit dem Braten aufhält, wenn er eine solche Pastete haben kann. Unterdessen hat auch der Kutscher gespeist und bereitet den Wagen für die Weiterfahrt vor. Er hat das falsche Spiel des Schneiders beobachtet und setzt dem Ganzen nun die Krone auf: Er erzählt den neugierigen Wirtsleuten, dass es sich bei dem Gast um den polnischen Grafen Strapinski handele, der noch einige Tage in Goldach verweilen werde. Welch ein Zufall! Denn Wenzel, obgleich Schlesier, heißt ja wirklich Strapinski mit Nachnamen ...

Glücksspiel in erlesenen Kreisen

Im Wirtshaus treffen die feinen Herren der Stadt ein und lassen es sich nicht nehmen, den Herrn Grafen zu bestaunen. Sie überbieten sich gegenseitig darin, ihm kubanische Zigarren und andere Rauchwaren zu offerieren. Schließlich kommt man darin überein, auf das Gut des Amtsrates hinauszufahren, wo man vom frisch gekelterten Wein kosten will. Wenzel hofft, dort endlich die Chance zur Flucht ergreifen zu können. Er setzt sich zu einem der hohen Herren in die Kutsche. Weil er früher einmal bei den Husaren gedient hat, weiß er durchaus das Pferd zu lenken – was mit allgemeiner Hochachtung belohnt wird. Auf dem Gut macht man sich gleich an die Getränke und das Kartenspiel. Der vermeintliche Graf spielt nicht mit, wird aber von den Herren trefflich unterhalten. Da er mit seinen Antworten eine gute Figur macht, glauben alle, dass er ein Junker ist. Alle – bis auf den Buchhalter Melchior Böhni, dem der Graf nicht ganz geheuer ist. Böhni wirft Wenzel einen Taler hin, sodass dieser mitspielen kann. Durch großes Glück gewinnt er recht häufig und kann sich nach einigen Runden einen ganzen Louisdor einstecken: So viel Geld hat er nie zuvor besessen. Böhni hat ihn zu diesem Zeitpunkt längst durchschaut, mag aber seine bescheidene Art und neidet dem falschen Grafen das Glück nicht. Außerdem freut er sich auch ein wenig auf den drohenden Skandal.

Die Begegnung mit Nettchen

Beim Spaziergang im Garten sucht Wenzel erneut nach einer Fluchtmöglichkeit. Dabei begegnen ihm der Amtsrat und seine Tochter Nettchen. Auf übertriebene Weise zeigt Wenzel seine Ehrerbietung. Das bezaubert Nettchen, die den würdevollen, schönen und bescheidenen Herrn Grafen sogleich sehr interessant findet. Beim Abendessen darf der Schneider neben dem Mädchen sitzen: Endlich fängt er an, seine unfreiwillige Rolle zu genießen. Alles was er tut, wird von Nettchen mit Wohlwollen betrachtet. Er lässt sich sogar dazu hinreißen, ein polnisches Lied zum Besten zu geben, dessen Worte er nicht einmal kennt (es ist eine schlichte Bauernweise über eine Schweinehüterin). Die Zuhörer quittieren die fremden Klänge mit Applaus. Als der vermeintliche Graf ins Gasthaus nach Goldach zurückkehrt, stellt der Wirt fest, dass der hohe Gast gar kein Gepäck dabei hat. Wenzel verfällt auf eine List und meint, dass er seine Spuren verwischen wolle. Der Wirt und seine Gäste mutmaßen, dass der polnische Graf bestimmt ein politisch Verfolgter sei. Am nächsten Morgen versorgt sein Gastgeber Wenzel mit allen Annehmlichkeiten, die er für den Aufenthalt braucht: vom Morgenmantel bis zur Zigarre. Der Schneider verlässt das Gasthaus, um sich Goldach näher anzusehen. Er streift durch die sauberen Gassen, liest die Namen der Häuser und gelangt schließlich zum Tor. Hier denkt er erneut daran, einfach weiterzuziehen. Genug Geld hat er bei sich und das Wetter ist wie zum Wandern geschaffen. Er steht am Scheideweg: Soll er die Freiheit, die zwar viel Arbeit und Mühsal, aber auch ein reines Gewissen mit sich bringt, eintauschen gegen die Behaglichkeit und den Reichtum, die ihm das Schicksal in Goldach beschert?

Sinneswandel

In diesem Augenblick fährt eine Kutsche vorbei. Nettchen sitzt darin. Sie und Wenzel grüßen einander huldvoll. Danach kehrt Wenzel in die Stadt zurück und versucht fortan, genau so zu sein, wie die Leute es von ihm erwarten. Zwar raubt ihm sein schlechtes Gewissen den Schlaf, doch er tröstet sich damit, dass er den Goldachern eines Tages alles zurückzahlen werde. Deshalb versucht er sich in mehreren Lotteriespielen, deren Lose er sich von Agenten aus anderen Städten zuschicken lässt. Tatsächlich ist ihm das Glück hold und er kann schon nach kurzer Zeit einen guten Gewinn einstreichen. Der Gedanke, einfach in Goldach als Schneider zu leben, gefiele ihm, doch das scheint ganz und gar unmöglich: Hier ist er der Herr Graf und kann nur als dieser leben. Auf einem Ball verkündet er, dass er demnächst abreisen werde. Daraufhin scheint Nettchen – die im Dorf schon als „Frau Gräfin“ gehandelt wird – überaus betroffen und weicht ihm nur noch aus. Nun wird ihm schlagartig bewusst, dass vor allem sie der Grund dafür ist, dass er dieses falsche Spiel so lange durchgehalten hat. Er verlässt den Ballsaal und begegnet ihr im Hof. Sie umarmen sich heftig. Er trocknet ihre Tränen mit seinen Locken, und gleich am nächsten Tag hält er beim Amtsrat um ihre Hand an. Dieser reagiert heftig: Seine Tochter habe immer die unmöglichsten Vorstellungen von ihrem zukünftigen Ehemann gehabt – exotisch und fremd sollte er sein. Sie habe schon so viele abgelehnt, unter ihnen den vortrefflichen Melchior Böhni; der Vater habe nicht mehr damit gerechnet, dass sie überhaupt noch je einen Mann finden werde.

Die Verlobungsfeier

Die Verlobung soll schnell stattfinden. Die eine Hälfte seines Vermögens gibt der Schneider für Brautgeschenke, die andere für einen üppigen Ball in einem Gasthof genau zwischen Goldach und Seldwyla aus. Der Zufall will es, dass am Verlobungstag zwei Schlittenzüge zum Ort der Feier aufbrechen: Einer aus Goldach mit dem Verlobungspaar und vielen Goldacher Bürgern und ein Maskenzug aus Seldwyla. Ob da Melchior Böhni die Finger im Spiel hatte? Der Zug aus Seldwyla besteht nicht aus schön geputzten Gefährten, sondern aus derben Lastschlitten, die als Unterlage für riesige Fastnachtsfiguren dienen. Auf dem ersten Wagen entschwindet eine üppige „Fortuna“ in den Äther, gefolgt von einem „Bock“ auf dem zweiten Wagen. Es schließen sich riesige Scheren und ein Bügeleisen an, lauter Anspielungen auf die Zunft der Schneider. Alle Mitreisenden sind wie Schneider aus verschiedenen Zeitperioden und Ländern gekleidet. Der erste Wagen trägt die Inschrift „Leute machen Kleider“ und der letzte seine Umkehrung „Kleider machen Leute“. Zwar sind die Goldacher über diesen heiteren Zug überrascht, da sich aber beide Gesellschaften im Gasthaus trennen, fällt es ihnen nicht schwer, sich über den Humor der Seldwyler zu amüsieren. Deswegen haben sie auch nichts dagegen, als ihnen die Seldwyler einen Schautanz im Ballsaal vorführen wollen. Man ist gespannt.

Der Schneider wird enttarnt

Die als Schneider verkleideten Seldwyler führen den Goldachern vor, wie sich ein armer Lump zum geachteten Herrn aufschwingen kann – allein durch die Schneiderskunst. „Kleider machen Leute“ – diesen Sinnspruch führen sie auch in Form von Tierfabeln auf. Der Rabe, der sich mit Pfauenfedern schmückt, ist ebenso dabei wie der Wolf im Schafspelz und der Esel mit der Löwenhaut. Schließlich tritt ein Mann in schwarzem Mantel auf, der ein perfektes Ebenbild Wenzels am Tag seiner Ankunft in Goldach ist. Er näht sich ein Grafenkostüm, tritt dann vor Wenzel hin und stellt ihn vor aller Augen bloß. Bei dem schwarz Gekleideten handelt es sich um den Schneidermeister, der Wenzel unterstellt, aus seiner Schneiderstube geflohen zu sein. Mit einem vorher einstudierten Lachchor gehen die verkleideten Schneider aus dem Saal und lassen ein verdutztes Verlobungspaar und die höchst verunsicherten Goldacher zurück. Melchior Böhni, der ebenfalls auf der Feier zu Gast ist, hat nichts Besseres zu tun, als alle Anwesenden über den wahren Kern des „Herrn Grafen“ aufzuklären. Wortlos und mit Tränen in den Augen verlässt Wenzel den Saal, geht hinaus auf den Vorplatz, schlägt sich in den Wald und trottet die Straße nach Seldwyla entlang. Er verwünscht den Tag der Verwechslung und ist erschüttert von Scham und Schande, die ihn nun getroffen haben. Als er die Seldwyler Schlitten auf sich zukommen sieht, springt er über den Straßenrand in den Schnee und bleibt dort liegen.

Aussprache im Bauernhof

Nettchen verlässt inzwischen schluchzend das Gasthaus. Melchior Böhni bietet ihr an, mit ihr im Verlobungsschlitten zu fahren und sie nach Hause zu bringen. Nettchen jedoch besteigt den Schlitten allein und fährt nicht nach Goldach, sondern ihrem Fast-Verlobten hinterher. Sie späht in die Dunkelheit und findet den im Schnee liegenden Wenzel. Erstmalig spricht sie ihn bei seinem Vornamen an, reibt sein eiskaltes Gesicht mit Schnee ein und versucht, den schon verloren Geglaubten wiederzubeleben. Es gelingt ihr. Sofort fleht er um Verzeihung. Nettchen bittet ihn in den Schlitten. Sie lenkt die Pferde zu einem Bauernhof, dessen Bäuerin sie kennt. Hier haben die beiden die Gelegenheit zu einer ungestörten Aussprache. Wenzel bereut seine Maskerade und will sich das Leben nehmen, um Nettchen Genugtuung zu verschaffen. Das Mädchen jedoch möchte herausfinden, wer Wenzel denn nun wirklich ist. Er berichtet ihr von seinem Elternhaus. Die Mutter stand im Dienste einer Gutsherrin, von der sie erlesene Sitten lernte. Diese Herrin wollte Wenzel, als er 16 Jahre alt war, mit in die Residenzstadt nehmen, um ihn dort etwas Höheres lernen zu lassen. Er blieb jedoch aus Treue zur Mutter in Seldwyla und ging in die Schneiderlehre. Dann musste er zum Militär, und als er zurückkehrte, war die Mutter gestorben. Nettchen fragt nach, ob er denn schon viele Liebschaften gehabt hätte. Dies verneint Wenzel: Er habe noch keine Gefühle für eine Frau gehegt – abgesehen von einer zärtlichen Zuneigung zur Tochter der Gutsherrin, einem Kind von erst acht Jahren. Nettchen ist sich nun der ehrenvollen Absichten Wenzels sicher, umarmt ihn und eröffnet ihm, dass sie trotz allem seine Frau werden will.

Die entführte Braut?

Wenzel möchte mit der Geliebten fliehen, doch Nettchen hat andere Pläne: Sie will mit ihm in Seldwyla sesshaft werden und den fiesen Dörflern zeigen, zu was sie und Wenzel gemeinsam fähig sind. Im Gasthaus nimmt das Paar Quartier. Schnell verbreitet sich das Gerücht, der falsche Graf hätte Nettchen entführt, sodass sich Melchior Böhni und Nettchens Vater auf den Weg machen, um in Seldwyla nach dem Rechten zu sehen. Nettchen bittet den Vater um das mütterliche Erbteil und enthüllt, dass sie bei Wenzel bleiben und ihm beim Aufbau eines Geschäfts in Seldwyla helfen wolle. Böhnis Angebot, sie zu ehelichen, um ihre Ehre in Goldach wiederherzustellen, lehnt sie ab. Als die Seldwyler von den Plänen des ungewöhnlichen Paares erfahren, beschließen sie, die beiden mit offenen Armen aufzunehmen und die Rückführung nach Goldach notfalls mit Waffengewalt zu verhindern. Als sich dann auch noch eine Delegation aus Goldach den Seldwylern gegenüberstellt, scheint die Situation zu eskalieren. Nettchen und ein Rechtsanwalt können besänftigend eingreifen: Wenzel habe niemals offen Betrug begangen, sondern sei vielmehr von den törichten Goldachern zu seinem Spiel genötigt worden. Wenzel und Nettchen heiraten und gründen einen florierenden Laden. Wenzel, inzwischen Maßschneider und Tuchherr, wird über die Jahre immer reicher und runder. Nettchen schenkt ihm viele Kinder. Irgendwann siedeln sie nach Goldach über.

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Aufbau und Stil

Geradlinig und schnörkellos: So kann man Kellers Erzählweise in Kleider machen Leute beschreiben. Die Handlung wird, nach bester Novellenart, chronologisch und ohne größere Sprünge abgespult. Die Erzählung lässt sich in zwei große Abschnitte teilen: Der erste reicht bis zu Nettchens Entscheidung, sich mit Wenzel zu verloben. Der zweite enthält den Knalleffekt der Enttarnung des Schneiders und die Aussprache zwischen den Liebenden. Hier fügt Keller auch die einzige Rückblende der Erzählung ein, die einen Teil von Wenzels Kindheit und Jugend enthüllt. Der Erzähler in Kellers Novelle ist allwissend, er gewährt dem Leser Einblicke in die Gedanken und Gefühle der handelnden Personen. Die eingestreute wörtliche Rede sorgt in der ansonsten rasch vorwärtsdrängenden Erzählung für kurze Momente des Innehaltens: In diesen Sequenzen wird beispielsweise der Charakter Nettchens enthüllt oder das adlige Benehmen Wenzels durch die Aussagen des Wirts und der Köchin unterstrichen. Keller verzichtet darauf, für die eine oder andere Figur Partei zu ergreifen. Stattdessen berichtet der Erzähler selbst törichte Dinge ganz neutral, nimmt zuweilen höchstens eine ironische Distanz zum Geschehen ein – etwa wenn er Nettchen kräftig ins Taschentuch schnäuzen lässt, um damit anzuzeigen, dass sie gesammelt und mit neuer Kraft eine wichtige Entscheidung treffen kann.

Interpretationsansätze

  • Die Novelle beleuchtet das Verhältnis zwischen Täuschung und Wirklichkeit, zwischen Schein und Sein im gesellschaftlichen Kontext. Die Bürger von Goldach sehnen sich so sehr nach dem Fremden, Exotischen und Vornehmen, dass allein der edle Mantel des Schneiders und sein zufälliger Auftritt in einer herrschaftlichen Kutsche die Dinge ins Rollen bringen.
  • Der Titel der Novelle geht auf den römischen Rhetoriklehrer Quintilian aus dem ersten Jahrhundert nach Christus zurück. Dieser riet seinen Schülern „Vestis virum reddit“, was wörtlich „Die Kleidung macht den Mann“ bedeutet.
  • Die Erzählung gehört zum zweiten Teil von Kellers Novellenzyklus Die Leute von Seldwyla. Seldwyla (das schweizerdeutsche Wort „Wyla“ bedeutet „Weiler“ und weist auf eine kleine Ansiedlung hin) ist ein fiktives Schweizer Dörfchen, das sich vor allem durch seine Kleinbürgerlichkeit auszeichnet. Keller war der Meinung, dass sich in jedem Schweizer Ort „ein Türmchen von Seldwyla“ finden ließe.
  • Das Glücksspiel ist dominierendes Element der Handlung. Ebenso wie die Maskerade als falscher Graf ein einziges Glücksspiel ist, bedient sich Wenzel des Spiels, um zu Reichtum zu kommen. Dabei setzt er vor allem auf Lotterielose, die er aus dem Ausland bezieht. Hintergrund: In den meisten Kantonen der Schweiz war das Lotteriespiel verboten, was Gottfried Keller in einem Zeitungsartikel auch guthieß.
  • Obwohl Nettchen ihren Wenzel auch dann akzeptiert, als er kein Graf mehr ist, und damit dem Keller’schen Humanitätsideal Ausdruck verleiht, hat sie doch nicht ausschließlich vorbildliche Funktion. Keine Partei bleibt ungeschoren: Weder der romantisch verklärte Wenzel noch das nach Höherem gierende Nettchen, weder die steinreichen „Pfeffersäcke“ in Goldach noch die schadenfrohen Leute von Seldwyla können als Vorbilder gelten.
  • Die Novelle lässt sich als Beispiel für den Sieg des Bürgerlichen über das Romantische lesen: Am Schluss gibt der Schneider Wenzel seine verträumte Wanderschaft auf, wird sesshaft und mausert sich zu einem erfolgreichen Unternehmer.

Historischer Hintergrund

Polenbegeisterung in der Schweiz

„Ohne Polens Freiheit kein dauernder Friede, kein Heil für alle europäischen Völker“, so begrüßte der Dürkheimer Winzer Johann Fitz die polnische Delegation, die sich am 27. Mai 1832 auf dem Hambacher Schloss zur Großkundgebung der deutschen Einheits- und Freiheitsbewegung („Hambacher Fest“) eingefunden hatte. Einmütig wehten die schwarz-rot-goldene, die polnische weiß-rote Fahne und die französische Trikolore nebeneinander. Die Polenbegeisterung, die Solidarisierung mit dem Kampf des polnischen Volkes um Einheit und Unabhängigkeit von Russland wogte durch ganz Europa. Vorausgegangen war die Aufteilung Polens zwischen Preußen, Österreich und Russland nach mehreren Feldzügen von 1769 bis 1794. Der Staat war von der Landkarte Europas getilgt worden. Nach den Befreiungskriegen führte ein Bündnis der Polen mit Napoleon zwar zur Schaffung des Herzogtums Warschau, eines französischen Vasallenstaates. Doch 1813, nach Frankreichs Niederlage, machten die Russen der polnischen Souveränität erneut ein Ende. Der Wiener Kongress brachte das so genannte „Kongresspolen“ hervor, das eng an Russland angegliedert wurde. Die repressive Politik von Zar Nikolaus I. führte 1830 zum Novemberaufstand in Polen. Diese Revolution wurde von Russland brutal niedergeschlagen und mündete in eine Verschärfung der Repressionen. 1863/64, als es in Polen erneut einen Aufstand gab, wollten die Schweizer der bedrängten Nation helfen: Sie gründeten insgesamt 22 Polenkomitees. Im Zürcher Komitee wurde Gottfried Keller zum Sekretär gewählt. Er verfasste u. a. ein Flugblatt, das die Polenbegeisterung der Schweizer weiter anstacheln sollte. Die Hauptaufgabe der Komitees bestand in der Sammlung von Spenden für die Sache der Polen. In der ganzen Schweiz fanden Schützenfeste, Gesangsveranstaltungen, Basare und Märkte statt, die ihre Einnahmen dem Polenkomitee überwiesen. Auch das Schweizer Militär sammelte kräftig mit, die Militärschule Winterthur spendete sogar einen ganzen Tagessold. Es half aber nichts: Auch der Aufstand von 1863/64 mündete in ein Desaster, und Polen wurde zum russischen Gouvernement degradiert.

Entstehung

Zwei Ereignisse im Zusammenhang mit der Polenbegeisterung haben Gottfried Keller zu seiner Novelle inspiriert. Bei einem davon spielte zwar kein falscher Graf, wohl aber ein falscher Polenfreund eine tragende Rolle. Als Mitglied des „Provisorischen Komitees zur Unterstützung der Polen“ in Zürich nahm Keller regelmäßig an dessen Sitzungen teil. Ein junger Mann namens Julius Schramm gab sich als Sympathisant der Polen aus und wurde mit einer größeren Geldsumme nach Krakau geschickt, um dort Waffengeschäfte für die Polen zu tätigen. Er veruntreute das Geld und wurde kurz darauf als russischer Spion Julian Saminski enttarnt. Das zweite Ereignis kannte Keller vermutlich aus der Komödie von Wädensweil, die der Schriftsteller Arnold Ruge nach einer wahren Begebenheit aufgezeichnet hatte: Ein Theaterschneider und seine Begleitung geben sich als gräfliches Paar aus und betrügen die Bewohner des Ortes Wädenswil am Zürichsee nach Strich und Faden. Ähnlich wie in Kellers späterer Erzählung wird Wädenswil zum Gespött der Nachbarsgemeinde Richterswil. Über Kellers konkrete Arbeit an der Novelle ist wenig bekannt, das Werk muss aber bereits 1872 fertig gewesen sein, wie aus einem Briefwechsel mit Kellers Verleger hervorgeht. Der Autor kaufte die Rechte an seinem begonnenen Zyklus Die Leute von Seldwyla von seinem ehemaligen Verleger Heinrich Vieweg zurück, sodass er eine vierbändige Auflage im Stuttgarter Göschen Verlag herausbringen konnte. Kleider machen Leute sollte auf besonderen Wunsch Kellers die erste Erzählung des zweiten Bandes werden.

Wirkungsgeschichte

Kleider machen Leute war wie der gesamte Novellenzyklus Die Leute von Seldwyla bei Kellers Zeitgenossen überaus beliebt. Die Erzählung mauserte sich zur Schullektüre und wurde immer wieder von Literaturwissenschaftlern ausgedeutet. Eine sehr einflussreiche Interpretation stammt von dem Germanistikprofessor Benno von Wiese, der den Dualismus von Künstlertum und Bürgerlichkeit in der Erzählung unterstrich. Später legte der Literaturprofessor Gert Sautermeister eine soziologische und individualpsychologische Interpretation vor, indem er die frühe Prägung Wenzels und seine Abhängigkeit von gesellschaftlichen Bindungen in den Vordergrund stellte. Wenzel Strapinski erscheint darin als Produkt seiner gesellschaftlichen Erfahrungen.

Nicht nur die Literaturwissenschaft, auch Bühnen- und Filmschaffende widmeten sich dem Stoff: Um 1910 entstand die Oper Kleider machen Leute von Alexander Zemlinsky, die an der Volksoper in Wien uraufgeführt wurde. Verfilmt wurde die Novelle bisher zwei Mal: Aus dem Jahr 1921 stammt ein Stummfilmklassiker mit Hans Moser; eine sehr freie Adaption mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle kam 1940 in die Kinos.

Das Hauptthema der Novelle, die Hochstapelei, hat in der Literatur nach Keller bunte Blüten getrieben und beispielsweise mit Carl Zuckmayers Hauptmann von Köpenick und Thomas Manns Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull einige der amüsantesten Werke der Weltliteratur hervorgebracht.

Über den Autor

Gottfried Keller wird am 19. Juli 1819 in Zürich geboren. Als er fünf Jahre alt ist, stirbt sein Vater, ein Drechslermeister. Die Mutter Elisabeth ist mit Gottfried und seiner jüngeren Schwester auf sich allein gestellt; sie heiratet kaum zwei Jahre später erneut, doch die Ehe steht unter keinem guten Stern: Die Scheidung erfolgt 1834 und der Familie fehlt es an Geld. In der Folge muss Gottfried die Armenschule besuchen. Später entschließt er sich, Maler zu werden, und absolviert eine Lehre bei einem Lithografen. Danach besucht er die Kunstschule in München, kehrt aber schon nach zwei Jahren wieder in die Schweiz zurück, wo er sich politisch betätigt (er tritt den Freischärlern bei) und Gedichte verfasst. 1848 erhält er von der Schweizer Regierung wegen des Erfolgs seines Gedichtbands ein Stipendium und reist nach Heidelberg und Berlin, wo er u. a. den Philosophen Ludwig Feuerbach kennen lernt, der ihn stark beeinflusst. Keller beginnt mit der Arbeit an seinem wohl wichtigsten Werk, Der grüne Heinrich (1854/55). Der Dichter hat zeitlebens wenig Erfolg bei den Frauen: Mehrmals verliebt er sich unglücklich, seine Verlobte Luise Scheidegger bringt sich 1865 um. Doch trotz seines ständigen Kummers wegen der Frauen wäre Keller ohne deren Unterstützung kaum zu einem solch gefeierten Schriftsteller geworden: Seine Mutter, bei der er lebt, bis er 31 ist, kommt jahrelang für seinen Unterhalt auf, seine Schwester Regula unterstützt ihn ebenfalls. So kann Keller neben dem Novellenzyklus Die Leute von Seldwyla (1856) weitere literarische Werke verfassen, u. a. die Züricher Novellen (1877) und sein Spätwerk Martin Salander (1886). Gottfried Keller stirbt am 15. Juli 1890, er ist auf dem Friedhof Sihlfeld in Zürich begraben.

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