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Mein Katalonien

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Mein Katalonien

Bericht über den Spanischen Bürgerkrieg

Diogenes Verlag,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Ein Glanzstück des literarischen Journalismus.


Literatur­klassiker

  • Dokumentarliteratur
  • Moderne

Worum es geht

Die Realität des Krieges und der Revolution

Als im Sommer 1936 der Spanische Bürgerkrieg ausbrach, kamen Freiwillige aus aller Welt nach Spanien, um die republikanischen Truppen gegen Francos Faschisten zu unterstützen. Auch Orwell reiste voller Enthusiasmus nach Barcelona und meldete sich bei der dortigen Arbeitermiliz. Doch während der vier Monate an der Front verlor er nach und nach alle Illusionen. Mangelnde Koordination, Planlosigkeit und vollkommen veraltete Waffen machten jede Kampfhandlung zu einer Farce. Statt gegen Faschisten kämpften die Soldaten der Arbeitermiliz gegen die Kälte und die Langweile. Auch politisch erlebte Orwell eine Ernüchterung. Nachdem er erkannt hatte, wie moskautreue Kommunisten mit faschistischen Mitteln die Vorherrschaft über linke Strömungen gewannen, wandte er sich gegen jede Form von Totalitarismus – das große Thema seiner späteren Romane. In Mein Katalonien lernt man den Journalisten Orwell kennen, der einen engagierten, dabei heiter-lakonischen Stil pflegt. Das Ergebnis ist eine ebenso realistische und detailreiche wie persönliche Reportage aus der Feder eines großen Literaten.

Take-aways

  • George Orwells Mein Katalonien ist ein ernüchternder Bericht über den Spanischen Bürgerkrieg.
  • Inhalt: Im Winter 1936/37 kämpft Orwell in der Arbeitermiliz gegen Francos Faschisten. Nach Monaten der Langeweile an der Front wird er durch einen Halsschuss schwer verletzt. In Barcelona beobachtet er gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen stalinistischen Kommunisten und Linkssozialisten. Im letzten Moment gelingt es ihm, einer Verhaftung zu entkommen.
  • Orwell schrieb den Bericht ein halbes Jahr nach den Ereignissen.
  • Sein Ziel war es, die revolutionäre Arbeiterpartei gegen Verleumdungen durch die moskautreuen Kommunisten zu verteidigen.
  • Er setzte seinen Augenzeugenbericht gegen die seiner Ansicht nach realitätsfernen Berichte der internationalen Presse.
  • Orwell zeichnet ein unheroisches Bild vom Krieg, voll Chaos, Schmutz und Langeweile.
  • Positiv wertet er rückblickend die Erfahrung von Kameradschaft und Gleichheit in der Arbeitermiliz.
  • Orwells Stil ist knapp, präzise und oft witzig-lakonisch.
  • Die Ereignisse im Spanischen Bürgerkrieg waren für Orwell ein Schlüsselerlebnis, das er später in seinen Romanen verarbeitete.
  • Zitat: „Dieser Krieg, in dem ich eine so wirkungslose Rolle spielte, hat vor allem schlechte Erinnerungen in mir hinterlassen, und doch würde ich es bedauern, nicht daran teilgenommen zu haben.“

Zusammenfassung

Sozialistische Träume

Eigentlich fährt George Orwell Ende 1936 nach Spanien, um über den Bürgerkrieg zu berichten. Doch kaum in Barcelona angekommen, beschließt er, in die Miliz einzutreten. Er ist begeistert von der Stimmung in der katalanischen Stadt, die von Arbeitern beherrscht und von der Bourgeoisie befreit zu sein scheint. Überall hängen die Fahnen der Kommunisten und Anarchisten, durch die Straßen schallen revolutionäre Gesänge, Kellner und Bediente begegnen einem ohne die übliche Unterwürfigkeit, es gibt weder Bosse noch Bettler, weder Prostituierte noch Rechtsanwälte. Alle tragen die gleiche Arbeiterkluft, bekommen den gleichen Lohn und essen das gleiche Essen. Man duzt sich und nennt sich Kamerad. Es scheint, als sei das Zeitalter von Gleichheit und Freiheit angebrochen.

An der Front

Als Kämpfer der Arbeitermiliz lernt Orwell an der Front in Aragonien indes auch die unangenehmen Begleiterscheinungen der Revolution kennen: Chaos und Schmutz. Weder gibt es einheitliche Uniformen noch Decken oder Brennholz gegen die winterliche Kälte. Es herrscht Dauerregen, die notdürftigen Behausungen versinken im Schlamm, die karge Landschaft ist mit Müll und Kot übersät. Disziplin ist eher schwach und die Ausbildung an den Waffen ein Witz. Die wenigen verfügbaren Gewehre sind Schrott, Stahlhelme und Handgranaten Mangelware und viele der Soldaten noch Kinder. Die militärische Hierarchie ist weitgehend aufgehoben. Befehle werden aus revolutionärer Überzeugung und Loyalität zur Arbeiterklasse, nicht aus Furcht ausgeführt, was indes erstaunlich gut funktioniert. Immerhin herrscht kein Hunger – dafür aber Stillstand und unendliche Langweile.

„Vor allen Dingen aber glaubte man an die Revolution und die Zukunft. Man hatte das Gefühl, plötzlich in einer Ära der Gleichheit und Freiheit aufgetaucht zu sein.“ (S. 10)

Nicht nur fehlt es an Waffen, auch Karten und Pläne gibt es nicht. Die hauptsächliche Beschäftigung der Soldaten besteht darin, zu essen und sich warm zu halten. Ab und zu knattert zielloses Gewehrfeuer zwischen den über 500 Metern auseinanderliegenden Schützengräben der Faschisten und der Arbeitermiliz hin und her. Wenn einmal einer getroffen wird, dann nur zufällig. Die meisten Verwundeten und Toten sind Opfer von Unfällen – durch unsachgemäßen Waffengebrauch oder Missverständnisse. Schließlich kommt es nach all dem Warten doch noch zu einer direkten Konfrontation mit den Faschisten, allerdings ohne große Verluste auf beiden Seiten.

„Nun, nachdem ich die Front gesehen hatte, war ich gründlich angeekelt. Das nannte man Krieg! Wir hatten sogar kaum Berührung mit dem Feind!“ (S. 30)

Als Freiwilliger beteiligt sich Orwell an einem Überfall auf eine gegnerische Feldschanze. Mit Gewehr und Bajonett kriecht er durch den tiefen Schlamm. Die Faschisten merken auf und eröffnen das Feuer. Mitten im Kugelhagel errichten die Kämpfer der Arbeitermiliz Barrikaden aus schweren Sandsäcken. Erstmals packt Orwell angesichts des Lärms, der Dunkelheit und des Chaos die Angst. Er spürt: So ist Krieg. Aber irgendwie macht es ihm auch Spaß, und er beschließt einfach, keine Angst zu haben. Auch der Anflug von Mitleid, den er verspürt, als er Gegner mit einer Handgranate trifft, geht schnell vorüber. Erschöpft, verdreckt und völlig aufgeweicht erreichen Orwell und seine Mitkämpfer ihren Unterstand. Immerhin haben sie die Faschisten zum Teilabzug gezwungen und etwas Munition erbeutet. Und zum Glück ist die Zigarre, die Orwell sich aufbewahrt hat, in all dem Chaos nicht zerbrochen.

Parteienkämpfe unter Antifaschisten

Anfangs erscheint es Orwell noch einfach, in diesem Krieg Richtig und Falsch auseinanderzuhalten. Er hält das Ganze für einen politischen Krieg, eine Verteidigung der Demokratie gegen den Faschismus. Das ist auch die Formel, auf die der Spanische Bürgerkrieg im restlichen Europa gebracht wird. Für die Parteienkämpfe zwischen Kommunisten und Anarchisten interessiert Orwell sich nicht. Doch langsam geht ihm auf, dass innerhalb der antifaschistischen Volksfront ein heftiger Grundsatzstreit entbrannt ist. Während die Kommunisten der PSUC für eine zentralistische parlamentarische Demokratie kämpfen und zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Revolution für falsch halten, streben die als „Trotzkisten“, also als Verräter verunglimpften Anhänger der POUM einen sofortigen proletarischen Umsturz an. Demokratie und Kapitalismus sind für sie nicht die kleineren Übel, sondern ebenso zu bekämpfen wie der Faschismus. Die Anarchisten der FAI wiederum sind gegen jede Art von Zentralismus und haben sich Gleichheit und Freiheit auf die Fahnen geschrieben.

„Wir kämpften gegen die Lungenentzündung, aber nicht gegen Soldaten.“ (S. 46 f.)

In Katalonien, wo Orwell gelandet ist, haben die POUM und die Anarchisten die Oberhand gewonnen. In den anderen Gegenden Spaniens sind die Kommunisten und ihre Verbündeten, die Liberalen, am stärksten. Mit ihrer Parole „Erst den Krieg gewinnen, dann Revolution“ haben sie nicht nur die Arbeiter, sondern auch den Mittelstand hinter sich gebracht. Sie wirken am fähigsten, sind am besten organisiert und betreiben geschickt Propaganda. In Zeitungen und auf Plakaten verdächtigen sie die Anhänger der POUM der heimlichen Kollaboration mit den Faschisten, prangern sie öffentlich als Spione an – und die linke Presse in der ganzen Welt wiederholt diese Anschuldigungen. Erst allmählich wird Orwell klar, dass die Kommunisten der PSUC die Revolution nicht auf einen späteren Zeitpunkt verschieben, sondern ganz vermeiden und zum Kapitalismus zurückkehren wollen.

Revolution und Gegenrevolution

Es wird Frühling. Hitze und Moskitos lösen Kälte und Dauerregen ab. Und wieder ereignet sich außer gelegentlichem Schützengeplänkel nichts. Orwell hat das Gefühl, eine der nutzlosesten Perioden seines Lebens zu verbringen. Er ist angetreten, gegen den Faschismus zu kämpfen, und sitzt nur tatenlos herum. Aber, denkt er sich, so ist der Krieg wahrscheinlich für die meisten Soldaten. Dennoch: Rückblickend erkennt er, dass er wertvolle Erfahrungen gesammelt hat. Er hat bei der Miliz ein Zusammenleben in vollkommener Gleichheit kennengelernt, ohne Geldgier, Privilegien und Unterwürfigkeit. Er hat Hoffnung und echte Kameradschaft erfahren – Dinge, von denen all jene, die die sozialistische Idee als Spinnerei abtun, keine Ahnung haben. Für kurze Zeit und in begrenztem Rahmen ist die Vision des Sozialismus und der klassenlosen Gesellschaft Wirklichkeit geworden.

„Es ist einer der scheußlichsten Züge des Krieges, dass alle Kriegspropaganda, alles Geschrei, alle Lügen und aller Hass ständig von Leuten kommen, die nicht mitkämpfen.“ (S. 82)

Während seines Fronturlaubs im April 1937 ist Orwell überrascht von der Veränderung, die in Barcelona stattgefunden hat. Die revolutionäre Aufbruchsstimmung ist verflogen. Die von der UdSSR mit Waffen unterstützten Kommunisten hetzen gegen die Milizen der POUM, die nach und nach in die Volksarmee überführt werden. Auf den Straßen sieht man wieder feine Leute, die es sich in Restaurants und Hotels gut gehen lassen – während die Masse der Arbeiter nach Brot Schlange steht. Die Kellner und Verkäufer sind in ihre unterwürfige Haltung zurückgefallen, Trinkgelder – in den Revolutionsmonaten verpönt – sind wieder gebräuchlich und die Bordelle sind wieder geöffnet. In den Straßen patrouillieren Polizisten der Vorrevolutionszeit. Orwell begreift, dass er sich bei seinem letzten Aufenthalt in der Stadt hat täuschen lassen: Tatsächlich haben die wohlhabenden Bürger nur revolutionäre Begeisterung simuliert. Diesmal spürt er deutlich die Spannungen zwischen den Kommunisten, die die Revolution verhindern wollen, und den Anarchisten, die sie vorantreiben wollen.

„Als eine der traurigsten Wirkungen dieses Krieges erkannte ich, dass die Presse der Linken bis ins Kleinste genauso falsch und unehrlich ist wie die der Rechten.“ (S. 82 f.)

Dann bricht plötzlich der Straßenkampf aus. Angehörige der Zivilgarde schießen auf Angehörige der Arbeiterklasse – und zwar nicht, wie viele denken, aus eigener Initiative, sondern auf Geheiß der regierenden PSUC. Zwischen den Häusern liefern sie sich Schießereien mit Anarchisten und POUM-Anhängern, die sich hinter Barrikaden verschanzen. Orwell beteiligt sich an der Verteidigung eines POUM-Gebäudes – ein unsinniges, langweiliges Unterfangen, denn es wird gar nicht angegriffen. Ebenso plötzlich wie die Schießereien begonnen haben, hören sie wieder auf. Alle fragen sich, ob es endlich vorbei sei. Da geht der Straßenkampf wieder los, unberechenbar wie ein Hurrikan oder ein Erdbeben. Orwell weiß, er nimmt an einem wichtigen historischen Ereignis teil, aber tatsächlich spürt er nur Unbehagen, Langeweile und Hunger.

Misstrauen und Verleumdungen

Die kommunistische Regierung in Valencia nimmt die Straßenkämpfe in Barcelona zum Vorwand, um ganz Katalonien stärker zu kontrollieren. Die Milizeinheiten sollen aufgelöst und in die Volksarmee eingegliedert werden. Die Gefängnisse quellen über, Unschuldige werden aufgrund vager Beschuldigungen ohne Prozess monatelang festgehalten. Es herrscht eine Atmosphäre des Misstrauens und der Feindseligkeit. Orwell ist von den Kämpfen, dem Lärm, der ständigen Anspannung und dem Hunger der letzten Tage zermürbt.

„Ich war in die Miliz eingetreten, um gegen den Faschismus zu kämpfen. Ich hatte jedoch kaum gekämpft, sondern nur wie ein passives Objekt existiert.“ (S. 131)

Nach ihrer Niederlage im Straßenkampf haben die Arbeiter deutlich an Macht verloren. Rückblickend lässt sich feststellen, dass die Aufstände im Frühjahr 1937 aller Wahrscheinlichkeit nach spontan und ungeplant waren. Die Anführer der Anarchisten und der POUM folgten den Arbeitern eher widerwillig und ermutigten sie nur zögernd. Von revolutionären Absichten, die der POUM im Nachhinein unterstellt wurden, kann jedenfalls ebenso wenig die Rede sein wie von einer Zusammenarbeit mit den Faschisten.

„Man hatte in einer Gemeinschaft gelebt, in der die Hoffnung normaler war als die Gleichgültigkeit oder der Zynismus, wo das Wort Kamerad für Kameradschaft stand und nicht, wie in den meisten Ländern, für Schwindel.“ (S. 133)

In der ausländischen antifaschistischen Presse indes werden die Straßenkämpfe allein der POUM in die Schuhe geschoben und als ein Aufstand von Anarchisten und Trotzkisten dargestellt, die der Regierung in den Rücken gefallen seien. Sicher ist es nicht klug, untereinander zu streiten, wenn man gemeinsam gegen einen Feind – in diesem Fall Franco – kämpft. Doch die Linken und Anarchisten fühlten sich durch die Forderung provoziert, sie sollten ihre im Sommer 1936 erbeuteten Waffen abgeben, die an der Front dringend benötigt würden. Die Kommunistische Partei Spaniens war seit dem Beginn des Krieges stark gewachsen, sie hatte die Macht an sich gerissen und bekam Unterstützung durch ausländische Kommunisten. Dass die radikalen Kräfte das als Bedrohung empfanden, ist verständlich.

Das Ende der Illusionen

Zurück an der Front ist Orwell der anfängliche Idealismus abhandengekommen. Alles, so scheint ihm, läuft auf eine zentralisierte, stärker rechtsgerichtete Regierung der Kommunisten hinaus. Sie werden die Macht der Arbeiter und der Gewerkschaften brechen. Die Volksfront hat sich als große Illusion erwiesen. Aber besser als Francos Faschismus, der die großen, feudalen Landbesitzer, Kirche und Militär vertritt, wäre eine kommunistische Regierung allemal. Es lohnt sich, für das kleinere Übel zu kämpfen. Zudem macht es Orwell einfach Spaß, von seinem Posten hinter der Brustwehr aus auf Faschisten zu schießen – auch wenn er ein ziemlich schlechter Schütze ist und nie trifft. Stattdessen wird er selbst eines Morgens schwer verwundet. Eine Kugel durchschlägt seinen Hals, und er glaubt, sterben zu müssen.

„,Es‘ – das Gefecht in den Straßen – wurde jetzt wie eine Naturgewalt betrachtet, wie ein Hurrikan oder ein Erdbeben, von dem alle gleichzeitig betroffen wurden und das aufzuhalten niemand von uns die Kräfte besaß.“ (S. 173)

Auf der Fahrt ins Lazarett hält der Zug voll Kranker und Schwerverletzter an einem Bahnhof. Auf dem Gleis gegenüber steht ein Zug mit neuen ausländischen Kämpfern. Die Verletzten schwenken zum Gruß ihre Krücken und bandagierten Arme – ein allegorisches Bild für den Krieg: Die einen fahren stolz und voller Zuversicht in Richtung Front, die anderen kehren verwundet zurück. Trotz allem können sie sich angesichts der frischen Soldaten und Kanonen des Gefühls nicht erwehren, dass der Krieg eine tolle Sache ist. Orwell erholt sich schnell von seiner Verletzung und kehrt zur weiteren Genesung nach Barcelona zurück.

„Statt heroisch zu sein, musste man auf seinem Posten bleiben, voller Langeweile, vor Schlaf umfallend und vollständig desinteressiert daran, worum es eigentlich ging.“ (S. 174)

Dort haben die stalinistischen Kommunisten inzwischen endgültig die Macht übernommen. Überall sind Soldaten, es herrscht Pressezensur und Angst vor politischer Verfolgung. Die POUM wird verboten, ihre Sympathisanten – darunter auch Freunde Orwells – landen als „faschistische Verschwörer“ im Gefängnis. Alles deutet auf einen Schauprozess und ein Gemetzel unter „Trotzkisten“ hin. Als ehemaliges Mitglied der POUM-Miliz ist Orwell selbst in Gefahr und muss untertauchen. Die Herrschaft des Terrors hat begonnen.

Zurück in einer vermeintlich heilen Welt

Der Bürgerkrieg in Spanien war eine Katastrophe, doch er hat Orwell keineswegs zu einem enttäuschten Zyniker gemacht. Sein Glaube an die Anständigkeit der Menschen ist nicht kleiner geworden, sondern im Gegenteil sogar gewachsen. Zurück in seiner englischen Heimat kommt Orwell das, was er während seines halben Jahres in Spanien erlebt hat, unwirklich vor. Zu Hause ist alles unverändert: Pferde grasen, Bäche fließen, Plakate kündigen Kricketspiele und königliche Hochzeiten an, und auf dem Londoner Trafalgar Square fahren die roten Busse wie eh und je. Orwell scheint es, als seien die Engländer in einem Tiefschlaf versunken, aus dem sie erst das Krachen von Bomben wecken wird.

Zum Text

Aufbau und Stil

Orwell hat seinen journalistischen Bericht Mein Katalonien in 14 Kapitel unterteilt. Die Darstellung der Ereignisse ist chronologisch, wird aber immer wieder unterbrochen, wenn der Autor Erklärungen über die politischen Verhältnisse in Spanien einschiebt. Orwell pflegt einen knappen Stil, ohne überflüssige Ausschmückungen. Bedient er sich doch einmal sprachlicher Bilder, dann sind diese ungewöhnlich und überraschend. So assoziiert er das Kanonenfeuer mit Schlägen auf einen Golfball, und eine Granate klingt wie ein pfeifender Mann, der auf einem Fahrrad vorbeifährt. In heiter-lakonischem Tonfall erzählt Orwell von der Langeweile in den Schützengräben, von sinnlosen Schießereien und spanischer Improvisationskunst, und ruft so, bei aller Dramatik, komische Effekte hervor. Seine Beschreibungen von Sinneseindrücken, von Gerüchen und Geräuschen, sind anschaulich und lebendig. Orwell bedient sich auch gern einer lautmalerischen Comicsprache, etwa wenn er vom „Krack, Krack, Krack“ der Gewehrkugeln, dem „Piep, Piep, Piep“ des Funkgeräts oder dem „Platsch, glucks!“ beim Waten durch Bewässerungsgräben berichtet.

Interpretationsansätze

  • Orwell wollte das Bild des Spanischen Bürgerkriegs richtigstellen, wie es vor allem in der britischen Presse verbreitet wurde. Die Zeitungsberichte, meinte er, würden „fern vom Geschehen von Journalisten fabriziert“. Dagegen versuchte er, als Augenzeuge, objektiv über die Kämpfe zu schreiben, auch wenn er sich seiner eigenen Voreingenommenheit und Parteilichkeit durchaus bewusst war. Am Ende des Berichts warnt er den Leser sogar davor, den Bericht für die einzige Wahrheit zu halten: Auch er, der Autor, habe nur „eine Ecke des Geschehens“ gesehen.
  • Der Originaltitel, Homage to Catalonia, lässt erkennen, was das Buch neben einem Kriegsbericht auch noch ist: eine Liebeserklärung an ein Land und seine Bewohner. Die Spanier beschreibt Orwell zwar als rückständig und chaotisch. Zugleich bescheinigt er ihnen jedoch, jenseits aller Klischees, Leistungsfähigkeit im entscheidenden Moment und Organisationstalent sowie angeborenen Anstand und Großzügigkeit.
  • Orwell vergleicht die Methoden der Kommunisten mit denen der Faschisten. Im Geist gleiche die spanische Geheimpolizei der Gestapo. Es fehle den Spaniern aber an der Tüchtigkeit und Beständigkeit, die für einen modernen totalitären Staat – sei er nun faschistisch oder kommunistisch – nötig seien.
  • Orwell lehnt eine Idealisierung des Arbeiters ab – bei aller Sympathie für die Arbeiterklasse als solche. Seine Solidarität gilt nicht einem leeren Gedankenkonstrukt, sondern dem „lebendigen Arbeiter aus Fleisch und Blut“.
  • Orwell bemüht sich um politische Differenzierung. So stellt er etwa fest, dass Franco eigentlich kein Faschist wie Hitler oder Mussolini sei. Ihm gehe es vielmehr um die Wiederherstellung des Feudalismus. Auch bringt er republikanische Untaten, wie etwa die Zerstörung der Landgüter von Franco-Getreuen, zur Sprache.
  • Die Erfahrungen im Spanischen Bürgerkrieg waren für Orwell ein Schlüsselerlebnis hinsichtlich totalitärer Herrschaft. Er bearbeitete das Thema später in seinen Romanen 1984 und Animal Farm. Darin erzählt er auf allegorische Weise davon, wie die ursprüngliche sozialistische Idee durch stalinistische Einflüsse verfälscht wird und in eine Herrschaft des Terrors mündet.

Historischer Hintergrund

Der Spanische Bürgerkrieg in Katalonien

Nachdem 1931 in Spanien unter breiter Zustimmung der Bevölkerung die Monarchie abgeschafft und die Republik eingeführt worden war, hatte es zunächst den Anschein, als würden längst überfällige Modernisierungen im Bereich der Landwirtschaft, des Militärs und der Bildung in Angriff genommen. Doch schon wenige Jahre später machte eine aus hohen Militärs, der Kirche und Großgrundbesitzern gebildete konservative Regierung alle Reformen rückgängig. Der darauffolgende Aufstand von Sozialisten, Gewerkschaften und anderen politischen Kräften wurde von General Francisco Franco gewaltsam niedergeschlagen. Als bei den Wahlen 1936 die Volksfront, ein zur Rettung der Republik gebildetes Bündnis aus Linken und Liberalen, den Sieg errang, ließ die Reaktion nicht lange auf sich warten. Am 17. Juli 1936 putschten hohe Militärs, Faschisten und Monarchisten. Doch ihr Plan, mit Unterstützung durch Benito Mussolinis Faschisten und deutsche Nationalsozialisten Spanien im Sturm zu erobern, scheiterte am organisierten Widerstand der Arbeiterschaft. Der Bürgerkrieg begann.

Am stärksten war der Widerstand in der Provinz Katalonien, die auf eine lange Tradition anarchistischer Unabhängigkeitsbewegungen zurückblickte. In der Hauptstadt Barcelona stellten sich Arbeiter mit ihren durch Enteignung gewonnenen Waffen Francos Soldaten entgegen und schlugen sie zurück. Die Siege der Arbeiterschaft hatten tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen zur Folge: Belegschaften übernahmen Betriebe, Handel und Verkehrswesen und führten sie in Eigenregie. Nicht nur in Katalonien, auch in anderen Regionen Spaniens waren zeitweise Arbeiter- und Bauernräte an der Regierung. Durch das Erstarken der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE) und ihrer katalonischen Schwesterpartei PSUC, die Stalins UdSSR auf ihrer Seite hatten und von ihr mit Waffen versorgt wurden, wurde die Revolution indes abgebremst und gelangte schließlich zum Stillstand. Die Arbeiterpartei POUM, die eine marxistische, antisowjetische Linie vertrat, wurden mithilfe der Sowjetunion aus der militärischen Führung verdrängt, ihre Milizen aufgelöst, ihre Mitglieder verfolgt und verhaftet, gefoltert und ermordet.

Der Bürgerkrieg in Spanien rief nicht nur Faschisten und Nationalsozialisten, sondern auch Kommunisten und Sozialisten aus ganz Europa auf den Plan. Allein aus Großbritannien kamen über 2000 Freiwillige nach Spanien, um die linke Volksfront im Kampf gegen Francos Faschisten zu unterstützen. Die erste Milizgruppe der POUM wurde im September 1936 gebildet, und durch den anhaltenden Zustrom Freiwilliger aus ganz Europa entstanden im Winter und im Frühjahr des folgenden Jahres weitere Einheiten. Nach den Straßenkämpfen, die im Mai 1937 in Barcelona zwischen Anhängern der PSUC und der POUM ausbrachen und mit dem Sieg der Kommunisten endeten, wurden zunehmend auch ausländische Milizionäre inhaftiert und ermordet. Diese Ereignisse hatten zur Folge, dass viele vormals überzeugte Kommunisten auf Distanz zu ihrer Bewegung gingen.

Entstehung

Über Paris und Perpignan gelangte Orwell im Dezember 1936 nach Barcelona – zunächst in der Absicht, Reportagen über den Bürgerkrieg zu schreiben. Mit einem Empfehlungsschreiben der britischen Independent Labour Party, die der POUM nahestand, trat er jedoch sogleich der Arbeitermiliz bei. Im Winter 1936/37 nahm Orwell an den Kämpfen an der Huesca-Front im nordspanischen Aragonien teil. Nach einer schweren Verletzung verbrachte er mehrere Wochen mit seiner Frau in Barcelona. Hier wurde er Zeuge der Spannungen innerhalb der linken Volksfront und der Straßenkämpfe zwischen Befürwortern und Gegnern einer sozialen Revolution.

Nicht nur in Spanien, auch in der ausländischen Presse wurde die POUM zum Sündenbock für die gewaltsamen Auseinandersetzungen gemacht. Diese Beschuldigungen veranlassten Orwell, der mit seiner Frau gerade noch rechtzeitig aus Spanien entkommen konnte, ein halbes Jahr nach den Ereignissen, einen Bericht darüber zu schreiben. Sein Ziel war, das in der internationalen Wahrnehmung verzerrte Bild geradezurücken, den Terror der moskautreuen Kommunisten offenzulegen und die POUM zu rehabilitieren. Mein Katalonien erschien im April 1938 in London.

Wirkungsgeschichte

Orwells Bericht über den Spanischen Bürgerkrieg löste in seiner britischen Heimat unterschiedliche Reaktionen aus. Während die einen lobten, das Buch räume mit jeglicher Revolutionsromantik auf, kritisierten viele Kommunisten die angeblich einseitige Darstellung des Konflikts. Nach Orwells späteren Romanerfolgen Farm der Tiere und 1984 wurde Mein Katalonien neu aufgelegt und 1964 auch ins Deutsche übersetzt. Das Buch beeinflusste Ken Loachs Film Land and Freedom aus dem Jahr 1995 über einen britischen Arbeitslosen, der als freiwilliger Kämpfer in den Spanischen Bürgerkrieg zieht.

Über den Autor

George Orwell wird am 25. Juni 1903 als Eric Arthur Blair im indischen Motihari geboren. Er besucht die englischen Eliteinternate Eastbourne und Eton. Danach lässt er sich, wie vor ihm sein Vater und Großvater, zum Polizeioffizier ausbilden und tritt in den britischen Kolonialdienst ein. Bis 1927 ist Orwell in Burma, dem heutigen Myanmar, für die Indian Imperial Police tätig. Dann quittiert er den Dienst aus Protest gegen die kolonialistischen Methoden. In den folgenden Jahren schlägt sich Orwell in London und Paris durch. Er arbeitet als Tellerwäscher, Buchhandelsgehilfe, Lehrer und Journalist. 1933 erscheint sein autobiografisches Buch über diesen Lebensabschnitt, Erledigt in Paris und London (Down and Out in Paris and London). 1936 heiratet Orwell Eileen O’Shaughnessy und reist als Reporter nach Barcelona, um am Spanischen Bürgerkrieg teilzunehmen. Wie viele andere Künstler auch kämpft er selbst an der Front gegen Francos Faschisten. Nach dem Sommer im Krieg kehrt er verwundet und desillusioniert nach England zurück. 1944 stellt Orwell den Roman Farm der Tiere (Animal Farm) fertig. Eine Veröffentlichung wird aber bis zum Ende des Krieges verhindert, weil die Kritik am Bundesgenossen Stalin zu jener Zeit in Großbritannien nicht opportun ist. 1945 stirbt Eileen während einer Operation. 1948 schreibt der unabhängige Sozialist Orwell eine zweite Dystopie mit erschreckend hoffnungslosem Ende, mit der er weltweit berühmt wird: 1984. In diesem Meisterwerk der politisch-philosophischen Science-Fiction treibt Orwell sein pessimistisches Geschichtsbild auf die Spitze. Am 21. Januar 1950, nur drei Monate nach seiner Heirat mit Sonia Mary Brownell, stirbt Orwell 46-jährig in London an Tuberkulose.

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