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Nachdenken über Christa T.

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Nachdenken über Christa T.

Suhrkamp,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Ein Leben im Zwiespalt zwischen idealem und real existierendem Sozialismus: Dieser Roman aus der DDR ist das bewegende Porträt einer ganzen Generation.


Literatur­klassiker

  • Roman
  • Gegenwartsliteratur

Worum es geht

Leben im Arbeiter- und Bauernstaat

„Christa T. stirbt an Leukämie, aber sie leidet an der DDR.“ Marcel Reich-Ranickis plakativer Satz über Christa Wolfs Roman Nachdenken über Christa T. trifft fast ins Schwarze – aber doch knapp daneben. Denn die früh verstorbene Freundin der Ich-Erzählerin lässt sich nicht so einfach in ein Schema pressen. Jung und idealistisch träumt Christa T. nach dem Krieg vom Aufbau einer besseren Gesellschaft. Schon bald stellt sie enttäuscht fest, dass unter den Tatmenschen und Opportunisten des Arbeiter- und Bauernstaates kein Platz für sie ist. Die Individualistin kann sich nicht anpassen, zieht sich ins Private zurück und scheitert schließlich auch an übersteigerten Ansprüchen an sich selbst. Der Roman wurde im Westen gefeiert, während er im Osten zunächst nur in kleiner Auflage erschien. Womöglich haben beide Seiten mit ihrem Scheuklappendenken Christa T. Unrecht getan. Denn Wolfs Roman über das Leben in den Anfangsjahren der DDR ist von Zweifeln und vorsichtigen Deutungsversuchen durchsetzt. Jedes Fragezeichen fordert den Leser auf, eigene Antworten zu finden: Was ist ein erfülltes Leben? Lässt sich das Streben nach persönlichem Glück mit gesellschaftlichem Engagement vereinbaren? Wie in den meisten Werken von Wolf geht es auch in diesem um Ideologie und Alltag in der DDR, doch hier steht erstmals der Mensch im Mittelpunkt.

Take-aways

  • Nachdenken über Christa T. begründete Christa Wolfs Weltruhm als bedeutendste Autorin der DDR.
  • Die Ich-Erzählerin erinnert sich darin an ihre Studienfreundin Christa T., die 35-jährig an Leukämie gestorben ist.
  • Wie viele junge Intellektuelle während der Aufbauphase nach dem Krieg träumt Christa T. von einem besseren Deutschland, das sozialistisch sein soll.
  • Sie wird Dorfschullehrerin, studiert Germanistik und unterrichtet nach ihrem Examen an einer Berliner Oberschule.
  • 1953, im Jahr des DDR-Volksaufstandes, verliebt sie sich unglücklich. Sie spürt zum ersten Mal echte Todessehnsucht.
  • Der phantasievollen und individualistischen jungen Frau fällt es immer schwerer, sich mit dem real existierenden Sozialismus abzufinden.
  • 1956 heiratet sie einen Tierarzt, zieht mit ihm nach Mecklenburg und wird Hausfrau und Mutter.
  • Um der deprimierenden Kleinstadtwohnung zu entkommen, plant Christa, ein weißes Haus auf einem Hügel am See zu bauen.
  • Noch vor dem Einzug bricht bei ihr der Krebs aus. Sie bringt ihre dritte Tochter zur Welt und stirbt wenige Monate später.
  • Christa Wolf perfektionierte mit diesem Werk ihren Stil der "subjektiven Authentizität": die Erklärung gesellschaftlicher Zusammenhänge aus der persönlichen Erfahrung heraus.
  • In der DDR wurde das Buch ein Fall für die Zensur, während es im Westen als Abgesang auf den Sozialismus gefeiert wurde.
  • Tatsächlich hat die Autorin stets an der Idee vom Sozialismus als der besseren Gesellschaftsform festgehalten.

Zusammenfassung

Anfang einer Freundschaft

Die Erzählerin macht sich Gedanken über ihre Freundin Christa T., die im Februar 1963 im Alter von 35 Jahren an Leukämie gestorben ist. Zu Hilfe nimmt sie ihre eigene Erinnerung sowie die Tagebücher, Briefe, unvollendeten Manuskripte und bekritzelten Zettelchen aus dem Nachlass der Verstorbenen. Die erste Begegnung mit Christa T. im Jahr 1943 steht der Erzählerin noch deutlich vor Augen: Christa T., mit Spitznamen Krischan genannt, ist vom Land in das Provinzstädtchen gekommen, um dort die Oberschule zu besuchen. Anstatt sich demütig und zurückhaltend, eben wie ein Neuankömmling, zu benehmen, fordert sie ihre Mitschülerinnen täglich neu heraus. Sie scheint mutig und ehrlich, aber auch verschlossen und geheimnisvoll. Schließlich überwindet die Erzählerin ihre anfängliche Eifersucht und freundet sich mit Krischan an. Im Januar 1945 müssen beide mit ihren Familien vor den heranrückenden Russen fliehen. Erst sieben Jahre später begegnen sie sich an der Universität wieder.

Hoffnung auf Neubeginn

Zu Beginn der Nazizeit: Christa T., die Tochter eines Dorfschullehrers, der gegen den Gutsherren im Ort rebelliert und als „Soziknecht“ beschimpft wird, sehnt sich nach Güte und Gerechtigkeit. Als Kind erlebt sie entsetzt die rohe und grausame Seite des Menschen: ein Pächter, der aus bloßem Überdruss ihren Lieblingskater an der Stallwand zerschmettert; die Vertreibung der Zigeunerfamilie aus ihrem Dorf; ein kleiner Junge, der während der Flucht nach Westen erfriert und im Schnee zurückgelassen wird. All das nährt in ihr den verzweifelten Wunsch nach einer besseren Welt.

„Nachdenken, ihr nach - denken. Dem Versuch, man selbst zu sein.“ (S. 9)

Nach dem Krieg macht sie eine Ausbildung als Lehrerin und unterrichtet in einer mecklenburgischen Dorfschule. Christa T. glaubt an die Bildung des „neuen Menschen“. Begeistert verschlingt sie die Schriften sowjetischer Literaten und Pädagogen. Eine kurze Zeit lang glaubt sie, die Erfüllung ihrer tiefen Sehnsüchte gefunden zu haben. Doch dann sieht sie vom Fenster ihrer Dachkammer aus eine Bande von Jungen, die Hunde mit Steinen bewerfen und willkürlich Elsterneier aus einem Nest schleudern. Sie ahnt, dass gewisse Dinge sich niemals ändern werden. Nach drei Jahren wird ihr die dörfliche Idylle zu eng und sie bewirbt sich um ein Hochschulstudium.

Allein unter Freunden

An der Leipziger Universität herrscht Aufbruchstimmung. Inmitten der Trümmerstädte streifen sich die Studenten Arbeitshandschuhe über und bauen Kindergärten, bilden Lernkollektive und verpflichten sich, niemals eine schlechtere Durchschnittsnote als „gut“ zu erreichen. Christa T. gibt sich große Mühe, in dieses System hineinzupassen. Doch es gelingt ihr nicht. Ihre damalige Freundin Gertrud Born, die später Dölling heißen und Dozentin an der Universität sein wird, nennt diese Andersartigkeit „merkwürdig“ und „verletzend“ – schließlich stellt Christa T. ungewollt alles in Frage, was die Nachkriegsgeneration in der DDR aufzubauen versucht. Christa glaubt wie alle anderen an das vor ihnen liegende kommunistische Paradies. Nur sind ihre Ansprüche an sich selbst und die Gesellschaft ungleich höher. Sie kann sich nicht mit dem Gedanken abfinden, bloß Teil einer reibungslos funktionierenden Maschinerie zu werden.

„Und bloß nicht vorgeben, wir täten es ihretwegen. Ein für alle Mal: Sie braucht uns nicht. Halten wir also fest, es ist unseretwegen, denn es scheint, wir brauchen sie.“ (S. 10)

Christa T. verliebt sich in ihren Mitstudenten Kostja, einen unnahbaren Schönling. Die Geschichte verläuft unglücklich, weil Kostja von Christa überfordert zu sein scheint. Am Ende schnappt er seinem Freund Günther dessen Freundin Inge weg. Damit bereitet er indirekt Günthers tiefen Fall vor. Denn kurz nach diesem Ereignis hält Günther seine Prüfungsstunde für das Lehrerexamen zum Thema „Schillers Kabale und Liebe – der Vorrang der gesellschaftlichen vor den persönlichen Motiven im Verhalten Ferdinands“. Entgegen dieser Vorgabe spricht sich Günther vor den Schülern dafür aus, dass romantische Liebe und Liebeskummer auch im Sozialismus ihren Platz hätten – und wird dafür seines Postens als Parteisekretär enthoben. Die Begründung: Günther sei dem Subjektivismus verfallen. Später wird Kostja Inge heiraten, Günther wird zeitlebens ledig bleiben. Christa T. stürzt in diesem Frühsommer 1953 erstmals in tiefe Depressionen. In einem nie abgeschickten Brief schreibt sie ihrer Schwester, dass sie sterben wolle. Sie fühlt sich unnütz, kleinbürgerlich, ihren tatkräftigen Kommilitonen in allem unterlegen. An der Gesellschaft, so redet sie sich ein, kann es nicht liegen. Es muss ihre eigene Schuld sein.

Der Wahrsager

In den Sommerferien fährt Christa T. zu ihren Eltern ins Dorf. Sie hört von einem österreichischen General, der „den Blick“ hat, und lässt ihn in ihre Zukunft schauen. Der Wahrsager rät ihr davon ab, sich von ihrem nächsten Verehrer zur Ehe bewegen zu lassen. Sie solle sich erst einmal beruflich entfalten und werde dann in sechs, sieben Jahren vermutlich einen Doktor oder Professor heiraten. Schließlich deutet er an, dass die Ehe frühzeitig durch den Tod – entweder den der Frau oder den des Mannes – beendet werde. Christa T. schließt daraus, dass der General ihr einen frühen Tod vorausgesagt hat. Nach den Sommerferien kehrt sie dennoch zuversichtlich an die Universität zurück und meldet ihre Examensarbeit über Theodor Storm an, mit dessen Werk sie sich identifiziert: der war sich seiner Grenzen bewusst und versuchte doch immer wieder, sie schreibend zu überwinden. Der Dichter, so Christa T. in ihrer Examensarbeit, erschuf ein „Sehnsuchtsbild menschlicher Schönheit“.

Generationenwechsel

Nach dem Examen nimmt sie eine Stellung als Lehrerin in einer Berliner Oberschule an. Enttäuscht stellt sie fest, dass eine neue Generation von Schülern vor ihr sitzt: abgebrüht, ehrgeizig und opportunistisch. Sie können über den Idealismus der Lehrerin nur lachen. Zum Aufsatzthema „Bin ich zu jung, meinen Beitrag für die Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft zu leisten?“ schreiben sie nur propagandistische Plattitüden herunter. Christa T. würde am liebsten allen eine Vier geben, doch das kann sie nicht, da es sich um eine Wettbewerbsarbeit handelt. Eine Schülerin erklärt gleichmütig, dass niemand sie dazu zwingen könne, durch Dummheit ihre Zensur zu verderben. Der Direktor der Schule weist seine junge Kollegin sanft zurecht, nicht mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen. Schließlich könne man nicht „Macht und Güte“ auf einmal haben.

„Das Paradies kann sich rar machen, das ist so seine Art. Soll den Mund verziehen, wer will: Einmal im Leben, zur rechten Zeit, sollte man an Unmögliches geglaubt haben.“ (S. 60)

Im Herbst geht es mit der Klasse zum Ernteeinsatz aufs Land. Am Tag der Abreise – die Kartoffelfelder sind fast abgeerntet und alle sind bester Stimmung – lässt einer der Schüler sich für Geld auf eine abstoßende Mutprobe ein: Vor den Augen aller beißt er einer Feldkröte den Kopf ab. Christa T. wendet sich ab und weint. Dieses Mal gibt sich der Direktor weniger verständnisvoll und erteilt ihr eine Rüge wegen Verletzung der Aufsichtspflicht. Sieben Jahre später trifft sie einen ehemaligen Schüler wieder, der nun Arzt geworden ist und Christa T. freundlich über ihren Irrtum aus jener Zeit aufklärt: Moralische Ansprüche haben nach seiner Ansicht in der Pädagogik nichts zu suchen. Um zu überleben, müsse man lernen, sich den Realitäten des Lebens anzupassen.

Tierarztfrau in Mecklenburg

Noch während ihrer Studienzeit lernt Christa T. in der Mensa den Veterinärstudenten Justus kennen, der aus einer anderen Stadt zu einer Konferenz angereist ist. Justus ist vom ersten Augenblick an in sie verliebt. Doch sie lässt sich Zeit, schreibt gelegentlich Briefe und ruft erst an, als er sie schon fast aufgegeben hat. Ihre Freunde sind von der Wahl überrascht. Justus, ein Sohn pommerscher Bauern, wird mit Christa T. in eine mecklenburgische Kleinstadt ziehen. Sie wird das Großstadtleben und ihre Lehrerinnenlaufbahn aufgeben, Kinder bekommen und ihrem Mann den Tee so zubereiten, wie er ihn mag. Der Erzählerin wird erst jetzt bewusst, dass ihre Freundin sich mit dem Rückzug in ihre Rolle als Ehefrau auch vor den eigenen Ansprüchen und der ständigen Versagensangst schützte.

„Sie hat gefühlt, wie die Worte sich zu verwandeln beginnen, wenn nicht mehr guter Glaube und Ungeschick und Übereifer sie hervorschleudern, sondern Berechnung, Schläue, Anpassungstrieb.“ (S. 63)

In ihrem letzten Jahr in Berlin besucht Christa T. zusammen mit Justus dessen Cousine im Westen der Stadt. Diese und ihr Mann, ein Börsenmakler, entpuppen sich trotz ihrer anders lautenden Vorsätze als feiste, gönnerhafte Westler. Die Cousine beklagt seufzend den Materialismus im kapitalistischen Westen und packt anschließend eine Tasche mit Gewürzen, die Justus so gerne mag. „Oder soll ich dir lieber einen Büstenhalter schenken?“, fragt sie ihre Besucherin ungerührt. Kurze Zeit später heiraten Justus und Christa T., ganz ohne Feier und Besucher. Am Abend, während der Pause in der Oper, ist der Jungvermählten nicht wohl. In ihrer Hochzeitsnacht beschimpft sie ihren hilflosen Mann als „Viehdoktor“. Ihr altes Leiden, die Depression, ist wieder zum Vorschein gekommen.

Schwere Geburt

Im November 1956 hören die Erzählerin und Christa T. im Westradio von der sowjetischen Niederschlagung des Volksaufstandes in Ungarn. Sie begreifen, dass die Zeit der Träumer und Idealisten endgültig abgelaufen ist und sie sich der ungeschminkten Wirklichkeit stellen müssen. Sie wissen: Die Rolle der Betrogenen wird man ihnen verwehren. Im gleichen Herbst bringt Christa T. ihre Tochter Anna unter schier endlos scheinenden, kräftezehrenden Wehen zur Welt. Nach der Geburt zieht die junge Familie zunächst provisorisch in ein Sommerhäuschen und dann in ein altes, ungemütliches Eckhaus in einer mecklenburgischen Kleinstadt. Christa T. bleibt dort eine Fremde. Den Ehefrauen des Zahnarztes und des Schulleiters erscheint sie seltsam, ja fast unheimlich. Sie versucht zu schreiben, kommt aber, auch wegen ihrer chronischen Müdigkeit, nicht über Fragmente hinaus. Wenn möglich, fährt sie mit ihrem Mann übers Land. Gemeinsam versuchen sie die widerstrebenden Bauern davon zu überzeugen, sich freiwillig zu landwirtschaftlichen Genossenschaften zusammenzuschließen. Hier, umgeben von spröder Freundlichkeit und echten Geschichten, fühlt Christa T. sich heimisch.

Das weiße Haus auf dem Hügel

Christa T. spürt, dass die düstere Kleinstadtwohnung sie auf Dauer erdrücken wird. Sie beginnt, Skizzen von ihrem Traumhaus auf einem kleinen Hügel am See zu zeichnen: weiß, mit einem Schilfdach und einem riesigen Fenster zum Wasser hin. Das Ufer soll vom Schilf befreit werden, damit Anna und ihre kleine Schwester Lena im Sommer dort baden können. Wieder reagieren ihre Freunde mit Unverständnis. Ausgerechnet Christa T. als Hausbesitzerin, in diesen Zeiten? Aber sie lässt sich trotz aller Schwierigkeiten nicht von ihren Plänen abbringen. Mal fehlen zwar die Materialien, dann das Geld und meistens beides zusammen. Wieder wird der Erzählerin erst im Nachhinein klar, was das Haus für ihre Freundin bedeutete: eine Annäherung ans Leben, eine feste Wurzel, die sie stärker machen sollte, sich den Widrigkeiten des Daseins zu stellen.

„Wann - wenn nicht jetzt? So beginnt der Brief, den ich gerne unterschlagen hätte, denn er wurde nie abgeschickt, und außer ihr und mir kennt ihn niemand.“ (S. 78)

Während die Bauarbeiten schleppend vorangehen, verliebt sich Christa T. in einen jungen Förster, den Jagdfreund ihres Mannes. Justus weiß davon. Er reagiert hilflos, tobt oder schweigt tagelang und kommt immer öfter angetrunken aus der Kneipe zurück. Er hat in dieser Zeit auch berufliche Probleme: Der korrupte Direktor eines Volksgutes versucht, ihn in eine Affäre von Unterschlagungen und nachlässiger Viehpflege zu verwickeln. Christa T. kämpft mit sich und ihrer verbotenen Liebe. Es ist, wie der Erzählerin später aufgeht, ihre Art, sich nicht mit den Gegebenheiten abzufinden. Einer der vielen Manuskriptentwürfe ihrer Freundin trägt den Titel: „Die große Hoffnung oder Über die Schwierigkeit, ,ich‘ zu sagen.“

Einzug und Tod

Am Silvesterabend 1961/62 ist die Affäre mit dem Förster vergessen. Christa T. berichtet der Erzählerin lächelnd, dass sie ihr drittes Kind erwartet. Sie lädt ihre Freunde zur Besichtigung des Rohbaus ein. Der Wind pfeift durch die Ritzen. Die Besucher spüren, dass dieses Haus der rauen Natur trotzen muss. Kaum vorstellbar, dass es irgendwann einmal bewohnbar sein wird. Doch sieben Monate später ist es so weit: Christa T., hochschwanger und schwerfällig, feiert mit ihren Freunden den Einstand und serviert Kräuterkartoffeln. Zu diesem Zeitpunkt ist bei ihr bereits die Leukämie ausgebrochen. Ihr Gesicht ist aufgedunsen, die Haut trocken und schuppig – eine Folge der starken Medikamente. Die Ärzte haben beschlossen, das Risiko der Geburt zu wagen. Im Grunde wissen alle, dass die Heilung ihrer Krankheit einem Wunder gleichkäme. Christa T. ist wild entschlossen zu leben, sie will an dieses Wunder glauben. Ihre dritte Tochter kommt gesund zur Welt. In der ersten Zeit nach der Geburt geht es Christa gut. Doch schon wenig später bricht sie unerwartet in ihrem neuen Haus zusammen und wird wieder ins Krankenhaus eingeliefert. In ihren letzten Wochen erkundigt sie sich nicht einmal mehr nach den Kindern. An einem eisigen Februartag des Jahres 1963 stirbt Christa T.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Ausgangs- und Orientierungspunkt in diesem Roman ist die Situation der Ich-Erzählerin: Eine geraume Zeit nach dem Tod ihrer Freundin Christa T. erinnert sie sich, liest Briefe, Tagebuchaufzeichnungen, betrachtet alte Fotos oder rekonstruiert in Gedanken Treffen mit ehemaligen Weggefährten. Die Chronologie der Ereignisse durchbricht die Erzählerin mit Zeitsprüngen, Vorwegnahmen und Reflexionen. Der Leser muss die vielen Mosaiksteinchen in einem kreativen Prozess selbst zu einem Gesamtbild der Christa T. zusammensetzen – und wird, immer unsicherer, jedes Steinchen dreimal in der Hand umdrehen. Denn die Erzählerin liefert kaum eine Erkenntnis, die sie nicht im gleichen Atemzug wieder hinterfragt: War Christa T. wirklich so? Oder ist das nur das Bild, das wir von ihr haben? Hat das wirklich stattgefunden? Oder habe ich es nur erfunden? Christa Wolf bringt ihre Leser durch diesen betont subjektiven Stil dazu, die Geschichte, ihre Umstände und die eigenen (Vor-)Urteile permanent zu hinterfragen. Der nicht immer einfach zu bewältigende Stil besteht oft aus Gedankenfetzen: Lange, durch Kommas getrennte Hauptsatzreihen wechseln sich ab mit dem Stakkato von Ellipsen (grammatisch unvollständigen Sätzen). Wolf verwendet häufig Symbole und Bilder aus der Natur, um politische Ereignisse oder persönliche Befindlichkeiten zu unterstreichen.

Interpretationsansätze

  • Der Roman behandelt das Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Staat. Die Protagonistin glaubt an die Utopie einer besseren, sozialistischen Welt, zerbricht aber letztlich am real existierenden Sozialismus in der DDR. Trotz aller Anstrengungen gelingt es der phantasievollen, nonkonformistischen Christa T. nicht, sich dem kollektivistischen Gesellschaftsideal anzupassen. Sie sucht die Schuld dafür bei sich selbst und erkrankt, möglicherweise als Folge davon, tödlich.
  • Das kollektive „Wir“, das die Autorin über weite Strecken verwendet, steht stellvertretend für die enttäuschten Hoffnungen einer ganzen Generation junger Intellektueller in der DDR, die in der Aufbruchphase der frühen 1950er Jahre an die Möglichkeit eines sozialistischen Paradieses auf Erden glaubten.
  • Christa Wolf nennt die Dinge nicht direkt beim Namen. Begriffe wie „Sozialismus“ oder „Partei“ kommen gar nicht vor. Gesellschaftliche und politische Themen werden mit Hilfe von Chiffren aus dem Gefühlsleben der Heldin gespiegelt: Den Arbeiteraufstand von 1953 erlebt Christa T. in Form der gescheiterten Liebe zu Kostja und den Mauerbau 1961 als Ausbruchsversuch aus ihrem Leben durch eine Affäre mit dem Freund ihres Mannes.
  • Das weiße Haus auf dem Hügel ist ein Symbol für Christa T.s Versuch, innerhalb der Systemgrenzen ihre eigene Nische zu finden und endlich „ich“ zu sagen. Doch es ist zu spät: Ihre Entfremdung vom System ist bereits zu weit fortgeschritten, und die tödliche Krankheit hat schon Besitz von ihr ergriffen.
  • Christa Wolf verabschiedete sich mit diesem Roman endgültig von der Doktrin des sozialistischen Realismus und setzte dieser ihre „subjektive Authentizität“ entgegen – die Erklärung gesellschaftlicher Zusammenhänge aus der persönlichen Erfahrung heraus.
  • Viele westliche Kritiker interpretierten den Roman als Abgesang auf den Sozialismus. Doch die Autorin hat dem stets widersprochen. Der Schlüsselsatz „Wann, wenn nicht jetzt?“ sei vielmehr ein Ausdruck von Hoffnung gewesen, dass die DDR ihr Versprechen einer besseren Gesellschaft endlich einlöse.

Historischer Hintergrund

Sozialistische Literatur zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Viele Vertreter der jungen Nachkriegsgeneration in der sowjetischen Besatzungszone sahen in der Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 den Beginn eines neuen, moralischen Zeitalters gekommen: Antifaschistisch, pazifistisch, emanzipatorisch und kollektiv verantwortlich sollte dieser neue Staat sein, ein Gegenstück zum kapitalistischen Westen. Doch die Realität sah schon bald ganz anders aus: Vor allem die Bauern und der Mittelstand widersetzten sich den Kollektivierungen, bis man sie schließlich dazu zwang. Zahlreiche Leistungsträger siedelten in den Westen über. Zugleich kam die Wirtschaft nicht in Gang, nicht zuletzt auch wegen der rigorosen sowjetischen Demontagepolitik. Die Hoffnung auf Besserung nach dem Tod Josef Stalins im Frühjahr 1953 erfüllte sich nicht. Zwar beschloss die SED-Führung im Juni darauf den „Neuen Kurs“, der die Konsumgüterindustrie stärken sollte. Doch die im Mai erlassene Normerhöhung von 10,3 % blieb bestehen. Eine (Arbeits-)Norm bezeichnete im Rahmen der Planwirtschaft die in einem bestimmten Zeitraum zu leistende Arbeit. Am 17. Juni kam es zu einem Volksaufstand, den sowjetische Truppen brutal niederschlugen. Mit dem Einmarsch der Roten Armee in Ungarn im November 1956 trat die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit des Kommunismus erneut deutlich zutage. In der DDR erschwerte im selben Jahr ein neues Passgesetz Reisen in den Westen. Die „Republikflucht“ wurde zur Straftat erklärt. Doch die Abwanderung der besten Köpfe ließ sich so nicht stoppen. Bis 1961 verließen fast drei Millionen Menschen das Land. Am 13. August dieses Jahres ließ die DDR-Führung daraufhin die Berliner Mauer bauen.

Entstehung

Christa Wolf hatte sich bereits zunehmend von der offiziellen DDR-Politik entfremdet, als sie Nachdenken über Christa T. schrieb. Auf dem 11. Plenum des SED-Zentralkomitees (ZK) im Dezember 1965, dessen Ziel die Maßregelung junger Künstler in der DDR war, setzte sie sich als einzige Rednerin gegen eine restriktivere Kulturpolitik ein. Nach dieser Rede erlitt sie eine schwere Herzattacke und war mehrere Wochen lang psychisch krank. Ihrem Biografen Jörg Magenau sagte sie rückblickend, dass das Plenum zu einer Polarisierung unter den Künstlern führte: „Es gab einige, die bereit waren, sich anzupassen, die sich der Einengung der Kunst fügten, die dort verordnet wurde. (...) Ich begann darüber nachzudenken, was uns überhaupt noch zu tun möglich blieb – immer noch mit der Vorstellung, dass die Strukturen dieses Landes geeignet seien, eine vernünftige Gesellschaft zu entwickeln.“ Mit dieser Einstellung geriet sie zunehmend in die Mühlen der Zensur. Von Nachdenken über Christa T. schrieb sie insgesamt vier Fassungen. Zuletzt reichte sie noch ein Kapitel nach, um die Aufsichtsbehörden zu besänftigen. Obwohl ein Gutachten dem Roman die Gefahr „ideologischer Desorientierung“ bescheinigte, wurde im Mai 1968 der Druck von 15 000 Exemplaren genehmigt. Die Autorin stellte fest, dass sie ihrem Alter Ego während der Arbeit näher gerückt war: „Später merkte ich, dass das Objekt meiner Erzählung gar nicht so eindeutig sie, Christa T., war oder blieb. Ich stand auf einmal mir selbst gegenüber.“

Wirkungsgeschichte

Unter dem Eindruck des „Prager Frühlings“ im Unruhejahr 1968 wurde die Druckgenehmigung für den Roman wieder zurückgenommen. Nachdenken über Christa T. erschien dann nur noch in einer Auflage von 800 Exemplaren in Halle/Saale, während das Buch, das 1969 auch in der Bundesrepublik erschien, dort auf den Bestsellerlisten landete. Das Lob und die z. T. einseitige Vereinnahmung der Künstlerin durch westliche Kritiker wirkte sich auf die Autorin wie ein Bumerang aus: „Christa T. stirbt an Leukämie, aber sie leidet an der DDR“, schrieb der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki. Nach Aussage Wolfs bewirkte diese Äußerung des „Literaturpapstes“, dass in der DDR ein Auslieferungsstopp für das Werk verhängt wurde. Die Zensurbehörde stellte abermals die Forderung nach Änderungen, die die Autorin aber nicht mehr erfüllte. Erst vier Jahre später wurde das Buch in ihrer Heimat erfolgreich neu aufgelegt.

Christa Wolf wurde mit Nachdenken über Christa T. international berühmt und gewann zahlreiche Literaturpreise. Ihr neuer Stil der „subjektiven Authentizität“ brachte der Autorin im Ausland klingende Beinamen wie „Stimme der DDR“ ein. In ihrer Heimat markierte der zähe Kampf mit der Zensur den Beginn ihrer intensiven Überwachung durch die Stasi, die bis zum Zusammenbruch des Staates andauerte. Die Autorin stand mit ihrem Kunstverständnis nicht allein da. Am nächsten kommt der Romanheldin Christa T. wohl die 1972 von Ulrich Plenzdorf geschaffene Figur Edgar Wibeau in Die neuen Leiden des jungen W. Auch Plenzdorfs Held, ein Junge voller sozialistischer Ideale, zerbricht an der Realität der DDR. Den Machthabern war diese Literatur allerdings ein Dorn im Auge. Auf der 9. Tagung des ZK der SED 1973 warnte der Parteisekretär Erich Honecker davor, „eigene Leiden der Gesellschaft aufzuoktroyieren“. Die Darstellung von „Vereinsamung und Isolierung des Menschen von der Gesellschaft“ stünde dem „Anspruch des Sozialismus“ an die Literatur entgegen.

Über den Autor

Christa Wolf wird am 18. März 1929 in Landsberg an der Warthe geboren. Nach der Vertreibung 1945 lässt sich ihre Familie in Mecklenburg-Vorpommern nieder. Wolf arbeitet zunächst als Schreibkraft und macht 1949 ihr Abitur. Im selben Jahr tritt sie der SED (Sozialistische Einheitspartei) bei. Während des Germanistikstudiums lernt sie ihren späteren Mann, den Schriftsteller Gerhard Wolf, kennen. Nach dem Studium arbeitet Christa Wolf zunächst als wissenschaftliche Mitarbeiterin für den Deutschen Schriftstellerverband, dann als Verlagslektorin und als Redakteurin einer Literaturzeitschrift. Ab 1962 ist sie freie Schriftstellerin. Ein Jahr darauf erscheint der Roman Der geteilte Himmel, eine Auseinandersetzung mit dem Mauerbau und mit unterschiedlichen Lebensentwürfen in beiden Teilen Deutschlands. Christa Wolf gilt als Vorzeigeintellektuelle der jungen DDR, doch schon bald gerät sie wegen ihres subjektiven Stils und der Behandlung kontroverser Themen in Konflikt mit dem Machtapparat. Ihr zweiter Roman Nachdenken über Christa T.(1968) erscheint zunächst nur in kleiner Auflage. 1976 unterstützt die Autorin den Protest gegen die Zwangsausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann. Bei aller Kritik bleibt sie der Idee des Sozialismus dennoch treu. Als sogenannte „loyale Dissidentin“ darf sie reisen, hält Vorträge im Ausland und wird zunehmend als gesamtdeutsche Schriftstellerin anerkannt. 1980 erhält sie den renommierten westdeutschen Georg-Büchner-Preis. 1983 erscheint ihre Erfolgserzählung Kassandra. Nach dem Fall der Mauer setzt Wolf sich für den „dritten Weg“ einer reformierten DDR und gegen die Wiedervereinigung ein. 1993 gibt sie zu, zwischen 1959 und 1962 als IM (inoffizielle Mitarbeiterin) für die Stasi gearbeitet zu haben, weist aber auch darauf hin, dass sie ab 1969 permanent von der Spitzelbehörde überwacht wurde. In den 90er-Jahren diffamieren westliche Kritiker die einst gefeierte Schriftstellerin als „Staatsdichterin der DDR“. Sie stirbt am 1. Dezember 2011 in Berlin.

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