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Nora oder Ein Puppenheim

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Nora oder Ein Puppenheim

Suhrkamp,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Ausbruch aus dem Puppenheim – oder „No more Mrs Nice Girl!“


Literatur­klassiker

  • Drama
  • Naturalismus

Worum es geht

Frau oder Mensch?

Ibsen hat sich dagegen verwahrt, mit Nora oder Ein Puppenheim ein Plädoyer für „die Sache der Frau“ im Sinn gehabt zu haben. „Ich bin mir nicht einmal darüber klar, was die Sache der Frau eigentlich ist“, formulierte er seinen Standpunkt, als er eine Ehrung von Feministinnen ablehnte. Und weiter: „Für mich hat sie sich als Sache des Menschen dargestellt.“ Den feministischen Gehalt des Stückes betrachtete er als erfreuliches Nebenprodukt seiner eigentlich dichterischen Absicht – der „Menschenschilderung“, wie er es nannte. In Nora gelangt die anfangs unreflektierte Protagonistin zur Erkenntnis, ein eigenständiger Mensch zu sein, statt bloß dekorative Zutat des Lebensentwurfs ihres unerträglich egozentrischen Gatten. Wenn auch diese radikale Wandlung erzähltechnisch nicht unbedingt überzeugt, hat Ibsen doch in der überaus lebendigen Schilderung der Nora sein künstlerisches Ideal erfüllt – und zudem ein politisches Stück geschrieben, ob mit Absicht oder nicht. Aus heutiger Sicht mag Ibsens Feminismus recht gönnerhaft, ja geradezu chauvinistisch wirken. Dennoch gebührt dem knorrigen Norweger das Verdienst, jene beiden Ideen, die Sache der Frau und die Sache des Menschen, in einem unvergänglichen Kunstwerk verschmolzen zu haben.

Take-aways

  • Der norwegische Dramatiker Henrik Ibsen hat mit Nora Ende des 19. Jahrhunderts Partei für die Frauenbefreiung ergriffen und Geschichte geschrieben.
  • Inhalt: Die naive Nora Helmer lebt ganz für ihren Mann und ihre Kinder. Das Idyll gerät ins Wanken, als sie wegen einer früheren Dummheit, einer gefälschten Unterschrift, erpresst wird. Nora versucht, die Sache geheim zu halten – ohne Erfolg. Ihr Mann erfährt davon und reagiert kaltherzig. Nora erkennt, dass sie ihn nie geliebt hat, und verlässt ihn und die Kinder, um das Erwachsenwerden auf eigene Faust nachzuholen.
  • Nora wurde vielerorts als skandalöser Angriff auf Sitte und Anstand, ja auf das Fundament der Gesellschaft betrachtet.
  • Ibsen hatte diese Empörung als verkaufsförderndes Moment einkalkuliert: Tatsächlich verkaufte sich das Buch blendend.
  • Sozialkritisch und an den Problemen der Gegenwart orientiert, ist Nora der literarischen Richtung des Naturalismus zuzuordnen.
  • Kennzeichnend ist Ibsens Verzicht auf gekünstelte Dialoge.
  • Anstelle göttlicher oder schicksalhafter Mächte bestimmen in Nora biologische, soziale und ökonomische Zwänge die Notwendigkeit des Handlungsverlaufs.
  • Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es selbst im fortschrittlichen Norwegen für eine Frau nur die Rolle der Gattin und Mutter, da sie rechtlich keine Eigenständigkeit besaß.
  • Um der Zensur den Boden zu entziehen, lieferte Ibsen einen alternativen, weniger skandalösen Schluss: Nora bleibt bei ihrem Mann, der Kinder wegen.
  • Zitat: „Ich muss versuchen, mich selbst zu erziehen. Und du bist nicht der Mann, mir dabei zu helfen. Das muss ich allein schaffen. Und darum geh’ ich jetzt weg von dir.“

Zusammenfassung

Eheliches Idyll

Im Haushalt des Advokaten Torvald Helmer sind die Weihnachtsvorbereitungen in vollem Gang. Helmer schimpft scherzhaft mit seiner Frau Nora, die einmal mehr beim Geschenkekaufen nicht hat maßhalten können. Seine neue Arbeitsstelle als Direktor einer Aktienbank tritt er erst im Januar an, bis dahin heißt es also noch sparsam wirtschaften. Dennoch ist er von Noras Naivität entzückt: Wiewohl selbst dreifache Mutter, hat seine Frau immer noch das Wesen eines Kindes. Sie ist seine „süße kleine Singlerche“, sein „Eichhörnchen“. Beide freuen sich auf das neue Jahr und die finanzielle Sicherheit, die mit der neuen Arbeit einhergeht. Helmer versichert Nora überdies, dass sie künftig nicht mehr so viel im Haushalt tun muss. Dann wird Besuch angemeldet, das Hausmädchen führt eine Frau Linde herein. Sie entpuppt sich als eine alte Jugendfreundin von Nora, Kristine. Die beiden haben sich fast zehn Jahre nicht gesehen. Kristine hatte geheiratet und war weggezogen. Nun ist sie verwitwet und will wieder in der Stadt Fuß fassen. Die Freundinnen schildern sich gegenseitig ihre Lebenssituationen. Noras Familienglück hebt sich krass von dem eher freudlosen Schicksal Frau Lindes ab.

Schatten der Vergangenheit

Dennoch nimmt Frau Linde an Noras Glück Anteil. Nicht allerdings, ohne sich ein wenig zu wundern, dass Nora noch immer nicht recht erwachsen geworden ist. Das mag Nora nicht auf sich sitzen lassen. Und ob sie sich verändert hat! Kristine ist nicht die einzige, die schwere Zeiten durchstehen musste! Auch sie hat gelitten: Nach ihrer Hochzeit wurde Helmer schwer krank. Es fehlte aber das Geld für eine Kur in Italien. Zum Glück half Noras Vater. Der lag zu dieser Zeit im Sterben. Weil Nora jedoch Helmer pflegen musste und zudem hochschwanger war, hatte sie keine Zeit, sich von ihm zu verabschieden, was sie noch immer sehr bedrückt. Immerhin kam Helmer in Italien wieder auf die Beine. Nun berichtet Kristine: Wie sie für ihre bettlägerige Mutter und ihre beiden kleinen Brüder sorgen musste und eine Vernunftehe einging, um der ärgsten Not zu entkommen; wie sie nach dem Tod ihres Mannes gekämpft hat, um sich über Wasser zu halten; wie sie schließlich beschloss, zurück in die Stadt zu ziehen, um hier ihr Glück zu versuchen. Nora verspricht ihr, sich bei ihrem Mann für sie einzusetzen. Vielleicht, dass eine Anstellung in der Bank dabei herausspringt? Kristine bedankt sich. Dabei schleicht sich jedoch eine gewisse Herablassung in ihre Worte. Sie nimmt Nora, was Lebenserfahrung angeht, nicht für voll. Die wiederum fühlt sich dadurch angestachelt, quasi als Beweis ihrer Schicksalstüchtigkeit ihrer Freundin ein Geheimnis zu verraten: Das Geld für die Italienreise stamme gar nicht von ihrem Vater, vielmehr habe sie sich die Summe auf andere Weise beschafft. Kristine fragt nach: Hatte sie das Geld von einem Verehrer? Hat sie es sich, obwohl Frauen per Gesetz nicht kreditfähig sind, dennoch auf irgendeinem Wege geliehen? Nora will es nicht verraten. Klar ist nur: Ihr Mann darf natürlich auf keinen Fall Wind von der Sache bekommen. Die Schulden sind auch schon fast abgetragen; sie hat die Raten von ihrem Haushaltsgeld abgezweigt und sich dazu noch als Schreibkraft verdingt.

Ein unangenehmer Zeitgenosse

Ein weiterer Gast wird angemeldet, Rechtsanwalt Krogstad, ein kleiner Angestellter bei der Aktienbank. Er will zu Helmer. Sichtlich erschrocken fragt Nora ihn nach seinem Anliegen. Krogstad hat Geschäftliches mit Helmer zu besprechen. Nora schickt ihn nach nebenan in dessen Büro. Dann tauscht sie sich mit Kristine über Krogstad aus: Die kennt den verwitweten Rechtsanwalt von früher. Auch hat sie das Gerücht gehört, er solle „alle möglichen Geschäfte treiben“. Nun gesellt sich Doktor Rank zu den Frauen, ein Hausfreund der Helmers, und unterhält sie mit seinem schwarzen Humor. Von Krogstad allerdings spricht er mit großem Ernst. Der sei „verdorben bis in die Charakterwurzeln“. Schließlich kommt auch Helmer dazu. Krogstad ist eben gegangen. Nora stellt Kristine ihrem Mann vor und schildert ihm die Lage ihrer Freundin. Tatsächlich: Helmer macht ihr Aussichten auf einen Job bei der Aktienbank.

Erpressung folgt auf Betrug

Anne-Marie, das alte Kindermädchen, die schon Noras Amme war, bringt die drei Kinder herein. Nora tollt ausgelassen mit ihren Sprösslingen im Wohnzimmer herum. Plötzlich steht Krogstad wieder da. Er will mit Nora unter vier Augen reden. Sie schickt die Kinder nach nebenan und erkundigt sich nervös nach seinem Anliegen. Krogstad fürchtet, diese Kristine Linde werde ihm seinen Job wegnehmen. Ob sich Nora nicht bei ihrem Mann für ihn einsetzen könne? Nora nimmt Anstoß an Krogstads Ton, sie will sich derlei von einem zukünftigen Untergebenen ihres Mannes nicht bieten lassen. Da wird Krogstad deutlicher. Er ist es nämlich, von dem Nora damals Geld geliehen hatte. Damit hat er sie nun in der Hand. Selbst wenn die Schulden beglichen sind, ja selbst wenn Nora sich damit abfindet, dass Helmer alles erfährt, hätte Krogstad noch ein Ass im Ärmel: den Schuldschein. Den hat zwar Noras Vater unterschrieben, jedoch seltsamerweise drei Tage nach seinem Tod, wenn der handschriftlichen Datierung des Schuldscheins zu trauen ist. Mit dieser Unstimmigkeit konfrontiert, gesteht Nora freimütig, die Unterschrift gefälscht zu haben. Offenbar ist sie sich der juristischen Dimension ihrer Tat nicht bewusst. Hat sie doch in bester Absicht gehandelt! Krogstad versucht, sie anhand seines eigenen Beispiels eines Besseren zu belehren: Auch er habe sich einmal etwas Ähnliches zuschulden kommen lassen und damit sein Leben verpfuscht. Umso wütender wird er nun seinen Job in der Bank verteidigen! Und sollte Nora nicht ihren Einfluss geltend machen und verhindern, dass Krogstad entlassen wird, dann ...

Das Idyll gerät ins Wanken

Erst nachdem Krogstad gegangen ist, entfalten seine Drohungen ihre Wirkung. Verzweifelt versucht Nora, die aufkeimenden Ängste zu verdrängen, und flüchtet sich in die Vorfreude auf ein idyllisches Weihnachtsfest. Als Helmer zurückkommt, fragt er nach Krogstad; er hat ihn eben rauskommen sehen. Nora tut, als wisse sie von nichts, muss aber schließlich zugeben, dass Krogstad bei ihr gewesen ist und sie um Fürsprache gebeten hat. Väterlich tadelt Helmer sein „Singvögelchen“ ob der Flunkerei. Auf Noras Bitte hin erzählt er ihr, was genau damals mit Krogstad gewesen ist: Unterschriften hat er gefälscht, auf die schiefe Bahn ist er geraten, hat sich durch Lügen und Mogeleien immer tiefer reingeritten. Solche Falschheit, so Helmer, vergifte das ganze Leben eines Menschen und infiziere sogar die Seelen seiner Freunde und Verwandten, vor allem die der Kinder. Voller Entsetzen erkennt Nora in Helmers Schilderung ihre eigene Lage.

„,Ich hab dir doch von der Reise nach Italien erzählt. Torvald hätte es nicht überstanden, wenn er nicht dorthin gekommen wäre –‘ / ,Na ja, dein Vater hat euch doch das Geld gegeben.‘ / ,Ja, das glauben Torvald und alle anderen, aber –‘ ,Aber – ?‘ / ,Papa hat uns nicht einen Heller gegeben. Ich habe das Geld beschafft.‘“ (Nora und Frau Linde, S. 23)

Heiligabend ist vorbei. Nora ist bereits mit den Vorbereitungen für das nächste Fest beschäftigt, einen Maskenball bei Bekannten. Doch all ihre Leichtigkeit ist dahin. Krampfhaft bemüht sie sich um gute Laune, während sie in Gedanken schon den Abschied von ihren Kindern und ihrer ganzen Existenz durchspielt. Sie werkelt an ihrem Kostüm, auf Helmers Wunsch ist es das eines neapolitanischen Fischermädchens, als Kristine vorbeischaut. Sie erkundigt sich nach Doktor Rank. Nora erzählt, dass der Doktor an Rückenmarksschwindsucht leidet, die von seinem leichtlebigen Vater auf ihn vererbt worden sei. Kristine äußert einen Verdacht: Ist etwa Doktor Rank jener geheimnisvolle Verehrer, von dem sich Nora Geld geliehen hat? Zwar kann Nora das Missverständnis ausräumen, doch Kristine spürt, dass sie etwas Bedeutendes verheimlicht. Doch jetzt kommt Helmer nach Hause und unterbricht Noras Geständnis. Nora bittet ihre Freundin, nach nebenan zu gehen. Sie empfängt Helmer mit einem Bericht über ihr Kostüm. Dann rückt sie mit der Sprache heraus und bittet Helmer, Krogstad nicht zu entlassen. Doch der Entschluss ist bereits gefasst und unumkehrbar: Kristine soll Krogstads Job bekommen. Helmer übergibt vor Noras Augen den Brief mit der Kündigung an das Hausmädchen. Nora reagiert panisch. Helmer versucht, sie zu beruhigen. Er glaubt, ihre Angst vor etwaigen Verleumdungen durch Krogstad sei unbegründet.

Ein verhängnisvoller Brief

Doktor Rank kommt herein. Nora unterhält sich mit ihm und er hat schreckliche Neuigkeiten: Seine Krankheit wird wohl innerhalb kurzer Zeit zum Tode führen. Er will dann heimlich und in Einsamkeit sterben, um seinen sensiblen Freund Helmer zu schonen. In bitteren Worten beklagt er die Ungerechtigkeit des Schicksals, müsse er doch für die Sünden seines Vaters büßen. Dann gesteht er Nora seine Liebe. Nora ist empört, lässt sich aber nicht die Gelegenheit entgehen, ihn um einen großen Gefallen zu bitten. Bevor sie jedoch zur Sache kommt, tritt das Hausmädchen ein und meldet einen Besucher an. Unter einem Vorwand bittet Nora den Doktor, zu Helmer ins Arbeitszimmer zu gehen. Nun empfängt sie den Besucher, Krogstad. Der macht ihr Vorwürfe, dass sie ihren Mann nicht davon abgehalten hat, ihm zu kündigen. Allerdings will er vorerst keine rechtlichen Konsequenzen folgen lassen. Stattdessen zeigt er Nora einen Brief an Helmer, in dem er die ganze Sache offenlegt. Helmer, so die damit verbundene Forderung, soll ihn zu verbesserten Bedingungen wieder einstellen. Nora ist bestürzt. Auf dem Weg hinaus wirft Krogstad den Brief in den Briefkasten. Den Schlüssel hat Helmer. Kristine kommt wieder ins Wohnzimmer. Nora gesteht ihr alles. Die Freundin ist entsetzt. Sie will mit Krogstad reden, ihn dazu bewegen, den Brief ungeöffnet von Helmer zurückzuverlangen. Als sie weg ist, geht Nora zu Helmer und bittet ihn, ihr beim Einüben der Tarantella zu helfen, eines Tanzes, den sie auf dem Ball vorführen will. Es gilt ja, ihren Mann um jeden Preis vom Briefkasten fernzuhalten.

„,Um Gottes Willen, Herr Krogstad, es steht überhaupt nicht in meiner Macht, Ihnen zu helfen.‘ / ,Weil Sie nicht wollen, aber ich habe Mittel, Sie zu zwingen.‘ / ,Sie wollen doch wohl meinem Mann nicht erzählen, dass ich Ihnen Geld schulde?‘ / ,Hm, wenn ich’s ihm nun erzählen würde?‘“ (Krogstad und Nora, S. 38)

Kristine sitzt im Wohnzimmer der Helmers und liest. Nora und Helmer sind auf dem Ball. Krogstad kommt herein. Kristine hatte ihn um ein Gespräch gebeten. Er beschuldigt sie, ihn seinerzeit kalt abserviert zu haben, um einen anderen zu heiraten. Doch Kristine stellt die Sache anders dar: Sie hat wider ihre Gefühle gehandelt, aus der Not, für ihre Brüder und ihre Mutter sorgen zu müssen. Nun macht sie ihm aber Hoffnungen auf einen zweiten Anlauf. Krogstad kann sein Glück gar nicht fassen. Er verspricht, ein besserer Mensch zu werden. Sie reden über den erpresserischen Brief. Krogstad bietet an, diesen ungeöffnet zurückzuverlangen. Doch Kristine will davon nichts hören. Die Dinge sollen nur ans Tageslicht, das sei für alle das Beste. Nun kommen die Helmers vom Fest zurück. Krogstad macht sich aus dem Staub.

Der Eklat

Im Aufbrechen raunt Kristine Nora zu, sie solle bloß reinen Tisch mit Helmer machen, da der Brief ohnehin alles aufdecken werde. Die Eheleute bleiben allein zurück. Helmer will seiner Frau an die Wäsche, doch die weist ihn zurück. Das mag Helmer nicht akzeptieren. Er sieht Nora als sein Eigentum. Dann kommt Doktor Rank herein, was Helmers Nachstellungen vorerst beendet. Der angetrunkene Doktor bleibt aber nur kurz, schnorrt sich von Helmer eine Zigarre und verschwindet wieder. Nun holt sich Helmer den Brief und geht in sein Zimmer, um ihn zu lesen. Nora martert sich mit Suizidgedanken. Helmers Reaktion fällt drastisch aus: Er fühlt sich schändlich betrogen, seiner Karriereperspektiven beraubt und wähnt sein Leben entheiligt. Er sagt sich radikal von Nora los. Zwar will er die Ehe aufrechterhalten, jedoch nur nach außen. Auch sollen Nora die Kinder weggenommen werden. Da klingelt es an der Tür. Ein weiterer Brief wird abgegeben. Er ist von Krogstad. Der Inhalt versetzt Helmer in helle Freude. Es ist der belastende Schuldschein nebst ein paar Zeilen des Bedauerns. Alles scheint wieder gut.

Das Puppenhaus entpuppt sich als Kartenhaus

Helmer frohlockt über die glückliche Wendung. Überschwänglich redet er auf Nora ein, beteuert, dass er ihr alles verzeiht. Doch Nora ist auf einmal ganz verändert. Starren Blicks nimmt sie Helmers Beteuerungen hin, legt ihr Kostüm ab, zieht ihr Alltagskleid an, begibt sich an den Tisch und fordert Helmer auf, sich ihr gegenüberzusetzen. Sie hat ihm eine Erklärung zu machen. Es ist eine „Abrechnung“ mit ihrer Ehe, die, wie ihr eben klargeworden ist, immer eine Farce war, eine dekorative Kulisse. Helmer sei an die Stelle ihres Vaters getreten, der Nora auch schon als bloßes Spielzeug, als „Puppenkind“ betrachtet habe. Helmer ist zunächst geschockt, sieht dann aber ein, dass die Vorwürfe zum Teil stimmen. Seine Forderung nach einer zweiten Chance lehnt Nora jedoch ab. Sie wird ihn und die Kinder verlassen, zurück in ihre „alte Heimat“ gehen, um zu sich selbst zu finden. Hier endet Helmers Verständnis. Seiner Meinung nach bedarf Nora der Führung und ist dem Leben auf eigene Faust nicht gewachsen. Doch Nora ist fest entschlossen. Und endlich sagt sie es auch in aller Deutlichkeit: Sie liebt Helmer nicht mehr. Das ist ihr klargeworden, als er sich angesichts der Enthüllungen nicht vor sie gestellt hat. Natürlich hätte Nora das nicht zugelassen, wäre sogar zum Suizid bereit gewesen, um es zu verhindern; es wäre aber die einzig richtige Reaktion gewesen. Nora erklärt Helmer zu einem Fremden und besiegelt, all seinem Flehen und Bitten zum Trotz, die Endgültigkeit der Trennung. Dann geht sie.

Zum Text

Aufbau und Stil

Nora oder Ein Puppenheim steht formal in einer Reihe mit zwei weiteren Dramen, in denen Ibsen gesellschaftliche Probleme seiner Zeit behandelt: Die Stützen der Gesellschaft (1877) und Gespenster (1881). Allen drei gemeinsam ist Ibsens Streben nach Verknappung. Besteht Stützen der Gesellschaft noch aus vier Akten, ist die Handlung in Nora wie in Gespenster auf nur noch drei Akte reduziert. Auch treten immer weniger handelnde Personen auf: 19 in Stützen der Gesellschaft, 9 in Nora und 6 in Gespenster. Diese Entwicklung war indes eine rein persönliche, literaturhistorisch hatte das alles wenig Neuigkeitswert. Auch verzichtete Ibsen gänzlich auf formale Innovation. Weder tastete er in Nora die klassische Dramenstruktur mit ihrer Einteilung in drei, vier oder höchstens fünf Akte an, noch die aristotelische Einheit von Raum und Zeit. Das Revolutionäre lag vielmehr in der realistischen Wiedergabe eines sozialen Milieus, mitsamt glaubhafter Figurengestaltung und Dialogen, deren ungezierte Natürlichkeit der Alltagssprache abgelauscht schien. Besonders lebendig ist Ibsens Charakterisierung der Hauptfigur, der kindlichen Nora. Ihr quirliges, flatterhaftes Wesen ist förmlich mit Händen zu greifen. Auch wenn ihre radikale Wandlung etwas aufgesetzt wirken mag: Meisterhaft ist, wie Ibsen den Dialog nutzt, um die Handlung voranzutreiben, bzw. wie er den in der Vergangenheit liegenden Teil der Handlung quasi nachliefert, ohne den Erzählfluss zu unterbrechen.

Interpretationsansätze

  • Mit Nora oder Ein Puppenheim übt Ibsen scharfe Kritik an der gesellschaftlichen Rollenverteilung seiner Zeit, die für Frauen nur die Aufgabe als gehorsame Ehefrau und Mutter vorsah.
  • Das Stück thematisiert das Eingebundensein des Menschen in ökonomische, soziale und biologische Zwänge, denen er nie ganz entkommen kann. Diese Idee der Vorherbestimmtheit ersetzt bei Ibsen den Begriff des Schicksals beziehungsweise des göttlichen Waltens, wie er besonders den Dramen der Antike zugrunde lag.
  • Nora lässt sich – mit dem Ausbrechen der Protagonistin aus dem Korsett ihrer familiären Pflichten – als Manifest der Befreiung lesen, als Stellungnahme für Kampf des Einzelnen gegen die Forderungen der Gesellschaft. Ibsen selbst richtete sein Leben nach einer streng individualistischen Philosophie aus.
  • Mit seinem in Nora verfolgten Ansatz, soziale Probleme zum Thema von Literatur zu machen, schuf Ibsen eines der ersten Werke des Naturalismus, einer literarischen Epoche, deren Maxime die ungeschönte Abbildung vor allem gesellschaftlicher Wirklichkeit war.
  • Psychoanalytische Lesarten des Stücks attestieren sowohl Nora Helmer als auch ihrem Gatten eine gestörte, krankhaft selbstbezogene Persönlichkeit. Ihre Ehe trägt Züge einer sogenannten narzisstischen Kollusion, eines Zusammenspiels zweier Narzissten, von denen der eine, mit seinem übersteigerten Selbstwertgefühl, dem anderen, ichschwachen Partner eine Projektionsfläche für dessen Größenwünsche bietet.

Historischer Hintergrund

Frauenrechte im Norwegen des 19. Jahrhunderts

Drei Kräfte formten im 19. Jahrhundert das Fundament des modernen Europas: technisch-wissenschaftlicher Fortschritt, Emanzipation des Bürgertums und die Nationalstaatsidee. Auch das abgelegene Norwegen nahm an der allgemeinen Entwicklung teil: Die Landwirtschaft verlor, die Städte gewannen an Bedeutung; Fischfang- und Textilindustrie brachten wirtschaftlichen Aufschwung; technische Innovationen wie der Telegraf ab 1853 und die Eisenbahn ab 1854 erhöhten Mobilität und Lebensqualität der Bevölkerung. Die norwegische Verfassung von 1814 war eine der liberalsten ihrer Zeit, und auch was die Stellung der Frau in der Gesellschaft betraf, war Norwegen unter den ersten Staaten, die Verbesserungen vornahmen. Dabei waren es zunächst vor allem unverheiratete Frauen, deren Lage untragbar wurde. Grundsätzlich behandelte das Gesetz Frauen wie Minderjährige. Waren sie verheiratet, stellte ihre Rechtlosigkeit der herrschenden Konvention zufolge kein größeres Problem dar; sie waren ja versorgt. Wie sie zuvor ihrem Vater unterstanden hatten, übernahm jetzt der Ehemann die Verantwortung. Wie aber sollte sich die große Zahl alleinstehender Frauen ernähren? Etwa ab Mitte des 19. Jahrhunderts rückten Frauenrechtlerinnen wie die norwegische Schriftstellerin Camilla Collett das Problem ins Licht der Öffentlichkeit. Mit Erfolg: 1839 wurde zumindest älteren oder kränklichen Frauen das Recht zugestanden, ein Handwerk auszuüben. 1845 wurde der Status der Volljährigkeit für alleinstehende Frauen über 25 eingeführt. 1865 sank diese Altersgrenze auf 21. Jetzt schlossen sich auch Norwegens kulturelle Leitfiguren der Reformbewegung an. Schriftsteller wie Henrik Ibsen und Bjørnstjerne Bjørnson folgten dem Aufruf des dänischen Publizisten Georg Brandes und machten ihre Kunst zum Vehikel des sozialen Fortschritts.

Entstehung

Die Idee für Nora kam Ibsen Anfang 1878. Schon lange hatte ihn das Thema Frauenrechte beschäftigt, inspiriert durch seine Bekanntschaft mit Camilla Collett. Sowohl in Bund der Jugend (1869) als auch in Stützen der Gesellschaft (1877) verarbeitete er feministische Motive. Privat war er übrigens eher konservativ; was die Frauen betraf, die ihm nahestanden, wollte er von Emanzipation nichts hören. Doch künstlerisch war er begierig, das Thema zu vertiefen. Den Aufhänger dazu lieferte ihm eine weitere Bekanntschaft: 1870 lernte er die talentierte Schriftstellerin Laura Smith Petersen (später: Laura Kieler) kennen, deren weiteres Schicksal das Vorbild für die Figur der Nora lieferte. 1876 erkrankte Lauras Ehemann Victor an Tuberkulose – um die lebensrettende Reise ins warme Italien zu finanzieren, machte seine Frau heimlich Schulden. Victor wurde gesund, doch Lauras Bemühungen, die Schulden loszuwerden, fruchteten nichts. In ihrer Verzweiflung fälschte sie einen Scheck. Als das aufflog, ging ihr Mann auf Abstand und nahm ihr die Kinder weg, woraufhin Laura einen Nervenzusammenbruch erlitt und in eine Klinik eingewiesen wurde. Ibsen hatte keine Skrupel, sich des Stoffs zu bedienen. Erste Vorarbeiten datieren vom Oktober 1878. Im September war Ibsen von München nach Rom umgezogen. Hier und im Küstenort Amalfi, genauer im Hotel Luna, einem ehemaligen Kloster, arbeitete er das neue Stück innerhalb weniger Monate aus. Ein erster Entwurf war im August 1879 fertig, die endgültige Fassung schickte Ibsen im September an seinen Verleger Frederik Hegel. Von der skandalträchtigen Thematik des Stückes versprach er sich reißenden Absatz.

Wirkungsgeschichte

Ibsen hatte richtig kalkuliert. Sein Angriff auf das traditionelle Familienideal sorgte für flammende Proteste und zugleich für prächtige Verkaufszahlen. Die erste Auflage von stolzen 8000 Exemplaren war binnen eines Monats ausverkauft, eine zweite hielt sich kaum länger in den Regalen. Bereits im März 1880 wurde eine dritte Auflage nötig. Die Uraufführung fand am 21. Dezember im Königlichen Theater in Kopenhagen statt, ebenfalls mit großem Erfolg. Sofort griffen weitere skandinavische Bühnen das Stück auf, und bald folgten erste fremdsprachige Versionen. Noch 1879 hatte Wilhelm Lange eine deutsche Übersetzung mit dem Titel Nora vorgelegt. Da er voraussah, dass Ibsens radikaler Schluss auf deutschen Bühnen Anstoß erregen würde, schlug er dem Autor vor, präventiv ein „Happy End“ zu verfassen. Ibsen folgte dem Rat. In der entschärften Version bleibt Nora bei Helmer, wegen der Kinder. Die meisten Bühnen entschieden sich jedoch schließlich für die Originalversion. Die Rezensenten fokussierten sich ohnehin weniger auf die moralische Aussage des Stücks als auf handwerkliche Schwächen. Hauptkritikpunkt war mangelnde Plausibilität: Der Bruch zwischen der gefügigen, naiven Kindfrau Nora der ersten beiden Akte und der eigenständigen, reflektierten Frauenrechtlerin am Ende des dritten Akts schien vielen Kritikern allzu unwahrscheinlich. So oder so, der Erfolg des Stücks hält, mit gewissen zeitgeschichtlich bedingten Schwankungen, bis heute an. Eine erste Verfilmung entstand 1911, über 20 weitere TV- oder Kinoversionen folgten. Der gesellschaftskritische, feministische Gehalt des Stücks besitzt heute zumindest im westlichen Kulturkreis nicht mehr die ursprüngliche Brisanz – wohl aber das von Ibsen behandelte Thema der Fremdbestimmung. Und in Ländern mit patriarchaler Gesellschaftsstruktur hat Nora keinen Deut an Aktualität verloren.

Über den Autor

Henrik Ibsen wird am 20. März 1828 als ältestes von fünf Geschwistern im norwegischen Skien geboren. Sein Vater ist ein erfolgreicher, aber auch risikofreudiger Geschäftsmann: 1835 geht er in Konkurs, die Familie muss den Ort verlassen. 1844 beginnt der Sohn eine Lehre als Apothekergehilfe in der Küstenstadt Grimstad. Er schreibt Gedichte sowie das Theaterstück Catilina und bereitet sich im Selbststudium auf das Abitur vor, um Medizin studieren zu können. 1850 zieht Ibsen in die Hauptstadt Kristiania (heute Oslo), kommt in Kontakt mit der revolutionären Arbeiterbewegung und schreibt Satiren. Catilina wird gedruckt, 1852 wird Ibsen Hausautor und Regisseur des Norwegischen Theaters in Bergen. 1856 spielt man dort sein nationalromantisches Stück Das Fest auf Solhaug (Gildet paa Solhoug). Ein Jahr später wechselt Ibsen zum Norwegischen Theater nach Kristiania. 1858 heiratet er Suzannah Thoresen, im folgenden Jahr wird Sohn Sigurd geboren. Ibsen engagiert sich für die norwegische Sprache und Kultur, hat aber wenig Erfolg; das Theater macht Bankrott und er gerät in Geldnöte. Ibsen wendet sich von der Nationalromantik ab, sucht sein Glück im Ausland und zieht mit der Familie 1864 nach Rom. Das Drama Peer Gynt von 1867 ist eine kritische Auseinandersetzung mit nationalromantischen Ideen und wird 1876 mit Edvard Griegs Musik am Kristiania-Theater uraufgeführt. 1868 zieht Ibsen mit seiner Familie nach Dresden. 1874 besucht er für einige Wochen sein Heimatland Norwegen und wird dort enthusiastisch begrüßt. Die Familie zieht nach München, dann wieder nach Rom. 1879 vollendet er das Schauspiel Nora oder Ein Puppenheim (Et Dukkehjem), das als Kampfschrift der Frauenemanzipation gelesen wird; zwei Jahre später folgt Gespenster (Gengangere), das wegen seiner provokanten Themen zunächst in Europa nicht aufgeführt wird. 1891 kehrt Ibsen nach Norwegen zurück. Er stirbt am 23. Mai 1906 nach einer Reihe von Schlaganfällen in Kristiania und erhält ein Staatsbegräbnis.

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