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Pygmalion

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Pygmalion

Romanze in fünf Akten

Suhrkamp,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Von der Göre zur Herzogin zur Powerfrau – die Geschichte einer Verwandlung.


Literatur­klassiker

  • Drama
  • Moderne

Worum es geht

Emanzipation einer Kunstfigur

Ein egozentrischer Professor holt eine zerlumpte, ordinäre Göre aus der Gosse und erzieht sie zur Lady. Sie streiten sich, dass die Fetzen fliegen, und finden am Ende doch zueinander. So oder ähnlich kennen wir Bernard Shaws Pygmalion als Filmversion oder Musicaladaption My Fair Lady: komisch, romantisch und mit unvergesslichen Melodien. Shaw hatte sich sein Stück allerdings ganz anders vorgestellt: als Sozialsatire über die feine englische Gesellschaft – Klassenkampf und Frauenpower inklusive. Doch diese Lesart wollte niemandem so recht schmecken. Und so begann ein nunmehr 100-jähriger Drahtseilakt zwischen Kunst und Kommerz. Der Großmeister der Ironie musste ironischerweise mit ansehen, wie Eliza Doolittle sich künstlerisch ein zweites Mal von ihrem Schöpfer emanzipierte, um in den starken Armen eines selbstherrlichen Frauenfeindes zu versinken. Wer sich das nicht antun will, sollte doch lieber das Original lesen.

Take-aways

  • Pygmalion machte Bernard Shaw zu einem der erfolgreichsten Dramatiker aller Zeiten.
  • Inhalt: Der egozentrische Sprachprofessor Henry Higgins wettet mit seinem Freund, er könne dem armen Blumenmädchen Eliza Doolittle ihren ordinären Proletarierjargon austreiben und es in wenigen Monaten in eine feine Dame verwandeln. Das Experiment gelingt. Da Higgins sich weigert, Eliza als fühlendes Wesen zu behandeln, wendet sie sich schließlich von ihm ab in der Absicht, einen jungen, mittellosen Verehrer zu heiraten.
  • Zentral ist die Bedeutung der Sprache als Machtinstrument.
  • Shaw untertitelte das Stück als „Romanze“, verstand es aber eher als Parodie derselben.
  • Vorbild des Stücks ist der antike Pygmalion-Mythos, in dem ein Bildhauer sich in eine von ihm erschaffene Skulptur verliebt. Shaw unterwandert den Mythos aber ironisch.
  • Shaw, ein überzeugter Sozialist und Feminist, gestaltet Elizas Verwandlung als Geschichte ihrer Emanzipation.
  • Regisseure, Schauspieler und Publikum sahen das anders: Sie wünschten sich ein konventionelles Happy End.
  • Shaw führte einen lebenslangen und letztlich aussichtslosen Kampf um die Deutungshoheit von Pygmalion.
  • In Filmversionen wird meist eine Romanze zwischen Eliza und Higgins angedeutet, ebenso in der Musicaladaption My Fair Lady.
  • Zitat: „Ich habe Blumen verkauft. Nicht mich. Nun haben Sie eine Dame aus mir gemacht, und ich kann nichts anderes mehr verkaufen.“

Zusammenfassung

Professor trifft Gassenmädchen

Um Schutz vor dem Regen zu finden, haben sich mehrere Leute unter ein Kirchenportal gestellt. Unter ihnen befindet sich auch Mrs Eynsford-Hill, die aus gutem Haus kommt, aber verarmt ist. Sie kommt mit ihrer Tochter Clara von einem Theaterbesuch im Londoner Covent Garden und wartet auf ihren Sohn Freddy, der ein Taxi besorgen wollte. Als dieser völlig durchnässt zurückkehrt, ohne ein Taxi aufgetrieben zu haben, schickt sie ihn erneut los. Da stößt Freddy mit dem 18-jährigen, ärmlich gekleideten Blumenmädchen Eliza, auch Liza genannt, zusammen und schlägt ihr versehentlich den Blumenkorb aus der Hand. Das Mädchen schimpft auf ihn ein und bringt Freddys Mutter dazu, sie für die verschmutzten Blumen zu entschädigen. Oberst Pickering, ein älterer, vornehm gekleideter Herr, macht sie auf einen Kerl aufmerksam, der eifrig mitschreibt. Es ist der Phonetikprofessor Henry Higgins. Eliza kreischt hysterisch, weil sie ihn für einen Polizeispitzel hält, der sie der Prostitution überführen will. Erst als Higgins beginnt, den Geburtsort jedes Anwesenden korrekt zu erraten, schlägt ihre Entrüstung in Neugier um. Der Regen hat inzwischen nachgelassen. Mrs Eynsford-Hill und Clara fahren mit dem Bus nach Hause, die Menge verläuft sich.

„Eine Frau, die derart abstoßende und widerwärtige Äußerungen von sich gibt, hat kein Recht, irgendwo zu sein, ja kein Recht zu leben!“ (Higgins zu Eliza, S. 19)

Pickering, Spezialist für indische Dialekte, und Higgins vertiefen sich in ein angeregtes Gespräch über Phonetik. Eliza plärrt allerdings immer wieder dazwischen, bis Higgins sie anherrscht, sie habe kein Recht, ihn mit ihren widerwärtigen Lauten heimzusuchen. Er versichert Pickering, er könnte aus der Gassengöre in wenigen Monaten eine Lady machen, die auf der Gartenparty des Botschafters als Herzogin durchginge – allerdings sei so ein Auftrag nicht lukrativ. Am Ende wirft Higgins Eliza noch mehrere Goldmünzen in den Blumenkorb. Als Freddy endlich mit einem Taxi erscheint und erfährt, dass Mutter und Schwester schon weg sind, lässt Eliza sich unter seinen verdutzten Blicken wie eine Dame nach Hause kutschieren.

Die Wette

Am nächsten Morgen wird Higgins von Pickering in seinem Sprachlabor besucht. Später meldet die Haushälterin Mrs Pearce ein Mädchen mit grauenhaftem Akzent an der Haustür, und Higgins beschließt, sie hereinzulassen, damit er seinem Freund die Funktionsweise des Phonographen demonstrieren kann. Als er Eliza erkennt, will er sie sofort fortscheuchen: Von ihrem Kauderwelsch habe er bereits genug gehört. Doch Eliza lässt sich nicht abwimmeln. Sie ist gekommen, um Higgins als Sprachlehrer anzuheuern. Ihr Ziel ist ein Job in einem Blumengeschäft, und dafür muss sie sich eine vornehmere Aussprache zulegen. Higgins verspottet sie zunächst nur. Doch als Pickering ihn an seinen Ausspruch vom Vortag erinnert, packt ihn der Ehrgeiz: Er wettet mit Pickering, dass er aus Eliza eine Lady machen kann. Sollte er verlieren, will der Oberst die Kosten des Experiments übernehmen.

„Eltern –? Bei mir nicht mehr drin. Rausgeschmissen habn sie ein. Dass ich mein Piepen selbst verdien. Wo ich angeblich alt genug bin.“ (Eliza, S. 32)

Plötzlich geht alles ganz schnell: Higgins befiehlt Mrs Pearce, Eliza gründlich abzuschrubben, ihre Kleider zu verbrennen und neue zu bestellen. Eliza protestiert, und Pickering gibt zu bedenken, dass das Mädchen durchaus Gefühle haben könnte. Als sie droht, zu verschwinden, stopft Higgins ihr Pralinen in den Mund und verheißt ihr noch mehr davon. Sie gibt ihren Widerstand auf und geht mit ins Bad. Pickering nimmt dem Professor das Versprechen ab, sich nicht an dem wehrlosen Mädchen zu vergreifen.

Eine Tochter für 5 Pfund

Plötzlich steht der Müllkutscher Alfred Doolittle, Elizas Vater, vor der Tür und fordert seine Tochter zurück. Ohne mit der Wimper zu zucken, antwortet Higgins, er solle sie sofort mitnehmen. Damit hat der gute Mann nicht gerechnet. Elizas sechste Stiefmutter hat seine Tochter rausgeworfen, damit sie sich ihren eigenen Unterhalt verdiene. In Wahrheit möchte Doolittle sie gar nicht zurück. Stattdessen fordert er 5 Pfund als Entschädigung. Higgins und Pickering starren ihn entgeistert an. Wenn er unehrenhafte Absichten vermuten würde, hätte er 50 verlangt, beeilt Doolittle sich zu versichern. Vor allem Pickering ist empört, doch Doolittle tut das als „Moral vom Mittelstand“ ab. Die Armut an sich störe ihn nicht, aber ein bisschen Spaß müsse auch für seinesgleichen mal sein. Higgins will ihm daraufhin 10 Pfund geben. Der Müllkutscher lehnt ab: Eine solche Summe würde ihn und seine Geliebte nur in Versuchung bringen, das Geld vernünftig zu investieren, anstatt es auf den Kopf zu hauen.

„Mann, haben Sie denn keine Moral? – Kann ich mich nicht leisten, Chef. Könnten Sie auch nicht, arm wie ich. Nicht dass ich einen schädigen will, wissen Sie. Aber wo Liza was von hat, warum nicht auch ich?“ (Pickering und Doolittle, S. 45)

Als Eliza blitzsauber, in einen japanischen Kimono gekleidet, hereinkommt, erkennt Doolittle seine eigene Tochter nicht wieder. Sie schwärmt von den weichen Bürsten, der duftenden Seife und dem warmen Wasser, missbilligt aber den Spiegel, den sie offenbar für unzüchtig hält. Doolittle streitet alle Schuld an dieser Prüderie ab. Er habe seine Tochter nicht zur Moral erzogen. Die einzige ihm bekannte Erziehungsmethode sei eine Tracht Prügel.

Besuchszeit bei Mutter

Einen Monat später besucht Higgins seine Mutter in ihrer geschmackvoll eingerichteten Stadtwohnung. Mrs Higgins würde ihn am liebsten wieder hinauswerfen, denn heute ist ihr Besuchstag, und ihr Sohn, der seine Mutter allen anderen Frauen vorzieht, vergrault immer ihre Gäste. Doch Higgins hat Eliza mitgebracht, damit seine Mutter sie in die Gesellschaft einführe. Sie solle sich keine Sorgen machen, beschwichtigt er sie, Eliza habe große Fortschritte gemacht, und er habe ihr aufgetragen, sich beim Small Talk auf die Themen Wetter und Gesundheit zu beschränken. Schon meldet sich der erste Besuch an: Es sind Pickering, Mrs Eynsford-Hill und ihre Kinder Clara und Freddy. Eliza sieht entzückend aus und hat einen glanzvollen Auftritt. Sie redet bereits akzentfrei, aber sehr gestelzt. Als Mrs Eynsford-Hill mit ihr übers Wetter plaudern will, erklärt Eliza in der Manier des Wetterberichts, das schwache Tief im Westen werde sich in Richtung Osten bewegen. Als man anschließend auf die grassierende Grippe zu sprechen kommt, entgleitet Eliza die Situation vollkommen: Sie erzählt die schauerliche Geschichte vom angeblichen Grippetod ihrer Tante, die in Wahrheit aber wohl umgebracht worden sei, weil man ihr einen Strohhut klauen wollte. Mrs Eynsford-Hill ist entsetzt, während Freddy sich prächtig amüsiert. Als Eliza sich verabschiedet, bietet er an, sie beim Spaziergang durch den Park zu begleiten. Einen „Scheißdreck“ werde sie tun, entgegnet Eliza vor schockierter Gesellschaft, sie nehme ein Taxi. Clara glaubt, dass es sich bei dieser Ausdrucksweise um die neuste Mode handelt. Sie ist fest entschlossen, den Gassenjargon zu imitieren.

„Ich kann mich mit jungen Frauen nicht abgeben. Meine Idealfrau ist möglichst wie du. Niemals werde ich es fertigbringen, junge Frauen ernsthaft zu lieben.“ (Higgins zu Mrs Higgins, S. 55)

Nachdem sich alle Gäste verabschiedet haben, nimmt Mrs Higgins ihren Sohn und Pickering ins Gebet. Sie möchte wissen, was sie sich dabei gedacht hätten, mit einem menschlichen Wesen zu spielen, als wäre es eine Puppe. Sie fragt die beiden, ob sie sich jemals Gedanken darüber gemacht hätten, was nach der Rosskur aus Eliza werden solle.

Aufstieg und Fall einer Herzogin

Monate später betritt die strahlend schöne Eliza in prächtiger Abendrobe Higgins’ Sprachlabor, die beiden Männer folgen ihr. Als Higgins seine Pantoffeln vermisst, steht sie schweigend auf, holt die Pantoffeln und stellt sie ihm vor die Füße. Der Professor ist bester Laune, denn offenbar hat er seine Wette gewonnen und Eliza in der Gesellschaft erfolgreich als Herzogin verkauft. Pickering ist sogar der Ansicht, dass sie besser war als jede echte Adlige. Die beiden scheinen erleichtert, dass nun alles vorbei ist. Eliza hört ihnen stumm zu und lässt ihrer aufgestauten Wut erst freien Lauf, nachdem die Männer zu Bett gegangen sind. Higgins kommt noch einmal zurück und verlangt nach seinen Pantoffeln. Eliza schleudert sie ihm entgegen und versucht, Higgins das Gesicht zu zerkratzen. Sie fühlt sich benutzt und weggeworfen, doch der Professor scheint nicht die leiseste Ahnung davon zu haben, was in ihr vorgeht. Zu allem Überfluss schlägt er vor, seine Mutter könne vielleicht einen vermögenden Heiratskandidaten für sie suchen.

„Ihr seid mir zwei richtige kleine Kinder, die mit einer lebenden Puppe spielen.“ (Mrs Higgins zu Higgins und Pickering, S. 67)

Eliza denkt nun ganz praktisch. Sie möchte wissen, welche der Kleider ihr gehören, und gibt ihm einen Ring zurück, den er ihr geschenkt hat. Higgins schleudert ihn aufgebracht ins Feuer und verlässt laut fluchend den Raum. Triumphierend ahmt sie ihn nach und sucht dann im Kamin nach dem Ring.

Der Fluch des Mittelstands

Am nächsten Tag erscheinen Higgins und Pickering aufgelöst vor Sorge bei Mrs Higgins. Eliza sei mitten in der Nacht verschwunden und habe am Morgen vor sieben Uhr ihre Sachen abgeholt. Die Polizei hätten sie schon informiert. Plötzlich steht Alfred Doolittle in elegantem Anzug vor ihnen. Anklagend zeigt er auf Higgins: An die Moral vom Mittelstand habe dieser ihn ausgeliefert und sein Leben ruiniert. Offenbar hat der Professor nach ihrer ersten Begegnung zum Spaß dem amerikanischen Philanthropen Ezra D. Wannafeller geschrieben und diesem von dem begabten Moralprediger und Müllkutscher Doolittle vorgeschwärmt. Bevor der Millionär starb, vermachte er Doolittle 3000 Pfund Jahresrente, unter der Bedingung, dass er bis zu sechsmal jährlich in einem seiner Sittlichkeitsreformvereine Vorträge halte.

„Du hast ja keine Ahnung, wie furchtbar interessant es ist, einen Menschen zu nehmen, ihm eine neue Sprache zu geben und ihn damit in einen anderen Menschen zu verwandeln. Es füllt die tiefste Kluft aus, die Klasse von Klasse und Seele von Seele trennt.“ (Higgins zu Mrs Higgins, S. 67)

Jetzt ist Doolittle also ein Gentleman, den alle um Geld anpumpen. 50 arme Verwandte seien plötzlich wie aus dem Nichts aufgetaucht, jammert der frischgebackene Moralprediger. Mrs Higgins wendet ein, dass er die Erbschaft ja nicht anzunehmen brauche. Aber Doolittle seufzt: Ihm bleibe die Wahl zwischen Armenhaus und Mittelstand, und da wähle er zähneknirschend den Mittelstand. Sofort legt Mrs Higgins ihm nahe, Eliza zu sich zu nehmen und ihr ein bequemes Leben zu bieten. Das wiederum will Higgins nicht zulassen: Eliza gehöre ihrem Vater nicht mehr, schließlich habe er 5 Pfund für sie bezahlt. Seiner Mutter reißt der Geduldsfaden: Eliza sei am Morgen zu ihr gekommen, nachdem sie sich vor lauter Verzweiflung fast in den Fluss gestürzt habe. Kein anerkennendes Wort, keinen Dank hätten Pickering und Higgins für sie übriggehabt, nur offenkundige Erleichterung darüber, dass nun alles vorbei sei. Und da wundere Higgins sich, dass er mit Pantoffeln beworfen worden sei? Mrs Higgins hätte stattdessen ein Feuereisen genommen.

Pickerings Schöpfung

Eine strahlende und selbstsichere Eliza tritt ein. Higgins schäumt vor Wut. Schließlich habe er sie nicht aus dem „vergammelten Abfall des Gemüsemarkts“ aufgehoben, damit sie jetzt vor ihm die feine Dame spiele. Eliza widerspricht: Als Blumenmädchen habe sie, ebenso wie Higgins, immer so gesprochen, wie ihr der Schnabel gewachsen sei. Ihren Wandel verdanke sie nicht der Phonetikdressur des Professors, sondern Pickerings Höflichkeit und Liebenswürdigkeit. Eliza ist überzeugt: Nicht wie sich eine Person benimmt, sondern wie man sie behandelt, macht den Unterscheid zwischen einer Dame und einem Blumenmädchen aus.

„Ich habe Blumen verkauft. Nicht mich. Nun haben Sie eine Dame aus mir gemacht, und ich kann nichts anderes mehr verkaufen.“ (Eliza zu Higgins, S. 77)

Doolittle lädt Eliza zu seiner eigenen Hochzeit ein, die noch heute ansteht. Auch Pickering und Mrs Higgins entschließen sich mitzugehen. Als sie sich umziehen gehen, bleiben der Professor und Eliza allein zurück. Higgins versucht umständlich, sie zur Rückkehr zu ihm zu bewegen. Allerdings solle sie sich nicht etwa einbilden, dass er sich ändern werde. Er behandle jeden gleich, egal ob Herzogin oder Blumenmädchen. Einen kurzen Moment lang zeigt er sich von seiner verletzlichen Seite. Er gesteht, dass er sich nicht nur an Elizas Äußeres gewöhnt, sondern auch ihre Seele und Gefühle schätzen gelernt habe. Aber seine Unabhängigkeit möchte er dafür nicht aufgeben.

„Wissen Sie, abgesehen von dem, was jeder sich aneignen kann – Kleidung, einwandfreie Aussprache und so weiter –, ist der Unterschied zwischen einer Dame und einem Blumenmädchen wirklich und wahrhaftig nicht, wie sie sich benimmt, sondern wie man sie behandelt.“ (Eliza, S. 93)

Eliza möchte wissen, warum Higgins all das getan habe, wenn sie ihm doch eigentlich egal sei. Aus professionellem Interesse, antwortet der Professor. Er möchte es bei einem Arrangement ohne gegenseitige Verpflichtungen belassen. Schließlich lässt Eliza durchblicken, dass Freddy ihr täglich Liebesbriefe schreibt und dass sie erwägt, ihn zu heiraten. Higgins ist außer sich. Diesen Schwachkopf? Eliza verteidigt Freddy und sagt, sie wünsche sich jemanden, der sie brauche und sie nicht wie Dreck behandle. Sie sei zu Higgins gekommen, um als Freundin für ihn da zu sein. Higgins bleibt unnahbar und verspottet sie als sentimentales Geschöpf aus der Gosse.

„Warum haben sie mir meine Unabhängigkeit genommen? Warum gab ich sie auf? Jetzt bin ich eine Sklavin, trotz all meiner schönen Kleider.“ (Eliza, S. 101)

Da verkündet Eliza, dass sie sich dem Konkurrenten des Professors als Assistentin anbieten und Phonetikunterricht geben werde. In den Zeitungen wolle sie verbreiten, wie sie es vom Blumenmädchen zur Herzogin gebracht habe – und dass sie jedes Mädchen in sechs Monaten genauso weit bringen werde. Higgins will ihr den Hals umdrehen. Dann aber ist er von ihrer Kaltblütigkeit angetan: Ein echtes Weib, keine Heulsuse, so gefalle sie ihm! Schließlich kommt Mrs Higgins herein, um Eliza für die Fahrt zur Trauung abzuholen. Eliza sagt dem Professor endgültig Lebewohl. Higgins ignoriert das und gibt ihr ein paar Besorgungen mit auf den Weg, worauf sie ihn mit Verachtung straft und hinausrauscht. Mrs Higgins äußert sich besorgt über Elizas verzogenes Benehmen, aber angesichts ihrer offenkundigen Zuneigung zu Pickering brauche sie sich um ihren Sohn ja keine Sorgen zu machen. Higgins bricht in brüllendes Gelächter aus. Pickering? Nein, Eliza werde Freddy heiraten!

Zum Text

Aufbau und Stil

Pygmalion trägt den Untertitel „Romanze in fünf Akten“. In Wahrheit handelt es sich eher um die Parodie eines romantischen Liebesabenteuers: Shaw wollte die Sehnsüchte der an schmierige Happy Ends gewohnten Zuschauer mit Ironie unterwandern. Die Heldin Eliza spricht im Original anfangs den Londoner Proletarierdialekt Cockney, und das damals sehr ordinäre Wort „bloody“ (etwa „verflucht“) benutzt sie auch dann noch, als sie sich den verräterischen Akzent längst abgewöhnt hat. Ihre Grammatikfehler schmerzen in den Ohren – viel schlimmer aber sind die intellektuellen Grobheiten, mit denen Professor Higgins Eliza verletzt. In der Nachfolge Henrik Ibsens, des Vorreiters des modernen, realistischen Dramas, schuf Shaw eine neue Gattungsform: das Diskussionsdrama. Hierbei liegt der Schwerpunkt nicht auf der Handlung, sondern auf meist satirisch überspitzten Dialogen zwischen den Vertretern verschiedener Klassen und ideologischer Ansichten. Mit dieser Form wollte Shaw auf soziale Missstände aufmerksam machen, um die Gesellschaft zum Besseren zu verändern.

Interpretationsansätze

  • Pygmalion erzählt die Geschichte einer Verwandlung und Loslösung: Nicht die hübschen Kleider und der andressierte Akzent machen die neue Eliza aus, sondern die Emanzipation von ihrem Schöpfer.
  • Neben dem antiken Pygmalion-Mythos spielt Shaw auch auf das Aschenputtel-Motiv an. Allerdings konterkariert er es ironisch und enttäuscht die gängigen Erwartungen des Publikums: Sein Aschenputtel zieht sich den Opferschuh nicht an, sondern wirft stattdessen mit Pantoffeln nach dem boshaften Prinzen.
  • Der Autor vertrat einen sozialistischen und feministischen Standpunkt: Sprache und Umgangsformen gehörten zu seiner Zeit zu den wichtigsten Klassenschranken. Echte persönliche und wirtschaftliche Freiheit konnten Frauen nach Shaws Ansicht nicht durch Heirat erlangen, sondern nur, indem sie sich von typisch weiblichen Eigenschaften und Verpflichtungen lossagten.
  • Das Stück wirft viele drängende gesellschaftliche Fragen auf: Was sind Sinn und Zweck von Erziehung? Wie kann das Individuum seine soziale Determiniertheit überwinden? Welchen Preis zahlt man für die Entwurzelung und ist es die Entfremdung überhaupt wert? Welche Verantwortung hat der Wissenschaftler gegenüber dem Forschungsobjekt Mensch? Und was kommt nach dem Experiment?
  • Das ambivalente Ende macht deutlich, dass es in einer komplexen Welt keine simplen Antworten gibt: Eliza fühlt sich zu Higgins hingezogen, und dieser könnte sich auch an sie gewöhnen. Aber das genügt nicht, um die Kluft zwischen beiden zu überwinden. Am Ende wird jeder auf sich selbst zurückgeworfen. Vor den Traualtar schreitet nicht die verdiente Heldin, sondern ihr versoffener Vater.
  • Anders als die ehrgeizige Tochter hat Alfred Doolittle – Nomen est Omen – nichts für seinen Aufstieg getan. Am Ende wird der Nichtsnutz bestraft: Die verhasste Moral der Mittelschicht raubt ihm seine Freiheit. Das erhoffte Glück bleibt für alle Beteiligten eine Illusion.

Historischer Hintergrund

Sprache als Herrschaftsinstrument

„Es ist einem Engländer unmöglich, den Mund aufzumachen, ohne sich den Hass oder die Verachtung irgendeines anderen Engländers zuzuziehen“, schrieb George Bernard Shaw in seinem Vorwort zu Pygmalion. Das sogenannte Queen’s English hatte sich im Lauf des 19. Jahrhunderts zum Erkennungszeichen der britischen Oberschicht entwickelt und wurde aktiv als solches gepflegt. Es basierte auf einer südenglischen Mundart, wurde in teuren Internatsschulen, in Oxford und Cambridge gesprochen und sorgte mit dafür, dass die Elite unter sich blieb. Der Phonetiker Daniel Jones, ein guter Bekannter Shaws, machte in den 1920er-Jahren den Begriff „Received Pronunciation“ (RP) für diesen Akzent populär: Er wollte damit ausdrücken, dass die Aussprache nicht vom Geburtsort eines Menschen, sondern von seiner Bildung und seiner sozialer Herkunft abhängt.

Etwa zwei Drittel der britischen Bevölkerung in der Viktorianischen Zeit (1837 bis 1901) gehörten der Unterschicht an. Mit der Einführung der universalen Schulpflicht im Jahr 1870 gewann die Arbeiterklasse jedoch an Selbstbewusstsein. In den 1880er-Jahren wurde in England eine der ersten Arbeiterparteien gegründet. Es kam zu gewalttätigen Streiks. Die „Arbeiteraristokraten“, gut ausgebildete Handwerker und Industriearbeiter, strebten bürgerliche Lebensverhältnisse an. Doch RP erwies sich fast ein ganzes Jahrhundert lang als Sprache der elitären Gesellschaft: Selbst als die BBC diese Aussprache als Standard durchsetzte, stieg der geschätzte Anteil von RP-Sprechern an der Gesamtbevölkerung nie über 3 bis 4 Prozent. Erst seit den 1960er-Jahren hat das einstige Markenzeichen britischer Korrektheit an Glanz verloren. Heute gilt RP vielen als elitär, arrogant und emotionslos: ein Relikt aus schlechteren Zeiten.

Entstehung

Der Sozialist und begeisterte Laienphonetiker Bernard Shaw ließ sich vom Pygmalion-Mythos inspirieren, um die Bedeutung von Erziehung und Sprache im Klassenkampf hervorzuheben. Der römische Dichter Ovid erzählte als Erster die Geschichte des Bildhauers Pygmalion, der sich in eine von ihm selbst erschaffene Frauenstatue verliebte. Die Liebesgöttin Venus erweckte Pygmalions Ideal schließlich zum Leben. Unzählige Dichter verarbeiteten den Stoff im 18. und 19. Jahrhundert. Meistens ging es dabei um das Wesen des Künstlers und um seine Rolle in der Welt. Doch Shaw entschied sich, den antiken Mythos in die Moderne zu übertragen, indem er das Kunstobjekt nicht nur von vornherein lebendig machte, sondern ihm auch den Wunsch nach Unabhängigkeit einhauchte.

Aus dem Künstler wird bei Shaw ein Erzieher, und mit diesem hatte der Autor einiges gemein. Der autobiografische Einfluss wird besonders deutlich am Beispiel der Briefe, die Shaw mit einer seiner Affären, der englischen Schauspielerin Stella Patrick Campbell, austauschte. Die Rolle der Eliza hatte er ihr auf den Leib geschrieben. Auch ihr Verhältnis endete unglücklich: „Du gehörst zu denen, die andere Leute nur dann respektieren, wenn sie sich noch wüster benehmen als Du selbst“, schrieb sie ihm verbittert. Und Shaw schickte der Vereinsamten kurz vor ihrem Tod einen alten Brief mit der Randbemerkung zurück: „Ich bin erstaunt über diesen Beweis von Skrupellosigkeit, mit der ich meine professionellen Tricks an Dir exerzierte. Trotzdem war es sehr genussreich.“

Wirkungsgeschichte

Pygmalion wurde am 16. Oktober 1913 mit großem Erfolg in deutscher Sprache am Wiener Hofburgtheater uraufgeführt. Erst ein halbes Jahr später sah es die Londoner Theaterszene zum ersten Mal in der Originalsprache. Shaw war nach dem Besuch der Aufführung fassungslos: Der Regisseur und die Schauspieler hatten seine Sozialsatire in eine süßliche Liebeskomödie verwandelt. Es war der Beginn eines lebenslangen Kampfes um die Deutungshoheit des Stücks.

Shaw verfasste 1916 ein Nachwort, das von der unromantischen, aber zweckdienlichen Heirat zwischen Eliza und Freddy berichtete. Die Macher verschiedener Verfilmungen in den 30er-Jahren versuchte er vertraglich daran zu hindern, eine Romanze zwischen dem Professor und dem Blumenmädchen anzudeuten – und wurde ignoriert. Schließlich schrieb er 1941 das Ende des Theaterstücks ganz um und ließ es mit Higgins’ höhnischem Lachen über Elizas Hochzeitspläne enden. Alles vergeblich: 1956, sechs Jahre nach Shaws Tod, wurde das Broadway-Musical My Fair Lady uraufgeführt und 1964 mit Audrey Hepburn in der Hauptrolle verfilmt. Eliza kehrt darin brav zu ihrem Professor zurück – womit der Librettist Alan Jay Lerner nach eigener Aussage lediglich Shaws persönliches „Fehlurteil“ korrigierte.

Pygmalion machte Shaw trotz oder gerade wegen dieser Metamorphosen zu einem der erfolgreichsten und meistgespielten Dramatiker aller Zeiten. Kaum ein anderes Stück hat so viele Blockbuster in unterschiedlichen Medien hervorgebracht.

Über den Autor

George Bernard Shaw wird am 26. Juli 1856 in Dublin als Sohn einer kleinbürgerlichen Familie geboren. Er geht 15-jährig von der ihm verhassten Schule ab und nimmt eine Arbeit als Büroangestellter an. Im gleichen Jahr verlässt seine Mutter die Familie und zieht mit ihrem Gesanglehrer und den zwei Töchtern nach London. Shaw folgt ihnen fünf Jahre später. In den städtischen Bibliotheken holt er die versäumte Bildung auf eigene Faust nach, arbeitet als Musik- und Theaterkritiker und schreibt zwischen 1879 und 1883 fünf Romane, die zunächst unveröffentlicht bleiben. 1884 tritt er der neu gegründeten Fabian Society bei, einer Bewegung sozialistischer Intellektueller, die gesellschaftliche Veränderungen mit friedlichen Mitteln vorantreiben wollen. Hier lernt er seine spätere Ehefrau Charlotte Payne-Townshend kennen. 1897 hat er seinen ersten großen Erfolg mit dem in New York uraufgeführten Stück The Devil’s Disciple (Der Teufelsschüler). Im Jahr 1913 wird sein berühmtestes Drama, Pygmalion, in Wien uraufgeführt. Shaw zieht als Kriegsgegner 1914 den Zorn der britischen Öffentlichkeit auf sich und prophezeit das Ende der besitzenden Klasse. Er kultiviert seine Rolle als Berufsprovokateur: Der strenge Vegetarier, Feminist, Atheist, Alkohol-, Tee- und Kaffee-Abstinenzler, Wolle-Träger und Verweigerer von Abendanzügen gilt als Schreck aller Dinnerpartys. Er sympathisiert zeitweise mit Hitler, Mussolini, Atatürk und Stalin, ist gegen Impfungen und für die Eugenik. Den Nobelpreis für Literatur will Shaw 1925 zunächst ablehnen, er nimmt ihn auf Druck seiner Frau aber doch an. 1939 erhält er den Oscar für das Drehbuch der Verfilmung von Pygmalion, eine Auszeichnung, die er als „Beleidigung“ abtut. Shaw schreibt emsig bis ins hohe Alter, darunter insgesamt 63 Dramen. Er stirbt 94-jährig am 2. November 1950 an Nierenversagen.

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