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Schachnovelle

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Schachnovelle

Fischer Tb,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
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Was ist drin?

Schachweltmeister Czentovic wird auf einer Schiffsreise von einem Unbekannten besiegt. Die Mitreisenden wittern eine Sensation ...


Literatur­klassiker

  • Novelle
  • Moderne

Worum es geht

Schach dem Terror

Eine Gruppe Reisender ist um das Jahr 1940 per Schiff von New York nach Buenos Aires unterwegs. Unter ihnen befindet sich auch der Schachweltmeister Czentovic. Einige Mitreisende fordern ihn zu einer Schachpartie heraus, die Czentovic ohne Anstrengung gewinnt. Erst als ein gewisser Dr. B. gegen ihn antritt, wendet sich das Blatt. Die Schachkünste dieses Herrn haben jedoch eine düstere Vorgeschichte, die in das von den Nazis besetzte Österreich zurückführt und im Lauf der Novelle aufgedeckt wird. Am Ende werden die Figuren erneut aufgestellt, und eine letzte dramatische Partie nimmt ihren Lauf ... Stefan Zweig, der selbst vor den Nazis nach Südamerika floh, schildert in der Schachnovelle auf eindringliche Weise die subtilen Foltermethoden der Nazidiktatur und die psychischen Folgen für die Opfer. Die Erzählung vermag mit ihrer eindringlichen Handlung und der eleganten Sprache auch Jahrzehnte nach ihrem ersten Erscheinen den Leser in ihren Bann zu ziehen.

Take-aways

  • Zweigs berühmte Novelle legt Zeugnis ab von den Gräueln, denen die Gegner des Nationalsozialismus ausgesetzt waren.
  • Auf der Schiffspassage nach Buenos Aires hat eine Gruppe Reisender im Schachspiel gegen den Weltmeister Czentovic keine Chance.
  • Doch plötzlich erreicht ein Unbekannter namens Dr. B. ein Remis gegen den Meister.
  • Weil die anderen den überheblichen Czentovic besiegt sehen wollen, bitten sie Dr. B. um eine weitere Partie. Widerwillig lässt er sich überreden.
  • Einem seiner Mitreisenden berichtet er, weshalb er eigentlich kein Schach mehr spielen wollte.
  • Als Rechtsanwalt mit Verbindungen zu Adel und Klerus wurde er am Tag des deutschen Einmarschs in Österreich von den Nazis festgenommen.
  • Die Belastungen der Isolationshaft versuchte er zu überstehen, indem er monatelang Schach gegen sich selber spielte - bis er einen Nervenzusammenbruch erlitt.
  • Auf diese Weise kam er aus der Haft frei, aber Schach spielen will er nicht mehr, um nicht einen neuen Zusammenbruch zu riskieren.
  • Um festzustellen, ob er einen wirklichen Gegner besiegen kann, tritt er erneut gegen Czentovic an - und gewinnt.
  • Als er sich auf eine Revanche einlässt, ist er dem psychischen Druck nicht mehr gewachsen und muss abbrechen.
  • Stefan Zweig schrieb die Novelle im Exil und verarbeitete darin zahlreiche autobiografische Elemente.
  • Sie ist sein letztes abgeschlossenes Werk vor seinem Selbstmord 1942 in Brasilien.

Zusammenfassung

Ein ungewöhnliches Schachgenie

Der Erzähler reist per Schiff von New York nach Buenos Aires. Bei der Abfahrt berichtet ihm ein Bekannter, dass eine Berühmtheit mit an Bord ist: Mirko Czentovic, der erst 21-jährige Schachweltmeister.

Der Erzähler erinnert sich, von diesem sonderbaren jungen Mann schon gehört zu haben. Czentovic stammt aus sehr bescheidenen Verhältnissen. Sein Vater, ein Schiffer, kam bei einem Unfall ums Leben, als der Junge zwölf Jahre alt war. Daraufhin nahm ihn der Pfarrer bei sich auf. Mirko erwies sich als ausgesprochen schwerfällig und stumpfsinnig. Trotz aller Bemühungen des Pfarrers lernte er nur mit größter Mühe Lesen und Rechnen, und wenn man ihm keine Arbeitsanweisungen gab, saß er einfach nur da und starrte vor sich hin. Auch wenn der Pfarrer abends mit dem Gendarmeriewachtmeister Schach spielte, saß Mirko stumm daneben und sah zu.

„‚Bileams Esel!’, rief erstaunt bei seiner Rückkehr der Pfarrer aus, dem weniger bibelfesten Gendarmeriewachtmeister erklärend, schon vor zweitausend Jahren hätte sich ein ähnliches Wunder ereignet, dass ein stummes Wesen plötzlich die Sprache der Weisheit gefunden habe.“ (S. 11)

Eines Abends mussten die beiden eine Schachpartie unterbrechen, weil der Pfarrer zu einer Sterbenden gerufen wurde. Auch der Wachtmeister wollte sich daraufhin auf den Heimweg machen, als er bemerkte, dass sich Mirko offensichtlich immer noch mit der angefangenen Partie beschäftigte. Die beiden setzten das Spiel fort - und der Junge besiegte den Wachtmeister ohne große Mühe. Ebenso schlug er den Pfarrer. Dieser nahm ihn daraufhin mit in die Stadt und stellte ihn den Mitgliedern des örtlichen Schachklubs vor. Auch gegen sie gewann er fast alle Spiele. Offensichtlich besaß der so stumpfsinnige Junge eine einzige Begabung: Schach zu spielen. Inzwischen ist Mirko Czentovic damit reich und berühmt geworden; er feiert als Schachspieler einen Erfolg nach dem anderen. Allerdings hat sein Genie eine Grenze: Czentovic kann nicht "blind" spielen, er braucht immer ein Schachbrett vor Augen. Trotz seiner Erfolge ist er in seiner Art gleich geblieben, er gilt als schwerfällig, ungebildet und eigenbrötlerisch. Zudem hat ihn sein plötzlicher Aufstieg überheblich bis zur Menschenverachtung werden lassen.

Ein Köder für Czentovic

Das Interesse des Erzählers an dem jungen Mann ist geweckt. Er möchte dieses Schachgenie unbedingt kennenlernen. In den folgenden Tagen unternimmt er mehrere Versuche, Kontakt zu Czentovic aufzunehmen, aber vergeblich, denn dieser verlässt seine Kabine nur selten und ist an Bekanntschaften nicht interessiert. Schließlich kommt dem Erzähler eine Idee: Er spielt zwar selbst nicht gut Schach, dennoch will er auf diesem Weg Czentovics Interesse wecken. Im Rauchsalon beginnt er mit seiner Frau eine Partie, in der Absicht, andere Schachspieler und schließlich auch Czentovic anzulocken. Bald sehen Mitreisende den beiden zu, und schließlich findet der Erzähler einen neuen Mitspieler, den reichen schottischen Ingenieur McConnor. Dieser spielt noch schlechter Schach als der Erzähler, aber er ist sehr ehrgeizig und kann eine Niederlage nicht ertragen. So treten die beiden immer wieder gegeneinander an - bis einige Tage später tatsächlich Czentovic an ihren Tisch kommt und einen einzigen Zug McConnors beobachtet. Das reicht dem Weltmeister aber offensichtlich schon, er wendet sich gelangweilt wieder zum Gehen. Für den Erzähler ist es einleuchtend, dass ein Fachmann wie Czentovic am Spiel zweier Dilettanten kein Interesse haben kann, ganz anders jedoch McConnor: Als er erfährt, wer hier sein Spiel mit so viel Verachtung gestraft hat, ist sein Ehrgeiz geweckt. Er möchte unbedingt gegen Czentovic spielen, und tatsächlich kann er den Meister mit dem Angebot eines hohen Honorars bewegen, gegen die übrigen Schachspieler an Bord zu einer Simultanpartie anzutreten.

Simultanschach

Zum vereinbarten Termin am folgenden Nachmittag lässt Czentovic seine Mitspieler erst einmal warten. Als er endlich erscheint, legt er die Bedingungen fest: Alle anderen werden gemeinsam gegen ihn spielen, er selbst zieht sich bei den Beratungen seiner Gegner in eine Ecke des Salons zurück und kommt auf ein Signal hin wieder an den Tisch. Die übrigen Mitspieler, durch Czentovics überhebliches Auftreten schon eingeschüchtert, stimmen allen Vorschlägen zu.

„Dass nun ein Weltschachmeister ein halbes Dutzend mittlerer oder untermittlerer Spieler mit der linken Hand niederfegt, war an sich wenig erstaunlich; verdrießlich wirkte eigentlich auf uns alle nur die präpotente Art, mit der Czentovic es uns allzu deutlich fühlen ließ, dass er uns mit der linken Hand erledigte.“ (S. 33)

Der Weltmeister lässt seine Gegner deutlich spüren, dass er sich für überlegen hält: Er spielt mit betonter Lässigkeit und würdigt die anderen kaum eines Blickes. Wie erwartet hat er sie nach kurzer Zeit mattgesetzt. Dieses arrogante Verhalten spornt McConnors Ehrgeiz erst recht an, er fordert erregt eine Revanche, und Czentovic geht darauf ein. McConnor spielt konzentriert und verbissen, aber es ist klar, dass er wie auch die ganze Gruppe gegen den Weltmeister keine Chance hat - bis sich plötzlich ein Fremder in die Partie einmischt, der sich mit dem Schachspiel offensichtlich gut auskennt. Präzise sagt er Czentovics Züge voraus, bringt diesen zum ersten Mal in Bedrängnis und erreicht am Ende der schon verfahrenen Partie noch ein Remis.

„Schon rührte McConnor den Bauern an, um ihn auf das letzte Feld zu schieben, als er sich jäh am Arm gepackt fühlte und jemand leise und heftig flüsterte: ‚Um Gottes willen! Nicht!’ Unwillkürlich wandten wir uns alle um.“ (S. 37)

Seine Mitspieler sind begeistert und fordern den Unbekannten, der sich Dr. B. nennt, auf, nun allein gegen Czentovic zu spielen. Doch da reagiert der Fremde auf eine seltsame Weise: Mit der Entschuldigung, er sei noch nie ein guter Spieler gewesen und hätte auch seit seiner Schulzeit nicht mehr vor einem Schachbrett gesessen, verlässt er den Raum - sehr zur Verblüffung der anderen.

Dr. B.s Bericht

Die übrigen Schachspieler haben jetzt nur noch einen Wunsch: den arroganten Czentovic gedemütigt zu sehen. Weil der geheimnisvolle Fremde offensichtlich als Einziger dem Weltmeister Paroli bieten kann, soll er gegen ihn spielen und ihn besiegen. Da der Erzähler, ebenso wie der geheimnisvolle Dr. B., aus Österreich stammt, wird er damit beauftragt, diesen um eine weitere Partie gegen Czentovic zu bitten. Der Fremde reagiert überrascht auf dieses Ansinnen, umso mehr, als er erst jetzt erfährt, wer sein Gegner war. Wieder betont er, dass er seit Jahren kein Schachbrett mehr vor sich gehabt habe. Als der Erzähler sich über die Schachkenntnisse des Fremden wundert, erzählt dieser ihm seine Geschichte.

„Und immer um mich nur der Tisch, der Schrank, das Bett, die Tapete, das Fenster, keine Ablenkung, kein Buch, keine Zeitung, kein fremdes Gesicht, kein Bleistift, um etwas zu notieren, kein Zündholz, um damit zu spielen, nichts, nichts, nichts.“ (Dr. B., S. 61)

Dr. B. ist Angehöriger einer hoch angesehenen österreichischen Familie. Zusammen mit seinem Onkel betrieb er eine Anwaltskanzlei, die sich jedoch nicht mit gewöhnlichen Rechtsstreitigkeiten befasste: Hauptaufgabe der Kanzlei war die Vermögensverwaltung für Kirche und Hochadel, eine Tätigkeit, die absolute Verschwiegenheit und Diskretion erforderte. Dementsprechend liefen die meisten Geschäfte im Geheimen. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland hatten diese bald auch in Österreich ihre Spitzel. Die geheimnisvolle Anwaltskanzlei mit ihren Verbindungen in höchste Kreise geriet bald in ihr Visier; es gelang ihnen, auch dort einen Spitzel einzuschleusen. Bereits an dem Abend bevor Hitler in Wien einzog, wurde Dr. B. verhaftet und in das Gestapo-Hauptquartier gebracht, ein ehemaliges Hotel.

„Allmählich spürte ich, wie meine Nerven unter diesem grässlichen Druck des Nichts sich zu lockern begannen, und ich spannte, der Gefahr bewusst, bis zum Zerreißen meine Nerven, irgendeine Ablenkung zu finden oder zu erfinden.“ (Dr. B., S. 62)

Ziel der Gestapo war es, vertrauliche Informationen aus dem Anwalt herauszupressen. Um den Gefangenen mürbe zu machen, wurde er über Monate in Isolationshaft gehalten. Niemand sprach mit ihm, er hatte keine Kontakte nach außen, war den ganzen Tag in seinem Zimmer allein und durfte außer dem spärlichen Mobiliar überhaupt keine Gegenstände haben. Durch das einzige Fenster sah er nur auf eine Brandmauer hinaus. Dadurch hatte er weder Ablenkung noch geistige Anregung. Einzige Unterbrechung des tristen Daseins waren gelegentliche Verhöre, die zu jeder Tages- und Nachtzeit stattfinden konnten.

„Und dann wünschte ich mir, es sollte ein Werk sein, das mich geistig anstrengte, nichts Flaches, nichts Leichtes, sondern etwas, das man lernen, auswendig lernen konnte, Gedichte, und am besten - welcher verwegene Traum - Goethe oder Homer.“ (Dr. B., S. 71)

Dr. B. spürte, wie diese Taktik ihn zermürbte. Die komplette Isolation zerrte an seinen Nerven, und wenn er nach einem Verhör wieder allein in seinem Zimmer saß, grübelte er endlos über seine Aussagen nach und darüber, wie viel seine Peiniger wohl schon über seine Aktivitäten wussten. Er fürchtete, dass er dieser Art von Folter irgendwann nicht mehr gewachsen sein und alles verraten würde, was die Gestapo von ihm erfahren wollte.

Das Schachbuch

Eines Tages wurde er wieder zum Verhör gerufen und musste in einem Vorzimmer zwei Stunden lang stehend warten. Immerhin war es endlich einmal eine neue Umgebung mit neuen Eindrücken für ihn, und begierig nahm er jedes Detail des Zimmers in sich auf. An der Garderobe hingen mehrere Militärmäntel, und plötzlich bemerkte er, dass in einer der Manteltaschen etwas Viereckiges steckte - offensichtlich ein Buch. Dr. B. begann zu zittern. Bücher waren ihm seit Monaten verwehrt, und er gierte nach geistiger Anregung. Trotz der Bewachung gelang es ihm, das Buch aus der Manteltasche zu nehmen, es unter den Hosenbund zu stecken und in seine Zelle zu schmuggeln.

„Aber schon die flüchtigste Überlegung dürfte ausreichen, um klarzumachen, dass beim Schach als einem reinen, vom Zufall abgelösten Denkspiel es logischerweise eine Absurdität bedeutet, gegen sich selbst spielen zu wollen.“ (Dr. B., S. 77)

Aber wie groß war seine Enttäuschung, als er sah, was ihm da in die Hände gefallen war: Das Buch enthielt überhaupt keinen Text, es war lediglich eine Sammlung berühmter Schachpartien. Dr. B. war kein guter Schachspieler, er konnte zunächst mit den merkwürdigen Symbolen überhaupt nichts anfangen und ohne Schachbrett die Partien auch nicht nachspielen. Aber in seiner Isolation war das Buch die einzige Abwechslung, also beschäftigte er sich notgedrungen damit. Aus Brotresten bastelte er sich Figuren und versuchte, auf seiner karierten Bettdecke die Partien aus dem Buch nachzustellen. Die Figuren waren kaum zu gebrauchen und zerbröselten schnell - bald allerdings brauchte er sie nicht mehr, denn er konnte sich die Konstellationen nun vorstellen und "blind" spielen.

„Selbstverständlich bin ich mir heute ganz im Klaren, dass dieser mein Zustand schon eine durchaus pathologische Form geistiger Überreizung war, für die ich eben keinen andern Namen finde als den bisher medizinisch unbekannten: eine Schachvergiftung.“ (Dr. B., S. 85 f.)

Nun hatte er eine Beschäftigung gefunden, die ihm seine Einsamkeit erträglich machte. Täglich spielte er mehrere Schachpartien aus dem Buch nach. Die Beschäftigung regte ihn an, und bald war er auch in den Verhören wieder konzentrierter. Irgendwann aber kannte er alle Partien in- und auswendig, das Buch bot ihm keine Abwechslung mehr. Um nicht wieder der endlosen Leere der Isolationshaft ausgeliefert zu sein, beschloss er, nun in Gedanken gegen sich selbst zu spielen. Eine paradoxe Situation, denn er kannte ja bereits die Züge seines "Gegners", hätte sich also in zwei getrennte Persönlichkeiten aufspalten müssen. Er steigerte sich in dieses Spiel gegen sich selbst hinein, dachte nur noch an Schach, konnte kaum noch schlafen und zermürbte sich immer mehr. Irgendwann erlitt er einen Nervenzusammenbruch und verletzte sich dabei an der Hand. Nach einigen Tagen kam er in einer Klinik wieder zu sich. Der Arzt hatte Verständnis für Dr. B.s Zustand und erwirkte, dass der Häftling entlassen wurde und emigrieren durfte. Er gab seinem Patienten den dringenden Rat, kein Schach mehr zu spielen.

„Das Unwahrscheinliche hatte sich ereignet, der Weltmeister, der Champion zahlloser Turniere hatte die Fahne gestrichen vor einem Unbekannten, einem Manne, der zwanzig oder fünfundzwanzig Jahre kein Schachbrett angerührt.“ (S. 102)

Nun, während der Reise nach Buenos Aires, hat er bei der Partie gegen Czentovic zum ersten Mal seit langer Zeit vor einem richtigen Schachbrett gesessen und gegen einen wirklichen Gegner gespielt. Er fürchtet, rückfällig zu werden, aber zugleich möchte er doch ein einziges Mal noch ein Schachspiel in der Realität versuchen. Also wird für den nächsten Tag eine Partie gegen Czentovic vereinbart.

Sieg und Niederlage

Czentovic erscheint pünktlich, und eine Menge Zuschauer haben sich eingefunden. Sie verlieren jedoch bald das Interesse, da die Partie so kompliziert verläuft. Czentovic spielt jetzt hoch konzentriert und braucht für seine Züge immer längere Bedenkzeit. Dr. B., der erst noch ganz entspannt bleibt, wird durch das lange Warten immer nervöser - er kombiniert wesentlich schneller als sein Gegner und hat dessen Züge längst vorausberechnet. Schließlich geschieht das Unerwartete: Dr. B. schlägt den berühmten Schachmeister. Dieser bietet noch eine Partie an, und Dr. B., nun schon sichtlich erregt, geht darauf ein. Die Warnungen des Erzählers weist er zurück.

„‚Schade’, sagte er großmütig. ‚Der Angriff war gar nicht so übel disponiert. Für einen Dilettanten ist dieser Herr eigentlich ungewöhnlich begabt.’“ (Czentovic über Dr. B., S. 110)

Czentovic hat inzwischen bemerkt, dass er seinen Gegner aus der Fassung bringen kann, wenn er sich mit seinen Zügen viel Zeit lässt. Das ist vermutlich seine einzige Chance, gegen Dr. B. zu gewinnen. So zögert Czentovic nun selbst die einfachsten Züge endlos hinaus. Dr. B. steigert sich immer mehr in seine Erregung hinein, wird erst aggressiv und dann zunehmend geistesabwesend. Anscheinend spielt er in Czentovics langen Denkpausen andere Partien durch. Schließlich macht er einen falschen Zug und redet wirr - offensichtlich befindet er sich gedanklich in einem anderen Spiel.

Nun erinnert ihn der Erzähler mit einem Hinweis auf die Narbe an der Hand an seinen Zusammenbruch und den Vorsatz, nur eine einzige Partie zu spielen. Es gelingt Dr. B., sich wieder zu fassen. Er entschuldigt sich für sein Benehmen und verlässt den Raum, nicht ohne zuvor verkündet zu haben, von nun an nie wieder Schach zu spielen. Die übrigen Beteiligten bleiben ratlos zurück.

Zum Text

Aufbau und Stil

Die Schachnovelle besitzt außer Absätzen keine weitere Untergliederung. Ein Ich-Erzähler berichtet über die Ereignisse auf einer Schiffspassage von der Abfahrt in New York bis zum Ende der letzten Schachpartie des Dr. B. Die Handlung spielt sich binnen weniger Tage ab. Sie wird durch zwei Einschübe unterbrochen: die Erinnerung des Erzählers an den Aufstieg Czentovics als Schachspieler und den Bericht Dr. B.s über seine Zeit in der Isolationshaft, der ebenfalls in der Ich-Form wiedergegeben wird. Der Erzähler der Novelle bleibt als Person eher im Hintergrund, sein Name wird, ebenso wie der seiner Frau und seines Bekannten, nicht genannt. Die Namen der anderen Figuren werden dagegen erwähnt - mit einer Ausnahme: Auch Dr. B.s vollständigen Namen erfährt der Leser nicht.

Interpretationsansätze

  • Das Schachspiel steht symbolisch für die Auseinandersetzung mit dem Terror: Für Dr. B. ist die geistige Beschäftigung mit Schach eine Strategie, die Folter der Nazis zu überleben. In gewissem Maße gelingt das (er wird aus der Haft entlassen, ohne seine Geheimnisse verraten zu haben), aber er ruiniert dafür seine psychische Gesundheit. Der Geist kann über die rohe Gewalt triumphieren, aber er wird dabei beschädigt.
  • Im Zentrum der Schachnovelle steht die Auseinandersetzung zwischen dem primitiven Mirko Czentovic, der Schach spielt wie ein Roboter, und dem Intellektuellen Dr. B. Der gebildete, geistreiche Österreicher steht für die humanistische Tradition, die alten Werte Europas, die durch das Aufkommen des Nationalsozialismus aufs Höchste bedroht wurden.
  • Czentovics Persönlichkeitsstruktur weist einige auffällige Ähnlichkeiten mit der Primitivität und Menschenverachtung der Nationalsozialisten auf. Wie diese setzt er psychologischen Druck ein, um Dr. B. in die Knie zu zwingen.
  • Die Geschichte endet mit einem resignierten Fazit: In der Auseinandersetzung mit Terror und Menschenverachtung sind Intelligenz und Geist machtlos, so Stefan Zweig, das Böse wird sich mit seinen Mitteln gegen sie durchsetzen. Vielleicht war es dieselbe resignative Grundstimmung, die Zweig dazu brachte, seinem Leben im Exil ein Ende zu setzen.
  • Die Novelle zeigt auf eindrückliche Weise: Isolationshaft ist Folter und richtet bleibende Schäden an. In Zeiten, da in den USA und auch in Europa wieder über die Legitimität solcher Maßnahmen diskutiert wird, sollte diese Erkenntnis, die man aus Zweigs Novelle gewinnen kann, nicht vergessen werden.

Historischer Hintergrund

Österreich zwischen den Weltkriegen

Wie in anderen europäischen Staaten waren die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg auch für Österreich eine Zeit der Umbrüche. 1918 wurde die Monarchie abgeschafft und die Republik ausgerufen. Die junge Demokratie hatte mit gravierenden innenpolitischen Problemen zu kämpfen: Zur schwierigen wirtschaftlichen Lage und der Inflation kam eine wachsende politische Radikalisierung. Wie in anderen Ländern versuchten auch in Österreich extreme politische Kräfte, Nationalsozialisten und Kommunisten, die junge Republik zu schwächen und die Macht an sich zu reißen. Bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Nationalsozialisten und Sozialdemokraten, zwischen verschiedenen Wehrverbänden unterschiedlicher politischer Ausrichtung bestimmten in dieser Zeit den Alltag. Die wachsende Arbeitslosigkeit gab den radikalen Parteien weiteren Zulauf.

1932 wurde Engelbert Dollfuß zum Bundeskanzler gewählt. Ein Jahr lang stand er an der Spitze einer demokratischen Regierung, dann fasste er ein anderes Ziel ins Auge: eine faschistische Diktatur nach dem Vorbild Italiens. Ab März 1933 regierte er ohne das Parlament, führte eine strenge Zensur ein und verbot alle Parteien außer der Einheitspartei "Vaterländische Front". Von dem Verbot betroffen waren auch die Nationalsozialisten. Daraufhin unternahmen sie am 25. Juli einen Putschversuch, bei dem Dollfuß erschossen wurde. Der darauf folgende nationalsozialistische Aufstand konnte niedergeschlagen werden. Nun übernahm Kurt Schuschnigg das Amt des Kanzlers; die politische Lage blieb weiterhin instabil. Insbesondere vonseiten Adolf Hitlers, der einen Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich anstrebte, geriet die Regierung in den Folgejahren zunehmend unter Druck. Im März 1938 schließlich stellte das Hitler-Regime Österreich ein Ultimatum und forderte eine Beteiligung nationalsozialistischer Politiker an der Regierung. Kurt Schuschnigg trat unter diesem Druck am 11. März 1938 zurück, hatte aber zuvor für den 13. März noch eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Österreichs angesetzt. Dazu kam es nicht mehr: Am 12. März rückten deutsche Truppen in Österreich ein, die ersten Regimegegner wurden noch am selben Tag verhaftet. Einen Tag später war der "Anschluss" offiziell vollzogen.

Entstehung

Stefan Zweig schrieb die Schachnovelle Ende 1941 im Exil in Petrópolis, Brasilien. Die Erzählung spiegelt in vielem sein eigenes Erleben wider. Zweig war zwar schon einige Jahre vor dem Einmarsch deutscher Soldaten in Österreich nach England emigriert. Als Jude und Pazifist hatte er bereits während der Dollfuß-Diktatur den Terror des Faschismus zu spüren bekommen. Stark autobiografische Züge trägt der Protagonist der Erzählung, Dr. B. Wie dieser war Stefan Zweig vor dem Terror der Nazis aus Europa in die USA geflüchtet und dann per Schiff weiter nach Brasilien gereist. Auch Zweig kannte die psychischen Folgen des Terrors. Zwar hatte er keine Isolationshaft durchmachen müssen, aber der Weltkrieg und die militärischen Erfolge der faschistischen Staaten zermürbten ihn so sehr, dass er zunehmend an Depressionen litt. In dieser Stimmung entstand die Schachnovelle, und ihrem resignierten Ende ist die Bedrückung des Autors deutlich anzumerken. Mit genauen Datumsangaben nahm Zweig in der Novelle zum ersten Mal in seinem literarischen Schaffen klar und eindeutig auf das politische Geschehen in seiner Heimat Bezug: Dr. B. wird exakt an dem Tag verhaftet, als die deutsche Armee in Österreich einmarschiert. Das Nachspielen von Schachpartien aus einem Buch war Zweig bekannt, er hatte sich 1941 in Brasilien selbst ein Schachbuch gekauft und Partien daraus gespielt. Die Schachnovelle ist das letzte Werk, das Stefan Zweig vor seinem Freitod abschloss. Das Manuskript verschickte er am 21. Februar 1942 an seinen Verleger - kurz vor dem gemeinsam mit seiner Frau begangenen Suizid.

Wirkungsgeschichte

Stefan Zweig selbst hielt nicht viel von der Schachnovelle, er fand den Text, wie er bekannte, "zu abstrakt für das große Publikum, zu abseitig in seinem Thema". Mag sein, dass er bei dieser Aussage schon seiner depressiven Stimmung erlegen war, denn das Werk erwies sich als ausgesprochen erfolgreich. Als er die Schachnovelle schrieb, konnte Zweig schon auf etliche Jahre schriftstellerischer Erfolge zurückblicken und besaß ein festes Publikum; manche bezeichnen ihn gar als den erfolgreichsten deutschen Schriftsteller der 20er und 30er Jahre. Entsprechend wurde auch das neue Werk begeistert aufgenommen. Die tragischen Umstände seiner Entstehung und Veröffentlichung taten natürlich ihr Übriges. Einige Kritiker bemängelten Unstimmigkeiten in der Handlung. Sie kritisierten etwa, dass die geistige Entwicklung beider Schachspieler unwahrscheinlich sei, denn es sei ebenso unmöglich, bei beschränkter Vorstellungskraft gut Schach zu spielen, wie die Kunst des Schachspiels ganz allein nur mithilfe eines Buches zu lernen. Dennoch war die Novelle international der größte Erfolg Stefan Zweigs, sie wurde in viele Sprachen übersetzt und 1960 unter der Regie von Gerd Oswald mit Curd Jürgens als Dr. B. und Mario Adorf als Czentovic verfilmt.

Über den Autor

Stefan Zweig wird am 28. November 1881 in Wien geboren; die Familie ist jüdischer Herkunft. Der Junge wächst in großbürgerlichem Milieu auf und erhält eine umfassende humanistische Bildung. Er studiert Philosophie, Germanistik und Romanistik in Wien und Berlin. Schon früh betätigt sich Zweig als Schriftsteller, Übersetzer und Herausgeber, bereits 1901 erscheint mit Silberne Saiten sein erster Gedichtband. Nach der Promotion 1904 unternimmt er zahlreiche Auslandsreisen, die ihn bis nach Amerika und Indien führen. 1920 heiratet er Friderike von Winternitz. Den aufkommenden Nationalsozialismus betrachtet er als Humanist und Pazifist zwar mit Sorge, entscheidet sich aber für eine weitgehend unpolitische Haltung. Dass diese Zurückhaltung unangebracht ist, bekommt er schon bald zu spüren: Als die Nationalsozialisten 1933 die Bücher unliebsamer Autoren verbrennen, sind auch Zweigs Werke darunter. Im Zuge der wachsenden politischen Unruhen in Österreich und unter dem zunehmenden Einfluss der Nationalsozialisten wird das Haus Zweigs 1934 nach Waffen durchsucht. Daraufhin entschließt er sich zur Emigration nach England – ohne seine Frau. In London beginnt er eine Beziehung mit seiner Sekretärin Lotte Altmann. Diese heiratet er 1939, nachdem er sich ein Jahr zuvor von Friderike hat scheiden lassen. Angesichts der zunehmenden militärischen Erfolge der Nazis fühlt sich Zweig auch in England nicht mehr sicher. 1940 emigriert er in die USA, ein Jahr später nach Brasilien. Zusammen mit Lotte lebt er in Petrópolis, in der Nähe von Rio de Janeiro. Das Grauen des Zweiten Weltkriegs und der Siegeszug der Nationalsozialisten erschüttern ihn so sehr, dass er zunehmend an Depressionen leidet. Schließlich nimmt er sich gemeinsam mit seiner Frau am 23. Februar 1942 das Leben. Zu Zweigs wichtigsten Werken zählen die Schachnovelle (1942), die Erzählungen Brennendes Geheimnis (1911) und Verwirrung der Gefühle (1927), der Roman Ungeduld des Herzens (1938) und die Autobiografie Die Welt von Gestern (postum 1942 erschienen).

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    C. S. vor 1 Jahrzehnt
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