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Schloss Gripsholm

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Schloss Gripsholm

Diogenes Verlag,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Ein Urlaubsidyll aus ungemütlicher Zeit: Tucholskys heitere Sommergeschichte von 1931 ist das beliebteste Buch des Autors.


Literatur­klassiker

  • Liebesroman
  • Moderne

Worum es geht

Ein Traum von einem Urlaub

Schloss Gripsholm ist ein fantastisch heiteres, in Ansätzen utopisches Buch über Liebe, Glück und Urlaub. Der Autor verfasste es zu einer Zeit, als er unter den Verschleißerscheinungen seines unermüdlichen politischen Journalismus zu leiden begann. Die Offenheit, Weltklugheit und Großherzigkeit der Hauptfiguren wirken wie ein Gegenentwurf zum kleinkarierten und reaktionären deutschen Wesen, das Tucholsky immer wieder beklagte. Am Anfang des Buches steht die Bitte des Verlegers Rowohlt, der Autor möge ihm eine leichte Liebesgeschichte schreiben. Gleich darauf begibt sich der Ich-Erzähler mit seiner „Prinzessin“ Lydia in den Urlaub nach Schweden. Die beiden Sommerfrischler mieten sich im Schloss Gripsholm ein. Gemeinsam mit Lydias bester Freundin erleben sie in ganz und gar aufgeräumter Stimmung eine Nacht zu dritt – eine quasi biografische Episode, die wesentlich zu Tucholskys Ruf als Erotomane beitrug. Später machen sich die Urlauber in der Umgebung nützlich: Sie befreien ein unglückliches Heimkind aus den Fängen einer diktatorischen Heimleiterin. Schloss Gripsholm wechselt auf bezaubernde Weise die Tonlagen, ist oft komisch, immer erfrischend, mitunter weise und lässt im Hintergrund des Glücks nie die Härten der Zeit vergessen.

Take-aways

  • Schloss Gripsholm ist eines der wenigen literarischen Werke des politischen Publizisten Kurt Tucholsky.
  • Das Buch ist eine Feier des Glücks und der Liebe – im Urteil des Autors zwei flüchtige Güter.
  • Tucholsky schrieb den Roman 1930, in bewusster Abgrenzung von seinen gesellschaftskritischen Texten.
  • Das Buch beginnt mit einer Bitte des Verlegers Rowohlt an seinen Autor: Tucholsky möge eine leichtfüßige Liebesgeschichte schreiben.
  • Schloss Gripsholm erfüllt diese Vorgabe und unterläuft sie zugleich: Tucholsky durchsetzt seine idyllische Erzählung mit abgründigen Gedanken und politischen Anspielungen.
  • Ein Ich-Erzähler namens Kurt reist mit seiner Geliebten, die er „Prinzessin“ nennt, in Urlaub nach Schweden.
  • Die Prinzessin ist eine sehr moderne, starke, kluge und schlagfertige Frau.
  • Die Tage auf Schloss Gripsholm vergehen in Eintracht und fröhlicher Verliebtheit, mit Ausflügen, spaßigen Gesprächen und zerstreuten Betrachtungen.
  • Ein alter Freund des Autors, Karlchen, kommt zu Besuch. Das Urlaubsidyll wird von nun an im harmonischen Dreiergespann genossen.
  • Nach Karlchens Abreise kommt Billie an, die beste Freundin der Prinzessin. Auch dieses Trio funktioniert bestens – eine Nacht lang sogar im Bett.
  • In einem nahe gelegenen Kinderheim leidet ein kleines Mädchen unter der tyrannischen Direktorin. Dem urlaubenden Paar gelingt es schließlich, die Kleine freizubekommen.
  • Mit Schloss Gripsholm stellte Tucholsky den düsteren Umständen seiner Zeit eine Art persönliche Utopie entgegen.

Zusammenfassung

Ein Vorschlag vom Verleger

Der Verleger Ernst Rowohlt bittet seinen Autor Kurt Tucholsky brieflich um ein Stück leichte Literatur für die kommende Saison. Am liebsten wäre ihm eine Liebesgeschichte. Tucholsky antwortet wohlwollend, aber zögernd. Eine „Sommergeschichte“ läge ihm näher – wer würde denn heute noch lieben? Der Verleger begrüßt den Vorschlag. Inhaltlich lässt er dem Autor freie Hand, nur „zart im Gefühl“ möge die Geschichte sein und zum Verschenken geeignet. Tucholsky verströstet Rowohlt auf ein späteres Übereinkommen. Denn zunächst müsse er seinen Urlaub antreten. Im Anschluss an diesen einleitenden Briefwechsel holt der Ich-Erzähler Kurt seine Reisebegleiterin und Geliebte ab. Sie heißt Lydia, arbeitet als Sekretärin bei einem Konsul und Seifenfabrikanten, spricht wahlweise Platt- und Hochdeutsch und wird von Kurt Prinzessin genannt – während sie ihn meist mit Peter oder Daddy anspricht. Gemeinsam nehmen sie den Zug von Berlin in Richtung Norden.

Ein Schloss für die Prinzessin

Der Zug fährt durchs Brandenburger Land und hält in Warnemünde, wo es auf die Fähre und schließlich weiter bis nach Kopenhagen geht. Die beiden Reisenden genießen die Fahrt mit viel Witz und erfüllt von gegenseitiger Zuneigung. Während der Zollkontrolle mokiert sich Kurt kurz über die Vaterlandsliebe, die Grenzen und Feinde bräuchte. Ansonsten ist die Unterhaltung zwischen ihm und der Prinzessin eher spaßig als tief. In Kopenhagen bezieht das Paar ein Hotelzimmer mit Blick auf das Rathaus und bewältigt am Tag darauf ein ordentliches Sightseeing-Programm. Danach geht es weiter nach Helsingör, wo die beiden mit einer Fähre nach Schweden übersetzen. Am nächsten Tag erreichen sie Stockholm, singend, verliebt und bester Laune. Nach einer weiteren Stadtbesichtigung bucht das Paar einen Dolmetscher und lässt sich von ihm das nähere und weitere Umland zeigen. Schließlich besuchen die beiden Urlauber den Ort Mariefred, wo Schloss Gripsholm steht, eine der ältesten Burgen Schwedens. Es ergibt sich, dass im Anbau zwei Zimmer zu mieten sind. Tucholsky und seine Prinzessin quartieren sich dort ein, verabschieden den Dolmetscher, packen aus und sinken ins Bett. Am nächsten Tag beginnt das süße Nichtstun: Endlich haben Kurt und die Prinzessin Zeit, sich in die Sonne zu legen, gemütliche Streitgespräche zu führen, andächtig zu Abend zu essen und in aller Seelenruhe auszuschlafen.

Das Idyll und das Verlies

Ada ist neun Jahre alt und verzweifelt. Sie lebt als eines von 40 Mädchen im Kinderheim Läggesta und leidet stark unter dem strengen, herzlosen Regime der Direktorin Frau Adriani. Diese kostet ihre Macht über die Kinder in vollen Zügen aus, schlägt und erniedrigt sie. Adas Mutter lebt weit weg, in Zürich. Im Heim ist die Kleine eine Außenseiterin. Sie weint viel.

„Ja, eine Liebesgeschichte ... lieber Meister, wie denken Sie sich das? In der heutigen Zeit Liebe? Lieben Sie? Wer liebt denn heute noch? Dann schon lieber eine kleine Sommergeschichte.“ (an Rowohlt, S. 8)

Die beiden Verliebten gehen derweil spazieren, legen sich in den Wald und führen weiterhin halb scherzhafte, halb bedenkenswerte Gespräche, in denen sich Lydia immer wieder als intelligentes, modernes und höchst unterhaltsames Gegenüber erweist. Am Nachmittag erlauben sich die beiden einen Spaß mit einer Touristengruppe, die zur Besichtigung des Schlosses angereist ist. Kurt versteckt sich in einem Brunnenloch des Schlossverlieses und jammert wie ein Gespenst, als das Grüppchen vorbeikommt. Die Touristen fliehen verschreckt, während Kurt sich ins Fäustchen lacht. Bald darauf begegnet das Paar den verschreckten Besuchern im Café-Pavillon und lässt sich von ihnen in ein Gespräch verwickeln. Die Touristen finden Schweden öde. Das wiederum langweilt die beiden Urlauber. Sie verabschieden sich unter einem Vorwand.

Die Kinderkolonne

Auf einer Wiese kommt den beiden eine Gruppe schweigender Kinder in strengen Zweierreihen entgegen. Vorneweg geht die Aufseherin, hintendrein trottet ein trauriges Mädchen, dem die Prinzessin im Vorübergehen zwei Glockenblumen zusteckt. Gleich glaubt es sich von der Aufseherin beobachtet, zuckt zusammen und beschleunigt den Schritt. Lydia nimmt sich vor, die Zimmerwirtin Frau Andersson später nach der merkwürdigen Kinderschar zu befragen. Diese vermutet, dass die Kinder aus dem nahe gelegenen Heim stammen. Die Direktorin, Frau Adriani, ist eine Deutsche, die die Kinder schlecht behandle. Der spätere Abend vergeht über ein paar Gläsern Whisky aus einer mit Mühe aufgetriebenen Flasche. Still trinkt das Paar vor sich hin. Kurt wird kurzzeitig von obszönen Fantasien heimgesucht, hält sich aber im Zaum. Der Abend klingt zärtlich aus.

„Man kann sie nicht mehr besichtigen, die Welt – man muss mit ihr leben oder gegen sie.“ (S. 39)

Im Kinderheim liegt Ada in ihrem Bett und denkt an ihre Familie. Der Vater ist seit Langem verschwunden. Die Mutter hat sie aus Zeitmangel nach Läggesta gegeben. Und ihr Bruder Will ist vor ein paar Jahren hier im Heim gestorben; er liegt auf dem Friedhof von Mariefred begraben. Adas Leben besteht vor allem aus Angst und aus Einsamkeit. Vor dem Einschlafen befühlt sie unter ihrem Kopfkissen die zwei Glockenblumen.

Karlchen kommt

Zur Mitte des Urlaubs erreicht Kurt ein Brief von seinem Freund Karlchen. Dieser würde die beiden Urlauber gern für eine Woche besuchen – sofern sie nichts dagegen haben. Das Paar willigt ein. Kurz darauf kommt Karlchen an. Mit der Prinzessin versteht er sich auf Anhieb. Kurt kostet die lange gewachsene Männerfreundschaft aus und äußert sich eingehend über die Vorzüge ihres tiefen, stillen Einverständnisses. Während Lydia Einkaufen geht, schicken die beiden Freunde ein Spaßtelegramm an Jakopp, den fehlenden Dritten im Männerbunde. Mit der Prinzessin reden sie später über die deutsche Zeitungslandschaft und die unruhigen Zeitläufte, aber auch über fragwürdige Flirtversuche von Lydias Chef. Karlchen und Lydia unterhalten sich auf Platt. Kurt lobt das niederdeutsche Wesen, zieht aber zugleich über niederdeutsche Heimatdichter und deren militarisierte Herzen her. Er genießt die traute Dreisamkeit. Dass Karlchen die Prinzessin begehren könnte, beunruhigt ihn nicht, verbietet doch ein ehernes Gesetz unter den beiden Freunden jegliche entsprechende Annäherung.

„‚Lydia‘, sagte ich, ‚in Paris war einmal eine Holländerin, die hat sich auf ihren Oberschenkel die Stelle tätowieren lassen, auf die sie am liebsten geküsst werden wollte. Darf ich fragen ...’ Sie antwortete. Und es beginnt nun der Abschnitt / 6 / Wir lagen auf der Wiese und baumelten mit der Seele.“ (S. 47)

Im Kinderheim wird die kleine Lisa gemaßregelt, weil sie angeblich Essen gestohlen hat. Frau Adriani lässt die Kinder kollektiv antreten und bestraft alle gemeinsam für das angebliche Vergehen. Zwar bekommt nur Lisa Essensentzug, aber alle müssen zur Strafe Schreibübungen machen. Die Direktorin genießt die totale Herrschaft über ihr kleines Reich und die 40 Seelen, die es bevölkern. Ada nimmt sich vor, in Kürze auszureißen.

Ada reißt aus, Karlchen reist ab

Bei einem Spaziergang kommen die drei Urlauber dem Kinderheim näher. Sie ruhen sich im Moos aus, als die Tür des Heimes aufspringt und Ada geradewegs auf sie zurennt. Sie fängt an zu weinen, will zu ihrer Mutter, erzählt verzweifelt vom Essensentzug. Bald darauf kommt auch Frau Adriani aus dem Haus gestürzt und fährt die Besucher unfreundlich an. Sie verbittet sich jede Einmischung in ihre Angelegenheiten und zerrt das Kind zurück ins Heim. Doch die Prinzessin hat Ada rechtzeitig zugeflüstert, sie solle die Adresse ihrer Mutter auf ein Stück Papier schreiben und den Zettel aus einem Zimmer des Heims ins Freie werfen. Zunächst ist drinnen nur Gekeife zu hören. Kurt hat die Vision einer römischen Arena, in der das rasende Volk mit grausamem Genuss verfolgt, wie die Gladiatoren von wilden Tieren zerrissen werden. Er sieht in der schäumenden Masse die verbrecherische Lust des Menschen auflodern und abfließen. Und er muss in sich das Bedürfnis nach blinder Rache an der drakonischen Heimleiterin niederkämpfen. Immerhin finden die drei Urlauber kurz darauf den Zettel mit der Adresse von Adas Mutter im Gras.

„Die Stille wölbte sich über uns wie eine unendliche Kugel. In diesem Augenblick war jeder ganz allein, sie saß auf ihrem Frauenstern und ich auf einem Männerplaneten. Nicht feindselig ... aber weit, weit voneinander fort.“ (S. 81)

Zurück im Schloss entwerfen sie zahlreiche Briefe an die Mutter, bis sie sich schließlich für einen entscheiden und diesen zur Post bringen. Karlchen erinnert die anderen daran, dass sein Urlaub bereits am nächsten Tag zu Ende geht. Am letzten gemeinsamen Abend wird erneut Whisky getrunken, man wirft das Grammophon an, singt einem vorbeitrottenden Esel ein Lied vor, und wie immer wird eine Menge intelligenter Blödsinn geredet.

Billie, Lydias Karlchen

Es kommt neuer Besuch: Billie, Lydias beste Freundin, ist nach Karlchens Abreise für einige Tage zu Gast auf Schloss Gripsholm. Auch das neue Dreiergespann funktioniert bestens. Billies junger, durchtrainierter Körper weckt Kurts Männerinstinkt, aber er fühlt sich nicht wie ein Pascha, sondern einfach geborgen zwischen den zwei Freundinnen.

„Schreibe mir bitte, wie ich zu Euch fahre, lieber Freund. Kann ich da wohnen? Wohnt Ihr? Sind da viele Mädchen? Soll ich lieber nicht kommen? Wollen wir uns gleich den ersten Abend besaufen? Liebst Du mich?“ (Karlchen an den Erzähler, S. 88 f.)

Der Antwortbrief von Frau Collin, Adas Mutter, trifft ein. Sie bittet die Urlauber, mit Frau Adriani zu sprechen und sie später telefonisch über den Verlauf des Gesprächs zu unterrichten. Lydia und Billie kaufen eine Puppe als Mitbringsel für Ada, Billie bleibt allerdings beim Besuch des Heims im nahen Wald zurück. Frau Adriani lässt die ungebetenen Gäste von Anfang an spüren, dass sie ihnen misstraut. Trotzdem muss sie zunächst gute Miene zum bösen Spiel machen und Ada ins Besuchszimmer kommen lassen. Das Mädchen ist verängstigt und beginnt bald furchtbar zu weinen. Frau Adriani schafft sie schimpfend aus dem Zimmer und wird nun auch dem Besuch gegenüber laut: Die beiden sollen verschwinden. Die Prinzessin und Tucholsky gehen ohne ein weiteres Wort – entschieden, Adas Mutter in Zürich von der Verzweiflung des Kindes und Adrianis Tyrannei zu berichten.

„Baden im See; nackt am Ufer liegen, an einer versteckten Stelle; sich voll Sonne saugen, dass man mittags herrlich verdöst und trunken von Licht, Luft und Wasser nach Hause rollt; Stille; Essen; Trinken; Schlaf; Ruhe – Urlaub.“ (S. 89)

In Kurts Augen reagiert Billie auf die Schilderung der aufwühlenden Begegnung nicht mitfühlend genug. Er wirft ihr das insgeheim vor, bemerkt aber bald, dass er im Grunde nur versucht, sich selbst zu überlisten: Er begehrt sie; doch weil er sie nicht haben darf, will er sie erniedrigen, indem er sich sagt, sie habe kein Herz. Die drei gehen kurz auf den Friedhof, um das Grab von Adas Bruder Will zu besuchen. Angesichts des winzigen Grabhügels vergießt Kurt sogar ein paar Tränen.

Freude, Ekstase, Sieg und Ende

Nach längerer Wartezeit steht endlich die angemeldete Telefonleitung nach Zürich zur Verfügung. Der Erzähler macht Adas Mutter klar, dass ihre Tochter nicht länger unter Frau Adriani leiden dürfe. Er schlägt vor, Ada selbst mithilfe eines entsprechenden Begleitbriefes der Mutter aus dem Heim zu holen und sie später zu ihr in die Schweiz zu bringen. Frau Collin willigt ein, was nach Beendigung des Gesprächs zu einem wilden Freudentanz der drei Urlauber führt. Am Abend beschließen die beiden über einem Silbenrätsel brütenden Freundinnen, gemeinsam in einem Zimmer schlafen zu wollen; Kurt soll eine Nacht mit der Kemenate vorliebnehmen. Er akzeptiert dies ohne Murren, schleicht allerdings noch mal ins Zimmer der Frauen zurück, als diese mit dem Rätsel nicht weiterkommen. Erst setzt er sich bloß an das von Billie und Lydia geteilte Bett, dann legt er sich zum Aufwärmen neben seine Geliebte, schließlich bittet diese ihn, Billie zu küssen. Plötzlich ist kein Halten mehr und teilen eine rauschhafte erotische Nacht. Als Kurt sich nachher allein zurückzieht, fühlt er sich den beiden immer noch sehr verbunden.

„Wir hatten geglaubt, der Zeit entrinnen zu können. Man kann das nicht, sie kommt nach.“ (S. 98)

Billie reist unter allseitigem Bedauern ab. Kurt und die Prinzessin warten immer ungeduldiger auf das Schreiben von Frau Collin, mit dem sie Ada freibekommen wollen. Am vorletzten Tag trifft es ein – und wird mit Jubelschreien quittiert. Noch bevor die beiden zum Heim aufbrechen, kommt Ada allerdings verzweifelt ins Schloss gelaufen. Abermals hat es Geschrei und Prügel gegeben. Kurt ruft bei Frau Adriani an, die auf Adas sofortiger Herausgabe besteht. Er versichert, in einer halben Stunde im Heim zu sein. Als er und die Prinzessin mit Ada eintreffen, werden die Karten nicht sofort auf den Tisch gelegt. Kurt lässt die wütende Direktorin noch eine kleine Weile im Glauben, das Mädchen weiterhin in ihrer Macht zu haben. Dann erst legt er den alles entscheidenden Brief vor und verlangt die Herausgabe von Adas Hab und Gut – gegen einen Scheck, der alle noch ausstehenden Kosten deckt. Schäumend vor Wut muss sich Frau Adriani geschlagen geben. Die beiden Urlauber verlassen mit Ada nach siegreicher Schlacht das Heim.

„Eine richtige Männerfreundschaft ... das ist wie ein Eisberg: nur das letzte Drittel sieht aus dem Wasser.“ (S. 107)

Am letzten Urlaubstag blickt Kurt bereits melancholisch auf das zu Ende gehende Idyll zurück: Warum nicht für immer bleiben? Die Antwort: Dann würde ja doch nur der Alltag einkehren. Auf der Rückreise beginnt Ada, sich die lange Zeit der Demütigung von der Seele zu reden. Lydia und Kurt bedanken sich gegenseitig für die wunderbare gemeinsame Zeit und bringen einen Trinkspruch nach dem anderen aus.

Zum Text

Aufbau und Stil

Tucholsky beginnt Schloss Gripsholm, indem er die Entstehungsbedingungen der Erzählung anspricht. Aus dem einleitenden Briefwechsel zwischen Autor und Verleger geht hervor, dass das Buch erstens eine Auftragsarbeit ist, dass es sich zweitens finanziellen Erwägungen verdankt und dass es drittens den eigentlichen, ernsthafteren Interessen des Schriftstellers eher zuwiderläuft. Ein Spiel mit der Leseerwartung und ein strategischer Freispruch für den Autor: Der hat vermeintlich nur geschrieben, was der Verleger wollte und musste sich dabei aus Mangel an Material sogar auf eigene Urlaubserinnerungen stützen. Dass Tucholsky die Geschichte vornehmlich aus der Ich-Perspektive schildert und den Protagonisten Kurt nennt, verstärkt abermals den Eindruck eines authentischen, direkt aus dem Leben gegriffenen Berichts. Diese – inszenierte – Lebensnähe entbindet den Autor von der Pflicht, den Kriterien literarischer Geschlossenheit und Stringenz zu folgen. Entsprechend unbekümmert wechselt er Tonlagen, Gegenstände und Themen. Und umso fremdartiger wirkt der Wechsel in die Parallelerzählung um das Kinderheim. Während sich die Haupthandlung streng an die individuelle Perspektive des urlaubenden Kurt hält, greift die Nebenhandlung auf die Perspektive eines allwissenden Erzählers zurück. Man mag das als formale Unsauberkeit beklagen – es fällt jedoch bei einem Werk von so hoher stilistischer Virtuosität kaum ins Gewicht. Zur Organisation von Eindrücken, Gedanken und Momentaufnahmen nutzt Tucholsky seine journalistische Montagetechnik. Ernst und Komik, Idylle und Drama, Frechheit und Weisheit sind brillant miteinander verbunden. Seine Kraft und Kompaktheit verdankt das Buch einer weiteren journalistischen Tugend: der Fähigkeit zur eleganten Verknappung.

Interpretationsansätze

  • Tucholsky entwirft eine nicht naive Idylle. Er genügt damit äußerlich dem Rahmen der „kleinen Sommergeschichte“, die er seinem Verleger vorgeschlagen hat. Innerlich geht er weit darüber hinaus: Das tief empfundene Urlaubsglück fußt nicht auf banaler Romantik, sondern auf dezidiert modernen Vorstellungen von Partnerschaft, Freiheit und Freundschaft.
  • Immer wieder verteilt Tucholsky Seitenhiebe auf die zeitgenössische Gesellschaft. So rückt selbst während der sonnigen Ausnahmewochen, von denen das Buch erzählt, nie das düstere deutsche Gesamtpanorama aus dem Blickfeld.
  • Die Heimleiterin Frau Adriani soll negative deutsche Charaktereigenschaften verkörpern. Ihr Wesen entspricht all dem, was Tucholsky als politischer Publizist ausdauernd anprangert. Die Lust an Herrschaft und Unterdrückung, das Pochen auf preußische Tugenden, gepaart mit Engstirnigkeit und Herzlosigkeit, machen aus Adriani eine prototypische Nationalsozialistin.
  • Ganz offensichtlich trägt Schloss Gripsholm autobiografische Züge. Auch wenn viel mehr erfunden ist, als es scheinen mag, ist in der Hauptfigur des Werkes doch der Autor selbst zu erkennen. Das Buch reflektiert Tucholskys wachsende Unlust an der Beschäftigung mit der deutschen Politik und seine Sehnsucht nach einer Atempause.
  • Tucholsky beschwört das Glück – und zeigt zugleich dessen Flüchtigkeit. In beiderlei Hinsicht ist sein Buch ein Appell an die menschliche Sensibilität. Man muss Sinne und Verstand beisammen haben, um das Glück genießen zu können. Man braucht die Sensibilität aber auch, um sich ans flüchtige Glück angemessen erinnern und es evtl. wiederholen zu können.

Historischer Hintergrund

Die Weimarer Republik

Nach Deutschlands Niederlage im Ersten Weltkrieg ging aus den Trümmern des Kaiserreichs die Weimarer Republik hervor – die erste liberale Demokratie des Landes. Sie stand allerdings von Anfang an auf unsicheren Beinen und überdauerte nur knapp 14 Jahre. Nach dem Wahlsieg der Nationalsozialisten 1933 kehrte das Land zu einem autoritären Regime zurück. Für die Weimarer Republik hat sich das Schlagwort von der „Demokratie ohne Demokraten“ eingebürgert: Die Mehrzahl der politischen Akteure war entweder nicht aufrichtig an einem demokratischen Gemeinwesen interessiert oder dessen Spielregeln nicht gewohnt. Einige der vielen Parteien, die sich im Parlament tummelten, waren eindeutig antidemokratisch orientiert. Koalitionen und Kabinette wechselten häufig, keine Regierung überstand eine ganze Legislaturperiode. Wichtige Bereiche des Staates – etwa Militär und Justiz – standen der Republik eher feindlich gegenüber. Alte Eliten taten alles, um die junge Regierungsform in Misskredit zu bringen und zerrütteten so das Vertrauen ins demokratische Prinzip.

Tucholsky, der in den 20er Jahren vor allem als politischer Publizist tätig war, schrieb: „Wir leben in keiner Republik. Wir leben in einem verhinderten Kaiserreich.“ Schwere Wirtschaftskrisen, gepaart mit hohen Reparationszahlungen an die Kriegsgewinner, verhinderten zudem eine spürbare Verbesserung der sozialen Verhältnisse. Der Ruf nach einem „starken Mann“, der das Ruder herumreißen, das Chaos beenden und das Land zu alter Glorie zurückführen sollte, wurde immer lauter. Bereits 1930 stiegen die Nationalsozialisten zur zweitstärksten Kraft des Parlaments auf. Parallel zur verkommenden Demokratie fand allerdings eine beachtliche gesellschaftliche Modernisierung statt. Frauen hatten mit der Gründung der Weimarer Republik das Wahlrecht erhalten. In fortschrittlichen Kreisen machte die „Neue Frau“ Furore – ein selbstbewusster Typ Frau, der Männern Paroli bot und das männliche Interesse für Autos oder das Rauchen teilte. Kino, Schallplatte und Radio beförderten die Entstehung einer breiten, die Klassengrenzen überschreitenden Freizeit- und Konsumkultur. Manche Elemente dieser Populärkultur wussten die Nationalsozialisten später für ihre Propaganda auszunutzen.

Entstehung

Ab der zweiten Hälfte der 20er Jahre lebte Tucholsky vor allem im Ausland, zunächst meist in Paris, später hauptsächlich in Schweden. Er nahm als Publizist leidenschaftlich an der gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland teil, suchte aber die räumliche Distanz. Von April bis Oktober 1929 hielt er sich in Läggesta unweit des Schlosses Gripsholm auf. Für einige Wochen bekam er Besuch von seiner damaligen Geliebten Lisa Matthias. In Läggesta beendete er die Arbeiten an dem beißend antipatriotischen Buch Deutschland, Deutschland über alles, das er noch im selben Jahr mit dem Grafiker John Heartfield herausbrachte. Es sorgte für Aufruhr bei der politischen Rechten, trug ihm aber auch viel Kritik von Freunden ein. Tucholsky dachte nun immer häufiger daran, den kräftezehrenden Journalismus aufzugeben und sich mit größerer Ruhe literarischen Arbeiten zu widmen. Anfang 1930 verlegte er seinen Wohnsitz ganz ins schwedische Hindås. Dort schrieb er bis zum Jahresende Schloss Gripsholm nieder. Im Gegensatz zum ersten Leseeindruck ist das Buch keinesfalls eine Nacherzählung konkreter Urlaubserinnerungen. Brieflich bekennt Tucholsky: „In den langen Wintermonaten, in denen ich mich mit ,Gripsholm‘ beschäftigt habe, hat mir nichts so viel Mühe gemacht, wie diesen Ton des wahren Erlebnisses zu finden. Außer einem etwas vagen Modell zum Karlchen und der Tatsache, dass es wirklich ein Schloss Gripsholm gibt, in dem ich nie gewohnt habe, ist so ziemlich alles in dieser Geschichte erfunden: vom Briefwechsel mit Rowohlt an bis zur (leider! leider!) Lydia, die es nun aber gar nicht gibt.“ Tucholsky bezeichnet das Buch selbst an anderer Stelle als „Omelette soufflée“, verteidigt allerdings die „Leichtigkeit“ des Werks. Seine Form verdanke es der „Kunst des Streichens“: „Ich habe es viermal geschrieben und jedes Mal wurde es kürzer.“

Wirkungsgeschichte

Schloss Gripsholm wurde im Frühjahr 1931 als Fortsetzungsroman im Berliner Tageblatt veröffentlicht. Kurz darauf erschien es als Buch bei Rowohlt. Obwohl die Kritik das Werk kaum beachtete, entwickelte es sich schon bald zu einem Publikumserfolg. Genauso schnell brach die Erfolgsgeschichte allerdings ab, denn bereits im ersten Jahr der Naziherrschaft wurden Tucholskys Bücher verboten. In der Nachkriegszeit erlebte sein Werk ein Revival. Auch wenn der Fokus seither oft auf den politischen und satirischen Publikationen liegt, ist Schloss Gripsholm bis heute Tucholskys beliebtestes Buch. 1962 veröffentlichte seine Exgeliebte Lisa Matthias einen von der Literaturkritik als geschmacklos kritisierten Band mit Erinnerungen, in dem sie sich, nicht zu unrecht, als Vorbild von „Lydia“ bezeichnet. Tatsächlich gilt die Widmung des Buches ihr, bzw. ihrem Autokennzeichen „IA 47 407“. Matthias leugnet allerdings in ihrem Buch die bei Tucholsky beschriebene „Nacht zu dritt“ und beklagt sich vor allem über die chronische Untreue des Schriftstellers. Die Schmähschrift konnte dem dauerhaften Erfolg von Schloss Gripsholm jedoch nichts anhaben. Mittlerweile ist das Buch schon zweimal verfilmt worden – 1963 von Kurt Hoffmann, mit Walter Giller in der Hauptrolle, und 2000 von Xavier Koller, mit Ulrich Noethen und Heike Makatsch als Prinzessin.

Über den Autor

Kurt Tucholsky wird am 9. Januar 1890 in Berlin als Sohn eines jüdischen Bankkaufmanns geboren. Sein Vater stirbt bereits 1905. Vier Jahre später nimmt Tucholsky ein Jurastudium auf und beginnt parallel dazu als Journalist für linksliberale Zeitschriften zu arbeiten. 1912, noch zu Studienzeiten, veröffentlicht er mit der idyllisch-erotischen Liebeserzählung Rheinsberg einen ersten Erfolgstitel. Im April 1915, kurz nach Beendigung des Studiums, wird er eingezogen. Er nimmt am Ersten Weltkrieg zunächst als Frontsoldat, später als Herausgeber einer Feldzeitung teil und kehrt 1918 als überzeugter Pazifist aus dem Militär zurück. Für zwei Jahre übernimmt er die Chefredaktion eines satirischen Wochenblatts, dann schreibt er vor allem für die linksliberale Wochenzeitschrift Weltbühne. Seine unzähligen Beiträge veröffentlicht er unter wechselnden Pseudonymen, darunter Kaspar Hauser, Peter Panter, Theobald Tiger und Ignaz Wrobel. Tucholsky wird zu einem der führenden Publizisten der Weimarer Republik. Kompromisslos kritisiert er den reaktionären Geist, die verbohrte Vaterlandsliebe und die militaristische Gesinnung der Deutschen. Daneben schreibt er Lieder, Revuen, Glossen und satirische Gedichte. Er ist zweimal kurz verheiratet, aber nie treu. In mehreren linken Gruppierungen engagiert sich Tucholsky auch direkt politisch. 1924 geht er als Korrespondent nach Paris. Von nun an lebt er, wie sein Vorbild Heinrich Heine, nur noch sporadisch in Deutschland. 1930 siedelt er nach Schweden über und gibt die journalistische Arbeit nach und nach auf. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 schwinden seine Publikationsmöglichkeiten in der Heimat. Im August desselben Jahres wird er ausgebürgert, seine Bücher werden verboten und verbrannt. Nach längerer Krankheit und in tiefer Resignation stirbt Tucholsky am 21. Dezember 1935 an einer Überdosis Schlaftabletten – ob absichtlich oder nicht, ist unklar.

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