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Theologisch-politischer Traktat

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Theologisch-politischer Traktat

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Was ist drin?

„Der Zweck des Staates ist in Wahrheit die Freiheit“ – Spinozas Traktat aus dem 17. Jahrhundert ist eine immer noch aktuelle Streitschrift für Glaubens- und Gedankenfreiheit.


Literatur­klassiker


Worum es geht

Vernunft und Glaube

Christ ist, wer Gott ehrt und das Gesetz der Nächstenliebe achtet. Punkt. Was jemand darüber hinaus denkt, ist seine Sache, und niemand hat ihm diesbezüglich etwas vorzuschreiben, auch nicht der Papst. Würde man die Religion strikt auf diese Grundlage reduzieren, könnten Kriege vermieden werden, und zwischen den Menschen würden Friede und Harmonie einkehren. Dies hat Spinoza vor gut 400 Jahren geschrieben, und leider kann man heute nicht behaupten, dass die Forderung überholt wäre. Die Zahl der Kriege, die aus religiösen (oder zumindest religiös verbrämten) Gründen geführt werden, hat sich kaum verringert. Noch immer ist die Stimme der Vernunft machtlos, wenn fundamentalistische Eiferer aller Couleur Hass predigen, und noch immer bleibt Spinozas Ziel der freien Meinungsäußerung vielerorts ein Wunschtraum. Sein Theologisch-politischer Traktat ist trotz seines Alters und bei aller historischen Bedingtheit aktuell geblieben. Für die Diskussion um Religion und Politik bietet er reichlich Zündstoff, auch wenn es dem Autor keineswegs um Polemik ging – sondern darum, endlich der Vernunft zur Herrschaft zu verhelfen.

Take-aways

  • Der Theologisch-politische Traktat gehört zu den bekanntesten Werken des Philosophen Baruch de Spinoza.
  • Er ist ein Plädoyer für die Freiheit des Denkens und gegen kirchliche Bevormundung.
  • Spinoza zeigt auf, dass die Bibel von Menschen gemacht und kein mystisches, von Gott gesandtes Buch ist.
  • Jedes Wort der Bibel für wahr zu halten, ist deshalb nicht nur unnötig, sondern falsch.
  • Daraus folgt, dass jeder Christ nur die grundlegenden Regeln seiner Religion befolgen muss, um gläubig zu sein.
  • Weder der Papst noch andere Institutionen dürfen den Menschen vorschreiben, wie sie ihre Religion auszuüben oder wie sie die Bibel auszulegen haben.
  • Philosophie, die auf Vernunft gründet, und Religion, die auf Glauben beruht, haben unterschiedliche Ziele und dürfen nicht vermischt werden.
  • Niemand kann einem Menschen verbieten, eine eigene Meinung zu haben. Das Recht auf Meinungs- und Redefreiheit ist unveräußerlich.
  • In einer Demokratie treten die Menschen ihr Naturrecht zugunsten eines Gesellschaftsrechts ab.
  • Die Rechtshoheit liegt damit beim Staat. Das gilt auch in religiösen Dingen.
  • Spinozas Werk erschien anonym. Der Autor wollte auf diese Weise Unannehmlichkeiten für seine Person vermeiden.
  • Trotzdem wurde der Freidenker Spinoza von Theologen als Atheist verdammt.

Zusammenfassung

Pervertierte Religion

Immer dann, wenn sich Menschen in einer ausweglosen Situation befinden, greifen sie nach jedem Strohhalm, der sich ihnen bietet. Oft nehmen sie ihre Zuflucht zum Aberglauben, der aus Affekten wie Furcht, Zorn oder Hoffnung entspringt und keine vernünftige Grundlage hat. Das Volk benötigt Bräuche und Zeremonien, die es beeindrucken und die ihm immer wieder neue Hoffnung geben. Deshalb wurde die Religion mit entsprechenden Ritualen angereichert. Die Vertreter des Klerus begannen, die Menschen gegeneinander aufzuhetzen und ihnen Lügen zu erzählen. Der christliche Geist ist darüber weitgehend verloren gegangen: Menschen, die Liebe predigen, bekriegen sich, und die Kirche macht sich schuldig, indem sie Ämter und Pfründe an ihre Vertreter verteilt, um deren Gier zu befriedigen.

„Wenn die Menschen alle ihre Angelegenheiten nach bestimmtem Plan zu führen imstande wären oder wenn das Glück sich ihnen jederzeit günstig erwiese, so stünden sie nicht im Banne eines Aberglaubens.“ (S. 3)

Viele Kirchenvertreter wollen in der Bibel die Begründung für ihre Lehren und Taten sehen. Um zu zeigen, was an der verkommenen Religionsausübung falsch ist, sollen deshalb die zentralen Thesen der Bibel und Methoden zur richtigen Auslegung im Mittelpunkt dieser Abhandlung stehen. Die Auslegung soll zeigen, dass die Meinungs- und Religionsfreiheit nicht nur zugestanden werden darf, sondern zugestanden werden muss, wenn in einem Staat Friede herrschen soll.

Offenbarungen und Prophezeiungen

Eine Offenbarung ist eine von Gott direkt zu einem Menschen gesandte sichere Erkenntnis. Ein Prophet wiederum ist jemand, der eine solche Offenbarung erhalten hat und sie anderen Menschen mitteilt. Während also die natürliche Erkenntnis jedem Menschen zugänglich ist, bleibt die offenbarte Erkenntnis einigen wenigen Auserwählten vorbehalten.

„Aus dem vorigen Kapitel ergibt sich, (...) dass die Propheten nicht etwa einen vollkommeneren Geist, sondern nur eine lebhaftere Vorstellungskraft besaßen, wie dies auch die Erzählungen der Schrift zur Genüge lehren.“ (S. 31)

Wie die sorgfältige Untersuchung der entsprechenden Bibelstellen zeigt, haben die Propheten die Offenbarungen nicht mittels ihres Verstandes, sondern mittels ihrer Vorstellungskraft empfangen. Nur so ist zu erklären, warum die Umstände der Offenbarungen über den menschlichen Verstand hinausgehen. Bei der detaillierten Analyse der Texte zeigt sich, dass die Offenbarungen immer der Vorbildung des Propheten sowie der Kultur und dem Verständnis des Volkes, an das sie sich richteten, angepasst waren. Deshalb kann der Inhalt der Offenbarungen, zumindest soweit er über den Aufruf zur Gerechtigkeit und zur Liebe zu Gott hinausgeht, teilweise völlig widersprüchlich erscheinen.

Das göttliche Gesetz

Das göttliche Gesetz ist nichts weiter als die Aufforderung, Gott aus freiem Willen und ohne Zwang zu erkennen und zu lieben. Dieses Gesetz fordert den Menschen aber auch dazu auf, mithilfe der Wissenschaft die Natur so gut wie möglich verstehen zu lernen. Das ergibt sich aus der Tatsache, dass Gott die Natur gemacht hat und wir die Erkenntnis der Ursache, also Gott, auch durch die Erkenntnis ihrer Wirkungen (also der Natur) erreichen können. Eines der wichtigsten Mittel, um Gott zu gefallen, ist daher die Vervollkommnung des menschlichen Verstandes.

„Ich schließe also, dass wir den Propheten nur das zu glauben verpflichtet sind, was den Zweck und den Kern der Offenbarung ausmacht; in allem Übrigen steht es uns frei, zu glauben, was einem jedem beliebt.“ (S. 46)

Die christlichen Zeremonien dienen allein dazu, die Menschen an die Religion zu binden, sie tragen aber weder zur Glückseligkeit bei, noch sind sie Teil des göttlichen Gesetzes. Auch ohne diese Zeremonien zu befolgen – etwa in einem Land, in dem die christliche Religion verboten ist –, kann man glücklich und nach Gottes Gesetz leben. Entsprechend müssen die Geschichten der Bibel nicht unbedingt jedem frommen Menschen bekannt sein. Sie sollen lediglich denjenigen, die Gottes Gesetz nicht durch den Verstand erkennen können, die moralischen Lehren und den Gehorsam gegenüber Gott vermitteln helfen.

Die Bedeutung der Wunder

Das Volk nimmt an, dass sich Gottes Macht am deutlichsten in Geschehnissen zeigt, die allem Anschein nach übernatürlich sind. Diese Ereignisse werden Wunder genannt. Dabei wird außer Acht gelassen, dass die Natur selbst Gottes Werk ist und er mit diesen Wundern, die den Regeln der Natur widersprechen, seinen eigenen Gesetzen zuwiderhandeln würde. Alles, was Gott festlegt, ist ewig und notwendig wahr, so auch die von ihm geschaffene Natur. Daraus folgt, und unsere Erfahrung bestätigt dies, dass die Naturgesetze immer gültig sind. Wunder können demnach nur deshalb als übernatürlich erscheinen, weil der Mensch die Ordnung der Natur nicht vollständig versteht. Da Gott sich für uns also am deutlichsten in der perfekten Ordnung der Natur zeigt, ist es kein Beweis für seine Macht, wenn etwas dieser Ordnung zu widersprechen scheint. Im Gegenteil: Wenn sich erweisen sollte, dass die Ordnung Fehler und Widersprüchlichkeiten beinhaltet, wäre das ein Grund, an Gott zu zweifeln.

„Aus diesem Grunde redet die Schrift von Gott und von den Dingen sehr uneigentlich, weil sie eben nicht die Vernunft überzeugen, sondern auf die Fantasie und das Vorstellungsvermögen der Menschen einwirken und sie einnehmen will.“ (S. 105)

Die Berichte von Wundern, die sich in der Bibel finden, müssen demnach so verstanden werden, dass sie außergewöhnliche Ereignisse referieren, die durch die Natur zu erklären sind, die aber zu jener Zeit noch nicht erklärt werden konnten. Um das Volk zu beeindrucken, wurden diese Vorkommnisse dichterisch ausgestaltet und als übernatürliche Fingerzeige Gottes dargestellt.

Wie man die Bibel richtig auslegt

Viele Theologen legen die Bibel willkürlich aus, da sie ihre Thesen um jeden Preis stützen wollen. Dieses skrupellose Vorgehen schadet der Religion und den Menschen, weil so Hass und Zwietracht statt Liebe und Friede gepredigt werden. Notwendig ist deshalb eine zuverlässige Methode der Schriftauslegung, die den Missbrauch gar nicht erst möglich macht. Sinnvoll scheint es, die Bibel auf die gleiche Weise zu erklären, wie man die Natur erklärt. Dazu ist es nötig, eine „Schriftgeschichte“ zu erarbeiten: Zunächst untersucht man die Besonderheiten der Sprache, in der die einzelnen Bücher der Bibel abgefasst sind. Dann werden die Lebensgeschichten und kulturellen Besonderheiten aller Verfasser und Propheten sowie die Adressaten ihrer Schriften berücksichtigt. Außerdem muss eine vollständige Geschichte der Bibel klären, woher welches Buch stammt und wie die verschiedenen Bücher zusammengefügt worden sind. Erst wenn dies erreicht ist, kann man zur eigentlichen Auslegung der Schrift schreiten, und zwar nach folgendem Prinzip: Zuerst versuche man, die einfachen Stellen zu verstehen, um dann auf dieser Grundlage die dunkleren und schwierigeren Passagen zu deuten.

„Wir sehen, (...) dass die Theologen meistens darauf bedacht gewesen sind, ihre Erfindungen und Einfälle aus der Heiligen Schrift herauszupressen und sie auf die göttliche Autorität zu stützen.“ (S. 113)

Das größte Problem dieser Methode ist sicherlich die heute unzureichende Kenntnis des Althebräischen. Diese sehr einfach strukturierte Schriftsprache lässt eine Vielzahl von Doppeldeutigkeiten zu, die nur selten aufzulösen sind. Daneben bereitet die Tatsache Schwierigkeiten, dass heute kaum noch etwas über das Leben und die Umstände der meisten Verfasser bekannt ist. Dennoch müssen wir uns allein auf die beschriebene Vorgehensweise verlassen, wenn wir die Schrift richtig verstehen wollen. Ein Papst, der uns die richtige Deutung vorgibt, ist jedenfalls nicht nötig. Jeder Mensch hat die Fähigkeit, mit seinem gottgegebenen Verstand und unter Berücksichtigung der genannten Methode die Bibel für sich auszulegen.

Wie die Bibel entstanden ist

Bei genauer Betrachtung des Alten Testaments zeigt sich, dass Moses die nach ihm benannten Bücher nicht selbst verfasst hat. Es spricht dagegen einiges dafür, dass die fünf Bücher Mose, die Bücher Josua, Richter, Ruth, Samuel und Könige von demselben Geschichtsschreiber stammen. Die Vermutung liegt nahe, dass die Bücher von Esra geschrieben wurden, da er in der Bibel als einziger Schriftgelehrter dieser Zeit explizit genannt wird.

„Da also das höchste Recht vollkommener Meinungsfreiheit auch in der Religion einem jeden zusteht (...), so wird auch das unumschränkte Recht und die höchste Autorität, über die Religion frei zu urteilen und folglich (...) sie auszulegen, ebenfalls einem jeden zustehen.“ (S. 136)

Die fragmentarische Form und die gelegentliche Widersprüchlichkeit der eben genannten Bücher lassen sich so erklären, dass Esra aus irgendeinem Grund nicht mehr dazu kam, die bruchstückhaften Aufzeichnungen zu einer Geschichte zusammenzusetzen. Dies mag auch die Ursache für die zahlreichen Widersprüche (etwa bei Jahreszahlen und anderen Zeitangaben) und für die vielen Wiederholungen sein. Dass dieser Teil der Schrift nicht abschließend von ihrem Verfasser geordnet und geprüft worden ist, widerlegt die weit verbreitete Annahme, die Bibel könne an keiner Stelle fehlerhaft sein. Die Tatsache, dass es Fehler gibt, schmälert jedoch keinesfalls die Autorität der Bibel selbst. Es ist aber notwendig, sich über die Herkunft der Bücher und die möglichen Fehlerquellen klar zu werden, um die Hauptaussagen von den bloßen Ausschmückungen unterscheiden zu können.

„Aus diesem Grunde also ist auch die Schrift nur so lange heilig und ihre Reden sind nur so lange göttlich, als die Menschen dadurch zur Verehrung gegen Gott gestimmt werden.“ (S. 198)

Auch das Neue Testament gibt lediglich die Lehren einzelner Menschen, nämlich der Apostel, wieder und keine offenbarte, göttliche Wahrheit, mit Ausnahme des Gebots der Nächstenliebe. Daraus ergibt sich, dass die Bibel nicht an sich heilig ist, sondern erst durch ihre Wirkung auf die Menschen heilig wird. Heilig oder göttlich sind nämlich nur die Dinge, die den Menschen in seiner Religion bestärken. Entsprechend kann Gott auch nur in diesem übertragenen Sinn als Urheber der Heiligen Schrift gelten: weil in ihr die Grundlagen der Religion überliefert sind. Nur diese Grundlagen sind sicher und unverfälscht, während sich ansonsten viele Missverständnisse und Fehler finden. Kein Mensch ist daher verpflichtet, etwas in der Bibel für wahr zu halten, das über die grundlegenden Lehren, also den Gehorsam gegenüber Gott und die Nächstenliebe, hinausgeht.

Das Verhältnis von Glaube und Vernunft

Der Gehorsam gegenüber Gott und die Nächstenliebe sind die einzigen Regeln, die der Glaube den Menschen auferlegt. Daraus lassen sich alle weiteren Dogmen unmittelbar ableiten, nämlich dass Gott existiert, dass er einzig und allgegenwärtig ist und dass jeder, der den Geboten des Gehorsams und der Nächstenliebe folgt, selig ist. Der wahre Glaube eines Menschen zeigt sich nicht an seinen Meinungen, sondern allein daran, dass er in seinen Taten den beiden genannten Regeln folgt. Wer z. B. wegen einer Bibelauslegung mit anderen Streit anfängt, kann nicht wahrhaft gläubig genannt werden.

„Daraus folgt wiederum, dass diejenigen in Wahrheit Antichristen sind, die achtbare und gerechtigkeitsliebende Männer deshalb verfolgen, weil sie von ihrer Meinung abweichen (...). Denn wir wissen, wer Gerechtigkeit und Liebe hoch schätzt, der ist dadurch allein schon gläubig (...).“ (S. 215 f.)

Die einfachen, grundlegenden Wahrheiten der Bibel und die Ausführungen zur richtigen Auslegung der Schrift zeigen, dass man kein Philosoph sein muss, um die Bibel zu verstehen. Das Ziel der Philosophie ist die Erkenntnis der Wahrheit, das des Glaubens hingegen der fromme Gehorsam. Die Philosophie als Domäne der Vernunft und die Theologie als Domäne des Glaubens müssen daher streng voneinander getrennt werden. Auf beiden Wegen, durch Vernunft oder Glauben, kann man tugendhaft leben. Gerade weil Ersteres aber nur wenigen Menschen vollständig gelingt, ist die Heilige Schrift so wichtig.

Staat und Recht

Von Natur aus darf der Mensch sein Leben mit allen Mitteln so sicher und so angenehm wie möglich gestalten. Erst durch das Zusammenleben der Menschen gibt jedes Individuum dieses Recht zugunsten der Gesellschaft ab, um so die gemeinsame Sicherheit aller Individuen zu gewährleisten. Ein solches Gesellschaftsrecht nennt man Demokratie. Sie ermöglicht eine Gleichheit unter den Menschen, wie es sie im Zustand des Naturrechts gegeben hat. Die Gesetze, die für eine Demokratie nötig sind, müssen allein nach den Maßstäben der Vernunft formuliert werden. Und sie müssen immer die größtmögliche Freiheit und Sicherheit des Einzelnen zum Ziel haben. Nur so wird gewährleistet, dass weiterhin jeder das gesellschaftliche Recht der Rückkehr zum natürlichen Recht vorzieht. Die demokratische Staatsform begünstigt vernünftige Gesetze, denn bei einer großen Anzahl von Entscheidenden ist es wahrscheinlicher, dass das Ergebnis der Vernunft entspricht.

„Der Glaube lässt daher jedem die volle Freiheit zu philosophieren, sodass man über alles denken kann, wie man will (...)“ (S. 220)

Ist der Vertrag der Menschen untereinander einmal geschlossen, müssen sie der Regierung – die stellvertretend für sie entscheidet – in jedem Fall gehorchen. Das gilt auch für Angelegenheiten der Religion: Wo das Wohl des Staates mit religiösen Meinungen in Konflikt gerät, muss immer der Staat die Autorität haben, der Regierung muss das Recht zur Auslegung der Religion vorbehalten bleiben. Daraus folgt, dass auch der Papst den Bürgern eines Landes keine Vorschriften machen darf, die die Religionsausübung betreffen.

„Da ausnahmslos alle Menschen gehorchen können und nur sehr wenige (...) durch die bloße Leitung der Vernunft eine tugendhafte Lebensführung erreichen, so müssten wir an dem Heil fast aller Menschen zweifeln, wenn wir das Zeugnis der Schrift nicht hätten.“ (S. 231)

Die Willens- und Meinungsfreiheit schließlich ist ein Recht, das überhaupt nicht auf eine höhere Gewalt übertragen werden kann. Daher ist es auch vollkommen sinnlos, Meinungen in Gesetzen festschreiben zu wollen. Die Menschen sind so geschaffen, dass sie sich gegen jede Einschränkung ihrer Überzeugungen wehren. Der Friede innerhalb des Staates kann deshalb nur dann gewahrt werden, wenn jeder frei ist zu denken und zu sagen, was ihm beliebt.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Theologisch-politische Traktat besteht aus 20 Kapiteln. Die ersten 13 beschäftigen sich vor allem mit der Bibel und ihrer richtigen Auslegung, während die Kapitel 14 und 15 das Verhältnis zwischen Theologie und Philosophie untersuchen. Erst in den Kapiteln 16 bis 20 wird das Thema behandelt, das man aufgrund des Titels erwartet: das Verhältnis zwischen Religion und Staat. Spinoza geht in seiner Untersuchung Schritt für Schritt vor und ist bemüht, auch das kleinste Detail, das seine Argumentation beeinflussen könnte, zu berücksichtigen. So beinhaltet der Traktat eine ausführliche Analyse der Bücher des Alten Testaments, die beweisen soll, dass man, um gläubig zu sein, nicht alles für wahr halten muss, was in der Bibel geschrieben steht. Diese wissenschaftliche Akribie kann mitunter die Geduld des heutigen Lesers strapazieren.

Als Denker der frühen Neuzeit argumentierte, dachte und schrieb Spinoza auf Latein. Die deutsche Übersetzung zeigt jedoch, dass er offenbar Wert auf eine möglichst klare Sprache legte. Unnötigen Ballast sucht man vergebens, und die Schlussfolgerungen brillieren in ihrer Konsequenz. Besonders die letzten Kapitel, die sich politischen Themen widmen, bestechen bis heute durch ihre erfrischende Offenherzigkeit.

Interpretationsansätze

  • In seinem Theologisch-politischen Traktat wollte Baruch de Spinoza auf mehrere Themen eingehen, die in seinem Hauptwerk, der Ethik, keinen Platz gefunden hatten. In erster Linie ist der Traktat eine Religionskritik, die vor allem die unnützen Regeln und die Macht- und Geldbesessenheit der Kirche beanstandet. Sie will aber auch die unchristlichen Lehren, die einige religiöse Fanatiker in der Bibel belegt sehen wollen, bloßstellen.
  • Spinozas Ziel ist es, eine neue Methode der Bibelauslegung zu etablieren, die die Schrift nicht als mysteriöse Hervorbringung Gottes, sondern als Leitfaden für die richtige Lebensweise, den Menschen für Menschen abgefasst haben, versteht. Spinoza ist damit einer der ersten Vertreter der neuzeitlichen Bibelkritik.
  • Aus seiner Analyse des antiken hebräischen Staates entwickelt Spinoza eine Staatstheorie, die sich zu einem unverblümten Plädoyer für die Demokratie auswächst. In dieser Staatsform sieht er die Natur des Menschen und die Vernunft am besten berücksichtigt. Er fordert außerdem eine strikte Trennung von Religion und Staat, wobei er Letzterem die absolute gesetzliche Hoheit zugesteht.
  • Spinoza ist ein Verfechter der Rede- und Gedankenfreiheit, nicht der unbeschränkten Freiheit. In seinem Staatsverständnis soll der Einzelne sein Naturrecht zugunsten der Gesellschaft abtreten und damit in seiner Freiheit eingeschränkt werden, in dem Maße, wie es zur allgemeinen Sicherheit nötig ist. Die Freiheit, zu denken und zu sagen, was man will, ist davon jedoch nicht betroffen.
  • Es ist erstaunlich, dass sich Spinoza in diesem Werk so sehr mit dem Christentum beschäftigt, obwohl er eigentlich Jude war. Zum Christentum ist er nie konvertiert, und an dem Ausschluss aus der jüdischen Gemeinde litt er sein ganzes Leben lang. Entweder wollte er vermeiden, sich noch stärker mit den Juden Amsterdams anzulegen, oder er benutzte ganz einfach die vorherrschende Religion – das Christentum – als Beispiel für seine Philosophie.
  • Spinoza nahm den Ausschluss aus der religiösen Gemeinschaft und die damit verbundene Vereinsamung hin und verdiente sein Einkommen mit einem einfachen Handwerk, nur um seine Gedanken nicht widerrufen zu müssen. Diese Lebensphilosophie ist es, was Intellektuelle an Spinoza bis heute so fasziniert.

Historischer Hintergrund

Die Niederlande im 17. Jahrhundert

Nach der Loslösung von Spanien wurde im Jahr 1581 die Republik der Vereinigten Niederlande gegründet. Die Unabhängigkeit und eine liberale Ausrichtung ließen das Land innerhalb kurzer Zeit zu einer bedeutenden Handelsmacht werden. 1602 wurde die Ostindische Handelsgesellschaft gegründet, die für einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung sorgte. In dieser liberalen Atmosphäre florierte das geistige Leben in den Niederlanden ebenso wie die Wirtschaft. Die Republik brachte nicht nur zahlreiche eigene Denker hervor, sondern wurde auch zur Wahlheimat ausländischer Geistesgrößen, allen voran René Descartes, der sich 1629 für mehrere Jahre dort niederließ. Neben der Philosophie gelangten im 17. Jahrhundert auch die Malerei (Rembrandt van Rijn, Jan Vermeer), die Lyrik (Joost van den Vondel) und die Naturwissenschaften (Christiaan Huygens) zu einer nie gekannten Blüte. In den Jahren 1652–1667 führten zwei Seekriege gegen England zu einer Schwächung der außenpolitischen Stellung und der wirtschaftlichen Macht. Mit der Ermordung Johan de Witts, des wichtigsten Politikers der Zeit, und mit der Kriegserklärung Frankreichs endete zu Beginn der 1670er Jahre die Blütezeit der niederländischen Republik.

Entstehung

Angesichts der Bedrohung durch die Engländer war 1665 ein äußerst unruhiges Jahr für die Niederlande. Eine Vielzahl von Propheten und Theologen beunruhigten das Volk zusätzlich durch Weissagungen und nährten so den Aberglauben. Dieser Atmosphäre der Irrationalität wollte Spinoza mit dem Theologisch-politischen Traktat einen Aufruf zur Vernunft entgegensetzen und damit auch die liberale Politik Johan de Witts in schwierigen Zeiten unterstützen. Er unterbrach die Arbeit an seiner Ethik, um den Theologisch-politischen Traktat zu verfassen. Um sich jedoch persönliche Anfeindungen zu sparen, veröffentlichte er den Traktat anonym und unter Angabe eines falschen Druckortes.

Spinoza schätzte sich glücklich, „in einem Staat zu leben, in dem jedem die volle Freiheit zugestanden wird, zu urteilen und Gott nach seinem Sinne zu verehren, und in dem die Freiheit als das teuerste und köstlichste Gut gilt.“ So steht es in der Vorrede des Traktats. Die Schrift ist also nicht wie viele andere politische Abhandlungen aus der Opposition gegen einen ungerechten Staat erwachsen, sondern sollte helfen, einen bereits mehr oder weniger idealen Staat als solchen zu erhalten und ihn zudem, mit Rückgriff auf die Bibel, zu rechtfertigen.

Wirkungsgeschichte

Obwohl Spinoza versuchte, seine Autorschaft geheim zu halten, wurde schon bald nach der Veröffentlichung bekannt, wer den Theologisch-politischen Traktat verfasst hatte. Der Autor musste sich mit vielen Anfeindungen auseinandersetzen. Nach dem Sturz und der Ermordung Johan de Witts wurde der Traktat 1674 zudem als „gotteslästerlich und seelenverderbend“ verboten. Als Reaktion auf seinen massiven Angriff auf die Autorität der Kirche und der Theologen wurde Spinoza zum Atheisten erklärt. Aus Angst vor weiteren Folgen lehnte er eine Übersetzung des auf Latein verfassten Traktats ins Niederländische ab und beschloss sogar, zu Lebzeiten keine Schriften mehr zu veröffentlichen. Nach seinem Tod blieb Spinoza zwar eine bekannte Figur, seine philosophischen Thesen wurden jedoch vorerst kaum weitergeführt. Zwei seiner wichtigsten Zeitgenossen, Thomas Hobbes und Gottfried Wilhelm Leibniz, sollen den Traktat zwar gelesen, sich aber nicht weiter damit auseinandergesetzt haben.

Im 18. Jahrhundert schien sich kaum jemand mehr für den niederländischen Freidenker zu interessieren, bis Friedrich Heinrich Jacobi mit seinem Buch Über die Lehre des Spinoza (1785) einen wahren Boom der Spinozarezeption auslöste. Jacobi ist es zu verdanken, dass das philosophische System Spinozas insbesondere von deutschen Dichtern und Denkern aufgegriffen wurde. So gab nicht nur Johann Wolfgang von Goethe zu, von Spinozas Gedanken inspiriert worden zu sein, auch die deutschen Idealisten sahen in ihm einen wichtigen Vordenker ihres Programms. Freilich gab es auch in dieser Zeit viele, die sich offen gegen Spinozas Ideen wandten. So schrieb Johann Gottfried Herder über ihn, er sei ein „Feind der Offenbarung, ein Spötter der Religion“. Zu einem ganz anderen Urteil kam Ludwig Feuerbach, der Spinoza den „Moses der modernen Freigeister und Freidenker“ nannte. Doch während andere Denker des 17. Jahrhunderts, wie René Descartes, heute noch Teil jedes Philosophielehrplans sind, wurde der radikale Frühaufklärer Spinoza über die Jahrhunderte von vielen Wissenschaftlern als Kuriosum abgestempelt. Gefragt, ob er an Gott glaube, antwortete Albert Einstein: „Ich glaube an Spinozas Gott, der sich in der gesetzlichen Harmonie des Seienden offenbart, nicht an einen Gott, der sich mit Schicksalen und Handlungen der Menschen abgibt.“ Spinoza hat somit ein modernes, wissenschaftliches Gottesverständnis in die Welt gesetzt.

Über den Autor

Baruch oder Benedictus de Spinoza, wie er sich später nennt, wird am 24. November 1632 in Amsterdam als Sohn eines jüdischen Kaufmanns geboren. Seine Familie ist aus Portugal eingewandert, wo die Juden von Intoleranz und Verfolgung betroffen waren. Der Vater will, dass sein Sohn Rabbiner wird. Tatsächlich studiert der begabte Junge innerhalb weniger Jahre mit großer Begeisterung den Talmud und das Alte Testament, die gesamte antike, abendländische und jüdische Philosophiegeschichte sowie die neuere Philosophie Giordano Brunos und René Descartes’. Spinozas allumfassende Bildung und sein kritisches Bewusstsein für die Widersprüche in den heiligen Schriften bringen ihn in Gegensatz zur jüdischen Gemeinde Amsterdams. Er stellt die allgemeine Gültigkeit heiliger Dogmen und die Vorstellung vom jüdischen als dem auserwählten Volk infrage. Noch bevor er überhaupt eine Schrift publiziert hat, wird er 1655 wegen ketzerischer Äußerungen aus der jüdischen Gemeinde verstoßen. Die Folgen sind eine zeitweilige starke Vereinsamung und ein häufiger Wohnungswechsel innerhalb der Niederlande, aber auch eine große geistige Unabhängigkeit, die von zahlreichen Freunden betont wird, mit denen Spinoza in regem brieflichem Kontakt steht. Diesen Kontakten ist es zu verdanken, dass sich Spinozas Ideen genauso rasch verbreiten wie die Kritik an ihm. Die Religionsfreiheit Amsterdams ermöglicht ihm, selbst als Exkommunizierter einigermaßen unbehelligt zu leben und zu arbeiten. Obwohl Spinoza zu Lebzeiten nur den Theologisch-politischen Traktat (Tractatus Theologico-Politicus, 1670) veröffentlicht, bietet ihm die Universität Heidelberg im Jahr 1673 einen Lehrstuhl an, den der Philosoph aber nicht annimmt. Er zieht es vor, seinen Lebensunterhalt mit dem Schleifen optischer Gläser zu verdienen, womit er der jüdischen Tradition folgt, die verlangt, dass jeder Gelehrte ein Handwerk beherrschen soll. Das Einatmen der staubigen Luft führt zur frühen Erkrankung an Lungentuberkulose, woran er am 21. Februar 1677 im Alter von 44 Jahren stirbt.

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