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Kosmos

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Was ist drin?

Humboldts großer Wurf: das gesamte Wissen seiner Zeit über die Erde und den Weltraum.


Literatur­klassiker

  • Naturwissenschaften
  • Moderne

Worum es geht

Das gesamte Wissen über die Welt

Alexander von Humboldts Südamerikareise von 1799–1804 machte ihn in ganz Europa zum Star – auch deshalb, weil er am Anden-Vulkan Chimborasso höher hinaufgelangt war als je ein Mensch zuvor. Es war die größte privat finanzierte Expedition der Geschichte. Die Auswertung der Reise und die Publikation der Ergebnisse beschäftigten Humboldt für den Rest seines Lebens und zehrten sein gesamtes Vermögen auf. Eine Reihe von öffentlichen Vorträgen, die er 1827/28 in Berlin hielt, erwies sich als überraschender Publikumserfolg und bestärkte ihn in der Idee, sein Wissen über die Welt in einem schriftlichen Werk zu versammeln: dem Kosmos. In fünf Bänden, die zwischen 1845 und 1862 erschienen, beschreibt Humboldt für den wissbegierigen Leser alle nur denkbaren Phänomene des Weltraums und der Erde: die Sterne, Planeten und Kometen, die Kontinente, Gebirge, Flüsse, Vulkane, Erdbeben, Gesteinsarten, Fauna und Flora: eine gewaltige Zusammenschau des damaligen geografischen Wissens. Das war durchaus auch ein politisches Signal, galt doch Bildung immer noch als Privileg der Eliten. Der Kosmos ist Ausdruck von Humboldts Überzeugung, dass jedermann ein Recht auf Wissen und Bildung hat – ein Fanal zum Aufbruch in die Wissensgesellschaft.

Take-aways

  • Humboldts Kosmos ist eines der ersten großen populärwissenschaftlichen Werke.
  • Inhalt: Die fünf Bände enthalten eine äußerst faktenreiche Gesamtschau des damaligen Wissens über die Erde und das Weltall. Im zweiten Band bietet Humboldt zudem eine originelle und ausführliche Kulturgeschichte der Naturwahrnehmung.
  • Der Kosmos entstand aus einer Reihe von öffentlichen und akademischen Vorlesungen, die Humboldt mit großem Erfolg in Paris und Berlin gehalten hatte.
  • Diesen Vorlesungen wiederum waren Humboldts ausgedehnte Forschungsreisen in Mittel- und Südamerika sowie in Zentralasien vorausgegangen.
  • Das Werk war äußerst erfolgreich: Allein von der Originalausgabe wurden 80 000 Exemplare verkauft; sie wurde rasch in fast alle europäischen Sprachen übersetzt.
  • Humboldt gilt als der letzte Universalgelehrte, der das Wissen seiner Zeit noch einigermaßen überblickte.
  • Durch Austausch mit Koryphäen in aller Welt und durch eigene experimentelle Erfahrung konnte er immer aus direkten Quellen schöpfen.
  • Er war ein Pionier der Geologie, Geografie und Geophysik, der Meteorologie, Ozeanografie und Kartografie, er entdeckte mehrere Hundert Pflanzenarten und war mit seiner Pflanzengeografie Wegbereiter der wissenschaftlichen Ökologie.
  • Humboldt war umfassend gebildet: So kann er im Kosmos immer wieder Naturphänomene mit Metaphern aus der Kultur- oder Geistesgeschichte illustrieren.
  • Zitat: „Es ist ein gewagtes Unternehmen, den Zauber der Sinnenwelt einer Zergliederung seiner Elemente zu unterwerfen.“

Zusammenfassung

Über Naturbetrachtung

Das Wesen der Natur kann nur erfassen, wer sie mit allen Sinnen wahrnimmt. Das Messen und Erheben von Fakten ist ebenso bedeutsam wie das Staunen, die Würdigung der Details ebenso wie der Blick für das Ganze: Je intensiver man sich mit den Naturkräften beschäftigt, umso deutlicher erkennt man die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Naturphänomenen. Die Naturwissenschaften haben ein Stadium erreicht, in dem nicht länger isolierte Tatsachen nebeneinanderstehen, sondern Fakten und Daten aus allen Teilen der Welt einander ergänzen und gemeinsam zur Lösung wissenschaftlicher Fragen beitragen. Zur Erkenntnis gehört aber auch das Wissen darüber, wie der derzeitige Erkenntnisstand erlangt wurde. Die Herausbildung systematischen Wissens unterscheidet sich von dem, was man bis zum Ende des 18. Jahrhunderts als „populäres Wissen“ bezeichnete. Je mehr die Einsicht zunimmt, dass alle Phänomene der Natur miteinander zusammenhängen, umso klarer wird auch, dass für die Kultur und den Wohlstand der Völker alle Zweige des Naturwissens gleich wichtig sind. In der Beobachtung einer anfangs isoliert und fremdartig wirkenden Erscheinung liegt oftmals der Keim einer großen Entdeckung, die weite Lebensbereiche beeinflussen kann.

Definition einer physischen Erdbeschreibung

Eine physische Erdbeschreibung muss in großen Zügen die wesentlichen Phänomene und deren Zusammenhänge schildern, also etwa die Gliederung der Kontinente und die Verteilung ihrer Massen auf den Hemisphären, welche wiederum das Klima und andere meteorologische Prozesse beeinflussen; die mittlere Höhe der Kontinente, die Gebirgszüge und ihre Entstehung, das Auftreten der Vulkane und den Verlauf der großen Flüsse, die mal Bergketten durchschneiden, mal an ihnen entlangfließen. Nicht zu einer physischen Erdbeschreibung, sondern in das Gebiet der speziellen Länderkunde gehören reine Fakten wie die Verzeichnisse sämtlicher Bergeshöhen oder die Größe der Stromgebiete.

Alles hängt miteinander zusammen

Die herkömmliche Unterscheidung zwischen der Physik (der allgemeinen Betrachtung der Materie, der Kräfte und der Bewegung) und der Chemie (der Untersuchung der Natur der Stoffe, ihrer Verbindungen und Mischungsveränderungen und der ihnen zugrunde liegenden Kräfte) ist überholt. Eine isolierte Naturbetrachtung wird in Zukunft nicht mehr erlaubt sein, da die Phänomene zusammenhängen. Alles ist Wechselwirkung.

Erscheinungen im Weltall

Seit jeher sind in der Wahrnehmung der Menschheit oben und unten, Himmel und Erde, voneinander getrennt. Der glanzvolle Sternenraum erregt zwar unsere Bewunderung, bleibt uns aber wegen seines Mangels an organischem Leben immer fremd. Ein von der sinnlichen Wahrnehmung, von den Bedürfnissen der Menschen ausgehendes Naturbild müsste also mit der Beschreibung der Erde beginnen, des Bodens, der Trennung von Meer und Land, des Lebens von Pflanzen und Tieren und der Atmosphäre. Ein Werk aber, das den Stand des gesamten Wissens zusammenfassen soll, muss anders verfahren. Es darf nicht vom subjektiven Standpunkt des menschlichen Interesses ausgehen. Hier darf das Irdische nur als ein Teil des Ganzen und als diesem untergeordnet erscheinen.

„Ich übergebe am späten Abend eines vielbewegten Lebens dem deutschen Publikum ein Werk, dessen Bild in unbestimmten Umrissen mir fast ein halbes Jahrhundert lang vor der Seele schwebte. In manchen Stimmungen habe ich dieses Werk für unausführbar gehalten: und bin, wenn ich es aufgegeben, wieder, vielleicht unvorsichtig, zu demselben zurückgekehrt.“ (S. 3“

Die Phänomene des Weltalls sind für den Erdbewohner einzig durch die Äußerungen des Lichts und der Gravitation wahrzunehmen, eine objektive Wahrheit bleibt ihm daher verschlossen. Der Weltraum lässt sich mit einem irdischen Ozean vergleichen, denn die Materie des Universums verteilt sich ähnlich wie die Inseln im Meer: Es gibt Nebelflecken, die sich wie Archipele um mehrere Kerne verdichten, es gibt Sternhaufen und Einzelsterne. Der Sternhaufen, in dem sich die Erde befindet, bildet eine linsenförmig abgeplattete Galaxie, deren Längsachse auf 700–800 und deren Querachse auf 150 Siriusweiten (eine astronomische Maßeinheit) geschätzt wird. Unter den vielen so genannten Fixsternen unserer „Weltinsel“ – die in Wahrheit ständig ihre Position verändern – ist unsere Sonne der einzige, den wir durch tatsächliche Beobachtung und im Verhältnis zu den ihn umkreisenden Planeten und anderen Himmelskörpern als Zentralgestirn erkennen.

„Es ist ein gewagtes Unternehmen, den Zauber der Sinnenwelt einer Zergliederung seiner Elemente zu unterwerfen.“ (S. 11)

Weitere Erscheinungen, die es zu beschreiben gilt, sind die Wärmestrahlung der Sterne, die Temperatur des Weltraums, Sternhaufen, die Lichtgeschwindigkeit, die Leistungsfähigkeit der Teleskope und die Grenzen der optischen Wahrnehmung, veränderliche Sterne, Doppelsterne, Nebelflecken. In Bezug auf das Sonnensystem sollte Folgendes untersucht werden: die Eigenschaften der Sonne, ihre Lichtintensität, der Zusammenhang zwischen Licht, Wärme, Elektrizität und Magnetismus, Haupt- und Nebenplaneten, ihre Größe, Abstände zur Sonne, ihre Bahnen und Umlaufzeiten, ihre Monde, Atmosphären und Vulkanismus auf den Planeten, Kometen, Meteorsteine, Feuerkugeln, Sternschnuppen, die chemische Zusammensetzung der Meteor-Asteroiden, die Ortsveränderung des Sonnensystems, die Gültigkeit der Gravitationsgesetze außerhalb des Sonnensystems, der Blick in das Weltall als Blick in Zeit und Raum.

Erscheinungen auf der Erde

Das Wissen über die Erde hat in letzter Zeit (Anfang des 19. Jahrhunderts) durch Forschungen enorm zugenommen. Das Problem der Gestalt der Erde ist auf verschiedene Weise zu lösen versucht worden, wobei das Augenmerk vor allem den geodätisch-astronomischen Gradmessungen, also den möglichst genauen Vermessungen der Breiten- und Längengrade, galt. Wie in der Astronomie hat das stete Streben nach Genauigkeit stark zur Verbesserung der Instrumente und der Methoden beigetragen. Die Form der Erde lässt sich annähernd als ein abgeplattetes, so genanntes „elliptisches Rotations-Sphäroid“ beschreiben.

Vulkanismus und Erdbeben

Vulkanismus wird hier verstanden als die Gesamtheit der Reaktionen des Inneren eines Planeten gegen dessen Oberfläche, die insbesondere für die Entstehung der Gesteine eine Rolle spielen. Vulkane können gewissermaßen als Quellen angesehen werden, die Gase, Flüssigkeiten, flüssiges oder festes Gesteinsmaterial oder aber eine Kombination von allem zutage fördern.

„Ein dumpfes, schauervolles Gefühl von der Einheit der Naturgewalten, von dem geheimnißvollen Bande, welches das Sinnliche und Übersinnliche verknüpft, ist allerdings (und meine eigenen Reisen haben es bestätigt) selbst wilden Völkern eigen.“ (S. 16)

Ein Erdbeben gehört zu den eindrücklichsten Naturereignissen. Was uns daran so stark berührt, ist weniger der reine Schrecken als vielmehr die Erschütterung des Glaubens an die Ruhe und Unbeweglichkeit der starren Erdkruste, woran wir doch von Kindheit an gewöhnt sind. Dieselbe ängstliche Unruhe ist auch bei den Tieren zu spüren, besonders bei Schweinen und Hunden. Sogar die Krokodile im Orinoko (Fluss in Venezuela), die sonst so stumm wie Eidechsen sind, verließen bei einem Erdbeben panisch den erschütterten Boden des Flusses und liefen brüllend in den Wald.

„Es ist ein sicheres Criterium der Menge und des Werthes der Entdeckungen, die in einer Wissenschaft zu erwarten sind, wenn die Thatsachen noch unverkettet, fast ohne Beziehung auf einander dastehen, ja wenn mehrere derselben, und zwar mit gleicher Sorgfalt beobachtete, sich zu widersprechen scheinen.“ (S. 22)

Die Zusammenhänge zwischen Vulkanismus und Erdbeben sind vielfältig und waren schon im Altertum bekannt. Zum einen sind sie sichtbar an den vulkanischen Erscheinungen, die Erdbeben begleiten können: Ausbrüche von Wasser, heißen Dämpfen, Schlamm, Rauch und Flammen. Zum anderen gibt es vielerlei Interaktionen: Eine Rauchsäule, die monatelang aus einem Vulkan in der Nähe von Pasto (Stadt in Kolumbien) aufstieg, verschwand plötzlich, als 1797 die Provinz Quito von einem Erdbeben heimgesucht wurde. Umgekehrt bedeuteten oft Ausbrüche des Ätna das Ende lang anhaltender Erschütterungen an der Küste Siziliens und Unteritaliens.

Entstehung der Gesteine

Es gibt im Wesentlichen drei Entstehungsformen der Gesteine: Die endogenen oder Eruptionsgesteine sind unmittelbare Erzeugnisse unterirdischer Tätigkeit. Zu ihnen gehören Granit, Syenit, Quarz-Porphyr, Grünstein, Basalt, Trachyt oder Dolerit. Die zweite Klasse bilden die Sedimentgesteine, die sich aus Flüssigkeiten niederschlagen oder absetzen. Zu dieser Gruppe zählen Schiefer, Steinkohleablagerungen, Kalksteine, Travertine und Sandsteine. Besonders interessant ist die dritte Klasse, die durch Umwandlung und unter dem Einfluss der Eruptionsgesteine entsteht: die metamorphen Gesteine, wie Gneis, Glimmerschiefer oder Marmor. Die Überzeugung, dass es die Gesteinsmetamorphose tatsächlich gibt, hat sich erst durchsetzen können, als es gelungen ist, durch Versuche zum Schmelzverhalten, zur chemischen Veränderung etc. die einzelnen Phasen der Gesteinsveränderung schrittweise nachzuvollziehen.

„Die Vielheit der Erscheinungen des Kosmos in der Form eines rein rationalen Zusammenhanges zu umfassen, kann, meiner Einsicht nach, bei dem jetzigen Zustande unseres empirischen Wissens nicht erlangt werden.“ (S. 35)

Weitere Erscheinungen auf der Erde gilt es zu beschreiben: die genaue Masse und Dichte der Erde, ihr Wärmegehalt, ihre elektrische Leitfähigkeit, die Zunahme der Temperatur mit der Tiefe, die Lage und Form des Erdmagnetfeldes, die Wanderung der magnetischen Pole, Magnetgewitter und Polarlichter, die verschiedenen Epochen der Erdgeschichte, Vorgänge der Gebirgsbildung, die Ozeane, die Meeresströmungen und die Atmosphäre, die Verteilung der Tiere und Pflanzen auf den Kontinenten entsprechend den unterschiedlichen klimatischen Verhältnissen, der Vegetation, der Bodenbeschaffenheit etc.

Eine Kulturgeschichte der Naturwahrnehmung

Ein wirkliches physisches Weltverständnis ist nicht denkbar ohne das Wissen über dessen historische Entwicklung. Ein wesentlicher Schritt war dabei der Übergang von intuitiver zu methodisch erworbener Erkenntnis.

„Man hat mit Recht gesagt, daß wir mit unsern großen Fernröhren gleichzeitig vordringen in den Raum und in die Zeit. Wir messen jenen durch diese; eine Stunde Weges sind für den Lichtstrahl 148 Millionen Meilen.“ (S. 78)

Es hat ebenso wenig ein einzelnes Urvolk gegeben wie eine Urkultur oder eine Urphysik, aus der alles andere hervorgegangen ist: Wissen und Kultur sind vielmehr nebeneinander an mehreren Zentren sichtbar geworden, gleichsam wie Fixsterne am Firmament. Der Weg der wissenschaftlichen Erkenntnis ist kein geradliniger: Die Erkenntnis vollzieht sich oft als eine Pendelbewegung zwischen Irrtum und Wahrheit.

„Es herrscht demnach, und die neuesten Beobachtungen bestätigen diese Ansicht, in der ewigen Nacht der oceanischen Tiefen vorzugsweise das Thierleben, während auf den Continenten, des periodischen Reizes der Sonnenstrahlen bedürftig, das Pflanzenleben am meisten verbreitet ist.“ (S. 180)

Seit jeher hat die Geografie die Entwicklung der Kultur beeinflusst. Die Ausrichtung der Gebirge etwa und oft auch der großen Flüsse wirken auf das Klima, auf Luft- und Meeresströmungen, dadurch auf Schifffahrt und Handelswege und den Verlauf der Besiedlung. So erhellt sich die Geschichte der Völker der Antike, die sich um das Mittelmeer herum und in den großen Stromgebieten des westlichen Asiens angesiedelt haben, durch Kenntnis der geografischen Gegebenheiten.

„Von dem ewigen Schnee der Alpen, wenn sie sich am Abend oder am frühen Morgen röthen, von der Schönheit des blauen Gletschereises, von der großartigen Natur der schweizerischen Landschaft ist keine Schilderung aus dem Alterthum auf uns gekommen; und doch gingen ununterbrochen Staatsmänner, Heerführer, und in ihrem Gefolge Litteraten durch Helvetien nach Gallien. Alle diese Reisenden wissen nur über die unfahrbaren, scheußlichen Wege zu klagen, das Romantische der Naturscenen beschäftigte sie nie.“ (S. 200)

Die Eroberungszüge Alexanders des Großen – wie auch seiner Nachfolger in der Weltgeschichte – können zugleich als wissenschaftliche Expedition gesehen werden. Durch sie wurde das Wissen des antiken Griechenlands schlagartig erweitert: Plötzlich gab es ganz neue Handelsgüter und Technologien, Heilpflanzen, Anbaumethoden, Tiere, Vögel, Speisen, Erfahrungswelten und Kenntnisse, etwa das astronomische Wissen der Babylonier. Man kann wohl sagen, dass in keiner anderen Epoche einem Teil der Menschheit eine derartige Fülle von neuen Naturansichten und neuem Wissen über fremde Kulturen vermittelt worden ist wie den Griechen zur Zeit Alexanders. Die Kontakte zu den Kulturen in Arabien, Persien oder Indien haben die Welt der Antike nachhaltig verändert und auch jeweils neue physische Weltbeschreibungen angeregt.

„Allerdings ist die Natur in jedem Winkel der Erde ein Abglanz des Ganzen.“ (S. 232)

Entsprechend haben die wissenschaftlichen und naturkundlichen Errungenschaften der Ptolemäer, der Römer, der Araber, schließlich der spanischen und portugiesischen Seefahrer das jeweilige Bild der Natur geprägt. So ist beispielsweise die Wahrnehmung der Natur als schön und erhebend ein neueres Phänomen. Jedes Zeitalter nimmt die Natur unter seinen eigenen Prämissen wahr. Von den zahlreichen Heeren und Handelskarawanen etwa, die im Altertum die Alpen überquert haben, ist keine einzige Beschreibung überliefert, die die Schönheit der Landschaft rühmt.

„Die geschichtliche Erkenntniß der allmäligen Erweiterung des Naturwissens in beiden Sphären, der Erd- und Himmelskunde, ist nach meiner Ansicht an bestimmte Perioden, an räumlich und intellectuell wirkende Ereignisse gebunden.“ (S. 383)

Mit dem Zeitalter der großen Entdeckungen und der beginnenden Erforschung Amerikas, mit der Besitznahme einer ganzen neuen Erdhälfte wurde schließlich der Punkt erreicht, an dem der Prozess der wissenschaftlichen Erkenntnis sich zu verselbstständigen begann: Die Erweiterung des Wissens um den Kosmos ist nun nicht mehr so stark wie früher an einzelne politische oder räumlich begrenzte Begebenheiten geknüpft. Erst vor diesem Hintergrund konnte überhaupt die moderne Wissenschaft entstehen, die Erkenntnis und Fortschritt aus sich heraus und gleichzeitig nach allen Richtungen hervorbringt. Im Gegensatz zur Kunst, die sich im Wesentlichen innerhalb der Einbildungskraft und des Gemütes abspielt, beruht die Erweiterung des Wissens vorzugsweise auf dem Kontakt zur Außenwelt.

Zum Text

Aufbau und Stil

Zwei Eigenarten machen den Kosmos zu einem schwierig zu erfassenden Werk: zum einen die enorme Materialfülle und zum anderen Humboldts unentschlossener Umgang damit. Ein aktiver Lektor hätte dem Buch zweifellos gutgetan. Humboldts Schreibstil ist uneinheitlich, Sätze von großer Klarheit stehen neben extrem verschachtelten und mit Details überladenen Beschreibungen. Trotzdem enthält der Kosmos zahlreiche stilistische und inhaltliche Perlen. Am stärksten ist Humboldt vor allem darin, große Entwicklungslinien – sei es in der Natur oder in der Geschichte der Menschheit – mit wenigen Worten klar zu umreißen. Ansonsten ist das ewige Abwägen von Fakten, deren Bedeutung der Leser nicht abschätzen kann, etwas ermüdend. Nicht ungeschickt dagegen ist die Methode, einen Großteil der wissenschaftlichen Diskussion in die Fußnoten auszugliedern. Diese sind dann zwar oft länger als der eigentliche Text, der aber dadurch wenigstens nicht mit noch mehr Fakten überfrachtet wird. Die Verteilung des Inhalts auf die fünf Bände ist wenig überzeugend; sie ergab sich erst während der immer weiter ausufernden Arbeit. Der erste Band umfasst im Grunde schon das ganze Gebiet der physischen Weltbeschreibung: die Erscheinungen im Weltall und auf der Erde. Die Bände drei bis fünf vertiefen in enormer Faktenfülle die Themen des ersten Bandes. Der posthum herausgegebene Band fünf endet abrupt mit der Diskussion des Alters zweier Schiefergesteine. Dem Werk fehlt ein wirklicher Abschluss – der wohl auch dann nicht gelungen wäre, wenn Humboldt noch mehr Zeit geblieben wäre. Band zwei ist von den übrigen Bänden völlig verschieden, er enthält den hochinteressanten Versuch einer Kulturgeschichte der Naturwahrnehmung, in Humboldts Worten: „die Geschichte der sich allmälig entwickelnden Erkenntnis des Weltganzen“. Besonders dieser Teil des Kosmos ist auch heute noch mit Gewinn zu lesen.

Interpretationsansätze

  • Der Kosmos ist ein frühes und großes Werk populärwissenschaftlicher Literatur, das Zeugnis eines leidenschaftlichen Forschers und Erklärers. Als solcher erwies sich Humboldt auch mit seinen Karten und Grafiken: Seine Schaubilder von den Vegetations-Höhenstufen an Bergen verschiedener Klimazonen oder seine Karte der Orinoco-Amazonas-Verbindung schrieben Wissenschaftsgeschichte.
  • Vieles an Humboldts Arbeitsweise ist zeitlos aktuell: sein Beharren auf der Empirie (der Erfahrungswissenschaft), seine kritische Bewertung sämtlicher Fakten, sein Wille, von den Details auf ein großes Bild zu schließen, und nicht zuletzt die Bereitschaft, ständig dazuzulernen. Seine von Intuition und Faktenwissen zugleich bestimmte Weltsicht gipfelt in einem Satz, den erst die Teilchenphysik des 20. Jahrhunderts empirisch zu belegen vermochte: „Alles ist Wechselwirkung.“
  • Kein anderer als Humboldt, der oft als der letzte Universalgelehrte bezeichnet wird, mit seiner Expeditions- und Experimentier-Erfahrung, seinem ungeheuren Wissen auf zahlreichen Gebieten und seiner vernetzten Arbeitsweise mit Korrespondenten in aller Welt, hätte überhaupt ein so gewaltiges Werk wie den Kosmos in Angriff nehmen können. Trotzdem war der Anspruch, das gesamte verfügbare Wissen über die Erde in einem Werk zu versammeln, eigentlich schon damals nicht mehr einzulösen.
  • In diesem Sinne kann der Kosmos auch als Dokument einer Überforderung gesehen werden, wenn nicht gar des Scheiterns – eines grandiosen Scheiterns freilich, auf allerhöchstem Niveau.

Historischer Hintergrund

Wissenschaft im Umbruch

Die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert war eine Zeit tief greifender Umbrüche. Die Aufklärung und die Französische Revolution hatten dem Menschen ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Wissen, speziell Wissen über die Natur, wurde zunehmend als Schlüssel zum Begreifen der Welt verstanden. Die Wissenschaft begann immer mehr Lebensbereiche zu durchdringen. War wissenschaftlicher Fortschritt in früheren Jahrhunderten vor allem genialen Einzelleistungen zu verdanken gewesen, so begann sich jetzt nach und nach die uns heute vertraute wissenschaftliche Methodik herauszubilden, die quasi aus sich selbst heraus Ergebnisse produziert: analytisches Herangehen, Dokumentation und Nachvollziehbarkeit der Experimente, systematische Publikation und Austausch von Ergebnissen. Die großen Expeditionen vor allem der Briten und Franzosen brachten eine Fülle von Material heim nach Europa: neue Tier- und Pflanzenarten, Berichte über unbekannte Völker, seltene Erze, exakte Kartierungen von Küsten und Inseln. Als Napoleon 1798 in Ägypten einmarschierte, folgte ihm eine Armada von 200 Wissenschaftlern. Ein Wissenschaftsbetrieb im heutigen Sinn und eine reichhaltige Publikationslandschaft mit Fachzeitschriften begannen sich erst zu Humboldts Lebzeiten herauszubilden. Bis dahin waren Naturforscher zum Publizieren ihrer Ergebnisse auf staatliche Unterstützung, auf private Sponsoren oder auf eigene Mittel angewiesen – was in Humboldts Fall sein beträchtliches Vermögen aufzehrte.

Entstehung

Die ersten Ideen zu einem umfassenden Werk wie dem Kosmos hatte Humboldt schon sehr früh. Bereits 1796 erwähnte er den Gedanken einer „Physik der Welt“, offenbar eine vage Idee einer allumfassenden Theorie, die sich freilich so nicht verwirklichen ließ. Der Erfolg seiner Forschungsreise nach Südamerika 1799–1804, seiner Schriften wie der 1808 publizierten Ansichten der Natur und der öffentlichen Vorträge, die er zunächst in Paris und 1827/28 in Berlin hielt, ließen schließlich in ihm den Plan für den Kosmos reifen. „Ich habe den tollen Einfall, die ganze materielle Welt, alles, was wir heute von den Erscheinungen der Himmelsräume und des Erdenlebens, von den Nebelsternen bis zur Geografie der Moose auf den Granitfelsen wissen, alles in einem Werk darzustellen, und in einem Werk, das zugleich in lebendiger Sprache anregt und das Gemüt ergötzt“, schrieb er 1834 in einem Brief. Zu dieser Zeit begann er mit der konkreten Arbeit. Der erste Band des Kosmos erschien 1845, der zweite 1847, der dritte 1850, der vierte 1858 und der fünfte posthum (Humboldt starb 1859) im Jahr 1862.

Wirkungsgeschichte

Der Kosmos war von Beginn an ein publizistischer Erfolg. Die ersten beiden Bände mussten rasch nachgedruckt werden, die weiteren kamen in entsprechend hohen Auflagen heraus. Insgesamt wurde die Originalausgabe rund 80 000 Mal verkauft. Die Wirkung auf die Welt der Wissenschaft war allerdings gering (und wohl auch weniger beabsichtigt); der Kosmos war in erster Linie als populärwissenschaftliches Werk gedacht. Er verfehlte seine Wirkung nicht: Der Ausdruck „Kosmos“ wurde in der Folge zum Symbol für den Wissensdrang des gebildeten Bürgertums. Der 1903 gegründete Verein „Kosmos – Gesellschaft der Naturfreunde“ und die gleichnamige Zeitschrift (heute noch existent als natur+kosmos) bezogen sich ausdrücklich auf diese Geisteshaltung.

Man kann davon ausgehen, dass der Kosmos viel häufiger gekauft und ins Regal gestellt als tatsächlich gelesen wurde. Es gilt wohl für das gedruckte Werk dasselbe, was ein Zeitgenosse über Humboldts populäre Vorträge in der Berliner Singakademie bemerkte: „Der Saal vermochte nicht die Zuhörer zu fassen, und die Zuhörer nicht den Vortrag.“ Den Kosmos im Wohnzimmerschrank stehen zu haben, war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zumindest auf dem Lande durchaus eine Provokation: Pfarrer und konservative Politiker sahen diese Anhäufung weltlichen Wissens in Laienhänden nicht gern.

Alexander von Humboldt fiel später im kollektiven Bewusstsein der Deutschen weit hinter die herausragende Stellung zurück, die er zu Lebzeiten innegehabt hatte. Dies war vielleicht eine unbewusste, aber umso nachhaltigere Reaktion darauf, dass Humboldt, der bis 1827, also auch während der Napoleonischen Kriege, in Paris gelebt hatte, in Preußen manchen als „Franzosenfreund“ und Vaterlandsverräter galt. Zwar fördert z. B. die renommierte Alexander-von-Humboldt-Stiftung seit 1953 Forschungsaufenthalte ausländischer Gastwissenschaftler in Deutschland. Doch in Nord- und Südamerika ist Alexander von Humboldt weitaus präsenter als in seiner Heimat: Unzählige Städte, Dörfer, Flüsse, Seen, Berge, Gletscher und Meeresbuchten sind nach ihm benannt – aber auch der Humboldt-Pinguin und nicht zuletzt das „Mare Humboldtianum“ auf dem Mond.

Über den Autor

Alexander von Humboldt, geboren am 14. September 1769 auf Schloss Tegel in Berlin, gehört zur preußischen Oberschicht. Der Vater stirbt, als Alexander neun ist und sein (später ebenfalls berühmter) Bruder Wilhelm elf. Die Jungen bekommen einen aufgeklärten Erzieher, der sie mit allen modernen Ideen versorgt, sodass besonders Alexander zum überzeugten Liberalen wird. Nach kurzen Studienzeiten in Frankfurt an der Oder und Göttingen, während derer er von Anatomie über Physik und Chemie bis zur Kameralistik (Verwaltungswissenschaft) in so ziemlich alle Fächer hineinschnuppert, entscheidet Humboldt sich für ein Geologiestudium in Freiberg. Er macht den Abschluss in Rekordzeit und bekommt durch Beziehungen eine Stelle als Bergassessor, die er mit Bravour ausfüllt – um dann jedoch schlagartig den Staatsdienst zu quittieren, als er 26-jährig durch den Tod der Mutter zum Millionär wird. Beharrlich verfolgt er sein Ziel, Naturforscher zu werden und eine große Expedition durchzuführen, was ihm mit seiner berühmten Amerikareise von 1799 bis 1804 auch gelingt. Nach seiner Rückkehr wird er stürmisch gefeiert. Fortan nutzt er den Ruhm, um seine Erkenntnisse auszuwerten und zu publizieren. Er diskutiert mit Koryphäen beinahe sämtlicher Fachgebiete in aller Welt, schreibt rund 35 000 Briefe und erhält etwa dreimal so viele. Humboldt nutzt seinen Einfluss für verschiedenste Projekte, organisiert die ersten wissenschaftlichen Kongresse in Deutschland, unterstützt Nachwuchsforscher, diskutiert mit US-Präsident Roosevelt die Chancen eines Panamakanals und regt ein weltweites Netz geophysikalischer Messstationen an. Als er Mitte der 20er-Jahre so gut wie pleite ist, gibt er schließlich dem Drängen des preußischen Königs nach, der ihm eine Art Kammerherr-Position anbietet, und übersiedelt 1827 nach Berlin. So verbringt er den größten Teil seines Lebens in feindlichem Umfeld: erst als Preuße in Paris, dann – als bekennender Demokrat und Sympathisant der Märzrevolution von 1848 – am preußischen Hof, wo ihn beinahe alle hassen außer dem König; trotzdem steht er stets zu seinen Überzeugungen. Am 6. Mai 1859 stirbt Humboldt, der bis zuletzt an seinem Hauptwerk Kosmos arbeitet, in seiner Wohnung in Berlin, ohne Angehörige zu hinterlassen. Er erhält ein prächtiges Staatsbegräbnis, das er durch seine Kontakte zum Hof rechtzeitig selbst eingefädelt hat.

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