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Lazarillo de Tormes

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Lazarillo de Tormes

Reclam,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
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Was ist drin?

Hunger, Heuchelei und Bauernschläue im Spanien des 16. Jahrhunderts – der erste Schelmenroman der Weltliteratur.


Literatur­klassiker

  • Schelmenroman
  • Siglo de Oro

Worum es geht

Der erste Schelmenroman

Lazarillos respektlose, bittere, verzweifelte und dabei ungemein komische Lebensgeschichte war unerhört in ihrer Zeit: Mitte des 16. Jahrhunderts war die spanische Literatur von Idyllen und Heldengeschichten beherrscht. Im Lazarillo de Tormes stand plötzlich ein Hunger leidender Junge aus dem Proletariat im Mittelpunkt, in dessen Erlebnissen die Misere des Landes ebenso zum Vorschein kam wie die Niedrigkeiten und die Doppelmoral der feineren Kreise. Adel und Klerus werden hier als Schmarotzer an einem darbenden Volk gezeichnet – und als skrupellos unproduktive Klassen trugen sie in der Tat die Hauptschuld an Spaniens jahrhundertelangem Rückstand. Aus Lazarillo, dem bauernschlauen Kerl, der sich mit knurrendem Magen durchlaviert und dabei in aller Unschuld der Gesellschaft den Spiegel vorhält, wurde ein Vorbild für zahlreiche literarische Nachfolger: Das kurze und mitunter etwas unebene Buch begründete das Genre des Schelmenromans, das noch immer neu variiert wird. Die katholische Kirche ließ das Buch umgehend verbieten und gestattete dann über lange Zeit nur eine zensierte Ausgabe. Der Autor tat wahrscheinlich gut daran, anonym zu bleiben. Heute kann man seine souveräne Mischung aus volkstümlicher und rhetorisch zugespitzter Sprache längst wieder in ganzer Breite und Tiefe genießen.

Take-aways

  • Lazarillo de Tormes ist der erste Vertreter des literarischen Genres des Schelmenromans.
  • Inhalt: Als halbwüchsiger Junge tritt Lazarillo in den Dienst eines blinden Bettlers. Weil der ihn hungern lässt, erschleicht sich Lazarillo Speis und Trank hinter seinem Rücken – bis zum blutigen Zerwürfnis. Auch mit seinen folgenden Herren hat Lazarillo kein Glück: Es sind Geizhälse, Heuchler und arme Schlucker. Nur mit List und Langmut wird er sein Hungerproblem los.
  • Der Verfasser des Buches blieb anonym, sein Name ist bis heute nicht bekannt.
  • Der Lazarillo zeichnet ein ebenso schonungsloses wie komisches Bild des Elends in der spanischen Gesellschaft des 16. Jahrhunderts.
  • Insbesondere am Klerus lässt der Autor kein gutes Haar: Die Kirchenmänner im Buch sind verdorben, hartherzig und gottlos.
  • Niemals zuvor wurde eine Figur aus der Unterschicht zum zentralen Charakter einer literarischen Gesellschaftskritik gemacht.
  • 1559 setzte die katholische Kirche das Buch auf den Index. Bis ins 18. Jahrhundert hinein war nur eine zensierte Fassung in Umlauf.
  • Die rhetorisch geschliffene und wortspielreiche Sprache weisen auf einen hochgebildeten Verfasser hin.
  • Werke wie Der Abenteuerliche Simplicissimus von Grimmelshausen wurden vom Lazarillo beeinflusst.
  • Zitat: „Und ich meine, das Licht für meine tiefschwarzen Einfälle ging mir vom Hunger auf, heißt es doch immer, durch ihn werde der Verstand geschärft (…)“

Zusammenfassung

Eine elend arme Kindheit

In einer kurzen Vorrede drückt der Erzähler Lázaro de Tormes die Hoffnung aus, sein Werk möge viele Leser finden. Er habe den Text mit den besten Absichten verfasst, deshalb enthalte er bestimmt einige bedenkenswerte Punkte. Vor allem aber wünscht er sich, der eigentliche Adressat seiner Schrift, ein hoher Herr, der ihn brieflich um die Abfassung des vorliegenden Berichts gebeten habe, möge Wohlgefallen an dem Text finden. Er soll daraus nicht nur vieles über das Leben des Erzählers lernen, sondern auch, inwieweit einige Menschen vom glücklichen Schicksal überreich bedacht würden, während andere sich nur gegen gewaltige Widrigkeiten eine erträgliche Existenz erkämpfen könnten.

„Dummkopf, mach dir klar, dass der Bursche des Blinden noch ein Stück schlauer sein muss als der Teufel.“ (der Blinde zu Lazarillo, S. 21)

Lázaro, genannt Lazarillo, stammt aus einem Ort nahe Salamanca. Sein Vater hat eine Mühle am Fluss Tormes zu beaufsichtigen. Als Lazarillo acht Jahre alt ist, wird der Vater dabei ertappt, wie er aus den Getreidesäcken anderer Leute stiehlt. Daraufhin muss er in die Verbannung; während eines Feldzugs gegen die Mauren, bei denen er lebt, kommt er um. Die Mutter zieht mit Lazarillo nach Salamanca und versucht sich dort als Köchin und Wäscherin über Wasser zu halten. Der farbige Stallknecht Zaide gesellt sich zu ihr. Lazarillo mag ihn zunächst nicht. Es spricht allerdings für den Mann, dass nun mehr Essen ins Haus kommt. Die Mutter bekommt von Zaide einen zweiten Sohn. Um die Familie zu ernähren, verkauft Zaide regelmäßig Dinge aus dem Stall seines Herrn. Als diese Machenschaften auffliegen, wird er ausgepeitscht. Der Umgang mit seiner Familie ist ihm von nun an untersagt. Auch die Mutter verliert, als Mitwisserin, ihre Arbeit. Sie bedient fortan im Gasthaus, unterstützt von Lazarillo.

Ein Blinder weist Lazarillo den Weg – und umgekehrt

Im Gasthaus wird ein Blinder auf Lazarillo aufmerksam. Er überredet die Mutter, ihm den Sohn als Führer anzuvertrauen. Er werde ihn behandeln wie sein eigenes Kind. Schon auf dem Weg aus der Stadt allerdings legt der Blinde Lazarillo böse herein: Er lockt ihn an eine steinerne Tierfigur heran, die angeblich ein Geräusch von sich geben soll. Als Lazarillo das Geräusch hören will, stößt der Blinde den Kopf des Jungen heftig gegen den Stein. Der Stoß ist als schmerzhafte Lektion gemeint: Der Bursche eines Blinden dürfe nie leichtgläubig, sondern müsse stets auf der Hut sein. Tatsächlich scheint mit einem Mal die kindliche Unschuld von Lazarillo abzufallen. Er nimmt sich vor, künftig genauer auf seine Umwelt zu achten, um nicht unterzugehen.

„Mir schien, ich erwachte in diesem Augenblick aus der Einfalt, in der ich als Kind geschlummert hatte. Ich sagte bei mir: ,Recht hat er doch, der da, ich muss von jetzt an genauer hinschauen, denn ich bin allein, und muss überlegen, wie ich mich durchsetzen kann.‘“ (S. 21)

Der Blinde versteht es geschickt, mit Leidensmiene und allerlei Gebeten, Prophezeiungen und Quacksalbereien einiges zu erbetteln und zu ergaunern. Zugleich scheint er aber von Geiz zerfressen. Jedenfalls lässt er Lazarillo kaum an den Einnahmen teilhaben. Um nicht vor Hunger umzukommen, muss Lazarillo Schliche ersinnen. Der Blinde führt die gesamte Verpflegung in einem Leinenbeutel bei sich. Zwar verschließt er dessen Öffnung stets, doch gelingt es Lazarillo, durch Auf- und Zunähen einer Beutelnaht regelmäßig an die Verpflegung des Bettlers zu kommen. Beim Betteln halbiert er bald systematisch den Lohn des Blinden, indem er schnell jede hingehaltene Blanca-Münze an sich nimmt und seinem Herrn stattdessen eine vorrätige halbe Blanca-Münze weiterreicht.

„Und so kam es, dass, nach Gott, dieser mir das Dasein schenkte und, wenn auch blind, mich aufklärte und mich unterwies auf dem Weg des Lebens.“ (über den Blinden, S. 21)

Auch am Wein des Blinden vergreift er sich mit großem Geschick – zunächst mit einem einfachen Griff zum Krug, dann mithilfe eines langen Strohhalms, schließlich durch ein wächsernes Spundloch am Boden des Krugs. Als der Blinde ihn dennoch auf frischer Tat ertappt, schlägt er Lazarillo den Krug mit voller Kraft ins Gesicht. Die Tonscherben reißen böse Wunden in die Haut des Jungen. Daraufhin nimmt sich Lazarillo vor, den Blinden zu verlassen, bevor er womöglich einmal von ihm totgeschlagen wird.

Brutale Rache mal zwei

Eines Nachts muss Lazarillo für seinen Herrn eine Wurst braten, von der er selbst wiederum nichts abbekommen soll. Er tauscht sie heimlich gegen eine alte Rübe aus und verzehrt die Wurst im Stillen selbst. Als der Alte die Rübe statt der Wurst zwischen den Zähnen hat, geht er sofort auf Lazarillo los. Der leugnet den Tausch zwar, aber der Blinde steckt nun seine Nase tief in Lazarillos Mund, um das verräterische Fleischaroma zu erschnüffeln. Lazarillo muss daraufhin die Wurst erbrechen – dem Bettler ins Gesicht. Herbeieilende Leute verhindern gerade noch, dass die folgende Tracht Prügel tödlich endet. Lazarillo bereut, dem Blinden die Nase nicht gleich abgebissen zu haben. Am nächsten Tag holt er zum Racheschlag aus. Es regnet stark. Lazarillo redet seinem Herrn ein, sie beide müssten einen angeschwollenen Bach mit einem Sprung überqueren, um ins Gasthaus zu gelangen. Er stellt den Blinden direkt vor einen steinernen Pfeiler und fordert ihn dann zum entscheidenden Satz auf. Der Bettler prallt frontal gegen die Säule und fällt mit geplatztem Kopf sofort wie tot nieder. Lazarillo ruft ihm noch einen hämischen Spruch nach und macht sich dann aus dem Staub. Ob der Blinde überlebt hat? Lazarillo weiß es nicht.

Zum Sattessen braucht’s einen Leichenschmaus

In einem Ort namens Maqueda macht ein Priester Lazarillo zum Messdiener. Rückblickend, verglichen mit dem Geiz seines neuen Herrn, scheint ihm der Blinde bald großzügig. Schon nach drei Wochen meint er, vor Hunger sterben zu müssen, denn von dem Fleisch, das sich der Priester gönnt, bleiben für den Diener nur abgenagte Knochen. Einzig auf Leichenschmäusen bekommt Lazarillo ordentlich zu essen, weshalb er insgeheim jeden Todesfall in der Gemeinde begrüßt. Er überlebt, weil andere sterben – mitunter glaubt er gar, dass Gott manchen Kranken extra zu sich ruft, um ihn, Lazarillo, leidlich zu versorgen.

„Mehr kann ich nicht sagen, als dass alle Schäbigkeit der Welt in diesem Menschen beschlossen war, wobei ich nicht weiß, ob er das in sich selbst erzeugt oder aber mit dem geistlichen Gewand in sich aufgenommen hatte.“ (über den Priester, S. 49)

Von einem Kesselflicker ergaunert sich Lazarillo einen Zweitschlüssel für die Lade, in der der Priester seine Opferbrote aufbewahrt. In den folgenden Tagen zweigt er reichlich Brot für sich ab, doch schnell bemerkt der Priester den Schwund. Lazarillo knabbert nun so an den Broten herum, als hätten sich Mäuse über die Lade hergemacht. Daraufhin stellt der Priester eine Mäusefalle hinein. Diese bleibt aber unberührt, weshalb der Priester glaubt, eine kleine Schlange stehle sein Brot. Als er eines Nachts im Dunkeln ein zischendes Pfeifen im Stroh vernimmt, drischt er darauf ein, im Glauben, die Schlange erwischt zu haben. Er trifft aber Lazarillo, der schlafend, mit dem Brotladenschlüssel zwischen den Zähnen, das Pfeifen verursacht hat. Lazarillo bleibt nicht nur blutüberströmt und bewusstlos liegen, sondern gibt auch den Schlüssel preis. Damit ist er des Brotdiebstahls überführt und kassiert gleich noch eine Extratracht Prügel. Als er nach zwei Wochen wieder aufstehen kann, setzt ihn der Priester vor die Tür. Lazarillo muss sich abermals einen neuen Herrn suchen.

„Da ich gerade von Leichenschmäusen sprach: Gott verzeih mir, aber ich war nie ein Feind des Menschengeschlechtes außer dabei. Und zwar, weil wir dann gut aßen und ich einmal richtig satt wurde. Ich wünschte mir, und ich bat sogar den lieben Gott darum, dass jeder Tag seinen Toten hätte (...)“ (S. 53 f.)

Der Bursche muss seinen Herrn ernähren Bettelnd gelangt er bis Toledo. Dort stellt ihn ein Escudero, ein Ritter von niederem Adel, als Bursche an. Lazarillo wähnt sich im Glück und fiebert gleich der ersten Mahlzeit entgegen, die der Ritter sicher spendieren wird. Doch schnell dämmert ihm, dass der Escudero ihn nicht besser verpflegen wird als seine bisherigen Herren. Denn der scheint selbst kaum zu essen, bedient sich aber schließlich gierig an dem letzten Brot, das Lazarillo von der Bettelei noch geblieben ist. Seine Wohnung ist äußerst ärmlich und Lazarillos Nachtlager zu Füßen des Ritters sehr unbequem. Hungrig und schlaflos bittet Lazarillo Gott darum, ihn sterben zu lassen.

„Ich habe zwei Herren gehabt – beim ersten war ich schon halb tot vor Hunger; und als ich von dem wegging, traf ich auf diesen hier, der hat mich durch den Hunger schier ins Grab gebracht; wenn ich jetzt von dem weglaufe und an einen noch übleren gerate, was kann aus mir werden, außer dass ich sterbe?“ (S. 55 f.)

Der Escudero, obwohl sehr arm, legt größten Wert auf eine stolze Erscheinung. So besucht er am Morgen die Messe und macht später den Frauen schöne Augen. Weil er Lazarillo aber weiterhungern lässt, geht dieser am folgenden Tag für einige Stunden aus dem Haus und erbettelt sich ein paar Lebensmittel. Sein neuer Herr, der stets so tut, als hätte er bereits anderweitig gespeist, wird beim Anblick des essenden Lazarillo selbst an seinen fortwährenden Hunger erinnert: Der Diener ermuntert ihn schließlich, mitzuessen. So vergehen eineinhalb Wochen: Der Ritter stolziert wie ein hoher Herr durch die Stadt und ernährt sich zu Hause von dem, was sein Bursche erbettelt hat. Im Grunde geht es Lazarillo beim Escudero noch schlechter als bei seinen vorigen Herren. Mit diesem aber hat er Mitleid, obwohl er sich auch über dessen hochmögendes Gebaren empören kann.

Der Ehrenmann macht sich aus dem Staub

Ein neuer städtischer Erlass weist alle mittellosen Fremden an, Toledo zu verlassen. Daraufhin gibt Lazarillo das Betteln vorsichtshalber auf, was die Versorgungslage im Haus des Ritters aber noch prekärer macht. Der Escudero verflucht die Stadt ohnehin; sie habe ihm kein Glück gebracht. In seine Heimat, nach Altkastilien, will er aber auch nicht zurückkehren. Er hat die Gegend verlassen, nachdem ein anderer Adliger ihn dort nicht als gleichgestellten Ritter gegrüßt hatte. Seinen dortigen Grundbesitz lässt er nun verfallen, nur um seine Ehre makellos zu halten. Lazarillo kann darüber bloß den Kopf schütteln. Eines Tages stehen der Vermieter des Hauses sowie die Vermieterin der Bettdecke vor der Tür und fordern ausstehendes Geld. Der Ritter kündigt an, auf dem Markt eine wertvolle Münze wechseln gehen zu wollen. Doch vom Markt kehrt er nicht mehr zurück. Die Gläubiger lassen sofort einen Gerichtsvollzieher kommen, um den verbliebenen Besitz des Ritters zu pfänden. Sie finden allerdings nichts. Nun soll Lazarillo verraten, wo der Ritter seine Besitztümer versteckt hat. Erst als alle einsehen, dass nirgendwo mehr etwas zu holen ist, darf Lazarillo gehen.

Der skrupellose Ablasshändler

Lazarillos nächster Herr ist ein Mönch der Barmherzigen Brüder, der sich mehr für weltliche Geschäfte als fürs Klosterleben zu interessieren scheint. Weil der Mönch so rastlos ist, verlässt ihn Lazarillo bereits nach einer guten Woche. Immerhin darf er ein Paar Schuhe mitnehmen – das erste Paar seines Lebens. Leider halten die nur acht Tage. Sein nächster Herr ist ein Ablasshändler. Er verkauft Ablassbriefe, durch die Gläubigen die Buße für bestimmte Sünden nach dem Tod angeblich erlassen wird. Lazarillo erschauert fast vor den dreisten Tricks und Einflüsterungen des Händlers, der sich jeweils mit ein paar leckeren Lebensmitteln die Gunst der lokalen Geistlichkeit erschleicht, um dann dem Volk recht skrupellos seine Scheine anzudrehen.

„Und ich meine, das Licht für meine tiefschwarzen Einfälle ging mir vom Hunger auf, heißt es doch immer, durch ihn werde der Verstand geschärft, die Sattheit bewirke nur das Gegenteil, und so war es bei mir auch ganz sicher.“ (S. 65)

Der Ablasshändler arbeitet mit einem Justizhelfer zusammen. Als eines Tages die Verkäufe schlecht laufen, gerät er mit diesem in einen furchtbaren Streit. Am nächsten Morgen, als der Händler in einer Messe für die Ablassbriefe wirbt, bezichtigt ihn der Helfer lautstark des Betrugs. Der Händler lässt ihn in Ruhe ausreden und fällt dann betend auf die Knie. Er ruft Gott an, an dem bösen Helfer sogleich ein Wunder zu vollziehen, damit die Gläubigen nicht am unschätzbaren Wert seiner Briefe zweifeln mögen. Tatsächlich fällt nun der Helfer wie von Zauberhand berührt zu Boden und scheint sich in schmerzhaften Krämpfen zu winden. Sofort fleht der Händler Gott an, den Helfer nicht gleich zu töten, sondern ihm nur den Lügendämon auszutreiben. Nachdem der andere, offenbar kuriert, den Händler um Verzeihung bittet, ist das Eis gebrochen: Die Ablassbriefe finden reißenden Absatz. Lazarillo, der seinem Herrn selbst zunächst auf den Leim gegangen ist, sieht ihn später mit dem Helfer über das gelungene Theater scherzen. Fast vier Monate bleibt er diesem Herrn treu.

Gutes Ende mit bösen Zungen

Nach einer Zwischenstation als Gehilfe eines Handtrommelbemalers tritt Lazarillo in die Dienste eines Kaplans. Dieser stattet ihn mit einem Esel und vier große Krügen aus und lässt ihn in Toledo als Wasserverkäufer arbeiten. Vier Jahre lang übt er diese Tätigkeit aus. Sie ist für ihn der erste Schritt in ein etwas besseres Leben. Vom Ersparten kann er sich sogar gebrauchte Kleidung und einen Degen kaufen. In seiner nächsten Beschäftigung als Hilfspolizist wird Lazarillo eines Nachts überfallen. Obwohl er fliehen kann, legt er das Amt gleich wieder nieder. Schließlich wird er öffentlicher Ausrufer in Toledo.

„Dennoch stellte ich ihn hinsichtlich meiner Person so gut zufrieden, wie ich nur lügen konnte, erzählte ihm von meinen Fähigkeiten und verschwieg den Rest, der ja nicht geeignet war für solch einen feinen Ort.“ (über den Escudero, S. 85)

Einer der Herren, für die er ausruft, ist der Erzpriester von Sankt Salvator. Der schlägt ihm die Heirat mit einer Dienerin vor. Lazarillo willigt ein, wird daraufhin getraut und profitiert seither von mancher Großzügigkeit des Priesters: Er gibt dem Ehepaar gelegentlich Weizen und Fleisch, überlässt ihnen eine Wohnung neben dem Pfarrhaus und lädt sie sonntags zu sich zum Essen ein. Getrübt wird das Glück einzig dadurch, dass böse Zungen behaupten, Lazarillos Frau sei im Geheimen seit Langem die Mätresse des Priesters. Sie koche für ihn und bereite ihm nachts das Bett. Der Priester jedoch rät Lazarillo, auf üble Nachrede nichts zu geben und sich stattdessen auf die Vorteile zu besinnen, die ihm durch die Großzügigkeit des Priesters zukommen. Und so geschieht es: Lazarillo geht den Gerüchten aus dem Weg und empfindet sich als glücklich und geborgen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Lazarillo de Tormes ist der Prototyp eines Schelmenromans, eines Genres, das erst lange nach dem Erscheinen dieses Buches tatsächlich zu einem literarischen Muster werden sollte. Im Schelmenroman schildert der Held, in der Regel eine Figur aus dem gemeinen Volk, das eigene Leben als eine Reihe anekdotischer Begebenheiten. Der Schelm steht gewöhnlich am Rand der Gesellschaft und der Legalität; seine charakterliche Entwicklung tritt hinter einem panoramaartigen, oft satirisch gefärbten Porträt der Gesellschaft zurück. Alle diese Elemente sind im Lazarillo bereits vorhanden. In sieben Kapiteln lässt Lazarillo sein Leben chronologisch Revue passieren. Die Kapitel weichen in Länge und Ausführlichkeit erheblich voneinander ab. Manche wirken wie mutwillig abgekürzt. Zwei Kapitel umfassen kaum eine ganze Seite Text. Womöglich sollten sie später ausgearbeitet werden. Die Sprache ist handfest, aber keineswegs derb. Im Zweifelsfall weiß der Autor eine abstoßende Szene immer noch elegant zu umschreiben. Überhaupt trägt der rhetorische Reichtum des Werks bedeutend zu dessen Brillanz bei. Man könnte sagen: Strukturelle Ungleichgewichte macht der Autor durch sprachspielerische Virtuosität wett. Die scharfzüngig-ironische Verwendung von Sprichwörtern, Bibelzitaten und Volksweisheiten deutet auf einen hochgebildeten Verfasser hin.

Interpretationsansätze

  • Das Buch präsentiert eine ausgelaugte Gesellschaft, deren größtes Elend der Hunger ist. Nicht nur Lazarillo, auch eine Reihe anderer Figuren haben schlicht zu wenig zu essen, um ein Leben in Würde führen zu können. Lazarillos zahlreiche Schliche dienen in erster Linie dem bloßen Überleben. Die Gesellschaft ist auch moralisch ausgezehrt. Betrug, Heuchelei und Korruption gehören zum Alltag. Lazarillo greift zwar regelmäßig auf moralische Koordinaten zurück, um ein Erlebnis einzuordnen. Diese scheinen aber mit den Triebkräften des realen Lebens wenig zu tun zu haben.
  • Besonders hart geht der Autor mit den vermeintlichen Stützen der Gesellschaft ins Gericht: Klerus und Adel. Der Klerus wird als Kaste falscher, hartherziger Frömmler gezeichnet. Der Adel kommt kaum besser weg: Lazarillos dritter Herr, der Ritter, ist das Zerrbild einer Schicht, deren grotesk überhöhter Ehrbegriff eitle und selbstzerstörerische Züge trägt.
  • Lazarillo durchläuft einen Lernprozess mit dürftigem Ausgang. Er wird nicht zu einem respektablen Charakter, sondern legt sich nur mit bemerkenswerter Bauernschläue alle nötigen Überlebenstechniken zu. Am Ende gibt er sich damit zufrieden, dem Hunger entronnen zu sein, und verteidigt die eigenen Scheuklappen. Von den Ehebruchgerüchten will er nichts wissen, um sein bescheidenes Glück nicht zu gefährden.
  • Mit Lazarillo betritt eine neue Art von Hauptfigur die literarische Bühne. Das Buch ist ein krasser Gegenentwurf zur entrückten Welt der damals gängigen Schäfer- oder Ritterromane. Erstmals wird ein Held aus der Unterschicht als Opfer der Gesellschaft etabliert – und dient zugleich als Vehikel, um sie scharf zu kritisieren.
  • Im erzkatholischen Spanien skizziert der Lazarillo eine Welt, die nur von den Launen der „Fortuna“ beherrscht scheint. Von Gottes Gerechtigkeit keine Spur. Geradezu lästerlich ist es, dass Lazarillo die Hand Gottes nur dort am Werk sieht, wo sie ihm Todesfälle beschert, damit ihn die Leichenschmäuse nähren.

Historischer Hintergrund

Spanien unter Karl V.

Im Jahr 1492 hatten die so genannten „katholischen Könige“ Ferdinand von Aragón und seine Frau Isabella von Kastilien die Reconquista erfolgreich beendet: Die Mauren waren in Spanien endgültig geschlagen. Als Ferdinand 1516 starb, erbte sein kaum 16-jähriger Enkel den Thron. Dieser Karl V., ein Habsburger aus den Niederlanden, wurde nur wenige Jahre später auch zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gekrönt. Er gebot nun über ein riesiges Imperium, in dem Spanien nur noch einer von mehreren Spielsteinen war. Hinzu kam, dass Karl zunächst kein Spanisch sprach und sich mit ausländischen Beratern umgab. Das rief in der spanischen Gesellschaft schnell Argwohn hervor. Statt auf die Bedürfnisse des Landes zu schauen, schien er es ganz im Gegenteil bald für ferne Fehden schröpfen zu wollen. Obwohl die Iberische Halbinsel durch Missernten geschwächt war, erhöhte Karl die Steuern, um damit seine imperialen Pläne außerhalb Spaniens zu finanzieren.

1520 kam es daraufhin, ausgehend von Toledo, zum Comuneros-Aufstand, dem sich Adlige zahlreicher Städte anschlossen. Als die Revolte zunehmend Unterstützer im breiten Volk fand und sich zu radikalisieren drohte, schwenkten frühere Sympathisanten allerdings wieder zum König um. Karl ging 1522 schließlich siegreich aus der Konfrontation hervor und hatte damit seine Macht entscheidend ausgebaut. Den aufständischen Regionen wurde eine Sondersteuer auferlegt, die sie etwa 20 Jahre lang wirtschaftlich niederdrückte. So verlor Spanien schrittweise den Anschluss an die ökonomische Entwicklung des nördlicheren Europa. Dazu trug auch die Einfuhr von Edelmetallen aus den eroberten Gebieten in Südamerika bei. Das überseeische Beutegut unterstützte die elitäre Passivität der spanischen Oberschicht und bescherte dem Volk eine Inflation, die es nur noch weiter ins Elend trieb. In einem waren sich der habsburgische Monarch und seine iberische Elite einig: im eisernen Festhalten am katholischen Glauben – zur Not mithilfe der Inquisition.

Entstehung

Da der Autor des Lazarillo bis heute unbekannt geblieben ist, weiß man nichts über die konkreten Entstehungsbedingungen des Werks. Immerhin erlaubt der Text Mutmaßungen über den Bildungshintergrund und die literarischen Einflüsse des Verfassers. Dessen nicht nur sauberer, vielmehr spielerisch-souveräner Umgang mit der spanischen Sprache sowie die Verwendung lateinischer Zitate lassen auf ausgedehnte geisteswissenschaftliche Studien schließen. Womöglich stammte der Autor aus einer adligen Familie. Zugleich legen die Schilderungen des Hungers nahe, dass der Verfasser persönliche Notlagen durchaus am eigenen Leib erfahren hat. Aber auch die überlieferte Literatur diente ihm als Inspiration. So griff der Autor auf Beispiele mittelalterlicher Schwankdichtung zurück; verschiedene Motive übernahm er aus antiken, arabischen oder auch jüngeren spanischen Werken. Die Rückführung bestimmter Episoden auf frühere Texte macht den Verfasser allerdings nicht zum hinterlistigen Kopisten. Die Adaption typischer Episoden war damals durchaus üblich – und die geschliffene Sprache des Lazarillo ist in jedem Fall eine originale Schöpfung.

Neben der Autorschaft stellen auch Umstände der Veröffentlichung des Buches ein Rätsel dar. Aus dem Jahr 1554 liegen vier verschiedene Ausgaben vor, gedruckt in vier verschiedenen Städten. Vermutlich war bereits ein Jahr zuvor eine Erstausgabe erschienen. Einen Beweis dafür gibt es allerdings nicht.

Wirkungsgeschichte

Das Buch hatte offenbar Erfolg. Das belegt allein die Existenz von vier verschiedenen Ausgaben schon kurz nach der Erstveröffentlichung. 1559 setzte die Inquisition den Lazarillo auf ihren Index verbotener Bücher. Der Text zirkulierte deshalb eine Zeit lang nur im Geheimen. 1573 wurde eine zensierte Fassung zugelassen. Darin fehlen die Kapitel vier und fünf, die den weltlich gestimmten Mönch und den Ablasshändler behandeln, sowie weitere vermeintlich lästerliche Stellen. Erst im 18. Jahrhundert durfte wieder der vollständige Text erscheinen. Schon früh wurde das Werk ins Französische, Englische und Flämische übersetzt. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts folgten Übertragungen ins Deutsche und ins Italienische. Die enorme Beliebtheit des Buches provozierte mehrfach Fortschreibungen durch andere Verfasser. Bereits 1555 erschien ein bizarrer zweiter Teil, in dem Lazarillo ins Königreich des Meeres gerät und sich in einen Thunfisch verwandelt.

Lazarillo de Tormes gilt als Vorläufer und erstes Beispiel des Schelmenromans und hat damit ein eigenes Genre begründet, das von Spanien ausgehend international Karriere machte. Nicht zuletzt verdankt sich Der Abenteuerliche Simplicissimus von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen der Pioniertat des Lazarillo. Über die Identität des Autors wird in Spanien bis heute intensiv und leidenschaftlich geforscht und debattiert.

Über den Autor

Noch immer weiß man nicht, wer den Lazarillo de Tormes geschrieben hat. Und es ist gut möglich, dass die Frage auch auf ewig ungelöst bleibt. Im Lauf der Zeit hat es allerdings etwa ein Dutzend verschiedene Zuschreibungen gegeben. Eine der ersten stammt vom Anfang des 17. Jahrhunderts und weist einen ranghohen Mönch des Hieronymiten-Ordens als Autor aus. In seiner Zelle soll sich angeblich ein Entwurf des Textes befunden haben. Weitere Kandidaten waren Alfonso de Valdés, ein Sekretär Karls V. und zugleich Anhänger der humanistischen Lehren des Erasmus von Rotterdam, und der populäre Schriftsteller Sebastián de Horozco. Dieser war ein Rechtsgelehrter aus Toledo, der historische Schriften und eine Reihe von Erzählungen verfasst hat. Auch Fernando de Rojas, der Autor des berühmten Theaterstücks La Celestina (1499), war als Urheber im Gespräch. In jüngster Zeit erhielt eine Zuschreibung neuen Aufwind, die bereits 1607 in einer Enzyklopädie spanischen Schrifttums vorgenommen worden war: Demnach stammt der Lazarillo aus der Hand des Dichters und Diplomaten Diego Hurtado de Mendoza. Dieser sprach neben Latein und Griechisch auch Arabisch und Hebräisch und war als Botschafter seines Landes u. a. in England, Rom und Venedig tätig. Er genoss eine umfassende Bildung und galt als eine der maßgeblichen Persönlichkeiten seiner Zeit. Hurtado de Mendoza unternahm diplomatische Missionen für Karl V. und pflegte darüber hinaus eine Freundschaft mit der berühmten Mystikerin Teresa von Ávila. Seine ältere Schwester Maria Pacheco war die Gattin des Revolutionärs Juan de Padilla, eines Adligen, der 1520 den Comuneros-Aufstand gegen Karl V. anführte.

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