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Lucia di Lammermoor

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Lucia di Lammermoor

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
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Was ist drin?

Donizettis Liebestragödie ist der Inbegriff der Belcanto-Opern.


Literatur­klassiker

  • Oper
  • Romantik

Worum es geht

Romeo und Julia in Schottland

Mit Lucia di Lammermoor glückte Donizetti 1835 der Durchbruch im Genre des tragischen Melodrams. Bis dahin war er eher mit komischen Belcanto-Opern in der Tradition Rossinis erfolgreich gewesen. Die Handlung der Lucia basiert auf dem damals sehr erfolgreichen Roman Die Braut von Lammermoor des schottischen Schriftstellers Walter Scott: Lucia und Edgar, die jungen Nachkömmlinge zweier verfeindeter schottischer Adelsfamilien, sind heimlich verliebt und haben sich ewige Treue geschworen. Doch Lucias Bruder zwingt seine Schwester während Edgars Abwesenheit aus politischen Gründen zu einer Heirat mit einem anderen. Nur mit einem gefälschten Brief kann er Lucia so weit bringen. Edgar kennt die Hintergründe nicht und wirft Lucia Verrat vor. Sie ersticht in der Hochzeitsnacht ihren Bräutigam, verfällt in Wahnsinn und stirbt kurz darauf. Der untröstliche Edgar folgt ihr in den Tod. Der schaurige Stoff ist für die Entstehungszeit – das Zeitalter der Romantik – sehr typisch. Die Lucia war und ist eine der Paraderollen großer Sopranistinnen wie etwa Maria Callas oder Joan Sutherland, die der Figur durch sängerische und darstellerische Kunst zu großer Vertiefung und Akzeptanz verholfen haben.

Take-aways

  • Gaetano Donizetti glückte mit der Liebestragödie Lucia di Lammermoor der Durchbruch in der ernsten Oper.
  • Da Rossini keine Opern mehr schrieb und Bellini kurz vor der Uraufführung der Lucia starb, war Donizetti nun der berühmteste Vertreter des Belcanto in Europa.
  • Die Geschichte um Liebe und Tod eines jungen Paares aus zwei verfeindeten schottischen Familien beruht auf einem Roman von Walter Scott.
  • Lord Ashton hat sich in politischen Konflikten des Familienbesitzes der Ravenswoods bemächtigt. Der junge Edgar Ravenswood hat blutige Rache geschworen.
  • Edgar und Lord Ashtons Schwester Lucia sind ein Liebespaar. Sie verloben sich heim-lich, bevor Edgar für einige Zeit verreist.
  • Lord Ashton will seine Schwester mit Lord Bucklaw verheiraten, von dem er sich politi-sche Protektion erhofft.
  • Um Lucias Zustimmung zu erhalten, fälscht Lord Ashton einen Brief Edgars, der dessen Untreue belegen soll. Lucia gibt schließlich nach.
  • Auf der pompösen Hochzeitsfeier erscheint zur allgemeinen Überraschung Edgar, kaum dass Lucia ihre Unterschrift unter den Ehevertrag gesetzt hat.
  • Edgar ist wütend wegen ihrer vermeintlichen Untreue und fordert von Lucia vor aller Augen seinen Verlobungsring zurück.
  • In der Hochzeitsnacht ersticht Lucia Lord Bucklaw im Brautgemach, erscheint kurz dar-auf im blutigen Nachtgewand vor der Hochzeitsgesellschaft und besingt, wahnsinnig ge-worden, ihre Vision einer Hochzeit mit Edgar.
  • Auf die Nachricht von ihrem kurz darauf erfolgten Tod ersticht sich Edgar.
  • Die Wahnsinnsarie der Lucia und das Sextett im zweiten Akt zählen zu den berühmtesten Stücken der Opernliteratur.

Zusammenfassung

  1. Akt: Unheil kündigt sich an

Das Vorspiel setzt majestätisch mit düster-schaurigen Klängen ein, zunächst vor allem mit gedämpften Blechbläsern und Schlaginstrumenten, dann auch mit Streichern. Jägerhauptmann Norman (Tenor) und seine Leute durchstreifen die Gegend um das Schloss Ravenswood in Schottland, der Jägerchor raunt etwas von einem Geheimnis. Normans Herr, Lord Ashton (Bariton), ist zwar der Besitzer von Schloss Ravenswood, aber er hat den rechtmäßigen Vorbesitzer erschlagen und fürchtet nun die Rache von dessen Sohn.

„Rasende, tödliche Wut hast du in meiner Brust geweckt! (...) Statt zu enthüllen, dass du zu solch schändlicher Liebe fähig bist, hätte dich besser ein Blitz getroffen.“ (Ashton zu Lucia, Akt 1)

Um seine Machtposition zu sichern, möchte Lord Ashton seine Schwester Lucia (Sopran) mit Lord Bucklaw (Tenor) verheiraten. Er bespricht sich deswegen mit Jägerhauptmann Norman und Lucias Erzieher Raymond Bidebent (Bass). Lucias Weigerung, auf die Eheschließung einzugehen, erklärt Bidebent mit dem erst kurze Zeit zurückliegenden Tod von Lucias Mutter, den das Mädchen sehr betrauert. Norman indes weiß zu berichten, dass Lucia sich seit einiger Zeit in dem Garten, wo sich das Grab ihrer Mutter befindet, mit einem Unbekannten trifft, der sie unlängst vor einem wilden Stier gerettet hat. Er deutet an, dass es sich um niemand anderen als Edgar Ravenswood (Tenor) handle, den eigentlichen Schlosserben und Todfeind von Lord Ashton. Ashton ist zutiefst empört über Lucias Verhalten und macht seinem Zorn in einer Arie Luft: „Cruda funesta semania ...“ („Rasende, tödliche Wut hast du in meiner Brust geweckt!“). Unter Paukenschlägen stößt er sogar den Wunsch aus, Lucia möge vom Blitz erschlagen werden, bevor ihre Schuld ans Tageslicht komme. Bidebent dagegen flüstert vor sich hin, Gott möge der Unschuld beistehen.

„Tief und dunkel herrschte das Schweigen der Nacht. Den Brunnen traf ein bleicher Strahl des trüben Mondes. Da hallte ein unterdrücktes Stöhnen durch die Lüfte, und dort, auf dem Brunnenrand, zeigte sich mir der Schatten!“ (Lucia, Akt 1)

Der Chor der Jäger liefert nun den Augenzeugenbericht von einem verhinderten Stelldichein Edgars und Lucias: Die Jäger ruhten sich von der Jagd in jenem Garten aus, als ein Reiter eilig herangaloppiert kam. Es war Edgar. Kaum hatten sie ihn erkannt, ritt er wieder davon. Die Beschwichtigungen Bidebents will Ashton nicht hören und schwört in einer nochmaligen heftigen Zornesaufwallung, die Liebe des Paares mit dessen Blut auszulöschen.

Abschied der Liebenden

Eine solo gespielte Harfe deutet auf das Rieseln einer Quelle oder eines Brunnens hin. Im Mondschein wartet Lucia in Begleitung ihrer Zofe Alisa (Mezzosopran) nahe der Grabstätte ihrer Mutter auf Edgar. Alisa ist sehr besorgt. Lucia erwähnt, dass sie immer nur mit Schaudern diesen Ort betritt, weil hier einst ein Ravenswood seine Frau ermordet und in den Brunnen geworfen haben soll. Deren Schatten sei ihr einmal erschienen, berichtet Lucia ausführlich in einer in der Gesangsstimme durch zahlreiche Ziernoten kunstvoll ausgestalteten Arie. Die Tote sei sogar auf sie zugegangen, habe auf sie gedeutet, sei dann aber wieder verschwunden. Das vorher silbrige Wasser habe sich blutrot verfärbt. Alisa mahnt Lucia angesichts der Bedeutung solcher Erscheinungen, die Liebe zu Edgar aufzugeben. Doch Lucia klammert sich nur noch stärker an ihn, weil er der Einzige ist, der ihr in ihrem Leid Trost spendet. In einer glanzvollen Liebesarie („Quando, rapito in estasi ...“ – „Wenn er (...) mir in der Sprache des Herzens ewige Treue schwört“) preist sie seine Zuneigung und erzählt, wie sie seinen Treueschwüren nicht widerstehen konnte. Die Arie wird nur durch eine Harfe mit einer sehr einfachen Melodie begleitet, die an ein italienisches Volkslied erinnert. Der Gesang ist dagegen sehr nuancenreich in den Tempi und in der Abwechslung leiser, lyrischer und ausdrucksvoller Stellen.

„Wenn er, hingerissen von der Wonne der feurigsten Leidenschaft, mir in der Sprache des Herzens ewige Treue schwört, vergesse ich meine Qualen, die Trauer wird zur Freude.“ (Lucia über Edgar, Akt 1)

Edgar eröffnet Lucia bei einem Treffen im Park, dass sie voneinander Abschied nehmen müssen. Er muss am nächsten Morgen für längere Zeit nach Frankreich abreisen. Edgar hat einst Lord Ashton Rache geschworen, doch um Lucias willen möchte er diese vorerst nicht vollziehen. Er setzt zu einem feierlichen Treueschwur gegenüber Lucia an und verlangt dasselbe von ihr. Sie hebt die Hand. Nur mit dem Himmel als Zeugen vermählen sich die beiden und tauschen ihre Ringe. Dann ist der Moment des Abschieds gekommen. Zusammen singen sie: „Verranno a te sull’aure ...“ („Die Lüfte werden dir meine glühenden Seufzer zutragen“). Noch einmal erinnert Edgar Lucia an ihren Schwur der ewigen Treue und ihre Ringe. Unter donnerndem Klang des gesamten Orchesters fallen die letzten Abschiedsworte in einem schnellen Finale.

  1. Akt: Der gefälschte Brief
„Auf dem Grabe, das die Reste meines verratenen Vaters birgt, habe ich deiner Familie im Zorn ewige Feindschaft geschworen. Aber dann sah ich dich, in meinem Herzen erwachte eine andere Empfindung, und der Zorn verstummte. Doch jener Schwur ist nicht aufgehoben.“ (Edgar zu Lucia, Akt 1)

Norman übergibt Lord Ashton im Schloss eine gefälschte Nachricht von Edgar an Lucia, ein Abschiedsbrief, der ihr Edgars Untreue vortäuschen soll. Seit seiner Abreise sind die Briefe zwischen den beiden Liebenden abgefangen worden. Die von Lord Ashton geplante Vermählung seiner Schwester mit Lord Bucklaw steht unmittelbar bevor, die Hochzeitsgäste sind bereits eingetroffen. Lord Ashton ist auf dieses mit der Ehe besiegelte politische Bündnis dringend angewiesen, da in Kürze eine neue Königin den Thron besteigen wird und damit eine andere Partei an die Macht kommt. Ohne eine derartige verwandtschaftliche Beziehung riskiert Ashton Kopf und Kragen. Er begrüßt seine Schwester, die bei ihrem Erscheinen von hohen Flötentönen begleitet wird, und kündigt ihr frohgemut die von ihm geplante Hochzeit an. Doch die blasse Lucia weigert sich strikt und gesteht sogar, einem anderen Mann die Treue geschworen zu haben. Ashton, längst darüber im Bilde, übergibt ihr den gefälschten Brief. Lucia, die verunsichert ist, weil sie schon seit Längerem keine Briefe mehr von Edgar erhalten hat, fällt auf die Finte herein und kommentiert die Nachricht von der Untreue des Geliebten schmerzbewegt in einer langsamen Arie. In einem Duett schilt ihr Bruder sie wegen ihrer Leichtgläubigkeit gegenüber Edgars Schwüren, während sie ihrem Kummer weiter Ausdruck verleiht.

„Die Lüfte werden dir meine glühenden Seufzer zutragen, im Rauschen des Meeres wirst du den Widerhall meiner Klagen hören. Dann denke daran, dass ich von Leid und Schmerz mich nähre, und weine eine bittere Träne auf dieses Liebespfand!“ (Lucia und Edgar, Akt 1)

Von Ferne kündigt feierliche Hochzeitsmusik die Ankunft des Bräutigams an. Lucia ist völlig verzagt. Sie kann ihr künftiges Brautbett nur als ihr Grab betrachten. Ashton verlangt abermals Lucias Einwilligung in die Eheschließung. Um noch mehr Druck auf sie auszuüben, schildert er die veränderten politischen Umstände: Wenn Lucia ihn nicht rette, komme er aufs Schafott. Sie treffe dann die Schuld am Tod ihres Bruders. Düster und plastisch beschreibt Ashton ihr das bluttriefende Beil des Henkers. Dieses Bild werde für immer ihr Gewissen plagen. Lucia ist so verzweifelt, dass sie sich in einem Gebet an Gott wendet („Tu che vedi il pianto mio ...“ – „Du siehst meine Tränen, du liest in meinem Herzen“) und sich wünscht, lieber zu sterben als all das zu ertragen. Ihr Bruder erinnert sie nochmals laut und drohend daran, welches Schicksal ihm droht, wenn sie seine Forderung nicht erfüllt, und lässt sie allein.

„Wenn du mich im Stich lassen kannst, ist mein Schicksal schon besiegelt. Du raubst mir Ehre und Leben, du bereitest das Henkersbeil für mich vor (...) Das blutige Beil wirst du stets vor Augen haben!“ (Ashton zu Lucia, Akt 2)

Raymond Bidebent tritt zu ihr. Auch er bestärkt sie in dem Glauben, Edgar liebe sie nicht mehr, weil es auf einen ihrer Briefe, den er einem zuverlässigen Boten anvertraut hat, immer noch keine Antwort gebe. Außerdem erklärt er ihr, der heimliche Liebesschwur mit Edgar sei nicht rechtsgültig und sie solle um ihres Bruders Glücks und Lebens und um des Grabesfriedens der Mutter willen der Ehe mit Bucklaw zustimmen. Nach langem Zögern gibt Lucia nach. Der letzte Gedanke bei ihrer Entscheidung gilt Edgars Treulosigkeit; aufgrund dieser Nachricht hat sie ihren Halt verloren.

Edgar kehrt zurück

In einer großen Chorszene bereiten die Schlossbewohner von Ravenswood mit Lord Ashton und Norman an der Spitze Lord Bucklaw einen festlichen Empfang. Bucklaw bekräftigt die Freundschaft mit seinem künftigen Schwager Ashton und fragt nach Lucia. Ashton beruhigt ihn, sie trauere noch um ihre Mutter, und die Gerüchte um Edgar seien haltlos. An dieser Stelle ändert sich die Begleitmelodie des Orchesters und klingt nun elegisch. Im Brautkleid erscheint Lucia, sie wirkt verstört. Ohne Umschweife drängt Ashton Bucklaw zur Unterschrift unter den bereitliegenden Ehevertrag. Dann zwingt er die zögernde Lucia fast mit Gewalt ebenfalls zur Unterzeichnung. Als sie sie leistet, herrscht Totenstille. Lucia erstarrt. Draußen entsteht ein Tumult. Edgar kündigt sich mit dröhnender Stimme an und stürmt herein.

„Du siehst meine Tränen, du liest in meinem Herzen. Wenn mein Schmerz im Himmel mehr gilt als auf Erden, dann nimm, ewiger Gott, dies verzweifelte Leben von mir. Mein Unglück ist so groß, dass der Tod ein Segen für mich sein wird.“ (Lucia, Akt 2)

In einer großen Ensembleszene (zunächst ein Terzett, dann ein Sextett) reagiert jeder der Beteiligten anders auf diese unverhoffte Wendung. Edgar hat nur Augen für Lucia und vermeint in ihrem Zittern ein Zeichen ihrer Liebe zu ihm zu erkennen. Lord Ashton wird von Gewissensbissen geplagt, weil er sieht, wie aufgewühlt seine Schwester ist. Lucia wendet sich an ihre Zofe Alisa; die Verzweifelte muss erkennen, dass sie von ihrem Bruder hintergangen wurde, und wünscht zu sterben. Alisa und Raymond Bidebent sind voller Mitleid für die von Scham und Schmach gezeichnete Lucia, und dem zunächst völlig überraschten Bucklaw geht es genauso. Alle diese Stimmen singen ihre jeweiligen Partien fast immer gleichzeitig und dabei vollkommen harmonisch.

„Zum Wohl der Deinen bringst du, Lucia, dich selbst als Opfer dar. Und ein solches Opfer wird im Himmel nicht vergessen sein.“ (Raymond, Akt 2)

Lord Ashton und Lord Bucklaw fordern Edgar auf, zu fliehen. Sonst müsse er sterben. Edgar weigert sich, die Schwerter werden gezogen. Bidebent beschwichtigt die Streitenden. Aus seinem Mund erfährt Edgar nun, dass Lucia dank ihrer soeben geleisteten Unterschrift gesetzlich verheiratet ist. Edgar gibt ihr wütend seinen Ring zurück und verlangt von Lucia den seinen. Mit Gewalt reißt er ihn ihr vom Finger, das Orchester braust auf. Alle Umstehenden fordern Edgar zur Flucht auf, Lucia erfleht den Schutz des Himmels. Edgar wirft sein Schwert von sich und bietet sich wehrlos seinen Gegnern an. In einer noch durch den Chor verstärkten Fortsetzung der Ensembleszene, die sich zum großen Aktfinale steigert, bitten alle Edgar noch einmal inständig, zu fliehen. Am Schluss wird alles überstrahlt von Lucias höchsten Tönen.

  1. Akt: Bluthochzeit
„Wie die welkende Rose steht sie zwischen Leben und Tod. Wer für sie kein Mitgefühl empfindet, hat ein Tigerherz in der Brust.“ (Ensemble über Lucia, Akt 2)

Im nahe gelegenen Turm von Wolferag sucht Lord Ashton mitten in der sturmdurchtosten Nacht Edgar auf. Die beiden Todfeinde verabreden sich für den nächsten Tag zum Zweikampf bei den Gräbern der Familie Ravenswood.

Im Schloss Ravenswood ertönt unterdessen ein fröhlicher Jubelchor anlässlich der Hochzeit Lord Bucklaws mit Lucia. Die Feier wird von den anwesenden Gästen wie ein Versöhnungsfest für ganz Schottland empfunden. Da kommt Raymond Bidebent herein und gebietet Schweigen. Er berichtet, wie er, weil er ein Röcheln aus dem Hochzeitsgemach gehört habe, dort eingetreten sei: Lucia hat Lord Bucklaw mit seinem Schwert erschlagen; sie hielt es noch mit Blut besudelt in ihren Händen und sah Raymond mit wahnsinnigem Blick an. Die Gäste sind gelähmt vor Entsetzen, man fürchtet ein himmlisches Strafgericht. Ein langsam gespielter, düsterer Trauermarsch mit Trommelwirbel erklingt. Lucia nähert sich, nur mit einem Nachthemd bekleidet. Alle weichen zurück. Wie immer bei ihren Auftritten wird Lucia von der Flöte begleitet. Hinzu kommen die dunklen Streicher, und Lucia singt ihre „Wahnsinnsarie“: Sie beschwört ihre Vorstellung einer Hochzeitsfeier mit Edgar, mit gestreuten Rosen, Kerzen, Weihrauch, Priester und himmlischer Musik. Einige ihrer Worte wiederholt sie öfters, gedehnt und verziert, immer im Wechselspiel mit der Flöte.

„Aus den Räumen, in die sich Lucia mit ihrem Gemahl zurückgezogen hatte, drang ein Stöhnen, ein Schrei, als sei ein Mann dem Tode nah!“ (Raymond, Akt 3)

Von Wolferag kommend nähert sich Ashton. Er hört die Schreckensnachricht von Lucias Tat. Lucia wendet sich nun offen gegen ihren Bruder und bekennt sich sowohl zu ihrer Unterschrift als auch zu ihrer Wahnsinnstat und zu Edgar. Raymond Bidebent und Ashton sind voller Reue. Ashton vertraut Lucia der Fürsorge von Bidebent und Alisa an. Er selbst eilt zum Zweikampf mit Edgar.

Edgars Tod

Pauken, Blechbläser und dunkle Streicher schaffen im Orchestervorspiel eine feierlich-ernste Stimmung. Edgar wartet in mondklarer Nacht bei den Gräbern der Familie Ravenswood. In einem Rezitativ (Sprechgesang) verleiht er seinem Schmerz Ausdruck: Ohne Lucia ist ihm das ganze Leben verleidet. In der anschließenden großen Arie („Fra poco a me ricovero ...“ – „Bald wird ein vergessenes Grab mir Zuflucht gewähren“) sieht er seinen Tod voraus und äußert die Hoffnung, Lucia möge seiner am Grab gedenken, denn er sei ihr wahrer Gatte und sei für sie gestorben.

„Der süße Klang seiner Stimme hat mich berührt! (...) Hier finden wir Zuflucht, Edgardo, am Fuße des Altars.“ (Lucia, Akt 3)

Da nahen die von den Geschehnissen der Nacht zutiefst erschütterten Hochzeitsgäste. Zu Trauermarschmusik kehren sie von der Hochzeitsfeier nach Hause zurück. Edgar fragt sie nach dem Grund ihrer Klage. Die Ritter erzählen ihm vom Auftritt der wahnsinnigen Lucia. Da hört man vom Schloss das Läuten der Sterbeglocke. Edgar will Lucia noch einmal sehen, die Ritter wollen ihn zurückhalten. Raymond Bidebent kommt ihm entgegen und berichtet, dass Lucia gestorben sei. Edgar gedenkt ihrer in einer letzten Arie und sticht sich selbst zum Entsetzen aller Umstehenden mit einem Dolch ins Herz, um sich im Tod mit Lucia zu vereinen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Die Oper ist in drei Akte und jeder Akt nochmals in mehrere Bilder unterteilt. Das Libretto schließt sich der literarischen Form nach eng an das von Vincenzo Bellini und Felice Romani entwickelte tragische Melodram an. Mit Lucia di Lammermoor fand Donizetti den Anschluss an diese Opernform. Sie war vor allem als seriöses Gegenkonzept zu den damals die Szene beherrschenden Buffa-Opern Rossinis gedacht. Die drei genannten Komponisten, Donizetti, Bellini und Rossini, sind die herausragendsten Vertreter des so genannten Belcanto (italienisch für „schöner Gesang“). So liegt auch in Lucia di Lammermoor das Schwergewicht der musikalischen Ausgestaltung in den melodiös ausgeführten Gesangslinien, weniger in der Orchesterbegleitung. Diese macht meist nur Andeutungen mit konventionellen Mitteln: Tremoli als Zeichen für Erregtheit, Trauermarsch, düstere Mollstimmung in den Mondnächten etc. Der Belcanto gilt als die höchste Entwicklungsstufe der europäischen Gesangskunst und setzt eine perfekte Beherrschung der Stimme voraus. Er hat sich vor allem im Umfeld der Barockoper mit ihren Kastraten-Gesangsstars als „Canto fiorito“ (= verzierter Gesang) entwickelt. Zierformen sind u. a. Koloraturen und Triller. Ein solch kunstvoller Stil neigt mitunter dazu, um seiner selbst willen betrieben zu werden. So war es auch in der Spätphase der Barockoper, die man anschließend nur noch für artifiziell hielt. Aber in Verbindung mit einem natürlicheren Gesangsstil wurden die Belcanto-Formen gerade von den italienischen Komponisten des frühen 19. Jahrhunderts auch für den Musikstil der Romantik wieder fruchtbar gemacht.

Interpretationsansätze

  • Lucia wird von den Männern instrumentalisiert: Lord Ashton, Lord Bucklaw, selbst Bidebent und Norman wollen durch sie etwas erreichen, was nichts mit ihr selbst zu tun hat. In dieser Männergesellschaft fehlen Lucia das gesellschaftliche Prestige und der emotionale Resonanzraum. Der Tod der Mutter und ihr Kummer deswegen drücken dies symbolisch aus. Erst die romantische Liebe Edgars mit ihren Treueschwüren gibt Lucia das schmerzlich vermisste Selbstwertgefühl.
  • Lucia entspricht dem Rollenklischee der Frau als Opfer. Sie ist passiv und erfüllt in hohem Maß das vor allem in der Biedermeierzeit geltende Bild von der Rolle der Frau. Auch als sie meint, durch ihre Hochzeit mit Bucklaw ihren Bruder retten zu können – die Retterrolle ist traditionell ausschließlich Männern vorbehalten –, wird sie von ihrem Erzieher Raymond schnell aufgefordert, „das Opfer“ zu bringen.
  • Lucia steht in einem Konflikt zwischen mündlichem und schriftlichem Versprechen. Die Unterschrift, die sie gezwungenermaßen und teilnahmslos (die Musik setzt an dieser Stelle ganz aus) geleistet hat, hat juristische Gültigkeit, ihr Liebesschwur dagegen, den sie mit voller Absicht und aus vollem Herzen gegeben hat, ist in den Augen der Gesellschaft nichts wert. Diesen Konflikt kann sie seelisch nicht verkraften und sie flüchtet sich in den Wahnsinn, nachdem sie das für sie persönlich geltende Recht durch die Tötung Bucklaws mit aller Konsequenz vollzogen hat.
  • Die Flöte in der Wahnsinnsarie steht stellvertretend für die männliche Stimme. Anders als diese kann sie sich in denselben Höhen bewegen wie die weibliche Stimme. In der Wahnsinnsarie imaginiert Lucia ihre Hochzeit mit Edgar, und die Vereinigung der beiden wird auch musikalisch vollzogen.
  • Für Lucia di Lammermoor wie für viele andere Opern auch gilt, dass die dürftige Intrige, die Unwahrscheinlichkeit der Handlung und künstliche Arrangements wie der Sextett-Auftritt im Zauber der Musik vergessen werden.

Historischer Hintergrund

Schauerromantik im Biedermeier

Mit historisch-romantischen Romanen, die Sir Walter Scott von 1814 bis an sein Lebensende 1832 schrieb, traf er europaweit ins Schwarze. Seine Bücher wurden internationale Bestseller. Scott kreierte das Genre des historischen Romans mit. Die heute noch bekanntesten sind Ivanhoe, Waverley und Rob Roy. Scotts Art zu erzählen wurde überall nachgeahmt. Der Rückgriff auf eine imaginierte Historie war auch eine Flucht aus der Gegenwart: zum einen, weil viele die tief greifenden geistigen und politischen Umbrüche der Epoche nicht verkrafteten, zum anderen, weil das öffentliche Leben in ganz Europa in der restaurativen Epoche des Biedermeier mit polizeistaatlichen Methoden unterdrückt wurde. Für Frauen kam erschwerend hinzu, dass sie gerade in dieser Epoche in einer vorher nie da gewesenen Weise auf ihre häusliche Rolle verwiesen und unterdrückt wurden. Die literarische Unterhaltung bot vor diesem Hintergrund einen gewissen Freiraum, in dem auch Gefühle zu ihrem Recht kommen konnten. Speziell die romantische Bewegung proklamierte als Gegenbewegung zur aufklärerischen Vernunft die Bedeutung der reinen, unschuldigen Natur und der wahren Gefühle. Diese mächtigen geistigen Strömungen flossen nicht nur in den Romanen Scotts zusammen, sondern man trifft ihre Anzeichen in jeder Art von Kunst jener Zeit. Der aufgrund seiner Dynamik und Farbigkeit wegweisende französische Maler Eugène Delacroix z. B. porträtierte sich selbst als Ravenswood. Auch in der Oper taucht das Schaurig-Romantische auf, etwa in Carl Maria von Webers Der Freischütz (1821) oder im Werk des frühen Richard Wagner, z. B. in Der fliegende Holländer (1843).

Entstehung

Donizetti ließ sich für seine Opern gern von den Romanen Sir Walter Scotts inspirieren, so auch bei Lucia di Lammermoor: Scotts Die Braut von Lammermoor erschien 1819. Im Roman wird die fatale Hochzeit jedoch von der ehrgeizigen Mutter der Braut eingefädelt, obwohl Edgar Lord Ashton und Lucia das Leben gerettet hat. Die Geschichte hat keinerlei realen Hintergrund, sondern ist ein rein fiktionales Gebilde Scotts in historischer Kostümierung. Wie so oft wurde also auch mit Lucia di Lammermoor ein für den Komponisten zeitgenössisches und beim Publikum sehr bekanntes und beliebtes Stück Literatur vertont. Man konnte daher von vornherein mit Publikumsinteresse rechnen und spekulierte im Hinblick auf den Erfolg der Oper auch darauf. Es ist ein ähnlicher Vorgang wie heutzutage bei einer literarischen Bestsellerverfilmung, etwa bei der Blechtrommel oder dem Parfum. Nachdem sich Donizetti für diesen Stoff entschieden hatte, musste sein Librettist Salvatore Cammarano aus Termingründen innerhalb weniger Wochen aus der Romanvorlage ein Opernlibretto schaffen. Der Komponist fertigte die Partitur in seiner gewohnt zügigen Arbeitsweise innerhalb weniger Wochen an. Musikalisch weist Lucia di Lammermoor keinerlei Bezüge zu Schottland auf. Es handelt sich um rein italienische, z. T. ans italienische Volkslied angelehnte Musik. Donizetti hat in seinen Spitzenwerken wie der Lucia weit über bloße Effekthascherei hinaus musikdramatische Ausdrucksmittel vorweggenommen, die Giuseppe Verdi später weiterentwickeln sollte.

Wirkungsgeschichte

Die Uraufführung von Lucia di Lammermoor am 26. September 1835 im Teatro San Carlo in Neapel, einem der führenden Opernhäuser Italiens, war für Donizetti ein großer Triumph, weil ihm damit endlich auch ein Durchbruch im Bereich der großen tragischen Oper gelungen war, einer Domäne, die bisher von Vincenzo Bellini beherrscht wurde. Die französische Erstaufführung der Lucia erfolgte 1837 in Paris, der Wirkungsstätte des 1835 verstorbenen Bellini. 1837 gab es auch bereits eine Inszenierung in Wien, weitere europäische Städte folgten. Viele berühmte Sopranistinnen nahmen die Herausforderung an, sich an der Rolle der Lucia zu versuchen.

Ihren Platz im Opernrepertoire auch der Nachkriegszeit hat das Werk durch die vertiefte Neubewertung und Neugestaltung der Rolle der Lucia durch Maria Callas erfahren. Dank ihres gesanglichen und darstellerischen Könnens und der dunklen Mittellage ihrer Stimme gelang es ihr in mustergültigen Aufführungen Anfang der 50er Jahre, die Lucia als tragisch-dramatische Heroine auf die Opernbühne zu bringen. Diese Dimension war der Rolle (und damit der ganzen Oper) im Lauf der Zeit verloren gegangen, da die Partie lediglich als Bravourstück für die Koloraturtechnik betrachtet und ansonsten kaum ernst genommen wurde. Auch nachfolgenden Sängerinnen gelang es nicht immer, die Singtechnik, den Sinn des gesungenen Wortes und die hochdramatische Charakterisierung gleichzeitig auf einen Nenner zu bringen und damit der Tiefe der Figur gerecht zu werden. Eine bedeutende Ausnahme ist Joan Sutherland, die mit ihrer Ausgestaltung dieser Rolle ihren internationalen Ruhm begründete.

Über den Redner

Gaetano Donizetti wird am 29. November 1797 in Bergamo in sehr einfachen Verhältnissen geboren. Bei dem aus Deutschland eingewanderten Musikpädagogen Simon Mayr erhält der Junge zunächst Unterricht in Gesang und Instrumentenspiel, hauptsächlich für Kirchenmusik. Mayr sorgt dann auch für eine weitergehende Kompositionsausbildung in Bologna. Ab 1829 ist Donizetti Musikdirektor in Neapel. An der italienischen Oper in Paris kann er sich zunächst nicht gegen seinen Freund und Konkurrenten Bellini behaupten. Donizetti hat bereits 21 Opern komponiert, als er mit der in Mailand uraufgeführten Anna Bolena 1830 den ersten größeren Erfolg hat. Ein mit Bellinis Wirken vergleichbarer überragender Erfolg gelingt ihm erst 1835 in Neapel mit Lucia di Lammermoor. Drei Tage vor der Uraufführung ereilt ihn die Nachricht vom Tod des erst 34-jähigen Bellini in Paris. Für seinen Freund schreibt er ein Requiem. Da Rossini bereits 1829 mit dem Komponieren aufgehört hat, ist Donizetti nun bis zu seinem Tod der gefeiertste Opernkomponist Italiens. 1838 geht er nach Querelen mit der Zensur wegen eines Opernlibrettos erneut nach Paris. 1842 wird er nach Wien berufen und zum österreichischen Hofkapellmeister ernannt. Im Lauf seines Lebens komponiert er mehr als 70 Opern und zahllose andere Musikstücke, vor allem Kirchenmusik. Ab 1843 gibt es bei ihm Anzeichen einer syphilisbedingten geistigen Erkrankung, die sich in der Folgezeit immer mehr verschlimmert. Einige Jahre dämmert Donizetti in geistiger Umnachtung in verschiedenen Anstalten dahin, zuletzt in seiner Heimatstadt Bergamo, wo er am 8. April 1848 stirbt.Salvatore Cammarano wird am 19. März 1801 in Neapel geboren, er stammt aus einer Theaterfamilie. Er arbeitet zunächst als Theatermaler, später dann als Librettist und Regisseur am Teatro San Carlo, der Uraufführungsstätte von Lucia di Lammermoor. Wegen des großen Erfolges der Lucia schreibt Cammarano später sechs weitere Libretti für Donizetti. Er verfasst außerdem Libretti für Verdi, u. a. den Troubadour und Luisa Miller. Anerkennung für sein Schaffen erhält Cammarano durch die Ernennung zum Mitglied der Akademie der Schönen Künste in Neapel. Er stirbt am 17. Juli 1852.

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