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Ödipus auf Kolonos

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Ödipus auf Kolonos

Insel Verlag,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
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Was ist drin?

Ödipus, komplex – Sophokles’ vielschichtige Fortsetzung seines Meisterwerks König Ödipus.


Literatur­klassiker

  • Drama
  • Griechische Antike

Worum es geht

Der tragischste aller Helden findet Ruhe

Ödipus, dem prophezeit worden war, er werde seinen Vater ermorden und seine Mutter heiraten, der dieser Prophezeiung zu entgehen versuchte und der sich die Augen ausstach, als er erfuhr, dass ihn das geweissagte Schicksal nun doch noch ereilt hatte – dieser Ödipus ist alt geworden, zieht immer noch als Bettler umher und sehnt sich nach Ruhe. Auch die ist ihm verheißen worden, und nun bekommt er sie, gegen einige Widerstände, an seinem Lebensende und im Tod. Ödipus auf Kolonos ist eine griechische Tragödie mit unblutigem Ausgang, denn das Tragischste ist ja schon vorher passiert. Sie ist durchzogen vom Thema des Abschieds – nicht nur, weil Sophokles sie als 90-Jähriger schrieb, sondern auch, weil sie einen Abgesang darstellt auf die goldene Epoche der attischen Demokratie. Altersmilde hingegen sucht man in dem Stück vergebens: Der Zorn des Ödipus auf seine Widersacher, die er verflucht, ist ungebrochen. Frieden und Heil bringt er stattdessen dem gerechten Theseus und seinen Athenern, die ihm ihrerseits einen friedvollen Tod ermöglichen.

Take-aways

  • Ödipus auf Kolonos ist das Nachfolgestück von Sophokles’ Meisterwerk König Ödipus.
  • Inhalt: Nach Jahren des Bettlerlebens sucht Ödipus, der gestürzte König von Theben, in einem Götterhain nahe Athen Zuflucht. Der athenische König Theseus gewährt ihm Schutz und verteidigt ihn gegen seinen Nachfolger Kreon und gegen seine Söhne, die ihn nach Theben zurückholen wollen. Ödipus stirbt ihn Ruhe und segnet Theseus und Athen.
  • Auf dem Hügel Kolonos vor den Toren Athens befand sich der Heimatort von Sophokles. Zugleich gab es dort einen Hain, der einer Gruppe von Göttinnen geweiht war.
  • Grundmotiv des Dramas ist der antike Topos der Aufnahme eines Schutzsuchenden.
  • Um Spannung zu erzeugen, weicht Sophokles an einigen Stellen von dem Mythos ab, wie er ihn in König Ödipus und Antigone gestaltet hat.
  • Das Stück interpretiert seinen Vorläufer König Ödipus: Mehrfach wird betont, dass Ödipus an seinen damaligen Taten keine Schuld trägt, weil er sie unwissentlich beging.
  • Zur Zeit der Abfassung des Stücks war der Peloponnesische Krieg, der die Blütezeit der attischen Demokratie beendete, in seiner letzten Phase.
  • Der knapp 90-jährige Sophokles schrieb Ödipus auf Kolonos um 407/406 v. Chr.
  • Ein wichtiges Motiv des Stücks ist der Abschied: jener des greisen Autors und seines Helden vom Leben sowie historisch jener von einer goldenen Epoche.
  • Zitat: „Denn meine Taten: / Sie waren mehr erlitten als getan.“

Zusammenfassung

Ödipus sucht eine Ruhestätte

Der blinde Greis Ödipus, einstiger Herrscher von Theben, wandert seit seinem Sturz vom Thron mit seiner Tochter Antigone als Bettler durch die Lande. Die beiden kommen zu einem Götterhain vor den Toren Athens. Es ist der heilige Hain der Eumeniden. Hier möchte Ödipus bleiben und an seinem Lebensabend Schutz und Ruhe finden.

„(...) Apollon (...), der mir, / Als er mir jene vielen schlimmen Dinge / Weissagte, diese Ruhestatt nach langer Zeit / Verhieß (...)“ (Ödipus, S. 15)

Ein Mann will Ödipus und Antigone vertreiben. Er sagt, es sei Frevel, dass sie sich hier auf dem geheiligten Boden aufhalten. Der Hügel Kolonos, erfahren sie von ihm, ist der Schutzwall der Stadt Athen, die von König Theseus regiert wird. Ödipus bittet den Mann, Theseus herbeiholen zu lassen. Er ist fest entschlossen, sein Bleiberecht zu erwirken, und überzeugt, dass sich hier die Weissagung Apollons erfüllen wird, der ihm nicht nur alles Schlimme in seiner Vergangenheit geweissagt hat, sondern auch, dass er am Ende seiner rastlosen Wanderungen seine Ruhe bei den „Erhabenen Göttinnen“ finden werde – und dass dies zugleich Segen für seine Beschützer bringen werde und Unglück denen, die ihn verstoßen haben.

Die schreckliche Vergangenheit des Ödipus

Der Mann meint, nicht allein über das weitere Schicksal des offensichtlich edlen Greises entscheiden zu können, und geht die Männer des Ortes Kolonos holen, den Chor. Sie sind ebenfalls empört über den Eindringling, der die heilige Erde betreten hat. Sie weisen ihn an, wenigstens einige Schritte zur Seite zu treten, damit er nicht mehr in der verbotenen Zone stehe. Er tut es mithilfe seiner Tochter.

„Denn meine Taten: / Sie waren mehr erlitten als getan (...)“ (Ödipus, S. 23)

Dann will der Chor erfahren, wer der Greis sei. Ödipus gibt sich nur zögernd zu erkennen, und tatsächlich entsetzt sich der Chor vor dem Alten, dessen Vorgeschichte allgemein bekannt ist. Die Männer von Kolonos wollen ihn wegschicken. Er bittet um Gnade und erklärt, dass er seine Verbrechen nicht absichtlich begangen habe. Außerdem würden die hiesigen Bürger gut daran tun, ihn aufzunehmen – das sei zu ihrem Wohle.

Neuigkeiten aus Theben

Da sieht Antigone ihre Schwester Ismene kommen, Ödipus’ Tochter. Der alte Mann ist sehr bewegt. Ismene weint vor Freude, sie hat ihren Vater lange gesucht. Jetzt ist sie da, um zu berichten, wie schlecht es um ihre Brüder steht. Zwar waren sich diese nach dem Sturz des Ödipus noch einig, auf den Thron von Theben zu verzichten und ihn Kreon zu überlassen. Aber dann gerieten sie in Streit, weil nun jeder von ihnen selbst herrschen wollte. Eteokles, der Jüngere, riss die Macht an sich und jagte seinen Bruder Polyneikes, den rechtmäßigen Thronfolger, aus dem Land. Der Vertriebene sammelte im Tal von Argos Kampfwillige um sich und bereitet sich nun auf einen Angriff gegen den Bruder vor. Ismene erzählt auch von einem Orakelspruch, der besagt, Ödipus werde den Thebanern Glück bringen – tot oder lebendig. Deshalb sei er in Theben jetzt wieder wollkommen und Kreon werde ihn in Kürze aufsuchen.

„Doch nun bin ich unwissentlich dahin gekommen, / Wohin ich kam, wogegen sie, / Von denen Schlimmes ich erfahren habe, / Mich wissentlich zum Untergang bestimmten.“ (Ödipus, S. 24)

Auch die Söhne wissen von der Weissagung. Gegen sie ist Ödipus’ Wut am größten: Sie haben zugelassen, dass er aus dem Land gejagt wurde, und sich um der Macht willen von ihm distanziert. Allein die Töchter haben zu ihm gehalten und für ihn gesorgt. Also lehnt Ödipus es ab, nach Theben zurückzukehren. Stattdessen sollen die Einwohner von Kolonos in den Genuss jenes Segens kommen, der laut Orakel von ihm ausgehen soll.

„Die ich erschlug, sie hätten mich getötet. / Rein bin ich / Vor dem Gesetz, unwissend kam ich dazu.“ (Ödipus, S. 38)

Der Chor ist nun gnädig gestimmt und fordert Ödipus auf, den hiesigen Göttinnen ein Opfer darzubringen. Da Ödipus selbst dazu nicht in der Lage ist, die Opferhandlungen in der vorgeschriebenen Weise durchzuführen, übernehmen Antigone und Ismene die Aufgabe. Doch der Chor kommt noch einmal auf Ödipus’ Taten zu sprechen, den Vatermord und die Ehe mit der Mutter, die Zeugung der beiden Töchter, die also sowohl seine Kinder als auch seine Schwestern sind. Ödipus bestätigt die Vorwürfe, erklärt sich aber für unschuldig, da er in Unwissenheit gehandelt und den Vater zudem in Notwehr erschlagen habe.

„Darum, o leidgeplagter Ödipus, höre auf mich / Und kehre heim! Das ganze Volk von Theben / Ruft dich, mit Recht!“ (Kreon, S. 48)

Schließlich kommt Theseus, der König von Athen, der von Ödipus gehört hat. Der trägt ihm nun sein Anliegen vor: Er möchte hier Aufnahme und Schutz finden vor jenen, die kommen werden, um ihn nach Theben zu holen. Im Gegenzug will er der Stadt Glück bringen. Theseus lässt sich darauf ein, heißt Ödipus willkommen und verspricht, ihn zu beschützen. Der Chor werde nicht zulassen, dass ihm etwas passiere. Er lädt Ödipus auch ein, als sein Gast mit nach Athen zu kommen, doch Ödipus zieht Kolonos vor.

Die erste Bedrohung: Kreon

Wenig später erscheint tatsächlich Kreon, bewaffnete Helfer im Gefolge. Er gibt vor, sowohl für sich als auch für die Einwohner von Theben zu sprechen. Ödipus soll mit ihm nach Theben zurückkehren. Kreon äußert Mitleid und Bedauern darüber, dass der gestürzte König schlimme Jahre als Bettler durchleiden musste und Antigone ebenfalls zu diesem Leben verurteilt war. Er fragt sich sogar, ob die Schuld dafür womöglich bei ihm, Kreon, liege. Gleichzeitig erinnert er Ödipus an dessen Pflichten gegenüber der Heimatstadt.

„Dein Teil wird sein: / Mein Fluch (...) / Wird dort zu Lande wohnen fort und fort.“ (Ödipus zu Kreon, S. 50)

Ödipus reagiert unversöhnlich. Er kann Kreon nicht verzeihen, dass der ihn seinerzeit, ungeachtet ihres verwandtschaftlichen Verhältnisses, verstoßen hat. Kreons Wohlwollen sei nur vorgetäuscht, tatsächlich verfolge er seine eigenen Interessen. Außerdem hat Ödipus von Ismene gehört, dass er nicht einmal in Theben selbst wohnen dürfte, sondern bloß in der Nähe der Stadt. Dieser kann und will Ödipus nichts anderes verheißen als Unheil.

„Lass von dem schweren Zorn ab gegen mich, / (...) Denn wenn Verlass ist auf die Göttersprüche, / So wird, wem du zur Seite trittst, / Diesem – so sagen sie – der Sieg gehören.“ (Polyneikes zu Ödipus, S. 76)

Kreon beginnt, Ödipus zu drohen. Als der auf seine hiesigen Beschützer verweist, entgegnet Kreon, es gebe auch andere Mittel, ihm Schaden zuzufügen: Er habe bereits Ismene in seine Gewalt gebracht und werde gleich dasselbe mit Antigone tun. Es kommt zu einem kriegerischen Wortwechsel zwischen Ödipus und dem beschützenden Chor auf der einen und Kreon auf der anderen Seite. Kreon reklamiert Befehlsgewalt über Antigone, doch der Chor wirft ihm Rechtsbruch vor und versucht, ihn an der Entführung zu hindern. Schließlich gelingt es Kreon dennoch, Antigone fortschaffen zu lassen. Ödipus, meint er, lasse sich im Augenblick noch vom Zorn leiten, werde aber bald einsehen, dass es zu seinem Besten sei, zu tun, was Kreon von ihm verlangt. Nun ergreift der Chor Kreon. Der droht, bald auch Ödipus mit Gewalt zu entführen. Ödipus verflucht ihn.

„Du geh zugrunde: ausgespien von mir und vaterlos, / Der Schlechten Schlechtester! und nimm mit dir die Flüche, / Die ich herabrufe auf dich (...)“ (Ödipus zu Polyneikes, S. 78)

Theseus kommt hinzu, und Ödipus erzählt ihm, was eben vorgefallen ist. Der König empört sich über den gewaltsamen Eindringling, der sich derart über die Gesetze des Landes hinwegsetzt. Dann gibt er Befehl, die Mädchen schnellstmöglich zurückzubringen, schon seiner Herrscherehre wegen. Er will Kreon so lange festhalten, bis die Mädchen wieder da sind. Kreon wirft Theseus vor, er beschütze in Ödipus einen, der seinen Vater ermordet und seine Mutter geheiratet und damit Schande über sein ganzes Geschlecht gebracht habe. Er besteht darauf, dass es sein Recht sei, Ödipus nach Hause zu holen, zumal der ihn und sein Haus verflucht habe.

„Du halte mich nicht auf! Ich werde diesen Weg / Zu gehen haben, den unseligen und bösen, / Durch diesen Vater hier und seine Rachegeister!“ (Polyneikes zu Antigone, S. 80)

Ödipus reagiert zornig auf die Diffamierungen und beharrt weiter darauf, unschuldig an seinen Taten zu sein, da er sie gänzlich unwissend und den Mord in Notwehr begangen habe. Theseus befiehlt Kreon, voranzugehen und ihm zu zeigen, wo die Mädchen sind. Kreon gehorcht, droht aber mit Konsequenzen. Ödipus bleibt im Hain der Eumeniden zurück. Kurze Zeit später bringt Theseus ihm seine Töchter wieder. Voller Erleichterung umarmen sich Ödipus, Antigone und Ismene. Der blinde Alte bezeigt Theseus seine Dankbarkeit und ruft den Segen der Götter auf ihn und Athen herab.

Die zweite Bedrohung: Polyneikes

Theseus erzählt Ödipus von dem Gerücht, dass ein weiterer Mann zu ihm unterwegs sei. Er komme aus Argos. Da weiß Ödipus, dass es sich nur um seinen älteren Sohn Polyneikes handeln kann. Wutentbrannt erklärt er, den verhassten Sohn auf keinen Fall anhören zu wollen. Antigone mahnt ihn zur Milde, und zusammen mit Theseus überzeugt sie ihn, es sich anders zu überlegen. Theseus versichert erneut, dass sich Ödipus auf seinen Schutz verlassen könne.

„Ihr Töchter! es ist da, das diesem Manne gottverheißene, / Des Lebens Ende. Da ist keine Umkehr mehr!“ (Ödipus, S. 82)

Kurz darauf erscheint Polyneikes. Tränenüberströmt steht er vor seinem Vater – erschrocken, ihn als schmutzigen, blinden Bettler zu sehen. Er drückt seine Reue darüber aus, sich nicht um ihn gekümmert zu haben. Ödipus antwortet ihm nicht. Antigone fordert den Bruder auf, den Grund für seine Ankunft zu erklären. Polyneikes wiederholt, was sie schon wissen: Sein jüngerer Bruder Eteokles hat ihn aus dem Land vertrieben, weil er als der Ältere den Thron von Theben für sich beanspruchte. Eteokles hat das Volk für sich gewonnen – daran sei, glaubt Polyneikes, der Fluch schuld, der auf seinem Geschlecht liege. Polyneikes hat in Argos Truppen um sich gesammelt, die er nun gegen Theben führen will. Er fleht seinen Vater an, seinen Zorn gegen ihn aufzugeben, weil ein Götterspruch besage, dass derjenige Sohn siegreich aus dem Konflikt hervorgehen werde, der die Unterstützung des Vaters erhalte. Polyneikes appelliert an ihr gemeinsames Schicksal: Schließlich sei der Vater genauso verbannt und heimatlos wie er selbst.

„Gleich werd ich selber zu dem Platz vorangehn, / (...) wo ich sterben muss. / Ihn zeige niemals irgend einem von den Menschen: / (...) Dass er dir allzeit bessren Schutz als viele Schilde (...) bringt.“ (Ödipus zu Theseus, S. 84 f.)

Ödipus’ Antwort ist vernichtend: Er werde Polyneikes nicht helfen, ja er will vielmehr, dass seine Söhne sich in ihrem unsinnigen Streit gegenseitig umbringen, bevor Theben in Trümmer gelegt wird. Er will, dass alle bisherigen Flüche ihnen Unglück bringen, und verflucht sie erneut. Polyneikes erkennt, dass sein Vater nicht umzustimmen ist. Er bittet seine Schwestern, ihm im Fall seines Todes ein ordentliches Begräbnis zu verschaffen. Antigone versucht, ihren Bruder wenigstens von seinem kriegerischen Vorhaben abzubringen, und fleht ihn an, nach Argos zurückzukehren. Doch Polyneikes lehnt das ab. Den einmal eingeschlagenen Weg glaubt er nicht mehr verlassen zu können.

Ödipus’ letzter Weg

Ein Donnerschlag ertönt. Ödipus erkennt darin ein Zeichen des Zeus: Der Donner bedeutet, dass sein Lebensende naht. Er lässt Theseus rufen, um einzulösen, was er diesem versprochen hat: Heilsbringer für Athen zu sein.

„Doch nach Theben, / Dem altehrwürdigen, schick uns zurück. / Vielleicht dass wir verhüten den Mord, / Der auf unsere Brüder zukommt.“ (Antigone zu Theseus, S. 96)

Mehrere Donnerschläge sind zu hören, auch Blitze schickt Zeus. Ödipus sagt dem herbeigeeilten Theseus, er werde ihm nun dorthin vorangehen, wo er, Ödipus, sterben werde. Nur Theseus darf diesen Ort sehen, und er darf ihn am Ende seines eigenen Lebens einzig seinem Nachfolger verraten, nur dann werde Ödipus ihm und den Athenern nach seinem Tod Glück und Schutz bringen – einen Schutz, der sicherer sei als jede kriegerische Verteidigung. Theseus werde diesen Schutz zum Beispiel gegen Angriffe aus Theben brauchen.

Ödipus, seine Töchter und Theseus entfernen sich, der Chor bleibt zurück. Wenig später kommt ein Gefolgsmann von Theseus und verkündet dem Chor Ödipus’ Tod. Er erzählt, was im Einzelnen geschah:

Der blinde Ödipus, sonst immer geführt von seiner Tochter, ging diesmal voran. In der Nähe eines Felsens legte er sein dreckiges Gewand ab und wies seine Töchter an, ihm Wasser zum Baden zu holen. Sie badeten und kleideten ihn der Tradition gemäß. Dann ließ Zeus wieder Donner hören. Die Töchter fingen an zu weinen und zu klagen, sie nahmen Abschied von ihrem Vater und er von ihnen. Dann rief ihn Zeus: Es sei nun wirklich Zeit, zu gehen. Ödipus übergab seine Kinder dem Schutz von König Theseus und schickte Antigone und Ismene sowie sämtliche Gefolgsleute weg. Nur Theseus durfte ihn weiter begleiten. Dann, fährt der Mann fort, sahen sie, als sie sich umwandten, dass Ödipus verschwunden war und Theseus sich wie vor Schreck die Hand vor die Augen hielt, bevor er betend auf die Knie fiel. Wie Ödipus genau starb, weiß also nur Theseus.

Antigone und Ismene rätseln über den Tod des Vaters. Sie beklagen ihr eigenes Schicksal und möchten zumindest den Ort sehen, wo der Vater starb. Antigone bittet Theseus, sie dahin zu führen – doch der lehnt ab und erzählt den Schwestern von dem Versprechen, das er Ödipus gegeben hat. Antigone und Ismene wollen mit Theseus’ Einverständnis nach Theben zurückkehren und versuchen, zu verhindern, dass ihre Brüder sich gegenseitig umbringen. Theseus erlaubt es ihnen gerne.

Zum Text

Aufbau und Stil

Im antiken griechischen Drama gab es keine Unterteilung in Akte. Zu den festen Regeln der klassischen griechischen Tragödie zählt die Einheit von Raum, Zeit und Handlung: Das Geschehen hat möglichst an einem Ort und an einem Tag zu spielen und eine geschlossene Handlung darzustellen. Das ist im Stück Ödipus auf Kolonos gegeben: Schauplatz ist ein heiliger Hain nahe Athen und es gibt weder Nebenhandlungen noch größere Zeitsprünge. Darüber hinaus gelingt es Sophokles, diese extreme Verdichtung nicht unnatürlich wirken zu lassen.

Ein weiteres Merkmal der griechischen Tragödie ist der Chor, der die Funktion hat, das Geschehen zu kommentieren und die Reaktionen des Publikums vorwegzunehmen. Damit spiegelt er die öffentliche Meinung und bekräftigt die allgemeinen Moralvorstellungen. Eine Besonderheit von Ödipus auf Kolonos ist, dass der Chor eine konkrete Rolle im Stück spielt – hier sind es die Männer des Dorfes Kolonos –, sodass es Dialoge zwischen ihm und den anderen Figuren gibt. Sophokles’ Sprache zeichnet sich durch viele treffende Metaphern und einen lebendigen Wechsel des Versmaßes aus. Besonders spannungsreiche Szenen – etwa als Kreon Antigone und Ismene entführen will – gestaltet er mit schnellen Sprecherwechseln.

Interpretationsansätze

  • Ödipus auf Kolonos gestaltet das alte Motiv der Aufnahme eines Schutzsuchenden. Formgemäß müssen, bevor diese Aufnahme erfolgt, Widerstände überwunden werden. Diese sind hier vor allem Ödipus’ Schwager Kreon und sein Sohn Polyneikes.
  • Im Fall von Polyneikes wird dieses Motiv zugleich umgedreht: Der Gegner ist ein Bittsteller, und Ödipus, eigentlich der Bedrohte, wird von ihm in die Rolle des einzig möglichen Retters gedrängt – worauf er sich aber nicht einlässt.
  • Theseus ist das Inbild eines humanen, gütigen, idealen Herrschers. Sein Stadtstaat Athen steht für politische Ordnung, Rechtsstaatlichkeit, Gottesfurcht und Gastfreundschaft. Einen Kontrast dazu bilden die aggressiven, zerstörerischen Kräfte in Theben.
  • Im greisen Ödipus ist das Motiv der Unversöhnlichkeit verarbeitet. Ödipus’ alter Zorn ist nicht verraucht, das Alter hat ihn nicht milde gemacht. Er stößt Kreon und Polyneikes harsch zurück und verflucht sie. Seine Heftigkeit erscheint aber nicht als Makel, sondern als Zeichen seiner Größe. Dass er von den Göttern zum Heros auserwählt ist und nach seinem Tod verehrt wird, ist plausibel.
  • Das Stück interpretiert auch implizit die tragischen Ereignisse der Vergangenheit: Mehrfach wird betont, dass Ödipus keine Schuld an seinen Taten trägt, da er sie ohne Bewusstsein ihrer Konsequenzen und teilweise in Notwehr beging.
  • Das Drama ist in mehrfacher Hinsicht ein Abschied – Abschied nicht nur der Hauptfigur, sondern auch des hochbetagten Autors vom Leben; außerdem Sophokles’ Abschied vom Schreiben. Und vor dem Hintergrund der politischen Ereignisse ist es auch ein Abschied von der klassischen griechischen Welt, der attischen Demokratie und der kulturellen Blüte. All das wird zu Grabe getragen mit der Hoffnung, dass segensreiche Kräfte daraus auf die künftigen Geschlechter kommen werden.

Historischer Hintergrund

Blütezeit und Niedergang des antiken Griechenland

Im fünften vorchristlichen Jahrhundert erlebte das antike Griechenland seine klassische Epoche. Athen entwickelte sich zum einflussreichsten Stadtstaat der Region. Außenpolitisch verhalf eine starke Flotte der Stadt zur Vormachtstellung im Ägäischen Meer, innenpolitisch gelangte die Demokratie zur Reife. Zum nötigen Selbstbewusstsein war Athen nach einem Doppelsieg über die Perser in den Jahren 480 und 479 v. Chr. gekommen. Die Partner im kurz darauf gegründeten Attischen Seebund waren Athen gegenüber tributpflichtig. Auf diese Weise nahm die Stadt die nötigen Mittel ein, um sich mithilfe eines gewaltigen Bauvorhabens auch repräsentativ in Szene zu setzen: Von 467 an entstand die Athener Akropolis. Die Staatsmänner Ephialtes und Perikles entmachteten den vom Adel dominierten Areopag als entscheidendes staatliches Organ zugunsten einer Volksversammlung, in der alle männlichen Bürger gleichermaßen stimmberechtigt waren.

Während der Blütezeit der attischen Demokratie beschäftigten sich Denker mit den Grundfragen der menschlichen Existenz und mit elementaren Konzepten der Naturwissenschaft. Das griechische Theater, das ebenfalls eine Blüte erlebte, widmete sich mitunter den gleichen Fragen, wenn auch vor einem anderen, stärker religiös verankerten Hintergrund.

Diese Welt geriet mit dem Peloponnesischen Krieg ins Wanken, der von 431 bis 404 v. Chr. dauerte, den Raum von Sizilien bis Kleinasien erfasste und an dem fast alle Mächte der Region beteiligt waren. Die Gegner waren der von Athen geführte Attische Seebund auf der einen und der von Sparta geführte Peloponnesische Bund auf der anderen Seite. Am Ende siegte Sparta. Athen kapitulierte, eingeschlossen und ausgehungert. Die Demokratie bestand noch etwa 80 Jahre fort, doch das goldene Zeitalter des klassischen Griechenland war vorüber.

Entstehung

Ödipus auf Kolonos entstand um 407/406 v. Chr. Kurz vor seinem Tod nahm der knapp 90-jährige Sophokles sich noch einmal den Ödipus-Stoff vor, aus dem er rund 20 Jahre früher sein unumstrittenes Meisterwerk König Ödipus geformt hatte. Dabei griff er auf Überlieferungen aus seiner Heimat Kolonos zurück, nach denen der greise, blinde Ödipus am Ende seines Lebens hier, auf dem Hügel Kolonos, im heiligen Bezirk der Eumeniden Schutz gefunden hatte und seinerseits dem Land durch seinen Tod Schutz und Wohlstand brachte. Ein aktueller Anlass könnte gewesen sein, dass die athenische Armee 407 v. Chr. an diesem Ort eine Abteilung der thebanischen Armee besiegt hatte, die im Begriff war, Athen anzugreifen.

In einzelnen Punkten änderte Sophokles den Mythos gegenüber seiner Version in König Ödipus und Antigone – das war notwendig, weil das eher ruhige Thema um Ödipus’ letzte Ruhestätte sonst keine dramatischen Konflikte geboten hätte. Während Ödipus ursprünglich freiwillig in die Verbannung geht und seine Töchter in Kreons Obhut zurücklässt, ist er jetzt von Kreon und seinen eigenen Söhnen gewaltsam aus dem Land gejagt worden. Auch dass Ödipus am Ende seines Lebens in den Herrschaftsbereich Athens gelangt, ist neu. Das stellt eine Spannung her zwischen den mythischen Orten Theben und Athen, die Sophokles noch durch die Bezugnahme auf Orakelsprüche verstärkt.

Wirkungsgeschichte

401 v. Chr. wurde Ödipus auf Kolonos postum von Sophokles’ gleichnamigem Enkel uraufgeführt – zu einem Zeitpunkt, als Athen sich langsam von der Niederlage gegen die Spartaner zu erholen begann.

Die Zahl der von Ödipus auf Kolonos beeinflussten Werke ist eher gering im Vergleich zu denen, die von König Ödipus inspiriert sind. Im antiken Drama hat das Werk keine weiteren Spuren hinterlassen, wobei die alexandrinischen Gelehrten es durchaus bewunderten, vor allem wegen seines ökonomischen Aufbaus. Danach erlangte das Stück erst wieder in der Kunst des 18. und 19. Jahrhunderts Bedeutung, und hier vor allem in der Oper. Für das Musikdrama war die Tragödie im Unterschied zu den meisten anderen antiken Tragödien deshalb geeignet, weil sie einen versöhnlichen Schluss bot. Die bekanntesten Bearbeiter des Stoffes waren Antonio Sacchini, Franz Schubert, Gioachino Rossini und Felix Mendelssohn-Bartholdy.

In der Philologie und Literaturtheorie des deutschen Idealismus sah man Ödipus auf Kolonos als die perfekte Tragödie an. Das bekannteste dramatische Werk des 20. Jahrhunderts, das an sie angelehnt ist, ist T. S. Eliots The Elder Statesman von 1958.

Über den Autor

Sophokles wird 497 oder 496 v. Chr. im Dorf Kolonos nahe Athen geboren. Um seine Gestalt ranken sich zahlreiche Legenden. Verlässliche biografische Daten über den Verlauf seines für die damalige Zeit relativ langen Lebens sind aber nur wenige überliefert. Sein Vater Sophillos ist ein reicher Waffenhersteller, und Sophokles erhält eine gute Ausbildung. Wegen seiner Statur, seiner athletischen Geschicklichkeit und seiner herausragenden musikalischen Fähigkeiten führt er als Jugendlicher angeblich den Dankgesang anlässlich des griechischen Sieges über die Perser in der Seeschlacht von Salamis im Jahr 480 v. Chr. an. 471 oder 470 v. Chr. reicht er seine ersten vier Dramen für den Wettkampf der Dichter bei den Dionysosfesten ein und belegt auf Anhieb den zweiten Platz. 468 v. Chr. gewinnt er zum ersten Mal diesen Wettkampf – und das auch noch im direkten Vergleich mit dem berühmten Aischylos. Vom Alter und von seinen Überzeugungen her steht Sophokles zwischen Aischylos und Euripides, dem letzten der drei großen Dichter. Bei Aischylos lernt Sophokles nach eigenem Bekunden das Stückeschreiben. Er verfasst gut 130 Dramen, von denen jedoch nur sehr wenige erhalten sind, unter anderem die thebanische Trilogie Antigone, König Ödipus und Ödipus auf Kolonos. In den Jahren 443/442 v. Chr. wird Sophokles zu einem der Schatzmeister des Attischen Seebundes bestimmt. Im Samischen Krieg bekleidet er gemeinsam mit dem Staatsmann Perikles, mit dem er befreundet ist, das offizielle Amt eines Strategen, das er auch später noch zeitweise ausübt. 413/412 v. Chr. ist er Mitglied der oligarchischen Regierung, die Athen nach der katastrophalen militärischen Niederlage der Athener auf Sizilien zeitweise regiert. Um das Jahr 406 v. Chr. stirbt Sophokles in seiner Heimatstadt, ohne je eine der zahlreichen Berufungen an einen auswärtigen Königshof angenommen zu haben. Es wird berichtet, er sei an einer Weintraube erstickt – der Wahrheitsgehalt dieser Anekdote ist jedoch umstritten.

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