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Politik als Beruf

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Politik als Beruf

Duncker & Humblot,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Ein illusionsfreies Bild des Politikerberufes aus soziologischer Perspektive.


Literatur­klassiker

  • Soziologie
  • Moderne

Worum es geht

Politik mit Leidenschaft und Augenmaß

Nach dem Ersten Weltkrieg und der Abdankung des Kaisers stellte sich in Deutschland die Frage nach der künftigen Gesellschaftsordnung. In seinem Vortrag, den er im Januar 1919 in München vor Studenten hielt, entwarf Max Weber das Bild des charismatischen Berufspolitikers, den ein neues, demokratisches Deutschland seiner Ansicht nach brauchte. Dabei grenzte er sich gegen die alten Eliten ab, aber noch deutlicher gegen die revolutionären Kräfte der Zeit, die mit aller Macht ihre politischen Utopien durchsetzen wollten. Um Politik zu machen, bedürfe es eben mehr als der guten Gesinnung, meinte der überzeugte Liberale Weber. Obwohl Leidenschaft in der Sache unerlässlich sei, müssten Verantwortung und Augenmaß hinzukommen. Weber zeichnet ein realistisches Bild des Politikers, der seine Eitelkeit überwinden muss, seine hochfliegenden Ideen zur Rettung der Menschheit mit Abstand betrachten und vor allem Enttäuschungen wegstecken können muss. In Zeiten allgemeiner Politikverdrossenheit erinnert uns Webers Schrift daran, dass Politik nicht nur ein Beruf, sondern eine Berufung sein sollte.

Take-aways

  • Max Webers schmale Broschüre Politik als Beruf zählt zu den berühmtesten Schriften des Soziologen.
  • Inhalt: Mit der Entstehung der modernen Massenparteien entwickelte sich der Beruf des Politikers, der für die und von der Politik lebt. Ein guter Politiker zeichnet sich durch charismatische Führereigenschaften aus. Er sollte zudem nicht nur nach der reinen Gesinnung handeln, sondern die Verantwortung für die Folgen seines Tuns übernehmen.
  • Der Schrift liegt eine Rede zugrunde, die Max Weber im Januar 1919 vor Studenten hielt.
  • Es geht ihm nicht nur um äußere Qualifikationsmerkmale des Politikers, sondern um die innere Berufung.
  • Weber zeichnet ein realistisches Bild des Politikerberufes.
  • Vor dem Hintergrund der Novemberrevolution von 1918 plädiert er für eine plebiszitäre Demokratie mit einem „charismatischen Führer“.
  • Weber wendet sich gegen die Demokratieverächter seiner Zeit ebenso wie gegen die revolutionären Romantiker.
  • Die ersten beiden Drittel der Rede sind eher professoral gehalten; erst im letzten Drittel schreibt Max Weber dezidiert politisch.
  • Viele Formulierungen der Rede finden sich heute als Versatzstücke in Politikerreden und der politischen Berichterstattung wieder.
  • Zitat: „Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.“

Zusammenfassung

Politik als Teilhabe an der Macht

„Politik“ ist ein variabler Begriff. Wir bezeichnen damit im Allgemeinen „jede Art selbstständig leitender Tätigkeit“. In diesem Sinne sprechen wir etwa von Devisen-, Schul- oder Gewerkschaftspolitik, ja sogar von der Politik einer Frau, die geschickt das Handeln ihres Mannes steuert. Im Folgenden wird der Begriff speziell im Sinne der Lenkung eines politischen Gebildes, insbesondere des Staates verwendet. Der moderne Staat definiert sich über das Gewaltmonopol, das er innerhalb eines bestimmten Territoriums erfolgreich beansprucht. Vom Staat geht somit alle legitime physische Herrschaftsgewalt aus, selbst wenn diese von Einzelpersonen oder Verbänden ausgeübt wird. Während im älteren, ständischen Verband die finanziellen Mittel etwa für Verwaltung und Kriegsführung noch in der Hand von eigenberechtigten Vasallen lagen, ist der moderne Staat dadurch gekennzeichnet, dass nur er allein über die Herrschaftsmittel verfügt. Seine Beamten sind nicht mehr persönlich Eigentümer des Geldes, das sie für Bürokratie, Bauten oder Kriege ausgeben.

Ein neuer Beruf

Auf welches rechtliche Fundament stützt sich die Autorität des Staates? Wir unterscheiden drei Typen von Legalitätsvorstellungen, die aber kaum je in Reinform vorkommen: erstens Tradition, zweitens persönliches Charisma und Führungsqualitäten eines Einzelnen, drittens Satzungen und Regeln. Die Vorstellung von der Politik als Beruf, um die es hier gehen soll, wurzelt im zweiten Typus: Es geht um Herrschaft durch die Hingabe der Menschen an das Charisma eines Führers.

„Was verstehen wir unter Politik? Der Begriff ist außerordentlich weit und umfaßt jede Art selbständig leitender Tätigkeit.“ (S. 7)

Im Laufe jenes historischen Prozesses, in dem ständische Zwischeninstanzen nach und nach entmachtet wurden und die Herrschaftsgewalt sich in einer Person konzentrierte, bildete sich die Gattung des Berufspolitikers heraus: jemand, der nicht selbst regieren wollte, sondern in den Dienst eines Fürsten trat und daraus seinen Lebensunterhalt bestritt. Für die Politik und von der Politik zu leben, schließt sich nicht aus – im Gegenteil. Wer seine Arbeitskraft in den Dienst der Politik stellt, etwa als Parteisekretär, hoher politischer Beamter oder Minister, muss selbstverständlich entlohnt werden. Sonst würden nur Vermögende, die auf Einkommen nicht angewiesen sind, politisch tätig werden. Arbeiter und Unternehmer, Ärzte und Journalisten oder Anwälte blieben notgedrungen außen vor.

„Es gibt zwei Arten, aus der Politik seinen Beruf zu machen. Entweder: man lebt ,für‘ die Politik – oder aber: ,von‘ der Politik.“ (S. 15)

Seit dem Aufstieg des Absolutismus im 16. Jahrhundert entwickelte sich in Westeuropa das moderne, lebenslange Berufsbeamtentum. Es sichert hochqualifizierten Fachbeamten ihre Posten, auch wenn die politische Führung wechselt. Das bewahrt den Staat davor, zu einer Pfründenversorgungsanstalt zu verkommen, in der Parteiführer im Falle eines Wahlsieges ihre Gefolgschaft mit Ämtern belohnen, wodurch die sachlichen Ziele einer Partei aus dem Blick geraten könnten. Zudem schützt das Berufsbeamtentum vor Dilettantismus in Politik und Verwaltung.

„Parteinahme, Kampf, Leidenschaft – ira et studium – sind das Element des Politikers.“ (S. 27)

Von den Fachbeamten sind die politischen Beamten zu unterscheiden: Sie vertreten die Regierung und können jederzeit entlassen oder versetzt werden. Zumindest in Deutschland haben sie auch eine akademische Ausbildung durchlaufen – mit Ausnahme der Minister, die als hohe politische Repräsentanten keine besondere Fachkompetenz benötigen, so wie ja auch in einem privaten Unternehmen der Aufsichtsrat nur die wirtschaftlichen Direktiven vorgibt, aber keine detaillierten Kenntnisse über den technischen Betrieb besitzen muss.

Juristen und Journalisten als Berufspolitiker

Im Kampf gegen ständische Zwischengewalten stützten sich die Fürsten in den verschiedenen westlichen Ländern seit dem Mittelalter auf Klerus, Hofadel, Landadel und Patriziat sowie insbesondere auf Juristen, die sich mit dem komplizierten Römischen Recht auskannten und die wesentlich am Entwurf des modernen, rationalen Staates mitwirkten. Auch heute spielen Juristen eine herausragende Rolle in der Politik, nicht unbedingt wegen ihres fachlichen Wissens, sondern aufgrund ihrer Fähigkeit, der Öffentlichkeit geschickt Sachverhalte zu vermitteln und eine an sich schlechte Sache so darzustellen, dass sie schließlich gut erscheint. Ein solches demagogisches Talent, das den erfolgreichen politischen Führer kennzeichnet, braucht der Fachbeamte nicht. Er soll ja nicht Politik betreiben, sondern verwalten. Während der Staatsmann und Parteiführer leidenschaftlich für seine Sache kämpft, muss der Beamte interesselos und nüchtern Befehle ausführen, selbst wenn diese seiner eigenen Überzeugung widersprechen. Gerade moralisch hochstehende Beamte, die eigenverantwortlich handeln, sind daher schlechte Beamte.

„Es gibt nur die Wahl: Führerdemokratie mit ,Maschine‘ oder führerlose Demokratie, das heißt: die Herrschaft der ,Berufspolitiker‘ ohne Beruf, ohne die inneren, charismatischen Qualitäten, die eben zum Führer machen.“ (S. 48)

Unter den politischen Führern der westlichen Demokratien herrscht heute der Typus des Demagogen vor. Ein Politiker muss reden und schreiben können, um seine Botschaft unters Wahlvolk zu bringen. In den Führungspositionen der Parteien sitzen oft Journalisten, ein Berufsstand, der vollkommen zu Unrecht kein hohes gesellschaftliches Ansehen genießt. Dieses negative Bild geht auf das Konto der Sensationsjournalisten, die als indiskret und unehrenhaft gelten. Dabei leistet ein guter Journalist ebenso geistig wertvolle Arbeit wie ein Gelehrter und trägt mindestens die gleiche Verantwortung. In allen europäischen Ländern ist zu beobachten, dass Journalisten zugunsten von großen kapitalistischen Zeitungskonzernen an politischem Einfluss verloren haben und dass seriöse Berichterstattung durch die Boulevardpresse verdrängt wird. Dennoch stellt die journalistische Laufbahn weiterhin einen Weg in die Berufspolitik dar. Dieser ist allerdings nichts für schwache Charaktere.

Das Aufkommen von Parteibeamten

Eine vergleichsweise neue Erscheinung unter den Berufspolitikern ist der Parteibeamte. Parteien sind zuallererst Interessenbetriebe, in denen wenige, an der politischen Teilhabe interessierte Führungsfiguren um Anhänger werben, Geldmittel beschaffen und Kandidaten für Wahlen aufstellen. Die Führer und ihre Anhänger, die als aktive Staatsbürger von der passiven Wählerschaft abzugrenzen sind, kämpfen mit friedlichen Mitteln um Macht und politischen Einfluss. Entstanden aus den Gefolgschaften der Aristokratie und den politischen Klubs des Bildungsbürgertums, traten Parteien außerhalb großer Städte anfangs nur gelegentlich, anlässlich von Wahlen zusammen. Parlamentskandidaten, die oft selbst das Programm verfassten, wurden von den örtlichen Honoratioren ernannt. Kleinbürger und Proletarier hatten keine Vertretung aus ihren eigenen Reihen. Erst allmählich schlossen sich lokale Verbände zu überregionalen Parteien zusammen. Dennoch blieben Parteien zunächst in erster Linie Honoratiorenvereine, die von angesehenen Bürgern ehrenamtlich geleitet wurden.

„Damit betreten wir das Gebiet ethischer Fragen; denn dahin gehört die Frage: was für ein Mensch man sein muß, um seine Hand in die Speichen des Rades der Geschichte legen zu dürfen.“ (S. 49)

Die bürgerlichen Parteien der USA, später auch die deutsche Sozialdemokratie, verhalfen der plebiszitären Demokratie zum Durchbruch. Im Zeitalter des Massenwahlrechts sind Parteien zu riesigen, straff durchorganisierten bürokratischen Apparaten geworden. Nicht mehr Honoratioren bestimmen über das Programm, sondern die Parteimitglieder. Diese wählen auch die Kandidaten und Mitglieder verschiedener ständiger Versammlungen und des Parlaments. Die Parlamentarier selbst handeln nicht mehr nach eigenem Gutdünken; sie sind von der Führung des Parteiapparates abhängig. Parteiführer aber wird nur, wer den ganzen Apparat hinter sich zu sammeln vermag. Er ist es – und nicht der Parlamentarier – der im Wahlkampf die Massen überzeugen, Mandate gewinnen und die Macht der Partei ausweiten muss. Dazu bedarf es einer charismatischen, demagogisch starken Führerpersönlichkeit. Sie muss die Parteibeamten auf ihre Seite bringen und sich gegen die immer noch mächtigen, auf Tradition pochenden Parteihonoratioren durchsetzen, die dem rhetorisch gewandten Emporkömmling mit Skepsis begegnen.

Parteibetrieb versus Beamtenherrschaft

Im Fall eines Wahlsiegs muss der Parteiführer seine Gefolgschaft mit Ämtern oder anderen Vorteilen belohnen. Das in der Frühzeit der USA ausgeprägte „spoil system“, also die Verteilung aller Ämter unter den Anhängern eines siegreichen Kandidaten, birgt jedoch die Gefahr, dass Parteien zu reinen „Stellenjägerorganisationen“ verkommen, die ihr Programm in Hinblick darauf wechseln, wie sie am meisten Stimmen gewinnen können. Die Amtsinhaber besitzen keine weitere Qualifikation, als dass sie ihrer Partei treu gedient haben. Im Zentrum einer solchen straff organisierten Parteimaschine steht der „Boss“. Er beschafft die finanziellen Mittel – aus Mitgliederbeiträgen, durch Bestechungsgelder und Spenden großer Finanziers, deren Vertrauen er gewinnt. Er hat keine festen Prinzipien, strebt auch keine hohen Ämter an; ihm geht es allein um Macht und Geld. Dass er kein soziales Ansehen genießt, stört ihn nicht. In der noch jungen Demokratie der USA war dieses auf Profit ausgerichtete Parteiensystem noch erfolgreich. Inzwischen kann es sich das Land aber nicht mehr leisten, von Dilettanten und Stellenjägern regiert zu werden, und setzt – wie Deutschland – zunehmend auf qualifizierte, loyale und tüchtige Fachbeamte.

„Man kann sagen, daß drei Qualitäten vornehmlich entscheidend sind für den Politiker: Leidenschaft – Verantwortungsgefühl – Augenmaß.“ (S. 49)

Deutschland war das weltweit erste Land, das Verwaltungsstellen – und inzwischen sogar einzelne Ministerposten – mit Fachbeamten besetzte. Dadurch sind die Parlamentarier in ihrer Macht stark eingeschränkt, insofern sie keinen Einfluss auf die Ämtervergabe haben. Im Unterschied zu amerikanischen vertreten deutsche Parteien eine bestimmte Weltanschauung und sind keine reinen Stellenjägervereine. Andererseits verharren deutsche Berufspolitiker, selbst wenn sie Macherqualitäten besitzen, aufgrund einer hier verbreiteten kleinbürgerlichen Führerfeindlichkeit auf subalternen Stellen ohne Macht und Verantwortung. Auch in den Parlamentsparteien herrscht dieser Beamtengeist; jede Rede im Reichstag muss durch die Partei gebilligt werden – daher sind Reichstagsreden auch so ungeheuer langweilig.

„Mit der bloßen, als noch so echt empfundenen Leidenschaft ist es freilich nicht getan. Sie macht nicht zum Politiker, wenn sie nicht, als Dienst in einer ,Sache‘, auch die Verantwortlichkeit gegenüber ebendieser Sache zum entscheidenden Leitstern des Handelns macht.“ (S. 50)

Vielleicht verändert sich das Parteiensystem im Zuge der gerade stattfindenden politischen Umbrüche. Wenn in den alten Parteien plötzlich plebiszitäre Führer die Leitung übernähmen, hätte das indes seinen Preis. Ein Führer braucht eine seelenlose Gefolgschaft und einen Parteiapparat, der ihm blind gehorcht. Die Alternative lautet: Führerdemokratie mit einer Parteimaschine nach amerikanischem Vorbild – oder führerlose Demokratie wie bei uns: verwaltet von Berufspolitikern ohne charismatische Eigenschaften, mit einem unpolitischen, von Parteiklüngel und Interessenverbänden beherrschten Parlament, in dem für wahres Führertum kein Platz ist. Das Bedürfnis nach einem Führer könnte der Reichspräsident stillen, sofern er vom Volk, nicht vom Parlament gewählt würde.

Qualitäten und Ethos des Politikers

Was bewegt einen Menschen, den Beruf des Parteibeamten zu ergreifen, der gesellschaftlich nicht besonders angesehen ist? Es ist das Machtgefühl – das Gefühl, an historischem Geschehen teilzuhaben, das selbst Inhaber kleiner Posten genießen. Wie aber kann der Politiker dieser Macht gerecht werden? Drei Eigenschaften sollte er mitbringen: Leidenschaft für die Sache, Verantwortungsgefühl und Augenmaß, das heißt die Fähigkeit, Menschen, Dinge und vor allem sich selbst aus der Distanz betrachten zu können. Denn Eitelkeit, Machstreben um der Macht willen ist eine unter Politkern verbreitete Berufskrankheit, hinter der sich – wie es uns gerade jetzt der Zusammenbruch der alten Machtordnung vor Augen führt – innere Schwäche und Ohnmacht verbirgt.

„Politik wird mit dem Kopf gemacht, nicht mit anderen Teilen des Körpers oder der Seele.“ (S. 50)

Welches sind nun die ethischen Maßstäbe, an die ein Politiker sich halten sollte? Die absolute Ethik des Evangeliums hat in der Politik nichts verloren. Wo etwa die Bergpredigt dazu auffordert, dem Übel nicht mit Gewalt zu begegnen, muss der Politiker im Gegenteil dem Übel gewaltsam widerstehen, um zu verhindern, dass es sich weiter ausbreitet. Hier genau liegt der Unterschied zwischen dem Gesinnungsethiker und dem Verantwortungsethiker: Ersterer handelt nach der reinen Gesinnung, und wenn sein Handeln üble Folgen hat, macht er dafür Gott oder die Schlechtigkeit der Welt verantwortlich. Ein Beispiel dafür liefern die vielen Revolutionäre, die lautstark auftreten und die Welt verbessern wollen, sich aber oft nur „an romantischen Sensationen berauschen“. Der Verantwortungsethiker dagegen bedenkt die Folgen seines Handelns und übernimmt für diese auch die Verantwortung. Er weiß, dass man, um ethisch gute Zwecke zu erreichen, mitunter auch moralisch bedenkliche Mittel in Kauf nehmen muss. Das wiederum bedeutet, dass, wer Politik verantwortungsbewusst und mit dem Mittel der Gewalt betreibt, den Pfad der christlichen Tugend verlässt und sein Seelenheil riskiert.

„Einen ganz trivialen, allzu menschlichen Feind hat der Politiker täglich und stündlich zu überwinden: die ganz gemeine Eitelkeit, die Todfeindin aller schlichen Hingabe und aller Distanz, in diesem Fall: der Distanz, sich selbst gegenüber.“ (S. 50)

Es bleibt jedem selbst überlassen, ob er sich nun für Verantwortungs- oder Gesinnungsethik entscheidet. Es handelt sich auch keineswegs um absolute Gegensätze: Ein guter Politiker muss leidenschaftlich für seine Sache kämpfen und auch schon mal nach dem Unmöglichen greifen – aber dabei doch die Realitäten des Lebens erkennen und sie ertragen können. Nur wer beides in sich vereint und im Falle eines Scheiterns auch Enttäuschungen hinnehmen kann, ist wirklich zur Politik berufen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Max Webers Politik als Beruf wurde ursprünglich als Rede verfasst und für die Drucklegung erheblich erweitert. Der Text ist in drei große thematische Abschnitte unterteilt. Im ersten Teil liefert der Autor eine straffe, lehrbuchartige Einführung ins Thema samt Begriffsklärungen und einer Unterscheidung der Legitimitätsgründe staatlicher Gewalt. Im Mittelteil, der von den äußeren Gegebenheiten der Politik als Beruf handelt, resümiert er kurz die Entwicklung vom Mittelalter bis in die Moderne. Erst im dritten Teil, der im Unterschied zu den anderen in der vorliegenden Druckfassung kaum verändert wurde und noch deutliche Merkmale der mündlichen Rede aufweist, entwickelt Weber seine Theorie von der inneren Berufung zum Politiker. Sein Stil ist nun nicht mehr professoral und trocken, sondern eher improvisiert, lebendig und leidenschaftlich, voll praktischer Beispiele und aktueller Bezüge. Tritt er in den ersten zwei Dritteln der Rede noch als Wissenschaftler auf, so spricht aus dem offenkundig kaum redigierten, noch sehr am gesprochenen Wort orientierten Schlussteil der Politiker in ihm.

Interpretationsansätze

  • Politik als Beruf steht unter dem Eindruck des Scheiterns der Räterevolution von 1918 und trägt deutlich antiparlamentarische Züge. An die Stelle eines führerlosen parlamentarischen Systems traditioneller Art will Weber eine plebiszitäre Führerdemokratie setzen, die einer charismatischen Persönlichkeit genug Handlungsspielraum für mutige Politik lässt. Er unternimmt damit den Versuch, das ältere, liberale Ideal einer Volksvertretung durch die Führungselite einer Nation in das Zeitalter der Massendemokratie mit ihren Interessenorganisationen hinüberzuretten.
  • Webers Aufruf zu einer Balance zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik und zu einer gemäßigten Realpolitik kann als Kompromissversuch gewertet werden. Die deutschen Liberalen hatten sich im preußischen Verfassungskonflikt der 1860er-Jahre über die Frage entzweit, ob man unbedingt an seiner Gesinnung festhalten oder zugunsten einer Beteiligung an der Macht Abstriche bei den eigenen politischen Forderungen machen sollte.
  • Weber grenzt sich in seiner Rede deutlich von den alten Eliten der Kaiserzeit und den Demokratieverächtern ab. Noch heftiger allerdings wendet er sich gegen die intellektuellen Romantiker seiner Zeit. Seine Kritik richtet sich einerseits gegen Pazifisten, die im Ersten Weltkrieg unter Berufung auf die Ethik der Bergpredigt für Gewaltfreiheit eintraten, und andererseits gegen Spartakisten und Bolschewisten, die zur Durchsetzung des Sozialismus zu einem letzten Gewaltakt aufriefen, der in Zukunft alle Gewalt beenden werde.
  • Webers Vorbild ist England, das in seinen Augen durch wahres politisches Führertum ein riesiges Imperium aufgebaut und behauptet hat und ihm als Inspirationsquelle für die Neuordnung Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg ideal scheint. Als Prototyp eines charismatischen Politikers gilt Weber der ehemalige britische Premierminister William Ewart Gladstone.

Historischer Hintergrund

Die Novemberrevolution von 1918

Die letzten Tage des Ersten Weltkriegs standen in Deutschland ganz im Zeichen eines politischen Umsturzes. Angesichts der militärischen Niederlage befürchtete man in Berlin Chaos und einen Bürgerkrieg nach russischem Vorbild. Durch eine Änderung der Verfassung sollte die Reichsführung nicht mehr allein vom Kaiser ernannt werden, sondern aus den Reichstagsparteien hervorgehen. Das war jene Parlamentarisierung der Verfassung, gegen die sich Kaiser Wilhelm II. stets vehement gewehrt hatte und die er jetzt durch eine „Revolution von oben“ und die Einführung einer parlamentarischen Monarchie nach britischem Vorbild zu vermeiden hoffte. An die Spitze der neuen Mitte-Links-Koalition setzte er mit Prinz Max von Baden einen Liberalen. Dennoch brach am 3. November 1918 unter Matrosen in Kiel die Revolution aus und breitete sich innerhalb kürzester Zeit über ganz Deutschland aus. In den großen Städten bildeten sich Arbeiter- und Soldatenräte, die den Sturz des Kaisers und die Errichtung einer sozialistischen Republik forderten. Die Fürstenhäuser des Reiches verzichteten auf ihre Herrschaftsansprüche. Nach der Abdankung Kaiser Wilhelms II., der sich sogleich ins holländische Exil begab, rief der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann am 9. November 1918 die deutsche Republik aus. Er kam damit Karl Liebknecht zuvor, der am Berliner Schloss kurz darauf eine sozialistische Republik proklamierte.

Die Arbeiter- und Soldatenräte wollten die Macht, die ihnen durch Wahlen in den Fabriken und Regimentern übertragen worden war, indes nicht selbst ausüben. Stattdessen übertrugen sie alle Befugnisse an eine Koalition aus SPD und der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) und beauftragten den aus der Revolution hervorgegangenen Rat der Volksbeauftragten mit der Errichtung einer neuen, republikanischen Verfassung. Für die deutsche Sozialdemokratie bedeutete die Revolution von 1918/19 eine Zäsur. Mit Friedrich Ebert an der Spitze wurde sie von einer klassenkämpferischen Oppositionspartei zu einer konservativen und staatstragenden Partei. Auch die Arbeiter- und Soldatenräte stimmten der Einberufung einer verfassunggebenden Nationalversammlung mehrheitlich zu – gegen den Widerstand von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die eine Revolution nach russischem Vorbild forcieren wollten.

Anfang November 1918 erreichte die Revolution das Königreich Bayern mit seiner Hauptstadt München – noch vor der Reichshauptstadt Berlin. Am 7. und 8. November wurde als erster deutscher Monarch Ludwig III. abgesetzt und der Freie Volksstaat Bayern ausgerufen. Arbeiter- und Soldatenräte wählten den Journalisten Kurt Eisner von der USPD zum Ministerpräsidenten. Dass der Umbruch in München sich weitgehend gewaltfrei vollzog und dass nach dem Sturz der Monarchie rasch wieder Ruhe und Ordnung einkehrten, trug wesentlich zu seiner breiten Akzeptanz bei. Die meisten alten Beamten in Verwaltung und Justiz behielten ihre Posten, ein Elitenwechsel blieb aus. Erst die Ermordung Kurt Eisners durch einen völkisch-nationalistisch gesinnten Attentäter im Februar 1919 führte zu einer Radikalisierung der Revolution.

Entstehung

Im November 1917 hielt Max Weber im Rahmen einer vom linksliberalen, bayerischen „Freistudentischen Bund“ organisierten Vortragsreihe eine Rede über Wissenschaft als Beruf. Ziel der Veranstaltung war es, der durch den Krieg und die Revolution verunsicherten akademischen Jugend eine Orientierungshilfe bei der Berufswahl zu geben. Anknüpfend an den in seinem Werk Die protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus (1905) entwickelten religiös-ethischen Berufsgedanken forderte Weber, ein Beruf solle nicht nur dem Lebensunterhalt dienen, sondern aufgrund einer inneren Berufung gewählt werden. Der Einladung zu einem Vortrag über Politik als Beruf war Weber jedoch nur widerwillig gefolgt, weil er sich als Wissenschaftler verstand, nicht als Politiker. Letztlich entschied er sich aber dafür – vermutlich befürchtete er, man werde an seiner Stelle Kurt Eisner einladen. Weber hielt den Vortrag am 28. Januar 1919 mithilfe von acht Stichwortzetteln. Die Rede wurde mitstenografiert und für die Druckfassung vor allem im Mittelteil überarbeitet und stark erweitert, sodass Weber sie „wenigstens passabel“ fand. Politik als Beruf erschien Anfang Juli 1919 als Broschüre in einer Auflage von 3000 Exemplaren.

Wirkungsgeschichte

Hervorgegangen aus einer Gelegenheitsarbeit, entwickelte sich Politik als Beruf rasch zu einer der berühmtesten Schriften von Max Weber. Bis heute finden sich Formulierungen, etwa die Unterscheidung eines Lebens „für“ von einem „von“ der Politik oder die Gegenüberstellung von „gesinnungsethischem“ und „verantwortungsethischem“ Handeln, als Versatzstücke in vielen Politikerreden und in der politischen Berichterstattung wieder. Webers Beschreibung von Politik als „Bohren von harten Brettern“ ist so oft wiederholt worden, dass sie heute als geflügeltes Wort gelten kann.

Über den Autor

Max Weber wird am 21. April 1864 in Erfurt als erstes Kind des Juristen Max Weber und dessen Frau Helene geboren. Die Großmutter mütterlicherseits ist strenggläubige Calvinistin. 1869 zieht die Familie nach Berlin, wo sich Max und seine Geschwister allerdings nicht wohlfühlen. Der Vater wird Abgeordneter der Nationalliberalen Partei. Weber studiert Jura, Nationalökonomie, Philosophie und Geschichte. Er wird im Fach Jura promoviert und habilitiert. Früh setzt er sich mit der Situation der Arbeiter auseinander und wird Mitglied verschiedener Vereine. 1893 heiratet er die spätere Frauenrechtlerin Marianne Schnitger. Seine Universitätskarriere beginnt vielversprechend: Weber wird Professor für Nationalökonomie in Freiburg und später in Heidelberg. Doch schon bald treten gesundheitliche Probleme auf. Von 1897 an muss er seine Lehrtätigkeit einschränken und 1903 ganz einstellen, denn er leidet unter einer depressiven Erkrankung. Es folgen mehrere Sanatoriumsaufenthalte und Erholungsreisen. 1904 erscheinen im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, das er selbst mitherausgibt, gleich zwei bedeutende Schriften: Die „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis und Die protestantische Ethik und der „Geist“ des Kapitalismus. 1909 wird Weber Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Später trägt er immer mehr zur Etablierung der Soziologie als eigenständige wissenschaftliche Disziplin bei. 1913 beginnt er mit seinem Hauptwerk Wirtschaft und Gesellschaft. Weber äußert sich auch zunehmend zu tagespolitischen Fragen und ist 1918 an der Gründung der Deutschen Demokratischen Partei beteiligt. Ab Herbst 1918 geht er – inzwischen Professor an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität – eine heimliche Liebesbeziehung mit Else Jaffé-von Richthofen ein, bleibt aber seiner Frau Marianne eng verbunden. Am 14. Juni 1920, mit erst 56 Jahren, stirbt Max Weber in München an einer Lungenentzündung. Zwei Jahre später wird das Mammutwerk Wirtschaft und Gesellschaft aus dem Nachlass veröffentlicht.

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