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Sodom und Gomorrha

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Sodom und Gomorrha

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Band 4

Suhrkamp,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Der vierte Band von Prousts Jahrhundertwerk: Alte Lüstlinge, knackige Jünglinge, feurige Fräuleins und mittendrin ein einsamer, eifersüchtiger Hetero: Was Sie schon immer über Sex in Frankreich wissen wollten – voilà!


Literatur­klassiker

  • Roman
  • Moderne

Worum es geht

In der Höhle des Lasters

Sodom und Gomorrha ist Teil von Prousts Lebenswerk Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, in dem der Ich-Erzähler vom Versuch berichtet, seine lebenslange Schreibblockade zu überwinden und so seinem müßigen Leben einen Sinn zu verleihen. In diesem vierten von sieben Bänden erzählt er von einer schockierenden Entdeckung: Der Baron von Charlus, sein guter Bekannter, ist schwul. Und nicht nur er: In der lasterhaften Welt der besseren Gesellschaft gibt es kaum einen braven Familienvater, der nicht verstohlene Blicke auf hübsche Jünglinge wirft; rassige Mädchen wirbeln Brust an Brust über die Tanzfläche, und unser Held stolpert von einem fieberhaften Eifersuchtsdrama ins andere. Nach drei Romanbänden voll verschämter Andeutungen lässt der Autor seine Figuren endlich die Homosexualität ausleben, zu der er sich selbst nie offen bekannte. Das Ergebnis ist nach heutigen Maßstäben nahezu prüde, löste im Frankreich der 1920er Jahre aber einen Skandal aus, zumal Proust das Romanepos aus Mosaiksteinen seiner eigenen Biografie und der seiner Bekannten zusammensetzte. Der heutige Leser steht fasziniert vor einem einzigartigen Sittengemälde.

Take-aways

  • Auf der Suche nach der verlorenen Zeit zählt zu den bedeutendsten Romanen des 20. Jahrhunderts.
  • Zwischen 1913 und 1927 erschienen, ist er ein nostalgischer Abgesang auf die Belle Époque und ein modernes Erzählexperiment.
  • In Sodom und Gomorrha, dem vierten von sieben Bänden, lernt der Ich-Erzähler Marcel die Welt der Homosexualität kennen.
  • Er beobachtet, wie der Baron von Charlus den Westenmacher Jupien erobert.
  • Beim Empfang des Fürsten von Guermantes erkennt Marcel, dass viele Mitglieder der feinen Gesellschaft homosexuell sind.
  • Er reist in das Seebad Balbec, wo ihn die Erinnerung an seine verstorbene Großmutter überwältigt.
  • Bei einem Kasinobesuch hört er das Gerücht, dass seine geliebte Albertine lesbisch sei.
  • Albertine streitet das Marcel gegenüber entrüstet ab, doch er bleibt misstrauisch.
  • Er macht ihr teure Geschenke, kutschiert sie in einem Auto übers Land und führt sie in die Gesellschaft ein.
  • Als er genug von ihr hat und Schluss machen will, erwähnt sie beiläufig ihre Freundschaft zu zwei Frauen, die ihm als Lesbierinnen bekannt sind.
  • Das führt bei Marcel einen erneuten Stimmungsumschwung herbei: Er will Albertine nun heiraten.
  • Proust brach mit dem Buch ein Tabu – und gilt heute als Pionier der homosexuellen Literaturszene in Frankreich.

Zusammenfassung

Ein Blick ins Reich Sodoms

Durch ein Fenster im Treppenhaus des Stadtpalais der Guermantes beobachtet Marcel fasziniert, wie eine seltene Orchidee der Befruchtung durch eine Hummel harrt. Gleichzeitig sieht er, wie der Baron von Charlus sich an den Westenmacher Jupien herantänzelt. Die beiden verschwinden in der Kammer über Jupiens Laden. Marcel vernimmt spitze Schreie, die sich anhören, als würden die Männer einander erwürgen. Plötzlich geht ihm ein Licht auf: Die beiden Männer sind schwul. Nun begreift er Charlus’ rätselhaftes Verhalten ihm gegenüber. Marcel verabscheut dessen Neigung und verspürt doch Mitleid: Er ahnt, mit wie vielen Lügen, Verfolgungsängsten und unerfüllten Leidenschaften die Angehörigen dieser „Rasse“ leben müssen. Vor allem die Einzelgänger unter ihnen, glaubt er, haben es schwer: Je stärker sie ihre Neigungen unterdrücken und ein sittenstrenges Leben führen, desto weiblicher und tuntiger werden sie. Marcel vergleicht das Schicksal der Homosexuellen mit dem der Juden: So sehr sie sich auch bemühen, ihr Wesen zu verleugnen – früher oder später holt die einen ihr Laster und die anderen ihre Herkunft wieder ein.

Die Creme der Gesellschaft

Anschließend besucht Marcel einen Empfang in den berühmten Gärten des Fürsten von Guermantes. Der Fürst wirkt auf den ersten Blick kühler als sein Cousin, der Herzog von Guermantes. Doch Marcel weiß seine höfliche Distanz zu schätzen, denn er erkennt, dass die egalitäre Gesinnung des Herzogs und seiner Frau reine Heuchelei ist. In Wahrheit verlangen diese beiden von anderen, ihre Liebenswürdigkeit mit hündischer Dankbarkeit anzunehmen und sich ihrer aristokratischen Überlegenheit zu unterwerfen. Als Charles Swann eintritt, fängt der Gastgeber ihn blitzschnell ab und verschwindet mit ihm im Garten. Sofort macht das Gerücht die Runde, der als antisemitisch bekannte Fürst habe seinen Gast herauskomplimentiert. Die Herzogin von Guermantes ist erleichtert, denn sie will um jeden Preis vermeiden, Swann die Hand geben zu müssen: Ihre Freundschaft zu dem Juden pflegt sie lieber privat. Gemeine Intrigen, üble Nachrede und offen zur Schau getragene Standesdünkel prägen den weiteren Abend. Der Baron von Charlus lässt eine obszöne Hasstirade gegen die gesellschaftlich sehr ehrgeizige Madame de Saint-Euverte los, wohl wissend, dass diese direkt hinter ihm steht. Er sucht beflissen das Gespräch mit der schönen Madame de Surgis, der neuen Geliebten des Herzogs, um sich an ihre jugendlichen Söhne heranzumachen. Und Marcels Freund, der einst so liberale und romantische Saint-Loup, scheint eine 180-Grad-Wendung gemacht zu haben: Der Prozess um den jüdischen Offizier Alfred Dreyfus ist ihm nunmehr gleichgültig, die Liebe hält er für groben Unfug, und Marcel rät er, sein Glück in den Bordellen zu suchen.

Ein Geständnis ohne Folgen

Swann erzählt Marcel später am Abend, weshalb der Gastgeber ihn bei seinem Eintritt so dringend hat sprechen wollen: Tatsächlich hat sich der als eifriger Dreyfus-Gegner geltende Fürst in aller Stille zu dessen Befürworter gewandelt. Die Beweise für illegale Machenschaften des Militärs und somit für Dreyfus’ Unschuld seien erdrückend, hat er Swann gestanden. Dieser ist dankbar für das Bekenntnis, versteht aber vollkommen, dass der Fürst seinen Meinungswechsel in der Gesellschaft geheim halten möchte. Am Ende des Abends lehnt Marcel die Einladung der Gastgeber ab, für ein Essen im kleinen, hochadligen Kreis dazubleiben. Er hat bereits eine Verabredung mit Albertine. Als er nach Hause kommt, ist sie noch nicht da. Nach einer quälend langen Wartezeit ruft sie ihn an: Sie sei mit ihren Freundinnen ausgegangen und habe eigentlich nicht mehr vor, ihn heute noch zu treffen. Marcel spielt den Gleichgültigen und setzt sie damit unter Druck. Schließlich willigt sie doch ein, vorbeizukommen, und Marcel kann einige „Gutscheine“ einlösen – ihr gemeinsamer Code für Zärtlichkeiten.

In Balbec

Im Frühjahr reist Marcel zum zweiten Mal ins Seebad Balbec. Allein im Zimmer des Grand-Hôtel, überkommt ihn plötzlich die Erinnerung an seine verstorbene Großmutter. Er möchte sich wie bei seinem ersten Aufenthalt zum Trost in ihre Arme werfen. Plötzlich bereut er bitterlich alle achtlosen Bemerkungen und Taten, mit denen er sie zu Lebzeiten verletzt hat. In den ersten Tagen zieht er sich deshalb völlig zurück und schlägt selbst Einladungen aus, um die er sich früher gerissen hätte. Als seine Mutter anreist, stellt er fest, dass diese der Großmutter von Tag zu Tag ähnlicher wird. Sie ist es auch, die ihm aus seiner Lethargie hilft und ihn drängt, Albertine zu sehen.

Die Saat des Misstrauens

In der Folge trifft Marcel Albertine gelegentlich, aber er verabredet sich auch mit vielen anderen jungen Mädchen, die ihm an den Stränden der Gegend lustvolle Stunden schenken. Bei einem Kasinobesuch macht Doktor Cottard ihn auf die innige Umarmung Albertines und Andrées aufmerksam, die aus Mangel an männlichen Partnern miteinander tanzen. Cottard ist überzeugt, dass die beiden Mädchen durch die Berührung ihrer Brüste höchste Lust empfinden. Marcel wird misstrauisch. Er nötigt Albertine, anscheinend harmlose Verabredungen abzublasen, und steigert sich in eine wahnhafte Eifersucht hinein. Immer grober und gemeiner wird sein Verhalten, bis sie ihn schließlich zur Rede stellt. Marcel lügt ihr vor, er fühle sich von Andrée angezogen und könne sie, Albertine, nicht mehr lieben. Insgeheim glaubt er, mangelndes Interesse vortäuschen zu müssen, um die Geliebte für sich zu gewinnen. Schließlich berichtet er ihr von den Gerüchten über ihr Laster. Albertine streitet es entrüstet ab: Nichts finde sie verabscheuungswürdiger als Frauen, die andere Frauen lieben!

„Im gleichen Augenblick, da Monsieur de Charlus pfeifend wie eine dicke Hummel durch das Tor verschwand, kam eine andere, diesmal eine richtige, in den Hof geschwirrt.“ (S. 15)

Marcel ist jedoch nicht von seinem Argwohn befreit. Als die Saison in Gang kommt, glaubt er in jedem neu angereisten Mädchen eine potenzielle Geliebte seiner Freundin zu erkennen. Kurze Zeit später lenkt sie sein Misstrauen aber in die entgegengesetzte Richtung. Auf dem Bahnsteig der Lokalbahn in Doncières trifft das Paar auf Saint-Loup, und Albertine flirtet hemmungslos mit dem jungen Offizier. Marcel ist erbost, aber zugleich erleichtert, da er sich von der Idee geheilt fühlt, Albertine sei lesbisch. Kurz vor der Abfahrt sehen sie Charlus. Mit seinem wogenden Hintern, dem wabbelnden Bauch und der vor Hitze zerlaufenden Schminke im Gesicht bietet er einen lächerlichen Anblick. Er bittet Marcel, einen jungen Soldaten vom gegenüberliegenden Bahnsteig herbeizuholen, mit dem er verwandt sei. Marcel geht zu dem jungen Mann und erkennt in ihm den schönen Morel, den Sohn eines Kammerdieners. Marcel begreift, dass Morel und Charlus sich in Wahrheit noch nie begegnet sind. Der Baron hat Marcel nur benutzt, um eine Eroberung zu machen.

Der kleine Kreis kommt groß raus

Zwei Tage darauf fährt Marcel wieder mit der Lokalbahn, diesmal um die Verdurins im Schloss La Raspelière zu besuchen. Ihr Salon gilt als Kultstätte für Liebhaber anspruchsvoller Musik. In den vergangenen 20 Jahren haben die Verdurins und ihre „Getreuen“ eine steile gesellschaftliche Karriere hingelegt. Noch immer dabei sind die Cottards, der mittlerweile fast erblindete Gelehrte Brichot und Saniette, den Monsieur Verdurin regelmäßig als Fußabtreter missbraucht. Weniger lange dabei sind der polnische Bildhauer Ski, der Geiger Morel und die russische Fürstin Scherbatow. Außerdem führt Morel an diesem Abend Charlus bei den Verdurins ein. Er bittet Marcel unterwürfig, seinen Vater nicht als Kammerdiener, sondern als Verwalter großer Ländereien zu erwähnen. Marcel sagt widerstrebend zu, sieht aber bald, dass er damit für Morel offenbar seine Pflicht erfüllt hat: Für den Rest des Abends ignoriert dieser ihn völlig. Schließlich sind auch Monsieur und Madame von Cambremer anwesend, Angehörige des Provinzadels, von denen die Verdurins das Schloss gemietet haben. Die Beziehungen zwischen Mietern und Vermietern sind von Anfang an gespannt: Die Cambremers rümpfen die Nasen über den Geschmack der Bürgerlichen, während die Verdurins alle Menschen adliger Herkunft als Langweiler bezeichnen – zumindest so lange, bis sie selbst von der Aristokratie empfangen werden. Die Hausherrin führt in ihrem Salon ein strenges Regiment: Sie diktiert den gültigen Kunstgeschmack, und sagt, was ihre Getreuen zu tun und zu lassen haben.

Mit dem Auto übers Land

Marcel unternimmt nun fast täglich Ausflüge mit Albertine. Sie malt Bilder, und er begleitet sie durch romantische Waldlandschaften zu verzauberten, kleinen Kirchen, vor denen sie ihre Staffelei aufstellt. Einmal schenkt er ihr einen eleganten Hut mit Schleier und mietet eines der wenigen Automobile mit Chauffeur, die in Balbec zu haben sind. Albertine geht völlig in ihrer Rolle als verwöhnte Prinzessin auf und bittet Marcel, sie bei den Verdurins einzuführen. Die Geschwindigkeit des Autos erscheint ihnen atemberaubend. Anstatt einen Ort pro Tag aufzusuchen, erreichen sie in wenigen Stunden gleich mehrere Ziele. Die Bäume am Straßenrand laufen vor ihren Augen so schnell auseinander, als wollten sie ihnen aus dem Weg springen. Madame Verdurin, vom Anblick des Automobils fasziniert, schlägt vor, sie auf dem Nachhauseweg zu begleiten und selbst mit der Bahn zurückzufahren. Doch Marcel hat sich in den Kopf gesetzt, bei geschlossenem Verdeck mit Albertine zu schmusen. Die Dame nimmt ihm die lahmen Ausreden nicht ab und ist tödlich beleidigt.

„(...) mit welcher List, welcher Beweglichkeit, welcher eigensinnigen Zähigkeit gleich der einer Kletterpflanze sucht doch in ihm die unbewusste, aber sichtbare Frau nach einem männlichen Organ.“ (über den Homosexuellen, S. 37)

Erst zwei Jahre später wird Marcel erfahren, dass der Chauffeur sich mit Morel angefreundet hat. Gemeinsam fahren die beiden übers Land, um junge Mädchen aufzugabeln und sich an ihnen zu vergehen. Als der Fahrer von seinem Arbeitgeber nach Paris zurückbeordert wird, spinnt er mit Morel eine Intrige, damit die Verdurins ihren Kutscher feuern und den Chauffeur fest einstellen. Ihr Plan geht auf.

Verrückt vor Liebe

Durch seine Liebe zu Morel wird der Baron von Charlus bald zum Treuesten der Getreuen im Salon der Verdurins. Seine Homosexualität ist innerhalb des kleinen Kreises längst kein Geheimnis mehr. Dennoch hält Charlus nach wie vor an der Illusion fest, dass die Außenwelt ihn für ein gestandenes Mannsbild hält. Morel hat von seinem verliebten Gönner schon bald die Nase voll. Er demütigt ihn vor seinen Kameraden, schimpft ihn einen alten Widerling und Schurken. Nach einer ihrer vielen Auseinandersetzungen weigert er sich, zu Charlus zurückzukehren. Erst als der Baron droht, sich mit einem Offizier aus dem Regiment seines Geliebten zu duellieren, gibt Morel nach. Er hat Angst vor einem Skandal, der seine Karriere gefährden könnte. Die Versöhnung ist allerdings nur von kurzer Dauer. Erfüllt von rasender Eifersucht, spioniert der Baron seinem Geliebten in einem Bordell hinterher, in dem Morel ein Rendezvous mit dem Fürsten von Guermantes hat. Ein zweites Treffen zwischen dem Geiger und dem Fürsten endet mit einem Fiasko: Morel entdeckt in der Villa des Fürsten ein Foto des Barons, und da er keine Ahnung hat, dass die beiden miteinander verwandt sind, hält er das Ganze für einen neuen Hinterhalt von Charlus. Erschreckt rennt er davon, ohne sich dem verdutzten Guermantes zu erklären.

Bitteres Saisonende

Marcels Mutter äußert ihre Besorgnis darüber, dass ihr Sohn das Geld allzu sorglos ausgebe, vor lauter Besuchen nicht zum Schreiben komme und zu viel Zeit mit Albertine verbringe. Eine Art angeborenes Standesbewusstsein verbietet ihr, die mögliche Heirat Marcels mit Albertine gutzuheißen – dies, obwohl sie im Grunde sehr liberal eingestellt und liebenswürdig zu ihrer Dienerschaft ist. Albertine, als arme Waise bei ihrer Tante aufgewachsen, scheint ihr alles andere als eine gute Partie. Auch Marcel selbst wird seiner Freundin allmählich überdrüssig, bewacht sie aber weiterhin wie ein Hund seinen Knochen. Um keinen Preis will er sie mit potenziellen Rivalen wie Saint-Loup allein lassen. Deshalb weigert er sich am Bahnhof von Doncières sogar, ein paar Schritte mit Bloch zu gehen, um dessen Vater in der nicht weit entfernten Postkutsche zu begrüßen. Bloch sieht in Marcels Verhalten einen Ausdruck von Standesdünkel und Antisemitismus und kündigt ihm die Freundschaft.

„Er ist tot! Aber nein, das ist bestimmt eine Übertreibung, ganz bestimmt.“ (der Herzog von Guermantes über einen Verwandten, S. 188)

Nach und nach verflüchtigt sich Marcels Liebe ganz. Gegen Ende der Saison will er mit seiner Freundin brechen und berichtet der Mutter von seinem Entschluss. Just als er mit Albertine sprechen will, erzählt sie ihm von ihrer langjährigen Freundschaft mit Mademoiselle Vinteuil und deren Freundin. Marcel erstarrt vor Schreck. Unwillkürlich steigen die Bilder aus seiner Kindheit in Combray wieder vor seinem inneren Auge auf. Damals hat er durch ein geöffnetes Fenster das lesbische Paar beim Liebesakt beobachtet. Er sieht Albertines harmlose Bemerkung als klaren Beweis für ihr Laster und ist fest entschlossen, sie in Zukunft davor zu beschützen. Als sie nach dem Grund für seine Verstimmung fragt, tischt er ihr die Lüge einer geplatzten Heirat mit einer geliebten Frau auf und bittet sie, unverzüglich mit ihm nach Paris abzureisen. Widerstrebend sagt sie zu. Seiner Mutter teilt Marcel mit, dass er Albertine heiraten werde.

Zum Text

Aufbau und Stil

Sodom und Gomorrha besteht aus zwei Teilen. Der erste enthält einen erzählerischen Rückgriff auf den Nachmittag vor Marcels Besuch beim Fürsten von Guermantes. Proust schildert darin parallel das homoerotische Treffen zwischen Charlus und Jupien sowie die mögliche Befruchtung einer Orchidee durch eine Hummel. Zahlreiche Metaphern verbinden die beiden Erzählebenen und verweisen auf das Schlüsselthema Homosexualität. In den vier Kapiteln des zweiten Teils erzählt Proust zunächst, wie die Bewohner Sodoms, die männlichen Homosexuellen, die feine Gesellschaft quasi unterwandern. Anschließend wendet er sich Albertine, dem Reich Gomorrha und damit der lesbischen Liebe zu. Wie schon den dritten Band seines Romanzyklus Auf der Suche nach der verlorenen Zeit schmückt der Autor auch den vierten mit satirischen Salonstücken, die seine Zeitgenossen gnadenlos karikieren. Allein der Empfang beim Fürsten von Guermantes und die erste Abendgesellschaft bei den Verdurins machen zusammen die Hälfte des ganzen Buchs aus. Das eigentliche Handlungsgerüst ist dünner denn je: Die Szenen, Porträts, Erinnerungen und Reflexionen werden in erster Linie durch die Lokalbahn in Balbec miteinander verbunden. An den Haltestellen und in den Orten entlang der Bahnlinie führt Proust neue Personen ein und entscheidet die Schicksale seiner Figuren auf Jahre hinaus.

Interpretationsansätze

  • Sodom und Gomorrha sind zwei Städte im Alten Testament, die aufgrund der Lasterhaftigkeit ihrer Bewohner von Gott vernichtet werden. Proust verwendet sie als Metaphern für die männliche und die weibliche Spielart der Homosexualität.
  • Die Homosexualität entwickelt sich im vierten Band von Auf der Suche nach der verlorenen Zeit zum Schlüsselthema. Proust verarbeitete damit auch seine eigene Biografie als Schwuler, der sich nie offen zu seiner sexuellen Orientierung bekannte.
  • Die Charaktere und Motive spiegeln seine ambivalente Haltung: Einerseits schildert er das „Laster“ der Homosexuellen als widernatürlich und grotesk. Andererseits idealisiert er die gleichgeschlechtliche Liebe als einzig wahre, da sie weder der Reproduktion noch der Vermehrung des Vermögens diene.
  • Der Autor zieht wiederholt Parallelen zwischen Homosexualität und Judentum. Prousts Mutter war jüdisch, und er sah diesen Teil seiner Identität ähnlich wie seine Sexualität als „angeborene Krankheit“, die er bestenfalls verbergen konnte. Swann und Bloch stehen im Roman stellvertretend für die gescheiterte Assimilation: Sie versuchen vergeblich, alles Jüdische abzulegen, und werden von der Gesellschaft doch nicht akzeptiert.
  • Marcels Affäre mit Albertine ist eine Wiederauflage der Liebesgeschichte zwischen Swann und Odette rund 20 Jahre zuvor, die im ersten Band geschildert wird. Marcels fieberhafte Liebe wird wie bei Swann erst durch ein verborgenes Laster der Geliebten geweckt. Proust unterstreicht durch die Wiederholung dieses Motivs seine Überzeugung, dass erfüllte Liebesbeziehungen unmöglich sind.
  • Das Schaffen von Kunst durch die Erinnerung steht im Mittelpunkt von Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Proust unterscheidet zwischen dem willentlichen und dem unwillkürlichen Erinnern. Während Ersteres oft scheitert, wird Letzteres spontan durch unvermittelte Sinneseindrücke hervorgerufen. Ein Beispiel für das unwillkürliche Erinnern in Sodom und Gomorrha ist die plötzliche Trauer um die Großmutter, die Marcel bei seiner Ankunft in Balbec verspürt.

Historischer Hintergrund

Frankreichs Coming-out

Sodom und Gomorrha behandelt mit der Homosexualität ein Thema, über das in Prousts Frankreich selten geredet und noch seltener geschrieben wurde. Obschon der napoleonische Code civil aus dem Jahr 1804 homosexuelle Praktiken nur dann bestrafte, wenn die Rechte eines Beteiligten verletzt wurden – was einer Entkriminalisierung gleichkam –, war die gleichgeschlechtliche Liebe ein gesellschaftliches Tabu. Sie galt als widernatürlich, verachtenswert und schändlich, aber letztlich als Privatsache. In England oder Deutschland hingegen wurde sie zunehmend zum Politikum: Der berühmte irische Dichter Oscar Wilde etwa wurde 1895 im spätviktorianischen London wegen homosexueller Praktiken zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach seiner Freilassung ging er nach Frankreich.

Auch im Deutschen Kaiserreich wurde Sodomie mit Freiheitsentzug bestraft. Grundlage war der Paragraf 175, ein Relikt der preußischen Gesetzgebung, das von schwulen Aktivistengruppen erbittert bekämpft wurde. Zwischen 1906 und 1908 erschütterte die Harden-Eulenburg-Affäre das Kaiserreich, ein Ereignis, auf das Proust in seinem Werk mehrfach anspielt. Hintergrund war eine Schmähkampagne des kriegsversessenen Journalisten Maximilian Harden, der u. a. den pazifistischen Fürsten zu Eulenburg, einen Freund und Mitarbeiter des Kaisers, als Homosexuellen outete. Harden wollte Wilhelm II. auf diese Weise zu einer härteren Gangart gegenüber seinen europäischen Nachbarn veranlassen. Eine der vielen Folgen des Skandals war die Enttabuisierung des Themas Homosexualität. In Frankreich hingegen gilt Marcel Proust als einer der Ersten, der es überhaupt zur Sprache brachte.

Entstehung

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit war ursprünglich nur als zweibändiges Werk geplant. Als der erste Band Unterwegs zu Swann 1913 in Druck ging, zeichnete sich ab, dass das Gesamtwerk wohl drei Teile umfassen würde (letztendlich wurden es dann sogar sieben), woraufhin Proust die Gliederung veränderte und neue Figuren und Episoden hinzufügte. Der zweite Band war bereits gesetzt, als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach und Prousts Verleger das Projekt auf Eis legte.

Der Autor hatte sich schon seit seinen literarischen Anfängen mit dem Thema Homosexualität beschäftigt. Einzelne szenische Entwürfe wie z. B. die Treffen des Barons von Charlus mit Jupien und Morel entstanden bereits 1909. Allerdings jonglierte Proust lange mit den Personen und Ereignissen, verschob und veränderte sie immer wieder von Neuem. Mit der ersten Reinschrift 1916 war das Werk längst nicht vollendet. Zur Verzweiflung seines Verlegers klebte Proust ganze Buchabschnitte auf Manu- und Typoskripte, und anstatt Druckfahnen zu korrigieren, schrieb er einfach auf ihnen weiter. Der unter schwerem Asthma leidende Proust schlief oft tagsüber und arbeitete nachts wie ein Besessener. Am Ende seines manischen Schaffens standen die sieben Bände von Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Der Autor starb 1922, noch bevor die letzten drei im Druck waren. Mit Die wiedergefundene Zeit erschien 1927 der letzte Band.

Wirkungsgeschichte

Sodom und Gomorrha erschien in zwei Teilen 1921 und 1922 in Paris. Während Proust für die ersten drei Bände von Auf der Suche nach der verlorenen Zeit noch als großer Moralist gefeiert wurde, schlug die Bewunderung nun bei vielen in Empörung um. Der Literat Gustave Binet-Valmer attackierte die Fokussierung auf die „Verirrungen“ einer „falschen Aristokratie“ und urteilte vernichtend: „Ich verabscheue Snobs!“ Die nationalistische Zeitung L’Action française warnte ihre Leser ausdrücklich vor dem Werk und fühlte sich außerstande, den heiklen Titel auch nur abzudrucken. Paul Souday, Kritiker bei Le Temps, konnte die Aufregung nicht teilen und fand das Buch „eher unnötig als wirklich skandalös“. André Gide schließlich warf Proust vor, die Frage der Homosexualität ins Grotesk-Satirische zu verzerren und sie damit um 50 Jahre zurückzuwerfen. Proust soll darauf geantwortet haben: „Für mich gibt es keine Frage – nur Charaktere.“

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit gilt vielen als das wichtigste literarische Werk des 20. Jahrhunderts. In die Popkultur fand es spätestens 1972 mit einem Sketch der britischen Komikergruppe Monty Python Eingang: Darin sollen die Teilnehmer eines „Proust-Zusammenfassungs-Wettbewerbs“ die sieben Bände in 15 Sekunden zusammenfassen – alle scheitern, und am Ende gewinnt „das Mädchen mit den größten Titten“. Volker Schlöndorff verfilmte 1984 den ersten Band unter dem Titel Eine Liebe von Swann. Zur Jahrtausendwende kam es dann zu einem echten Proust-Revival: Alain de Botton schrieb 1997 den augenzwinkernden Ratgeber Wie Proust Ihr Leben verändern kann, und 1998 erschien in Frankreich zum Entsetzen orthodoxer Proust-Fans Stéphane Heuets Comic-Adaption des Romans. Raoul Ruiz verfilmte 1999 Die wiedergefundene Zeit, und das Londoner Royal National Theater brachte im Jahr 2000 das Proust Screenplay des britischen Dramatikers Harold Pinter auf die Bühne.

Über den Autor

Marcel Proust wird am 10. Juli 1871 in Auteuil bei Paris geboren. Sein Vater ist ein berühmter Arzt, die Mutter stammt aus einer wohlhabenden jüdischen Bankiersfamilie. Ab 1878 verbringt er die Ferien in dem Dorf Illiers bei Chartre, das später als Vorbild für das fiktive Combray dienen wird. 1881 erleidet der kränkliche Proust seinen ersten Asthmaanfall. Ab dem Folgejahr besucht er das Lycée Condorcet, wo er zusammen mit Schulkameraden verschiedene literarische Zeitschriften herausbringt. Nach dem Abitur dient Proust trotz seiner schwachen Gesundheit für ein Jahr in der Armee in Orléans. Anschließend studiert er Politik und Jura, bricht ab und macht in Philosophie und Literatur einen Abschluss. Auf Druck seines Vaters nimmt er 1895 eine unbezahlte Stelle als Bibliothekar an, lässt sich aber bald darauf krankschreiben. Sein nach außen hin müßiges Leben, die exzellenten Verbindungen zum Adel sowie die Besuche in den schicksten Pariser Salons verschaffen ihm den Ruf eines Snobs und gesellschaftlichen Emporkömmlings. Der Autor kämpft zeitlebens mit seiner Homosexualität, die sein Vater ihm während seiner Jugend noch durch einen Bordellbesuch hat austreiben wollen. Proust hat zahlreiche Liebhaber, bekennt sich aber nie offen zu seiner sexuellen Orientierung. 1896 erscheint sein erstes Buch, die Kurzgeschichtensammlung Les plaisirs et les jours (Freuden und Tage). Mit einem Kritiker, der sich abschätzig darüber äußert, duelliert er sich. 1903 stirbt sein Vater und zwei Jahre darauf die über alles geliebte Mutter. Proust erbt ein Vermögen, das ihm ein arbeitsfreies Leben im Luxus ermöglicht. Doch seine Gesundheit verschlechtert sich zusehends. Er zieht sich mehr und mehr in das Schlafzimmer seiner Pariser Wohnung zurück und arbeitet an seinem Lebenswerk À la recherche du temps perdu (Auf der Suche nach der verlorenen Zeit). Den ersten der sieben Bände gibt er 1913 auf eigene Kosten heraus. Die letzten drei veröffentlicht sein Bruder posthum bis 1927. Marcel Proust stirbt am 18. November 1922 an einer Lungenentzündung.

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