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Söhne und Liebhaber

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Söhne und Liebhaber

Reclam,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Mutterliebe als Dreh- und Angelpunkt eines Lebens – kann das gutgehen?


Literatur­klassiker

  • Erotik
  • Moderne

Worum es geht

Wohin übertriebene Mutterliebe führen kann

Paul Morel wächst in einer zerrütteten Familie auf, doch wird er von seiner Mutter liebevoll behütet. Diese Liebe nimmt allerdings exzessive Züge an: Sie entmachtet den Vater, und weil Paul emotional auf seine Mutter fixiert ist, ist er nicht mehr frei für andere Frauen. Aus eigener Erfahrung heraus greift D. H. Lawrence das Motiv des Ödipus auf: der Sohn, der unwillentlich den Vater tötet und Inzest mit der eigenen Mutter begeht. Lawrence beleuchtet die Psychologie übersteigerter Mutterliebe mit beeindruckender Klarsicht und zeigt, ohne je ins Voyeuristische abzugleiten, die Figuren in ihrer inneren Zerrissenheit. Seine Darstellung von Dämmerung und Nacht, von Wetter und Natur ist, bei aller Schwülstigkeit, anrührend schön wie ein Jugendstilgemälde. Selten sind abrupt wechselnde Sehnsüchte und Emotionen so eindringlich geschildert worden, das Zehren erfüllten oder unerfüllten Verlangens hat nichts von seiner Dringlichkeit verloren, und man kann durchaus verstehen, warum Lawrence’ Zeitgenossen am Thema und an der expliziten Geschlechtlichkeit des Werks Anstoß nahmen.

Take-aways

  • Söhne und Liebhaber, der erste große Roman des englischen Autors D. H. Lawrence, erntete aufgrund seiner sexuellen Offenheit entrüstete Kritik.
  • Inhalt: Paul Morel wird von seiner unglücklich verheirateten Mutter zum engsten Vertrauten erkoren. Das macht es ihm unmöglich, echte Beziehungen zu anderen Frauen aufzubauen. Mit seiner Jugendliebe Miriam findet er zu geistiger Partnerschaft. Mit der verheirateten Clara erlebt er sexuelle Erfüllung. Erst nach dem Tod der Mutter kann er ein eigenes Leben beginnen.
  • Heute gilt Söhne und Liebhaber als einer der besten Romane in englischer Sprache.
  • Lawrence beweist erstaunliche psychologische Klarsicht und verarbeitet seine eigene nahezu inzestuöse Mutterbeziehung literarisch.
  • Er befasste sich immer wieder mit Freuds Psychoanalyse und war von der überragenden Bedeutung des Sexuellen überzeugt.
  • Das vielschichtige Werk ist auch ein Künstler- und Entwicklungsroman und eine präzise Studie des englischen Bergarbeitermilieus.
  • Der Roman erschien 1913 in diskret gekürzter Form. Erst 1992 wurde die Originalfassung rekonstruiert.
  • Lawrence erhob in vielen seiner Werke, darunter Lady Chatterleys Liebhaber, die körperliche Liebe zum heiligen Mysterium.
  • Lawrence litt zeitlebens unter schlechter Gesundheit und starb mit nur 44 Jahren an Tuberkulose.
  • Zitat: „Sie hatte ihn geboren, liebte ihn, sorgte für ihn, und immer wieder kehrte seine Liebe zu ihr zurück, sodass er nicht frei war, sein eigenes Leben zu gestalten, eine andere Frau wirklich zu lieben.“

Zusammenfassung

Das kurze Glück der Gertrude Morel

Bestwood, ein Ort zwischen Nottingham und Derby, ist ein Kohle- und Eisenrevier, die Landschaft ist von Zechen verschandelt, die Wohn- und Lebensbedingungen sind notorisch schlecht. Hier lebt Gertrude Morel. Sie stammt aus guter, puritanischer Familie, doch hat sie den Fehler ihres Lebens begangen, als sie den ungebildeten Bergmann Walter Morel heiratete. Seine Sinnlichkeit und Lebensfreude, die sie anfangs so attraktiv fand, haben eine Kehrseite: Er lebt auf Pump, ist ein Schwindler, Trinker und Frauenheld. Das Glück währt nur ein paar Monate, dann schlägt Liebe in Verachtung um. Gertrude fühlt sich von ihrem eigenen Leben angeekelt, doch mit der ersten Schwangerschaft schnappt die Falle zu.

„Die Mutter lag im Bett und dachte an ihre Kinder. (…) Sie dachte an sie und wartete auf sie, träumte davon, was sie tun würden, wenn sie erwachsen wären, und sah sich selbst als ihre Antriebskraft. William war bereits so etwas wie ihr Liebhaber.“ (über Mrs. Morel, S. 65)

Auf den Sohn William folgen Annie und schließlich Paul. Gertrude lebt nur noch für die Kinder, von sich selbst und ihren Träumen entfremdet sie sich immer mehr. Frieden findet sie nachts, allein im Garten vor dem Haus. Walter, ein Frühaufsteher, ist in seinen einsamen Momenten am Morgen friedlich und ausgeglichen, weiß aber nicht so recht, wohin mit seiner Hilfsbereitschaft für die Familie. Das macht ihn unglücklich und aggressiv zugleich, er ertränkt seinen Frust in Alkohol, versucht seine Autorität einzufordern und ist eifersüchtig auf den Geistlichen Mr. Heaton, mit dem seine Frau stundenlang gepflegte Konversationen führt. Die ganze Familie leidet unter einer Atmosphäre von Ohnmacht und Entfremdung. Jeder ist für sich glücklicher, gemeinsam machen sie sich das Leben schwer.

Mrs. Morel und ihre Söhne

Paul ist ein seltsames Baby. Er kommt mit gerunzelter Stirn zur Welt, als hätte ihn etwas schon vor der Geburt erschreckt. Gertrude wird dieses Kind, gerade weil sie es nicht gewollt hat, umso mehr lieben. In der Hoffnung, auf Paul warte eine große Zukunft, streckt sie ihn in einer Art Feuertaufe der Sonne entgegen. Gegen ihre Einsamkeit sucht sie zunächst Trost bei William. Der heranwachsende Junge, der zwischen widersprüchlichen Gefühlen gefangen ist, verbündet sich mit ihr gegen den Vater und untergräbt dessen Autorität als Familienoberhaupt. Walter erkrankt bald an Hirnhautentzündung. Gertrude pflegt ihn – im Bewusstsein, dass von ihrer Liebe nichts mehr übrig ist. Bald aber kommt Arthur zur Welt, Frucht einer vorübergehenden Aussöhnung der Eheleute.

„Die beiden waren einander in vollkommener Eintracht verbunden. Mrs. Morels Leben wurzelte jetzt in Paul.“ (S. 271)

Während Paul zart und melancholisch bleibt, entwickelt sich William zu einem kräftigen jungen Mann. Er ist intelligent und gelehrig, aufbrausend, ein Tänzer und Frauenschwarm wie sein Vater. Mrs. Morel ist eifersüchtig auf seine „Flittchen“, er wiederum giert nach der Aufmerksamkeit und Zustimmung seiner Mutter. Mit der Zeit magert William ab und verliert seine Fröhlichkeit. Er geht nach London, verdient gut, schickt aber kaum Geld nach Hause. Er lebt auf großem Fuß und bändelt mit Frauen an, die ihn ausnutzen. Paul schlägt stärker seiner Mutter nach und ist nach Williams Wegzug sehr eng mit ihr verbunden. Er himmelt sie geradezu an; Zuneigung, Schmerz, Schuldgefühl, Verbissenheit und Ohnmachtsgefühle verbinden sich zu einer verwirrenden Mischung. Wenn Paul krank ist, schläft er mit seiner Mutter in einem Bett; sie nimmt ihn sich zum Gefährten – was wiederum William eifersüchtig macht. Aus diesem ist inzwischen ein piekfeiner Schnösel geworden. Er wendet sich von seiner Herkunft ab, und Gertrude sorgt sich, dass er sein Potenzial nicht ausschöpfen wird. Sie teilt ihre Sorgen mit Paul, der sich zunehmend als der Mann im Haus fühlt. Er ist sehr empfindsam, alles Neue schreckt ihn, er fühlt sich ständig beobachtet und bewertet. Er malt gern, doch um Geld zu verdienen, muss er einen Beruf aufnehmen – was, ist ihm egal, er sieht sich ohnehin als Gefangener des Kapitalismus. Am liebsten möchte er nach dem Tod des Vaters mit der Mutter leben, sich der Kunst widmen und ein stilles Leben führen.

„Bei seiner Mutter holte er sich die Lebenswärme, die Schaffenskraft; Miriam steigerte diese Wärme zur Intensität von Weißlicht.“ (über Paul, S. 300)

Paul heuert in einer Manufaktur für orthopädische Artikel an, Annie wird Lehrerin, der schwierige Arthur erhält ein Stipendium und wird zu einer Tante ausquartiert. Walter wird mit zunehmendem Alter noch unausstehlicher. Bei einem Besuch zu Hause stellt William seine Verlobte vor, ein einfaches Mädchen, das bei den Morels jedoch die feine Dame spielt. William verachtet sie für ihre Einfalt, doch er ist ihr in einer scheinbar ausweglosen Hassliebe verfallen. Diese Beziehung treibt einen Keil zwischen ihn und seine Mutter. Sie will ihn vor einer lieblosen Ehe wie der ihren bewahren und ist für ihn zugleich der Standard für Intelligenz und Konversationsfähigkeit. William wird von Todesahnungen heimgesucht, und in der Tat erkrankt er bald an einer Lungenentzündung und einer seltenen Hautrose. Gertrude eilt nach London, doch sie kann ihren Sohn nur noch tot nach Hause bringen. Drei Monate lang kapselt sie sich in ihrer Trauer ab, dann bekommt auch Paul eine Lungenentzündung. Ihre Schuldgefühle holen Gertrude zurück ins Leben, sie richtet ihre ganze Aufmerksamkeit auf Paul: Mutter und Sohn retten sich gegenseitig und sind danach tief miteinander verbunden.

Zwischen Mutterliebe und Mädchenliebe

Auf einer Farm lernt Paul Miriam Leivers kennen, die nicht als Schweinehirtin durchs Leben gehen, sondern sich durch Bildung die Welt öffnen will. Gemeinsam begeistern sie sich für Bücher und lernen Französisch; die Gemeindebücherei wird ihr Treffpunkt. Den pubertierenden Paul fasziniert die gefühlsbetonte Weltabgeschiedenheit von Miriams Familie, die allen Dingen etwas Religiöses verleiht – ein Kontrast zur betonten Rationalität seiner Mutter. Geistiger Austausch und Naturbetrachtung nähren die Liebe zwischen Paul und Miriam. In ihrem uneingestandenen Verlangen halten sich Zärtlichkeit und Ruppigkeit, Scham und Sehnsucht, Leidenschaft und Abscheu die Waage. Als Miriam ihm eine Wildrose zeigt, sind sich die beiden nah wie nie zuvor – ein Erlebnis, das Miriam befriedigt, Paul jedoch verunsichert, zumal er zu Hause sofort die Eifersucht seiner Mutter erfährt. Glück und Wärme empfindet er vor allem, wenn er abends mit seiner Mutter zusammensitzt und malt.

„Paul sah Miriam in die Augen. Sie war blass und erwartungsvoll vor Staunen, ihre Lippen waren geöffnet, und offen standen ihre dunklen Augen vor ihm. Sein Blick schien in sie einzudringen. Ihre Seele bebte. Dies war die Einswerdung, die sie ersehnte.“ (S. 309)

Als Miriam Paul im Sonnenlicht auf einem Feldweg stehen sieht, hat sie eine Offenbarung. Sie gesteht sich die schmerzliche Körperlichkeit ihres Begehrens ein, überhöht sie jedoch gleich ins Mystisch-Religiöse. Auch Paul verlangt nach körperlicher Liebe, aber bei Miriam findet er nur die Erfüllung von Geist und Seele. Aus diesem Gefühl der Unvollständigkeit wird er ihr gegenüber sehr verletzend. Angst und Scham verhindern einen ersten Liebeskuss. Die Beziehung zu seiner Mutter geht ungebrochen intensiv weiter. In dieser verwirrend widersprüchlichen Gemengelage schlägt Liebe auf allen Seiten in Hass um – auch zwischen Paul und seiner Mutter.

Paul empfindet seine Liebe zu Miriam als fehlerhaft

Paul stellt erste Arbeiten aus und gewinnt dafür Preise. Die Mutter erlebt ihre Erfüllung in Pauls Erfolg, und alles, was Paul produziert, widmet er ihr. In der Fabrik steigt er zum Aufseher auf und studiert parallel dazu Textildesign. Miriam stellt ihm Clara Dawes vor – und bemerkt sofort deren Wirkung auf seine Männlichkeit. Clara ist Frauenrechtlerin und lebt von ihrem Mann getrennt. Sie ist das Gegenteil von Miriam: Wo diese den Kopf demütig senkt, wirft jene ihn stolz in den Nacken. Paul hadert immer noch damit, dass er Miriam nur vergeistigt lieben kann, und ihr körperliches Begehren setzt ihn unter Druck. Manchmal träumt er von einer Ehe und einem kleinbürgerlichen Leben mit Miriam. Eine befremdliche Traurigkeit tritt zwischen sie – die Erkenntnis, dass sie nicht füreinander bestimmt sind. Das einzige höhere Wesen in Pauls Leben ist seine Mutter. Die Aussöhnung mit dieser hat etwas von Erotik. Die innere Rückkehr zu seiner Mutter verschafft Paul Ruhe, gleichzeitig aber auch ein Gefühl der Unentrinnbarkeit. Eigentlich kämpft er gegen beide Frauen, Miriam und seine Mutter. Er gelobt seiner Mutter zwar, niemals zu heiraten und immer bei ihr zu bleiben, zugleich aber brennt er darauf, auszubrechen und ein eigenes Leben zu beginnen wie seine Geschwister Annie und Arthur.

„Unwillkürlich erkannte er, dass er für sie das Leben bedeutete. Und schließlich war sie auch für ihn die Hauptsache, das einzige höhere Wesen.“ (über Paul und Mrs. Morel, S. 397)

Miriam ist bereit zu warten – darauf, dass Pauls Mutter ihn freigeben und er sich an Clara die Hörner abstoßen möge. Wie die anderen Männer seiner Familie jagt Paul frivolen Befriedigungen hinterher. Er nimmt Clara, ganz anders als Miriam, in ihrer Sexualität wahr und macht ihr den Hof, obwohl er die streitbare Frau gar nicht besonders gut leiden kann. In einem Brief bezeichnet er Miriam als Nonne und benennt den Fehler in ihrer Beziehung: Ihre Suche nach Unsterblichkeit ist nicht vereinbar mit seiner Erkenntnis vom „Lehm, aus dem wir geformt sind“. Er entscheidet sich, seinem Geschlechtstrieb zu folgen. Miriam ziert sich, gibt aber schließlich nach, und die beiden schlafen miteinander. Doch Paul erkennt, dass sie sich nicht wirklich hingegeben, sondern ihm nur ein Opfer gebracht hat, worauf er sie verlässt.

Die Macht sexueller Begierde

Paul verschafft Clara eine Anstellung in seiner Strumpffabrik. Die tägliche Nähe wie auch die Trennung an den Wochenenden bringen ihn fast um den Verstand. Die beiden schikanieren sich gegenseitig, um die große körperliche Anziehung zu verbergen. Paul, der sich immer noch an Miriam gebunden fühlt, versucht sexuelle Begierde vom realen Umgang mit Frauen zu trennen. Clara erklärt ihm, dass er Miriam schlecht behandle und nichts von ihrem Verlangen verstanden habe. Auch Clara gegenüber ist Paul egoistisch. Er sieht den gesellschaftlichen Preis nicht, den sie als verheiratete Frau für eine Beziehung mit ihm zu bezahlen hat. Ihre Meinung interessiert ihn kaum, Miriam und selbst seine Mutter reden ihm ins Gewissen, doch vergeblich. Clara hat den Schritt getan, den Mrs. Morel nie tun konnte, und ihren Mann verlassen – das nimmt die Mutter für sie ein. Zugleich aber macht sie Clara Angst, und den stummen Zweikampf um Paul entscheidet auch hier Mrs. Morel für sich.

„Er war wie so viele junge Männer in seinem Alter. (…) Sexuelle Begierde war eine Sache für sich, die mit einer Frau nichts zu schaffen hatte.“ (S. 506)

Paul und Clara erleben ein leidenschaftliches Abenteuer am wild reißenden Fluss. Bei Hochwasser staken sie durch den roten Lehm des steilen Ufers, bis sie eine einsame Stelle gefunden haben, wo sie sich hingebungsvoll küssen. Die Körperlichkeit ist intensiv, sie keuchen, und Paul beißt Clara in den Hals. Als er ihr später sagt, dass er mit Miriam befreundet bleiben will, rückt Clara von ihm ab, woraufhin er sie beinahe vergewaltigt. Wieder versöhnt, besuchen sie eine Theatervorstellung. Paul gerät in Ekstase und sagt Clara in der Dunkelheit des Theaters, dass er sie liebe. Weil er den letzten Zug verpasst, übernachtet er bei Clara, die mit ihrer Mutter zusammenwohnt. Als diese endlich zu Bett geht, findet Paul Clara nackt am Kamin vor. Er betet sie an in einem nahezu religiösen Akt und erkundet ihren Körper mit seinen Händen. Sein Blut gerät in Wallung, er will Sex, auch wenn die Mutter im Nachbarzimmer ist, doch Clara kann nicht. Paul geht allein zu Bett und schläft sofort ein.

Der Tod der Mutter

Claras Ehemann Baxter Dawes beginnt, Paul nachzustellen. Es kommt zu einer Auseinandersetzung im Wirtshaus, zu Drohungen in der Firma, zu einem Gerichtsprozess – die Affäre ist damit öffentlich. Eines Nachts schlägt Baxter Paul zusammen. Über diese Demütigungen kann Paul nicht mit seiner Mutter sprechen, sein Geschlechtsleben ist ein Tabu zwischen ihnen, und die Bindung an sie ist ihm plötzlich zu eng. Er fühlt sich blockiert und unfrei und versteht, dass er die Richtige niemals finden wird, solange seine Mutter lebt. Als ahnte sie dies, erkrankt sie an einem Tumor.

„Sie hatte ihn geboren, liebte ihn, sorgte für ihn, und immer wieder kehrte seine Liebe zu ihr zurück, sodass er nicht frei war, sein eigenes Leben zu gestalten, eine andere Frau wirklich zu lieben.“ (über Mrs. Morel und Paul, S. 620)

Clara liebt Paul leidenschaftlich, doch sie selbst kommt dabei zu kurz. Sie spürt, dass es ihm nicht um sie, sondern um etwas allgemein Sinnlich-Weibliches geht. Sie sehnt sich danach, die Momente mit ihm festzuhalten, zugleich wird sie ihn als verheiratete Frau niemals ganz haben können. Beide merken, dass sie ins Getriebe einer unermesslich großen Macht geraten sind. Nach und nach erlischt das Feuer der Leidenschaft, und ihre Liebe wird mechanischer. Sie brauchen immer neue Kicks, die sie sich unter anderem beim Sex in der Öffentlichkeit holen. Paul ergeht sich in ratloser Selbstbefragung. Obwohl er selbst sich Clara entzieht, will er, dass sie sich von Baxter scheiden lässt. Sie jedoch spürt bei Baxter ein Gefühl der Beständigkeit, das ihr bei Paul vollkommen fehlt.

„Sie kamen sich klein vor, halb verängstigt, kindlich und erstaunt wie Adam und Eva, als sie ihre Unschuld verloren und die Herrlichkeit der Macht gewahrten, die sie aus dem Paradies und durch die große Nacht und den großen Tag der Menschheit trieb.“ (über Paul und Clara, S. 634)

Pauls Mutter leidet mehrere Monate lang an ihrer Krankheit, bis Paul es schließlich nicht mehr aushält und ihr eine starke Dosis Morphium zu trinken gibt. Kurz darauf stirbt sie.

Paul fängt ein Leben neu an

Paul befreundet sich mit Baxter, der mit Typhus im Krankenhaus liegt. Zugleich geht die Beziehung zwischen Paul und Clara auseinander, die Leidenschaft ist erloschen. Clara ist ihm kein Halt in der Trauer um die Mutter. Sie kehrt zurück zu Baxter, der aus seiner schweren Krankheit geläutert hervorgegangen ist. Paul und Walter Morel lösen den Haushalt auf. Paul wohnt fortan zur Untermiete in Nottingham, er versinkt in Trauer und ist künstlerisch lahmgelegt. Er schwankt wochenlang zwischen Todessehnsucht und Lebenshunger. Zufällig begegnet er beim Kirchgang Miriam, die nun als Lehrerin ihren eigenen Lebensunterhalt verdient und sich zornig bewusst wird, wie falsch Paul mit vielen seiner Meinungen liegt. Dennoch schlägt sie ihm noch einmal vor, zu heiraten. Paul lehnt erst ab, weil er weiß, dass sie ihn mit ihrer Liebe ersticken würde. Dann fragt er sie, ob eine Beziehung nicht auch ohne Ehe möglich wäre. Miriam verlässt ihn endgültig. Klein und nichtig wimmert er nach seiner Mutter. Dann rafft er sich auf und schreitet in sein neues Leben.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Roman Söhne und Liebhaber besteht aus zwei Teilen. Im ersten schildert der Autor die leidenschaftliche, aber unglückliche Beziehung der Morels, das gestörte Familienleben und die Kindheit der Söhne. Der Teil endet mit Williams Tod. Im zweiten Teil steht Paul Morel mit seiner Mutterliebe und den gestörten Beziehungen zu Miriam und Clara im Mittelpunkt. Der Erzählfluss wechselt zwischen ausführlich geschilderten Episoden und stark gerafften Passagen, die große Zeitspannen überbrücken. Die Perspektive zoomt hinein und wieder heraus, ist bisweilen ganz im Innenleben der Figuren, dann wieder auktorial beschreibend. Viele Passagen haben etwas Schwebendes und vermitteln die Blockaden in Pauls Beziehungsleben. Psychologische Prozesse sind mit großer Einsicht dargestellt und stellenweise so reflektiert, dass der Text sich selbst zu interpretieren scheint. Lawrence schildert differenziert das Gefühlschaos der Charaktere. Draußen in der Natur kommen die Menschen in Wallung oder zur Ruhe: Poetische Naturdarstellungen entsprechen den Gemütszuständen, hier wird die ansonsten nüchterne und realistische Sprache des Buchs expressionistisch überbordend.

Interpretationsansätze

  • Der Roman ist ein autobiografisches Bekenntnis. Generell exponierte Lawrence sich stark in seinen Werken. Er verarbeitet die eigene Biografie wie auch die seiner Mutter, zu der er eine nahezu inzestuöse Beziehung hatte. Obwohl er nie einen Geschlechtsakt beschreibt, legt die Schilderung von Zärtlichkeiten, Blicken, Gefühlen und Küssen eine erotische Liebesbeziehung zwischen Paul und seiner Mutter nahe.
  • Lawrence befasste sich immer wieder mit Freuds Psychoanalyse und war von der überragenden Bedeutung des Sexuellen überzeugt. Die ödipale Grundstruktur des Romans legte er in einem Brief an seinen Verleger ausführlich dar. Laut Freud muss der Mensch die ödipale Phase entweder bewältigen oder neurotisch werden. Lawrence schildert in Söhne und Liebhaber die neurotische Abspaltung des Triebs vom Geistigen.
  • Das Werk ist ein früher Ausdruck von Lawrence’ persönlicher Sexualphilosophie. Er betrieb eine quasireligiöse Überhöhung des Fleischlichen und des heiligen Mysteriums körperlicher Liebe, was in Lady Chatterleys Liebhaber, seinem berühmtesten Roman, zum Abschluss kam. Ein anderes seiner Lebensthemen war die Entmenschlichung durch Modernität und Industrialisierung. Der westlichen Überbetonung des Geistes setzte er die Betonung von Körper, Tastsinn und Intimität entgegen.
  • Söhne und Liebhaber ist die Geschichte der Suche nach der eigenen Identität. Paul kann sich erst nach dem Tod der Mutter selbst verwirklichen und in der Welt tätig sein. So gesehen, ist das Werk ein Bildungs-, Entwicklungs- und Künstlerroman. Der Schluss ist offen, Pauls Suche ist noch nicht abgeschlossen: Er entflieht der Enge der Beziehungen – um den Preis von Einsamkeit und innerer Obdachlosigkeit.
  • Lawrence beschreibt in präzisen Details das Bergarbeitermilieu. Er kennt Arbeitswelt und Sozialstruktur und die ungeschriebenen Gesetze dieser Gesellschaft. In seiner Prosa und seinen Gedichten hat er immer wieder den Dialekt von Nottinghamshire verwendet. Im englischen Original markiert er das Bildungsgefälle zwischen den Eheleuten Morel dadurch, dass Walter Dialekt spricht. In der deutschen Übersetzung ist dies behutsam durch verkürzte Worte und falsche Grammatik angedeutet.

Historischer Hintergrund

Dekadenz und kulturelle Blüte in einer Welt am Abgrund

Großbritannien wurde im 19. Jahrhundert das Mutterland der industriellen Revolution, weil die politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und geografischen Voraussetzungen dort besonders günstig waren. Im Zuge der Industrialisierung entwickelten sich Wissenschaft und Technik rasant, auch die Bevölkerung wuchs. In den Industriezentren verschärften sich soziale Missstände wie nie zuvor: lange Arbeitszeiten, schlechte Wohnungen, Unterernährung und Siechtum – eine Verelendung des Proletariats, die etwa ab 1830 als „soziale Frage“ in den allgemeinen Sprachgebrauch einging und eine sozialdemokratische Politik entscheidend bedingte.

In der Kunstgeschichte heißen die Jahre zwischen 1890 und 1914 Fin de Siècle – das Ende des Jahrhunderts oder auch Zeitalter der Dekadenz. Es war eine Zeit am Abgrund und zugleich eine Phase reichen kulturellen Schaffens. Eine Epoche neigte sich ihrem Ende zu: Die Industrialisierung hatte die alte Weltordnung unter der Vorherrschaft des Adels und der Kirche abgelöst. Das Bürgertum erstarkte. Nationalismen und eine nie da gewesene Militarisierung prägten die internationale Politik. Euphorie war gemischt mit Endzeitstimmung, man pflegte das leichte Leben, war zugleich fasziniert von Tod, Vergänglichkeit und düsteren Trieben. Am Horizont dämmerte schon der Erste Weltkrieg herauf.

Entstehung

Lawrence stand politisch weit rechts: Er war antiliberal und gegen Arbeiterrechte eingestellt. In einem Brief sprach er sich für einen „absoluten Diktator“ aus, der über die niederen Völker herrschen sollte; Adolf Hitlers Machtübernahme erlebte er allerdings nicht mehr. Er beschäftigte sich intensiv mit der von Sigmund Freud in den 1890er-Jahren entwickelten Psychoanalyse. Diese Methode, frühkindliche Traumatisierungen durch Gewalt, Kränkung oder Missbrauch im Unbewussten aufzuspüren, weist Parallelen auf zu Sophokles’ Tragödie König Ödipus, bei der sich die Zusammenhänge in der rückblickenden Analyse klären: Ödipus tötet unwissentlich und unter fremder Identität seinen Vater. Später erhält er zur Belohnung für seinen Heldenmut die Witwe des Königs zur Frau – seine eigene Mutter. Damit hat er nicht nur Vatermord, sondern auch Inzest begangen. Lawrence griff diesen Stoff in Söhne und Liebhaber auf.

Im Oktober 1910 begann Lawrence mit Vorarbeiten zu dem Roman. Der Tod seiner Mutter zwei Monate später setzte in ihm die Schaffenskraft frei, die er benötigte, um das Werk überzeugend zu vollenden. Ihr Tod bedeutete einen Wendepunkt in seinem Arbeiten, und er setzte seiner Mutter mit Söhne und Liebhaber ein Denkmal. Die ersten drei Fassungen trugen den Titel Paul Morel und stellten damit eher den Protagonisten als die Beziehung zwischen der Mutter und ihren Söhnen in den Mittelpunkt. Erst für die vierte Fassung, die von Juli bis November 1912 entstand, änderte er den Titel – wie er auch andere Änderungen vornahm, die das Werk auf eine breitere thematische Basis stellten und autobiografische Aspekte abschwächten.

Wirkungsgeschichte

Die zeitgenössische Literaturkritik verurteilte die für die damalige Zeit stark betonte Geschlechtlichkeit als unnatürlich, morbide und überzeichnet. Lawrence sah sich harscher Kritik und Pornografievorwürfen ausgesetzt. Die Erniedrigung einer Mutter, die aus besseren Verhältnissen ins Bergarbeitermilieu einheiratet, erschien skandalös. Zwei der wenigen Fürsprecher waren der Autorenkollege E. M. Forster sowie der einflussreiche Literaturkritiker F. R. Lewis, die beide die künstlerische Integrität und moralische Ernsthaftigkeit des Romans hervorhoben. Eine Verfilmung von Söhne und Liebhaber gewann 1960 einen Oscar und einen Golden Globe und war in Cannes für die Goldene Palme nominiert. Dieser Erfolg führte zu einer Neubewertung von Buch und Autor. In Deutschland erschien 1973 eine Verfilmung mit Christiane Hörbiger unter dem Titel Eine egoistische Liebe. In Großbritannien wurde der Stoff mehrfach als Fernsehserie adaptiert. Heute wird Söhne und Liebhaber zu den zehn bedeutendsten englischsprachigen Romanen gezählt, in einer Liga mit Ulysses von James Joyce, Der große Gatsby von F. Scott Fitzgerald oder Schöne Neue Welt von Aldous Huxley, mit dem Lawrence übrigens eng befreundet war.

Seit 1979 werden die Werke von D. H. Lawrence in einem Mammutprojekt an der Universität Cambridge textkritisch editiert. Die entsprechende Ausgabe von Söhne und Liebhaber, die die Absichten des Autors so präzise wie möglich wiederzugeben versucht und vom Verlag gestrichene Passagen rekonstruiert, erschien 1992 und ist die Grundlage der deutschen Neuübersetzung. Sie ist die erste, die auf der kompletten vierten Fassung des Romans beruht, und ist rund 70 Seiten länger als die Originalausgabe von 1913. Der preisgekrönte Übersetzer Hans-Christian Oeser bleibt dem expressionistisch überbordenden Stil mit vielen Wortwiederholungen treu und ruft die dunkle, mystische Stimmung des Unbewussten und nicht Sagbaren auch im Deutschen hervor.

Über den Autor

David Herbert Lawrence wird am 11. September 1885 in Eastwood in Nottinghamshire geboren. Er ist das vierte Kind von Arthur und Lydia Lawrence, einem Grubenarbeiter und einer ehemaligen Lehrerin. Er besucht die Highschool, verlässt die Schule jedoch mit 15 Jahren und findet Arbeit in einer Fabrik. Wegen seines schlechten Gesundheitszustands muss er dort bald wieder aufhören. 1905 beginnt er zu schreiben. Von 1906 bis 1908 wird Lawrence in Nottingham zum Lehrer ausgebildet. Er unterrichtet an der Grundschule in Croydon, muss seine Stelle aber nach seiner Erkrankung an Tuberkulose wieder aufgeben. 1912 lernt der schmächtige Lawrence, der kaum sexuelle Kontakte hat, die sinnliche Deutsche Frieda Weekley, geborene von Richthofen, kennen. Sie ist die Frau seines ehemaligen Professors. Frieda verlässt für den Dichter ihren Mann und ihre drei Kinder. Sie wird Lawrence’ Muse, und er heiratet sie 1914. Während des Ersten Weltkriegs dürfen sie das Land wegen Spionageverdachts nicht verlassen. Lawrence leidet weiter an Tuberkulose und wird von Frieda immer wieder aufopferungsvoll gepflegt. Von 1919 an leben die beiden in Italien, den USA und Südfrankreich. Sie reisen nach Australien und Mexiko. Dort scheitert Lawrence damit, seinen Traum von einer idealen Kommune zu realisieren. Sein Gesundheitszustand verschlechtert sich. Ungeachtet dessen ist er literarisch äußerst produktiv: Neben zehn Romanen schreibt er Gedichte, Essays und Reiseberichte. Viele seiner Werke haben einen autobiografischen Bezug. In den Romanen Söhne und Liebhaber (Sons and Lovers, 1913), Der Regenbogen (The Rainbow, 1915), Liebende Frauen (Women in Love, 1920) und Lady Chatterleys Liebhaber (Lady Chatterley’s Lover, 1928) thematisiert er den Konflikt zwischen Tradition und Moderne und die Macht des Sexuellen. Am 2. März 1930 stirbt er im Alter von 44 Jahren in einem Sanatorium in der Nähe von Cannes. Seine Witwe lässt später seine Asche auf Lawrence’ Farm in Taos in New Mexico bringen.

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