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Sophistes

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Sophistes

Suhrkamp,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
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Was ist drin?

Die Grundsteinlegung der abendländischen Philosophie auf den Trümmern der Sophistik.


Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Griechische Antike

Worum es geht

Grundstein zur abendländischen Philosophie

Der Titel Sophistes ist etwas irreführend, denn der Text handelt nur vordergründig von dieser Denkschule der nützlichen Beredsamkeit, deren Blüte zur Entstehungszeit des Dialogs schon vorbei war. Auch hatte sich Platon schon in früheren Dialogen am Thema der Sophistik abgearbeitet. Die Suche nach dem Wesen der Sophistik ist im Sophistes eine Art Generalprobe für Platons System einer dialektischen Philosophie. Dieses zeichnet sich als Gegenbild der Sophistik ab, gewissermaßen als seriöser Zwilling dieser Schule, die den Unterschied zwischen wahrem und scheinbarem Wissen zugunsten des Effekts unterschlug. Eine dialektische Philosophie, so hoffte Platon, würde die Strukturen der Sprache mit denen der Wirklichkeit synchronisieren und somit das wahre Sprechen über reale Sachverhalte ermöglichen. Auf der Suche nach der Beziehung von Denk- und Dingwelt hat Platon tief gegraben, bis hinunter zu vermeintlich universalen metaphysischen Prinzipien, die wir heute als Katzengold erkennen. Auf dem gewaltigen Aushub dieser Grabungsarbeiten jedoch baut die gesamte abendländische Philosophie.

Take-aways

  • Von Platons Dialog Sophistes nimmt nahezu die ganze abendländische Philosophie ihren Ausgang.
  • Inhalt: Sokrates, Theodoros, Theaitetos und ein Fremder suchen nach dem Wesen der sophistischen Kunst. Mithilfe eines dialektischen Erkenntnissystems wird der Sophist definiert und man geht der Frage nach, was Sein und Nichtsein ausmacht. Am Ende wird die Sophistik als eine Kunst der Täuschung identifiziert.
  • Die Sophistik, eine Schule der Beredsamkeit, ist nur vordergründig das Hauptthema. Im Zentrum steht die Entwicklung einer dialektischen Philosophie.
  • Im Unterschied zu Platons früheren Dialogen ist sein Lehrer Sokrates im Sophistes nicht mehr die zentrale Figur.
  • Eine Besonderheit des Sophistes ist, dass die Beantwortung der Ausgangsfrage zu einem eindeutigen Ende führt und nicht, wie sonst bei Platon, in eine Sackgasse.
  • Neben der Sophistik wird im Sophistes auch die eleatische Philosophie kritisiert, insbesondere die Haltung, nur das Seiende sei wirklich.
  • Vom Sophistes aus verläuft eine Wirkungslinie über Neuplatonik, mittelalterliche Theologie, deutschen Idealismus und Marxismus bis hin zur Heidegger’schen Ontologie.
  • Platon lastete der Sophistik indirekt den Tod seines verehrten Lehrers Sokrates an.
  • Als Platon den Sophistes schrieb, hatte die Sophistik ihre besten Tage schon hinter sich.
  • Zitat: „Eine scheinbare Erkenntnis von allen Dingen, nicht aber die Wahrheit besitzend zeigt sich der Sophist.“

Zusammenfassung

Die Frage nach dem Wesen der Sophistik

Es treffen sich Theodoros, Sokrates, Theaitetos und ein Fremder, den Theodoros als Eingeweihten der Eleaten, einer philosophischen Schule, vorstellt. Sokrates fragt diesen nach dem Standpunkt der Eleaten zur Sophistik. Der Fremde schlägt vor, die Frage im Wechselgespräch mit Theaitetos zu erörtern. Zunächst wollen sie diese Untersuchungsmethode an einem Beispiel üben: Es soll ergründet werden, was das Angeln ist. Gemeinsam bestimmen sie es zunächst als eine Kunst. Dann spaltet der Fremde den Begriff der Kunst in die hervorbringenden und die erwerbenden Künste. Erstere erschaffen etwas Neues, während Letztere auf Vorhandenes zurückgreifen. Das Angeln wird den erwerbenden Künsten zugeordnet. Von der erwerbenden Kunst gibt es zwei Sorten, nämlich eine sanfte und eine gewaltsame, wobei Letztere sich wiederum aufteilt: in eine unverhohlen und eine heimlich gewaltsam erwerbende, also nachstellende Kunst. Zur Nachstellung gehört auch die Jagd, die der Fremde in die Jagd auf Land- und die Jagd auf Wassertiere unterteilt. Die Fischerei gliedert sich ihrerseits in eine schonende Variante, die Netzfischerei, und eine verletzende. Diese wiederum lässt sich von oben, mit der Harpune, oder von unten, mit einem Angelhaken ausüben. Damit ist das Angeln definiert.

Der Sophist als Jäger, Händler, Kämpfer und Seelenreiniger

Nach demselben Muster will der Fremde nun das Wesen des Sophisten ergründen. Er fragt Theaitetos, ob der Sophist eine spezielle Fähigkeit besitze. Theaitetos bejaht, worauf der Fremde wissen will, ob die Kunst des Sophisten der des Angelfischers gleiche. Theaitetos kann dem Fremden hier nicht folgen. Der erklärt, dass beides Jäger sind. Im Unterschied zum Angelfischer ist der Sophist aber ein Landjäger, einer, der Jagd auf zahme Tiere, also Menschen, macht, und zwar mit dem Mittel der Überredung. Diese Art der Jagd kennt wiederum eine öffentlich ausgeübte Spielart sowie eine private, auf den Einzelnen gerichtete. Letztere kann entweder auf einen Lohn abzielen oder ein Geschenk sein. Die gewerbliche Sorte kann schließlich entweder zum Spaß oder zur Besserung des Einzelnen ausgeübt werden. Liegt der letztere Fall vor, handelt es sich um die Sophistik.

„Jetzt aber musst du gemeinschaftlich mit mir zur Untersuchung schreiten, zuerst beginnend, wie mich dünkt, vom Sophisten zu suchen und durch die Rede aufzuhellen, was er wohl ist.“ (der Fremde, S. 19 f.)

Der Fremde unternimmt einen zweiten Anlauf. Dafür geht er zurück auf den sanften Teil der erwerbenden Kunst, der sich ebenfalls in eine schenkende und eine auf Lohn abzielende Variante, den Handel, gliedert. Der Handel zielt entweder auf die Befriedigung leiblicher oder seelischer Bedürfnisse. Zum Handel, der der Seele dient, zählen die schönen Künste. Hier gibt es die Unterscheidung in Schauwerte und Kenntnisse. Der Handel mit Kenntnissen kann seinerseits auf die Erlangung von Kunstfertigkeit oder auf die von Tugend zielen. Letzteres ist wieder die Sophistik.

„Deshalb nun, Theaitetos, müssen wir auch sagen, dass die prüfende Zurechtweisung die herrlichste und vortrefflichste aller Reinigungen ist, und müssen den Ungeprüften, wenn er auch der Großkönig wäre, für höchst unrein halten und für ungebildet und hässlich (...)“ (der Fremde, S. 57)

Ein drittes Mal setzt der Fremde neu an, indem er zunächst den Kampf in Wettkampf und Gefecht unterteilt und dann das Gefecht in eine körperliche und eine verbale Sorte, den Streit. Dieser kann die Form eines Abtauschs von Monologen annehmen, etwa vor Gericht, oder die eines Dialogs, der seinerseits entweder formlos oder nach Regeln stattfinden kann, nämlich als Streitgespräch. Die Sorte Streitgespräch, die Geld einbringt, ist ebenfalls Sophistik.

„Eine scheinbare Erkenntnis also von allen Dingen, nicht aber die Wahrheit besitzend zeigt sich der Sophist.“ (der Fremde, S. 65)

Der Fremde untersucht nun den Begriff der aussondernden Kunst, wozu etwa das Auslesen von etwas gehört. Aussonderung kann Gutes von Schlechtem trennen – dann ist sie eine Reinigung entweder des Körpers oder der Seele. Wenn in der Seele eines Menschen etwa der Verstand gegen die Triebe kämpft, liegt eine Krankheit der Seele vor, nämlich Bösartigkeit. Wenn der Mensch aber aus Unverstand ein gesetztes Ziel verfehlt, sich also irrt, handelt es sich um eine Hässlichkeit der Seele. Dieser muss man mit Belehrung begegnen. Eine Unterart des Unverstands ist die Torheit, die zu wissen glaubt, was sie nicht weiß. Ihr entspricht eine Unterart der Belehrung: die Erziehung. Sie kann durch gezieltes Fragen den Toren dazu bringen, seine Unwissenheit einzusehen. Die Sophistik leistet genau das.

Der Sophist als Täuschungskünstler?

Theaitetos wundert sich über die Vielgestaltigkeit der Sophistik. Für den Fremden ist dies ein Zeichen dafür, dass das eigentliche Wesen der Sophistik noch unklar ist. Es muss weitergeforscht werden. Der Sophist ist also Lehrer in der Kunst, ein Streitgespräch zu gewinnen. Er maßt sich an, das erfolgreiche Streiten über nahezu alle Themen zu unterrichten. Wie aber soll das funktionieren? Da er nicht allwissend ist, muss es sich um eine Art Scheinweisheit handeln. Der Sophist ist ein „Zauberer und Nachbildner“, der Unerfahrene durch sprachliche Nachahmungen der Wirklichkeit einlullt. Deshalb betrachtet der Fremde nun die nachbildende Kunst. Er unterteilt sie in zwei Sorten: eine trugbildnerische, die den Schein von Wirklichkeit erzeugen will, und eine ebenbildnerische, die sich um eine getreue Wiedergabe ihres Gegenstands bemüht. Ist der Sophist damit ein Trugbildner? Der Fremde warnt: So einfach ist das nicht, denn die im Begriff der Trugbildnerei steckende Annahme, es gebe nicht nur Seiendes, sondern auch bloß Scheinendes, also Nichtseiendes, verstößt gegen die Lehre des Parmenides, der dem Nichtseienden das Sein abspricht. In der Lehre des Parmenides liegt aber ein Widerspruch: Vom Nichtseienden reden, und sei es nur, um ihm das Sein abzusprechen, heißt, von ihm als von einem Seienden reden.

Immer Ärger mit dem Nichtseienden

Was ist überhaupt ein Bild? Ein Bild ist eine Nachahmung von etwas Wahrem, aber selbst nicht wahr. Das hieße aber, bemerkt der Fremde, dass im Bild als etwas Nichtwahrem auch etwas Nichtseiendes steckt. Das Bild selbst ist ja aber etwas Seiendes. Insofern sind in ihm Seiendes und Nichtseiendes vermischt. Der Fremde fasst zusammen: Die Sophistik weckt in uns falsche Vorstellungen. Wir nehmen fälschlicherweise das Nichtseiende als ein Seiendes wahr. Der Sophist würde aber den Vorwurf der Trugbildnerei unter Berufung auf Parmenides zurückweisen können, da man so etwas wie Trugbilder gar nicht annehmen kann, ohne dem Nichtseienden ein Sein zuzugestehen.

„Wegen des Sophisten aber sage mir dieses, ob so viel schon gewiss ist, dass er als ein Nachahmer des Seienden zu den Zauberern gehört, oder ob wir noch zweifelhaft sind, dass er nicht etwa doch von alledem, worin er zu widersprechen geschickt ist, davon auch die Erkenntnis in der Tat besitzen möchte.“ (der Fremde, S. 69)

Der Fremde will diese Schwierigkeit beseitigen, indem er ein Sein des Nichtseienden sowie ein Nichtsein des Seienden beweist. Dazu betrachtet er zunächst die überkommenen Auffassungen vom Seienden: Die eleatische Lehre behauptet, alles, also das All, sei eins. Andere fassen das All als zusammengesetzt auf. Wenn Letzteres richtig sein soll, dann wäre jedes Teil für sich ein Seiendes. Dann wäre das Seiende die übergreifende Bestimmung, und somit wäre doch wieder alles eins, nämlich Seiendes. Andererseits widersprechen sich die Eleaten insofern, als sie das Seiende als eins bezeichnen, genau dadurch aber eine Zweiheit von Bezeichnetem und Bezeichnendem voraussetzen. Hinzu kommt: Parmenides’ Vergleich des einen Seienden mit einer Kugel impliziert, dass das Seiende nicht ein Ganzes sein kann, da die Kugel „Mitte und Enden“ und damit Teile hat. Das Seiende könnte zwar auch bloß die Eigenschaft der Einheit bzw. der Ganzheit haben, dann wären das Seiende und das Ganze aber zwei Sachen und das All könnte nicht mehr eins sein.

Das Seiende macht ebenfalls Probleme

Um zu demonstrieren, dass das Seiende genauso schwer zu fassen ist wie das Nichtseiende, untersucht der Fremde zuerst die Meinungen derjenigen, für die das Sein nur in den Körpern ist, und dann die Meinung derjenigen, die das wahre Sein in die Ideen verlagern. Von Ersteren nimmt der Fremde an, sie glauben an einen beseelten Körper. Auch würden sie wohl zugeben, dass Seelen sowohl gerecht als auch ungerecht sein können. Damit aber haben sie die Existenz dieser körperlosen Eigenschaften eingestanden und sich also widersprochen. Wenn es nun aber sowohl körperliches als auch unkörperliches Sein gibt, was ist die verbindende Eigenschaft? Der Fremde meint, es sei, gemäß den Materialisten, Kraft, also jede Art von Vermögen – ob nun das Vermögen, etwas zu tun, oder das Vermögen, etwas zu erleiden.

„Wohlan also! Denn jetzt ist es unsere Sache, von dem Wilde nicht mehr abzulassen. Auch haben wir ihm wohl das, was unter dem Jagdzeug für Reden ein wahres Fangnetz ist, glücklich umgeworfen, sodass er dem wenigstens nicht mehr entkommen wird.“ (der Fremde über den Sophisten, S. 71)

Diejenigen, die nur den Ideen ein Sein zusprechen, nehmen an, dass Sein und Werden zweierlei sind. Am Werden nimmt der Mensch durch seinen Körper teil, am Sein durch Seele und Gedanken. Sie glauben nicht an die Gleichsetzung des Seienden mit dem Vermögen, zu leiden und zu tun – dieses gestehen sie nur dem Werden zu. Das Sein kann aber von der Seele erkannt werden. Damit geraten sie in Schwierigkeiten, weil sie nun leugnen müssen, dass das Erkennen ein Handeln ist und das Erkanntwerden ein Erleiden. Entsprechend müssen sie dem Seienden Bewegung, Leben, Seele und Vernunft absprechen. Doch dass das Seiende Vernunft, aber kein Leben hat, ist zweifelhaft, ebenso wie die Behauptung, es habe Vernunft und Leben, aber keine Seele. Und wenn das Seiende erkennen soll, braucht es auch Bewegung. Ja, selbst Ruhe muss zum Seienden gezählt werden, da Erkenntnis ohne die Möglichkeit des Vergleichs nicht denkbar ist und Gleichsetzungen der Ruhe bedürfen.

Lassen sich die Begriffe vermischen?

Bewegung und Ruhe, sagt der Fremde, sind Gegensätze. Und sie sind seiend – gehören also zum Sein. Da das Seiende aber nicht gleichzeitig ruhend und bewegt sein kann, muss es etwas Drittes sein, das getrennt von ihnen ist. Damit ist eine Aporie erreicht: Das Seiende an sich kann also weder ruhen noch sich bewegen. Doch wie kann sich etwas nicht bewegen, ohne gleichzeitig zu ruhen? Wenn es eine Vermischung der Begriffe nicht geben würde, wäre gar kein Reden über etwas möglich, da in jedem Reden Seinsaussagen gemacht werden. Es kann aber auch nicht allgemeine Vermischbarkeit herrschen, da sonst die Ruhe als bewegt und die Bewegung als ruhend angenommen werden müssten. Die richtige Zusammenstellung zu erforschen, ist Sache der Philosophie als einer dialektischen Wissenschaft.

„(...) dieses Erscheinen und dieses Scheinen, ohne zu sein, und dies Sagen zwar, aber nicht Wahres, alles dies ist immer voll Bedenklichkeiten gewesen schon ehedem und auch jetzt.“ (der Fremde, S. 75)

Der Fremde holt aus: Ruhe und Bewegung können zwar nicht miteinander in Einklang gebracht werden, wohl aber mit dem Seienden. Ruhe, Bewegung und das Seiende sind voneinander verschieden, jedoch jeweils „mit sich selbst dasselbe“. Es treten also das Gleiche und das Verschiedene als weitere Begriffe hinzu. Es sind somit fünf Begriffe, die sämtlich am Verschiedenen teilhaben, insofern sie voneinander verschieden sind. Für die Bewegung heißt das: Sie ist verschieden vom Seienden, weil ja alle fünf Begriffe voneinander verschieden sind. Insofern ist Bewegung zwar nichtseiend; indem sie aber am Seienden Anteil hat, wiederum seiend. Daraus folgt: Auch Nichtseiendes ist gewissermaßen seiend. Das Nichtseiende, so der Fremde, ist eben nicht der Gegensatz zum Seienden, sondern ein vom Seienden Verschiedenes und insofern vielgestaltig, je nachdem, von welchem Teil des Seienden es formuliert wird. Hiermit ist der Satz des Parmenides überwunden.

Zurück zur Frage nach dem Wesen der Sophistik

Der Sophist wurde zuletzt als Täuschungskünstler bestimmt, allerdings unter der Annahme, er werde die Möglichkeit der Täuschung, sprich des Behauptens eines Nichtseienden als seiend, bestreiten. Das tut er, indem er leugnet, Sprache und Meinung könnten am Nichtseienden teilhaben und damit Trugbilder erzeugen. Es gilt also, die Teilhabe des Sprechens und Meinens am Nichtseienden aufzuzeigen. Der Fremde holt aus: Seiendes wird auf sprachlichem Weg – durch die Verknüpfung von Haupt- und Zeitwörtern zu Sätzen – ausgedrückt, wie etwa durch: „Der Mensch lernt.“ Ein Satz muss etwas über etwas aussagen, nicht bloß etwas benennen. Der Satz „Theaitetos sitzt“ sagt etwas über Theaitetos aus. Ebenso: „Theaitetos, mit dem ich jetzt sitze, fliegt.“ Der erste Satz ist wahr, der zweite aber falsch, insofern er von einem dem Seienden Verschiedenen, einem Nichtseienden, sagt, es sei. Da es also durchaus den Ausdruck eines Nichtseienden mittels Sprache gibt, lässt sich der Sophist eben doch als ein sich der Sprache bedienender Täuschungskünstler bestimmen.

„In einer solchen Verflechtung scheint freilich das Nichtseiende mit dem Seienden verflochten zu sein, die ganz ungereimt ist.“ (Theaitetos, S. 85)

Der Fremde fährt fort: Von der hervorbringenden Kunst gibt es eine göttliche und eine menschliche Sorte. Beide Sorten haben einen „eigentlich hervorbringenden“ sowie einen nachbildenden Teil. So erschaffen Götter und Menschen neben den Dingen selbst auch Bilder von den Dingen: die Menschen etwa Zeichnungen, die Götter Traumbilder. Die trugbildnerische Kunst, die ja neben der ebenbildnerischen eine Unterkategorie der nachbildenden Kunst ist, beinhaltet wiederum eine Sorte, in der Werkzeuge zum Einsatz kommen, sowie eine, wo der Künstler selbst das Werkzeug ist. Letztere ist die Kunst der Nachahmung. Sie zerfällt in einen Teil, bei dem der Künstler seinen Gegenstand kennt, und einen anderen, bei dem er dies nicht tut. Dennoch gelingt es dem Nachahmenden oft auch ohne genaue Kenntnis seines Gegenstands, den Schein der Ähnlichkeit zu erzeugen. Dies ist die anmaßende Nachahmung, die im Gegensatz zur sachgerechten Nachahmung steht. Ihrer bedient sich der Sophist. Es gibt jedoch zwei Arten der anmaßenden Nachahmung: die, bei der der Nachahmende im guten Glauben handelt, und die, mit der er sein Publikum bewusst täuscht. Letzteres kann er entweder im größeren Rahmen tun, etwa in der Politik, oder im engen Kreis, indem er „in kurzen Sätzen seinen Mitunterredner zwingt, sich selbst zu widersprechen“. Dies ist der Sophist. Er ahmt den Weisen nach, ohne selbst weise zu sein.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Sophistes ist, wie bei Platon üblich, ein philosophisches Gespräch, ein Dialog. Erläuternde Passagen aus der Sicht des Autors fehlen gänzlich, der Inhalt geht vollständig im Rede- und Antwortspiel der Gesprächsteilnehmer auf. Die formale Gliederung des Sophistes mit Zwischenüberschriften, wie sie in der deutschen Fassung vorliegt, fehlt im griechischen Original. Vier Hauptteile des Textes lassen sich aber klar unterscheiden: In der Einleitung, dem Proömium, treten die Teilnehmer des Gesprächs auf und verständigen sich über die Bedingungen der Untersuchung. Im ersten inhaltlichen Block soll dihairetisch, also mittels Präzisierung eines gesuchten Begriffs durch Spaltung übergeordneter Allgemeinbegriffe, das Wesen des Sophisten geklärt werden. Im Mittelteil wird die Suche vorübergehend aufgegeben. Stattdessen wird hier das positive Konzept einer dialektischen Wissenschaft, einer Lehre der Ideenverknüpfung, skizziert. Im Schlussteil geht die Suche nach dem Sophisten weiter und wird – dies eine Besonderheit innerhalb von Platons Werk – zu einem erfolgreichen Ende gebracht. Die Übersetzung durch Friedrich Schleiermacher wirkt etwas altbacken, viele der griechischen Begriffe lassen sich jedoch auch nur mühsam übertragen und sind, wie etwa das allgegenwärtige „techne“ (ungefähr „Kunst, Kunstfertigkeit, Können, Technik“) nur im Kontext der damaligen Lebens- und Vorstellungswelt verständlich.

Interpretationsansätze

  • Im Vergleich zu Platons früheren Dialogen, in denen Sokrates fast immer die Hauptfigur ist, entwickelt sich im Sophistes das Gespräch zwischen Theaitetos und dem Fremden. Sokrates ist, gemeinsam mit dem Mathematiker Theodoros, hauptsächlich Zuhörer. Zudem wirkt der Gesprächsgang im Sophistes weniger polemisch, ja im Gegenteil derart einvernehmlich, dass die Dialogform kaum einen Mehrwert gegenüber einer monologischen Abhandlung zu bieten scheint.
  • Im Sophistes überwindet Platon die eleatische Lehre, insbesondere die Theorie des Vorsokratikers Parmenides, nach dem allein das Seiende wirklich ist. Im Sophistes rehabilitiert Platon das Nichtseiende als notwendigen Teil des Seienden.
  • Dem Scheinwissen der Sophistik stellt Platon im Sophistes den Entwurf einer seriösen, dialektischen Wissenschaft entgegen. Damit entwickelt er seine eigene Ideenlehre weiter, erhellt den Zusammenhang der Ideen untereinander und die Möglichkeiten ihrer sprachlichen Erschließung.
  • Eines von Platons Hauptmotiven war die Suche nach einem Kriterium, mit dem sich echtes von falschem Wissen unterscheiden lässt. Im Sophistes scheint er dieses Kriterium gefunden zu haben: darin, dass Sprache eine Entsprechung in der Wirklichkeit haben muss.
  • Auf der Suche nach dem Wesen des Sophisten zeichnet Platon im Sophistes die Umrisse des Philosophen als dessen Gegenbild. Womöglich wollte Platon den Philosophen, als Schlussstein seines Werks, in einem späteren Dialog behandeln.
  • Platons Methodik im Sophistes ist aus heutiger Sicht fehlerbehaftet. Viele seiner Herleitungen erscheinen willkürlich und oft auch tautologisch; ein ungeklärter Begriff wird durch einen anderen ungeklärten Begriff ersetzt.

Historischer Hintergrund

Athen im fünften und vierten Jahrhundert v. Chr.

Nach der erfolgreichen Selbstbehauptung der griechischen Stadtstaaten in den Perserkriegen im fünften Jahrhundert v. Chr. und der damit einhergehenden Gründung des Attischen Seebunds entwickelte sich in Athen die erste demokratische Staatsordnung. Die entscheidende Macht im Staat lag jedoch bei dem Strategen Perikles (etwa 490 bis 429 v. Chr.), der die Harmonie im Innern vor allem durch Ausschaltung seiner Gegner sicherstellte. Auf den Friedensschluss mit dem Perserreich im Jahr 449 v. Chr. folgte für Athen ein bisher nicht gekannter Aufschwung im wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Bereich. In dieser Zeit erblühten insbesondere die Dichtkunst, die Geschichtsschreibung, die bildende Kunst, die Medizin und die Philosophie.

Der Beginn des Peloponnesischen Krieges im Jahr 431 v. Chr. markierte den langsamen Niedergang der Vormachtstellung Athens. Nach der Niederlage gegen Sparta übernahmen 30 Tyrannen vorübergehend die Macht, bis die Demokratie 403 v. Chr. wiederhergestellt wurde. Im Innern setzte sich die kulturelle Blüte, vor allem im Bereich der Philosophie, fort. Nach Sokrates’ Tod im Jahr 399 v. Chr. begann sein Schüler Platon mit der Darstellung des sokratischen Denkens in Dialogen und gründete, wie andere Verehrer Sokrates’ auch, eine eigene philosophische Schule. Neben dieser Entwicklung der Philosophie erlebten vor allem die Rhetorik und die Prosa einen Aufschwung. Athen wurde im kulturellen Bereich zum Vorbild für ganz Griechenland und blieb bis zum Aufstieg Roms das bedeutendste geistige Zentrum Europas.

Entstehung

Die Quellenlage zur Entstehung des Sophistes ist äußerst dürftig. Fest steht, dass er in die letzte der drei Werkgruppen gehört, nach denen die heutige Forschung Platons Œuvre einteilt. Als Entstehungszeit wird das Jahr 365 v. Chr. angenommen, als Platon gerade von seiner zweiten Sizilienreise zurückgekehrt war. Sein Freund Dion, zugleich Schwager und Schwiegersohn des Tyrannen Dionysios I., hatte ihn 366 v. Chr. nach Syrakus geholt – nicht ganz uneigennützig, denn nachdem Dionysios I. 367 v. Chr. gestorben war, hatte Dion es unter dem neuen Herrscher Dionysios II. zunächst schwer. Indem er diesem vorschlug, Platon als politischen Berater zu engagieren, wollte er seine eigene Stellung verbessern. Platon witterte die Chance, sein Ideal eines Philosophenstaats in die Wirklichkeit umzusetzen. Doch daraus wurde nichts – Dion fiel in Ungnade und Platon kehrte nach Athen zurück.

Die Dialoge Parmenides und Theaitetos schrieb Platon wohl noch vor der zweiten Sizilienreise. Mit dem Sophistes knüpfte er nun dort an, wo der Theaitetos geendet hatte: In diesem verabredet sich Sokrates mit Theaitetos für den folgenden Tag, um das ergebnislos abgebrochene Gespräch fortzusetzen. Der Sophistes beginnt mit diesem Wiedersehen. Die Thematik des Dialogs, die Sophismuskritik, brannte Platon unter den Nägeln, war es doch die Unfähigkeit der Athener gewesen, zwischen der rhetorischen Spiegelfechterei der Sophisten und der aufklärerischen Dialektik des Sokrates zu unterscheiden, die seinen verehrten Lehrer das Leben gekostet hatte. Schon in den frühen Dialogen, etwa dem Protagoras oder dem Gorgias, hatte Platon gegen die Sophisten Stellung bezogen. Im Sophistes entzauberte er sie endgültig. Allerdings war um 365 v. Chr. die Hochphase der Sophistik längst vorüber.

Wirkungsgeschichte

Die ideengeschichtliche Ausstrahlung des Sophistes ist immens. Was der britische Philosoph Alfred North Whitehead über Platon insgesamt gesagt hat – die europäische Philosophie sei im Grunde eine Reihe von Fußnoten zu Platon –, trifft im Speziellen auf den Sophistes zu. Dabei wurde der Dialog lange nur bruchstückhaft rezipiert. Erst mit der Übersetzung ins Lateinische durch den Florentiner Gelehrten Marsilio Ficino Mitte des 15. Jahrhunderts begann die Beschäftigung mit dem vollständigen Text. Zuvor waren Platons Gedanken in die Lehren der spätantiken Neuplatoniker wie Plotin und Proklos eingeflossen. Diese leiteten vor allem aus den Dialogen Parmenides und Sophistes ihre Metaphysik des „All-Einen“ ab. Von hier war es nicht mehr weit zur christlichen Gottesidee, und so verwundert es auch nicht, dass fromme Denker wie Augustinus, Johannes Scottus Eriugena, Meister Eckhart oder Nikolaus von Kues die im Sophistes entwickelte Ideendialektik theologisch aufblähten.

Ideengeschichtlich unterlag die platonisch geprägte Theologie jedoch der aristotelischen Doktrin, wie sie etwa in der Scholastik eines Thomas von Aquin zum Ausdruck kam. Erst die Aufklärung räumte den Weg frei für ein Wiederaufleben des „heidnischen“ Platonismus. Die Bewegung der Romantik und vor allem der deutsche Idealismus speisten sich maßgeblich aus Platons Denken. Friedlich Wilhelm Joseph Schelling, Johann Gottlieb Fichte und vor allem Georg Wilhelm Friedrich Hegel, mit seiner zur absoluten Idee führenden Dialektik, knüpften an den Sophistes an. Von hier führt die Traditionslinie ungebrochen zu Karl Marx, Walter Benjamin und Theodor W. Adorno. Nicht zuletzt nahm Martin Heideggers Hauptwerk Sein und Zeit seinen Ausgang erklärtermaßen vom Sophistes.

Über den Autor

Platon gilt als einer der größten philosophischen Denker aller Zeiten. Zusammen mit seinem Lehrer Sokrates und seinem Schüler Aristoteles bildet er das Dreigestirn am Morgenhimmel der westlichen Philosophie. Platon wird 427 v. Chr. in Athen geboren, als Sohn des Ariston, eines Nachfahren des letzten Königs von Athen. Da Platon aus aristokratischen Kreisen stammt, scheint eine politische Laufbahn vorgezeichnet. Doch die Politik verliert für ihn schnell an Reiz, als er sieht, wie die oligarchische Herrschaft der Dreißig im Jahr 404 v. Chr. Athen unterjocht. Platon betrachtet die Politik von nun an mit einem gewissen Abscheu, sie lässt ihn aber nie ganz los. Er wird ein Schüler des Sokrates, dessen ungerechte Hinrichtung im Jahr 399 v. Chr. ihn stark prägen wird. Fortan tritt Sokrates als Hauptdarsteller seiner philosophischen Schriften auf: 13 Briefe und 41 philosophische Dialoge sind überliefert. Nach der Verurteilung des Sokrates flüchtet Platon zu Euklid nach Megara (30 Kilometer westlich von Athen). Er reist weiter in die griechischen Kolonien von Kyrene (im heutigen Libyen), nach Ägypten und Italien. 387 v. Chr. kehrt er nach Athen zurück und gründet hier eine Schule: die Akademie. Deren Studienplan umfasst die Wissensgebiete Astronomie, Biologie, Mathematik, politische Theorie und Philosophie. Ihr berühmtester Schüler wird Aristoteles. 367 v. Chr. ergibt sich für Platon die einmalige Möglichkeit, sein in seinem Hauptwerk Der Staat entworfenes Politikideal in die Praxis umzusetzen: Er wird als politischer Berater an den Hof von Dionysios II., dem Herrscher von Syrakus, gerufen. Seine Hoffnungen, diesen in der Kunst des Regierens zu unterweisen, zerschlagen sich jedoch. Platon stirbt um 347 v. Chr. in Athen.

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