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Timaios

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Timaios

Reclam,

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10 Take-aways
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Was ist drin?

Platons philosophischer Rundumschlag von der Schöpfung bis zu den Körpersäften.


Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Griechische Antike

Worum es geht

Platons Kosmologie

Die Entstehung und Beschaffenheit der Welt, das Wesen des Kosmos, der Aufbau und die Funktion der menschlichen Seele und des Körpers – der Erklärungsanspruch des Timaios ist so immens wie seine Wirkung. Generationen von Philosophen, Theologen, Naturwissenschaftlern und Philologen haben sich daran abgearbeitet, sich darüber zerstritten und sich dafür begeistert. Warum, das ist auch heute noch erkennbar. Die Vorstellung von unserer Welt als der bestmöglichen aller Welten, die Idee des Menschen als Mikrokosmos, die Macht der Vernunft, der Glaube an einen gütigen Schöpfer, der Trost der Wiedergeburt und die Verheißung des glücklichen Lebens: All das hat Menschen schon immer philosophisch, religiös und spirituell berührt. Dass selbst einige abstrus wirkende naturwissenschaftliche Einlassungen von der modernen Physik auf der Suche nach der Weltformel wiederentdeckt wurden, zeigt die Zeitlosigkeit des Textes. So schwierig er auch ist, der Timaios liest sich auch heute noch mit Gewinn.

Take-aways

  • Platons Timaios ist eines der einflussreichsten philosophischen Werke überhaupt. Der Text beschäftigt Naturwissenschaftler, Philosophen und Künstler bis heute.
  • Inhalt: Der Kosmos entstand als vernünftiges, beseeltes Lebewesen und als Werk eines gütigen Schöpfers. Vernunft und Notwendigkeit bestimmen seine Natur. Sein, Werden und Raum sind seine drei Dimensionen. Die Elemente Feuer, Luft, Wasser und Erde bestehen aus geometrischen Formen und streben zu ihresgleichen. Einen leeren Raum gibt es nicht. Der Mensch ist ein beseelter Kosmos im Kleinformat. Ein glückliches Leben ist nur in Harmonie mit dem Kosmos möglich.
  • Der Dialog besteht zum großen Teil aus einem Monolog der Titelfigur Timaios.
  • Die Teilnehmer des Gesprächs sind historische Personen. Lediglich die Existenz eines historischen Timaios ist nicht gesichert.
  • Stilistisch gehört der Timaios mit seinen langen Sätzen zu Platons komplexesten Texten. Er ist ein Werk aus seiner späten Schaffensphase.
  • Platons Timaios und der folgende Kritias sind die Grundlage für den Atlantis-Mythos.
  • Der Text war lange Zeit die einzige verfügbare lateinische Übersetzung eines Werks von Platon. Dessen Philosophie wurde darum lange mit dem Timaios gleichgesetzt.
  • Die lateinische Übersetzung des Textes von etwa 400 n. Chr. war die Grundlage für die Integration vorchristlicher Philosophie in die christliche Theologie.
  • Sogar einige aus naturwissenschaftlicher Sicht abstrus wirkende Aussagen finden in der modernen Physik wieder Beachtung.
  • Zitat: „Denn die Entstehung dieses Kosmos kam als eine Vermischung durch das Zusammentreten von Notwendigkeit und Vernunft zustande.“

Zusammenfassung

Wiederholung und Ausblick

Sokrates, Timaios, Hermokrates und Kritias treffen sich. Tags zuvor hat Sokrates den anderen seine Vorstellung vom idealen Staat dargelegt. Heute wollen sie über ein anderes Thema sprechen, doch zunächst fasst Sokrates seine gestrigen Ausführungen noch einmal zusammen. Zwei Gruppen müsse man in jenem Idealstaat unterscheiden: Bauern und andere Erwerbstätige auf der einen und deren Beschützer und Wächter auf der anderen Seite. Frauen sollen die gleiche Erziehung genießen wie Männer; Kinder sollen in der Gemeinschaft, nicht in der Familie erzogen werden; die Begabten sollen von den weniger Begabten getrennt werden; Männer und Frauen sollen einander unter Berücksichtigung ihrer geistigen und körperlichen Fähigkeiten zugelost werden. Timaios bestätigt all dies. Sokrates will nun seinerseits zuhören und wünscht, seine Vorstellungen vom idealen Staat „in Bewegung“ zu sehen. Kritias ergreift daraufhin das Wort und erzählt eine Geschichte, die er von seinem Großvater gehört hat.

„Als sich später dann gewaltige Erdbeben und Überschwemmungen ereigneten, versank binnen eines einzigen schlimmen Tages und einer einzigen schlimmen Nacht bei euch das ganze kämpferische Volk in der Erde und die Insel Atlantis verschwand ebenso, indem sie ins Meer eintauchte.“ (Kritias, S. 29)

Der weise Solon habe einst in Ägypten von einem alten Priester erfahren, dass Athen schon weit älter sei, als die Griechen glaubten. Die Stadt sei immer wieder von Naturkatastrophen zerstört worden, und wegen fehlender Aufzeichnungen habe Athen immer wieder bei null angefangen. Der Priester weiß von einer Begebenheit zu berichten, die den uralten Ruhm Athens bereits unterstreicht: Vor der Meerenge mit dem Namen „Säulen des Herakles“ gab es vor 9000 Jahren das mächtige Inselreich Atlantis, das den Mittelmeerraum beherrschte. Dieses Reich versuchte auch, Griechenland und Ägypten zu unterwerfen. Doch das tapfere Heer der Athener besiegte die Atlanter und befreite die versklavten Völker. Durch eine gigantische Flut wurden später sowohl die athenischen Kämpfer als auch die ganze Insel Atlantis vernichtet. Kritias kündigt nun an, Timaios werde zunächst einen Vortrag zur Entstehung der Welt und der Menschen halten, danach werde er, Kritias, dessen Rede als Grundlage für einen Vortrag über die Natur der alten Athener nutzen.

Die Erschaffung der Welt

Kritias ruft die Götter zu Hilfe und skizziert im Voraus die Themen seiner Rede: das unveränderliche Sein, das wir nur mit der Vernunft erschließen können, und das stets veränderliche Werden, das unserer Wahrnehmung zugänglich ist. Aussagen über Sein und Werden haben keinen Anspruch auf Wahrheit; hohe Wahrscheinlichkeit muss hier genügen. Kritias beginnt: Der Weltenschöpfer ordnete das anfängliche Chaos dergestalt, dass er, selbst Verkörperung des Guten und Vollkommenen, nur das Gute und Vollkommene schuf. Er formte den Kosmos als vernunftbegabtes und beseeltes Wesen aus den vier Urelementen Feuer, Erde, Wasser und Luft. Die Elemente stehen in harmonischem Verhältnis zueinander und gehen vollständig in der Schöpfung auf.

„Weil nämlich der Gott wollte, dass alles gut und nach Möglichkeit nichts minderwertig sei, so führte er alles, was sichtbar war und was er nicht in Ruhe, sondern in verwirrender und ungeordneter Bewegung übernahm, aus der Unordnung in eine Ordnung.“ (Timaios, S. 41)

Als vollkommenes Wesen verfügt der Kosmos über eine vollkommene Form: die Kugel. Noch vor der stofflichen Formung des Kosmos erschuf der Schöpfer dessen Seele. Dazu verband er die Natur des Gleichen, die Natur des Anderen und das Sein zu einer Einheit. Diese Seele umgibt und durchdringt den gesamten Kosmos.

„Als die Seele von der Mitte bis zum äußersten Rand des Himmels alles vollständig durchdrungen und ihn von außen ringsherum umhüllt hatte, begann sie sich selbst in sich selbst drehend, mit dem göttlichen Anfang eines unaufhörlichen vernunftbegabten Lebens für alle Zeit.“ (Timaios, S. 53)

Die Zeit entstand zusammen mit dem Kosmos als bewegliches Abbild der unbeweglichen Ewigkeit. Um sie messen zu können, schuf der Schöpfer die Himmelskörper. Diese bewegen sich auf bestimmten Bahnen, die die Vernunft der Schöpfung widerspiegeln. Ältester Himmelskörper und älteste Gottheit ist die Erde. Die Kinder der Erde und des Himmels sind die Großeltern der sichtbaren Götter Zeus, Hera und ihrer Geschwister. Um die Schöpfung zu vollenden, erteilte der Schöpfer diesen Göttern den Auftrag, sterbliche Wesen zu erschaffen. Er selbst fertigte dafür mithilfe der verbliebenen Reste aus der Mischung der Weltseele eine große Anzahl Seelen, allerdings von minderer Reinheit.

„Demgemäß und zu diesem Zweck wurden alle Gestirne geschaffen, die am Himmel in gewundenen Bahnen hinziehen, damit dieses All dem vollkommenen, mit Vernunft erfassbaren Lebewesen möglichst ähnlich sei, was die Nachahmung seiner ewigen Natur angeht.“ (Timaios, S. 61)

Eingesetzt in den Körper eines Mannes erzeugt eine Seele Wahrnehmungen und Gefühle. Bezwingt eine Seele ihre heftigen Erregungen und lebt ein gutes Leben, kehrt sie zu ihrem Stern zurück. Scheitert sie, wird sie im Körper einer Frau, scheitert sie erneut, im Körper eines Tieres wiedergeboren.

Die Götter erfüllten den Auftrag ihres Schöpfers und formten die Menschen aus den Elementen. Den Kopf formten sie nach dem Muster des Kosmos rund. Die Augen waren das erste Werkzeug, das die Götter den Menschen verliehen. Hier treffen das innere Feuer des Menschen und das äußere Feuer etwa als Tageslicht aufeinander und bilden einen Strahl, der als Kanal für Eindrücke des Gesichtssinnes dient. Das Sehen ist eine Notwendigkeit für das Denken, denn ohne das Sehen kann es keine Wissenschaft geben. Nur dank ihm kann der Mensch die Ordnung der äußeren Welt erforschen und sie mit der Ordnung seines Denkens in Einklang bringen. Der Gehörsinn wurde dem Menschen gegeben, damit er über Sprache und Musik die Harmonie der vernünftigen Schöpfung nachvollziehen kann.

Die Beschaffenheit der Elemente

Nun soll die Notwendigkeit genauer betrachtet werden. Timaios beginnt bei den Elementen. Da diese in ständigem Wandel begriffen sind, verbietet sich der Gebrauch von Formulierungen wie „Dies ist das und das“. Vielmehr muss man von einem so oder so Beschaffenen sprechen. Die ständig sich ändernde Welt kann man in drei Formen einteilen: das Werdende, das Sein (als unveränderliches Muster) und den Raum, in dem etwas wird. Das Werdende lässt sich mit einem Kind vergleichen, das Sein mit einem Vater, der Raum mit einer Mutter. Sein, Werden und Raum waren bereits vor der Erschaffung des Himmels da, wenn auch ungeordnet. Der Schöpfer formte die Elemente so schön und gut wie möglich. Die schönsten Formen, aus denen wiederum andere Formen hervorgehen, sind die rechtwinkligen Dreiecke.

„Denn die Entstehung dieses Kosmos kam als eine Vermischung durch das Zusammentreten von Notwendigkeit und Vernunft zustande.“ (Timaios, S. 85)

Aus diesen Flächen lassen sich gleichmäßige Raumkörper zusammensetzen, deren äußere Punkte sich von einer Kugel umschließen lassen. Diese Formen sind das Tetraeder, das Oktaeder, das Ikosaeder und der Würfel. Dem kleinsten und beweglichsten dieser Körper, dem Tetraeder, kann das Element Feuer zugeordnet werden, dem nächstgrößeren, dem Oktaeder, das Element Luft, dem Ikosaeder das Wasser und der stabilsten Form, dem Würfel, das Element Erde. Die vier Elemente befinden sich im steten Kampf miteinander. Erde lässt sich dabei nicht in andere Elemente teilen – weil dem Würfel als einzigem Element die gleichschenkligen Dreiecke fehlen, wohl aber können Wasser und Luft in die jeweils kleineren Elemente zerfallen. Feuer als beweglichstes Element kann andere Elemente zerschneiden. Ändern Elemente ihre Form, gesellen sie sich zu ihresgleichen. Alles innerhalb der Weltkugel ist aus den Elementen gemacht. Die Verschiedenheit der Materialien ergibt sich zum einen aus der unterschiedlichen Größe der Elementkörper, zum anderen aus der Mischung von Elementen. So gibt es vier Urformen des Wassers, das mit Feuer vermischt ist: Wein, Öl, Honig und Sauersaft. Erde stellt sich je nach Beimischung anderer Elemente als Stein, Ton, Natron oder Salz dar.

„Es gibt Sein, Raum und Werden, drei voneinander getrennte Formen, und es gab sie schon, bevor der Himmel entstand.“ (S. 99)

Da die Welt eine Kugel ist, sind Bezeichnungen wie „oben“ und „unten“ irreführend. Die Elemente befinden sich gemäß ihrer Bestimmung vorwiegend an festgelegten Orten innerhalb der Kugel. Weil es Gleiches zu Gleichem zieht, wandert Luft zu Luft oder Erde zu Erde.

Der menschliche Körper und seine Eindrücke

Lust und Schmerz sind einander widerstrebende Empfindungen, die sich daraus ergeben, dass ein heftiger Impuls gegen die Natur auf uns eindringt (Schmerz) oder dass sich ebenso heftig der natürliche Zustand wiederherstellt (Lust). Eindrücke wie sauer und herb, bitter und salzig, scharf und süß entstehen aufgrund von Rauheit oder Glätte der Stoffe, die jeweils auf die „Fühlfäden“ der Zunge treffen. Beim Geruch unterscheiden wir lediglich angenehm von unangenehm, weil die Stoffe selbst keinen Geruch haben, sondern nur durch Veränderungen wie etwa Verbrennen oder Verfaulen Rauch oder Dunst produzieren. Das Hören braucht zwei Komponenten: zum einen den Ton als Impuls der Luft, der bis zur Seele wandert, zum anderen das Gehör als Bewegung vom Kopf bis zur Leber.

„Was nun Lust und Schmerz betrifft, muss man folgende Überlegung anstellen: Der Eindruck, der widernatürlich und gewaltsam mit Wucht in uns entsteht, ist schmerzhaft, der aber, der wieder mit Wucht in den natürlichen Zustand zurückkehrt, ist angenehm (…)“ (Timaios, S. 133)

Das Wahrnehmen von Farben beruht auf Gemeinsamkeiten und Unterschieden in der Größe der Teilchen außerhalb und innerhalb des Auges. Entspricht die Teilchengröße außerhalb des Auges derjenigen im Inneren, ist das Teilchen durchsichtig. Größere Teilchen pressen den Sehsinn zusammen und der Eindruck „schwarz“ entsteht, kleinere weiten den Sehsinn und erzeugen den Eindruck „weiß“. Andere Farbwahrnehmungen entstehen durch die Vermischung der Elemente, „rot“ beispielsweise durch Vermischung des äußeren Feuers mit der Feuchtigkeit des Auges. All diese aus der Notwendigkeit geborenen Umstände verband der Schöpfer bei der Erschaffung der Welt in höchster Vollendung. Wer das Göttliche hinter dem Notwendigen sucht und erkennt, dem winkt das glückliche Leben.

„Deshalb muss man also zwei Arten von Ursachen unterscheiden, die notwendige und die göttliche, und muss das Göttliche in allem suchen, um ein glückliches Leben zu erlangen, soweit unsere Natur dazu imstande ist, das Notwendige aber suchen um jenes (Göttlichen) willen (…)“ (Timaios, S. 145)

Als die Götter nach dem Vorbild des Schöpfers den Menschen erschufen, trennten sie göttliche und sterbliche Seelenanteile voneinander, um den göttlichen Teil nicht mit dem sterblichen Teil zu beschmutzen. Sie trennten den Kopf, den Sitz des göttlichen Seelenanteils, vom Brustkorb, dem Sitz des sterblichen Seelenanteils, mittels des Halses ab. Der sterbliche Teil ist weiter aufgeteilt in einen männlichen, näher am Kopf gelegenen und einen weiblichen, tiefer gelegenen und mehr den körperlichen Gelüsten zugeneigten Teil. Das vermittelnde Organ dazwischen, das Herz, ist umgeben von der kühlenden Lunge. Den tiefer gelegenen Teil der Seele, der Hunger, Durst und andere Gelüste beherbergt, siedelten die Götter möglichst weit entfernt vom Kopf an und gaben ihm zudem die Leber an die Seite, die für Mäßigung und für den Empfang göttlicher Visionen vorgesehen ist. Während das Gehirn den göttlichen Teil der Seele in sich trägt, beinhaltet das Mark den sterblichen Teil.

Zum Schutz für das Mark schufen die Götter die Knochen, für deren Beweglichkeit die Sehnen und zum Schutz der Knochen das Fleisch. Diejenigen Knochen, die am wenigsten Mark enthalten, sind am dichtesten von Fleisch umgeben, diejenigen mit dem meisten Mark am wenigsten. Am Kopf gibt es am wenigsten Fleisch, damit das Denkvermögen nicht beeinträchtigt wird. Zum Nutzen des Menschen fertigten die Götter die Pflanzen, die über denjenigen Teil der Seele verfügen, der der Vernunft am fernsten liegt. Pflanzen empfangen Bewegungen von außen, sind aber unfähig zur Eigenbewegung.

Es gibt im Kosmos keine Leere. Wo immer Teilchen sich bewegen, stoßen sie an andere Teilchen und Gleiches strömt zu Gleichem. Auch gibt es keine Anziehungskraft, sondern bloß ein Streben von Körpern nach ihren Ursprungsorten, sobald sie sich aus einer bestehenden Verbindung gelöst haben. Da es keine Leere gibt, folgt daraus ein ständiges gegenseitiges Verdrängen. So lässt sich selbst das Wirken von Magneten erklären.

Alter und Tod

Ist der Mensch jung, sind die Elemente, aus denen er besteht, frisch und stabil. Die Dreiecke der Elemente im Körper zerschneiden diejenigen der Nahrung, und der Körper wächst und gedeiht. Wird der Körper alt und seine Elemente schlaff, kehrt sich der Vorgang um: Die äußeren Dreiecke zerschneiden die inneren – dieser Vorgang nennt sich Altern. Sterben aus Altersgründen ist nicht schmerzhaft. Im Gegenteil: Es ist ein lustvolles Freigeben der Seele. Krankheit ist die Reaktion des Körpers auf ein Zuviel, ein Zuwenig oder eine Fehllage der Elemente. Schwere Krankheiten entstehen, wenn sich der Entstehungsprozess des Körpers umkehrt, das Fleisch sich zersetzt und ins Blut gelangt. Die entstehenden Säfte nennen wir Galle. Erreicht die Zersetzung das Mark, löst sie dort die Bänder der Seele und ist tödlich. Neben den Krankheiten des Körpers gibt es auch solche der Seele. Unvernunft in Form von Wahn und Unwissenheit sowie übermäßiges Lust- und Schmerzempfinden sind die schwersten Formen. Auch sie lassen sich auf den Einfluss der Elemente zurückführen. Dabei ist kein Mensch aus Absicht schlecht. Hält er Maß und sorgt für ein Gleichgewicht von Körper und Seele, treibt Sport und vermeidet, wo immer es geht, Arzneien, dann führt er ein gesundes Leben.

Das Mark des Menschen ist beseelt und sucht einen Ausgang. Daher haben die Götter den Geschlechtstrieb installiert. Männer, die ihr Leben ohne Gerechtigkeit und Mut zugebracht haben, werden als Frauen wiedergeboren, dumme Männer, die sich auf die Wahrnehmung statt auf die Vernunft verlassen, als Vögel, und Männer, die nie philosophiert haben, als Landtiere. Als Fische werden die unvernünftigsten Männer wiedergeboren. Der Kosmos ist als bestmögliches Abbild des Denkbaren entstanden und besteht so auch weiterhin.

Zum Text

Aufbau und Stil

Platons Timaios ist eigentlich ein Dialog mit vier Sprechern, der aber zum weitaus größten Teil aus einem Monolog der Titelfigur besteht. Dadurch wirkt der Text wie eine wissenschaftliche Vorlesung. Über weite Strecken werden die dargestellten Erkenntnisse logisch eins aus dem anderen entwickelt, mitunter springt Platon jedoch auch zwischen zwei Themen hin und her. Die Sätze sind sehr lang und teilweise extrem verschachtelt. Die Darstellung ist überaus komplex und auch sprachlich einigermaßen unzugänglich. Hochgradig abstrakte Darlegungen geometrischer und mathematischer Zusammenhänge, natürlich ohne erläuternde Grafiken, erschweren das Verständnis zusätzlich. Die verschiedenen Themenkomplexe werden entweder aus der Sicht des jeweiligen Sprechers erschöpfend behandelt, worauf dieser dann zum nächsten Thema übergeht, oder – falls sie den Rahmen der Abhandlung zu sprengen drohen – nicht weiter erörtert.

Interpretationsansätze

  • Für Platon ist Empirie kein sicheres Erkenntnisinstrument: Wahrnehmung, also die sinnliche Erfassung der Welt, führt nicht zur Wahrheit. Dafür sind die wahrnehmbaren Dinge in der Welt des Werdens zu veränderlich und mögliche Aussagen darüber zu unzuverlässig.
  • Im Timaios kommt Platon auf sein Konzept der Anamnesis zurück, das er unter anderem im Dialog Menon ausgeführt hat: Alles Wissen ist Erinnerung an einen Urzustand und somit von jeher in jedem Menschen vorhanden. Mithilfe geeigneter Methoden kann es zutage gefördert werden.
  • Der Verweis auf die Rede des Sokrates im Dialog Politeia zu Beginn des Timaios betont den Zusammenhang zwischen Staat und Kosmos. Die Vernunft und Schönheit der Schöpfung wird vor dem Hintergrund der Schöpfung des Gemeinwesens durch den vernünftigen Menschen gezeigt.
  • Bei Platon hat der Schöpfungsakt eine ethische Dimension: Der Schöpfer als Prinzip des Guten, Schönen und Vollkommenen hat die Welt ebenso gut, schön und vollkommen erschaffen. Sie ist die einzige und beste aller denkbaren Welten.
  • Im Timaios erläutert Platon seine Auffassung vom Menschen als Mikrokosmos: Die Welt ist ein beseeltes Lebewesen, in dem sich Sein und Werden zu einer vollkommenen Einheit verweben. Mit der Konzeption des Menschen als beseeltem Lebewesen, das in seinem Kopf die ewigen Bahnen von Sein und Werden der Weltkugel nachvollzieht, erhält die Welt ihr verkleinertes Nachbild.
  • In Platons Vorstellung einer harmonischen, prinzipiell gedanklich nachvollziehbaren Wirklichkeit, deren Schöpfer aus dem vorgefundenen Chaos einen zielgerichteten Kosmos formt und Maß und Harmonie zu den prägenden Zügen macht, klingen die Lehren des Pythagoras, eines vorsokratischen Philosophen, an.
  • Im Timaios vertritt Platon das Kausalitätsprinzip: Alles ist Ursache und Wirkung. Da die Welt aus einer Synthese von Vernunft und Notwendigkeit besteht, lässt sich jedes Phänomen logisch aus seinen Ursachen herleiten. Dabei gilt es allerdings zu beachten, dass Aussagen über die Welt des Werdenden keinen Anspruch auf Wahrheit besitzen, sondern nur einen auf Wahrscheinlichkeit.

Historischer Hintergrund

Die geistige Blütezeit Athens

Nachdem die vereinten griechischen Stadtstaaten 480 v. Chr. in der Seeschlacht von Salamis eine persische Invasion geschlagen und zwei Jahre später den Attischen Seebund gegründet hatten, erlebte Athen einen enormen Aufschwung im wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Bereich. In dieser Zeit erblühten insbesondere die Dichtkunst, die Geschichtsschreibung, die bildende Kunst, die Rhetorik, die Medizin und die Philosophie. Auch nach Beginn des Peloponnesischen Krieges 431 v. Chr. und dem damit einhergehenden langsamen wirtschaftlichen Niedergang entwickelte sich im demokratischen Stadtstaat Athen die kulturelle Vielfalt unbeeindruckt weiter.

Nach der Niederlage Athens 404 v. Chr. und der mehrmonatigen tyrannischen „Herrschaft der 30“, an der übrigens ein Onkel Platons beteiligt gewesen war, gelangte Athen zurück zur Demokratie. Der lange Krieg hatte den Wunsch nach Ruhe und Stärkung alter Werte und Bräuche bewirkt. Neue Gedanken, wie die des philosophischen Querulanten Sokrates, waren da nicht willkommen. Der Prozess gegen Sokrates, der im Jahr 399 v. Chr. mit dessen Hinrichtung endete, war somit eine Art Überreaktion der überforderten Bürger Athens, die sie auch prompt bereuten. Den Fortgang der Philosophie konnte der Tod des Sokrates jedenfalls nicht aufhalten: Sokrates’ Schüler Platon gründete 387 v. Chr. seine „Akademie“, auf Platons Schüler Aristoteles geht das „Peripatos“ (gegründet 335 v. Chr.) zurück, 306 v. Chr. gründete Epikur seinen „Kepos“ (Garten), die „Stoa“ des Zenon wurde um 300 v. Chr. begründet.

Entstehung

Der Timaios ist ein Text aus Platons später Schaffensphase und vermutlich Teil einer geplanten Trilogie, die auch die Dialoge Kritias und Hermokrates beinhalten sollte. Der zweite Text blieb Fragment, der dritte wurde wohl nie geschrieben, da sich Platon stattdessen seinem letzten Projekt, den Gesetzen, zuwandte. Man geht heute davon aus, dass der Timaios nach 360 v. Chr. entstanden ist und nicht – wie es die Fiktion des Dialogs selbst nahelegt –, um 380 v. Chr., in direkter Folge der Politeia.

Platon gilt als Vater des Lehrdialogs. Vorbild für seine künstlerisch gestaltete Auseinandersetzung mit dem Sein sind die Lehrgedichte der Vorsokratiker, allen voran die des Parmenides. Die sprechenden und handelnden Figuren im Timaios haben wie in fast allen platonischen Dialogen teilweise historische Vorbilder. Neben Platons Lehrer Sokrates sind dies hier Hermokrates, ein Feldherr und Politiker aus Sizilien, Kritias, ein Urgroßonkel Platons, und der titelgebende Timaois, ein pythagoreischer Philosoph, dessen Existenz allerdings umstritten ist. Der Text verarbeitet die wissenschaftlichen Diskurse der Zeit. Er setzt sich unter anderem mit der Atomtheorie von Leukipp und Demokrit, der Reinkarnationslehre des Pythagoras und der medizinischen Vier-Säfte-Lehre des Hippokrates auseinander.

Wirkungsgeschichte

Platons Timaios ist einer der einflussreichsten Texte der Philosophie- und Literaturgeschichte. Das liegt unter anderem daran, dass er über Jahrhunderte hinweg der einzige in lateinischer Sprache verfügbare Dialog Platons war. Vor der Übersetzung der übrigen Werke Platons wurde der Timaios in weiten Teilen Europas mit der platonischen Philosophie gleichgesetzt. Doch seine Wirkungsgeschichte geht weiter zurück. In Platons Akademie war der Timaios unter Platons Schülern sehr umstritten. Zahlreiche Reaktionen auf das Werk kursierten im griechischsprachigen Raum. Etwa 45 v. Chr. übersetzte Cicero einen Teil ins Lateinische. Übersetzungen ins Arabische und Hebräische sorgten schon früh für eine weitere Verbreitung des Werks, bevor Chalcidius um das Jahr 400 n. Chr. mit einer umfassenderen lateinischen Übersetzung und Kommentierung für den europaweiten Siegeszug der Schrift sorgte. Diese Version war die Grundlage für den Abgleich der vorchristlichen Philosophie mit der christlichen Weltsicht. Platons Kategorien Sein, Werden und Raum lieferten einen philosophischen Anker für das Konzept der Dreieinigkeit des christlichen Gottes als Vater, Sohn und Heiliger Geist.

In der Neuzeit setzten sich sowohl Naturwissenschaftler als auch Philosophen und Künstler mit Platons Spätwerk auseinander. 1510 schuf Raffael sein berühmtes Fresko Die Schule von Athen, auf dem Platon mit dem Timaios unter dem Arm im Gespräch mit seinem Schüler Aristoteles zu sehen ist. Um 1600 herum befasste sich Johannes Kepler intensiv mit Platons Kosmologie aus dem Timaios, Voltaire verfasste mit Platons Traum eine Satire. Vom Physiker Werner Heisenberg bis zum Psychologen Carl Gustav Jung, vom spätantiken Philosophen Boethius bis zu Carl Friedrich von Weizsäcker reicht die Liste der Interpreten und Forscher. Nachdem die Naturwissenschaft, namentlich die Physik, sich lange Zeit eher mit den klassifizierenden Lehren des Aristoteles befasst hat, hat sie heute auf der Suche nach der Weltformel – wie Platon – wieder das Gesamtbild im Blick. Daneben beschäftigt der Atlantis-Mythos aus dem Timaios Gelehrte und Esoteriker bis heute.

Über den Autor

Platon gilt als einer der größten philosophischen Denker aller Zeiten. Zusammen mit seinem Lehrer Sokrates und seinem Schüler Aristoteles bildet er das Dreigestirn am Morgenhimmel der westlichen Philosophie. Platon wird 427 v. Chr. in Athen geboren, als Sohn des Ariston, eines Nachfahren des letzten Königs von Athen. Da Platon aus aristokratischen Kreisen stammt, scheint eine politische Laufbahn vorgezeichnet. Doch die Politik verliert für ihn schnell an Reiz, als er sieht, wie die oligarchische Herrschaft der Dreißig im Jahr 404 v. Chr. Athen unterjocht. Platon betrachtet die Politik von nun an mit einem gewissen Abscheu, sie lässt ihn aber nie ganz los. Er wird ein Schüler des Sokrates, dessen ungerechte Hinrichtung im Jahr 399 v. Chr. ihn stark prägen wird. Fortan tritt Sokrates als Hauptdarsteller seiner philosophischen Schriften auf: 13 Briefe und 41 philosophische Dialoge sind überliefert. Nach der Verurteilung des Sokrates flüchtet Platon zu Euklid nach Megara (30 Kilometer westlich von Athen). Er reist weiter in die griechischen Kolonien von Kyrene (im heutigen Libyen), nach Ägypten und Italien. 387 v. Chr. kehrt er nach Athen zurück und gründet hier eine Schule: die Akademie. Deren Studienplan umfasst die Wissensgebiete Astronomie, Biologie, Mathematik, politische Theorie und Philosophie. Ihr berühmtester Schüler wird Aristoteles. 367 v. Chr. ergibt sich für Platon die einmalige Möglichkeit, sein in seinem Hauptwerk Der Staat entworfenes Politikideal in die Praxis umzusetzen: Er wird als politischer Berater an den Hof von Dionysios II., dem Herrscher von Syrakus, gerufen. Seine Hoffnungen, diesen in der Kunst des Regierens zu unterweisen, zerschlagen sich jedoch. Platon stirbt um 347 v. Chr. in Athen.

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