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Utopia

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Utopia

Diogenes Verlag,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Der erste utopische Staatsroman mit frühsozialistischen Ideen – ein Traum von einer besseren Welt aus dem England des 16. Jahrhunderts.

Literatur­klassiker

  • Utopie
  • Frühe Neuzeit

Worum es geht

Ideale Gesellschaft und idealer Staat

Kann es ein gerechtes Staatswesen geben, das alle Menschen glücklich und wohlversorgt leben lässt? Diese Frage treibt den englischen Juristen Thomas Morus um. Er lebt im England des 16. Jahrhunderts, im Zeitalter der Renaissance, der Reformation und der Glaubenskriege, in dem ständig Kunde von neu entdeckten Weltgegenden nach Europa dringt. Vor diesem Hintergrund entsteht Utopia: Das Werk enthält einen angeblich wahren Reisebericht eines Seefahrers, der ein ideales Staatswesen auf einer Insel irgendwo jenseits des Äquators erlebt haben will. Morus diskutiert mit ihm: Soll es Privateigentum geben? Ist soziale Gleichheit gut? Kann eine Gesellschaft genügend Güter erwirtschaften, wenn niemand nach Gewinn strebt? Gibt es das gute und gerechte Staatsoberhaupt, das nicht aus Eigennutz Kriege anzettelt und seine Untertanen auspresst? Die Fragen zeigen: Morus' Utopia ist erstaunlich modern. Tatsächlich sind viele Ideen frühsozialistisch, sogar kommunistisch - 300 Jahre vor Karl Marx. Die Suche nach dem Idealzustand beschäftigt Schriftsteller und Philosophen bis heute. Und ob das Privateigentum ein Glück oder ein Unglück für die Gesellschaft ist, wird immer noch diskutiert. Ein weiteres Verdienst hat dieser Text: Utopia hat die Literaturgattung der Utopie geschaffen.

Take-aways

  • Utopia ist eine der wichtigsten politischen Schriften der Neuzeit und hat eine eigene Textgattung geprägt. Das Kunstwort "Utopie" hat hier seine Wurzeln.
  • Das Werk des Thomas Morus zeigt das Idealbild eines sozialen Staates und kritisiert gleichzeitig die bestehenden Staatsformen.
  • Zentraler Bestandteil des Textes ist der erfundene Bericht eines Seefahrers über die Insel Utopia, auf der ideale gesellschaftliche Zustände herrschen.
  • Der Seefahrer übt harte Kritik an den Adelsgesellschaften Europas und vertritt frühsozialistische, teilweise kommunistische Ideen.
  • Er kritisiert insbesondere, dass Könige und Fürsten sich nicht um das Gemeinwohl kümmern und dass es dadurch zu Krieg und Armut kommt.
  • In seinem Reisebericht über die Insel Utopia entfaltet er den Traum von einem menschenwürdigen Leben ohne Stolz, Neid und Machtgier.
  • Auf Utopia sind alle Menschen gleich und ordnen sich gern dem gesellschaftlichen Interesse unter.
  • Privateigentum und Geldwirtschaft werden als Wurzel allen Übels angesehen und sind daher abgeschafft worden.
  • Vergnügen ziehen die Utopier in erster Linie aus der Lust an der Pflichterfüllung: Alle Mitglieder der Gesellschaft arbeiten und stellen ihre Tatkraft in den Dienst der Gemeinschaft.
  • Morus zeigt sich als Humanist und liberaler Reformer.
  • Im Buch klingen Bedenken an, die Morus auch im wirklichen Leben hatte: Soll er Berater des Königs werden - oder lieber unabhängiger Denker bleiben?
  • In Utopia zeigt sich bereits seine liberale Geisteshaltung, die ihn viele Jahre später, als er König Heinrich VIII. den Gehorsam verweigert, das Leben kostet.

Zusammenfassung

Vorrede über einen angeblich wahren Bericht von der Insel Utopia

Thomas Morus schreibt in einem Brief an Peter Gilles, den Stadtschreiber von Antwerpen, dass er ihm hiermit die Niederschrift des mündlichen Reiseberichtes von Raphael Hythlodaeus über den Staat der Utopier schicke. Da Gilles dessen Erzählung auch beigewohnt habe, möge er doch prüfen, ob der Bericht vollständig sei. Leider habe er, Morus, versäumt, Hythlodaeus zu fragen, in welchem Meer die Insel Utopia liege; vielleicht könne Gilles das nachholen. Morus zögert noch, ob er den Bericht veröffentlichen soll: Möglicherweise gefällt das Buch den Menschen nicht, sie vertragen vielleicht seinen Witz, Geist und Spott nicht; den Banausen ist es womöglich zu schwierig, den Gelehrten zu trivial. Gilles möge ihn in der Frage beraten, ob er es dennoch publizieren soll.

Über die Schwierigkeit, gerechte Politik zu machen

Morus erzählt von einer diplomatischen Mission in Fladern im Auftrag des englischen Königs Heinrich VIII. Dort macht ihn Peter Gilles mit Raphael Hythlodaeus bekannt, einem Portugiesen, der mit dem Amerika-Erforscher Amerigo Vespucci Reisen in unbekannte Gebiete unternommen hat. Hythlodaeus berichtet von Völkern und Reichen südlich des Äquators. Manche ihrer Staats- und Gesellschaftsverfassungen könnten den europäischen Ländern, die der Portugiese sehr kritisch sieht, als Vorbild dienen.

„Beinahe geniere ich mich, liebster Peter Gilles, dir dieses Schriftchen über den Staat der Utopier erst nach fast einem Jahre zuzuschicken, während du es zweifellos binnen sechs Wochen erwartet hattest; wusstest du doch, dass für mich die Aufgabe, etwas Neues zu erfinden, bei dieser Arbeit wegfiel und ich mir auch über die Anordnung des Stoffes nicht den Kopf zerbrechen musste: es galt bloß, wiederzugeben, was ich so gut wie du unsern Raphael Hythlodaeus hatte erzählen hören.“ (S. 7)

Es entspinnt sich eine Diskussion darüber, warum Hythlodaeus sich trotz seiner Reformideen nicht einem König als Berater zur Verfügung stellen und damit dem Gemeinwesen dienen will. Hythlodaeus aber will sich nicht zum Knecht machen lassen und glaubt nicht daran, dass Königen das Wohl des Gemeinwesens am Herzen liegt. Die Ratgeber der Könige verdächtigt er der Speichelleckerei. Er berichtet von einem Erlebnis in England, das diese Vermutung untermauert:

„Denn ihr schaut ruhig zu, wie die Leute grundschlecht erzogen und von zarter Jugend an sittlich verwahrlost aufwachsen, um sie dann erst zu strafen, wenn sie als Männer die Untaten verübt haben, auf die ihr seit ihren jungen Jahren dauernd rechnen konntet. Was aber, frage ich euch, heißt das anderes, als sie zu Räubern erziehen? Und dann geht ihr hin und henkt sie?“ (S. 35)

Ein Jurist an der Tafel des Kardinals John Morton, Kanzler von England, den auch Thomas Morus kennt, wundert sich darüber, dass trotz der drakonischen Strafen immer noch Diebe und Plünderer ihr Unwesen treiben. Hythlodaeus erwidert: Prügeln ist generell schlechter als Erziehen. Außerdem stehlen die Menschen aus der Not heraus: Viele Bauern und Handwerker sind verstümmelt aus Kriegen zurückgekehrt und können nicht mehr arbeiten. Oder ihre Pachtherren pressen sie bis aufs Blut aus, sodass sie irgendwann Haus und Hof verlassen müssen und als Landstreicher ihr Glück versuchen. Außerdem entziehen Fürsten und Äbte den Bauern die Lebensgrundlage, indem sie Ackerland lieber in Weiden für Schafe umwandeln. Hythlodaeus empfiehlt, die Bauerndörfer wieder aufzubauen, die Aufkäufe des Landes durch die Reichen zu verhindern und dem allgemeinen Verfall der Sitten entgegenzutreten, um die Menschen nicht weiter zu Räubern zu erziehen.

„Die Behörden schinden die Bürger nicht mit überflüssiger Arbeit, da dieser Staat vor allem das eine Ziel verfolgt, jeden Bürger, soweit es die Bedürfnisse der Allgemeinheit erlauben, möglichst ausgiebig vom körperlichen Frondienst zu entlasten zugunsten der freien Entfaltung und Pflege des Geistes: darauf nämlich beruht, wie sie glauben, das Glück des Daseins.“ (S. 89) “Habsucht und Raubgier stammt bei allen Lebewesen aus der Angst vor der Entbehrung, beim Menschen allein auch noch aus der Großmannssucht, die sich darauf etwas einbildet, durch Schaustellung überflüssigen Besitzes andere auszustechen. Diese Untugend aber kommt bei den Einrichtungen der Utopier überhaupt nicht auf.“ (S. 92)

Zudem wendet er sich gegen die Todesstrafe, da Gott nicht erlaubt, zu töten. Als Vorbild nennt der Seefahrer die Strafmethode der Polyleriten, angeblich ein Volk, das er in Persien kennengelernt hat: Hier muss der Dieb alles Gestohlene zurückgeben. Hat er nichts mehr, muss er selbst Frondienst leisten. Jeder Sträfling ersetzt so durch seine Arbeit den angerichteten Schaden. Der Portugiese empfiehlt diese Methode auch für England, was an der Tafel Entrüstung hervorruft. Nur der Kardinal schlägt vor, dieses System zu testen - das bisherige englische sei ja erfolglos gewesen. Nun lobt plötzlich die ganze Abendgesellschaft den Vorschlag von Hythlodaeus. Für ihn der Beweis der Speichelleckerei bei hohen Herren - und dafür, dass für ihn selbst am königlichen Hof kein Platz ist.

Wenn der Philosoph dem Staatsmann Ratschläge erteilt

Im weiteren Gespräch mit Morus skizziert Hythlodaeus die übliche europäische Machtpolitik am Beispiel Frankreichs, insbesondere in Bezug auf Heiratspolitik und Bestechung. Er würde dem französischen König vorschlagen, seine italienischen Besitzungen aufzugeben, denn das Land sei jetzt schon viel zu groß, um vernünftig von einem König beherrscht werden zu können. So machten es auch die Achorier, ein Volk in der Nähe Utopias: Ihr König hatte ein Nachbarland erobert, aber er konnte es nicht befrieden und verlor viel Geld. Da bat ihn das Volk, sich für eines der beiden Reiche zu entscheiden. Der kluge König trat das neu eroberte Reich an einen Freund ab und hegte und verschönerte sein altes erfolgreich.

„Ihr seht: es ist unmöglich, sich um die Arbeit zu drücken, und es gibt keinen Vorwand für den Müßiggang; nirgends ist eine Weinstube zu entdecken, nirgends eine Bierkneipe, nirgends ein Frauenhaus, eine Gelegenheit zur Ausschweifung, ein Versteck, ein stiller Winkel - unmittelbar vor aller Augen muss das Leben sich abspielen, sei es in der gewohnten Arbeit, sei es in ehrbarer Erholung.“ (S. 98)

Der Portugiese fährt fort: Ein glückliches und wohlhabendes Volk gereicht einem König zum Ruhm, ein verarmtes Volk aber macht ihn zum Kerkermeister, denn dann herrschen Unruhe und Verbrechen. Hier führt er das Volk der Makarenser an, ebenfalls Nachbarn der Utopier: Bei ihnen darf der König nie mehr als 1000 Pfund Gold in seiner Schatzkammer haben. Das überschüssige Geld muss er ausgeben. Das hindert ihn, sich unrechtmäßig zu bereichern und habgierig zu werden.

„Nun aber ruht nach ihrer Ansicht das Glück freilich nicht in jeder Lust, wohl aber in der richtigen und ehrbaren.“ (S. 111)

Morus gibt zu bedenken, dass solche Reden in trauter Runde zwar nett seien, am Ratstisch der Fürsten aber fehl am Platz. Hythlodaeus zieht daraufhin den Schluss: Philosophen haben bei Fürsten nichts zu suchen. Morus aber entgegnet: Anstatt der Politik und dem Staat ganz den Rücken zu kehren, sollte man mit Taktgefühl und dem richtigen Ton wenigstens kleine Dinge zu verändern versuchen.

„Denn anderswo weiß jeder, dass er trotz der schönsten Blüte des Gemeinwesens Hungers sterben müsste, wenn er nicht für sich selbst sorgte, und darum treibt ihn die Not dazu, mehr auf sich als auf das Volk, das heißt auf die andern, Rücksicht zu nehmen. Hier dagegen, wo alles allen gehört, ist jeder sicher, dass keinem je das Geringste mangelt - sofern nur dafür gesorgt ist, dass die öffentlichen Speicher stets gefüllt sind.“ (S. 176)

Hythlodaeus glaubt das nicht: Anpassung an die Mächtigen kommt für ihn der Lüge gleich. Außerdem gebe es Glück ausschließlich dort, wo es kein Privateigentum gebe: Nur in einem solchen Staat habe der Philosoph etwas beizutragen. Reiche Menschen sind für Hythlodaeus Schurken und Nichtsnutze. Morus entgegnet: Wenn es nur Gemeineigentum gäbe, hätte niemand einen Anreiz, zu arbeiten und so Werte zu schaffen, da er nichts behalten dürfe. Außerdem hätten Menschen, die nichts als Gleichheit kennen, keine Achtung vor Autoritäten und Behörden. Der Portugiese zeigt sich von Morus' Einwänden gänzlich unbeeindruckt: Er habe fünf Jahre auf Utopia gelebt - er wisse, dass es funktioniert.

Hythlodaeus berichtet von der Insel Utopia

Der Name "Utopia", so Hythlodaeus, gehe auf den Eroberer Utopus zurück, der vor 17 Jahrhunderten eine Halbinsel kolonisiert und die Landzunge in gemeinschaftlicher Arbeit mit den Ureinwohnern vom Festland abgetrennt habe, sodass eine Insel entstand. Die 54 Städte der Insel sind alle gleich aufgebaut. Amaurotum ist die Hauptstadt und Sitz des Senats der Insel. Jede Stadt bekommt ausreichend Ackerland zugeteilt, um sich zu ernähren. Das Land wird von bäuerlichen Haushaltungen mit bis zu 40 Menschen bewirtschaftet. Geräte und Erntehelfer werden den Landwirtschaften nach Bedarf von den städtischen Behörden zugeteilt. Die Utopier erwirtschaften Überschuss, mit dem sie in Notlagen Nachbarstädte unterstützen.

„Wenn ich all diese heutigen Gemeinwesen ringsherum vor meinem Geiste vorbeiziehen lasse, kann ich - so wahr mir Gott helfe - nichts anderes sehen als die reinste Verschwörung der Reichen, die unter dem Namen und Titel des Staates für ihren eigenen Vorteil tätig sind.“ (S. 179)

Alle zwei Jahre wechselt die Hälfte jeder bäuerlichen Haushaltung in die Stadt, und dafür arbeiten 20 Städter auf dem Land: Jeder Utopier versteht sich sowohl auf den Ackerbau als auch auf ein Handwerk, und besonders Intelligente werden als Wissenschaftler ausersehen. Im Ackerbau, der Viehwirtschaft und in der Technik sind die Utopier fortschrittlich, in der Forschung auf der Höhe der Zeit. In den Städten ist keine Tür verschlossen, jeder kann überall eintreten. 30 bäuerliche Haushaltungen wählen sich einen Vorsteher, den Phylarchen. Die Phylarchen küren wiederum als Repräsentanten einen Protophylarchen. Das Volk schlägt einige Kandidaten für die Präsidentschaftswahl vor, die Wahl übernehmen die Protophylarchen. Der Präsident amtiert sein ganzes Leben lang, es sei denn, er strebt nach einer Diktatur - dann wird er abgesetzt. Präsident und Protophylarchen treten als Senat alle drei Tage zusammen und beschließen über die Geschicke der Insel. Kein Geschäft wird am gleichen Tag beraten, an dem es zum ersten Mal vorgelegt wird: Man überschläft die Sache einmal, um nichts Unüberlegtes zu tun.

Ein durch und durch vernunftgemäßes Staatsgebilde

Die Utopier tragen alle die gleiche einfache, zweckmäßige, aber anmutige Kleidung, die nicht der Repräsentation dient und leicht herzustellen ist. Auch die Bauten sind schlicht; dadurch wird wenig Arbeitskraft gebunden. Dies und die Tatsache, dass alle arbeiten, erklärt, warum die Bewohner von Utopia nur sechs Stunden täglich erwerbstätig sind und dennoch Überfluss erwirtschaften: Müßiggänger, also Reiche, Priester, Edle und ihr Gefolge, aber auch Bettler hat es nicht. Es gibt nur sinnvolle Arbeit: Berufe, die der Genusssucht dienen, fehlen ebenso wie die Advokaten, die als Rechtsverdreher angesehen werden. Und da es in diesem sinnvollen Staatsgebilde kaum Gesetze gibt, sind die Advokaten sowieso überflüssig.

Vergnügung bedeutet, mit anderen zusammenzusitzen, lustig zu sein oder aber - und das tun alle gern - sich geistig zu betätigen und weiterzubilden. Gegessen wird gemeinsam in großen Hallen. Zechgelage oder Glücksspiele gibt es nicht. Keimzelle des Staates ist die - patriarchalisch organisierte - Familie. Zu große Familien geben Kinder an kleinere Familien ab, um ein Gleichgewicht zu halten. Überbevölkerung in einer Stadt wird gelöst, indem Menschen in andere Städte umsiedeln oder eine Kolonie gründen. Krieg führen sie nur, wenn sie Land brauchen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern: Dann beanspruchen sie von anderen Mächten Gebiete, die diese nicht selbst nutzen. Wenn die Utopier das Land nicht mehr brauchen, weil die Bevölkerungszahl sinkt, dann ziehen sie sich aus ihren Kolonien wieder in die eigenen Städte zurück.

Verachtung des Reichtums

In den Städten werden alle produzierten Waren in Magazine verteilt, und jeder erhält daraus das, was er braucht. Geldwirtschaft gibt es nicht. Niemand beansprucht mehr als nötig, denn niemand muss Angst haben, Mangel zu erleiden. Kranke werden in Spitälern vorbildlich gepflegt, wobei viel Wert auf Hygiene gelegt wird; die Medizin ist auf dem höchsten Stand und sehr angesehen. Unheilbar Kranken, die außerdem unerträgliche Schmerzen leiden, legen die Utopier Euthanasie nahe, zwingen sie aber nicht dazu. Reisen dürfen sie, wenn sie abkömmlich sind und eine Erlaubnis einholen. Wer ausreißt, wird allerdings mit Sklaverei bestraft.

Schlachthäuser gibt es niemals innerhalb der Stadtmauern - der Hygiene wegen, aber auch, um die Menschen nicht an den Anblick des Tötens zu gewöhnen. Exportiert wird alles, was die Utopier nicht selbst brauchen; den siebten Teil dieser Waren schenken sie den Armen des belieferten Landes. Mit dem erworbenen Gold haben sie einen immensen Schatz angesammelt: Sie wissen, dass sie mögliche Feinde mit Gold bestechen und so Krieg verhindern können. Wenn sie doch einmal kämpfen müssen, verpflichten sie fremde Söldner mit dem Geld, um ihr eigenes Volk vor dem Kriegsdienst zu schützen. Den Utopiern bedeutet das Gold weniger als Eisen, es gilt als kitschig, da sie es im Überfluss besitzen. Wenn sie einen mit Gold geschmückten Fremden sehen, ist er für sie ein armer Mensch, denn sie selbst besitzen so viel davon, dass sie es für die Fesseln und Ketten von Gefangenen und Sklaven benutzen und außerdem für ihre Nachttöpfe.

Die Ethik der Utopier

Ethisch herrscht bei den Utopiern das Lustprinzip - und zwar die Lust, natürlich, vernünftig, sinnvoll und in Einklang mit der Gemeinschaft zu leben. Generell gilt: Lieber das Gute gern tun als irgendwelchen Vergnügungen hinterherrennen, die nur kurzfristigen Lustgewinn garantieren, mit dem Ergebnis, sich danach immer wieder und zwanghaft Befriedigung verschaffen zu müssen: Das macht nach utopischer Ethik unfrei. Adlige Vergnügungen wie das Jagen kennen sie nicht; sie halten es für einen Irrweg, Tiere zum Spaß zu töten und dabei Eleganz zur Schau zu stellen; das Töten überlassen sie den Metzgern. Ehebruch wird sehr streng geahndet, da sie annehmen, dass jede ungeregelte Paarung die Idee der Ehe langfristig untergräbt. Schwere Verbrechen werden in der Regel mit Versklavung bestraft: Zwangsarbeit bringt dem Gemeinwesen mehr als die Todesstrafe. In Religionsdingen sind die Utopier tolerant: Jeder möge auf seine Art glücklich werden. Deswegen wehren sie sich auch gegen übertriebenes Missionieren und Sektiererei. Sie glauben an die Unsterblichkeit und bedauern daher zwar die Kranken, aber nicht die Sterbenden.

Hythlodaeus endet seinen Bericht mit einem Lob auf diese ideale Staats- und Gesellschaftsform. Morus deutet an, dass er nicht alle utopischen Einrichtungen gutheißt. Aber er lässt den Bericht dennoch so stehen, ohne Kritik im Einzelnen zu üben.

Zum Text

Aufbau und Stil

Morus hat sein Werk in eine Vorrede und zwei Bücher unterteilt. In der Vorrede baut er die Fiktion auf, der Text sei ein Tatsachenbericht. In Gestalt eines launigen Briefes an den - tatsächlich existierenden - Antwerpener Peter Gilles, gibt er vor, er, Morus, sei der Chronist der Geschichte, die von dem Portugiesen Raphael Hythlodaeus erzählt werde. Im ersten Buch beschreibt Morus, wie er in Flandern den genannten Gilles und den Seefahrer Hythlodaeus trifft. Mit dieser erfundenen Figur schafft er sich ein Sprachrohr für scharfe und unverblümte Kritik an den europäischen Herrschaftssystemen. Es entspinnt sich eine lebendige Diskussion mit dem scharfzüngigen Portugiesen, und Morus zeigt sich an allem interessiert, widerspricht aber auch. In diesem Gespräch werden die wichtigen Themen schon einmal andiskutiert: Was macht einen gerechten Staat aus? Kann es ihn überhaupt geben? Die Fragen motivieren dann das zweite Buch mit dem flüssigen und anschaulichen Reisebericht über die Insel Utopia, auf der Hythlodaeus den idealen Staat gefunden zu haben meint. Hier kann der Portugiese Antworten auf die Fragen des ersten Buches geben. Das gesamte Werk beeindruckt mit klarer Sprache und humorvollem, pointiertem Stil. Morus spielt dabei mit den fiktiven Namen: Amaurotum, die Hauptstadt Utopias, ist London nachempfunden - und prompt beinhaltet es das griechische Wort für "Nebel". Hythlodaeus kann auf Griechisch sowohl "Possenreißer" als auch "Possenfeind" bedeuten.

Interpretationsansätze

  • Nach dem Urteil des Erasmus von Rotterdam, Morus' Freund, schrieb dieser das Werk Utopia, um zu zeigen, warum es um England schlecht stehe. Der Text enthält verbrämte Ratschläge an den englischen König Heinrich VIII. Morus mischt sich also - verdeckt - in die Politik ein.
  • Morus übt Kritik, legt sich aber nicht direkt mit den Mächtigen an, denn angeblich ist er ja nur der Berichterstatter. Sein Dialog mit dem fiktiven Hythlodaeus gibt ihm die Möglichkeit, radikale Positionen aufzuzeigen, sich aber selbst davon zu distanzieren. Die Textform des fiktiven Reiseberichts ermöglicht ihm, mit viel Fantasie eine Staatstheorie anschaulich darzustellen.
  • Ganz Renaissance-Philosoph, greift Morus in Utopia eine antike philosophische Strömung auf: den Epikureismus. Der griechische Philosoph Epikur hatte das Lustprinzip zum Lebensziel erhoben. Morus erweitert diesen Lustbegriff zur "Lust an der Pflichterfüllung", d. h. Lust an einem vernünftigen Leben mit bereitwilliger Unterordnung unter das Gemeinwohl.
  • Morus sucht nicht nach einem idealen menschlichen Frühzustand ("Zurück zur Natur" à la Rousseau), sondern stellt eine technisch und wissenschaftlich weit entwickelte Gesellschaft vor.
  • Morus lässt Hythlodaeus frühsozialistische Ideen äußern. Offenbar nimmt der Portugiese, wie viel später auch Karl Marx, an, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt: Wenn die Menschen versorgt seien, würden Habgier, Gewinnstreben, Neid versiegen. Diese Versorgung könne erreicht werden durch Verzicht auf Privateigentum, Beteiligung aller an der Arbeit und freien Zugang zu Bildung und Wissen für jedes Mitglied dieser Gesellschaft.
  • Privatsphäre und Freiheit des Individuums gibt es auf Utopia kaum. Der Individualismus, der heute vielen als Grundlage und Motor moderner Gesellschaften erscheint, wird hier als unnötig, vielleicht sogar schädlich erachtet.

Historischer Hintergrund

Zeitalter der Renaissance und der Entdeckungen

Thomas Morus wurde in eine Zeit des Umbruchs hineingeboren: Im Jahr seiner Geburt (1478) wurde in England das erste Buch gedruckt, die Zeit der Vervielfältigung und Verbreitung von neuen Ideen brach an, die Kirche verlor ihr Interpretationsmonopol für den Sinn der Welt. Morus gehörte dem erfolgreichen und angesehenen Bürgertum an, das in die Staatsgeschäfte eingriff und seine Vorstellungen durchsetzte. Er lernte die Ideen der Renaissance und des Humanismus kennen, die vom Bürgertum getragen wurden und von Italien über die Niederlande nach England gekommen waren: Rückbesinnung auf die Antike, Loslösung des Menschen aus mittelalterlichen Normen, Suche nach menschlicher Freiheit, Abschied von den starren Lehren der Scholastik. Dies alles führte zu einer distanzierten Sichtweise auf das Bestehende und zu der Möglichkeit, Alternatives zu denken. Dann folgte die Reformation und damit eine weitere Erschütterung der Glaubensgewissheiten und der Institutionen der Kirche. Auch in England setzten sich viele für eine Erneuerung der katholischen Kirche von innen heraus ein; sie strebten eine Reform an, ohne sich von Rom lösen zu wollen. Der tiefgläubige Morus war ein Vertreter dieser Bewegung. Außerdem trat die neue Welt in das Vorstellungsgefüge der Europäer: die Kunde von fernen Inseln, bevölkert mit - je nach Interpretation - "guten Wilden" oder "bösen Heiden", und von Ländern voll des natürlichen Überflusses - Nachrichten, die die Fantasie anregten. All dies war ein Nährboden für die Suche nach einer alternativen, von der Vernunft geleiteten Gesellschaftsverfassung jenseits des Bestehenden.

Entstehung

Thomas Morus war ein hoch geachteter, etablierter Mann, der sich aber innerlich von seiner sozialen Stellung distanzierte und auf der Suche nach dem Ideal einer besseren Gesellschaft war. Stark beeinflusst wurde er durch den engen Kontakt mit dem Humanisten Erasmus von Rotterdam: 1509 wohnte Erasmus lange bei Morus und dessen Frau und schrieb dort sein berühmtes Buch Lob der Torheit, zu dem ihn der Freund ermunterte und das Erasmus ihm widmete. In seinem Meisterwerk zeigte Erasmus humorvoll und ironisch zeitgenössische Herrschafts- und Machtstrukturen auf und setzte sich für Frieden, Toleranz und Mitmenschlichkeit ein. Utopia hat Morus' Gesprächen mit Erasmus viel zu verdanken. Das erste Buch des Werks entstand 1516, das zweite bereits 1515 in Flandern, zu einer Zeit, als Morus in engem Austausch mit Erasmus stand. Er beschrieb also die Geschichte und Verfassung Utopias, bevor er diese Erzählung in die Rahmenhandlung mit der Gesandtschaft in Flandern und dem Treffen mit Hythlodaeus einbettete. Bevor Morus seine steile Karriere als Parlamentarier und königlicher Ratgeber begann, belegte er hier seinen optimistischen Glauben an den Sieg der Vernunft. 1516 erschien der lateinische Text unter dem Titel Libellus vere aureus nec minus salutaris quam festivus de optimo reipublicae statu deque nova insula Utopia (Ein wahrhaft herrliches, nicht weniger heilsames denn kurzweiliges Büchlein von der besten Verfassung des Staates und von der neuen Insel Utopia); 1551 erschien die Schrift auf Englisch.

Wirkungsgeschichte

Morus kreierte das Kunstwort "Utopia" aus den griechischen Begriffen "ou" (= nicht) und "tópos" (= Ort) - es heißt also so viel wie "der Nichtort" - und gab dadurch vielen Sprachen ein neues Wort: "Utopie". Im Deutschen wurde der Ausdruck ab dem 19. Jahrhundert als Begriff für ein - meist unerreichbares - gesellschaftliches Ideal bekannt. Morus' klassisches Werk hat dem utopischen Denken der Neuzeit und der Gattung des utopischen Staatsromans eine literarische Form und einen Namen gegeben.

Als erster utopischer Staatsentwurf gilt allerdings ein antikes Werk Platons, die Politeia (Der Staat), auf das sich auch Morus in der Utopia bezieht. In der Renaissance blühte dann der "utopische Sozialismus" auf: Nachfolgewerke von Utopia waren Der Sonnenstaat von Tommaso Campanella (1602) mit ähnlich kommunistischen Ansätzen wie das englische Vorbild und New Atlantis von Francis Bacon (1626), der den Fokus auf die Naturforschung legte. In ihnen allen steckt eine Kritik der bestehenden Verhältnisse und die Suche nach einem besseren Gesellschaftszustand, oft einem Naturzustand. Es folgten viele weitere Werke; berühmt wurde z. B. Jonathan Swifts Gullivers Reisen von 1726, wo schärfste politische Satire und utopisches Gedankengut vermischt werden. Im 19. Jahrhundert ging die Gattung teilweise in Science-Fiction über (Jules Verne), und im 20. Jahrhundert folgten kritische Utopien, z. B. Aldous Huxleys Schöne neue Welt. Utopische Elemente lieferten auch die französische Sozialphilosophie des 18. Jahrhunderts, der historische Materialismus und selbst der Anarchismus. Positiv formulierte Sozialutopien finden sich bei Ernst Bloch und Herbert Marcuse.

Jede dieser Utopien lebt von der Spannung zwischen Ideal und Wirklichkeit: Wie ist die Welt - und wie könnte sie sein? Morus schneidet in seiner Utopie die grundsätzlichen Themen an: Glück und Versorgung des Einzelnen, Harmonie der Gesellschaft, sinnvolle Herrschaft, Privat- oder Gemeineigentum. Gerade an Utopia wird deutlich, welche unterschiedlichen Ziele ein Autor mit einem utopischen Text verfolgen kann: Träumt Morus einfach nur von einer besseren Gesellschaft? Will er das Volk revolutionär aufrütteln? Oder gibt er den Fürsten Ratschläge, ähnlich wie Niccolò Machiavelli es fast zeitgleich mit Il Principe (Der Fürst) tat, nur weniger machtbezogen? Die verschiedenen Lesarten vereinigen alle Facetten des utopischen Romans.

Über den Autor

Thomas Morus, auch bekannt als Sir Thomas More, wird 1478 als Sohn eines angesehenen Londoner Richters geboren und macht eine beeindruckende juristische Karriere, die ihn bis an den Hof Heinrichs VIII. führt. Als Kind wird er einige Zeit am Hof des Erzbischofs John Morton von Canterbury erzogen. Er studiert in Oxford und wird 1504 Mitglied des Unterhauses. 1518 holt der König ihn als Berater an den Hof.. 1523 wird er Sprecher des Unterhauses und schließlich 1529 Lordkanzler. Heinrich VIII. schickt den begabten Juristen zu delikaten diplomatischen Missionen ins Ausland, die er erfolgreich abwickelt. Sehr zum Verdruss seines Vaters zeigt Morus schon früh literarische Neigungen und verfasst Epigramme (Sinn- und Spottgedichte). Er kennt die lateinischen und griechischen Klassiker und beteiligt sich am philosophischen Diskurs der Renaissance und des Humanismus. Hierzu trägt auch seine enge Freundschaft mit Erasmus von Rotterdam bei. Erasmus lobt Morus als außergewöhnlichen Menschen, der alles für seine Freunde tut. Morus ist Katholik und trägt sich als Jugendlicher lange mit dem Gedanken, Priester zu werden. Doch dann entscheidet er sich für ein weltliches Leben, heiratet, nach dem Tod seiner Frau sogar ein zweites Mal, und hat Kinder. Dabei bleibt er dem Glauben und der Kirche treu; er sieht sich als Diener Gottes und des Papstes, was zum Zerwürfnis mit Heinrich VIII. führt: Dieser fordert 1534 die Unterwerfung der Kirche unter die Krone und für sich die letzte Entscheidung in Glaubenssachen, setzt sich also über den Papst. Morus verweigert seinem König die Gefolgschaft und tritt von seinem Amt zurück. Heinrich macht ihm den Prozess wegen Hochverrats und lässt ihn 1535 enthaupten. Die katholische Kirche spricht Morus 1886 selig und 1935 heilig: als jemand, der sich gegen die als unrechtmäßig erachtete Einmischung des Staates in Angelegenheiten der Kirche wehrte und dafür starb. Im Jahr 2000 ernannte ihn Papst Johannes Paul II. zum "himmlischen Patron der Regierenden und der Politiker".

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