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Zum Leuchtturm

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Zum Leuchtturm

S. Fischer,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Virginia Woolfs Roman stellt die bange Frage: Was bleibt? – und ist dabei selbst längst zu einem Klassiker der Moderne geworden.


Literatur­klassiker

  • Psychologischer Roman
  • Moderne

Worum es geht

Eine Elegie an die Kindheit

Die erschütterndsten Dramen dieser Welt spielen sich im Innern der Menschen ab. Davon war Virginia Woolf überzeugt, und in keinem Werk setzte sie ihre künstlerische Vision so radikal um wie in Zum Leuchtturm. Der Inhalt: Ein kleiner Junge träumt von einer Fahrt zum Leuchtturm. Doch es droht zu regnen und der Ausflug kommt erst zehn Jahre später zustande. Um dieses dürre Gerüst wickeln sich die ununterbrochen strömenden Gedanken, Erinnerungen und Fantasien der Romanfiguren. Es gibt kaum ein existenzielles Thema, an dem nicht irgendein flüchtiger Gedanke hängen bliebe: Tod und Vergänglichkeit, die Rolle der Frau, das Wesen der Kunst und die Subjektivität der Wirklichkeit. All das klingt nicht nur sehr abstrakt, sondern ist es auch. Dennoch wirken Mr und Mrs Ramsay, ihre Kinder und Gäste authentisch – sie entstammen weitgehend den Kindheitserinnerungen der Autorin. Das Buch half ihr „wie ein Psychoanalytiker“, sich von der Fixierung auf die früh verstorbenen Eltern zu befreien. Einmal überlegte Woolf, es „Elegie“ (Trauergesang) statt „Roman“ zu nennen – ein passender Begriff für ihre rhythmisch-poetische Sprache und den melancholischen Klang der Gesamtkomposition.

Take-aways

  • In Zum Leuchtturm brach Virginia Woolf radikal mit konventionellen Erzähltechniken.
  • Subjektive Wahrnehmungen und Erinnerungen wechseln sich ab – eine objektive Wirklichkeit existiert nicht.
  • Die zehnköpfige Familie Ramsay und zahlreiche Gäste verbringen ihre Sommerferien auf der schottischen Insel Skye.
  • Mrs Ramsay verspricht ihrem jüngsten Sohn James, bei gutem Wetter am nächsten Tag zum Leuchtturm zu fahren.
  • Ihr Mann, ein streitbarer, egozentrischer Philosoph, verkündet, dass es regnen werde. Sein Sohn hasst ihn dafür.
  • Die Malerin Lily Briscoe beginnt am Nachmittag ein Porträt von Mrs Ramsay.
  • Das festliche Abendessen droht ein Fiasko zu werden, doch die Hausherrin bringt es zu einem harmonischen Ende.
  • In den folgenden zehn Jahren sterben erst Mrs Ramsay, dann ihre Tochter Prue und – im Ersten Weltkrieg – auch ihr Sohn Andrew.
  • Als die Familie nach zehn Jahren erstmals wieder einen Besuch anmeldet, rettet die Putzfrau das Sommerhaus im letzten Moment vor dem Verfall.
  • Mr Ramsay fährt mit James und Tochter Cam zum Leuchtturm, und Lily vollendet ihr Bild.
  • Woolf verarbeitete in dem autobiografischen Roman ihre Kindheitserinnerungen und befreite sich innerlich von ihren früh verstorbenen Eltern.
  • Kritiker lobten die zugleich musikalische und malerische Prosa. Woolfs Mann Leonard nannte das Werk ein „psychologisches Gedicht“.

Zusammenfassung

Zerbrochene Kindheitsträume

Mrs Ramsay verspricht ihrem sechsjährigen Sohn James, bei gutem Wetter am nächsten Tag zum Leuchtturm zu fahren. Sein Vater zerstört die Vorfreude des Jungen jedoch mit der trockenen Bemerkung, dass es regnen werde. James könnte ihn umbringen. Immer stellt er sich zwischen ihn und die geliebte Mutter. Nun mischt sich auch noch ihr Gast Charles Tansley ein, den die acht Kinder der Ramsays den „Atheisten“ nennen, und bestätigt die Wettervorhersage. Mrs Ramsay ist verärgert. Müssen ihr Mann und Tansley die Träume eines kleinen Jungen ohne Grund mit Füßen treten? Sie gesteht sich ein, dass sie in diesem Jahr wieder zu viele Gäste in ihr Sommerhaus auf die schottische Hebriden-Insel Isle of Skye eingeladen hat: Tansley, der bei ihrem Mann seine Doktorarbeit schreibt, den alten Lyriker Augustus Carmichael, von dem ihre Kinder behaupten, dass er Opium nimmt, die malende Jungfer Lily Briscoe mit ihrem zerknitterten Gesicht und den chinesischen Augen, den Naturwissenschaftler und alten Freund ihres Mannes William Bankes sowie die jungen Leute Minta Doyle und Paul Rayley.

„Da hatte sich einer geirrt“

Tansley begleitet Mrs Ramsay nach dem Mittagessen zu einigen Besorgungen in den Ort. Sie besucht dort gelegentlich die Armen und Kranken. Tansley erzählt von seiner kläglichen Kindheit, um ihr Mitleid zu wecken, hat aber mit seiner Strategie keinen Erfolg. Nach ihrer Rückkehr ziehen sich die Männer zum Rauchen zurück. Mrs Ramsay hört, wie das Gemurmel verstummt. Kurz darauf kommt ihr Mann mit den Armen rudernd über den Rasen gestürmt und schreit: „Da hatte sich einer geirrt“. Es ist der Schlüsselsatz des Gedichts The Charge of the Light Brigade von Alfred Lord Tennyson über eine desaströse Schlacht. Lily, die Mrs Ramsey malt, erschrickt, ist aber erleichtert, dass Ramsey nicht anhält, um das Bild auf ihrer Staffelei zu betrachten. Nicht, dass irgendjemand ihre Malerei wirklich ernst nähme. Lily ist 33, unverheiratet und führt ihrem Vater den Haushalt. Einerseits beneidet sie Mrs Ramsay um deren große Familie und unvergleichliche Schönheit, die nun, mit 50, ein wenig verblüht ist. Andererseits weiß Lily nur zu gut, welches Opfer die Ehe für eine Frau bedeutet. William Bankes gesellt sich zu ihr und die beiden gehen im Garten spazieren. Der etwas pedantische, nach Seife riechende Bankes ist Witwer und kinderlos. Er bedauert ihr gegenüber, dass seine enge Freundschaft zu Mr Ramsay die Zeit nach dessen Heirat nicht überdauert habe. Der Philosoph Ramsay habe seine Ehe und die acht prachtvollen Kinder mit dem Verlust seiner schöpferischen Kraft bezahlt, meint Bankes. Anstatt wie einst Großes hervorzubringen, halte er heute Vorlesungen für junge Männer wie Tansley.

Grübeleien allein und zu zweit

Mrs Ramsay beobachtet die beiden von der Fenstertür des Salons aus und überlegt sich, dass sie heiraten sollten. Sie strickt an einem rotbraunen Strumpf für den Sohn des Leuchtturmwärters und nimmt Maß an James. Ihr Mann kommt hineingestürmt und betont noch einmal, dass das Wetter schlecht würde. Er verflucht sie für ihre Torheit, dem Jungen grundlos Hoffnungen zu machen. Sie ist verletzt, wird aber von einer Woge der Zuneigung ergriffen, als er demütig vorschlägt, sich bei der Küstenwache zu erkundigen. Ramsay zieht sich zurück und widmet sich einem philosophischen Problem. Dabei überkommt ihn das niederschmetternde Gefühl, ein Versager zu sein. Auf Mitleid hoffend, kehrt er zu Frau und Sohn zurück. Mrs Ramsay nimmt alle ihre Kräfte zusammen, um ihn zu beruhigen, und er geht zufrieden fort. Vom Garten aus betrachten Lily und Bankes versonnen Mrs Ramsays Gestalt in der Fenstertür, während sie James ein Märchen vorliest. Bankes liebt sie auf seine eigene Art, denn sie hat trotz ihrer welkenden Schönheit eine ergreifende Ausstrahlung. Er betrachtet Lilys Bild und hört interessiert zu, als sie erklärt, dass es sich bei dem purpurnen Fleck um Mrs Ramsay und James handelt.

„Wäre eine Axt greifbar gewesen, ein Schürhaken oder sonst irgendeine Waffe, die ein Loch in die Brust seines Vaters gerissen und ihn auf der Stelle getötet hätte, James hätte sie ergriffen.“ (S. 10)

Nachdem das Kindermädchen James abgeholt hat, bleibt Mrs Ramsay allein in Gedanken versunken zurück. Sie genießt es, für einen Moment nichts tun und nichts darstellen zu müssen. Ob Paul der temperamentvollen Minta heute auf dem gemeinsamen Spaziergang wohl einen Antrag gemacht hat? Einige Leute werfen Mrs Ramsay vor, sie mische sich zu sehr in das Leben anderer ein. Dabei stimmt das gar nicht, findet sie. Was kann sie schon dafür, wenn sie Hilfe und Rat suchende Menschen anzieht wie ein Magnet? Sie denkt an ihre Kinder. Die jüngsten, James und Cam, werden nie wieder so glücklich sein wie heute. Kinder vergessen niemals. Deshalb muss man so vorsichtig sein bei dem, was man sagt und tut. Dann reißt ihr Mann sie aus ihren Grübeleien und sie begleitet ihn auf seinem Abendspaziergang durch den Garten. Während sie über den faulen Gärtner und die von Kaninchen ruinierten Primeln redet, sinnieren beide über Gott und die Welt und ihre Beziehung.

Ein flüchtiger Moment der Vollkommenheit

Mrs Ramsay macht sich Sorgen um Paul, Minta und ihre älteren Kinder Andrew und Nancy, die als Anstandsdamen mitgeschickt worden sind. Es ist schon spät und sie sind noch nicht von dem Spaziergang zurück. Tatsächlich hat Paul Minta auf einem Felsen am Strand erfolgreich einen Heiratsantrag gemacht. Doch Minta verliert die Brosche ihrer Großmutter und sucht so lange nach ihr, bis sie der herankommenden Flut weichen müssen. Paul verspricht, am Morgen darauf früh aufzustehen und das Schmuckstück zu finden. Die vier erreichen das Haus erst, als die Ramsays und ihre Gäste sich bereits zum Abendessen versammeln.

„Sie trug, dieser Erkenntnis konnte sie sich nun einmal nicht verschließen, die Fackel ihrer Schönheit mit sich herum; sie trug sie emporgereckt in jeden Raum, den sie betrat (...)“ (über Mrs Ramsay, S. 47)

Zu Beginn des Dinners fühlt sich Mrs Ramsay zunächst unendlich erschöpft. Sie ist es, bei der alle Fäden zusammenlaufen, die ihre Familie und Gäste bei Laune und das Gespräch in Gang halten muss. Ohne ihnen böse zu sein, bemitleidet sie die Männer am Tisch für ihre Unfähigkeit, einer Abendgesellschaft zum Erfolg zu verhelfen. Tatsächlich dominieren zunächst viele unausgesprochene Feindseligkeiten und Enttäuschungen die Stimmung. Mr Tansley findet das alberne Geschwätz der verwöhnten Gesellschaft unausstehlich. Mr Bankes langweilt sich und empfindet plötzlich nichts mehr für Mrs Ramsay. Und Mr Ramsay bekommt beinahe einen Wutanfall, weil der alte Mr Carmichael im Essen schwelgt und um einen zweiten Teller Suppe bittet. Doch als zum Hauptgericht die Kerzen angezündet werden, schlägt die Stimmung um und die Gemüter werden weicher. Selbst der kritische Mr Bankes, der seine Mahlzeiten meist allein in seinem Zimmer im Dorf zu sich nimmt, muss zugeben, dass das „Boeuf en Daube“ ein Gedicht ist. Schließlich hat Lily noch eine Eingebung, wie sie die beiden Seiten ihres Bildes miteinander verbinden kann: Sie muss nur den Baum in die Mitte setzen. Als Mrs Ramsay die Abendgesellschaft verlässt, blickt sie noch einmal über ihre Schulter zurück und erkennt, dass dieser vollkommene Moment bereits Vergangenheit ist.

„(...) unsere äußere Erscheinung, die Dinge, an denen man uns erkennt, sind einfach kindisch. Darunter ist es dunkel, weitet sich alles, ist es unauslotbar tief; doch ab und zu steigen wir an die Oberfläche, und das ist es, wodurch man uns sieht.“ (Mrs Ramsay, S. 69)

Sie geht zu ihren beiden Kleinen hinauf. Ärgerlich stellt sie fest, dass James und Cam noch hellwach sind und sich über den bedrohlich aussehenden Wildschweinschädel streiten, der in ihrem Zimmer hängt. Sie beruhigt beide und antwortet auf James Frage, dass sie am nächsten Tag nicht zum Leuchtturm fahren würden. Schließlich setzt sie sich noch eine Weile zu ihrem Mann, der gerade ein Buch liest. Er erwartet, dass sie ihm ihre Liebe beteuert. Doch sie, obwohl sie ihn liebt, bringt die Worte nicht über die Lippen. Stattdessen schaut sie aus dem Fenster und gibt ihm im Nachhinein Recht: „Morgen wird es nass werden.“

Zehn Jahre vergehen

Dem ohnehin schon baufälligen Haus setzen Wind und Wetter erheblich zu. Zehn Jahre lang dringen die Lüfte durch Ritzen und Löcher ein, bringen Sand und Feuchtigkeit. Nur die alte, alkoholkranke Mrs McNab kommt ab und zu zum Putzen vorbei und torkelt mit ihrem Staubwedel über das knarzende Holz. Die Herrschaften schicken nur Geld, ohne selbst jemals nach dem Haus zu sehen. Mrs Ramsay, so hört sie, ist überraschend verstorben. Dann stirbt auch Prue, die älteste und schönste Ramsay-Tochter, bei der Geburt ihres ersten Kindes. Und schließlich kommt Andrew während des Ersten Weltkriegs in Frankreich durch eine Granate ums Leben. Irgendwann gibt Mrs McNab auf. Die Bücher verschimmeln, die zurückgelassenen Kleider sind voller Motten und das Haus bietet einen trostlosen Anblick. Es ist zu viel für eine alte Frau. Sie pflückt ein paar Blumen aus dem verwilderten Garten und schließt die Türen endgültig hinter sich ab.

„Mit dem Verstand hatte sie sich stets der Tatsache gestellt, dass es keine Vernunft, keine Ordnung, keine Gerechtigkeit gab: sondern Leiden, Tod, die Armen.“ (über Mrs Ramsay, S. 70)

Nun blättert der letzte Putz von den Wänden, Disteln brechen durch die Fliesen, Vögel, Spinnen und Ratten nehmen das Haus in Besitz. Bevor es endgültig in sich zusammenfällt, erhält Mrs McNab einen Brief aus London, der die Ankunft der Ramsays im kommenden Sommer ankündigt. Vor Altersschmerzen stöhnend macht sie sich mit Mrs Bast und deren Sohn an die Arbeit. Sie lassen die Handwerker kommen, breiten die Bücher in der Sonne aus, fegen, schrubben und mähen das haushohe Gras. Schließlich ist das scheinbar Unmögliche vollbracht.

Ein neuer Anlauf

Im September kommen Lily Briscoe, Mr Carmichael, Mr Ramsay und die Kinder. Mr Ramsay will mit der nun 17-jährigen Cam und dem 16-jährigen James zum Leuchtturm fahren. Doch die beiden haben verschlafen. Vor Wut kochend läuft ihr Vater auf und ab. Lily stellt ihre Staffelei im Garten auf. Sie möchte das Bild vollenden, das sie vor zehn Jahren begonnen hat. Mr Ramsays alles überschattende Gegenwart aber macht das unmöglich. Er nähert sich ihr und verlangt, was er stets von den Frauen gefordert hat: Mitgefühl. Lily ist dazu außerstande und lobt stattdessen seine Stiefel. Sofort bessert sich Mr Ramsays Laune und das pathetische Selbstmitleid fällt von ihm ab. Schließlich erscheinen, finster und widerstrebend dreinblickend, Cam und James. Die drei machen sich auf den Weg.

„Denn das war unbestreitbar wahr – Mrs Ramsay bemitleidete die Männer stets, als fehlte ihnen irgendetwas – Frauen niemals, so als besäßen sie irgendetwas.“ (S. 91)

Lily bleibt allein mit Mr Carmichael zurück, der auf dem Rasen vor sich hin döst. Seine Gedichte haben sich während des Kriegs gut verkauft, und er ist jetzt beinahe berühmt. Lily hingegen starrt auf die Leinwand und kämpft mit den eigenen Minderwertigkeitskomplexen. Wie sagte Mr Tansley immer? Frauen können weder malen noch schreiben. Die vergangenen Jahre spulen sich wie ein Film vor ihrem inneren Auge ab. Die Ehe der Rayleys, glaubt sie, war kein Erfolg. Die wenigen Treffen mit Paul und Minta haben sie eine stürmische Geschichte über das Scheitern der Verbindung erfinden lassen. Außerdem haben Lily und Mr Bankes nicht geheiratet, sind aber gute Freunde geworden. Lily triumphiert innerlich, als hätte sie Mrs Ramsay posthum bewiesen, dass Frauen nicht nur für die Ehe geschaffen sind. Doch mit einem Mal beginnt sie zu weinen. Sie glaubt Mrs Ramsays Anwesenheit zu spüren und fühlt, dass sie ihr das Herz abdrückt. Laut ruft Lily ihren Namen.

Die Fahrt zum Leuchtturm

Das Segelboot kommt zunächst nicht vom Fleck. Cam und James beten insgeheim, dass der Ausflug misslinge. Ihr Vater hat sie zwingen müssen, mitzukommen. Wie so oft hat er ihren Willen gebrochen. Sie haben sich geschworen, seiner Tyrannei „bis in den Tod“ zu trotzen, und schweigen vor sich hin. Der Junge des Fischers Macalister rudert so lange hinaus, bis die Segel sich aufblähen und das Boot in Fahrt kommt. Mr Ramsay redet mit Macalister über den Sturm im vergangenen Winter, bei dem drei Menschen ums Leben gekommen sind. Beschämt hören die Kinder, wie er wieder ein Gedicht deklamiert: „Wir gingen unter, jeder allein.“ Beide sind zwischen tiefem Hass und heimlicher Verehrung für ihren stark gealterten, schrulligen Vater hin- und hergerissen. Er ist ein schrecklicher Despot. Und doch hat es etwas Rührendes, wie er da sitzt, vollkommen in sein Buch versunken. James erinnert sich an die abgeblasene Fahrt zum Leuchtturm vor zehn Jahren und spürt noch einmal die dumpfe Enttäuschung von damals.

Ein vollendetes Bild

Lilly beobachtet unterdessen, wie das Segelboot in der Ferne die Bucht durchquert. Ein Blick zurück auf die Leinwand lässt sie verzweifeln. Alle Mühen waren umsonst! Es gelingt ihr einfach nicht, zwischen den widerstrebenden Kräften – Mr Ramsay und ihrem Bild – ein Gleichgewicht herzustellen. Noch einmal denkt sie an Mrs Ramsay und die manchmal stürmische Ehe der beiden. Einmal warf Mr Ramsay einen Teller Milch aus dem Fenster, weil er einen Ohrwurm darin gefunden hatte. An der Fenstertür des Salons bewegt ein Luftzug die Gardine. Lily schaut genau hin und sieht Mrs Ramsay, wie sie in ihrem Sessel sitzt und an dem rotbraunen Strumpf strickt. Dann blickt Lily zurück auf das Meer. Wo ist das Boot jetzt? Und Mr Ramsay? Plötzlich hat sie das Gefühl, ihn zu brauchen.

„Warum will man denn nur, dass andere Leute heiraten? Was war der Wert, der Sinn des Ganzen?“ (Mrs Ramsay, S. 128)

Das Boot hat den Leuchtturm fast erreicht. James stellt fest, dass er von Nahem ganz anders aussieht als der geheimnisvolle, silbrig schimmernde Turm seiner Kindheitserinnerungen. Er erkennt aber auch, dass beide Bilder auf ihre Weise wahr sind. Mr Ramsay klappt sein Buch zu und verkündet, es sei Zeit zum Mittagessen. Zufrieden teilt er Käsebrote und hart gekochte Eier mit Macalister. Von den finsteren Gedanken seiner Kinder hat er keinen Schimmer. Er lobt James für dessen geschicktes Steuern. James schaut noch immer verdrießlich drein, doch Cam weiß, wie sehr er dieses Lob genießt. Das Boot legt an und sie gehen zum Leuchtturm. Lily spürt, dass Mr Ramsay angekommen ist. Die Anspannung fällt von ihr ab und sie hat das Gefühl, ihm endlich das gegeben zu haben, was er am Morgen von ihr verlangt hat. Sie kehrt zu ihrem Bild zurück und zieht in der Mitte eine Linie. Das Werk ist vollbracht.

Zum Text

Aufbau und Stil

Zum Leuchtturm besteht aus drei Teilen: „Die Fenstertür“ eröffnet den Roman und stellt die Ramsay-Familie und ihre Gäste vor. „Zeit vergeht“ fasst die zehn Jahre zwischen den beiden Sommeraufenthalten zusammen und beschreibt aus einer distanzierten Perspektive, wie der Zahn der Zeit an dem Haus nagt. „Der Leuchtturm“ schließt inhaltlich und formal den Kreis: Er erzählt die Fahrt zum Leuchtturm und die Vollendung des Bildes. In den Teilen I und III springt die Erzählperspektive zwischen den Charakteren hin und her, die im Stil des „Bewusstseinsstroms“ unterschiedliche, sich z. T. widersprechende Eindrücke von Ereignissen oder Personen vermitteln. Der Leser blickt wie ein Voyeur hinter die meist quälend banale Fassade von leeren Dialogen und langweiligen Tätigkeiten wie Spazierengehen, Stricken und Essen. Dabei schaut er in die Untiefen des menschlichen Bewusstseins, das sich wie ein unüberbrückbarer Graben zwischen dem Gesagten auftut. Woolf verwendet eine poetische, bilder- und symbolreiche Sprache. Zum Beispiel gelingt ihr das Kunststück, Unsichtbares wie etwa die Luft sichtbar zu machen: Als Leser sieht man sie buchstäblich durch das Haus streichen. Wie eine Malerin mischt Virginia Woolf sprachlich die Farben, spielt mit Licht und Schatten, um Stimmungen zu erzeugen, und Ereignisse wie Krieg oder Todesfälle anzudeuten. Laut Woolf haben „Schreiben und Malen sehr viel miteinander gemein. Der Schriftsteller will uns schließlich zum Sehen bringen“.

Interpretationsansätze

  • Zum Leuchtturm handelt nicht nur von der Subjektivität menschlichen Erlebens, sondern besteht aus einer einzigen Häufung subjektiver Wahrnehmungen. Woolf brachte damit ihre Überzeugung zum Ausdruck, dass eine objektive Wirklichkeit gar nicht existiert.
  • Zwischen dem fragmentierten Bewusstsein und äußeren Erscheinungen wie Natur, Beziehungen oder Gesellschaft liegt ein unüberwindbarer Graben. Deshalb sind alle Romanfiguren, einschließlich der Kinder, in einer tiefen Einsamkeit gefangen.
  • Männer und Frauen leben in entgegengesetzten Welten. Mrs Ramsay stellt als Ikone der Weiblichkeit das eine Extrem dar. Sie repräsentiert Schönheit, Fruchtbarkeit, Einfühlungsvermögen – aber auch Irrationalität. Mr Ramsay wiederum hat den „typisch“ männlichen messerscharfen Verstand, ist egoistisch und blind für die Gefühle anderer.
  • Lily Briscoe versucht, auf ihrem Bild „die linke und rechte Seite“, d. h. Verstand und Gefühl, zu einem harmonischen Ganzen zu verbinden. Trotz erdrückender Selbstzweifel gelingt das Kunststück und Lily triumphiert im Nachhinein über Mrs Ramsay: Der Sinn ihres Lebens liegt in der Kunst, nicht darin, zu heiraten und Kinder zu bekommen.
  • Ein wichtiges Motiv ist die Vergänglichkeit und die Angst davor: Liebe, Schönheit, sorglose Kindheit, das philosophische Lebenswerk Mr Ramsays – nichts bleibt. Das verfallende, modrige Haus symbolisiert die zerstörerische Kraft der vergehenden Zeit. Einzig Lily gelingt es, diesem Sog etwas entgegenzusetzen. Ihre „Vision“ ist die Erkenntnis, dass Kunst einen Moment im Leben einfangen und verewigen kann.
  • Der Teil „Zeit vergeht“, mit den in Klammern gesetzten, kurzen Mitteilungen der Todesfälle, ist auch eine Metapher für den Ersten Weltkrieg: Parallel zu Mrs Ramsay, Prue und Andrew sterben in Europa alle Hoffnungen.
  • Der Roman endet auf einer zuversichtlichen Note: Nach zehn Jahren Dunkelheit erreicht Mr Ramsay im gleißenden Mittagslicht den Leuchtturm und Lily vollendet ihr Werk. James und Cam werden sich ihrer Zuneigung zum Vater bewusst. Der Schluss spiegelt möglicherweise Woolfs eigene Erleichterung wider – sie hatte sich mit dem stark autobiografischen Werk unverarbeitete Kindheitserinnerungen von der Seele geschrieben.

Historischer Hintergrund

Blütezeit der literarischen Moderne

Zum Leuchtturm erschien 1927 in einer Zeit großer politischer, wissenschaftlicher und künstlerischer Veränderungen. Der Erste Weltkrieg mit seiner schrecklich effizienten Kriegstechnik und über neun Millionen Toten hatte die gängige Vorstellung von einem stetigen geistigen und moralischen Fortschritt ad absurdum geführt: Schließlich war der „aufgeklärte“ Mensch sehenden Auges in die Katastrophe marschiert. Auf dem Kontinent waren drei Kaiserreiche zerfallen, und auch in England nahm die Kritik an der undurchlässigen Klassengesellschaft immer mehr zu. Vor diesem Hintergrund glaubte Virginia Woolf, dass der klassische viktorianische Roman mit seiner linearen Handlungsführung der zunehmend chaotischen und zersplitternden Wirklichkeit nicht mehr gerecht wurde. Im Intellektuellenzirkel der Bloomsbury Group, den ihr Bruder Thoby Stephen 1905 gegründet hatte, experimentierte sie gemeinsam mit den wichtigsten Vertretern der künstlerischen Avantgarde mit neuen Ausdrucksformen und radikalen Lebensentwürfen. Die „Bloomsberries“ wandten sich gegen die herrschenden sozialen, religiösen und moralischen Tabus, indem sie z. B. offen über Homosexualität sprachen und diese oft auch demonstrativ auslebten. Wie Virginia Woolf gehörten die meisten Schriftsteller unter ihnen zur literarischen Moderne, die sich in den 20er Jahren von einer Randbewegung zur wichtigsten kulturellen Strömung der Zeit entwickelte. Ihre Vertreter, neben Woolf auch James Joyce und Marcel Proust, zwangen ihre Leser regelrecht dazu, neu lesen zu lernen. Es ging ihnen nicht mehr darum, Geschichten zu erzählen oder Geschichte darzustellen. Stattdessen galt ihr Interesse dem chaotischen Innenleben und der Entfremdung des modernen Menschen von der banalen, äußeren Welt.

Entstehung

Virginia Woolf begann im Mai 1925 mit der Arbeit an Zum Leuchtturm. Die Idee sei während eines Spaziergangs ganz plötzlich über sie gekommen, schrieb sie wenige Jahre darauf in ihr Tagebuch. Das Ziel war klar: Sie wollte ihren Eltern ein literarisches Denkmal setzen und zugleich einen mentalen Befreiungsschlag wagen. Denn ihr übermächtiger Vater Sir Leslie Stephen und die früh verstorbene Mutter Julia beherrschten ihre Gedanken. „Ich war von der Gegenwart meiner Mutter besessen“, schrieb sie. „Ich konnte ihre Stimme hören, sie sehen, mir vorstellen, was sie tun oder sagen würde, während ich mein Tagwerk erledigte.“ Während ihrer Kindheit verbrachte Woolf die Ferien mit ihren Eltern und drei Geschwistern regelmäßig in Talland House, St. Ives in Cornwall. Zwar verlegte sie den Schauplatz des Romans auf die schottischen Hebriden, doch ansonsten stimmen alle Details – bis hin zu Leuchtturm, Haus und Garten – mit dem Ort ihrer Kindheit überein.

Die Autorin musste ihr Werk mehrmals wegen Krankheiten und Schreibblockaden unterbrechen. Alles in allem schrieb sie jedoch leichter und flüssiger als an ihren früheren Romanen Jakobs Raum oder Mrs Dalloway. „Ich glaube ich tat für mich, was Psychoanalytiker für ihre Patienten tun“, notierte sie in ihr Tagebuch. „Ich drückte ein lange in meinem Innern gehegtes Gefühl aus. Und indem ich es ausdrückte, erklärte ich es und bettete es damit zur letzten Ruhe.“ Sie beendete das autobiografischste ihrer Werke im Januar 1927 mit dem Gefühl, „dass es durchaus das beste meiner Bücher ist.“ Ihr Mann Leonard nannte es ein Meisterwerk und „psychologisches Gedicht“.

Wirkungsgeschichte

Zum Leuchtturm erschien im Mai 1927 in England und den USA und wurde Woolfs bis dahin größter Verkaufserfolg. Noch im selben Jahr erfolgte der Nachdruck in zweiter und dritter Auflage. Die zeitgenössische Kritik war sich weitgehend darin einig, dass der Autorin etwas Einzigartiges, radikal Neues gelungen war. „Wenn man ihr ein Etikett anheften müsste, dann eher das einer lyrischen Dichterin als einer Romanschriftstellerin“, schrieb der Glasgow Herald. Und selbst Arnold Bennett vom Evening Standard hielt es für das „originellste“ ihrer Bücher, trotz seiner Kritik an den „anstrengend monotonen“ Sätzen, in denen „die Entfernung zwischen Subjekten und Verben ständig zunimmt“. Eine Pariser Zeitung verglich Woolfs Stil gar mit „klassischer Musik, mit ihrem perfekten Gleichgewicht zwischen Gefühl und äußerer Form“. Der Rezensent bedauerte aber zugleich, dass sich die zarte Schönheit ihrer Prosa nur den „wenigen Glücklichen“ erschließe.

Während und nach dem Zweiten Weltkrieg geriet Virginia Woolf beinahe ganz in Vergessenheit. Erst Anfang der 70er Jahre wurde sie von der feministischen Literaturkritik wiederentdeckt. Ihr Aufsatz Ein Zimmer für sich allein stieg in dieser Zeit zum meistzitierten Werk der Frauenbewegung auf. Die Veröffentlichung ihres Tagebuchs und ihrer umfangreichen Korrespondenz gab den Interpreten neue Anregungen und trug zur Umbewertung ihres künstlerischen Schaffens bei. Heute gilt Virginia Woolf als eine der größten Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts und neben James Joyce als wichtigste Vertreterin der literarischen Moderne.

Über die Autorin

Virginia Woolf wird am 25. Januar 1882 in London als Adeline Virginia Stephen geboren. Die junge Virginia besucht keine Schule, sondern wird zu Hause von ihrem Vater unterrichtet und hat Zugang zu dessen umfangreicher Bibliothek. In dieser Zeit reift in ihr der Wunsch, Schriftstellerin zu werden. Doch zunächst führen einige Todesfälle in ihrer Familie dazu, dass Virginia mehrere Nervenzusammenbrüche erleidet: Als sie 13 ist, stirbt die Mutter, zwei Jahre darauf die Halbschwester und neun Jahre später der Vater. 1906 stirbt ihr ältester Bruder Thoby an Typhus. Virginia bleibt im von Thoby gegründeten Bloomsbury-Zirkel aktiv und beginnt, Kritiken für Zeitschriften und Zeitungen zu schreiben. Nachdem der Schriftsteller Leonard Woolf ihr Anfang 1912 einen Heiratsantrag gemacht hat, erkrankt sie erneut psychisch. Vier Monate später nimmt sie den Antrag an, versucht aber schon kurz nach der Heirat, sich das Leben zu nehmen. Ihre Ehe beschreibt sie dennoch als glücklich. Leonard erweist sich als intellektuell ebenbürtiger, rücksichtsvoller Ehemann, der für ihre gelegentlichen Affären mit Frauen Verständnis aufbringt. 1915 erscheint Woolfs erster Roman Die Fahrt hinaus (The Voyage Out). Zwei Jahre später gründet das Ehepaar einen eigenen Verlag, Hogarth Press. Woolf verabschiedet sich ganz von konventionellen literarischen Formen und experimentiert in Jacobs Zimmer (Jacob’s Room, 1922) und Mrs Dalloway (1925) mit der Technik des inneren Monologs. Den humorvollen Roman Orlando von 1928 widmet sie ihrer Geliebten Vita Sackville-West. Der 1929 erschienene Aufsatz Ein eigenes Zimmer (A Room of One’s Own), in dem sie sich mit den Arbeitsverhältnissen von Schriftstellerinnen beschäftigt, wird später zu einem Klassiker der Frauenbewegung. Trotz immer wiederkehrender schwerer Depressionen arbeitet sie weiter an ihrem umfangreichen Werk. Am 28. März 1941 ertränkt sie sich im Fluss Ouse in Sussex. In ihrem Abschiedsbrief an Leonard schreibt sie: „Alles, außer der Gewissheit deiner Güte, hat mich verlassen. Ich kann dein Leben nicht länger ruinieren. Ich glaube nicht, dass zwei Menschen glücklicher hätten sein können, als wir gewesen sind.“

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