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Die Kunst des Krieges

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Die Kunst des Krieges

Insel Verlag,

15 min read
10 take-aways
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What's inside?

Die älteste und berühmteste aller militärischen Schriften.


Literatur­klassiker

  • Politik
  • Antike

Worum es geht

Sunzi Superstar

Napoleon soll das Büchlein im Feldgepäck gehabt haben, Henry Kissinger war tief beeindruckt davon und Vietcong-Offiziere lernten es auswendig. Es ist Pflichtlektüre für japanische Manager, CIA-Mitarbeiter und sogar brasilianische Profikicker. Die 2500 Jahre alten Aphorismen des chinesischen Militärstrategen Sunzi sind populär wie nie und leicht zu konsumieren wie Haferbrei. Den chinesischen Machthabern kommt das entgegen: Sie nutzen ihren antiken General gerne als Alibi, um sich als friedliebende „Soft Power“ zu verkaufen. Zu Recht? Sunzi plädiert dafür, im Kampf um Macht und Beute die Verluste auf beiden Seiten so gering wie möglich zu halten. Ein weiser Feldherr vereitelt die Strategie des Gegners durch List und Tücke, lässt die besten Spione auf ihn los und behandelt die eigenen Männer wie unmündige Kinder. Ob das als Vorbild für moderne Führungskräfte oder Fußballkapitäne taugt, bleibt fraglich – ein mit Glutamat versetzter Haferbrei könnte sich als schwer verdaulich erweisen. Doch die Lektüre gibt uns einen Einblick in die chinesische Seele der Vergangenheit und ermutigt dazu, nicht überall kampflos das Feld zu räumen.

Take-aways

  • Die Kunst des Krieges ist die älteste und berühmteste aller militärischen Schriften.
  • Inhalt: Über Sieg oder Niederlage im Krieg entscheidet einzig die Strategie. Oberstes Ziel ist es, den Gegner ohne Kampf zu unterwerfen – durch eine sorgfältige Analyse der Lage, durch List und Täuschung sowie durch die kluge Nutzung von Geländevorteilen und Spionage.
  • Passagen, die als pazifistisch verstanden werden könnten, entpuppen sich bei genauerer Betrachtung eher als pragmatisch und skrupellos.
  • Lange galt der chinesische Militärstratege Sunzi, der um 500 v. Chr. gelebt hat, als alleiniger Autor.
  • Vermutlich haben seine Nachfolger und Jünger das Werk über mehrere Jahrhunderte ergänzt und angepasst.
  • In China entstand damals eine bürgerliche Gesellschaft, und viele Machthaber kämpften um die Alleinherrschaft.
  • Dem in der Gesellschaft weit verbreiteten Geisterglauben setzte das Werk eine rationale Siegesformel entgegen.
  • Das Büchlein ist ein erfolgreiches kulturelles Exportprodukt Chinas und Vorlage unzähliger Ratgeber.
  • Ob Mao oder Manager, die unterschiedlichsten Menschen berufen sich auf Sunzi.
  • Zitat: „Kennst du dich selbst und den Gegner, / ist der Sieg dir unbenommen; / kennst du Himmel und Erde, / ist der Sieg vollkommen.“

Zusammenfassung

Die Bewertung der Lage

Krieg entscheidet über Leben und Tod – sowohl einzelner Menschen wie auch ganzer Staaten. Deshalb darf nichts dem Zufall überlassen werden. Vielmehr gilt es folgende Fragen zu beantworten: Steht das Volk hinter seinem Herrscher? Begünstigen Klima und Gelände den Sieg? Ist der Feldherr weise, glaubwürdig, tapfer und streng? Sind Truppen und Logistik optimal organisiert und die Verantwortlichkeiten klar abgesteckt? Wurde der Gegner nach allen Regeln der Kunst getäuscht? Letzteres ist wichtig: Wer fähig ist, sollte so tun, als sei er unfähig; wer nah dran ist, sollte sich den Anschein von Ferne geben; und wer einsatzbereit ist, sollte sich nach außen zurückhaltend zeigen.

Die Kriegführung

Oberstes Ziel ist ein schneller Sieg. Zieht sich ein Krieg unnötig in die Länge, ermüden die Soldaten, die Ressourcen erschöpfen sich und innenpolitische Unruhen drohen. Der weise Kriegsherr hebt nur ein einziges Mal Truppen aus. Er führt seine Ausrüstung aus der Heimat mit und ernährt seine Leute im Feindesland. Die Verpflegung aus Feindeshänden ist 20-mal wertvoller als Proviant, für den die eigene Bevölkerung aufkommen muss. Der Gegner wird durch Beutemachen geschwächt. Wer im Kampf den ersten von mehreren feindlichen Wagen erobert, wird belohnt.

Die Planung des Angriffs

Ein heiles Land zu erobern, ist besser, als es zu zerstören. Eine heile Armee zu unterwerfen, ist vorteilhafter, als sie zu vernichten. Der weise Führer bekämpft zunächst die Strategie und danach die Allianzen des Gegners. Dann erst stellt er sich den feindlichen Truppen. Befestigte Städte greift er nur dann an, wenn alle anderen Mittel versagen. Die Kampfstrategie richtet sich nach der eigenen Truppenstärke: Wer seinem Feind zehnfach überlegen ist, umzingelt ihn; wer ihm fünffach überlegen ist, greift ihn an; und wer doppelt so stark ist, der teilt die Truppen des Feindes. Gleich starke Armeen suchen den Kampf, schwächere die Verteidigung, und gänzlich unterlegene lassen sich gar nicht auf eine Auseinandersetzung ein. Ein erfolgreicher Feldherr ist bestens über die Stärken und Schwächen der eigenen wie auch der gegnerischen Truppen informiert, und seine Leute eint ein Wille und ein Ziel.

Die Formation

Der tüchtige Feldherr sorgt sich zunächst um die Verteidigung und erst dann um den Angriff – schließlich liegt die eigene Unbesiegbarkeit in seiner Macht, die Besiegbarkeit des Feindes aber nicht. Er stellt seine Armee so auf, dass er gar nicht verlieren kann, und sucht den Sieg, bevor er in die Schlacht zieht. Soldaten müssen mit einer Kraft angreifen, als würde angestautes Wasser aus enormer Höhe in die Tiefe stürzen.

Die Schlagkraft

Mit der Schlagkraft verhält es sich wie mit den fünf Tönen, Farben und Geschmäckern: In ihren Modulationen, Schattierungen und Abwandlungen sind sie ebenso unbegrenzt wie die Möglichkeiten des Zusammenspiels zwischen überraschenden und regulären Manövern. Der Aufbau der Schlagkraft ist vergleichbar mit dem Spannen einer Armbrust – und ihr Einsatz mit dem Betätigen des Abzugs. Selbst im Durcheinander der Schlacht achtet der Feldherr auf eine sorgsame Aufstellung. Er lockt den Feind mit einem Erscheinungsbild, das zum Angriff auffordert, um dann aus dem Hinterhalt mit den eigenen Soldaten zuzuschnappen.

Die Leere und die Fülle

Der tüchtige Feldherr geht gelassen auf das Schlachtfeld und wartet dort auf den Feind. Er setzt den Gegner in Bewegung, indem er ihm einen Gewinn verheißt. Während die eigene Truppe ausgeruht ist, erreicht der Feind das Schlachtfeld ermüdet und ausgehungert und muss sich so der Konfrontation stellen. Der Aufenthaltsort und die Ziele der eigenen Truppe bleiben im Unklaren. Damit wird der Feind gezwungen, überall Vorkehrungen zu treffen. Im Idealfall zerfällt seine Truppe in viele kleine Einheiten, die von einer geschlossenen Einheit problemlos überwältigt werden können. Ein Feldherr, der die Kunst der Verschleierung beherrscht, kann auch mit einer zahlenmäßig unterlegenen Truppe siegen. Die ideale Formation wirkt nach außen hin formlos. Man kann sie mit dem Wasser vergleichen: So wie dieses sich dem Gelände anpasst, stellt sich die ständig wandelnde Armee ganz auf den Gegner ein. Sie meidet die Höhe, strebt in die Tiefe und stößt ins Leere statt in die Fülle.

Das Gefecht

Echte Kriegskunst besteht darin, verschlungene Pfade als gerade Wege zu erkennen und eine ungünstige Ausgangslage in einen eigenen Vorteil zu verkehren. Mit der Aussicht auf Gewinn kann man den Gegner dazu anstacheln, überhastet und unterschiedlich schnell zu marschieren, womit seine Einheit zerstört wird. Gongs, Trommeln, Fahnen, Flaggen und Fackeln wahren den Zusammenhalt, indem sie die Ohren und Augen vieler Menschen auf ein Ziel hin vereinen. Ein kluger Feldherr greift bevorzugt dann an, wenn die Moral des Gegners einen Tiefpunkt erreicht hat. Er lenkt den Mut und die Kraft des Gegners, indem er jeder Situation mit dem Gegenteil begegnet: Der Unordnung setzt er die Ordnung entgegen, der Mattheit die Frische und dem Hunger die Sattheit. Die Regeln des militärischen Einsatzes lauten wie folgt:

  1. Greife nicht an, wenn der Gegner sich auf einer Höhe befindet.
  2. Stelle dich ihm niemals mit einem Hügel im Rücken.
  3. Folge ihm nicht, wenn er vorgibt zu flüchten.
  4. Meide den Kampf mit Elitetruppen.
  5. Schnappe nicht nach den Ködern des Feindes.
  6. Hindere keine Armee am Rückzug.
  7. Lass ihr einen Ausweg offen, wenn du sie umzingelt hast.
  8. Bedränge den Feind nicht in äußerster Not.

Wechselfälle

Der Herrscher überträgt das Kommando dem Feldherrn, damit dieser seine eigenen Entscheidungen trifft und das Für und Wider der Wechselfälle abwägt. Er sollte schwieriges und ungesichertes Gelände meiden; sich mit Verbündeten treffen, wo sich die Marschwege kreuzen; einen Ausweg suchen, wenn seine Truppe umzingelt ist; sich dem Kampf stellen, wenn es um Leben oder Tod geht; abwägen, bei welchen Heeren, Befestigungen und Ländern sich ein Angriff lohnt und welche Befehle des Herrschers er besser ignoriert. Fünf Eigenschaften können einen Feldherrn ins Verderben führen: Sucht er den Tod, haben seine Gegner leichtes Spiel. Sucht er das Leben, wird er gefangen genommen. Reagiert er unbeherrscht, wird er provoziert. Pocht er auf die persönliche Ehre, wird er beleidigt, und liebt er das Volk, wird er von Skrupeln geplagt.

Der Marsch

Im Gebirge gilt: Marschiere durchs Tal, schlage dein Lager auf der Höhe mit freiem Blick nach Süden auf und führe kein Gefecht gegen einen Feind, der sich über dir aufgestellt hat. Suche niemals den Kampf auf dem Wasser und halte dich nicht länger als nötig in Salzwüsten und Sumpfgebieten auf. Unwegsames Gelände mit Senken, Engpässen, Fallgruben oder Bodenspalten sollte die Truppe schnell hinter sich lassen und dann Abstand wahren. Wenn der Feind sich diesem Gelände nähert, behalte es im Auge und warte, bis er es im Rücken hat.

„Wer sich über den Schaden eines militärischen Einsatzes nicht völlig im Klaren ist, der vermag auch den Nutzen eines solchen Einsatzes nicht vollständig zu begreifen.“ (S. 14)

Vorsicht in dicht bewachsenen Gegenden, denn hier lauern Kundschafter und Hinterhalte. Wenn Bäume sich bewegen, Vögel auffliegen oder wilde Tiere flüchten, droht ein Überfall. Selbst an der Art, wie der Sand sich bewegt, lässt sich ablesen, auf welche Weise der Feind sich nähert. Lerne, auch die kleinsten Zeichen zu interpretieren: Feindliche Soldaten, die sich auf ihre Waffen stützen, sind hungrig. An einem Ort, an dem sich Vögel versammeln, steht kein Feind. Werden ständig Belohnungen verteilt oder Strafen verhängt, deutet das auf eine verhängnisvolle Lage hin. Ein Feldherr sollte sich seine Soldaten ergeben machen, bevor er sie bestraft, und auch dann Strafen durchsetzen, wenn sie ihm ergeben sind. Ohne Gehorsam sind sie unbrauchbar.

Die Beschaffenheit des Geländes

In zugänglichem Gelände besetzt der weise Feldherr die der Sonne zugewandten Anhöhen und sichert die Nachschubwege. Als hängend bezeichnet man ein Gelände, das leicht zu besetzen und schwer zu räumen ist. Sorgfältige Vorbereitung ist hier der Schlüssel zum Erfolg. Zwiespältiges Gelände bietet keiner Partei beim Aufmarsch einen Vorteil: Halte dich hier bedeckt, täusche den Rückzug vor und greife erst an, wenn der Feind aus der Deckung kommt. Wenn du ein beengtes oder zerklüftetes Gelände als Erster besetzt hast, stell dich voll auf und erwarte den Feind. Sollte er sich zuerst aufgestellt haben, dann rücke nicht nach. Ein weitläufiges Gelände führt bei ausgeglichenen Kräfteverhältnissen schnell zu einer Pattsituation, da keine Partei aus einer bestimmten Aufstellung Nutzen ziehen kann. Allgemein gilt: Wenn Truppen fliehen, in Gefangenschaft geraten oder vernichtet werden, ist daran immer der Kommandeur und nie eine höhere Gewalt schuld. Er sollte seine Offiziere und Soldaten mit harter Hand führen wie der Vater seinen geliebten Sohn. Zu schwache Verbände sollte er nicht einem überlegenen Feind entgegenstellen. Wenn ein Herrscher in aussichtsloser Lage zu kämpfen befiehlt oder umgekehrt eine Schlacht verbietet, obwohl der Sieg zum Greifen nahe ist, muss sich der weise Feldherr gegen ihn stellen.

Die neun Geländearten

Auf dem eigenen Territorium – im so genannten zerlaufenden Gelände – sind Kämpfe zu vermeiden. Wer ein Stück weit in gegnerisches Land vorgedrungen ist, befindet sich in gängigem Gelände. Dort sollte er nicht verharren. Umkämpftes Gelände ist für beide Parteien ähnlich attraktiv; hier gilt es, nicht anzugreifen. Durchgängiges Gelände bedeutet eine leichte Zugänglichkeit für alle, weshalb man nicht lange verweilen sollte. Bevorzugtes Gelände sind Territorien, die an mehrere Staaten grenzen und demjenigen Macht verheißen, der sie als Erster erreicht und sich mit Verbündeten einigt. Kritisch ist das Gelände, wenn man bereits weit ins gegnerische Land vorgedrungen ist. Es eignet sich ideal für Plünderungen. In schwierigem Gelände erschweren Berge, Pässe, Schluchten und Sümpfe den Marsch. Man sollte entschlossen weiterziehen, um es hinter sich zu lassen. In umschlossenem Gelände ist der Rückzug versperrt und es gilt, Wege aus der Umzingelung zu finden. In tödlichem Gelände ermöglicht nur eine schnelle Entscheidung die Rettung. Hier ist bedingungsloser Kampf angesagt.

„Im Krieg zählt nur der rasche Sieg und nicht der langwierige Kampf.“ (S. 16)

Wenn du als Feldherr willst, dass deine Männer ihr Letztes geben, dann bringe sie in eine ausweglose Lage. Verschweige deine wahren Pläne und lasse Offiziere und Soldaten im Ungewissen. Treibe sie wie Schafe vor dir her und nutze Geländevorteile durch den Einsatz ortskundiger Führer. Lenke deine Truppe, als wäre sie ein einziger Mann, indem du sie mit unerwarteten Belohnungen und unorthodoxen Befehlen überraschst.

Der Angriff mit Feuer

Trockenes und windiges Wetter sind ideal für den Feuereinsatz gegen Menschen, Vorräte, Kriegsausrüstung, Speicher und Nachschubwege. Lege das Feuer immer mit dem Rücken zum Wind. Verliere inmitten der Feuersbrunst niemals das eigentliche Ziel aus den Augen: einen dauerhaften Vorteil für dein Reich zu erlangen. Zorn oder Rachsucht sind kein Grund, Krieg zu führen.

Der Einsatz von Spionen

Es ist ein Gebot der Menschlichkeit, sich mithilfe von Spionen ein Vorwissen über den Gegner zu verschaffen. Denn Kriege kosten Unmengen an Ressourcen und schaden der Wirtschaft. Der Staat spart viel Geld, wenn er durch die Vergabe von Titeln, Gehältern und Belohnungen an wichtige Informationen gelangt. Man kann einheimische Spione aus der einfachen Bevölkerung des Feindes oder interne Spione aus der Beamtenschaft rekrutieren. Dem todgeweihten Spion gibt man falsche Informationen auf den Weg, die er der gegnerischen Seite unterjubelt. Sobald die Wahrheit ans Licht kommt, wird der Feind den lügnerischen Botschafter töten. Der überlebende Spion kehrt zu seinem Auftraggeber zurück, um die gewünschten Informationen zu liefern. Der umgedrehte Spion ist ein Spitzel des Gegners, den man aufspürt, auf die eigene Seite zieht und dann wiederum auf die Gegenseite loslässt. Dieser Typus des Spions ermöglicht es, die internen Spitzel richtig einzusetzen, deshalb muss er besonders großzügig belohnt werden. Niemand macht sich mehr um das Wohlergehen eines Staates verdient als ein erfolgreicher Spion. Fliegt eine Spitzeloperation jedoch auf, sind der Spion und alle Eingeweihten umgehend zu töten.

Zum Text

Aufbau und Stil

Das sehr handliche Büchlein Die Kunst des Krieges, im Original mit knapp 6000 chinesischen Schriftzeichen, ist in 13 Kapitel unterteilt. Die Gliederung wurde erst einige Hundert Jahre nach der Entstehungszeit vorgenommen. Entsprechend erscheint der Text wie ein bunter Flickenteppich, den verschiedene Weber und Schneider zu unterschiedlichen Zeiten zusammengesetzt haben: Ein knapper Erzählstrang hält formelhafte Merksprüche und Regelsätze zusammen, einige Passagen wiederholen sich an unterschiedlichen Stellen, und manchmal geht der rote Faden ganz verloren. Innerhalb jedes einzelnen Flickens wird streng logisch argumentiert: Wenn X gegeben ist, dann passiert Y. Der militärische Sieg, so die Botschaft, folgt ehernen Gesetzen. Viele der knappen Leitsätze wurden vermutlich über Jahrzehnte von Mund zu Mund weitergegeben, bevor sie in das Werk aufgenommen wurden. Bildhafte Vergleiche gestalten machen diese Leitsätze sehr eingängig. So wird es etwa dem „Unterschied zwischen leerer Hülle und fester Substanz“ zugeschrieben, wenn „Soldaten den Feind zerschmettern wie der Wetzstein das Ei“.

Interpretationsansätze

  • Sunzi ist oft irrtümlich als Pazifist angesehen worden. „Wahrhaft siegt, wer nicht kämpft“ ist der am häufigsten zitierte Schlüsselgedanke aus Die Kunst des Krieges. Sunzi sah den Krieg als intellektuelle Herausforderung; stets gab er taktischen Überlegungen Vorrang vor Rache- und Beutegelüsten. Andererseits schrieb er eine skrupellose Anleitung dazu, wie man Kriege mit minimalem Ressourceneinsatz gewinnt. Mit Pazifismus hat das wenig zu tun.
  • Pragmatik siegt über Moral: Bei Sunzi gilt es, langwierige Abnutzungskriege zu vermeiden, die Gefangenen gut zu behandeln, alle Winkelzüge der Spionage zu nutzen, die Truppen mit harter Hand zu führen sowie den Feind und die eigenen Untergebenen zu täuschen. Diese Ratschläge gründen auf einer klaren Nutzen-Schaden-Abwägung. Was zählt, ist der Machtgewinn. Für moralische Erwägungen, ritterliche Tugenden, Rache oder Sühne ist kein Platz.
  • Das Werk ist der daoistischen Weltsicht verpflichtet. Es ruft dazu auf, sich in den natürlichen Gang der Dinge einzufügen und die Schöpfung als Helfer statt als Gegner zu begreifen. Wie Yin und Yang schließt Gegensätzliches sich nicht aus, sondern ergänzt und durchdringt einander: ohne Leere keine Fülle, ohne Ordnung kein Chaos, ohne Leben kein Tod.
  • Physikalische Naturgesetze werden mehrfach auf die Militärstrategie übertragen: Wie das Wasser die Höhe meidet und in die Tiefe strebt, sollen Truppen der Fülle ausweichen und in die Leere stoßen. Aus derart eingängigen Allegorien haben Sunzis moderne Jünger Erfolgsstrategien für jeden Lebensbereich abgeleitet, egal ob für das Geschäft, den Golfplatz oder den Geschlechterkampf.
  • Wer sich selbst und den Feind kennt, hat den Sieg in der Tasche: Sunzi reduziert Erfolg und Misserfolg auf berechenbare Formeln; Menschenführung wird so zum Schachspiel. Doch wie berechenbar ist der Mensch? Was tun, wenn die Schachfiguren planlos vom Brett rennen? Die moderne Verhaltensforschung lässt begründete Zweifel an der These von der Zeitlosigkeit und universellen Gültigkeit dieser knapp 2500 Jahre alten Militärschrift aufkommen.

Historischer Hintergrund

Bürgerliche Revolution in China

Mit der so genannten Zeit der Frühlings- und Herbstannalen (722–481 v. Chr.) begann in China eine Periode des wirtschaftlichen und politischen Umbruchs, der in der Zeit der Streitenden Reiche (475–221 v. Chr.) deutlich an Fahrt gewann. Der Katalysator für den Wandel waren technische Neuerungen in der Landwirtschaft und im Handwerk: Eiserne Werkzeuge, künstliche Bewässerungssysteme und ein von Rindern gezogener Pflug erhöhten die Produktivität. Effektive Pflugscharen, die man in Europa erst im späten Mittelalter kannte, setzten die Chinesen schon im dritten Jahrhundert v. Chr. ein. Die Eigentümerschaft von Grund und Boden ging auf Privatleute über, und es bildete sich eine vom Adel unabhängige Schicht reicher Bauern, Handwerker und Kaufleute, die zunehmend in großen, mit Mauern befestigten Städten siedelten.

Philosophie und Wissenschaft blühten auf: Konfuzius (551–479 v. Chr.) formulierte seine Lehre von der menschlichen Ordnung und Harmonie, Sunzi (auch Sun Tsu oder Sun Tzu) (ca. 534–453 v. Chr.) widmete sich der Kriegskunst und Lao Tse (auch Laozi) soll in dieser Zeit den Daoismus – die Lehre vom rechten Weg – gegründet haben.

Wachsender gesellschaftlicher Wohlstand und steigende Bevölkerungszahlen führten zu Verteilungskämpfen. Als die Macht der Zhou-Dynastie schwand, ernannten sich die Lehnsherren zu Königen und begannen, um die Vorherrschaft in China zu kämpfen. Aus über 100 kleinen Ländern bildeten sich als Folge unzähliger Kriege sieben mächtige Staaten heraus. Erfolgsentscheidend waren nicht mehr die adligen Streitwagenfahrer, sondern die Bauern, die in der bewaffneten Infanterie der rasch anschwellenden Armeen kämpften. Außerdem setzte sich ein meritokratisches System durch: Ämter und Offiziersränge wurden nicht mehr vererbt, sondern nach dem Leistungsprinzip vergeben. Mit der Reichseinigung unter der Qin-Dynastie 221 v. Chr. ging schließlich eine wirre Epoche zu Ende.

Entstehung

Die Kunst des Krieges hat vermutlich mehrere Urheber, die im vierten und dritten Jahrhundert v. Chr. zu dem Werk beitrugen. Die älteste Schicht besteht aus militärischen Sprüchen und Sentenzen, die Sunzi aus dem Volksmund übernahm. Die Dialogpartien verweisen auf den Stil, der zu Konfuzius’ Zeiten üblich war, andere Fragmente auf die ausgehende Zeit der Streitenden Reiche. Sie alle basieren auf ein und derselben Frage: Wie soll man reagieren, wenn eine sicher geglaubte Wahrheit nach der anderen wegbricht und die Welt in Krieg und Chaos zu versinken droht? In der so genannten Zeit der Hundert Schulen arbeiteten zahllose Gelehrte an neuen Werte- und Gesellschaftsordnungen. Vielen von ihnen war der Krieg suspekt. Philosophen wie Konfuzius, sein wichtigster Nachfolger Menzius (auch Mengzi) (ca. 370–290 v. Chr.) und der Pazifist Mozi (ca. 470–391 v. Chr.) strebten danach, den zivilen Bereich nicht hinter dem militärischen zurücktreten zu lassen. Während die Zahl der Kriege zunahm und die Kampfmethoden und -geräte sich radikal veränderten, suchten die streitenden Herrscher nach Wegen, den Krieg zu rationalisieren, zu legalisieren und zu professionalisieren. Einer Gesellschaft, die noch immer an Dämonen und Geister glaubte, setzten Sunzi und seine Nachfolger ein rationales, regelbasiertes System entgegen.

Wirkungsgeschichte

Die Kunst des Krieges gilt als die älteste und berühmteste militärische Schrift. Ihre Erfolgsgeschichte ist beispiellos: In China gilt Sunzi als einziger Denker seiner Zeit, der die politisch bewegten Jahrtausende nahezu unbeschadet überstand. Mao Zedong (auch Mao Tse-tung) etwa verteufelte den Konfuzianismus als feudal und reaktionär, war aber ein glühender Sunzi-Fan. Während des Bürgerkriegs soll er seine Männer ins Feindesland geschickt haben, nur damit sie ihm das Büchlein besorgten. In jüngster Zeit bringen chinesische Machthaber ihren antiken Strategen immer dann ins Spiel, wenn sie sich als friedliebende „Soft Power“ zu positionieren versuchen. 2006 überreichte der chinesische Präsident Hu Jintao seinem US-amerikanischen Amtskollegen George W. Bush eine seidengebundene Ausgabe – für viele Beobachter ein deutlicher Seitenhieb auf Bushs erfolglose Kriegskampagnen im Irak und in Afghanistan.

Seit der skrupellose Börsenhai Gordon Gekko 1987 in dem Hollywood-Blockbuster Wall Street über Sunzis Ratschläge schwadronierte, schwappt eine Welle von Sekundärliteratur über die westliche Welt: Sunzi für Anleger, Sunzi für Unternehmerinnen, Sunzi für Golfer – nach Angaben der britischen Zeitschrift Economist sind auf Amazon ganze 1500 Sunzi-Titel für jeden Geschmack zu finden. Selbst das Glamourgirl Paris Hilton ließ sich mit ernstem Blick durch die hippe Lesebrille bei der Sunzi-Lektüre fotografieren. Nicht alle können diesen Hype nachvollziehen. Der Sinologe John Minford etwa erlebte seine Arbeit an der Neuübersetzung ins Englische 2002 als Qual. Er findet das Buch „unangenehm“ und „unorganisiert“ und meint, dass es uns „extrem wenig zu sagen“ habe. Sein Urteil: „Ein kleines faschistisches Handbuch darüber, wie man seine Mitmenschen mithilfe von plausiblen Ideen total zerstört.“

Über den Autor

Sunzi (auch Sun Tsu oder Sun Tzu) wurde lange Zeit mit dem adligen Feldherrn Sun Wu („Wu“ = „der Kriegerische“), der um 500 v. Chr. in der chinesischen Provinz Shandong geboren wurde, gleichgesetzt. Der Geschichtsschreiber Sima Qian (ca. 145–86 v. Chr.) berichtet in seinen Historischen Aufzeichnungen davon, wie Sun Wu seine Kriegslehre mit den 180 Konkubinen des Königs Helu durchgespielt haben soll. Da die zwei Lieblingsfrauen des Königs ihre Rolle als Kompanieführerinnen nicht richtig ernst genommen hätten, habe Sun Wu sie Helus Protest zum Trotz hinrichten lassen. Daraufhin soll der Stratege dem trauernden Herrscher gemeldet haben, dass die Konkubinenarmee nun für ihn „durch Feuer und Wasser“ gehen würde. Ungefähr 1300 Jahre nach Veröffentlichung dieser Anekdote kamen Zweifel an Sun Wus Autorschaft auf. Der Name „Sunzi“ setzt sich aus dem Familiennamen Sun und dem Suffix „zi“ („Meister“) zusammen – ein Ehrentitel, der in der Regel erst von der Nachwelt verliehen wurde. Außerdem beginnt jedes Kapitel im chinesischen Original mit der Formel „Meister Sun sagte“. Dies lässt auf eine Mitautorschaft verschiedener Jünger und Nachfolger schließen. Hinzu kommt, dass etwa 150 Jahre nach der geschätzten Entstehung des Traktats ein Sun Bin („Bin“ = „der Verkrüppelte“) – vermutlich ein Urenkel Sun Wus – eine militärische Abhandlung mit dem gleichen Titel schrieb. Einige Wissenschaftler halten die beiden Suns sogar für ein und dieselbe Person. Anachronismen und unterschiedliche sprachliche Stilformen im Text deuten jedenfalls darauf hin, dass verschiedene Personen im Lauf der Jahrhunderte das Werk ergänzt und der jeweiligen Zeit angepasst haben.

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    C. K. vor 6 Jahren
    Ein sehr gutes Buch, leider in einer sehr schlechten Übersetzung. Ich habe drei verschiedene Ausgaben, die alle deutlich besser übersetzt sind als das die Zitate hier belegen. Warum man bei der Übersetzung die Reimform gewählt hat statt klarer Prosa bleibt mir ein Rätsel.
    • Avatar
      vor 6 Jahren
      Danke für Ihren Hinweis! Die Übersetzung von Volker Klöpsch gilt als die "erste wissenschaftlich fundierte und vollständige Übersetzung des Textes ins Deutsche", wobei aus dem chinesischen Urtext übersetzt wurde, nicht etwa aus dem Englischen, wie in manchen anderen Ausgaben. Zu den gereimten Passagen erläutert der Übersetzer im Nachwort: "Der Spruchcharakter gereimter Passagen wird in der vorliegenden Übertragung verdeutlicht, indem zuweilen die Versform gewählt wird. Dabei ist nicht immer zweifelsfrei auszumachen, ob es sich um allgemein verbreitete Sprichwörter handelt oder um Merksprüche, die für den militärischen Alltag memoriert wurden."

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