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Das Treibhaus

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Das Treibhaus

Suhrkamp,

15 min read
10 take-aways
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What's inside?

Ein Roman aus dem Nachkriegsdeutschland – wo Blumen des Bösen den Glauben an das Gute verschlingen.

Literatur­klassiker

  • Roman
  • Nachkriegszeit

Worum es geht

Ein politisches Buch?

Der Stoff des Romans Das Treibhaus ist durchaus politisch: eine Nahaufnahme des Bonner Politzirkus aus der Frühphase der BRD, kurz nach dem Krieg. Es war eine Zeit, in der selbst das Unpolitischsein politisch war; trat doch eine ganze Nation, geschichtsmüde und schuldbeladen, die kollektive Flucht ins Private an. In dieser „Weigerung, sich dem tatsächlich Geschehenen zu stellen“, wie es die Philosophin Hanna Arendt nannte, lag ein himmelschreiender Skandal. Ihm verlieh Koeppen in seinem Roman Ausdruck. Insofern ist Das Treibhaus ein politisches Buch – manche sagen, ein verfehltes, und werfen Koeppen vor, sich geirrt zu haben, wenn er in der Bonner Republik die nahtlose Fortsetzung des Dritten Reiches sah. Mit seiner Desillusionierung und existenziellen Krise langte Koeppen bei einem alles überschattenden Pessimismus an. In der Darstellung dieser Krise ist Das Treibhaus ein unpolitisches Buch – und als solches ein gutes.

Take-aways

  • Der Roman Das Treibhaus von Wolfgang Koeppen ist ein Meilenstein der deutschen Nachkriegsliteratur.
  • Inhalt: Der Bundestagsabgeordnete Keetenheuve, ein desillusionierter Idealist, wird in den Mühlen des Bonner Politikbetriebs zerrieben. Nachdem seine junge Frau Elke stirbt und er in der Politik mit seinen Idealen scheitert, hat er den Härten des Lebens in einem vom Krieg gezeichneten Deutschland nichts mehr entgegenzusetzen und begeht Selbstmord.//
  • Das Treibhaus //ist der zweite Teil von Koeppens sogenannter „Trilogie des Scheiterns“.
  • Der Roman ist vordergründig eine Abrechnung mit der jungen Bundesrepublik, die aus Koeppens Sicht eine Fortsetzung des Dritten Reichs mit anderen Mitteln war.
  • Einige der handelnden Personen tragen deutliche Züge historischer Figuren, darunter Kurt Schumacher und Konrad Adenauer.
  • Das eigentliche Thema des Romans ist die Zerrissenheit eines sensiblen Menschen zwischen Idealismus und Wirklichkeit.
  • Koeppens Grundton ist tief pessimistisch, seine Schreibweise voll düsterer Bilder und Allegorien.
  • Die Figur des melancholischen, lebensunfähigen Keetenheuve ist an Shakespeares Hamlet angelehnt.//
  • Das Treibhaus// provozierte teils heftige Kritik vonseiten ebenjener vergangenheitsblinden Wiederaufbau-Optimisten, die Koeppen mit dem Roman angegriffen hatte.
  • Zitat: „(…) Deutschland war ein großes öffentliches Treibhaus, Keetenheuve sah seltsame Floren, gierige, fleischfressende Pflanzen, Riesenphallen, Schornsteinen gleich voll schwelenden Rauches, blaugrün, rotgelb, giftig, aber es war eine Üppigkeit ohne Mark und Jugend (…)“

Zusammenfassung

Der Abgeordnete

Der Politiker Felix Keetenheuve ist im Zug nach Bonn unterwegs. Er kommt von der Beerdigung seiner Frau Elke. Als Abgeordneter sitzt er für eine Oppositionspartei im Bundestag. Keetenheuve ist kein typischer Vertreter seiner Zunft. Er hat sich den Idealismus seiner Jugend bewahrt, hat den Glauben an Veränderung, an die Kraft der Erkenntnis und an die Möglichkeit und Notwendigkeit moralischen Handelns nie aufgegeben. Entsprechend fremd sind ihm die meisten seiner Kollegen, die er für zynische Opportunisten hält. Im Bonner Politikbetrieb der Nachkriegszeit sieht Keetenheuve eine mehr schlecht als recht kaschierte Fortsetzung des Dritten Reiches. Das Gefühl der Fremdheit beruht auf Gegenseitigkeit: Selbst Keetenheuves Parteigenossen begegnen ihm mit Misstrauen oder schlicht Verachtung, und auch das Wahlvolk will mit dem stillen, grüblerischen Schöngeist nicht richtig warm werden. Dass er dennoch in eine relativ einflussreiche Position gelangt ist, verdankt Keetenheuve eher glücklichen Umständen als eigenem Zutun. Vor dem Krieg war er Journalist. Nach der Machtergreifung der Nazis entschied er sich für das Exil und wanderte nach England aus. Als er nach dem Krieg zurückkehrte, ging er in die Politik, mit dem Anspruch, Gutes zu tun und sich aktiv am Wiederaufbau der Nation zu beteiligen.

Tragisches Ende einer Ehe

Der Tod seiner jungen Frau Elke hat Keetenheuve den letzten Halt im Leben genommen. Elke floh als 16-jähriges Mädchen nach dem Krieg in den Westen, wo Keetenheuve sie buchstäblich zwischen Trümmern auflas. Ihre Eltern – der Vater war Gauleiter gewesen – hatten sich zuvor durch Selbstmord den Fängen der Justiz entzogen. Doch Elke und Keetenheuve, so sehr sie sich auch liebten, passten nur schlecht zueinander: er der verantwortungsvolle Geistesmensch, sie amoralisch und eher dem Sinnlichen zugeneigt. Tatsächlich ging die Ehe schief. Keetenheuve lebte ganz für seine politische Berufung und vernachlässigte Elke. Die vermochte es nicht, ihr Leben aus eigener Kraft mit Sinn zu füllen. Schließlich geriet sie unter den Einfluss der lesbischen Kupplerin Wanowski, fing an zu trinken und Drogen zu nehmen. Damit begann ihr Verfall.

In der Pressebaracke

In Bonn angekommen, trifft Keetenheuve Korodin. Der gehört einer gegnerischen Partei an, ist aber an Keetenheuve interessiert und will ihn auf seine Seite ziehen. Er nimmt ihn im Taxi bis zum Bundeshaus mit, wo Keetenheuve aussteigt. Doch Keetenheuve will noch nicht ins Büro. Also schließt er sich einer Touristengruppe an und besichtigt die ungeliebte Wirkungsstätte aus der Perspektive eines Zaungasts. Dabei stellt er allerlei schwermütige Betrachtungen an. Später begibt sich Keetenheuve in die Pressebaracke, wo er dem Journalisten Mergentheim, einem ehemaligen Kollegen, einen Besuch abstattet. Mergentheim, der nach der Machtergreifung mit dem Strom geschwommen und zum Chefredakteur aufgestiegen ist, hält nicht viel vom weltfremden Keetenheuve. Dennoch warnt er ihn vor einer Intrige: Jemand hat das Gerücht in die Welt gesetzt, Keetenheuve habe während des Krieges in England die Uniform eines britischen Majors getragen. Auch von einem Foto redet er, mit dessen Hilfe der parteilose Strippenzieher Frost-Forestier dem Gerücht weitere Nahrung geben könnte; darauf sei Keetenheuve hinter einem Mikrofon der BBC zu sehen. Tatsächlich hat dieser aus dem Exil Anti-Hitler-Propaganda betrieben. Doch an der Sache mit der Uniform ist nichts dran. Mergentheim ruft Keetenheuve allerdings die Macht der Gerüchte ins Gedächtnis: Auch die Nazis stellten so ihre Gegner kalt.

Politisches Dynamit

Vor der Pressebaracke trifft Keetenheuve den alten Philip Dana. Auch ihn kennt er aus seiner Zeit als Journalist. Dana steckt Keetenheuve ein brandheißes Dokument zu: die bisher unveröffentlichte Meldung über ein Interview, in dem britische und französische Generale die deutsche Teilung als „einzigen Gewinn des letzten großen Krieges“ bezeichnen – ein Affront gegen die deutsche Regierung und ihre Linie der Westbindung. Doch obwohl Keetenheuve weiß, dass er mit dem Interview ein Mittel an der Hand hat, der Koalition zu schaden und gleichzeitig seinem eigenen Parteichef Knurrewahn dabei zu helfen, sich als Advokat der Wiedervereinigung zu profilieren, empfindet er keine Triumphgefühle, nur Ekel vor der Niederträchtigkeit des politischen Geschäfts.

„Er saß im Nibelungenexpress. Es dunstete nach neuem Anstrich, nach Renovation und Restauration; es reiste sich gut mit der Deutschen Bundesbahn; und außen waren die Wagen blutrot lackiert.“ (über Keetenheuve, S. 9)

In Keetenheuves Büro türmen sich unbeantwortete Briefe. Keetenheuve betrachtet ein Foto von Elke. Er spürt das ganze Ausmaß seiner Vereinsamung. Für die Auseinandersetzung mit der Papierflut auf dem Tisch fehlt ihm die Kraft. Stattdessen versucht er sich daran, ein Baudelaire-Gedicht, Le beau navire, ins Deutsche zu übersetzen. Dann wird er zu Knurrewahn gerufen, seinem Chef. Knurrewahn ist, so sieht es jedenfalls Keetenheuve, ein „Meister vom alten Schrot und Korn“; ein robuster Politikhandwerker, der allerdings in der neuen Zeit die Orientierung verloren hat. Mit Keetenheuve verbindet ihn eine Zweckgemeinschaft. Knurrewahn hält Keetenheuve für arrogant, stützt sich aber auf dessen überlegenes Urteil. So auch jetzt, wo er sich von ihm überreden lässt, die brisante Meldung einstweilen geheim zu halten. Keetenheuve soll die Bombe in der bevorstehenden Parlamentsdebatte über die Sicherheitsverträge platzen lassen.

Ein verlockender Köder

Frost-Forestier ruft an und lädt Keetenheuve zum Essen ein. Der nimmt trotz eines unguten Gefühls an. Frost-Forestier residiert in einer alten Kaserne. Beim gemeinsamen Essen trägt er Keetenheuve das Amt des Botschafters in Guatemala an. Keetenheuve weiß: Der Posten ist ein Abstellgleis, man will ihn loswerden. Dennoch spürt er Verlockung. Guatemala könnte ein neues Leben bedeuten. Zurück in Bonn, kommt Keetenheuve zu spät zu einer Ausschusssitzung. Seine Parteikollegen machen aus ihrer Missbilligung keinen Hehl. Keetenheuve spürt, dass er immer mehr in Isolation gerät, fühlt sich zunehmend haltlos. Den Beratungen des Ausschusses vermag er kaum zu folgen. Es wird über den Bau von Arbeiterwohnungen verhandelt. Doch Keetenheuve ist in Gedanken bei Elke. Er fühlt sich schuldig an ihrem frühen Tod. Die Verhandlungen erscheinen ihm abstrakt und zynisch, der Kontrast zwischen den Nöten und Bedürfnissen der Menschen auf der einen und der Maschinerie des politischen Geschäfts auf der anderen Seite ekelt ihn an.

Den Rhein entlang

Die Sitzung endet ergebnislos. Keetenheuve geht zurück ins Büro. Das Angebot Frost-Forestiers beschäftigt ihn. Ihm ist klar, dass eine Gegenleistung von ihm erwartet wird: Er soll die Interviewaussagen der alliierten Generäle unter den Tisch fallen lassen. Doch das wird er nicht tun, Keetenheuve wird sich nicht bestechen lassen. Der Entschluss gibt ihm Mut. Von Kampfeslust erfüllt macht er sich auf den Weg nach Hause. Es wird ein langer Gang, eine Wanderung durch die abendliche Stadt, den Rhein entlang, in drückender, treibhausartiger Atmosphäre. Keetenheuve kommt an einem Spielplatz vorbei. Zwei Mädchen auf einer Wippe kokettieren mit ihm. Er kauft gebrannte Mandeln und fühlt sich in die Zeit seiner Pubertät zurückversetzt. Spontan reiht er sich in die Schlange vor einer Kinokasse ein. Doch was er auf der Leinwand zu sehen bekommt, die Wochenschau im Vorprogramm, dann ein Lustspiel, konfrontiert ihn nur noch stärker mit seiner Einsamkeit. Er flieht. Es wird Abend. Eine Weinstube zieht ihn an. Er bestellt einen Wein und beobachtet die Menschen in der Gaststube. Ein alter Mann mit Dackel und ein katholischer Priester mit einem kleinen Mädchen regen seine Fantasie an, setzen Gedankenketten in Gang, die aber sämtlich wieder zu ihm zurückkehren.

Gerda und Lena

Es ist spät, die Weinstube macht zu. Keetenheuve will noch nicht nach Hause. Also streift er weiter durch die Straßen. In den Geschäften stehen Schaufensterpuppen, eine heile Welt der erfüllten Konsumsehnsucht. Keetenheuve fühlt sich abgestoßen. Seine Sehnsucht ist auf Bedürfnislosigkeit und inneren Frieden gerichtet. Dann jedoch verspürt er wieder Durst. Eine andere Weinstube hat noch offen. Dort trifft Keetenheuve auf zwei Mädchen, die Spenden für die Heilsarmee sammeln. Die Jüngere weckt Keetenheuves Begehren. Er traut sich aber nicht, sie anzusprechen, und so verschwinden die Mädchen, wie sie gekommen sind. Nun macht auch diese Weinstube zu. Keetenheuve stromert wieder durch die Nacht. Vor den Schaufenstern eines Kaufhauses trifft er die Mädchen erneut. Diesmal spricht er sie an. Die ältere, Gerda, scheint ihn als Konkurrenz zu betrachten und zeigt ihm die kalte Schulter; die jüngere, Lena, ist aufgeschlossener und erzählt Keetenheuve ihre Geschichte:

„Das Volk schwieg. Schwieg es in weiterwirkender Furcht? Schwieg es in anhänglicher Liebe? Die Geschworenen sprachen die Männer der Diktatur von jeder Anklage frei. Und Keetenheuve? Er diente der Restauration und reiste im Nibelungenexpress.“ (S. 37)

Sie floh mit ihren Eltern über Berlin in die BRD. In Thüringen, ihrer Heimat, hatte sie eine Ausbildung zur Mechanikerin begonnen, sie wollte höher hinaus, Ingenieurin werden. Im Westen fand sie allerdings eine Gesellschaft vor, in der eine solche Laufbahn für Frauen nicht vorgesehen war. Lena schlug sich als Spülerin in einem Restaurant durch, floh von dort, trampte in Richtung Ruhrgebiet, musste sich von Lastwagenfahrern begrapschen lassen, wurde überall abgewiesen, ausgelacht, gedemütigt. In Bonn lernte sie dann Gerda kennen. Keetenheuve macht ihr Hoffnungen: Er werde sich für sie einsetzen, ihr eine Lehrstelle verschaffen. Lena ist misstrauisch. Nicht ohne Grund, wie Keetenheuve nur zu gut weiß. Natürlich will er dem hübschen Mädchen selber an die Wäsche. Er verabredet sich mit Lena und Gerda für den nächsten Abend in der Weinstube.

Showdown im Bundestag

Keetenheuve verschlägt es in eine Bar im Bahnhofsviertel, wo sich nur junge Leute aufhalten. Er spürt sein Alter, seine Einsamkeit. Mit dem Taxi lässt er sich nach Hause fahren, in seine Wohnung im „Abgeordnetenghetto“. Es gewittert. Keetenheuve spürt, dass er jeden Halt verloren hat. Am nächsten Morgen erwacht er in der Gewissheit seines bevorstehenden Endes. Es steht eine Plenarsitzung an, Keetenheuve wird seine Rede halten, Guatemala hin oder her. Er wird nichts ausrichten. Trotzdem wird er die Rede halten. Keetenheuve ist ruhig und gelassen.

„(...) Deutschland war ein großes öffentliches Treibhaus, Keetenheuve sah seltsame Floren, gierige, fleischfressende Pflanzen, Riesenphallen, Schornsteinen gleich voll schwelenden Rauches, blaugrün, rotgelb, giftig, aber es war eine Üppigkeit ohne Mark und Jugend (...)“ (S. 39)

Im Bundeshaus nimmt ihn Knurrewahn zur Seite, mahnt noch einmal zum Maßhalten. Dann wird Keetenheuve zum Telefon gerufen. Es ist Frost-Forestier. Guatemala ist bewilligt, bedingungslos. Keetenheuve wittert den Braten. Da reicht ihm jemand eine Zeitung, in der Mergentheim über das brisante Interview berichtet. Daraus ist nur ein einziger Schluss zu ziehen: Jemand muss in Keetenheuves Büro eingedrungen sein und das Dokument abfotografiert haben. Jetzt ist jedenfalls alles zunichtegemacht, die Rede, ohne Überraschungseffekt, ist nun noch sinnloser. Die Koalition hat Zeit genug gehabt, Schadensbegrenzung zu betreiben. Entsprechend verläuft die Plenarsitzung. Der Kanzler, routiniert und arrogant, kritisiert den Artikel scharf. Und tatsächlich: Die Dementis aus London und Paris liegen schon vor. Dem Eintritt in das Westbündnis, der Wiederbewaffnung Deutschlands, so der Kanzler, stehe nun nichts mehr im Weg. Jetzt hält Keetenheuve seine Rede. Dabei hält er sich zunächst an die von Knurrewahn vorgezeichnete Linie und warnt vor den Verpflichtungen, die auf Deutschland zukämen; das erste Ziel müsse die Wiedervereinigung sein. Doch er redet ins Leere, niemand interessiert sich für das, was er sagt. Keetenheuve legt noch eine Schippe drauf, beschwört die Gefahren der Wiederbewaffnung, die Rückkehr des Militarismus, die Unkontrollierbarkeit eines Heeres durch demokratische Institutionen. Die Rede verpufft. Unter Gefälligkeitsapplaus seiner Fraktion tritt Keetenheuve ab. Nach der Abstimmung verlässt er das Bundeshaus.

Sprung von der Brücke

Keetenheuve weiß sich besiegt. Er schließt mit seiner beruflichen Existenz ab. Er nimmt das Foto von Elke und die angefangene Gedichtübersetzung und geht den Rhein entlang in Richtung Stadt. In einem Zelt wird ein toter Wal ausgestellt. Keetenheuve bezahlt den Eintritt und sieht ihn sich an. Er kann sich mit Jona identifizieren: Auch Keetenheuve fühlt sich von einem Walfisch verschlungen. In der Stadt angekommen, setzt er sich in die Weinstube und bestellt eine Flasche Wein. Lena und Gerda kommen durch die Tür. Sie sind tatsächlich seiner Einladung gefolgt. Auch Keetenheuve hält sein Versprechen und schreibt zwei Empfehlungsbriefe, einen an Knurrewahn, einen an Korodin. Sie sollen Lena eine Stelle verschaffen. Dann verlässt er mit Lena das Lokal, Gerda im Schlepptau. Sie wandern durch die Ruinenlandschaft eines zerstörten Stadtteils. Irgendwo machen sie halt. Keetenheuve fordert Gerda auf, ein Lied anzustimmen. Zum Klang ihrer Stimme verführt er Lena und weidet sich gleichzeitig an den eifersüchtigen Qualen Gerdas. Doch der Akt selbst berührt ihn nicht, durchdringt nicht seine Einsamkeit. Inzwischen haben sich einige Schaulustige um sie versammelt. Keetenheuve erblickt ein Schild, das in Richtung Rhein weist. Unter dem Gelächter der Umstehenden rennt er davon, zum Fluss, auf die Brücke. Und springt.

Zum Text

Aufbau und Stil

Hatte Wolfgang Koeppen in Tauben im Gras noch seiner stilistischen Experimentierfreude nachgegeben, kehrte er in Das Treibhaus, dem zweiten Roman seiner „Trilogie des Scheiterns“, zu einer konventionellen Erzählweise zurück. Das Treibhaus ist aus der Perspektive eines eindeutigen Protagonisten erzählt und besitzt einen ununterbrochenen roten Faden. Der besteht in den Erlebnissen des Helden während der letzten zwei Tage seines Lebens, eingebettet in Reflexionen, die in der Form eines inneren Monologs präsentiert werden. Die Handlung ist auf fünf Kapitel verteilt. Im Text finden sich immer wieder die für Koeppen typischen, kursiv gesetzten Einschübe, die eine andere Betrachtungsebene markieren, hier meist schlagzeilenartiger O-Ton aus dem Sprachzentrum des Protagonisten. Koeppens düstere Prosa ist von ungewöhnlicher Bilderdichte, wobei der Autor mit großer Virtuosität aus den Begriffsbeständen von Mythos, Märchen, Natur und Technik schöpft. Einmal eingeführte Metaphern werden zudem später wieder aufgegriffen, abgewandelt, weitergeführt, gewinnen im Verlauf des Romans ein Eigenleben und werden am Ende in einem visionären Schlussakkord zusammengeführt. Auch ist der Roman reich an literarischen Querverweisen, teils explizit, wie die Baudelaire-Zitate, teils oberflächlich mit dem Text verwoben, teils gründlich versteckt. Stilistisch wechseln sich kunstvoll aufgebaute, verspielte Satzkonstruktionen mit lakonischen Einschüben von höchster Schlichtheit ab.

Interpretationsansätze

  • Das Treibhaus kann als Schlüsselroman gelesen werden. Ort und Zeit der Handlung sind historisch relativ eindeutig identifizierbar: Mit der beschriebenen Plenarsitzung ist die dritte Lesung des Deutschlandvertrags und des EVG-Vertrags (Europäische Verteidigungsgemeinschaft) am Donnerstag, dem 19. März 1953, im Bonner Parlament gemeint. Auch reale historische Personen lassen sich in Koeppens Romanfiguren wiedererkennen: Knurrewahn trägt Züge des SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher, während der namenlose Bundeskanzler stark an Konrad Adenauer erinnert.
  • Das Treibhaus ist laut Wolfgang Koeppen als Roman des Scheiterns zu lesen. Der eigentliche Gehalt liegt demnach nicht in der politischen Dimension des Buches, sondern in der Vergeblichkeit, mit der sein Held in einer materialistischen Welt sein Leben nach idealistischen Maßstäben auszurichten versucht.
  • Die Figur des Felix Keetenheuve weist deutliche Parallelen zu Shakespeares Hamlet auf. Koeppen charakterisiert seinen Helden sogar beinahe wörtlich mit einem Zitat aus Hamlets berühmtem Monolog als „Träumer von des Gedanken Blässe angekränkelt“. Hamlet und Keetenheuve (wie auch Koeppen selbst) eint zudem das melancholisch-romantische Naturell und daraus resultierend eine existenzielle Verlorenheit.
  • In Koeppens politischem Pessimismus schwingen die Ängste einer vom Krieg traumatisierten Generation mit. Er steht damit repräsentativ für jene Nachkriegsdeutschen, die, unfähig oder unwillig zu vergessen, fassungslos beobachteten, wie die Mehrheit ihrer Zeitgenossen die Flucht nach vorn antrat und in blindem Wiederaufbaueifer ihren seelischen Schaden zu verdrängen suchte.
  • Der Titel des Romans spielt auf die damalige Bundeshauptstadt Bonn als Ort der Handlung an: Deren Kessellage im Rheintal bedingt eine Art „Treibhausklima“. Zugleich verweist der Begriff „Treibhaus“ aber auch auf die Isolierung der Berufspolitiker in Bonn sowie ihren Verlust der Beziehung zum Volk.

Historischer Hintergrund

Westbindung oder Wiedervereinigung?

Mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 begann die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Aus den ersten Bundestagswahlen gingen die CDU als stärkste Kraft und der ehemalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer als Kanzler hervor. Allerdings besaß der neu gegründete Staat letztlich keine Souveränität; alle Entscheidungen bedurften der Billigung durch die Hohe Kommission, die aus Vertretern der drei Westmächte bestand. Das Trauma des Zweiten Weltkriegs war noch frisch, die Siegermächte misstrauten den Deutschen.

Zugleich bestimmte ein neuer Konflikt die große Politik: der Kalte Krieg zwischen den USA und der Sowjetunion sowie ihren jeweiligen Bündnissen. Wollte Präsident Harry S. Truman hier nicht ins Hintertreffen geraten, war er auf die BRD als starken Partner angewiesen. Entsprechend groß war sein Interesse am Aufbau bundesdeutscher Streitkräfte. Adenauer erkannte die Chance und machte eine militärische Einbindung der BRD in die westliche Allianz von einem Abbau des Besatzungsstatus und dem Zugeständnis nationaler Souveränität abhängig. Doch die Wiederbewaffnungsfrage war in der Bevölkerung überaus umstritten. Die Angst vor einem dritten Weltkrieg ging um. Auch einer parlamentarischen Mehrheit konnte sich Adenauer keineswegs sicher sein. Aus Sicht der Opposition bedeutete die deutsche Beteiligung an einer von Frankreich vorgeschlagenen Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) das Ende aller Hoffnungen auf eine Wiedervereinigung Deutschlands, die ja letztlich vom Wohlwollen Moskaus abhing. Adenauer hingegen setzte auf eine Politik der Stärke und Geschlossenheit, die langfristig zum Fall des Kommunismus führen sollte. Die Kontroverse eskalierte zur Verfassungskrise. Nur gegen größten Widerstand, sogar aus dem eigenen Kabinett, brachte Adenauer die sogenannten Westverträge am 26. und 27. Mai 1952 durch den Bundestag.

Entstehung

Wolfgang Koeppen benötigte für seine schriftstellerische Produktion starke äußere Anreize. Nach dem Krieg übernahm Verleger Henry Goverts für ihn die Rolle des strengen Mentors. Auf seine Anregung hatte Koeppen überhaupt das Schreiben wieder aufgenommen und mit Tauben im Gras (1951) auf sich aufmerksam gemacht. Ein finanzieller Erfolg wurde der Roman aber nicht, und so sah sich Koeppen allein aus Geldnot gezwungen, weiterzuschreiben. Um ungestört arbeiten zu können, nahm er sich ein Zimmer in einer Pension und ging nur zum Schlafen nach Hause; ein Arrangement, zu dem ihn eheliche Nöte zwangen, ausgelöst durch die Alkohol- und Tablettenabhängigkeit seiner Frau. Anfang 1953 wurde Koeppen von Goverts eine Deadline gesetzt: Bis zum April sollte er das Manuskript vorlegen. Auf der Suche nach Lokalkolorit stellte Koeppen in Bonn, dem Schauplatz des Romans, Recherchen an, sprach mit Eingeweihten des Politikbetriebs, um die Lebens- und Arbeitsbedingungen seines Helden so realistisch wie möglich darstellen zu können. Das Manuskript entstand in Stuttgart, dem Sitz des Verlags, in verschiedenen Hotels, und war im Sommer 1953 fertig. Gemeinsam mit Goverts machte Koeppen den Text druckfertig, wobei er sich von seinem Verleger zu einer weitgehenden Entschärfung vermeintlich obszöner oder pornografischer Stellen überreden ließ. Im November 1953 kam das Buch heraus.

Wirkungsgeschichte

Goverts’ Befürchtungen, mit Das Treibhaus die Politik gegen sich aufzubringen, eventuell gar mit Zensur oder einem Verbot des Werks rechnen zu müssen, bewahrheiteten sich nicht. Zwar ließ es sich beispielsweise Bundespräsident Theodor Heuss nicht nehmen, die literarische Qualität des Buchs in Zweifel zu ziehen, andererseits war von dem auflagenschwachen Roman eines literarischen Außenseiters nicht sonderlich viel zu befürchten. Ein Massenpublikum erreichte Koeppen mit Das Treibhaus nie. Die zeitgenössische Kritik reagierte gleichwohl mit teils scharfen Angriffen. Die Vorwürfe liefen im Großen und Ganzen darauf hinaus, Koeppen zum Nestbeschmutzer zu erklären, der sich, statt am Aufbau der jungen Demokratie teilzunehmen, in „porno-politischem Nihilismus“ (Salzburger Nachrichten) ergehe. In Das Treibhaus erblickte man eine pauschale Dämonisierung der Politik. Dabei bestritt Koeppen immer wieder, überhaupt einen politischen Roman geschrieben zu haben. Für ihn war Das Treibhaus ein genuin literarisches Werk, mit einer „eigenen poetischen Wahrheit“ – angesichts der zahllosen Bezüge des Buchs auf konkretes politisches Geschehen ein fragwürdiger Vorbehalt.

Immerhin gab es auch Kritiker, die sich durch die subversive Kraft der Koeppen’schen Prosa nicht zu Abwehrreflexen provozieren ließen, auch regelrechte Bewunderer, für die Das Treibhaus einer vom angestrengten Optimismus der Adenauerzeit unterdrückten, skeptischen Minderheit eine Stimme gab. Später legte sich die Aufregung ganz und öffnete einer wissenschaftlichen Betrachtung des Werks den Weg. Heute hat Das Treibhaus seinen festen Platz im Kanon der Nachkriegsliteratur, wurde erfolgreich verfilmt, auf die Bühne gebracht und als Hörspiel produziert.

Über den Autor

Wolfgang Koeppen wird am 23. Juni 1906 als uneheliches Kind in Greifswald geboren. Der Vater erkennt den Sohn nie an, deshalb verbringt dieser seine Kindheit nur in der Obhut der Mutter, zunächst in Ortelsburg in Ostpreußen. Mit 13 Jahren kehrt er nach Greifswald zurück. Um Geld zu sparen, muss der ehemalige Gymnasiast die Mittelschule besuchen, die er ohne Abschluss verlässt. 1919 beginnt er eine Buchhändlerlehre und hört Vorlesungen an verschiedenen Universitäten, vor allem in den Fächern Theaterwissenschaft und Literaturgeschichte. Stationen als Dramaturg in Würzburg (1926) und Feuilletonredakteur beim Berliner Börsen-Courier folgen. Neben Theater-, Film- und Literaturkritiken entstehen auch erste literarische Arbeiten. Ende 1933 muss Koeppen seinen Redakteursposten aufgeben. Er reist nach Italien und siedelt ein Jahr später in die Niederlande über. Zuvor erscheint sein erster Roman Eine unglückliche Liebe (1934) und ein Jahr später Die Mauer schwankt. 1938 kehrt Koeppen nach Deutschland zurück, weil er sich im Ausland keine Existenzgrundlage hat schaffen können. In Berlin schreibt er Drehbücher für die UFA, zieht dann in die Nähe des Starnberger Sees und nach München um, wo er unter anderem für Bavaria-Film arbeitet. Von 1951 bis 1954 erscheinen seine drei Romane Tauben im Gras, Das Treibhaus und Der Tod in Rom, die als „Trilogie des Scheiterns“ den Autor in der literarischen Welt bekannt machen. Koeppen schreibt in der Folge, gefördert durch den als Kulturredakteur beim Süddeutschen Rundfunk arbeitenden Alfred Andersch, vermehrt Reiseliteratur: Ende der 50er- und Anfang der 60er-Jahre veröffentlicht er nach längeren Reisen Berichte über Russland, die USA und Frankreich. 1962 wird Koeppen der Büchner-Preis verliehen. Der Autor schreibt nur noch wenig, erst 1971 wagt er sich an den Prosaband Romanisches Café und 1976 an den autobiografischen Roman Jugend. Koeppen, von der Kritik oft als großer Schweiger der deutschen Literatur bezeichnet, veröffentlicht bis zu seinem Tod vor allem kleinere Schriften, Erzählungen und weitere Reiseberichte. Er stirbt am 15. März 1996 in München.

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