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Der Ekel

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Der Ekel

Rowohlt,

15 min read
12 take-aways
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What's inside?

Ein Hauptwerk des Existenzialismus: Antoine Roquentin leidet an einem unerklärlichen Ekelreiz – hervorgerufen durch das Dasein selbst.


Literatur­klassiker

  • Roman
  • Moderne

Worum es geht

Der Würgereiz des Daseins

Antoine Roquentin widerfährt etwas Unglaubliches: Sein normales, belangloses Leben plätschert plötzlich nicht mehr so dahin wie vorher, sondern wird für ihn zur Belastung, zur Qual. Ein Stück Papier, ein Kieselstein, selbst seine eigene Hand erregen in ihm ein diffuses Unbehagen: den Ekel. Dieser Zustand verschlimmert sich zusehends. Die Menschen in der Bibliothek, seine verflossene Geliebte, seine Tischgenossen – alle rufen in ihm den Ekel hervor. Es braucht knapp 300 Seiten minutiöser Selbstbeobachtung, bis Roquentin herausfindet, was bei all diesen Gelegenheiten das Ekelgefühl in ihm ausgelöst hat: Es ist die schiere Existenz – und ihre Sinnlosigkeit. Angesichts einer Welt, in der alles ziel- und sinnlos existiert, muss sich der Mensch selbst sinnlos vorkommen. Mit Der Ekel stellte Sartre schon Jahre vor seinem philosophischen Hauptwerk Das Sein und das Nichts die Kernfragen des Existenzialismus vor. Das Buch ist schwierig, gerade weil es einen mühsamen Erkenntnisprozess beschreibt und weil Sartre unterschiedliche Darstellungsformen verwendet, um Roquentins Ekel zu schildern. Der Roman machte Sartre schlagartig bekannt und stellt die wichtigste literarische Verarbeitung seiner existenzialistischen Philosophie dar.

Take-aways

  • Der Roman Der Ekel ist ein Hauptwerk des Existenzialismus. Durch ihn wurde Jean-Paul Sartre schlagartig berühmt.
  • Der Roman ist als fiktives Tagebuch verfasst.
  • Der junge Historiker Roquentin verspürt ganz plötzlich ein unbestimmtes Ekelgefühl, das sein tägliches Leben zur Qual werden lässt.
  • Er fühlt sich einsam und der Menschheit nicht zugehörig; Menschen sind ihm gleichgültig.
  • Roquentin hofft, dass seine verflossene Liebe ihn von dem Ekel befreien kann, doch diese Hoffnung ist vergebens.
  • Mithilfe seiner Aufzeichnungen versucht er den Ursachen seines Unwohlseins auf die Spur zu kommen.
  • Schließlich erkennt er: Der Ekel resultiert aus dem Bewusstsein der eigenen Existenz und ihrer Sinnlosigkeit.
  • Nur Kunst und Musik können ihn von seinen Ekelgefühlen befreien.
  • Roquentin glaubt, seiner nutzlosen Existenz einen Sinn zu geben, indem er ein Buch verfasst.
  • Sartre entlarvt in dem Roman die Selbstzufriedenheit und Spießigkeit der Bourgeoisie und setzt ihr mit der Stadt Bouville ein hässliches Denkmal.
  • Das äußerlich handlungsarme Buch vermischt verschiedene Erzähltechniken. Im Zentrum steht der Erkenntnisprozess des Helden.
  • In den Roman packte Sartre bereits die Grundlagen seiner Existenzphilosophie, die er vier Jahre später theoretisch untermauerte.

Zusammenfassung

Erstes Auftauchen des Ekels

Nach einer mehrjährigen Forschungsreise durch Europa und den Fernen Osten logiert der Historiker Antoine Roquentin nunmehr seit drei Jahren im Hôtel Printania in der Stadt Bouville. Er hat dort historische Forschungen über einen französischen Adligen namens Marquis de Rollebon aufgenommen und schreibt nun seine Erkenntnisse nieder. Eines Tages beginnt er außerdem ein Tagebuch, um bestimmte Ereignisse und Veränderungen festzuhalten, die ihn aufs Äußerste verstören. Eine Gruppe Jungen hat flache Steine über das Wasser springen lassen. Roquentin nahm selbst einen Kiesel in die Hand und hielt ihn am äußeren Rand, um sich nicht schmutzig zu machen. Ganz plötzlich empfand er eine unbestimmte Art von Angst und ließ den Stein fallen. Die Jungen lachten und Roquentin ging weg.

Zweites Auftauchen des Ekels

Roquentins Leben ist gleichförmig und ereignislos. Er hat weder Freunde noch Verwandte. In der Bibliothek, wo er sich seinen Studien widmet, wechselt er manchmal ein paar Worte mit dem Autodidakten, einem Herrn, der ebenfalls häufig dort ist. Seine Mahlzeiten nimmt er in Gasthäusern zu sich und fragt hin und wieder die Wirtin Françoise, ob sie Zeit für ihn habe. Die beiden haben ein Arrangement: Sie braucht täglich einen Mann, und er vergisst bei jedem intimen Stelldichein seine Melancholie. Früher hatte er eine Freundin, Anny. Doch seit sie fort ist, ist er keine Beziehung mehr eingegangen. Er fühlt sich den Menschen nicht mehr zugehörig. Roquentin ertappt sich selbst dabei, wie er in sein Tagebuch einträgt, es habe sich nichts Neues ereignet. Doch das stimmt nicht: Als er am Morgen das Hotel verließ, um in die Bibliothek zu gehen, wollte er einer Gewohnheit folgend ein Stück Papier aufheben – aber es gelang ihm nicht. Er ging hin und bückte sich. Es war eine aus einem Schulheft herausgerissene Seite mit einem Diktat. Er freute sich schon darauf, sie anzufassen, doch er konnte es nicht. Für ihn war der Gegenstand etwas Lebendiges, mit dem er den Kontakt scheute, obwohl er doch genau wusste, dass er seelenlos ist. Jetzt fiel ihm schlagartig ein, was er empfand, als er den Kiesel in der Hand hielt: Ekel.

Der Spiegel

Eines Tages sitzt Roquentin in seinem Zimmer und brütet über seiner Arbeit. Das Licht der Sonne stört ihn, am liebsten würde er zu Bett gehen. Er steht auf, betrachtet sich im Spiegel und denkt, sein Gesicht mache im Gegensatz zu den Gesichtern anderer keinen Sinn. Ob er schön oder hässlich ist, sieht er nicht, er hält sich aber eher für hässlich, da man ihm das gesagt hat. Als er sein Gesicht gegen den Spiegel lehnt, verschwimmen seine Züge vollends. Er schneidet Grimassen und versinkt dabei in einen kurzen Schlummer – bis er das Gleichgewicht verliert.

Das schwarze Loch

Da es mit dem Schreiben nun überhaupt nicht mehr klappt, will Roquentin Ablenkung bei Françoise suchen. Doch sie ist nicht im Café. Stattdessen überfällt ihn hier, inmitten von Lichtern, Geräuschen und anderen Menschen völlig unerwartet wieder der Ekel. Er fühlt sich in einen Sog gerissen, Lichter, Bänke, Gerüche bilden Wirbel um ihn herum. Mit äußerster Mühe schafft er es, eine Bestellung aufzugeben. Verwirrt blickt Roquentin auf die malvenfarbenen Hosenträger von Adolphe, dem Cousin der Wirtin, der sie an der Bar vertritt. Fast sieht man sie nicht auf seinem blauen Hemd. Doch ab und zu blitzen sie auf. Noch immer ist Roquentin vom Ekel befangen, bis die Kellnerin das Grammofon einschaltet und ein Ragtime ihn in eine Art Glückseligkeit versetzt. Er fühlt, wie sein Körper hart wird und der Ekel verschwindet. Draußen weiß er nichts mit sich anzufangen, fürs Kino ist es noch zu früh. Von Menschenmassen hat er vorerst genug und geht daher in das „schwarze Loch“, den schlecht beleuchteten, etwas anrüchigen Teil des Boulevard Noir. An dunklen Mauern ohne Öffnungen geht er entlang. Seine Strümpfe sind von Pfützen durchnässt, die Ohren rot vor Kälte. Doch der Ekel ist hinter dem Bahnhof mit den hell erleuchteten Cafés zurückgeblieben und Roquentin ist glücklich.

Besuch vom Autodidakten

In der Bibliothek spricht ihn der Autodidakt an. Er bewundert Roquentin dafür, dass er ein Buch schreibt. Roquentin seinerseits wundert sich über die Lektüre des Autodidak-ten, bis ihm auffällt, dass dieser in letzter Zeit lauter Bücher gelesen hat, deren Autoren mit L beginnen: Der Autodidakt liest die Texte in alphabetischer Reihenfolge. So kam nach dem Studium der Käfer übergangslos die Quantentheorie an die Reihe. In seinem Zimmer macht Roquentin einen Bogen um den Spiegel und schwelgt in Erinnerungen an seine Reisen. Da klopft es plötzlich an der Tür. Es ist der Autodidakt, dem er versprochen hat, ihm seine Reisebilder zu zeigen. Roquentin ärgert sich nun, ihn eingeladen zu haben, und wünscht sich, dass der Autodidakt wenigstens ruhig wäre, während er die Fotos ansieht, aber er redet die ganze Zeit. Schließlich druckst er ein wenig herum und fragt dann, ob Roquentin viele Abenteuer erlebt habe. Das geht Roquentin nun wirklich zu weit. Er lehnt sich zurück, um dem Atem seines Gegenübers auszuweichen, und lenkt schnell ab. Nachdem der Autodidakt gegangen ist, grübelt Roquentin noch lange. Zwar hat er Ereignisse, Zwischenfälle erlebt, aber Abenteuer? Nein, das nicht. Dazu hätte es einen wirklichen Anfang geben müssen. Man hätte merken müssen, dass etwas passiert ist, dass etwas anders ist als vorher. Doch das war nicht der Fall. Jeder Mensch ist ein Geschichtenerzähler. Was er erlebt, erlebt er, indem er es erzählt. So wird auch das banalste Vorkommnis zum Abenteuer.

Das Spektakel

Eines Tages geht Roquentin mit einem Buch in den Park. Zunächst ist er verwundert über die Ruhe dort, doch dann wird ihm bewusst, dass Sonntag ist. Er wartet, bis die Messe vorbei ist, um einem besonderen Ereignis beizuwohnen. In der Rue Tournebride flanieren die reichen Herren mit ihren Familien und ziehen den Hut voreinander. Er reiht sich ein, um sich alles genau anzusehen. Man beäugt sich gegenseitig, wird einander vorgestellt und führt die neueste Garderobe spazieren. Als er genug hat, geht er wie alle anderen ins Gasthaus Mittag essen und beobachtet die Leute, während er vorgibt zu lesen. Danach lässt er sich im Strom der Spaziergänger am Meer entlangtreiben. Anders als am Vormittag ist die Menge nicht mehr nach gesellschaftlichen Schichten getrennt: Jetzt marschieren Unternehmer neben Beamten und kleinen Angestellten.

Einer von uns

Nach einem erfolgreichen Arbeitstag, an dem er sechs Seiten geschrieben hat, überlegt sich Roquentin während dem Sex mit Françoise, dass er einen Roman über das span-nende Leben des Marquis de Rollebon verfassen könnte. Am Fastnachtsdienstag be-kommt er einen dicken Brief von seiner ehemaligen Freundin Anny. Sie möchte ihn sehen. Doch er erinnert sich, schon häufiger solche Briefe bekommen zu haben. Wenn er dann zu ihr eilte, wusste sie nicht, weshalb er kam. Dennoch beschließt er, sie am 20. Februar in Paris zu treffen. Beim Mittagessen erinnert er sich zurück: wie sie manchmal Streit mit ihm suchte und ihn kritisierte; wie sie perfekte Momente schaffen wollte und ihm verbot, sie mit „meine liebe Anny“ anzureden. Plötzlich bemerkt er, dass ihn ein Gast, der sich der Kellnerin als Herr Achille vorgestellt hat, ununterbrochen anstarrt und offenbar Kontakt zu ihm sucht. Er ist klein und wickelt sich fröstelnd in seinen Mantel. Roquentin spürt, dass dieser Gast ist wie er. Auch er ist einsam und wartet wahrscheinlich auf seinen Ekel. Daher gibt es keine Sympathie zwischen ihnen. Roquentin fühlt sich unbehaglich, weil ein anderer ihn als jemanden erkennt, der „zu uns“ gehört.

Gedanken bei Nebel

Eines Freitags geht Roquentin in dichtem Nebel die Kasernenmauern entlang zum Café Mably. Obwohl es über zwölf elektrische Lampen verfügt, sind nur zwei eingeschaltet und die Heizung ist auch aus. Der Kellner wischt den Boden. Eine alte Frau kommt herein und fragt nach dem Chef, sie habe eine Nachricht für ihn. Als der Kellner erklärt, der Chef sei entgegen seiner Gewohnheit noch nicht vom oberen Stockwerk heruntergekommen, erwidert die Frau versonnen, er sei vielleicht tot. Dieser Gedanke lässt Roquentin nicht mehr los. Womöglich liegt der Chef des Cafés, Herr Fasquelle, tot in seinem Bett, während Roquentin selbst ahnungslos unten frühstückt. Als der Kellner kurz das Café verlässt, erwägt er nach oben zu gehen, um nachzusehen. Er steht zögernd auf, doch da kehrt der Kellner schon zurück. Schnell behauptet Roquentin, oben Geräusche und ein Röcheln gehört zu haben, und verlässt das Café. Später kehrt er fast in Panik zurück, um sich zu vergewissern, dass Herr Fasquelle nicht tot ist. Dieser hat aber lediglich die Grippe und wird von seiner Tochter gepflegt.

Der Schrecken der Existenz

Wenig später beschließt Roquentin, seine Forschungen über den Marquis de Rollebon einzustellen. Diese können ihm nichts mehr geben. Doch die Person Rollebon hatte seinen Geist gefesselt. Plötzlich hat er keine Aufgabe mehr und wird sich schmerzlich seiner eigenen Existenz bewusst. Fassungslos sieht er seine Hand an, die auf dem Tisch liegt. Sie kommt ihm vor wie ein fremdes Tier. Endlich nimmt er ein Messer und sticht zu. Das Messer ritzt nur leicht die Haut und rutscht dann ab. Blut tritt aus. Verstört verlässt er sein Zimmer und hastet ziellos durch die Straßen.

Mittagessen mit dem Autodidakten

Am Mittwoch geht er wie versprochen mit dem Autodidakten essen, obwohl er überhaupt keine Lust dazu hat. Aber es ist egal, ob er dort mit ihm am Tisch sitzt oder nicht. Der Autodidakt hat zwei Gutscheine für ein Menü. Während er selbst Radieschen als Vorspeise nimmt, bestellt er Austern für Roquentin, für die ein Aufschlag gezahlt werden muss. Der Autodidakt möchte sich mitteilen, am liebsten eine Seelengemeinschaft mit Roquentin bilden. Dieser ist froh, als das Essen kommt und der Autodidakt, der schon halb auf dem Tisch gelegen hat, sich wieder hinsetzt. Das Gespräch dreht sich um die Malerei. Beide stellen fest, dass sie nicht viel davon verstehen. Der Autodidakt zieht ein Heft mit selbst geschriebenen Maximen hervor und fragt Roquentin, ob er sie schon einmal irgendwo gelesen habe. Zunächst verneint er, doch da er die Enttäuschung im Gesicht seines Tischgenossen sieht, sagt er, doch, er habe etwas darüber gelesen. Der Autodidakt strahlt. Zutraulich eröffnet er Roquentin, er sei Sozialist und fühle sich allen Menschen verbunden. Eifrig versucht er, Roquentin zu erklären, dass man die Menschen einfach lieben müsse. Roquentin jedoch fühlt den Ekel in sich aufsteigen und verlässt eilig das Lokal.

Der Ursprung des Ekels

Am Meer wird Roquentin der Ursprung seines Ekels bewusst: Es ist die Erkenntnis, zu existieren. Jegliche Existenz aber ist überflüssig. Gleichzeitig fühlt er eine lähmende Gleichgültigkeit. Er könnte sich töten, doch damit wäre seine Existenz nicht zu Ende. Sein verwesender Körper wäre noch vorhanden. In einem Park fühlt er die knorrige Baumwurzel unter der Parkbank und denkt an ihre Existenz, die er für ebenso absurd hält wie seine eigene.

Das Treffen mit Anny

Endlich ist das lang ersehnte Treffen mit Anny da. Gleich beim Eintreten in ihre Wohnung bemerkt Roquentin die Kahlheit des Raumes. Früher hatte sie das Zimmer mit Schals und kleinen Gegenständen dekoriert. Anny ist älter und dick geworden. Ihre Arbeit als Schauspielerin hat sie hingeworfen und lässt sich seither von einem Mann aushalten. Nach einem unbehaglichen Auftakt unterhalten sich die beiden recht gut. Anny erklärt ihm, was die vollkommenen Momente für sie bedeuteten, die sie während ihrer Beziehung schaffen wollte und die er ihr immer verdorben habe. Sie sagt, es sei ihr wichtig, dass er sich nicht verändert habe, dass er ein Fixpunkt in ihrem Leben sei, dennoch wolle sie keinen weiteren Kontakt mit ihm. Roquentin erkennt für einen Mo-ment die alte Anny wieder, die er immer noch liebt. Doch dann sagt sie, sie überlebe sich selbst. Roquentin hat keine Lust mehr, sie etwas zu fragen. Er geht. Am nächsten Tag fährt er zum Bahnhof, um sie abreisen zu sehen, doch sie sprechen nicht mehr miteinander.

„Das Beste wäre, die Ereignisse Tag für Tag aufzuschreiben. Ein Tagebuch zu führen, um klar zu sehen. Sich nicht die Nuancen, die Kleinigkeiten entgehen zu lassen, auch wenn sie nach nichts aussehen, und sie vor allem einzuordnen.“ (S. 9)

Unglücklich kehrt Roquentin nach Bouville zurück, um seine Koffer zu holen. Er sucht den Autodidakten und wird in der Bibliothek Zeuge, wie dieser sich einem Jungen unsittlich nähert, es entsteht ein Aufruhr. Roquentin streift erneut durch die Straßen und überlegt sich, dass jetzt viele Menschen an den Autodidakten denken, wenn auch auf schlechte Weise. An ihn selbst hingegen denkt niemand. Doch im Gasthaus spielt die Kellnerin seine Lieblingsplatte, und er fasst den Entschluss, ein Buch zu schreiben, also einer Geschichte zur Existenz zu verhelfen: einer Abenteuergeschichte, an der andere Menschen teilhaben werden. Er hofft, durch die schriftstellerische Arbeit seine eigene Existenz rechtfertigen zu können.

Zum Text

Aufbau und Stil

Sartres Roman kreist um die grundlegenden Themen des Existenzialismus, etwa um die Depression, der sich das Individuum ausgesetzt fühlt, wenn es erkennt, dass es einsam und seine Existenz sinnlos ist. Für solche zutiefst persönlichen Inhalte hätte Sartre keine bessere Form finden können als das Tagebuch: So lässt sich vorzüglich schildern, wie Roquentins Selbstbeobachtung fortschreitet und wie er Stück für Stück seinem Ekel auf den Grund geht. Diesen langsamen, tief reflektierten Prozess variiert Sartre, indem er unterschiedliche Erzähltechniken anwendet: Neben die realistische Beschreibung von Situationen und Menschen treten ausführliche philosophische und phänomenologische Analysen (Sartres Held beschreibt, wie sich die Dinge, die er wahrnimmt, für ihn darstellen) sowie regelrecht surrealistische Passagen, in denen Roquentins Gedanken dem Leser direkt und ungefiltert mitgeteilt werden: „Zum Beispiel dieses schmerzhafte Wiederkäuen: ich existiere, das halte ich selbst in Gang. Ich. Der Körper, das lebt von ganz allein, wenn es einmal angefangen hat.“ Manchmal wird Sartres sonst eher analytisch-kühle Sprache sehr lebendig und teilweise sogar recht drastisch: „Dieser Schnurrbarttyp hat riesige Nasenlöcher, die für die ganze Familie Luft pumpen könnten und die Hälfte seines Gesichts verschlingen, aber trotzdem atmet er durch den Mund, wobei er ein bisschen schnauft.“ Fast schon typisch für Romane im Tagebuchstil ist die Vorspiegelung von Authentizität: Im Vorwort weist ein fiktiver Herausgeber darauf hin, dass das Tagebuch aus dem Nachlass Roquentins stamme und unverändert gedruckt worden sei.

Interpretationsansätze

  • Ein Hauptfaktor für Roquentins Ekel ist die Entdeckung der Kontingenz. Damit ist die Zufälligkeit der Ereignisse gemeint, die Roquentin widerfahren: Die Zufälligkeit des Daseins läuft einer sinngerichteten Notwendigkeit zuwider und verstärkt somit den Zustand der Sinn- und Hoffnungslosigkeit.
  • Roquentins Abkehr von seinen historischen Studien unterstreicht seine Exis-tenznot: Er begreift, dass ihm die Erforschung der Lebensgeschichte des Marquis de Rollebon als Existenzberechtigung diente. Entsprechend verloren und unnütz empfindet er sich, nachdem er die Studien niedergelegt hat. Am Ende findet er eine neue Existenzberechtigung in dem Plan, ein Buch zu verfassen.
  • Der Roman endet nicht mit dem Selbstmord Roquentins, der angesichts seines Existenz-Ekels vielleicht logisch erscheinen müsste. Aber ein Selbstmord wird nicht als Lösung verstanden, weil sich damit die Existenz des Körpers nicht auslöschen lässt. Sein Heil sucht Roquentin stattdessen in der literarischen Produktion, im künstlerischen Schaffensprozess. Zuvor hat vor allem die Jazzmusik in seinem Stammlokal den Ekelreiz kurzfristig beruhigen können. Sartre propagiert also die Kunst als Heilmittel gegen die Existenzangst.
  • Sartre richtet sich mit seinem Roman gegen die Spießigkeit der Bürgerlichen, die er einmal als „Schweinehunde“ bezeichnet hat. Das wird besonders deutlich, wenn er das Verhalten der unterschiedlichen Schichten nach dem sonntäglichen Kirchgang beschreibt. Entsprechend bezeichnend ist der Name der Stadt, in der sich Roquentin aufhält und die offensichtlich nach dem Vorbild von Le Havre gestaltet ist: Bouville bedeutet in etwa „Drecksstadt“.

Historischer Hintergrund

Die Existenzphilosophie

Die Existenzphilosophie des 20. Jahrhunderts, zu deren bedeutendsten Vertretern Jean-Paul Sartre zählt, besteht aus verschiedenen Strömungen, die sich teilweise erheblich voneinander unterscheiden. Gemeinsam ist ihnen, dass sie sich mit den Fragen der menschlichen Existenz in der Welt befassen. Der Däne Sören Kierkegaard gilt als der eigentliche Begründer dieser Philosophierichtung. Kierkegaard behauptete, der Mensch werde völlig bindungslos in die Welt hineingeboren. Er müsse als „Sein, das sich zu sich selbst verhält“, seine eigene Bestimmung finden, sich so definieren, dass er sich selbst annehmen könne. Sartres Variante der Existenzphilosophie wird gemeinhin als französischer Existenzialismus bezeichnet. Dieser ist – im Gegensatz zu Kierkegaards Lehre – nihilistisch und atheistisch. Sartre unterscheidet in seiner Ontologie (der Lehre vom Sein) die Essenz und die Existenz. Für den Menschen gelte, dass bei ihm die Existenz (also das schiere Dasein) der Essenz (dem, was er ist, was ihn ausmacht, wie er sein sollte) vorausgehe. Für den Menschen existieren demnach keine Werte, Maximen, Lebensrichtlinien, nach denen er leben und an die er sich halten kann, ebenso wenig wie ein Gott, der ihm Sinn und Lebenshoffnung geben könnte. Aus dieser deprimierenden Situation heraus entsteht nach Sartre die Existenznot des Menschen: Er lebt in Angst und muss beständig eine Wahl treffen, wie er sein Leben führen will. Hieraus leitet Sartre den bekannten Satz ab: „Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt.“ Sartre bezeichnete seine Theorie als humanistische Philosophie, weil sie den Menschen auf sich selbst zurückführe: Schließlich gebe es keinen anderen Gesetzgeber, der über seine Existenz verfüge.

Entstehung

Im Jahr 1931 unterrichtete Sartre Philosophie an einem Gymnasium in Le Havre, einer Stadt, die ihn schrecklich langweilte. Was ihm besonders missfiel, war die optimistisch-positive Philosophie, die er seinen Schülern laut Lehrplan vermitteln sollte. Darum arbeitete er an einem Factum sur la contingence (Streitschrift über den Zufall). Das Werk wurde jedoch nicht fertig. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Simone de Beauvoir begann er sich für Sigmund Freuds Psychoanalyse und die Phänomenologie Edmund Husserls zu interessieren. Um seine Studien zu vertiefen, zog er für ein Jahr als Stipendiat des Institut Français nach Berlin. Endlich nahm er die Arbeit an seinem Factum wieder auf und begann, die Streitschrift zu einem Roman umzuformen. Sein Ziel war es, „in literarischer Form metaphysische Wahrheiten“ zu formulieren, wie es Simone de Beauvoir ausdrückte. Der Romanentwurf trug den Titel Melancholia. Nach der Rückkehr aus Berlin fühlte sich Sartre selbst melancholisch, depressiv und deplatziert. Die Weltwirtschaftskrise hatte Le Havre mit Verzögerung erreicht und voll getroffen. Inzwischen ließ sich Sartre von einem befreundeten Arzt die bewusstseinserweiternde Droge Meskalin spritzen. Die Folgen waren Angst- und Panikattacken. Wie im Fieberwahn beendete er 1936 Melancholia und reichte das Manuskript beim Verlag Gallimard in Paris ein. Er war enttäuscht, als sein Werk abgelehnt wurde, arbeitete aber die erzählenden Passagen weiter aus. 1938 erschien der Roman, auf Wunsch des Verlegers unter dem Titel La Nausée, doch noch bei Gallimard, nachdem Sartre viel Text gestrichen oder umgearbeitet hatte.

Wirkungsgeschichte

Der Ekel wurde bei seinem Erscheinen 1938 sehr gut aufgenommen, Sartre quasi über Nacht berühmt. Zu den ersten Rezensenten zählte Albert Camus. In seiner Besprechung ging er mit dem Roman allerdings nicht gerade zimperlich um und beklagte vor allem, dass bei Sartre Erzählung und Philosophie zusammen kein Kunstwerk bildeten und zu schroff getrennt nebeneinanderstünden. Dennoch schloss er seinen Artikel mit den Worten: „Der Ekel kann als das erste Werk eines originellen und energischen Geistes betrachtet werden, dessen weitere Werke und Lektionen wir ungeduldig erwarten.“ Für Sartres Karriere und seine Bedeutung in der Philosophiegeschichte war Der Ekel in mehrfacher Weise bedeutend: Er enthält bereits die Grundlagen seiner späteren Existenzphilosophie und brachte Sartre den von ihm angestrebten Ruf ein, Philosoph und Romancier in einer Person zu sein. Dem Roman ließ er wenige Jahre später mit Das Sein und das Nichts (1941) sein philosophisches Hauptwerk folgen. Hierdurch avancierte er zum Kopf des französischen Existenzialismus. Da seine Form der Existenzphilosophie im Kern atheistisch und nihilistisch war, aber gleichzeitig die Freiheit des Individuums betonte, bot sie insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg eine philosophische Antwort auf das Gefühl der Leere und Sinnlosigkeit, das die Grauen des Krieges auslösten. Den Menschen, die heute mit dem Existenzialismus nicht mehr viel anfangen können, bleibt Sartre wenigstens als der schlaue Kopf in Erinnerung, der indirekt einen Modeklassiker des 20. Jahrhunderts schuf: Einfach einen schwarzen Rollkragenpullover überstreifen und sich in einer verrauchten Jazzspelunke eine Zigarette lässig in den Mundwinkel stecken – fertig ist der intellektuelle Existenzialist.

Über den Autor

Jean-Paul Sartre wird am 21. Juni 1905 in Paris als Sohn eines Marineoffiziers geboren. Seine Mutter heiratet nach dem frühen Tod ihres ersten Mannes wieder und zieht nach La Rochelle. Sartre besucht, nachdem er am Atlantik sehr unglücklich war, das Pariser Lycée Henri IV als Internatsschüler und studiert anschließend Psychologie, Philosophie und Soziologie an der École normale supérieure in Paris. Er erhält die Lehrerlaubnis für die Hochschule im Fach Philosophie und lernt Simone de Beauvoir kennen, mit der er eine Lebensgemeinschaft eingeht. 1933 erhält er ein Stipendium in Berlin. Dort befasst er sich vor allem mit den Philosophien Husserls und Heideggers. Über Letzteren urteilt er bald vernichtend: „Es schien, als sei mit Heidegger die Philosophie wieder in die Kindheit zurückgefallen.“ 1938 erscheint sein Roman La Nausée (Der Ekel), mit dem Sartre schlagartig berühmt wird. 1939 wird er zum Militär eingezogen, gerät in deutsche Gefangenschaft, wird aber 1941 wieder freigelassen. 1943 veröffentlicht er sein erstes philosophisches Werk L’Être et le Néant (Das Sein und das Nichts), in dem er die totale Freiheit und Verantwortung des Menschen verkündet, und verfasst sein Theaterstück Huis clos (Geschlossene Gesellschaft). Für einige Monate ist er in der französischen Résistance gegen die deut-sche Besatzung aktiv. Ab 1945 lässt er sich als freier Schriftsteller in Paris nieder. Er ist eine zentrale Figur der dortigen Intellektuellenszene und wird Herausgeber der politisch-literarischen Zeitschrift Les Temps modernes. Er lebt, arbeitet, schreibt und empfängt Gäste in den Pariser Straßencafés. 1952 tritt Sartre in die Kommunistische Partei Frankreichs ein, verlässt sie aber aus Protest gegen die blutige Zerschlagung des Ungarnaufstands 1956 wieder. 1960 erscheint sein zweites philosophisches Hauptwerk: Critique de la raison dialectique (Kritik der dialektischen Vernunft). Als ihm 1964 der Nobelpreis für Literatur verliehen werden soll, lehnt Sartre die Auszeichnung ab, da er hiermit seine Unabhängigkeit gefährdet sieht. Der Autor, der schon lange ein Augenleiden hat, ist ab 1973 praktisch blind. Er stirbt am 15. April 1980 nach langer Krankheit in Paris. Seinem Sarg folgen 50 000 Menschen.

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