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Die Klavierspielerin

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Die Klavierspielerin

Rowohlt,

15 min read
12 take-aways
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What's inside?

Elfriede Jelineks internationaler Durchbruch: Der mütterliche Terror zerstört die Kindheit der Erika Kohut, dann den Traum von der Kunst und schließlich die Liebe.


Literatur­klassiker

  • Roman
  • Gegenwartsliteratur

Worum es geht

Glanzvolle Darstellung einer zermalmten Existenz

Erika Kohut trägt ein schweres Los: Ihre ganze Kindheit musste sie dem musikalischen Ehrgeiz ihrer Mutter opfern, die sie zu einer Meisterpianistin dressieren wollte. Aus der Konzertkarriere ist nichts geworden, doch noch mit 36 Jahren bleibt die Klavierlehrerin Erika im Gefängnis ihrer Mutter eingesperrt. Sie teilt Tisch und Bett mit dem Fleisch gewordenen Albtraum; durch mütterlichen Kontrollwahn und Quälereien wird die Tochter seelisch zerstört. Erika ist körperlich gefühllos geworden und flüchtet sich in Selbstzerfleischung und voyeuristische Eskapaden. Als sich ihr Schüler Walter Klemmer in sie verliebt, wittert Erika die unverhoffte, späte Erfüllung ihrer Liebesträume. Doch was eine sommerliche Romanze hätte werden können, endet im gewalttätigen Desaster ... Die Klavierspielerin brachte Elfriede Jelinek literarischen Weltruhm. In ihrem einzigartigen musikalischen Sprachfluss erzählt die Autorin eine schockierende Geschichte der Entwürdigung, die ihrem eigenen Lebenslauf sehr ähnlich ist. Gespickt mit Obszönitäten, viel Sarkasmus und Spott lässt dieser literarische Parforceritt keinen Leser in Ruhe.

Take-aways

  • Mit Die Klavierspielerin schaffte Elfriede Jelinek 1983 ihren internationalen Durchbruch.
  • Die Klavierlehrerin Erika Kohut lebt zusammen mit ihrer tyrannischen Mutter in einer kleinen Wohnung.
  • Schon als Kind wurde sie zur Pianistin gedrillt und jeglicher freien Entwicklung beraubt.
  • Erika sucht ihre sexuelle Erfüllung vergeblich in schäbigen Pornokinos, als Voyeurin und in der Selbstverstümmelung.
  • Als der talentierte Klavierschüler Walter Klemmer sich in sie verliebt, ist Erika unfähig, ihm ihre Gefühle mitzuteilen.
  • Stattdessen überreicht sie ihm einen Brief, in dem sie sich wünscht, von ihm sexuell erniedrigt, gefesselt und gequält zu werden.
  • Der Schüler versteht nicht, dass Erika sich in Wahrheit das Gegenteil wünscht, und entwickelt einen sadistischen Ehrgeiz.
  • Er überfällt die Kohuts mitten in der Nacht, schlägt die Mutter nieder, misshandelt und vergewaltigt Erika auf brutale Weise.
  • Erikas Träume von einem Ausbruch aus ihrem Gefängnis zerplatzen, sie bohrt sich am Ende ein Messer in die Schulter.
  • Die Titelfigur des Romans weist zahlreiche biographische Parallelen zu der Autorin auf.
  • Die Klavierspielerin vereinigt Jelineks faszinierende Sprachkunst mit ihrer provokativen Darstellung von Unterdrückung und Selbstzerstörung.
  • Die Autorin, in ihrer Heimat Österreich häufig angefeindet, erhielt 2004 den Nobelpreis für Literatur.

Zusammenfassung

Mutter und Tochter Kohut

Die Klavierlehrerin Erika Kohut ist Mitte 30. Sie lebt in einer ärmlichen Wiener Wohnung zusammen mit ihrer ältlichen Mutter, die die erwachsene Tochter ständig überwacht und terrorisiert. Die Tochter hat keinen Privatraum, keinen Schlüssel für ihr Zimmer, sie geht kaum aus und schläft im Ehebett neben der Mutter. Außer der Musik und der Mutter hat in Erikas Leben nichts Platz. Manchmal kauft sie auf dem Heimweg vom Konservatorium ein Kleid, um durch Eitelkeit aus dem Regime der Mutter auszubrechen. Doch die durchsucht ihre Taschen nach solchen Fummeln und verbietet Erika sie zu tragen. Mutter und Tochter streiten heftig über solche Äußerlichkeiten. Jedes Mal, wenn Erika zu spät nach Hause kommt, wird sie bestraft.

„Die Klavierlehrerin Erika Kohut stürzt wie ein Wirbelsturm in die Wohnung, die sie mit ihrer Mutter teilt. Die Mutter nennt Erika gern ihren kleinen Wirbelwind, denn das Kind bewegt sich manchmal extrem geschwind. Es trachtet danach, der Mutter zu entkommen. Erika geht auf das Ende der Dreißig zu.“ (S. 7)

Die tyrannische Mutter lässt Erika keinen Platz für andere Bekanntschaften, schon gar nicht für Männer. Sie hat in ihrem Kontrollwahn stets die Zukunft im Blick: Sie freut sich auf Erikas Pensionierung, wenn sich die beiden Frauen vom hart Ersparten eine Eigentumswohnung leisten wollen. Die Einzelgängerin Erika lässt ihren Frust unterdessen an ihren Klavierschülerinnen aus. Es bereitet ihr außerdem Vergnügen, im Gedränge der Straßenbahn anderen Frauen unbemerkt gegen die Ferse zu treten oder eine desorientierte Fremde in ihrem Quartier hilflos ihrem Schicksal zu überlassen.

„So gut wie nie verirrt sich eine Frau hierher, aber Erika will ja immer eine Extrawurst haben. Sie ist eben so. Wenn viele so und so sind, dann ist sie prinzipiell das Gegenteil davon.“ (S. 53)

Erika ist eine komplett unauffällige Person, nur ihr Können am Klavier sticht hervor. Für eine ruhmvolle Karriere als Pianistin ist es jedoch längst zu spät, die Lehrtätigkeit am Konservatorium bildet der Höhepunkt ihrer musikalischen Existenz. Einer ihrer Schüler, der talentierte und eitle Technikstudent Walter Klemmer, bemüht sich besonders emsig und hat sich offenbar in sie verliebt.

Masochistische Zerfleischung

Schon in ihrer Jugend hatte Erika keine Freiheit, ihre Mutter zwang sie auch während der Ferien zu ständigem Üben. Erika wurde darauf abgerichtet, eine brillante Musikerin zu werden, und war von normalen jugendlichen Vergnügungen ausgeschlossen. Beim einmaligen Balgen mit dem schönen Cousin Burschi in knappen roten Badehosen entwickelte sie eine Obsession für das männliche Geschlechtsteil. Statt mit den anderen Jugendlichen zu spielen, schnitt sich Erika mit einer Rasierklinge die Handrücken auf. So sehr sich auch die erwachsene Erika nach Männern sehnt, so wenig ist sie in der Lage, ihnen zu begegnen. Ihren Blicken weicht sie steif aus und flüchtet sich stattdessen in eine Peepshow. Im genauen Zuschauen findet sie ihr einziges, wenn auch unbefriedigendes Vergnügen.

„Erika schaut ganz genau zu. Nicht um zu lernen. In ihr rührt und regt sich weiter nichts. Doch schauen muss sie trotzdem. Zu ihrem eigenen Vergnügen.“ (S. 58)

An einem Kammerkonzert, wo Erika mit ihrem Schüler Klemmer ein Duett spielt, nähert sich der junge Verliebte seiner kühlen Lehrerin, die natürlich von ihrer Mutter überwacht wird. Er teilt ihr seine Ansichten über Schubert und Bruckner mit und wird von Erika scharf abgekanzelt. Die unnahbare Frau reizt den erotischen Ehrgeiz von Walter Klemmer, der sie durch seinen Charme aus ihrem emotionalen Gefängnis befreien will. Vorerst begleitet er Mutter und Tochter zur Haltestelle der Straßenbahn und macht Erika tollkühne Avancen.

„Ein Mann, der Gattin und Kinder sorgsam zerstückelt und in den Kühlschrank packt zum späteren Verzehr, ist nicht barbarischer als die Zeitung, die es aufschreibt.“ (S. 72)

Erika erinnert sich an ihre Schulzeit, als sie aus Neid begann, Dinge zu stehlen, und eine hübsche Mitschülerin verpfiff, die sich auf dem Strich das Geld für ein schönes Kostüm verdiente. Erika verzichtet für den Traum einer musikalischen Karriere auf alles. Ihren masochistischen Trieb, das Schneiden des eigenen Körpers, hat sie inzwischen weiter fortgesetzt. Nachdem sie an Armen, Händen und Beinen nichts mehr spürt, setzt sie die Rasierklinge zwischen den Beinen an, um die Öffnung zu vergrößern. Wie üblich tut ihr nichts weh.

Keine Chance für die Liebe

In ihrer Isolation entwickelt Erika immer neue Ticks und unternimmt eigenmächtig heimliche Ausflüge. Sie meidet dabei Berührungen mit anderen Menschen. In der Masse geht die unscheinbare Frau unter, sie weicht allen Leuten aus. Ihr Vater, ein Metzger, ist früh gestorben, nachdem er die Quälereien durch seine Frau nicht mehr aushielt und in eine psychiatrische Klinik eingeliefert wurde. Erika hat seinen Platz als Opfer ihrer Mutter schnell eingenommen. Ihre freien Minuten verbringt sie oft in Pornokinos und kontrolliert zudem ihre Schülerinnen und Schüler in deren Freizeit. Einmal ertappt sie einen Schüler in einem Sexshop. In der nächsten Klavierklasse hält sie ihm eine entwürdigende Straflektion, bis er weinen muss. Zu Hause spielt sich derweil das Leben nur im Fernseher ab, vor dem die Mutter den ganzen Tag sitzt.

„Sie selbst ist alles, nur nicht schön. Talentiert ist sie, dankeschön, bitteschön, aber nicht schön.“ (S. 85)

Walter Klemmer nimmt einen nächsten Anlauf zur Eroberung seiner Lehrerin. Er fragt sie während einer Stunde, wann sie eigentlich lebe, duzt sie plötzlich und berührt sie zufällig. Es schaudert Erika zwar dabei, doch sie entwickelt ebenfalls ein Verlangen, während sie sein Spiel streng kritisiert. Nach der Stunde wehrt Erika Klemmers erneute Annäherung ab. Klemmer zieht sich in seinem Liebeskummer aufs Klo zurück und spuckt die Enttäuschung geräuschvoll ins Waschbecken. Sein Eroberungswunsch wächst noch nach dieser Abweisung seiner Lehrerin, denn er verliert nicht gern. Statt schnell zurück zur Mutter zu gehen, verfolgt Erika den Schüler auf dem Heimweg. Sie kontrolliert, welchen Mädchen er nachschaut, und stellt zufrieden fest, dass er direkt nach Hause geht.

Heimliche Ausflüge

Seit kurzem ist der Praterpark Erikas Revier. Nachts begibt sie sich in der dunklen Welt des Straßenstrichs auf die Pirsch. Mit Wanderschuhen und einem guten Nachtglas ausgerüstet, schreitet Erika allein in dieser unheimlichen Gegend, um im Freien Liebespaare zu beobachten. Ihrer Mutter hat sie gesagt, sie mache bei einer Kollegin Hausmusik, und diese wiederum wird beim mütterlichen Kontrollanruf ihr Alibi bestätigen, weil sie im Glauben ist, einer heimlichen Romanze wegen zu lügen. Erika entdeckt derweil ein kopulierendes Liebespaar auf einer Wiese und versteckt sich hinter einem Gebüsch. Gebannt verfolgt sie als nahe Zeugin den Akt, und ihr Körper gerät ebenfalls in einen außerordentlichen Zustand, was sich in einem unwiderstehlichen Blasendruck äußert. Als sie sich zurückziehen will, macht ein Rascheln den türkischen Liebhaber auf sie aufmerksam, und Erika wird nun ihrerseits zur Gejagten. Während das getrennte Paar hektisch im Dunkeln herumläuft, muss Erika urinieren, sie kann ihr Bedürfnis nicht mehr zurückhalten. Um Haaresbreite entgeht sie dem rasenden Türken und rennt nach Hause.

„Ihr Hobby ist das Schneiden am eigenen Körper.“ (S. 90)

Dort hat die tobende Mutter unterdessen den Inhalt von Erikas Kleiderschrank in der ganzen Wohnung verstreut. Sie zerschneidet das einzige, zeitlose Konzertkleid der Tochter und breitet die Reste so aus, dass Erika sie bei ihrer Heimkunft sofort entdecken muss. Als Erika die Wohnung betritt, wird sie von der Mutter mit Schlägen empfangen und das unzertrennliche Paar liefert sich einen verbissenen Ringkampf, in dem die Tochter Haare lassen muss. Nach einem Gutenachtkuss legen sie sich versöhnt zusammen ins Ehebett.

Blutige Eifersucht und erster Sexversuch

Erika springt bei der Probe des Kammerorchesters, die in einer Turnhalle stattfindet, für eine Schülerin ein. Der Frauenheld Walter Klemmer schäkert in den Pausen mit gleichaltrigen Mädchen und macht Erika damit eifersüchtig. Sie plant einen Racheakt. Während das Orchester spielt, schleicht sich Erika in die Garderobe und stopft die Scherben eines zerbrochenen Glases in die Manteltasche eines der Mädchen, mit dem Klemmer geflirtet hatte. Tatsächlich schneidet sich die Flötistin nach der Probe die Hand auf und schreit laut. Im Durcheinander der ersten Hilfe täuscht Erika Übelkeit wegen des Blutes vor und hat plötzlich wieder einen heftigen Harndrang. Sie geht die Treppe hinauf auf die Toilette. Klemmer folgt ihr. Der draufgängerische Schüler holt Erika aus der Kabine des Schülerinnen-WCs heraus und gesteht ihr seine Liebe. Sie lässt sich von ihm zerren und küssen, er greift ihr grob unter den Rock. Als Klemmer sie auf den Boden werfen will, unterbricht sie seinen stürmischen Angriff mit der Drohung, ihn zu verlassen, wenn er nicht aufhöre. Stattdessen macht Erika sich bei offener Türe im Schul-WC an Klemmers Penis zu schaffen, nur um ihn kurz vor der Ejakulation abrupt stehen zu lassen. Sie überhört sein Jammern und Flehen und verbietet ihm, sich selbst zu erleichtern. Dann kündigt Erika an, von nun an werde sie ihm schriftliche Anweisungen zukommen lassen, wie es weitergehe. Klemmer erholt sich überraschend schnell vom sexuellen Schock und macht sich über Erika lustig, bevor er das Schulhaus verlässt.

Ein Brief voller Missverständnisse

In der Folge lässt Klemmers Ehrgeiz in der Klavierstunde nach, nicht aber sein Liebesbedürfnis. Er will Erikas Hals küssen. Erika wird wütend und beleidigt den Mann, von dem sie sich aber insgeheim ebenfalls Liebe wünscht. Die beiden liefern sich einen Kampf der Geschlechter, sie kochen vor Liebe, finden jedoch nicht zueinander. Erika überreicht ihrem Schüler einen Brief, in dem sie alles niedergeschrieben hat, was sie nicht sagen kann. Sie verbietet Klemmer, den Brief zu lesen. Er folgt ihr auf dem Heimweg, wobei Erika in Sehnsucht und Selbstmitleid versinkt. Ihr unterdrückter Wunsch nach Liebe und sein ungestillter Drang treffen in Erikas Treppenhaus aufeinander. Erika schleppt den Schüler an der Mutter vorbei in ihr Zimmer, das die beiden mit einem schweren Möbel verbarrikadieren. Die Mutter tobt und flüchtet sich in den Likörgenuss.

„Walter Klemmer kann es sich nicht verhehlen, dass er seine Lehrerin in Betrieb nehmen möchte. Konsequent wünscht er sie zu erobern.“ (S. 126)

Als Klemmer glaubt, sich endlich auf Erika stürzen zu können, befiehlt sie ihm, zuerst den Brief zu lesen. Dieser ist voll von grausamen Beschreibungen der masochistischen sexuellen Wünsche Erikas. Klemmer lacht über den Inhalt und will sich aus dem Staub machen. Doch Erika bittet ihn, sie zur Sklavin zu nehmen und zu bestrafen, wobei sie insgeheim dennoch hofft, dass ihr diese Qualen erspart bleiben. Sie zeigt ihm Seile und Ketten, mit denen er sie fesseln, quälen und demütigen soll. Klemmer ist von diesem schockierenden Ansinnen überfordert und enttäuscht, dass sie ihm jeden anderen Liebesgenuss verweigert. Er ahnt nicht, dass sie sich eigentlich das Gegenteil ihrer Befehle von ihm wünscht: Auch sie träumt von zärtlicher Liebe, bringt ihren Wunsch aber nicht über die Lippen. Klemmer begreift das nicht, schlägt die Tür zu und geht. Erika legt sich zur schlafenden Mutter ins Ehebett und beginnt in einem verzweifelten Liebesangriff sie zu küssen. Die Mutter kann ihre Tochter mit Schlägen und Worten abschütteln, bevor die beiden Frauen Seite an Seite einschlafen.

Brutaler Schluss

Klemmer ist beeindruckt und fasziniert von der krankhaften Herausforderung, die der Brief für ihn darstellt. Erikas Wünsche haben das Böse in ihm herausgefordert. Als sie eines Tages in Wandermontur bei ihm in der Klarinettenklasse auftaucht, um ihn zu einem Ausflug abzuholen, zerrt er sie in den Putzraum, um "es" an Ort und Stelle zu tun. Doch die sexuelle Vereinigung wird wieder zum Desaster: Weil er muss, kann er nicht. Verzweifelt versucht das ungleiche Paar trotzdem zusammenzukommen. Sadistisch stopft er ihr seinen schlaffen Penis in den Mund, bis sie sich übergeben muss. Weil er sie nicht beglücken kann, beleidigt der enttäuschte Klemmer seine hilflose Gespielin und rät ihr, aus der Stadt zu verschwinden. Beide verlassen verstört das Konservatorium. Zu Hause quält Erika sich selbst mit Wäscheklammern und Stecknadeln und weint in tiefster Einsamkeit.

„Erika wird sich aus Liebe verweigern und verlangen, dass mit ihr geschehen soll, was sie in dem Brief bis ins Detail gehend fordert, wobei sie inbrünstig hofft, dass ihr erspart bleibe, was sie in dem Brief verlangt.“ (S. 216)

Klemmer wütet derweil nachts durch einen Park. Er verspürt das Verlangen, einen der Flamingos zu töten. Stattdessen trifft er auf ein junges Liebespaar, das er mit einem Knüppel aufschreckt und vertreibt. Wie von Sinnen trampelt er eine liegen gelassene Strickjacke in den Waldboden, bevor er zu Erikas Wohnung hetzt. Wütend steht er vor dem verschlossenen Tor und onaniert, während er zu Erikas Fenster emporschaut. Dann ruft er sie von einer Telefonzelle aus an, und Erika lässt ihn mitten in der Nacht ein. Brutal stößt er sie in die Wohnung und ohrfeigt sie. Die vom Lärm aufgeweckte Mutter schlägt er zu Boden und schließt sie in ihrem Zimmer ein. Obwohl Erika weint, obwohl sie ihm nun ihre wahren Wünsche offenbart und sich flehend wehrt, schlägt Klemmer sie weiter, tritt ihr in Bauch und Rippen und vergewaltigt sie schließlich auf dem Boden, abwechselnd um Liebe bettelnd und prügelnd. Mit der drohenden Mahnung, niemandem etwas zu erzählen, und einer Entschuldigung verschwindet er.

„Sie erhofft sich zumindest leidenschaftliche Küsse bittesehr. Klemmer beantwortet die Frage mit danke nein. Sie wünscht sich innigst, dass er, anstatt sie zu quälen, die Liebe in der österreichischen Norm an ihr tätigt.“ (S. 234)

Am nächsten Tag geht Erika aus dem Haus, mit Pflastern versehen. Auf eine Anzeige gegen Klemmer verzichtet sie. Doch Erika hat ein scharfes Messer in ihre Handtasche gepackt. In einem lächerlichen Halbminikleid macht sie sich auf zu der technischen Hochschule, wo Klemmer studiert. Während die Passanten sie anstarren, denkt sie an Mord. An der Hochschule entdeckt sie Klemmer lachend in einer Gruppe von Mitschülern. Er hat seinen Arm fröhlich um ein Mädchen gelegt und ignoriert seine Klavierlehrerin. Erika schaut konzentriert zu, bis die Gruppe mit Klemmer sich scherzend entfernt. Dann sticht sie sich selbst das Messer in die Schulter. Sie steckt das Messer zurück in die Tasche und geht blutend nach Hause.

Zum Text

Aufbau und Stil

Jelineks knapp 300 Seiten starker Roman ist in zwei Teile gegliedert. Die Geschichte spielt in Wien Anfang der 1980er Jahre. Sie wird chronologisch erzählt, wobei im ersten Teil der Alltag und mit diversen Rückblenden die verhängnisvolle Jugend der Klavierlehrerin Erika Kohut geschildert werden. Der zweite Teil gibt die dramatische Entwicklung der unglücklichen Liebesgeschichte wieder.

Interpretationsansätze

  • Im Roman werden die Musik und der Körper durchwegs mit wirtschaftlichen Maßstäben gemessen. Darin äußert sich Jelineks Kapitalismuskritik: Erikas Kapital wird von ihrer Mutter ausgebeutet, ihr Talent und ihr Gefühl werden in dieser Zwangswirtschaft zerquetscht.
  • Die schockierende (Selbst-)Zerstörung der Erika Kohut dient als extremes Beispiel für das Schicksal vieler Opfer des Kapitalismus. Die krassen Bilder veranschaulichen die demütigende Macht von Autoritäten und kritisieren die starren gesellschaftlichen Strukturen.
  • Durch die Darstellung der katastrophalen Beziehung zwischen Erika Kohut und Walter Klemmer bringt die Autorin ihre feministische Kritik an der Ausbeutung und Unterdrückung der weiblichen Sexualität zum Ausdruck.
  • Der Roman zeichnet sich durch hohe Sprachkunst aus: Mit grotesken Übertreibungen und bitterem Witz zeichnet Jelinek eine Karikatur des kleinbürgerlichen Universums, in dem die Menschen kein Glück finden können. Zahlreiche sprachliche Klischees werden ironisch zitiert. Obszöner Pornoslang oder bürokratische Floskeln werden aufgeblasen, absurd kombiniert und sind so eine Parodie ihrer selbst.
  • Die Klavierspielerin zeigt etliche autobiographische Anklänge. Es ist dasjenige Werk von Elfriede Jelinek, in dem sie am deutlichsten ihr eigenes Leben, ihre aufgezwungene musikalische Erziehung, die schwierige Beziehung zu ihrer Mutter und ihren Selbsthass thematisiert. Die Mutter-Tochter-Beziehung bietet Stoff für viele psychoanalytische Deutungen.

Historischer Hintergrund

Feministische Gesellschaftskritik

Als Feminismus bezeichnet man die Frauenrechtsbewegung, die von einem Kampf der Geschlechter ausgeht. Der Feminismus wendet sich gegen die Vorherrschaft der Männer und will die Unterdrückung der Frauen in der Gesellschaft beseitigen. Schon im 19. Jahrhundert wurde der Begriff des Feminismus verwendet, heute ist die feministische Bewegung in zahlreiche theoretische und politische Richtungen gespalten. Anfang des 20. Jahrhunderts war das Ziel der Frauenbewegung vor allem die Gleichstellung in Politik und Beruf. Als unbestrittene Erfolge der Bewegung gelten die Erstreitung des Wahlrechts für Frauen in den westlichen Ländern sowie des Zugangs zu allen Berufen für beide Geschlechter. Obwohl Chancen- und Lohngleichheit mittlerweile in vielen Staaten gesetzlich verankert sind, bleibt die Umsetzung der weiblichen Emanzipation ein wichtiges feministisches Anliegen. Im Gegensatz zur bürgerlichen Frauenbewegung, die das kapitalistische Gesellschaftssystem nicht in Frage stellt, ist der sozialistische Feminismus radikal: Er sieht die Abschaffung des Kapitalismus als Voraussetzung für die Befreiung der Frauen an. Für diesen sozialistischen Feminismus liegt der Grund für die Unterdrückung der Frau in den gesellschaftlichen Strukturen, dem so genannten Patriarchat. Im radikalen Feminismus werden die Geschlechter als grundsätzlich gleich angesehen, die Unterschiede zwischen Mann und Frau werden demnach allein durch Machtstrukturen und Sozialisation begründet. Radikale Feministinnen streben die Ablösung des Patriarchats durch eine Gesellschaft an, die ohne geschlechtertypische Vorgaben auskommt. Dies soll alle Menschen in die Lage versetzen, statt nach Geschlechterrollen nach ihren individuellen Fähigkeiten und Neigungen zu leben.

Entstehung

Elfriede Jelinek hat in ihrer literarischen Karriere viele verschiedene Ausdrucksformen ausprobiert. In den 1960er Jahren, während ihrer Schulzeit und dem Studium, veröffentlichte sie vor allem Gedichte und Kurzprosa. In den 1970ern machte sie sich als Hörspielautorin einen Namen und schrieb daneben experimentelle Prosa, die oft parodistische Zitate oder Textcollagen enthielt. Sie war und ist eine kompromisslose Verfechterin von feministischen und marxistischen Anliegen, die radikale Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft zieht sich durch ihr ganzes Werk. In Die Klavierspielerin aus dem Jahr 1983 knüpfte Jelinek stilistisch und thematisch an ihr früheres Werk Die Liebhaberinnen an: Dieser 1975 erschienene Roman ist eine feministische Karikatur des Heimatromans, in dem die Chancenlosigkeit zweier Akkordarbeiterinnen im österreichischen Kleinbürgertum geschildert wird. Die Klavierspielerin gilt als das am stärksten autobiographisch geprägte Werk Jelineks. Sie thematisiert hier u. a. ihre Vergangenheit als gescheitertes musikalisches Wunderkind: Jelinek schloss das Wiener Konservatorium als Organistin ab, verzichtete jedoch auf eine musikalische Karriere. Auch die schwierige Beziehung zu ihrer autoritären Mutter, die im gleichen Haus wie die Schriftstellerin lebte, spiegelt sich in der Mutter-Tochter-Ehe des Romans wider.

Wirkungsgeschichte

Als Die Klavierspielerin 1983 erschien, war Elfriede Jelinek im deutschsprachigen Bereich schon eine etablierte und mehrfach ausgezeichnete Autorin, doch mit diesem, ihrem fünften, Roman legte sie definitiv den Grundstein für ihren Ruf als kontroverseste Schriftstellerin Österreichs. Im gleichen Jahr sorgte die Uraufführung ihres Dramas Burgtheater für den ersten großen Skandal. Das Stück kritisiert die unvollständige Vergangenheitsbewältigung Österreichs in Bezug auf den Faschismus. In der öffentlichen Polemik um das Stück wurde Jelinek vor allem wegen der zahlreichen Anspielungen auf prominente Nazi-Mitläufer angeprangert. Jelinek hatte sich in Österreich also bereits den Ruf einer Nestbeschmutzerin erarbeitet, und die Kritik nahm ihren neusten Roman zwiespältig auf. Die Klavierspielerin wurde zuerst vorwiegend biographisch interpretiert; das Buch brachte Jelinek die erste große internationale Anerkennung ein, u. a. 1986 den Heinrich-Böll-Preis. Heute gilt der Roman in der Literaturwissenschaft als eines ihrer bedeutendsten Werke und wird vor allem auf Grund des außergewöhnlichen Tons gelobt, aber auch für die unbarmherzige, extrem realistische Wiedergabe der Opfergeschichte.

2001 wurde Die Klavierspielerin vom österreichischen Regisseur Michael Haneke verfilmt, was auch ihm zu internationalem Ruhm verhalf. Die französische Produktion triumphierte am Filmfestival in Cannes mit drei Preisen: dem großen Preis der Jury sowie den Preisen für die beste Darstellerin (Isabelle Huppert als Erika Kohut) und den besten Darsteller (Benoît Magimel als Walter Klemmer). Der Film hält sich sehr eng an die literarische Vorlage und wurde von der Kritik für die gelungene, kühle Bildsprache gelobt. Vom Publikum dagegen wurde die schonungslose filmische Umsetzung des erschütternden Stoffes ähnlich wie schon beim Buch sehr zwiespältig aufgenommen.

Über den Autor

Elfriede Jelinek wird am 20. Oktober 1946 in Mürzzuschlag in der Steiermark geboren. Sie wächst in Wien auf, wo sie bis heute lebt und arbeitet. Ihr Vater ist jüdischer Herkunft. Er kann der Verfolgung durch die Nazis dank seiner "kriegswichtigen" Arbeit als Chemiker entkommen; in den 1950er Jahren erkrankt er psychisch. Die Mutter stammt aus dem katholischen Großbürgertum. Während des Gymnasiums beginnt Elfriede am Konservatorium eine Ausbildung in Orgel, Klavier und Blockflöte. Nach dem Abitur studiert sie außerdem Theaterwissenschaften und Kunstgeschichte und schreibt erste Gedichte. Nach einem psychischen Kollaps bricht sie das Studium ab und lebt 1968 ein Jahr lang völlig isoliert in ihrem Elternhaus. Nachdem ihr Vater 1969 in einer psychiatrischen Klinik gestorben ist, engagiert sie sich in der Studentenbewegung und schließt ihr Orgelstudium ab. Sie schreibt nun erfolgreiche Hörspiele und erhält 1972 das österreichische Staatsstipendium für Literatur. Jelinek lebt zeitweise in Berlin und Rom und tritt 1974 der Kommunistischen Partei Österreichs bei, für die sie sich bis zu ihrem Austritt im Jahr 1991 engagiert. 1974 heiratet sie den Münchner Informatiker Gottfried Hüngsberg, die Ehepartner beziehen aber nie eine gemeinsame Wohnung. In den 1970er Jahren erscheinen die Romane wir sind lockvögel baby! (1970), Michael (1972) und Die Liebhaberinnen (1975). Mit Die Klavierspielerin (1983) erlangt sie internationale Bekanntheit. Ihr Buch Lust (1989), das provokative Protokoll einer sadomasochistischen Ehe, erregt noch mehr Aufsehen. In der österreichischen Öffentlichkeit wird die streitbare Autorin wiederholt persönlich angegriffen und erlässt in der Folge Aufführungsverbote ihrer Werke. Die Spannung zwischen ihrer genialen, anklägerischen Sprachkraft und ihrer neurotischen, geheimnisvollen Persönlichkeit polarisiert. Mit der Rolle des Enfant terrible spielt sie selbst, indem sie sich als "meistgehasste Schriftstellerin" bezeichnet. Jelineks Werk wurde bereits mit zahlreichen namhaften deutschsprachigen Literaturpreisen ausgezeichnet und 2004 gar mit dem Nobelpreis gewürdigt.

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