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Gegen den Strich

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Gegen den Strich

Insel Verlag,

15 min read
12 take-aways
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What's inside?

Die selbstbezogenen ästhetischen Ausschweifungen eines Dandys – dieses Buch ist die „Bibel der Dekadenz“.

Literatur­klassiker

  • Roman
  • Fin de siècle

Worum es geht

Die Grenzen der Dekadenz

Kann ein Mensch sich, von seiner Zeit enttäuscht, völlig in eine eigene Welt zurückziehen, sofern er die nötigen finanziellen Mittel dazu hat? Am Ende des 19. Jahrhunderts war das eine Frage, die viele Intellektuelle ansprach. Während das neue Jahrhundert nahte, machte sich eine Art Endzeitstimmung breit. Es gab zahlreiche Anlässe und Gründe, moralische Zerfallserscheinungen zu diagnostizieren. Joris-Karl Huysmans gelang es mit diesem Roman, der Frage der ästhetisch verbrämten Isolation in überzeugender Weise nachzugehen. Angewidert von den eigenen Ausschweifungen und von seinen Zeitgenossen, die sich weiterhin unbekümmert belanglosen Zerstreuungen und Lastern hingeben, versucht der Protagonist Jean des Esseintes - am Ende vergeblich -, seiner Zeit durch die Schaffung einer künstlichen Umgebung fernab des gesellschaftlichen Trubels zu entfliehen. Huysmans liefert mit Gegen den Strich eine glaubwürdige Analyse der psychischen Gefahren eines solchen Unterfangens. Er zeigt auf, dass selbst höchste ästhetische Ansprüche keinen Ersatz für die notwendige Auseinandersetzung mit der eigenen Zeit darstellen. Das Fazit: Man kann die Begrenzungen der eigenen Epoche zu ignorieren versuchen, einfach und bequem entfliehen kann man ihnen auf jeden Fall nicht.

Take-aways

  • Huysmans’ Werk gilt als Meilenstein und Maßstab der Dekadenzliteratur.
  • Mit der Figur des Jean des Esseintes hat er den ultimativen Dandy geschaffen.
  • Angewidert von den Belanglosigkeiten seiner Zeit beschließt des Esseintes, sich in seine eigene, künstliche Welt zurückzuziehen.
  • Er verkauft seine Güter und richtet sich ein Haus fernab der Gesellschaft nach seinem eigenen Gutdünken ein.
  • Als sich bei ihm erste Zweifel an dieser Lebensweise einstellen, findet er dank seiner umfangreichen finanziellen Mittel zunächst noch Wege, sich erfolgreich abzulenken.
  • Jeans Flucht in die selbstbestimmte Ästhetik wird aber zunehmend durch aufbrechende neurotische Symptome bedroht.
  • Nach einem ersten Zusammenbruch beschließt er, seine selbst gewählte Isolation aufzugeben und nach England zu reisen.
  • In Paris genießt er einen Nachmittag in einem englischen Buchladen und einem englischen Lokal.
  • Während ihn lähmende Zweifel überkommen, ob sich die Reise wirklich lohnt, verpasst er den Zug und beschließt, in sein Haus außerhalb von Paris zurückzukehren.
  • Dort findet er aber keinen Frieden und wird von religiösen Zweifeln und Halluzinationen geplagt.
  • Nach einem weiteren gesundheitlichen Zusammenbruch eröffnet ihm sein Arzt, dass er nur dann überleben kann, wenn er in die Gesellschaft zurückkehrt.
  • Wie viele andere Autoren der dekadenten Literatur konvertierte Huysmans später zum Katholizismus.

Zusammenfassung

Der Werdegang eines Dandys

Der Herzog Jean des Esseintes wächst als letzter Spross einer einst mächtigen Adelsfamilie in weitgehender Vernachlässigung auf. An seine Mutter bleibt ihm nur die Erinnerung, dass sie in den verdunkelten Räumen des Familienschlosses lebte und ihn größtenteils sich selbst überließ. Der Vater ist meist in Paris und besucht die Familie nur selten. Jean verbringt seine Schuljahre in der Obhut von Jesuiten, die schon bald die hohe Intelligenz des Jungen erkennen, aber auch seinen Unwillen, sich mit Lehrthemen zu befassen, die ihn nicht interessieren, wie etwa den Naturwissenschaften. Sie behandeln ihn mit Milde und Nachsicht, da sie ihn nicht durch Strenge gegen sich und die katholische Religion aufbringen wollen. Im Alter von 17 Jahren ist der Junge Vollwaise.

„Von dieser Familie, einst so zahlreich, dass sie fast alle Gebiete der Île-de-France und der Brie innehatte, lebte ein einziger Nachkömmling, der Herzog Jean, ein schmächtiger junger Mann von dreißig Jahren, blutarm und nervös, hohlwangig, mit kalten, stahlblauen Augen, einer vorwitzigen und dennoch geraden Nase, mit dürren und schwächlichen Händen.“ (S. 35 f.)

Als Jean dann das Alter erreicht, in dem er die Jesuitenschule verlassen muss, versuchen sich zunächst seine ältlichen adligen Verwandten seiner anzunehmen. Er sieht sie aber nur als vergreiste Mumien an, deren Gespräche sich immer wieder um die gleichen Belanglosigkeiten drehen, und kehrt ihnen den Rücken. Sein umfangreiches Erbe ermöglicht ihm ein ausschweifendes Leben in Paris. Allmählich beginnen ihn aber seine vielen Liebschaften zu langweilen, selbst ausgefallene "Sonderformen der Liebe" verlieren ihren Reiz. Er kann weder bei den religiös noch bei den weltlich gesinnten Altersgenossen Freunde finden, mit denen er sich identifizieren kann. Allmählich wächst in ihm das Gefühl, dass die Welt nur aus Schurken und Schwachköpfen besteht. Eine große Menschenverachtung befällt ihn.

„Schon träumte er von einem erlesenen Einsiedlerdasein, einer wohnlichen Wüste, einer fest verankerten, wohltemperierten Arche, in die er sich, fern der unablässigen Sintflut menschlicher Dummheit, flüchten konnte.“ (S. 41)

Jean beschließt, das Familienschloss zu verkaufen, in der Nähe von Paris in Fontenay-aux-Roses ein Haus zu erstehen und sich an diesem abgelegenen Ort völlig von der Gesellschaft zurückzuziehen. Er stellt sicher, dass niemand seine neue Adresse kennt. Nur ein älteres Dienerehepaar begleitet ihn in seine neue Existenz.

Das Haus in Fontenay

Nun geht des Esseintes daran, seine neue Umwelt völlig nach seinen eigenen Bedürfnissen und Wünschen zu gestalten. Während er früher in Paris durch extravagante Feste auffiel, beginnt er jetzt planmäßig, sich eine neue, künstliche Welt zu schaffen, die allein seinen eigenen Idealen zu genügen hat.

„Er gedachte einfach, sich zu seinem persönlichen Wohlbefinden und nicht mehr zur Verblüffung der anderen ein bequemes, gleichwohl auf seltene Weise zugerüstetes Interieur zusammenzustellen, sich eine ungewöhnliche und ruhige Inneneinrichtung zu gestalten, angepasst den Bedürfnissen seiner künftigen Einsamkeit.“ (S. 48)

Er teilt das neu erworbene Haus so auf, dass den beiden Dienern das Obergeschoss überlassen bleibt. Allerdings müssen sie jederzeit dicke Filzschuhe tragen, damit er nie das Geräusch ihrer Schritte über sich zu ertragen hat. Zudem lässt er ihre gut geölten Türen mit Windfangwänden versehen und ihre Diele mit tiefen Teppichen polstern.

„Bewegung dünkte ihn übrigens unnütz, und die Einbildungskraft schien ihm die gemeine Wirklichkeit der Tatsachen leicht ersetzen zu können.“ (S. 57)

Das Erdgeschoss reserviert er für seine eigenen Bedürfnisse. In der Farbgebung der Räume ist dabei für ihn entscheidend, wie die Farben sich nachts im Kerzenlicht darstellen, da er plant, tagsüber zu schlafen. Am Ende entscheidet er sich für Orange als dominante Farbe seiner Bibliothek. Seine Wände lässt er mit Kapziegenleder überziehen, da orientalische Stoffe und Teppiche selbst schon die Behausungen der neureichen Kaufleute zieren und damit entwertet worden sind. Sogar die Decke wird mit Leder bespannt, in der sich dann, wie ein riesiges Bullauge, ein Himmel aus königsblauer Seide eröffnet.

„Im Übrigen schien die Künstlichkeit des Esseintes das Unterscheidungsmerkmal des menschlichen Genies zu sein. Wie er sagte, hat die Natur ausgedient; sie hat durch die abstoßende Eintönigkeit ihrer Landschaften und ihrer Himmel die aufmerksame Geduld der Kenner endgültig erschöpft.“ (S. 59)

Das Speisezimmer wird wie eine Schiffskabine eingerichtet. Es liegt als "Zimmer im Zimmer" in dem eigentlichen Speiseraum des Hauses. Zwischen dem Fenster des Hauses und dem Bullauge seiner Kabine hat Jean ein Aquarium installiert, das mit einem Mechanismus aus Röhren und Abflüssen versehen ist, durch den es nach Belieben entleert und mit neuem Wasser gefüllt werden kann. Des Esseintes verlustiert sich gerne mit diesem Prozess, wenn er einmal zufällig bereits am Nachmittag erwacht. Auch die Fische im Aquarium sind mechanische Apparate, die von einem Uhrwerk bedient werden.

Wirklichkeitsflucht

Ingesamt bemüht sich des Esseintes, so weit wie möglich eine Umwelt zu erzeugen, die all die Reize, die die Welt zu bieten hat, auf künstliche Weise darbietet, sodass er sie genießen kann, ohne dass er dabei unnütze Bewegungen ausführen muss. Das Dorf, in dem sein neues Haus steht, kennt er kaum. Er begibt sich nur selten nach draußen, obwohl die sein Haus umgebende Landschaft zufällig durchaus einen erfreulichen Hauch von Künstlichkeit und Unwirklichkeit hat. Als er einmal ins Dorf geht, ist er über die überall in Erscheinung tretende Hässlichkeit der Bewohner entsetzt.

„In der Tat befand er sich seit einigen Tagen in einem unbeschreiblichen Seelenzustand. Er glaubte eine Sekunde lang, kehrte sich instinktiv der Religion zu, dann zerstob seine Verlockung zum Glauben beim geringsten vernunftgemäßen Einwand; aber er blieb gegen seinen Willen voller Unruhe.“ (S. 116)

Des Esseintes beginnt nun damit, seine ihm kostbaren Kunstwerke in seine künstliche Umwelt einzuordnen. Einen beträchtlichen Teil seiner Bibliothek nehmen lateinische Werke ein. Dabei hat er ganz persönlich entschieden, dass Autoren wie Vergil, Ovid oder Horaz nur geringen Wert besitzen. Auch Cicero und Caesar sagen ihm nur wenig, Petronius dagegen liebt er.

Die Schildkröte

An einem Spätnachmittag kommt ein Steinschneider ins Haus, der eine große Schildkröte mitbringt, die des Esseintes in Paris erstanden hat. Gemäß den Anordnungen von des Esseintes hat der Handwerker den Panzer dieses Tieres mit Gold überzogen und mit von des Esseintes eigens ausgewählten kostbaren Steinen besetzt. Leider war die ganze Aufregung aber anscheinend zu viel für das arme Tier, denn als des Esseintes die derart verzierte Schildkröte im Haus auf den passenden Teppich setzt, muss er feststellen, dass sie sich nicht bewegt. Eine Überprüfung fördert zutage, dass die Schildkröte tot ist.

Die Mundorgel

Besonders stolz ist des Esseintes auf seine "Mundorgel": eine Ansammlung von Likörfässchen, deren Inhalt er mit Hilfe eines raffinierten Mechanismus gezielt in kleine Gläser ableiten kann. Dabei stellt für ihn jeder Geschmack eines Likörs den Ton eines bestimmten Instruments dar. Der alte, rauchige Branntwein etwa entspricht einer Violine, der Magenbitter einem Kontrabass. Auf diese Weise kann er sich ganze Musikstücke durch die geschickte Auswahl seiner Liköre antrinken.

Radikale Kunstkritik

Auch im Bereich der bildenden Kunst hält des Esseintes sich für einen Experten. In Ablehnung der schnöden zeitgenössischen Lebensweise beschließt er, sich auf die Kunstwerke zu beschränken, die subtil und erlesen sind und sich durch eine zeitlose Thematik auszeichnen. In besonderer Weise rührt ihn die Malerei von Gustave Moreau an, vor allem sein Bildnis der Salome, das auf aufreizende Weise Sinnlichkeit und Schrecken miteinander verbindet, von einem Künstler geschaffen, der, durch keine Tradition geknechtet, eine Sonderstellung eingenommen hat. Auch die Stiche von Jan Luyken, die meistens sadistische Quälereien im Rahmen von Glaubensverfolgungen darstellen, haben es ihm angetan. Den Großteil der populären Kunstwerke lehnt er dagegen entschieden ab.

Erinnerungen

Während er so seine selbst geschaffene Kunstwelt genießt, brechen Erinnerungen in seine Idylle ein. Er muss an einen Junggesellenkumpanen denken, der verlegen eingestand, dass er Vorbereitungen für seine Hochzeit traf. Als Einziger unter den Freunden bestärkte des Esseintes ihn in seinen Plänen, als er erfuhr, dass die zukünftige Frau eine teure Wohnung beziehen wollte. Da beide Ehepartner kein Vermögen hatten, folgerte des Esseintes, dass die Ehe unter diesen Bedingungen letztendlich zerbrechen musste. Zu seiner Freude behielt er Recht.

„Wieder einmal hatte jene so glühend begehrte und endlich erlangte Einsamkeit in schreckliches Elend gemündet; die Stille, die ihm einst wie ein Ausgleich für die jahrelang angehörten Dummheiten erschienen war, lastete nunmehr mit einem unerträglichen Gewicht auf ihm.“ (S. 170)

Er muss auch an den jungen Mann denken, den er bewusst an ein Luxusleben mit regelmäßigen Freudenhausbesuchen gewöhnte. Dann entzog er ihm die Unterstützung, überzeugt davon, der Junge würde daraufhin seinen lieb gewonnenen Lebensstil durch Verbrechen finanzieren. Irgendwie ist des Esseintes enttäuscht, dass er nie von entsprechenden schlechten Taten des jungen Mannes erfahren hat. Er hätte sich zu gern an der ihm verhassten Gesellschaft gerächt, indem er ihr durch die bewusste Schaffung eines Verbrechers eine weitere Plage hinzufügt hätte.

„Wozu sich bewegen, wenn man so herrlich in einem Stuhl reisen kann? War er nicht in London, dessen Gerüche, Atmosphäre, Einwohner, Speisen und Geschirr ihn umgaben?“ (S. 183)

Dann aber kommen Erinnerungen an seine Zeit bei den Jesuiten hoch; er wird von religiösen Zweifeln geplagt. Auch seine neurotischen, erblich bedingten körperlichen Anfälligkeiten machen sich bemerkbar und er leidet unter Schwächeanfällen.

Zerstreuungen

Um sich zu zerstreuen, begibt er sich auf Einkaufstour in den Gärtnereien der Umgebung. Dort ersteht er eine Unzahl exotischer Pflanzen. Sein einziges Kriterium ist, dass diese so unnatürlich wie möglich auszusehen haben. Als die Lieferungen dann in seinem Haus ankommen, ist seine Wohnung mit Pflanzen angefüllt, die wie mit Metall überzogen oder wie offene menschliche Wunden wirken. Besonders angetan haben es ihm alle Arten von Fleisch fressenden Pflanzen. Bald aber ist er auch dieser überdrüssig. Er wird von Alpträumen geplagt. Die meisten Pflanzen gehen trotz intensiver Pflege ein.

„Die Macht des Sadismus (...) beruht also gänzlich in der verbotenen Lust, die Gott geschuldeten Huldigungen und Gebete auf Satan zu übertragen; sie beruht also in der Missachtung der katholischen Gebote, die man sogar gegen den Strich noch befolgt, indem man, um Christus noch schwerer zu verhöhnen, die Sünden begeht, die er am ausdrücklichsten verflucht hat: die Befleckung der religiösen Kults und die fleischliche Orgie.“ (S. 206)

Beim Genuss besonderer Bonbons, deren Zweck es ist, lustvolle Gefühle hervorzurufen, erinnert er sich seiner früheren Ausschweifungen in Paris mit diversen Frauen und auch an ein homoerotisches Abenteuer.

Als er von Geruchshalluzinationen geplagt wird, beginnt er wilde Mischungen von Parfüms herzustellen und zu versprühen. Er findet aber keine Ruhe; am Ende kehrt seine Geruchshalluzination zurück und er erleidet einen ersten Zusammenbruch. Der von den Dienern herbeigerufene Dorfarzt, der von der extravaganten Gestaltung des Hauses verblüfft ist, kann aber nicht helfen.

Die "Reise" nach London

Weil er schon immer von Holland und England fasziniert war, beschließt des Esseintes daher spontan, eine Reise nach England zu unternehmen. Nachdem der Diener eilig das Notwendigste gepackt hat, macht sich des Esseintes per Eisenbahn auf den Weg nach Paris, um von dort aus nach England weiterzureisen. Den Diener lässt er noch wissen, dass er möglicherweise nun Jahre unterwegs sein würde, vielleicht aber auch nur einen Monat oder eine Woche. In Paris angekommen, lässt sich des Esseintes zuerst zu einem häufig von Engländern besuchten Buchladen fahren, um einen Reiseführer für London zu erwerben. Anschließend begibt er sich zum Abendessen in ein englisches Lokal in Paris. Dort genießt er die Atmosphäre, die vor allem von zahlreichen Engländern geprägt ist. Als es Zeit wird, zum Bahnhof aufzubrechen, versagen ihm die Beine. Er beschließt, nun doch wieder zu seinem Haus in Fontenay zurückzukehren. Die Anwesenheit so vieler Engländer in dem Lokal hat ihm ja bereits so etwas wie einen virtuellen Reiseeindruck von England vermittelt. Außerdem erinnert er sich, dass er früher einmal große Erwartungen in eine Hollandreise gesetzt hat und von der banalen Realität damals bitter enttäuscht worden ist.

Der Zusammenbruch

Noch am Tag des Aufbruchs wieder zurück in den eigenen vier Wänden, erleidet des Esseintes bald einen völligen Zusammenbruch. Er kann nicht mehr essen, hat Halluzinationen und wird wieder von religiösen Zweifeln geplagt. Als der herbeigerufene Arzt aus Paris ihm als Erstes ein nährendes Klistier verordnet, ist des Esseintes begeistert. Sich auf diese Weise über den Darmeingang ernähren zu lassen, würde die lästigen Mahlzeiten endgültig abschaffen. Er beginnt bereits an neuen Klistierrezepten zu arbeiten.

„Herr, erbarme dich des zweifelnden Christen, des Ungläubigen, der glauben möchte, des Lebenssträflings, der allein sich einschifft, nächtens, unter einem Firmament, das die tröstlichen Leuchtfeuer der alten Hoffnung nicht mehr erhellen!“ (Des Esseintes, S. 274)

Dann aber kommt die herbe Enttäuschung: Der Arzt, der ein Spezialist für alle Arten von Neurosen ist, macht des Esseintes unmissverständlich klar, dass er nur dann bei gesundem Verstand überleben kann, wenn er sein Einsiedlerleben aufgibt und wieder in das gesellschaftliche Leben in Paris zurückkehrt.

Verbittert und schwermütig macht sich des Esseintes daraufhin auf, der ihm verhassten Gesellschaft wieder beizutreten.

Zum Text

Aufbau und Stil

In einem Vorbericht bereitet Huysmans seinem Protagonisten des Esseintes, dem Urvater aller Dandys, die Bühne, dann handelt er Schritt für Schritt in 16 Kapiteln das Experiment des Rückzugs aus der Gesellschaft ab, das des Esseintes, desillusioniert von den eigenen Erlebnissen, versucht. So wird der Werdegang des adligen Dandys von seiner Kindheit bis zu seiner erzwungenen Rückkehr in die Gesellschaft dargestellt. Eine Handlung im eigentlichen Sinn gibt es kaum. Des Esseintes bevorzugt es, in einer künstlichen Umgebung zu leben und vor allem in seiner Phantasie in imaginäre Welten zu verreisen, und daran lässt Huysmans die Leser teilhaben. Im Werk gibt es seitenweise Abhandlungen über so unterschiedliche Themen wie die Wirkungen von Farben, die Herstellung und Mischung von Parfüms oder das Ausfindigmachen der idealen Edelsteine zur Dekoration eines Schildkrötenschildes. Besonders prägnant sind die Erörterungen alter und zeitgenössischer Literatur und Malerei. Über allem aber stehen die theologischen Fragen, die auch den Autor selbst zu jener Zeit umgetrieben haben. Der Stil ist präzise, teilweise auch ausschweifend. Neben detaillierten Beschreibungen finden sich zahlreiche Beispiele beißender Polemik und feiner Ironie. Selbst in der deutschen Übersetzung lässt sich noch erahnen, dass Huysmans über eine ungewöhnliche sprachliche Virtuosität verfügt. Manche unnötig wirkenden Fremdwörter und Fachausdrücke erklären sich damit, dass Huysmans etwa seine Ausführungen zu Duftstoffen direkt aus Parfümkatalogen abgeschrieben hat.

Interpretationsansätze

  • Mit Gegen den Strich bietet Huysmans eine plastische, ausdrucksstarke Analyse des ideellen Hintergrunds der literarischen Dekadenzbewegung des 19. Jahrhunderts.
  • Mit der Figur des Jean des Esseintes hat Huysmans den ultimativen Dandy geschaffen, der die unerlässliche ästhetische Selbstinszenierung nur noch für sich allein, ohne Publikum zelebriert.
  • Diese extreme Selbstbezogenheit wird dann aber auch zum Knackpunkt. Isoliert vom verabscheuten Publikum seines Dandytums gerät des Esseintes an den Rand des Wahnsinns und des gesundheitlichen Zusammenbruchs.
  • Mit feiner Ironie arbeitet Huysmans auch das kindische Element des Dandytums heraus. Des Esseintes ist trotz aller intellektuellen Verbrämung im Grunde ein von Anfang an sich selbst überlassenes Kind, das mittlerweile in die Jahre gekommen ist.
  • Die von dem Protagonisten des Esseintes vorgebrachte Kunstkritik sollte sich später teilweise als visionär erweisen. Es werden z. B. einige Autoren angepriesen, die damals noch relativ unbekannt waren, später aber allgemeine Anerkennung fanden, darunter Paul Verlaine und Stéphane Mallarmé.
  • Gegen den Strich ist auch als soziologisch-psychologisches Lehrstück zu lesen. Für das Individuum ist ein völliger Rückzug aus der Gesellschaft ohne psychologischen Schaden unmöglich, selbst wenn es genug Anlass zur berechtigten Kritik am bestehenden System gibt.
  • Das Werk enthält einige interessante Beispiele für die Synästhesie, die Verschmelzung der Wahrnehmungen unterschiedlicher Sinne zu einem ästhetischen Gesamtbild. In diesem Zusammenhang ist in erster Linie des Esseintes’ "Mundorgel" zu nennen, mit der er sich anhand diverser Liköre ganze Musikstücke auf die Zunge komponiert.
  • Huysmans selbst fand 20 Jahre nach dem Erscheinen von Gegen den Strich und nachdem er zum Katholizismus übergetreten war, in dem Buch auch eine zutreffende Charakterisierung des katholischen Glaubens vor.

Historischer Hintergrund

Lebensstimmung zur Jahrhundertwende

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts herrschte bei vielen die Vorstellung vor, in einer Belle Époque, einer ungewohnt friedlichen und fortschrittlichen Zeit zu leben. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 schienen die Fronten in Europa geklärt. Die Weiterentwicklung der industriellen Revolution mit zusätzlichen Fortschritten im Bereich der Medizin und einer höheren Lebenserwartung schien eine bessere Zukunft zu versprechen. Allerdings profitierte vor allem das Bürgertum von diesen Entwicklungen. Das Elend der Arbeiter wurde nur wenig gemildert. Das führte im Bereich der Literatur auch zu sozialkritischen Werken. Im Rahmen des Naturalismus versuchten dabei unterschiedliche Autoren durch detailgetreue Milieuschilderungen die Notlage der Unterklasse realistisch zu vermitteln. Sie prangerten durch ihre krassen Darstellungen zumindest indirekt auch die mit der Industrialisierung und Verstädterung einhergehende Verelendung der Masse der Bevölkerung an. Führende Vertreter des Naturalismus waren etwa in Frankreich Émile Zola und in Deutschland Gerhart Hauptmann.

Zu dieser Strömung des Naturalismus gab es beim Näherrücken der Jahrhundertwende eine radikale Gegenbewegung. Im Rahmen der so genannten Dekadenzliteratur entstanden in bewusster Abgrenzung zur meist sozial engagierten Stoßrichtung des Naturalismus literarische Lebensentwürfe, die vor allem mit Hilfe der Ästhetik zu neuer Sinnfindung führen sollten. Dabei war die Dekadenzliteratur sowohl von Arthur Schopenhauers Sicht der Nichtigkeit der Welt als auch von einer Ablehnung der sinnlichen Verrohung im Zuge der Industrialisierung geprägt. Die Vertreter dieser Richtung schrieben im Sinne des Fin de Siècle, d. h. sie setzten bewusst Akzente angesichts des diagnostizierten Endes eines Jahrhunderts, ja eines ganzen Zeitalters. Im Mittelpunkt vieler Werke der Dekadenzliteratur standen Individuen, die sich angesichts der äußeren Verfallserscheinungen in sich selbst zurückzogen und ihr Heil in der übertriebenen Ästhetik suchten, in ihrer Selbstbezogenheit dabei aber selbst wiederum dekadent wurden. Wichtige Vertreter dieser literarischen Strömung waren u. a. Charles Baudelaire und Oscar Wilde.

Entstehung

Zu Beginn seiner Schriftstellerkarriere gehörte Joris-Karl Huysmans zum Kreis der Naturalisten um Émile Zola, in dessen Haus in Médan sie sich regelmäßig trafen. Huysmans beteiligte sich mit einer naturalistischen Novelle an dem von Zola angeregten Sammelband Les Soirées de Médan, der 1880 erschien. Anfangs verfasste Huysmans auch einige Romane, die vor allem in der Pariser Unterschicht spielen und von drastischem Realismus gekennzeichnet sind. Allmählich fand es Huysmans aber wenig anregend, immer wieder die gleichen Laster von Durchschnittsmenschen auf möglichst realistische Weise abzuhandeln. Er versuchte deshalb eine ungewöhnlichere, interessantere Hauptperson für einen Roman zu entwickeln. Als er sich entschloss, ein erblich belastetes und dekadentes Individuum in den Mittelpunkt seines nächsten Buches zu stellen, entstand unter dem Einfluss Baudelaires und Schopenhauers die Figur des adligen Dandys Jean des Esseintes, mit der Huysmans Literaturgeschichte schreiben sollte. Hilfreich für den Erfolg von Gegen den Strich war, dass das von Huysmans intuitiv entworfene Psychogramm des ultimativen Dandys Jean des Esseintes, der die extreme Ästhetik nicht mehr zelebriert, um andere zu beeindrucken, sondern nur noch, um sich selbst zu ergötzen, damals noch bevorstehende Erkenntnisse der Psychologie vorwegnimmt. Huysmans berichtete später, dass Zola von der Vorstellung verwirrt, ja fast erbost war, dass die Psyche von des Esseintes genauso wahrhaftig sein könne wie die der Durchschnittscharaktere, die Zolas Werke bevölkern. Im Rückblick, nach seiner Bekehrung zum Katholizismus, sah Huysmans dann, wie er später schrieb, dass sein Werk unterschwellig auch stark von katholischen Glaubensvorstellungen beeinflusst war, ein Umstand, der ihm zur Zeit der Abfassung von Gegen den Strich aber noch nicht bewusst war.

Wirkungsgeschichte

Von Anfang an war Gegen den Strich Gegenstand heftiger Kontroversen. Während die einen die Hauptfigur des Jean des Esseintes für einen unmoralischen und selbstbezogenen Soziopathen hielten, wurde er für andere zum Symbol eines neuen Lebensgefühls. In kürzester Zeit entwickelte sich das Werk zu einem Kultbuch seiner Zeit und gilt noch heute als die "Bibel der Dekadenz". Das Buch hatte enormen Einfluss auf Schriftsteller und Dichter wie Stefan George und Hermann Bahr im deutschen Sprachraum sowie auf Stéphane Mallarmé, Paul Verlaine und andere französische Symbolisten. Vor allem aber hinterließ es einen bleibenden Eindruck bei Oscar Wilde, der mit seinem Bildnis des Dorian Gray 1891 ein zweites Hauptwerk der dekadenten Literatur veröffentlichte. Zusätzlich hatte das Werk auch Einfluss auf die Malerei, vor allem der preziös-stilisierenden Richtung, und die Musik. Selbst heute noch bekennen sich Bands wie Tocotronic oder die Babyshambles zu Huysmans’ Philosophie.

Über den Autor

Joris-Karl Huysmans (mit eigentlichem Namen Georges Marie Charles Huysmans) wird am 5. Februar 1848 in Paris als Sohn einer französischen Buchhefterin und eines niederländischen Zeichners und Lithographen geboren. Der Vater stirbt, als Huysmans acht Jahre alt ist. Nach seinem Schulabschluss beginnt er 1866 ein Jura- und Literaturstudium, nimmt aber gleichzeitig eine Stelle als Angestellter im französischen Innenministerium an. Diesen Posten hat er, wenn auch von häufigen Beurlaubungen unterbrochen, insgesamt 32 Jahre lang inne. Die nicht sehr anspruchsvolle Position ermöglicht es ihm, auch während der Arbeitszeit seiner schriftstellerischen Arbeit nachzugehen; viele seiner Romane entstehen sogar auf offiziellem Papier des Ministeriums. 1874 veröffentlicht Huysmans das Prosagedichtbändchen Le Drageoir aux épices (Die Gewürzschachtel). Zwei Jahre später lernt er Émile Zola kennen und schließt sich dessen Gruppe von Naturalisten an. Im gleichen Jahr veröffentlicht er Marthe, eine Geschichte über ein leichtes Mädchen, ein Werk, das alsbald für mehrere Jahre als sittenwidrig verboten wird. Auch seine weiteren Romane spielen zunächst vor allem in der Pariser Unterschicht und enthalten realistische Lebensschilderungen. 1884 veröffentlicht er dann A rebours (Gegen den Strich), das Werk, das als "Bibel der Dekadenz" in die Literaturgeschichte eingehen soll. Ab 1890 wendet sich Huysmans verstärkt religiösen Fragen zu, es folgen einige Klosteraufenthalte und sogar eine Einkleidung als Laienbruder. In dieser neuen Lebensphase entstehen mehrere Romane, die einen Schriftsteller namens Durtal zur Hauptperson haben. Là-bas (Tief unten, 1891) dreht sich um Okkultismus und Satanismus, in En route (Unterwegs, 1895) wird die Einfachheit des mönchischen Lebens behandelt. 1898 erscheint La Cathédrale (Die Kathedrale) mit dem Gotteshaus von Chartres als Hauptschauplatz. Am 12. Mai 1907 stirbt Joris-Karl Huysmans in seiner Geburtsstadt Paris.

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