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Handorakel und Kunst der Weltklugheit

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Handorakel und Kunst der Weltklugheit

Kröner,

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12 take-aways
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What's inside?

Karriere, Erfolg, Beziehungen – diese Dinge waren auch schon Mitte des 17. Jahrhunderts wichtig, als Baltasar Gracián das Handorakel schrieb. Seine Tipps zu diesen Themen sind heute noch lesenswert.


Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Frühe Neuzeit

Worum es geht

Überlebenskunst in einer feindlichen Welt

Der Ehrliche ist der Dumme – diese Erkenntnis ist nicht neu. Auch der spanische Jesuit Baltasar Gracián, der im 17. Jahrhundert lebte, enge Verbindungen zur gehobenen Gesellschaft unterhielt und die Ränke der Reichen und Mächtigen miterlebte, kam zu diesem Schluss: Mit Ehrlichkeit und Gutmütigkeit kommt man nicht weit; wer Erfolg haben will, braucht Beziehungen, muss sich verstellen können und die Machenschaften seiner Mitmenschen durchschauen. Aber zugleich weiß Gracián, dass Erfolg allein kein sinnvolles Leben ausmacht – dazu gehören auch Aspekte wie Weisheit, Gelassenheit und persönliche Reife. In seiner Schrift Handorakel und Kunst der Weltklugheit versucht er, einen Mittelweg aufzuzeigen zwischen dem Wunsch nach einem sinnvollen und glücklichen Leben und der Notwendigkeit, in einer Welt voller Intrigen erfolgreich zu sein und sich zu behaupten. Viele seiner exakt 300 Ratschläge erweisen sich als überraschend modern: Positiv denken, die eigenen Fähigkeiten nutzen, Beziehungen aufbauen, die Zeit gut einteilen – diese Tipps könnten auch aus der Ratgeberliteratur unserer Zeit stammen. Graciáns Werk ist darum alles andere als veraltet, sondern hat dem heutigen Leser noch viel zu sagen.

Take-aways

  • Handorakel und Kunst der Weltklugheit ist eine Sammlung von Lebensweisheiten des spanischen Jesuiten Baltasar Gracián aus dem 17. Jahrhundert.
  • Arthur Schopenhauer hat das Werk ins Deutsche übersetzt.
  • Im Mittelpunkt steht die Frage, wie man in der Welt erfolgreich und glücklich leben kann.
  • Erfolg hängt nach Graciáns Erfahrung nicht nur von der Leistung, sondern vor allem von Beziehungen ab.
  • Deshalb ist es wichtig, sich Ansehen zu verschaffen und Beziehungen zu pflegen.
  • Zahlreiche und gute Freundschaften gehören ebenfalls zu einem erfüllten Leben.
  • Streit und Konflikte sollte man möglichst vermeiden, um sich keine Feinde zu schaffen.
  • Zum Glücklichsein braucht es aber auch die Fähigkeit, Nein zu sagen und sich von anderen abzugrenzen.
  • Jeder Mensch sollte versuchen, an dem Platz, auf den er gestellt wurde, nach Vollkommenheit zu streben.
  • Zur Vollkommenheit gehören Weisheit und persönliche Reife.
  • Oft kommt es im Leben auf Glück an – aber auch darauf, dass man dieses Glück wahrnimmt und zu nutzen weiß.
  • Viele von Graciáns Gedanken sind zeitlos gültig und nehmen Erkenntnisse der modernen Psychologie vorweg.

Zusammenfassung

Wege zum Erfolg

Eine wichtige Voraussetzung für Erfolg ist es, seine Begabungen zu nutzen: Wer erfolgreich sein möchte, sollte sich nicht zu etwas zwingen, was ihm gar nicht liegt, sondern stattdessen seine individuellen Fähigkeiten ausbauen und nutzen. Man darf sich auch nicht mit Unwichtigem verzetteln, sondern muss sich auf das Wesentliche konzentrieren. Was einem im Leben wichtig ist und was man unbedingt erreichen möchte, sollte man möglichst bald in Angriff nehmen und nicht auf später verschieben. Manche Menschen sind sehr aktiv und fangen viele Dinge an, bringen aber nie etwas zu Ende; also haben sie auch keinen Erfolg. Denn für den Erfolg ist nicht entscheidend, dass man überhaupt etwas unternimmt oder dass alles vorschriftsmäßig erledigt wird, sondern nur, dass man sein Ziel erreicht; deshalb muss man vor allem auf ein gutes Ende hinarbeiten. Erfolgreich kann nur sein, wer sich selbst zu helfen weiß und nicht von der Unterstützung anderer abhängig ist. Bei schwierigen Unternehmungen allerdings ist es besser, sie nicht allein anzugehen. Denn zu zweit fällt alles leichter, und wenn etwas schiefgeht, braucht man den Misserfolg nicht allein zu tragen. Wer dagegen alles selbst machen möchte, um die Ehre nur für sich zu haben, muss auch sein Scheitern allein bewältigen. Es ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Klugheit, andere um Rat zu fragen.

„Alles hat heutzutage seinen Gipfel erreicht, aber die Kunst, sich geltend zu machen, den höchsten.“ (S. 1)

Einfache Dinge geht man am besten so an, als ob sie schwierig wären, und schwierige, als ob sie einfach wären. Wer sich an diese Regel hält, wird bei einfachen Arbeiten nicht nachlässig und hat vor schwierigen keine Angst. Auch sollten wir uns immer die Möglichkeit offenhalten, etwas mehrmals versuchen zu können. Denn vor Misserfolg ist niemand gefeit, schon gar nicht, wenn er etwas zum ersten Mal macht. Wer sich unsicher ist, ob sein Vorhaben gelingt, sollte besser gleich aufhören: Wenn er schon selbst daran zweifelt, wird er es auch nicht schaffen. Überhaupt ist Mut eine der wichtigsten Voraussetzungen für Erfolg, ebenso wie Wissen.

„Das Wissen ist lang, das Leben kurz, und wer nichts weiß, der lebt auch nicht.“ (S. 7)

Wer berühmt werden möchte, sollte ein angesehenes Amt übernehmen. Gefährlich wird es jedoch, wenn der Vorgänger sehr gute Arbeit geleistet hat, denn dann kann der Nachfolger eigentlich nur schlechter abschneiden und hat es schwer, Fuß zu fassen. Überhaupt sollte man sich vor Konkurrenzsituationen hüten, denn sie können dem guten Ruf erheblich schaden. Ein kluger Mensch macht diejenige Arbeit, die Ansehen bringt, selbst und delegiert alles, was ihm schaden könnte, an andere. Ziele setzt man am ehesten durch, wenn man seinem Gegner klarmachen kann, dass für ihn auch ein Vorteil herausspringt. Zugleich aber muss man wachsam bleiben, damit man nicht selbst in diese Falle tappt und sich für die Ziele anderer ausnutzen lässt. Ob jemand Erfolg hat oder nicht, hängt auch von der Zeit ab, in der er lebt: Manchmal ist die Zeit einfach noch nicht reif, und mancher muss lange auf den Erfolg warten. Einigen fehlt für den Erfolg zudem eine bestimmte Eigenschaft, z. B. Freundlichkeit oder Tatkraft. Wer sich seiner Schwächen bewusst ist, kann gegen einen solchen Mangel angehen.

„So sehr darf man nicht allen angehören, dass man nicht mehr sich selber angehörte.“ (S. 14)

Mit Fehlentscheidungen und Dummheiten ist es wie mit Lügen: Schnell zieht eine die nächste nach sich. Deshalb muss man bei dem Versuch, einen Fehler auszugleichen, darauf achten, dass man nicht einen noch größeren begeht. Einen falschen Weg wei-terzugehen, obwohl man ihn als falsch erkannt hat, zeugt nicht von Charakterstärke, sondern von Dummheit. Ein erfolgreicher Mensch wird seine Fehler nie an die große Glocke hängen, sondern sie verheimlichen und sie selbst möglichst bald vergessen, um sich nicht mehr damit zu belasten. Kritik wird er sich nicht zu sehr zu Herzen nehmen, denn er ist sich bewusst, dass Menschen immer unterschiedliche Meinungen haben und Ablehnung daher nie ausbleiben kann. Außerdem ist Kritik auch ein positives Zeichen: Was allen gefällt, kann gar nicht ausgezeichnet sein. Wichtig ist das Urteil von Fachleuten, nicht die Meinung der breiten Masse.

Ansehen und Beliebtheit

Zu all diesen Voraussetzungen für den Erfolg muss jedoch noch etwas anderes hinzukommen: ein hohes Ansehen bei anderen Menschen. Erfolg und Berühmtheit können wir uns nie selbst geben, wir bekommen sie von anderen. Deshalb sind gute Beziehungen so wichtig, vor allem zu hochgestellten Persönlichkeiten. Wer beliebt sein will, darf nicht gegen den Strom schwimmen. Er sollte sich nicht gegen die herrschende Meinung stellen und kein allzu absonderliches Benehmen an den Tag legen, sonst schließt er sich nur aus der Gemeinschaft aus. Auch wer zu empfindlich ist, schadet sich damit vor allem selbst.

„Viele verlieren den Verstand nur deshalb nicht, weil sie keinen haben.“ (S. 15)

Wichtig ist es, sich auf seine Mitmenschen einstellen zu können. Wir sollten niemandem lästig fallen und nicht aufdringlich sein, das ruiniert alle Beziehungen. Im zwischenmenschlichen Verkehr geht es heutzutage nicht ganz ohne Verstellung ab, aber übertreiben sollten wir es damit auch nicht, sonst hinterlassen wir wiederum einen negativen Eindruck. Überhaupt ist der erste Eindruck entscheidend. Deshalb sollten wir sehr darauf achten, nicht im Voraus bereits große Erwartungen zu wecken, die dann bei einer Begegnung nicht erfüllt werden können. Besser ist es, wenn der umgekehrte Fall zutrifft und der erste persönliche Eindruck positiver ist als die Erwartung. Alles wird zuerst einmal nach dem äußeren Anschein beurteilt. Deshalb reicht es für den Erfolg nicht aus, Leistung zu bringen – man muss sie auch herausstellen können, damit sie bemerkt wird. Hier ist jedoch Fingerspitzengefühl notwendig, damit man es nicht übertreibt. Gerade wer noch am Anfang seiner Laufbahn steht, sollte keine zu hohe Meinung von sich selbst haben, sonst wird er von der Realität rasch eines Besseren be-lehrt. Wer ein hohes Ansehen haben will, sollte immer etwas auf Distanz bleiben, nicht zu viele menschliche Schwächen zeigen und sich möglichst mit einer geheimnisvollen Aura umgeben, denn Menschen verehren im Allgemeinen das, was sie nicht verstehen.

Freundschaft

Freundschaft ist sehr wichtig im Leben, ohne sie kann kein Mensch existieren. Außerdem wird unsere Persönlichkeit von den Menschen geprägt, mit denen wir Umgang haben. Deshalb ist es wichtig, sich seine Freunde sehr gut auszusuchen. Die Menschen, mit denen wir zusammen sind, sollten die Eigenschaften haben, die uns selbst fehlen, denn so können wir uns weiterentwickeln. Von unseren Freunden sollten wir etwas lernen können. Dies darf allerdings nicht so weit führen, dass man Freunde wählt, die uns in den Schatten stellen. Falls möglich, sollte man sich nie mit einem Freund überwerfen, denn gerade frühere Freunde werden die schlimmsten Feinde. Wenn wir eine Freundschaft beenden wollen, ist ein behutsamer Rückzug immer besser als ein Konflikt. Man muss sich auch bewusst sein, dass eine Freundschaft – ebenso wie eine Feindschaft – nicht unbedingt ewig dauert. Deshalb sollte man sich Freunden gegenüber nie ganz öffnen, sonst können sie ihr Wissen ausnutzen, wenn sie zu Feinden werden sollten. Umgekehrt sollte man sich Feinden nie ganz verschließen, damit immer eine Möglichkeit zur Versöhnung bleibt.

Konflikte und Feindschaft

Es ist ratsam, Belastungen und Ärger zu umgehen und sie auch nicht anderen Menschen zuliebe auf sich zu nehmen. Konflikte, die uns nichts angehen, brauchen uns nicht aufzuregen, und was ruhen kann, sollten wir ruhen lassen. Mit aggressivem Verhalten richtet man meist erheblichen Schaden an. Schon ein unbedachtes Wort zerstört viel und kann nicht mehr zurückgenommen werden. Unbegrenzte Sanftmut ist aber auch nicht erstrebenswert: Wer vor lauter Güte nicht mehr böse werden kann, ist nicht gut, sondern nur gefühllos und eigentlich schon kein Mensch mehr. Es ist aber wichtig, die Affekte zu kontrollieren. Wer spürt, dass er wütend wird, sollte sich das rasch bewusst machen und dann entscheiden, wie weit er gehen will. Es ist nicht gut, aus der Aufregung heraus zu handeln, weil man dann keine vernünftigen Entscheidungen treffen kann.

„Die eine Hälfte der Welt lacht über die andere, und Narren sind alle.“ (S. 41)

Der Umgang mit Menschen, die einen schlechten Charakter haben, lässt sich nicht immer vermeiden. In so einem Fall hilft es, sich an diesen Charakter zu gewöhnen, so wie man sich an ein hässliches Gesicht gewöhnt. Jeder glaubt, dass er im Recht ist, und kann für seine Meinung viele Argumente anführen – und trotzdem gibt es so viele verschiedene Meinungen. Konflikte lassen sich am besten umgehen, indem man die Perspektive seines Gegenübers einnimmt und versucht, dessen Gründe zu verstehen. Widerspruch und Eigensinn führen dagegen leicht zum Streit. Wer stur an seiner Meinung festhält, macht sich nur zum Narren. Deshalb ist es weise, auch nachgeben zu können – selbst dann, wenn man im Recht ist. Ganz unbedacht handelt, wer sich in einem Streit auf die schwächere Seite schlägt und zu schlechten Argumenten greift, nur um seinem Gegner widersprechen zu können. Ein Streit kann auch durch harmlose Neckereien ausgelöst werden, wenn sie der Betroffene nicht erträgt. Deshalb ist es ratsam, Scherze aushalten zu können, aber selbst niemanden zu necken. Auch mit der Wahrheit sollten wir vorsichtig umgehen und sie anderen nicht zu hart ins Gesicht sagen. Trotz aller Vorsicht wird es sich nie ganz vermeiden lassen, dass andere Menschen zu unseren Gegnern werden. In diesem Fall müssen wir darauf achten, dass wir trotzdem rechtschaffen bleiben und nicht mit unlauteren Mitteln kämpfen. Ein Feind wird empfindlich getroffen, wenn er keine Beachtung findet. Um Feinde zu besiegen, müssen wir nur dafür sorgen, dass wir selbst erfolgreich und glücklich sind, das ist für sie die schlimmste Strafe.

Selbstschutz im Umgang mit anderen

Im Umgang mit anderen Menschen ist es wichtig, Grenzen zu setzen und sich selbst zu schützen. Es ist nicht gut, wenn jemand nur für sich selbst lebt, aber es kann auch niemand nur für andere da sein. Man muss Nein sagen können, sonst wird man bald ausgenutzt und vergeudet seine Zeit mit unwichtigen Dingen. Verpflichtungen, die als „Ehrensache“ gelten, sollten wir nach Möglichkeit vermeiden, denn wer sie erst einmal auf sich genommen hat, wird sie nur schwer wieder los. Jede Beziehung, auch die engste, hat ihre Grenzen, und kein Freund braucht alle unsere Geheimnisse zu kennen. Überhaupt schadet es dem Ansehen, wenn man mit anderen Menschen zu vertraulich ist. Um sich selbst zu schützen, darf man nicht zeigen, wo man verletzlich ist, denn ge-nau dort wird man angegriffen werden. Leicht angreifbar sind auch Menschen, die immer auf die gleiche Weise reagieren und somit leicht zu durchschauen sind. Eine gute Menschenkenntnis ist ganz wichtig. Um andere zu ergründen, ist Widerspruch ein gutes Mittel: Wer auf Widerspruch stößt, regt sich auf und gibt rasch Informationen preis, die er eigentlich verschweigen wollte. Mit dummen oder unglücklichen Menschen sollte man sich gar nicht einlassen, das ist gefährlich: Wer selbst Unglück hat, zieht leicht an-dere mit hinein. Ebenso riskant ist der Umgang mit Menschen, die nichts mehr zu verlieren haben.

Persönlichkeitsentwicklung

Unser Ziel sollte die Vollkommenheit sein. Um diese zu erreichen, müssen wir unsere Schwächen kennen und an ihnen arbeiten: Wenn sie uns erst einmal bewusst sind, haben wir sie auch bald besiegt. Betrug ist immer oberflächlich, aber die Wahrheit liegt im Verborgenen; deshalb sollten wir danach streben, kein oberflächliches Leben zu führen, sondern Menschen mit Tiefgang zu werden. Alle Übertreibung ist dumm und schädlich, darum ist Mäßigung in allen Dingen ein wichtiges Ziel. Lebensumstände kann man oft nicht ändern; glücklich ist, wer seine Pläne den Umständen anpassen kann, statt an seinen ursprünglichen Zielen festzuhalten und zu scheitern. Die eigene Freiheit sollten wir uns immer bewahren und uns von niemandem abhängig machen. Vergessen zu können ist nützlich – aber meistens funktioniert das Gedächtnis genau umgekehrt, und gerade das, was man am liebsten vergessen würde, geht einem nicht mehr aus dem Kopf. Jedes Ding hat eine positive und eine negative Seite, und es kommt darauf an, die positive Seite zu sehen. Entscheidungen sollte man möglichst nicht spontan treffen, sondern lieber zweimal überlegen. Dabei ist es wichtig, auf die Stimme des eigenen Herzens zu hören – sie kann schon frühzeitig vor Fehlern und Unglück warnen.

Glück und Unglück

Glück ist nichts Stabiles. Deshalb müssen wir aktiv werden, wenn wir spüren, dass uns das Glück gerade geneigt ist. Zugleich sollten wir uns aber nicht unbegrenzt darauf verlassen, sondern rechtzeitig vorsorgen – etwa indem wir in einer glücklichen Phase Freunde gewinnen, die uns dann im Unglück beistehen. Es ist ratsam, schon gegen ein kleines Unglück anzukämpfen, denn wer einmal hineingeraten ist, kommt nur schwer wieder heraus. Aber Glück ist nicht nur bloßer Zufall, sondern auch eine Folge von Klugheit und Tugend. Zudem hängt Glück eng mit der Einbildungskraft zusammen, denn was der Mensch sich vorstellt, wird für ihn Realität. Deshalb ist es wichtig, dass man seine Einbildungskraft unter Kontrolle hält; dann kann man sie bei Bedarf auch einsetzen, um seine Ziele zu erreichen. Wer glücklich sein will, muss seinem Glück nachfolgen: das tun, worin er erfolgreich ist, und sich dort aufhalten, wo er gern gesehen wird. Glücklich machen Heiligkeit, Gesundheit und Weisheit; danach soll der Mensch im Leben streben.

Zum Text

Aufbau und Stil

Baltasar Graciáns Handorakel und Kunst der Weltklugheit besteht aus exakt 300 durchnummerierten Abschnitten, jeder ungefähr eine drittel Seite lang. Am Anfang wird jeweils eine Lebensweisheit oder Handlungsanweisung prägnant in einer Art Merksatz formuliert (z. B. „Der Weise sei sich selbst genug.“) und anschließend erläutert. Diese Anweisungen drehen sich immer wieder um die gleichen Themen – Erfolg, Glück, Beziehungen, richtiges Verhalten –, sind jedoch ohne innere Ordnung aneinandergereiht. Nur der erste und der letzte Abschnitt bilden eine Art Rahmen für das ganze Werk. Hier fasst Gracián die Intention seiner Schrift zusammen: Lebenshilfe zu geben im Spannungsfeld zwischen dem Streben nach Heiligkeit und der Notwendigkeit, sich in der Welt zu behaupten.

Gracián regt seine Leser zum Nachdenken an – und zwar nicht nur mit seinen Aussagen allein, sondern auch mit seinem Stil. Der Jesuit beherrscht den Umgang mit der Sprache meisterlich und bringt seine Gedanken oft als Aphorismen auf den Punkt. Seine Sprache ist sehr bildhaft, voller Wortspiele und oft genug so verschlüsselt und mehrdeutig, dass sich der Sinn erst beim zweiten oder dritten Lesen erschließt. Dieser Stil wie auch die immer wieder eingestreuten Anspielungen auf Gestalten der griechischen Sagenwelt oder auf biblische Texte können die Lektüre für heutige Leser etwas schwierig gestalten.

Interpretationsansätze

  • Gracián schreibt vor dem Hintergrund der prunkvollen Welt des spanischen Adels im Zeitalter des Barock (17. Jahrhundert). Es ist eine Welt, in der es vor allem auf äußeren Glanz ankommt und die von Täuschung, Intrigen und Verrat geprägt ist. In dieser Situation will Gracián seinen Lesern Lebenshilfe geben und ihnen zeigen, wie man sich unter schwierigen Bedingungen behaupten kann, ohne zum gewissenlosen Opportunisten zu werden.
  • Gracián vertritt ein negatives Weltbild: Die Welt ist schlecht, und wer in ihr überleben will, muss sich selbst schützen und sich verstellen können. Jedoch ist Gracián nicht durch und durch fatalistisch, sondern er sucht aktiv nach Lösungen.
  • Obwohl der Text von einem Jesuiten verfasst wurde, enthält er kaum religiöse Bezüge und orientiert sich nicht an christlichen Moralvorstellungen.
  • Der Text zeigt eine ausgeprägte Menschenkenntnis und Lebensweisheit des Autors und nimmt manche Erkenntnisse der modernen Psychologie vorweg. Wesentliche Lebensziele sind für Gracián Erfolg und Beliebtheit, aber ebenso persönliche Reife, Ausgeglichenheit und Weisheit. Dabei schreckt er auch vor blankem Opportunismus nicht zurück – einige seiner Verhaltensmaßregeln lesen sich wie Erfolgsstrategien für skrupellose Manager von heute.
  • Manche Ratschläge klingen auf den ersten Blick widersprüchlich. Darin zeigt sich aber gerade ein wesentliches Anliegen des Autors: Er möchte in allem einen Mittelweg finden und den Leser dazu animieren, sich nicht starr an vorgegebene Regeln zu klammern, sondern der jeweiligen Situation angemessen zu handeln.

Historischer Hintergrund

Die Jesuiten in Spanien

Der spanische Adlige Ignatius von Loyola gründete im Jahr 1534 den Jesuitenorden. Dieser war im Zeitalter der Reformation und Glaubensspaltung ein wichtiges Instrument der katholischen Gegenreformation. Seine Mitglieder waren dem Papst direkt unterstellt und zum Gehorsam verpflichtet. Zu den wichtigsten Aufgaben zählte die weltweite Mission; viele Jesuiten gingen als Missionare nach Amerika und Asien. Daneben waren Jesuiten auch als Erzieher geschätzt, viele von ihnen wirkten an Fürstenhöfen und waren die Beichtväter einflussreicher Adliger.

Am Ende des 16. Jahrhunderts zeichnete sich langsam der Niedergang der Weltmacht Spanien ab. Das einstige Weltreich Kaiser Karls V. wurde unter seinen Nachfolgern von inneren und äußeren Krisen bedroht: Unabhängigkeitsbestrebungen und Abfall von Provinzen, Kriege und wirtschaftliche Probleme. Eine verschwenderische Hofhaltung, eine grausame Inquisition und eine strenge Kontrolle der Wirtschaft schwächten das Land. Die Einmischung in den Dreißigjährigen Krieg war eine weitere große Belastung. Der politische und wirtschaftliche Niedergang ging einher mit schwindender Moral, das höfische Leben wurde mehr und mehr von Machtkämpfen und Intrigen bestimmt.

In dieser Zeit waren auch die Jesuiten zunehmend Angriffen ausgesetzt: Mit ihren weit reichenden Kontakten zu einflussreichen Persönlichkeiten erregten sie Misstrauen; ihre enge Verbindung zum Papst bildete einen Nährboden für Verschwörungstheorien. Zudem wurden in den Kolonialmächten, zu denen auch Spanien gehörte, die Aktivitäten der Missionare zunehmend als Konkurrenz zu eigenen Expansionsbestrebungen empfunden. Schon zur Zeit Graciáns standen die Jesuiten in Spanien und anderen Ländern unter erheblichem Druck. Dieser steigerte sich im 18. Jahrhundert bis zur offenen Verfolgung und gipfelte schließlich in mehreren Ländern in einem Verbot des Ordens.

Entstehung

Bücher zu Lebensgestaltung und Lebenskunst waren in Renaissance und Barock weit verbreitet. Zu ihnen zählen Werke von Erasmus von Rotterdam, Niccolò Machiavelli oder La Rochefoucauld. Auch einige frühere Veröffentlichungen von Baltasar Gracián selbst gehören in diese Kategorie, wie die Bücher Der Held (1637) oder Der Weltmann (1646), in denen er positive Charaktere nachzeichnet. Viele der Gedanken aus Handorakel und Kunst der Weltklugheit finden sich bereits in diesen Werken, sind aber im Handorakel knapper formuliert und auf den Punkt gebracht. Die Form des Werks, die lose Aneinanderreihung von Aphorismen und Lebensweisheiten, erinnert an das biblische Buch der Sprüche Salomos, das Gracián sicher gut bekannt war.

Als das Handorakel im Jahr 1647 erschien, nannte der Autor seinen richtigen Namen nicht, sondern versteckte sich hinter dem Pseudonym Lorenzo Gracián. Daneben wurde auf dem Titelblatt Graciáns Freund und Verleger Vincencio Juan de Lastanosa als Herausgeber aufgeführt. Baltasar Gracián hatte allen Grund, seine Autorschaft nach Möglichkeit zu verschleiern und sich hinter dem einflussreichen Lastanosa zu verstecken: Da das Werk der kirchlichen Morallehre in keiner Weise entsprach, drohten Konflikte mit seinem Orden; außerdem war mit einer ablehnenden Reaktion der Öffentlichkeit zu rechnen, sollte bekannt werden, dass der Autor dem Jesuitenorden angehörte.

Wirkungsgeschichte

Graciáns Handorakel fand bald nach seinem Erscheinen zahlreiche Leser. Vor allem auf die französischen Moralisten des 17. und 18. Jahrhunderts (La Rochefoucauld, La Bruyère, Montaigne, Pascal, La Fontaine u. a.) hatte das Werk großen Einfluss, es war aber in dieser Zeit allgemein in ganz Europa verbreitet und wurde in viele Sprachen übersetzt.

Allein in Deutschland kursierten mehrere Übersetzungen, von denen jedoch die meisten nicht auf das Original selbst zurückgehen, sondern auf die französische Übersetzung von Amelot de la Houssaie aus dem Jahr 1684. Die älteste deutsche Übersetzung (aus dem Französischen) stammt von Johann Leonhard Sauter aus dem Jahr 1687. Im Zuge der Aufklärung und der Französischen Revolution kam das Werk aus der Mode – im Kampf um die Demokratie war höfische Literatur nicht mehr aktuell.

So geriet das Handorakel für einige Zeit in Vergessenheit, bis im Jahr 1832 der deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer das Werk wiederum ins Deutsche übersetzte. Angeblich erlernte er extra zu diesem Zweck die spanische Sprache. Einen Verleger für das Buch fand er jedoch nicht; erst 1862, 30 Jahre nach Abschluss der Übersetzung und zwei Jahre nach Schopenhauers Tod, wurde der Text schließlich veröffentlicht. In Schopenhauers pessimistischer Philosophie sind deutliche Einflüsse Graciáns zu erkennen; auch Friedrich Nietzsche schätzte das Handorakel sehr.

Über den Autor

Baltasar Gracián y Morales wird am 8. Januar 1601 in Belmonte de Calatayud geboren. Schon im Alter von 18 Jahren tritt er als Novize in den Jesuitenorden ein, 1635 legt er seine Gelübde ab. Als Prediger und Lehrer wirkt er u. a. in Zaragoza, Tarragona, Valencia und Madrid. Etwa ab dem Jahr 1625 besteht seine Freundschaft mit dem wohlhabenden und kunstsinnigen Adligen Vincencio Juan de Lastanosa, der ihn zum Schreiben ermutigt und seine Werke herausgibt. Neben Charakterschilderungen wie El Héroe (Der Held, 1637) und El Discreto (Der Weltmann, 1646) verfasst Gracián eine Abhandlung über Stilkunst. Als sein Hauptwerk kann jedoch der satirische, gesellschaftskritische Roman El Criticón (Das Kritikon) gelten, der in drei Teilen 1651, 1653 und 1657 erscheint. Anerkennung findet dieses Werk erst nach Graciáns Tod, zuvor bringt es seinem Autor viel Ärger ein: Gracián gerät in Konflikt mit den Oberen seines Ordens und wird mit einem Schreibverbot belegt, das er aber nicht einhält. Er verliert daraufhin sein Lehramt und steht zeitweilig unter Arrest. Erst kurz vor seinem Tod kommt es zur Aussöhnung mit der Ordensleitung. Seine Werke mit weltlicher Thematik veröffentlicht Gracián alle unter einem Pseudonym. Inte-ressanterweise verfasst der Jesuit nur eine einzige religiöse Schrift, und auch diese nur, um ein Gelübde zu erfüllen: das Meditationsbuch El Comulgatorio (Die Kommunionsbank), das 1655 erscheint und noch bis ins 19. Jahrhundert hinein in Gebrauch ist. Es wird als einziges Werk unter dem richtigen Namen des Autors publiziert. Von dieser Schrift abgesehen, finden sich in den Büchern Baltasar Graciáns kaum Bezüge zum Christentum. Durch seine Erfahrungen mit der höfischen Gesellschaft vertritt er allgemein eine eher negative Sicht der Welt und des Menschen, die auch in den Lebensregeln des Handorakels ihren Ausdruck findet. Gracián stirbt am 6. Dezember 1658 in Zaragoza.

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