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Holzfällen

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Holzfällen

Eine Erregung

Suhrkamp,

15 min read
12 take-aways
Text available

What's inside?

Ein kalkulierter Skandal: Thomas Bernhards Hasstiraden auf Angehörige der Wiener Künstlerszene.

Literatur­klassiker

  • Roman
  • Gegenwartsliteratur

Worum es geht

Hauen und Stechen in der Wiener Künstlerszene

Eine große Wohnung im Wien der 80er Jahre an einem Abend im März. Ein wohlhabendes Ehepaar gibt ein Essen zu Ehren eines Burgschauspielers. Während des Wartens auf den Ehrengast sitzt der unschwer als Thomas Bernhard zu erkennende Ich-Erzähler in einem Ohrensessel. Champagner trinkend beobachtet er die anderen Anwesenden und erinnert sich an seine gemeinsame Vergangenheit mit ihnen. In einem inneren Monolog von Buchlänge rechnet der Erzähler in nahezu atemlosen Hasstiraden radikal mit ihren Schwächen, ihrer Vergangenheit und ihrer erbärmlichen Gegenwart ab. Doch die Hölle sind nicht nur die anderen: Der Erzähler nimmt auch sich selbst schonungslos auseinander. Er schwankt dabei zwischen erbarmungsloser Demontage und sentimentaler Hinwendung zu seinen Mitmenschen. Bernhard verwebt seine Themen kunstvoll miteinander und verwendet eine fast musikalische Sprache, er findet immer neue Begriffe für das menschliche Grauen. Trotzdem kein deprimierendes Buch, sondern ein guter, unterhaltsamer Einstieg für Leser, die Bernhard noch nicht kennen.

Take-aways

  • Thomas Bernhards Roman Holzfällen ist eines der populärsten Werke des österreichischen Schriftstellers.
  • Im Haus des Ehepaares Auersberger in Wien findet ein Abendessen zu Ehren eines Burgschauspielers statt. Auch der Ich-Erzähler ist eingeladen.
  • Im Lauf des Abends erinnert er sich an seine Vergangenheit. Er steigert sich in eine Erregung hinein, in deren Verlauf jeder Teilnehmer des Essens gedanklich seziert wird.
  • Der Gastgeber, Herr Auersberger, ist ein Epigone des Komponisten Anton von Webern. Ständig betrunken, stößt er früher oder später jeden Anwesenden vor den Kopf.
  • Mit seiner Frau, einer Landadeligen, verbindet ihn eine langjährige Ehehölle.
  • Den Erzähler hat das Ehepaar vor 30 Jahren aus seiner desolaten Verfassung gerettet. Seit 20 Jahren hat er den Kontakt zu ihnen vermieden.
  • Der Erzähler trifft auch die Schriftstellerin Jeannie Billroth wieder, seine ehemalige Lebensgefährtin. Seit der Trennung verfolgt sie seine Werke mit Hass.
  • Der Burgschauspieler, ein vielschichtiger Charakter, erscheint. Unter dem Einfluss von reichlich Alkohol verwandelt er sich in einen philosophierenden Menschen.
  • Der Abend endet in einem Eklat, als der Burgschauspieler und die Schriftstellerin sich einen Schlagabtausch liefern.
  • Der Erzähler erkennt, dass auch er Bestandteil dieser Künstlergesellschaft ist und sich ebenso abstoßend verhält wie die anderen.
  • Das Buch wurde in Österreich zeitweilig beschlagnahmt, weil ein Freund Bernhards sich in der Figur des Auersberger wiedererkannte.
  • Holzfällen eignet sich wegen seines hohen Unterhaltungswerts bestens für den Einstieg in das Werk dieses bedeutenden deutschsprachigen Autors.

Zusammenfassung

Die Einladung

Der 52-jährige, namenlose Erzähler ist vor wenigen Monaten aus London nach Wien zurückgekehrt. Am selben Morgen, als er durch einen Anruf erfährt, dass sich seine alte Freundin Joana das Leben genommen hat, begegnet er zufällig dem Ehepaar Auersberger. Sie sprechen über den Selbstmord der gemeinsamen Freundin und laden den Erzähler zu einem Abendessen ein. Als junger Mann, vor 30 Jahren, hat der Erzähler intensiven Kontakt mit den Auersbergers gepflegt, sie dann aber 20 Jahre lang gemieden. Einst hat er sie geliebt und bewundert, nun findet er sie nur noch abstoßend und niederträchtig. Als er dann im Vorraum der Wohnung der Auersbergers in einem Ohrensessel sitzt, ärgert er sich. Er hätte doch besser seinen Pascal, Gogol oder Montaigne lesen sollen, statt in einem sentimentalen Augenblick die Einladung anzunehmen. Der Erzähler beschimpft sich dafür als charakterlosen Dummkopf. Das Abendessen zu Ehren eines Burgschauspielers, der am selben Abend in Ibsens Wildente spielt, wird nicht vor 0:30 Uhr beginnen. Vom Ohrensessel aus beobachtet der Erzähler die eintreffenden Gäste und erinnert sich an seine Vergangenheit.

Rückblick

Er war 22 Jahre alt, als er nach dem Abschluss seiner Studien in Salzburg mittel- und orientierungslos in Wien eintraf und die Auersbergers kennenlernte. Die Eheleute leiden unter einem Minderwertigkeitskomplex. Sie, ehemalige Sängerin, stammt aus niederem Adel und wäre gern ein wenig adliger, er ist kleinbürgerlicher Herkunft. Sämtliche Anstrengungen, den gesellschaftlichen Aufstieg zu schaffen, scheiterten. Er imitiert einen steiermärkischen Grafen; seinen Namen verkürzte er in Auersberg, um sich den Anschein zu geben, aus einem alten Adelsgeschlecht zu stammen. Sein luxuriöses Leben finanziert das Paar mit dem Verkauf von Grundstücken aus dem Eigentum der Frau. In ihrer geräumigen Wiener Wohnung halten die Auersbergers seit damals Hof, indem sie so genannte "künstlerische Abendessen" geben. Die eingeladenen Künstler dienen ihnen dazu, sich selbst in Szene zu setzen. Anfangs war der Erzähler fasziniert von dieser ihm völlig neuen Welt und fühlte sich wohl in ihr. Damals bewunderte er den Komponisten Auersberger als musikalisches Genie, heute verachtet er ihn dafür, dass er ein Epigone in der Nachfolge Anton von Weberns ist und dass ihm jegliche Originalität fehlt - und sich selbst geißelt er für seine damalige Bewunderung des Auersbergers.

„Während alle auf den Schauspieler warteten, der ihnen versprochen hatte, nach der Aufführung der Wildente gegen halb zwölf zu ihrem Abendessen in die Gentzgasse zu kommen, beobachtete ich die Eheleute Auersberger genau von jenem Ohrensessel aus, in welchem ich in den frühen Fünfzigerjahren beinahe täglich gesessen war und dachte, dass es ein gravierender Fehler gewesen ist, die Einladung der Auersberger anzunehmen.“ (S. 7)

Vor 30 Jahren haben die Auersbergers den Erzähler aus einer desolaten Situation gerettet. Er verbrachte viel Zeit mit ihnen in Wien und auf ihrem Landsitz in Maria Zaal. Von den Reizen eines angenehmen Lebens in schöner Umgebung mit einer gut ausgestatteten Bibliothek hat er sich in die Falle locken lassen. Denn die Auersbergers brauchten die Anwesenheit des Erzählers, um ihren Ehealltag auszuhalten. Er war dem Komponisten Auersberger verfallen und rettete mit der Beziehung zu ihm im Grunde die Ehe. Diese Funktion übernahmen im Lauf der Zeit immer wieder andere junge Künstler. Einerseits hat der Erzähler die Beziehung zu den Auersbergers durchaus genossen. Andererseits waren die Auersbergers sein Unglück. Ausgequetscht und weggeworfen fühlte er sich. Hätte er sich nicht mit einem radikalen Schritt von ihnen befreit, wäre es sein Tod gewesen.

Joanas Leben

Die Gäste reden über Joana, die am Mittag desselben Tages in ihrem Heimatdorf Kilb beerdigt worden ist. Der Erzähler hat sie vor 30 Jahren über Herrn Auersberger kennengelernt. Von Kindesbeinen an wollte Joana Schauspielerin oder Ballerina werden. Nach einer Schauspielausbildung nannte sie sich Bewegungskünstlerin. Auf dem Burgtheater durfte sie einmal einen Kurs geben, um den Schauspielern beizubringen, wie sie sich richtig zu bewegen hatten. Ansonsten versuchte sie sich ziemlich erfolglos als Bewegungstherapeutin und gab Privatunterricht. Verheiratet war sie mit dem Tapisseriekünstler Fritz. Ihr Talent, Menschen an sich zu binden, nutzte sie auf Empfängen, um der Wiener Künstlerszene die Arbeiten ihres Mannes näherzubringen. Mit ihr lernte der Erzähler die Gesellschaft und ihre Mechanismen kennen und entwickelte auch seine eigene Kunst, die Menschen zu beobachten. Seitdem prägen ihn gleichzeitig Bewunderung und Verachtung für die Menschen.

„Ein starker Mensch und ein ebenso starker Charakter, dachte ich, hätte ihre Einladung abgelehnt, ich aber bin weder ein starker Mensch, noch ein starker Charakter, im Gegenteil, bin ich der schwächste Mensch und der schwächste Charakter und mehr oder weniger allen Leuten ausgeliefert.“ (S. 12)

Bei seinen häufigen Besuchen trank er mit Joana drei oder vier Zweiliterflaschen Weißwein. Sie berauschten sich außerdem an ihren Talenten. Der Erzähler schrieb Zweipersonenstücke, Joana spielte sie ihm vor. So brachte sie ihm das Theater wieder nahe, von dem er nach seinem Studium nichts mehr hatte wissen wollen. Als Ersatz für ihre eigene ausbleibende Karriere machte sie ihren Mann Fritz zu ihrem Kunstwerk, gab sich selbst für seine Karriere auf. Auf dem Höhepunkt seiner Berühmtheit brannte Fritz mit ihrer besten Freundin nach Mexiko durch. Diese Trennung hat Joana nie überwunden. Für einige Jahre lebte sie danach mit dem Handelsagenten John zusammen. Von ihm wurde sie schließlich dazu gebracht, ihr Bewegungsstudio aufzugeben. Seine Versuche, ihr das Trinken abzugewöhnen, scheiterten. Sieben Aufenthalte in einer Entziehungsanstalt waren vergeblich.

Das Begräbnis als Groteske

Der Erzähler lehnte alle Einladungen von Bekannten, ihn auf das Begräbnis mitzunehmen, ab und fuhr allein nach Kilb. Dort aß er vor dem Begräbnis ein Gulasch, gemeinsam mit der Gemischtwarenhändlerin, die ihn über den Tod Joanas informiert hatte. Der Lebensgefährte Joanas kam hinzu und erzählte, wie er soeben zusammen mit dem Bestatter die Leiche aus einem Plastiksack genommen, ihr ein Leichenhemd angezogen und sie in einen Sarg gelegt habe. Den Erzähler deprimierte weniger das Begräbnis selbst als das Auftreten der anderen Trauergäste, die für ihn allesamt gescheiterte Kunstnieten sind. Sie verhielten sich künstlich, machten während der Zeremonie alles zum falschen Zeitpunkt. Die Dorfbevölkerung hingegen benahm sich absolut natürlich. Während die Dörfler angemessen gekleidet waren, machten sich die Wiener in ihren Pelzmänteln lächerlich. Im Regen lief eine schmutzige Brühe an ihnen herunter. Der Pfarrer hielt am Grab der Selbstmörderin eine Rede, die der Erzähler als typisch katholisch, verlogen und geheuchelt, empfand.

„Die Burgschauspieler sind kleinbürgerliche Popanze, die von der theatralischen Kunst nicht die geringste Ahnung haben und die aus dem Burgtheater längst ein Siechenhaus ihres dramatischen Dilettantismus gemacht haben.“ (S. 31)

Nach der Bestattung setzte sich der Erzähler im Wirtshaus zunächst an den Tisch der Auersbergers. Frau Auersberger schwärmte von der Leistung des Burgschauspielers in der Wildente, jedoch fiel ihr der Name seiner Rolle nicht ein. Der Erzähler sagte "Ekdal", und sie wiederholte diesen Namen so oft, dass ihr wie immer betrunkener Mann sie schließlich zum Schweigen aufforderte. Der Erzähler stellte Frau Auersberger mit der Frage bloß, ob es sich um den alten oder den jungen Ekdal handle; sie musste einen Moment überlegen. Herr Auersberger bezeichnete das Gulasch lautstark als scheußliches Essen und streckte seiner Frau die Zunge heraus. Als er auch noch sagte, er möge Strindberg nicht, sprang der Erzähler auf und setzte sich an einen anderen Tisch. Er hörte noch, wie die Auersberger ihren Mann mit der Feststellung korrigierte, die Wildente sei von Ibsen.

Das Nachtmahl

Der Erzähler in seinem Ohrensessel nickt kurz ein und verpasst so den Auftritt des Burgschauspielers, der um 0:30 Uhr erscheint. Bei dem zum Nachtmahl gewordenen Abendessen im Speisezimmer wird nach der Suppe ein Zander serviert. Der Burgschauspieler lobt seine eigene Leistung in der Wildente in den höchsten Tönen. Er gibt Anekdoten und Witze zum Besten, während die anderen Gäste ihn schweigend beobachten. In einem Gespräch über Selbstmörder bemerkt der nun volltrunkene Auersberger, es wundere ihn, warum sich nicht mehr Burgschauspieler umbrächten. Grund genug dazu hätten sie, schlecht wie sie spielten.

„Das hatten sie mir immer verübelt, dass ich sie immer auseinandergenommen habe bei jeder Gelegenheit, tatsächlich skrupellos; aber ich hatte immer einen Milderungsgrund; ich nahm mich selbst noch viel mehr auseinander, verschonte mich nie, zerlegte mich selbst bei jeder Gelegenheit in alle Bestandteile, wie sie sagen würden (...)“ (S. 83)

Der Erzähler sitzt ausgerechnet der Schriftstellerin Jeannie Billroth gegenüber. Sie hält sich für die beste Schriftstellerin Österreichs, er sie für eine abgeschmackte, Kitsch produzierende Dichterin. Vor 30 Jahren hat er ihr eigene Gedichte vorgelesen und Theaterszenen vorgespielt, während sie spärlich bekleidet auf ihrem Bett saß. Zu ihrer Befriedigung und seinem Missvergnügen hat er ihr auch aus ihrem eigenen ersten Roman vorgelesen. Sie haben sich ein paar Jahre lang geliebt und hassen sich nun seit mehr als 20 Jahren. Auch von ihr hat der Erzähler sich abrupt getrennt. Seitdem verfolgt sie seine Werke in ihrer Literaturzeitschrift mit Verrissen. Er verachtet sie, weil sie höchste Ansprüche predigt, aber nur dilettantische Werke hervorbringt. Sie hat verhindern wollen, dass er auch Schriftsteller wurde, und hasst ihn nun dafür, dass er sich zu ihrem Konkurrenten gemausert hat.

„Eine Zeit lang gehen wir mit Menschen in eine Richtung, dann wachen wir auf und kehren ihnen den Rücken. Ich habe ihnen den Rücken gekehrt, nicht sie mir, dachte ich.“ (S. 161)

Die Begegnung mit Jeannie stürzt den Erzähler in eine Erregung hinein, die er nicht abstellen kann. Er erkennt ein Muster in seinem Leben: Zum richtigen Zeitpunkt begegnet er Menschen, nimmt alles Wichtige von ihnen auf und bricht dann zum idealen Zeitpunkt die Beziehung wieder ab. Ihm fällt ein, wie niederträchtig Jeannie Billroth sich nach dem Begräbnis verhalten hat: Zuerst bezahlte sie die Gemischtwarenhändlerin für ihre Telefonate und beschämte dann im Wirtshaus den Lebensgefährten Joanas mit ihrer Sammlung für die Begräbniskosten. Ihre Aktion wurde von allen Anwesenden als geschmacklos empfunden.

Eklat im Musikzimmer

Um drei Uhr nachts wechselt die Gesellschaft ins Musikzimmer. Der Erzähler setzt sich zwischen den Burgschauspieler und Herrn Auersberger, der ununterbrochen trinkt. Der Erzähler hat Mitleid mit diesem Menschen, den er einst geliebt hat. Er war einer der ersten jungen Schriftsteller, die Auersberger in sein Bett zog, um seine Ehe zu kitten. Nachdem Auersberger sein Gebiss herausgenommen hat, unternimmt seine Frau einen neuen Versuch, ihn ins Bett zu bugsieren. Er wehrt sich mit Gewalt dagegen und beschimpft sie als dumme Gans. Er stößt sie, ruft noch ein paar Mal: "Wie geschmacklos!", und schläft dann vorübergehend ein. Angesichts der beiden Schriftstellerinnen Billroth und Schreker sinniert der Erzähler über das Verhältnis der Künstler zum österreichischen Staat. Die beiden repräsentieren für ihn den verkommenen Zustand des Geisteslebens. Ihn widert es an, wie sie sich dem Staat und seinen in den 50er Jahren noch angefeindeten Repräsentanten angebiedert haben, um Preise oder eine Rente zu erhalten, und so die Literatur verraten haben.

„Wir glauben Rechte zu haben und haben keinerlei Rechte, dachte ich. Niemand hat irgendein Recht, dachte ich. Die Welt, alles ist die Ungerechtigkeit, dachte ich. Die Menschen sind das Unrecht und das Unrecht ist alles, das ist die Wahrheit, dachte ich.“ (S. 163)

Durch die Klänge der Musik beruhigt und gleichgültig geworden, gibt der Erzähler sich einer sentimentalen Stimmung hin. Mit ihren bohrenden Fragen nach dem neuen Burgtheaterdirektor aus Deutschland stachelt die Billroth den Schauspieler zu einem großen Monolog an. Er habe so viele Theaterdirektoren kommen und wieder gehen sehen, dass ihn auch der neue nicht im Geringsten interessiere. Von einem Minister aus politischen Gründen eingesetzt, würden diese Direktoren ohnehin stets wenige Jahre später wieder abgesägt. Anfangs gelobt, werde der jeweils Neue bald von der Kritik verrissen. Wien sei die größte Kunstmühle der Welt, sie zermalme alle Künste und jeden Künstler, der sich in sie hineinbegebe. Die österreichischen Zeitungen seien die schlechtesten, aber absurderweise eben darum auch die besten der Welt. Die Ansprüche der Wiener an die Kunst seien die höchsten in Europa. So sei das Publikum gleichzeitig das infamste und das mit dem besten Geschmack.

„Wir wollen immer das Höchste, erreichen es aber dadurch, dass wir es wollen, nicht, sagte der Burgschauspieler (...)“ (S. 204)

Einen weiteren Versuch seiner Gattin, ihn ins Bett zu bringen, vereitelt Auersberger mit einem Tritt in ihre Wade. Die Billroth fragt den Burgschauspieler, ob er an seinem Lebensende die Kunst als seine Erfüllung bezeichnen werde. Zunächst will er die Frage überhören, doch als die Billroth insistiert, entgegnet er, es sei unerhört, ihm eine so dumme und unverschämte Frage zu stellen. Es sei widerwärtig, unter Menschen zu sein, die ihn nur heruntermachen wollten. Auf dem Höhepunkt seines Ausbruchs bezeichnet er die Billroth als dumme, verlogene und ihm verhasste Person, sie wisse nichts und sei nichts wert. Mit diesem radikalen Angriff gewinnt der Burgschauspieler den Respekt des Erzählers. Für diesen Genuss, dass jemand der Billroth die Wahrheit ins Gesicht sagt, hat sich das Abendessen doch noch gelohnt. Schließlich erklärt der Schauspieler, wie gern er in der Natur leben würde statt in dieser wahnsinnigen Künstlichkeit: "Wald, Hochwald, Holzfällen", ruft er wiederholt aus.

„Hätte ich mich der Jeannie nicht entzogen, sozusagen auf dem Höhepunkt meiner Beziehung zu ihr, ich wäre unweigerlich von ihr verschlungen und also vernichtet worden, denke ich.“ (S. 218)

Vom reichlichen Alkoholgenuss beflügelt, hat der Burgschauspieler philosophische Momente. Damit ist er für den Erzähler vorübergehend interessant geworden. Als Einziger kann sich der Schauspieler noch auf höfliche Weise verabschieden, während die anderen Gäste aufgrund ihres Alkoholkonsums dazu nicht mehr in der Lage sind. Der Erzähler redet zum Abschied mit Frau Auersberger. Er sagt, es täte ihm leid, den Kontakt zu dem Ehepaar 20 Jahre lang unterbrochen zu haben. Sogleich empfindet er das Gesagte selbst als unzureichend, peinlich und dumm, er hasst sich für seine Lügen und erkennt, dass er genauso unerträglich und widerwärtig ist wie die anderen. Zum Abschied küsst er die Auersberger auf die Stirn. Darüber ärgert er sich während seines Weges durch die noch dunkle Stadt. Wien und seinen Bewohnern gegenüber empfindet er Hass und Liebe zugleich. Er ist dem fürchterlichen Abendessen entkommen und nimmt sich vor, darüber zu schreiben, bevor es zu spät ist.

Zum Text

Aufbau und Stil

Holzfällen weist keine auf den ersten Blick erkennbare Gliederung auf. Ohne Einteilung in Kapitel oder Absätze wird der Leser in die Innenwelt des Ich-Erzählers hinein- und von seinem atemlosen Erzählstrom mitgerissen. Den äußeren Handlungsrahmen bildet der Verlauf der Abendgesellschaft. Er erstreckt sich über einen Zeitraum von etwa fünf Stunden und ist gewissermaßen in drei "Akte" unterteilt: Während des Wartens auf den Burgschauspieler sitzt der Erzähler in seinem Ohrensessel im Vorzimmer. Von dort aus beobachtet er die Anwesenden und erinnert sich an seine Vergangenheit mit ihnen und mit der verstorbenen Joana. Als genau in der Mitte des Buches der Burgschauspieler auftritt, wird der Handlungsort ins Speisezimmer verlegt. Während des Nachtmahls stehen der Burgschauspieler und die Erinnerung des Erzählers an seine Beziehung zur Schriftstellerin Jeannie Billroth im Mittelpunkt. Nach dem Essen kommt es zum Eklat im Musikzimmer. In enormem Tempo und zugleich große Bogen spannend reiht Bernhard seine langen Sätze aneinander. Viele Themen deutet er kurz an, um sie an anderer Stelle auszuführen, zu variieren, neu durchzuspielen. Das Werk folgt gewissermaßen musikalischen Kompositionsprinzipien, indem es auf Wiederholung, Variation und Steigerung setzt. Holzfällen fügt sich so zu einem sprachlich-musikalischen Gesamtkunstwerk zusammen.

Interpretationsansätze

  • Der Titel Holzfällen verweist auf die Notwendigkeit, alles im Leben Gewachsene mit einem radikalen Schnitt zu vernichten. Bernhard legt das Zitat "Wald, Hochwald, Holzfällen" dem Burgschauspieler in den Mund. Mit seinem Roman führt der Autor genau diese Tätigkeit aus.
  • Die Haltung des Erzählers kennzeichnet eine Mischung aus Sentimentalität und Hass. Aus Sentimentalität tut sich der Erzähler diese Tortur überhaupt an, die die Gegenwart jener entsetzlichen und ihm so verhassten Menschen für ihn bedeutet. Darüber hinaus findet er wohl ein Vergnügen daran, sich so lange in seine Hasstirade hineinzusteigern, bis er in Beobachtung und Analyse alles und jeden auseinandergenommen hat.
  • Dass Bernhard sich mit der Verschlüsselung seiner Figuren keine große Mühe gegeben hat, muss als bewusste Provokation gewertet werden. Er wollte etlichen Angehörigen der Wiener Künstlerszene, mit denen er in jüngeren Jahren Kontakt hatte, öffentlich sagen, was er von ihnen hielt.
  • Bernhards philosophisches und ästhetisches Prinzip wird in Holzfällen deutlich: Nahezu jeder Satz enthält ein "denke ich" oder "dachte ich". Damit relativiert der Erzähler auf subtile Weise die Radikalität des Gesagten. Die Bewertung des Erlebten hängt nur von der subjektiven Perspektive ab.
  • Bernhards Urteil über andere ist ebenso vernichtend wie das über sich selbst. Er macht sowohl die Beobachteten als auch sich selbst vor den Augen des Lesers lächerlich. So wird bei ihm die Lächerlichkeit jeder Existenz zum verbindenden Element zwischen den Menschen. Ihr Scheitern ist angesichts der Größe des Todes komisch. Mit der Komik wird die entsetzliche Sinnlosigkeit des Lebens erträglicher.

Historischer Hintergrund

Österreich, seine Künstler und seine Skandale

Österreich versteht sich selbst als Kulturnation. Dieses Selbstverständnis gründet sich z. T. auf die Werke der beeindruckenden Zahl von Komponisten, Schriftstellern und anderen Künstlern, die das Habsburgerreich hervorgebracht hat. Nach dem Ersten Weltkrieg auf seine heutigen Ausmaße reduziert, spielte Österreich fortan in der Weltpolitik keine große Rolle mehr. Umso wichtiger wurde die Kultur für das Selbstbewusstsein des Landes. Einige der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftsteller der Nachkriegszeit stammen aus dem Alpenstaat: Neben Thomas Bernhard z. B. Ingeborg Bachmann, Peter Handke und Elfriede Jelinek.

Der Kunstbetrieb mit seinen vielen Festivals ist für Österreich nicht nur image-prägend, sondern stellt auch einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar. Der Staat nimmt eine bedeutende Rolle als Förderer der Künste ein. Entscheidungen über die Besetzung wichtiger Posten, etwa den des Direktors des Wiener Burgtheaters durch den Kulturminister, werden regelmäßig zu einem Politikum. Dank dieser Faktoren erfreut sich die Kultur stets großer öffentlicher Aufmerksamkeit. Einzelne Werke oder Aufführungen rufen immer wieder Skandale hervor. Gegen Autoren, die sich kritisch mit den Verhältnissen in ihrem Heimatland auseinandersetzen, wird von der Boulevardpresse und von populistischen Politikern häufig der Begriff "Nestbeschmutzer" vorgebracht. Während in den 1920er Jahren der Schriftsteller Karl Kraus häufig mit diesem zweifelhaften Titel belegt wurde, beschimpfte man in jüngerer Zeit insbesondere die 2004 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnete Autorin Elfriede Jelinek und Thomas Bernhard als "Nestbeschmutzer".

Mit seinem Heimatland und dessen Bewohnern verband Thomas Bernhard eine nie verhohlene Hassliebe. Wie kein anderer seiner Landsleute machte er den Skandal zum Element seiner Kunst. Er folgte dabei dem Prinzip: Mögen seine Vorwürfe gegen Österreich auch überzogen und in ihrer Radikalität falsch sein, so scheinen die Reaktionen sie doch zu bestätigen. Den Künstlern warf der Autor vor, sich mit dem Staat gemeinzumachen, um Preise und Staatsrenten zu erhalten, und deshalb nur noch Staatsanbiederungskunst zu produzieren. Mit seinen testamentarischen Bestimmungen inszenierte Bernhard sich nochmals als der große Österreichhasser. Er untersagte die Aufführung seiner Dramen in seinem Heimatland. Seine Erben setzten sich Ende der 90er Jahre über diesen letzten Willen hinweg. Weil sich Österreich gerne auch mit seinen "Nestbeschmutzern" schmückt, verwahrte sich Bernhard in seinem Testament auch "gegen jede Einmischung" und "gegen jede Annäherung dieses österreichischen Staates" an seine Person und sein Werk. Gedenkveranstaltungen zu seinen Todestagen kommen deshalb ohne die sonst übliche politische Schirmherrschaft aus.

Entstehung

Die Arbeit an Holzfällen fällt in eine überaus produktive Periode Bernhards. Der Roman Der Untergeher erschien 1983, ebenso das Drama Der Schein trügt. Holzfällen aus dem Jahr 1984 ist das drittletzte Prosawerk Bernhards. Über die Entstehung und die Motive, die Bernhard zu dem Roman veranlasst haben, kann nur spekuliert werden, weil der Autor sich nicht zu seinen Werken äußerte. Möglicherweise drängte es ihn angesichts seines nahenden Todes, über seine Zeit als junger Mann und über die Menschen zu berichten, die ihm damals etwas bedeutet hatten. In dem Roman versuchte er vielleicht zu erklären, welche Sicht auf die Menschen und auf sich selbst er mit der wachsenden Distanz gewonnen hatte.

Wirkungsgeschichte

Sofort nach Erscheinen im August 1984 löste Holzfällen einen Skandal aus. Eifrig entschlüsselte die Wiener Kunstszene, wer sich hinter welcher Figur verbarg. Allerdings hatte es Bernhard den österreichischen Insidern nicht gerade schwer gemacht. Bei der von ihm besonders unvorteilhaft charakterisierten Schriftstellerin Jeannie Ebner (im Roman Jeannie Billroth) hatte er nicht einmal den Vornamen geändert. Der Komponist Gerhard Lampersberg - mit ihm und seiner Frau Maja war Bernhard zwischen 1957 und 1960 befreundet - erkannte sich in der Figur des Auersberger wieder, strengte einen Beleidigungsprozess an und erwirkte vor Gericht die Beschlagnahmung des Werkes in Österreich. Bernhard untersagte daraufhin dem Suhrkamp Verlag die Auslieferung seiner Werke nach Österreich. Beide Maßnahmen waren vorübergehender Natur. Dem Erfolg von Holzfällen war der Skandal natürlich eher förderlich, weshalb denn auch über einen PR-Gag spekuliert wurde. Eher gegen diese These spricht, dass Lampersberg 1987 unter dem Titel Perturbation eine Abrechnung mit Bernhard veröffentlichte. Sie enthält Dialoge eines Paares mit einem Gast. Auf dem Schutzumschlag ist Bernhards Holzfällen zu sehen, in Stücke zerhackt. Anlässlich des Erscheinens warf Lampersberg seinem früheren Freund Bernhard, mit dem er immerhin die Kammeroper Köpfe kreiert hatte, eine "onanistische Schreibart" vor.

Über den Autor

Thomas Bernhard wird am 9. Februar 1931 in den Niederlanden als unehelicher Sohn österreichischer Eltern geboren. Den Vater lernt er nie kennen. Die Mutter, eine mittellose Haushaltshilfe, gibt den Sohn zunächst in Pflege. Das Verlassensein prägt Bernhard und sein späteres Werk tief. 1932 kehrt die Mutter nach Österreich zurück, sie lebt mit dem Kind bei ihren Eltern. Bernhards Großvater Johannes Freumbichler ist ein verarmter Heimatschriftsteller, der dem Enkel bald als Vaterersatz gilt. Die Schulzeit empfindet Bernhard als Qual. 1945 misslingt ein Selbstmordversuch. Armut und schlechte Noten veranlassen ihn 1947 zur Aufgabe der Schule und zum Beginn einer Lehre. 1949 kommt er aufgrund einer Rippenfellentzündung ins Krankenhaus und entgeht nur knapp dem Tod. Dann wird Tuberkulose diagnostiziert. Bernhard verbringt knapp zwei Jahre in Krankenhäusern und Sanatorien; dort beginnt er zu schreiben und lernt auch seinen "Lebensmenschen", die 35 Jahre ältere Hedwig Stavianicek kennen. Im Anschluss arbeitet er als Journalist, später studiert er Schauspiel. 1957 veröffentlicht er seinen ersten Gedichtband Auf der Erde und in der Hölle. Doch erst der Roman Frost (1963) bringt den Durchbruch. Bernhard gilt bald als einer der wichtigsten Autoren deutscher Sprache. Auch sein zweiter Roman Verstörung (1967) wird gefeiert. 1970 inszeniert Claus Peymann Bernhards erstes langes Theaterstück Ein Fest für Boris. Damit beginnt eine fruchtbare Zusammenarbeit, denn Peymann wird etliche von Bernhards abendfüllenden Stücken auf die Bühne bringen. Bernhard setzt sich unter Schreibdruck, sei es wegen seiner Immobilienkäufe oder seiner sich verschlechternden Gesundheit. Er veröffentlicht oft mehrere Werke pro Jahr, bis ihn Mitte der 80er Jahre Atemnot und Herzschwäche langsam in die Knie zwingen. 1984 rüttelt der Roman Holzfällen die Wiener Künstlerszene auf, 1986 erscheint sein Prosa-Meisterwerk Auslöschung, und Ende 1988 erlebt Bernhard mit Heldenplatz eine letzte Skandalpremiere. Am 12. Februar 1989 stirbt Thomas Bernhard in Gmunden an Herzversagen.

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