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Brandung

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Brandung

Suhrkamp,

15 min read
12 take-aways
Text available

What's inside?

Der Studienrat und das College-Girl: pikanter Campusroman vom Meister der Alltagsdarstellung.

Literatur­klassiker

  • Roman
  • Gegenwartsliteratur

Worum es geht

Begierden eines alternden Mannes

Brandung ist eines von Walsers erfolgreichsten Büchern, ein Campus- und Eheroman, der in Amerika spielt. Helmut Halm, ein Stuttgarter Lehrer Mitte 50, geht auf das Angebot eines Studienfreundes ein: Er nimmt sich vier Monate Auszeit, um als Gastdozent an einer kalifornischen Universität zu lehren. Frau und Tochter begleiten ihn. Beglückt vom kalifornischen Lebensgefühl, verliebt sich Halm in ein College-Girl. Halb beflügelt, halb bedrückt von dieser außerehelichen Gefühlsverwirrung, schwankt er zwischen Hoffnung, schlechtem Gewissen und der Angst vor einer Blamage. Vor allem aber ruft ihm die Liebe zu einer über 30 Jahre Jüngeren sein eigenes Altern und damit seine Sterblichkeit ins Bewusstsein. Lebbar ist diese Liebe nicht, mitteilbar höchstens auf dem Umweg über die Literatur. Schließlich passiert überhaupt nichts: Halm verharrt im Passiven, das große Drama bleibt aus. Damit erweist er sich vielleicht als feige, aber auch als zäh. Während sich um ihn herum Tragödien abspielen und der Tod mehrfachen Tribut fordert, bleibt der Antiheld genauso stabil wie seine Ehe. Walser gelingt mit Brandung ein meisterhaft komponierter Einblick voll milder Ironie in die Seelennöte eines Durchschnittsmannes.

Take-aways

  • Martin Walsers Brandung ist ein Campus- und Eheroman, der größtenteils in Amerika spielt.
  • Er greift die Hauptfigur aus der Novelle Ein fliehendes Pferd wieder auf, den Stuttgarter Studienrat Helmut Halm.
  • Halm erhält einen Anruf von einem alten Studienfreund: Er soll für vier Monate einen Lehrauftrag an einer kalifornischen Universität übernehmen.
  • Mit seiner Frau Sabine und seiner Tochter Lena fliegt er in die USA.
  • Halm ist begeistert vom hellen, strahlenden Kalifornien. Er fühlt sich ungewohnt leicht und lebendig.
  • Das Gefühl verstärkt sich, als er sich in eine Studentin verliebt. Das ist ihm zwar peinlich, aber leugnen kann er es nicht.
  • Mithilfe der Literatur, die er mit ihr bespricht, versucht er ihr seine Gefühle indirekt mitzuteilen.
  • Dass sich das Mädchen aber überhaupt für ihn als Liebhaber interessiert, ist eher unwahrscheinlich.
  • Am Ende ist zwischen ihm und der „schönen Dummen“ gar nichts passiert.
  • Um Halm herum aber spielen sich tödliche Dramen ab: Sein Studienfreund bringt sich um, Sabine verliert ihre Eltern, und nach seiner Rückkehr erreicht Halm die Nachricht, dass die Studentin tödlich verunglückt ist.
  • Der Roman schwelgt im Brandungslärm des Lebens, hat aber gleichzeitig den Tod zum Thema.
  • Walser erweist sich als Spezialist der Alltagsdarstellung und spart auch das Peinliche und Lächerliche nicht aus.

Zusammenfassung

Ein verlockendes Angebot

Der 55-jährige Lehrer Helmut Halm lebt mit seiner Frau Sabine im Stuttgarter Stadtteil Sillenbuch. An höheren Ambitionen ist Halm gescheitert, sein Manuskript über Nietzsche wurde von einem Verlag per Formbrief abgelehnt. Am ersten Tag der Sommerferien erhält Halm einen Anruf von seinem alten Studienfreund Rainer Mersjohann, der ihn bittet, für vier Monate als Gastdozent an die Universität von Oakland zu kommen. Rainer, der zu Studienzeiten als Dichtergenie galt, lebt schon lange in den USA. Halm ist gleich elektrisiert von der Idee, einmal seiner gewohnten Umgebung zu entkommen. Er sagt zu, ohne Sabine gefragt zu haben, die mit ihrer sterbenden Mutter beschäftigt ist. Kurz darauf ist Halms Schwiegermutter tatsächlich tot. Bei der Beerdigung deuten sich Erbstreitigkeiten an: Die Halms wohnen im Haus von Sabines Familie, und ihr Bruder will es verkaufen.

„Halm stand vor dem Spiegel im Bad, hatte das Rasieren hinter sich, konnte aber nicht aufhören, sein Gesicht mit einer unauflösbaren Mischung aus Missgunst und Genuss zu betrachten.“ (S. 7)

Dort logiert unterdessen auch wieder Halms Tochter Lena. Sie hat einen Urlaub mit ihrem Mann Traugott abgebrochen, die Ehe ist am Ende. Halm konnte den Schwiegersohn noch nie leiden. Lena hat sich seinetwegen die Brüste verkleinern lassen, außerdem trägt sie seit einem durch ihn verschuldeten Autounfall Narben im Gesicht. Eine weitere Tochter, Juliane, lebt in Berlin und hat ein Verhältnis mit einem 44-jährigen Familienvater.

Unter der Sonne Kaliforniens

Nachdem Halm sich beim Vizedirektor seiner Schule, mit dem er sich überhaupt nicht versteht, die Beurlaubung geholt hat, geht es los. Mit Sabine und Lena, die sich in Kalifornien von der Trennung erholen soll, fliegt er nach San Francisco. Rainer holt die Familie ab. Halm erkennt ihn nicht wieder, so sehr hat er sich verändert. Offenbar der Alkohol, denkt er sich. In Oakland wohnen die Halms im Haus eines Professors, der gerade in Spanien ist. Vom Wohnzimmerfenster fällt der Blick auf die San Francisco Bay. Man merkt sofort, wie viel heller es an der Pazifikküste ist.

„Jetzt, da es möglich war, war es nicht mehr wegzudenken. Wie eine Glut, die Zug bekommt, plötzlich hochbrennt, brannte es in ihm jetzt. Er musste weg hier.“ (über Halm, S. 15)

Halms Lehrverpflichtung an der Universität umfasst zwei Deutschkurse, einen Konversations- und einen Sprachkurs sowie einen Vortrag über Heine. Die wichtigste Figur am German Department ist Carol Elrod, die scharfzüngige Sekretärin des Instituts. Ihr entgeht nichts. Auch nicht, dass Halm gleich von der ersten Stunde des Konversationskurses in Begleitung einer Studentin zurückkommt. Die große Blonde namens Fran Webb hat während der Stunde nichts gesagt, ihn danach aber angesprochen: Sie sei ein Jahr in Wien gewesen, liebe Rilke und George und freue sich auf den Kurs mit ihm. Carol warnt Halm vor diesem Mädchen, das sie klischeehaft als blond, reich und sexy darstellt. Auch Rainer Mersjohann ist über den neuesten Campusklatsch informiert und bezeichnet Fran als „die schöne Dumme“. Halm wird sie in der Folge fast täglich sehen. Er verfällt ihr schnell.

Alles ist bezaubernd

Halm und Sabine besuchen Rainer und dessen Frau Elissa. Die beiden bewohnen in ihrem riesigen Haus verschiedene Stockwerke, angeblich weil Elissa Rainers Zigarettenrauch nicht erträgt. Halm ist von allem begeistert, vom Haus, von Elissa und von ihr und Rainer als Paar. Die Art, wie sich ihre Stimmen beim Sprechen ergänzen, erinnert ihn an Musik. Der älteste Sohn der beiden ist Archäologe, der jüngste ist verschwunden und meldet sich nur ab und zu von wechselnden Orten per Postkarte – ein wunder Punkt. Rainer trinkt Unmengen. Das nächste gesellschaftliche Ereignis ist eine Cocktailparty bei Rainer zu Halms Begrüßung. Diesmal kommt auch Lena mit. Halm fühlt sich großartig und findet alles bezaubernd, sieht überall Schönheit, Freundlichkeit und Leichtigkeit. In der Fremdsprache fällt ihm die Konversation mit fremden Menschen leicht. Staunend begutachtet er andere Ehepaare, vor allem solche mit großem Altersunterschied. Elissa steht auf der Party lange mit einem Farbigen zusammen. Als Halm sich zu ihnen gesellt, vermitteln sie ihm deutlich das Gefühl, dass er stört. Lena freundet sich an diesem Abend mit Elissa an und bleibt länger als ihre Eltern bei Mersjohanns. Hinterher erzählt sie, deren Ehe sei zerrüttet, Rainer werde auf jeden Fall daran zugrunde gehen. Die Eltern Halm wollen das nicht glauben.

„Halm las den Zweizeiler auf ihrem T-Shirt: Small things amuse great minds. Zwischen der mit things endenden und der mit amuse beginnenden Zeile die kleinen Dinge, die nicht klein waren.“ (über eine Studentin, S. 37)

Die Familie verbringt einen herrlichen Tag am Meer. In der Pazifikbrandung wird Halm von einer hohen Welle umgeworfen: Er fällt mit Rücken und Hinterkopf auf den Sand, wird herumgewirbelt und gerät unter Wasser kurzzeitig in Panik. Beim Sturz hat er sich leicht verletzt, er hinkt eine Weile und hat Schmerzen. Fran kommt nun häufig in Halms Sprechstunde und gewöhnt sich an, ihn nach dem Konversationskurs ein Stück zu begleiten. Sie bittet ihn um Hilfe und um sein Urteil über ihre Arbeit für einen Aufsatzkurs. Gemeinsam übersetzen die beiden ein Gedicht von Rilke – ein intensives Erlebnis. Halm ist jetzt voll entflammt und hin- und hergerissen zwischen Begehren und moralischen Bedenken. Fran ist 33 Jahre jünger als er. Er fühlt sich an die Liebschaft mit einer anderen Schülerin erinnert. Damals hat er Sabine alles erzählt, und von da an war die Gefahr gebannt. Carol Elrod gibt sich schnippisch und sieht Halm, so scheint es, immer mit Fran. Sie macht sich über seine umfassende Begeisterung für alles und jeden lustig.

Rainers Attacken

Nicht immer allerdings verhält sich Carol ironisch. Einmal ruft sie Halm an und beklagt unter Tränen, dass alle in ihr nur die Taffe sähen. Auf Halms Trösten hin wirft sie ihm vor, gar nichts zu kapieren. Rainer besucht die Halms und bestätigt ihnen seine Ehekrise. Er trinkt eine ganze Flasche Whisky und erzählt, dass der Farbige, den Halm mit Elissa bei der Party gesehen hat, tatsächlich ihr aktueller Geliebter sei. Auch sei er sich nicht sicher, ob die Söhne überhaupt von ihm seien. Eine Schlüsselrolle in der zerrütteten Ehe spielt der verschwundene Jamey. Rainer meint, Elissa bleibe nur deshalb noch bei ihm, weil Jamey im Fall einer Trennung der Eltern nicht zu ihr, sondern zu ihm gehen würde. Elissa wolle nun die Fahrschule, die sie leite, für ein halbes Jahr schließen, um Jamey zu suchen – der allerdings überall sein könne. Halm, erschreckt über die Urteile, die Rainer über Elissa fällt, möchte sie verteidigen. Beschwichtigend sagt er, dass das alles auch Einbildung sein könne; und die Söhne ähnelten Rainer eindeutig. Daraufhin wendet sich Rainers Hass gegen Halm: Er rede Müll, verteidige eine Ehebrecherin und breche damit selbst den Ehevertrag. Rainer bedauert Sabine dafür, mit Halm verheiratet zu sein. Der hat fortan eine latente Angst vor Rainer – seine Verzweiflung macht ihn gefährlich. Als sich die beiden wieder versöhnen, erzählt Rainer genauer von seiner Ehe: Er suche immerzu Elissas Nähe und sie weise ihn ab. Sie sähen sich nur noch, wenn sie Gäste hätten, innerhalb des Hauses telefonierten sie bloß miteinander.

„Sie hätte Halm warnen müssen vor diesem typischen kalifornischen College-Girl, blond, Porsche, Papapraxis in Pacific Heights, San Francisco, und scharf wie ein Haifischzahn.“ (Carol Elrod über Fran, S. 42)

Halm nimmt an einem Skatabend von Angestellten des Germanistikinstituts teil und ist beeindruckt von der scherzhaft rohen Sprache der Männer. Man redet auch über Halm und die „schöne Dumme“. Er ärgert sich, dass er es nicht schafft, gegen dieses Etikett zu protestieren, denn er findet das Mädchen weder dumm noch klassisch schön. Rainer behauptet, sie habe sich auch schon an ihn herangemacht. Auf der Rückfahrt sieht sich Halm einer weiteren Attacke durch den betrunkenen Rainer ausgesetzt: Er meint, Halm habe ihn vor seinen Freunden angegriffen, er wirft ihm eine unsaubere Lebensweise vor und sagt, Halm intrigiere gegen ihn. Rainer provoziert fast einen Autounfall und steigt aus. Später behauptet er, Halm habe ihn aus seinem eigenen Auto geekelt. Halm ist schockiert über diese Wendung. Mit Fran spricht er über ein Shakespeare-Sonett und hat das Gefühl, die Verse enthielten das, was sich die beiden direkt nicht sagen könnten. Er erfährt aber auch, dass Fran einen Freund hat, einen amerikanischen, muskulösen College-Traumboy, Star der Wasserballmannschaft, den Fran allerdings als ein bisschen humorlos bezeichnet. Halm schwankt zwischen dem Gefühl, sich lächerlich zu machen, und gewissen Hoffnungen. In einem Gespräch über Rainer schildert Fran diesen als aufdringlich: Er habe sie immer in sein Auto einladen wollen, um mit ihr Aufsätze zu besprechen.

„ER-Halm: Feigling. ICH-Halm: Nichts gebe ich so gern zu wie das.“ (S. 58)

Bei einer Abendeinladung von Carol und Kirk Elrod flirtet Halm mit Elissa; sie sieht leidend aus, was sie umso attraktiver macht. Als er sich mit Sabine über Rainers Ehe unterhält, wird klar, dass Sabine sich mit Rainer und Halm sich mit Elissa solidarisiert. Halm merkt, dass der Aufenthalt in Kalifornien ihn verändert. Sein Leben ist aus den Fugen geraten.

Halm ohne Sabine

Lena zieht zu Elissa und lässt sich die Haare so kurz schneiden wie sie. Sie hat eine wichtige Funktion für das zerrüttete Ehepaar Mersjohann, sie wirkt auf beide beruhigend. Elissa hat Angst vor Rainer, sie fürchtet, dass er sie umbringen könnte. Aus Stuttgart kommt die Nachricht, dass Sabines Vater schwer krank ist. Sie fliegt sofort zurück nach Deutschland. Damit ist Halm nun allein im Haus.

„Ist nicht jede Sprache eine Fremdsprache, hätte Halm gern gesagt, ausgerufen sogar. Fremd dem, was wir sind. Was wir sind, darf nicht herauskommen.“ (S. 64)

Auf seinem Tisch im Konversationsraum findet er eine obszöne Zeichnung; er fürchtet eine Verschwörung mit dem Ziel ihn bloßzustellen. Sämtliche denkbaren Vorgänge und Gefühle projiziert er in die Literatur, die er mit Fran bespricht: Rilke, Shakespeare, Faulkner. Außerdem arbeitet er jetzt intensiv an seinem Heine-Vortrag. Er kommt gut voran, beflügelt von seiner Verliebtheit: Alles was er Fran sagen will, findet er bei Heine. Auch Rainer hat einen Vortrag auszuarbeiten und spricht viel davon, sich zum Schreiben zurückziehen zu müssen. Halm ändert seine Lebensweise: Er verzichtet auf Alkohol und Zigaretten, fängt an zu joggen, und zusehends erträgt er sein Spiegelbild besser. Aus Stuttgart erreicht ihn die Nachricht, der Direktor seiner Schule sei gestorben. Carol Elrod hat sich inzwischen Fran zur Freundin gemacht und täuscht Halm: Sie fährt ihren Wagen, und er folgt ihr in dem Glauben, es sei Fran.

Verheißungen und Enttäuschungen

Der Tag des Vortrags ist da. Als Halm am Rednerpult steht, bekommt er plötzlich keine Luft mehr und bricht zusammen – Kreislaufkollaps. Er ist zugleich erleichtert und enttäuscht, dass Fran ihn so nicht gesehen hat. Sie fragt ihn später, ob er mit zu einer Opernfilmvorführung kommen wolle. Das ruft Erinnerungen an seine einstige Affäre hervor. Mit jener Schülerin hat er damals eine Nacht verbracht, ohne aber richtig mit ihr zu schlafen, weil ihre Jungfräulichkeit ihr zu wertvoll war. Jahre später hat er sie aufgedonnert in der Oper getroffen, mit ihrem Ehemann. Danach hat er Sabine alles erzählt, und ihre alte Einheit war wiederhergestellt. Der Vorführung mit Fran sieht Halm nun sehr aufgeregt entgegen, er kauft sich extra einen schicken Anzug – den er hinterher lächerlich findet. Rainer bietet Halm an, ihm eine dauerhafte Stelle zu verschaffen. Er solle sein altes Leben aufgeben und sich von Sabine trennen, er sei ja ohnehin dabei, seine Ehe durch Verrat zu zerstören. Zur sehnsüchtig erwarteten Opernfilmvorführung erscheint Fran mit ihrem Freund, und der ist tatsächlich beeindruckend muskulös. Gedemütigt schleicht Halm sich aus dem Saal. Fran und ihr Wasserballspieler bemerken ihn nicht, weil sie mit einem intensiven Zungenkuss beschäftigt sind. Halm fängt wieder an, täglich Wein zu trinken.

Katastrophenmeldungen

Lena hat schlimme Nachrichten: Rainer hat sich umgebracht, kurz vor dem Kongress, auf dem er seinen Vortrag halten sollte. Carol hatte bereits vorher gesagt, sie mache sich große Sorgen, weil Rainer, der Perfektionist, ihr erstmals nichts zum Abtippen gegeben habe. Lena packt ihre Sachen, um zu ihrem Vater zurückzukehren. An einem letzten Abend im Haus des toten Rainer spricht Elissa über ihre Ehe. Sie habe Rainer nie geliebt und sei nur mit ihm zusammengekommen, um sich an einem anderen zu rächen. Rainer aber habe sie angebetet und gemeint, er könne ihre Liebe einklagen, weil sie verheiratet seien.

„Halm konnte sich nicht erinnern, dass ihm eine Gesellschaft gut gekleideter Menschen je so gefallen hatte. Diese Lebhaftigkeit! Diese Leichtigkeit! Diese Leidlosigkeit!“ (S. 72)

Fran veranstaltet eine Abschiedsparty für Halm. Dort will er aufs Ganze gehen und betrinkt sich vorsätzlich. Was er bekommt, ist immerhin ein langer, wilder Tanz mit Fran, so wild, dass beide stürzen. Die Party endet im Krankenhaus: Halms Augenbraue muss genäht werden, und Fran hat etwas am Knöchel, sie muss an Krücken gehen. Später ruft Sabine an: Ihr Vater ist gestorben.

„Carol sagte, im Talmud stehe, ein Jüngling sei, wer auf einem Bein stehend seinen Schuh ausziehen könne. Die Brandung habe ihn darauf aufmerksam gemacht, dass das vorbei sei.“ (S. 117)

Zurück in Stuttgart, bekommt Halm einen Brief von Carol, darin ein Zeitungsartikel, der von einem tragischen Unfall berichtet: Fran ist tot. Sie und ihr Freund sind im Auto die Felsküste hinuntergestürzt, der Freund wurde gerettet, weil er aus dem Auto geschleudert wurde und auf einem Felsen liegen blieb, sie aber ertrank in der Brandung; vielleicht waren ihre Krücken daran schuld, dass sie im Auto stecken blieb. Halm geht mit seinem Hund Otto spazieren, um die Nachricht zu verarbeiten. Dabei wird Otto überfahren. In der folgenden Nacht erzählt Halm Sabine alles.

Zum Text

Aufbau und Stil

Brandung besteht aus 15 Kapiteln, die im Wesentlichen der Chronologie von Helmut Halms viermonatigem Aufenthalt in Kalifornien folgen. Am Ende des Buches schließt sich ein Kreis, der am Anfang geöffnet wurde, insofern, als der erste und der letzte Satz fast identisch sind: Am Schluss beginnt Halm, Sabine alles zu erzählen, und er fängt dort an, wo der Roman einsetzt. Walsers Stil ist dicht, es gibt wenig Absätze und kaum direkte Dialoge, die indirekte Rede und das innere Erleben Halms überwiegen. Der Autor hält sich streng an die Perspektive seines Protagonisten, schreibt aber in der Er-Form. Diese erlebte Rede wird manchmal zu einem inneren Monolog, wenn Halm sich in ein Er und ein Ich aufspaltet. Das geschieht immer dann, wenn er besonders hin- und hergerissen ist in seinem Konflikt, Fran einerseits zu begehren und andererseits zu wissen, dass dieses Gefühl ehebrecherisch, absurd und aussichtslos ist. Walser geht nah an das Alltagserleben seiner Figur heran, seine knappe, scharf beobachtende Prosa ist realistisch zupackend und gleichzeitig mild ironisch. Der Wissenschaftsbetrieb mit seinen Eitelkeiten und Intrigen wird immer wieder ins Lächerliche gezogen.

Interpretationsansätze

  • Brandung ist ein Eheroman. Etliche Ehepaare geraten in den Blick, oft solche mit großem Altersunterschied, glückliche und unglückliche, und solche, wie Rainer und Elissa, deren vermeintliche Harmonie sich als schwelender Katastrophenherd entpuppt. Die beständigste und auch glücklichste Ehe des Romans ist am Ende doch Halms eigene: Sabine ist ihm alles, und die Verbindung mit ihr steht zu keinem Zeitpunkt infrage.
  • Ein zentrales Thema des Romans sind die menschlichen Verhaltensalternativen Verbergen und Enthüllen. Soll Halm Fran seine Liebe gestehen, soll er Sabine seine außerehelichen Gefühle beichten? Etwas auszusprechen, birgt Unwägbarkeiten, es könnte Dramen auslösen, die Halm in seinem Leben gern vermeidet. Etwas verschweigen zu müssen, macht andererseits einsam.
  • Auch Halms Gedanken zu Muttersprache und Fremdsprache sind in diesem Zusammenhang interessant. In der Fremdsprache kann man nie ganz genau wissen, was man sagt, das eröffnet Freiheiten, die man in der Muttersprache nicht hat.
  • Halm nutzt die Literatur als Sprachrohr. Er spricht mit Fran über Autoren und ihre Werke, er entdeckt in den Texten Gefühlslagen und Konstellationen, die genau auf seine eigene Situation zu passen scheinen. Offen bleibt, ob diese Projektionen beidseitig sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass Fran sich überhaupt nichts dabei denkt, ist hoch.
  • Ein zentrales Motiv ist das Stürzen. Halm stürzt dreimal: in der Pazifikbrandung, am Rednerpult und beim Tanz mit Fran. Diese Stürze zeigen seine Verunsicherung; sein Leben ist ins Wanken geraten. Seine Dünnhäutigkeit wird offensichtlich: Der Raum, der den Stürzen beigemessen wird, steht im Widerspruch zu den kleinen, oberflächlichen Blessuren, die Halm davonträgt.
  • Im Gegensatz zu Halms Stürzen sind die Unglücke vieler anderer Figuren tödlich. Der Tod als zentrales Romanmotiv ist in kleinen Details wie alten Grabsteinen auf dem Campus von Anfang an präsent.

Historischer Hintergrund

Bleiernes Deutschland

In den 1980er Jahren waren die Hoffnungen der intellektuellen Deutschen auf politischen Aufbruch endgültig begraben. Schon als 1974 der reformorientierte SPD-Bundeskanzler Willy Brandt über die Affäre um den DDR-Spitzel Günter Guillaume stürzte und der viel pragmatischere Helmut Schmidt an die Macht kam, machte sich Ernüchterung breit. Schmidt hatte mit Wirtschaftskrisen, Inflation und Arbeitslosigkeit zu kämpfen, hinzu kam der Linksterrorismus durch die RAF, der 1977 seinen Höhepunkt erreichte, die Ideale der Studentenrevolution Ende der 60er Jahre pervertierte und die politisch-gesellschaftliche Aufbruchstimmung jener Zeit abwürgte. Als 1982 die Koalition aus SPD und FDP zerbrach, stürzte der Bundestag Helmut Schmidt durch ein konstruktives Misstrauensvotum, und Helmut Kohl wurde Bundeskanzler. Doch der im Wahlkampf versprochene wirtschaftliche Aufschwung kam nicht, die Arbeitslosigkeit nahm noch erheblich zu. Die Hoffnung auf ein immerwährendes Wirtschaftswunder war endgültig ausgeträumt.

Innenpolitisch begann eine bleierne Zeit. Mehrere Erhöhungen des Rohölpreises lösten Wirtschaftskrisen mit bis dahin weitgehend unbekannten Erscheinungen aus: Massenarbeitslosigkeit, Kurzarbeit, steigende Sozialausgaben, verstärkte Inflation, zunehmende Staatsverschuldung. Um die Abhängigkeit vom saudi-arabischen Öl zu verringern, wurde der Bau von Atomkraftwerken forciert. Gleichzeitig war nicht mehr zu übersehen, welche Auswirkungen die bedenkenlose Industrialisierung auf die Natur hatte: Dreckige Luft und tote Gewässer rückten den Umweltschutz ins Bewusstsein der Menschen. 1980 wurden Die Grünen gegründet, 1983 waren sie erstmals im Bundestag vertreten. Die Mittelschicht reagierte auf diese Krisenstimmung mit einem Rückzug ins Private: Auslandsurlaube, gutes Essen und sportliche Aktivitäten kennzeichneten den aufkommenden Hedonismus. Auch Sex wurde mehr und mehr zum Konsumgut.

Entstehung

Martin Walser war seit 1958 immer wieder als Gastdozent in den USA, so etwa 1973 in Vermont und in Austin (Texas). Die Aufenthalte dort bezeichnete er später als die schönste Zeit seines Lebens, den Universitätscampus erlebte er als idealen gesellschaftlichen Ort. Amerika war für ihn Fluchtpunkt der Sehnsucht, des Fernwehs, der befreienden Distanz zum engen Deutschland. Nur während des Vietnamkriegs lehnte er jede Einladung in die USA aus politischen Gründen ab.

Erste Skizzen zu Brandung entstanden 1983 in Berkeley (Kalifornien). Den Studienrat Helmut Halm hatte Walser bereits in der Erfolgsnovelle Ein fliehendes Pferd (1978) eingeführt; da ist der Protagonist Mitte 40, und er und Sabine haben eine irritierende Urlaubsbegegnung mit einem alten Studienfreund und dessen junger Frau. Brandung lässt sich durchaus als Fortschreibung der Novelle lesen: Halm ist nun zehn Jahre älter, und auch hier steht wieder ein alter Kommilitone am Anfang einer Reihe von Ereignissen, die sein ruhiges Leben kurzfristig ins Wanken bringen.

Wirkungsgeschichte

Mit Brandung gelang es Walser, an den großen Erfolg von Ein fliehendes Pferd anzuknüpfen. Die Kritik war sich einig, dass der Roman brillant geschrieben und lebensnah sei. Bemerkenswert an Walser sei, wie konsequent er gerade auch das Peinliche und Lächerliche benenne. Man lobte darüber hinaus eine gewisse Formstrenge: die Geschlossenheit der Komposition, die durchdachte Dramaturgie und die souveräne Motivführung. Viele Kritiker betonten zudem, dass der Roman Kunstanspruch und Unterhaltungswert geschickt vereine. Die Neue Zürcher Zeitung schrieb, das Buch mache lesesüchtig. So einig war sich die Kritik bei Martin Walser selten.

Walsers Roman Der Augenblick der Liebe von 2004, ebenfalls ein Campusroman, ist eine Variation des Brandung-Stoffs: Der Held Gottlieb Zürn ist allerdings über 60, und der Altersunterschied zu der Doktorandin, in die er sich verliebt und die über denselben Philosophen forscht wie er, beträgt hier mehr als 40 Jahre. Nicht alle Kritiker schätzten Walsers wiederholte Auseinandersetzung mit diesem Thema: Elke Heidenreich etwa sprach von „ekelhafter Altmännerliteratur“ – eine Kritik, in die sie übrigens auch Günter Grass einschloss.

Über den Autor

Martin Walser wird am 24. März 1927 in Wasserburg am Bodensee geboren. Seine Eltern betreiben das örtliche Bahnhofsrestaurant und eine Kohlenhandlung. Seinen Vater verliert er mit zehn, seine Schulzeit wird vom Wehrdienst unterbrochen: Mit 16 wird Walser erst als Flakhelfer eingesetzt, dann im Reichsarbeitsdienst. 1946 macht er sein Abitur, dann studiert er Literatur, Geschichte und Philosophie und promoviert mit einer Arbeit über Franz Kafka. Von 1949 bis 1957 arbeitet der junge Walser als Reporter für den Süddeutschen Rundfunk, unternimmt zahlreiche Auslandsreisen und schreibt erste Hörspiele. Er nimmt an den Tagungen der „Gruppe 47“ teil. Für seinen 1957 erschienenen ersten Roman Ehen in Philippsburg erhält er den Hermann-Hesse-Preis. 1962 wird das Drama Eiche und Angora uraufgeführt. Mit Das Einhorn (1966) und Der Sturz (1973) schließt er die 1960 mit Halbzeit begonnene „Anselm-Kristlein-Trilogie“ ab. Walser verfasst auch zahlreiche Kurztexte über die Literatur und seine Heimatregion am Bodensee. Seit 1968 lebt er in Nussdorf bei Überlingen. Wie viele andere Intellektuelle setzt er sich in den 60er Jahren für die Wahl Willy Brandts zum Kanzler ein. Auf die Novelle Ein fliehendes Pferd (1978) folgen 1980 der Roman Das Schwanenhaus sowie 1985 Brandung und Meßmers Gedanken. In der Novelle Dorle und Wolf (1987) beschäftigt sich Walser mit der deutschen Teilung, die er als schmerzlich empfindet und mit der er sich nicht abfinden will. 1998 erscheint sein autobiografisches Werk Ein springender Brunnen. Der Schriftsteller wird mit zahlreichen Preisen geehrt, darunter 1981 mit dem Georg-Büchner-Preis, dem wichtigsten deutschen Literaturpreis. Seine Dankesrede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels führt 1998 zu einer heftigen öffentlichen Kontroverse: Walser plädiert dafür, Auschwitz nicht ständig als Moralkeule gegen die Deutschen zu verwenden. Ebenfalls für Aufruhr sorgt der Roman Tod eines Kritikers (2002): Die Titelfigur trägt unverkennbar die Züge des „Literaturpapstes“ Marcel Reich-Ranicki. Der erklärt den Autor darauf für „nicht mehr salonfähig“. Das bisher letzte Werk Walsers ist der Roman Angstblüte (2006).

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