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Rayuela

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Rayuela

Himmel und Hölle

Suhrkamp,

15 min read
10 take-aways
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What's inside?

Eine wilde Suche nach Sinn und Liebe – und eines der gewagtesten Romanexperimente des 20. Jahrhunderts.

Literatur­klassiker

  • Roman
  • Moderne

Worum es geht

Das geheime Muster der Wirklichkeit

Rayuela ist so etwas wie ein sprachlicher Abenteuerspielplatz. Julio Cortázar stellte mit seinem Roman 1963 die Konventionen des Lesens und die Konventionen des Lebens gleichzeitig infrage. Wie beim Himmel-und-Hölle-Spiel, auf das sich der Buchtitel bezieht, wird man als Leser aufgefordert, bei der Lektüre hin- und herzuspringen – und vollzieht so jene Suche nach, an der Cortázars Hauptfigur Oliveira mehr und mehr zu verzweifeln droht. Der Argentinier Oliveira lebt als intellektueller Bohemien in Paris und ist dem geheimen Muster der Wirklichkeit auf der Spur – das seine Geliebte, die Maga, instinktiv schon zu kennen scheint, während Oliveira mit seinen Freunden nur immer darum herumdebattiert. Rayuela ist anspruchsvoll, mitunter anstrengend, vor allem aber aufregend in seiner kaleidoskopartigen Originalität. Cortázar verschränkt theoretische Überlegungen und karnevaleske Begebenheiten, erschütternde Szenen und funkelnde Dialoge, alles mithilfe einer Sprache, die überbordend, subtil und überaus erfindungsreich ist. Das tiefe Unbehagen am Alltagstrott der Zivilisation, das Cortázars Buch befeuert, entspringt zwar eindeutig einer Welt, der die Rebellion von 1968 noch bevorsteht. An literarischer Intensität hat Rayuela allerdings bis heute nichts eingebüßt.

Take-aways

  • Rayuela ist eines der bedeutendsten Romanexperimente des 20. Jahrhunderts.
  • Inhalt: Der Argentinier Oliveira lebt als intellektueller Bohemien in Paris. Er wird von existenzieller Unruhe geplagt. Seine Geliebte ist die unbekümmerte Maga. Gemeinsam trinken und debattieren sie mit Freunden im „Schlangenklub“. Eines Tages verschwindet die Maga, Oliveira kehrt geknickt nach Buenos Aires zurück und droht langsam verrückt zu werden.
  • Julio Cortázar lebte selbst als Argentinier in Paris.
  • Rayuela gehört zu den Werken, die der lateinamerikanischen Literatur in den 60er Jahren Weltgeltung verschafften.
  • Der Autor schlägt gleich zu Beginn vor, das Buch nicht einfach von vorne nach hinten, sondern hin- und herspringend zu lesen.
  • Das formale Durcheinander des Buches ist das Spiegelbild einer Welt, deren traditioneller Struktur und Hierarchie der Autor misstraut.
  • Cortázars Abneigung gegen gängige Stilmittel macht Rayuela zu einer Schatzkammer sprachlicher Originalität.
  • In dem Paar Maga/Oliveira inszeniert Cortázar den Gegensatz zwischen unmittelbarem Leben und analytischer Lebensbeobachtung.
  • In Oliveiras verzweifelter Suche nach einem alternativen Dasein kommt eine Erlösungssehnsucht jenseits aller Religion zum Ausdruck.
  • Zitat: „Alles kann man umbringen, nur nicht die Sehnsucht nach dem Reich, wir tragen sie in der Farbe unserer Augen, in jeder Liebe, in allem, was tief innen quält und befreit und trügt.“

Zusammenfassung

Intellekt und Instinkt

Der Argentinier Horacio Oliveira führt im Paris der 50er Jahre das unstete Leben eines intellektuellen Bohemiens, mit wenig Geld, aber viel Fantasie. Seine Geliebte ist die Maga, eine inspirierend unberechenbare Frau aus Uruguay. Gemeinsam oder getrennt durchstreifen sie Paris und betrachten die Stadt als eine Mischung aus Schatzkammer, Labyrinth und Trödelladen. Immer befinden sie sich auf der Suche nach einem wunderbaren Zufall, einer besonderen Atmosphäre oder einem abseitigen Fundstück am Rand der Straße. Eines ihrer Lieblingsspiele sieht vor, sich zu einer festen Zeit in einem bestimmten Stadtteil zu verabreden, aber ohne konkreten Treffpunkt. Fast immer finden sie einander.

„Wir liefen und suchten uns nicht und wussten doch, dass wir liefen, um uns zu finden. O Maga!“ (S. 15)

Oliveira ist ein Grübler, der die Maga heimlich für ihre Sinnlichkeit bewundert, wenn ihm auch ihre geistige Unbedarftheit zu schaffen macht. Mitunter scheint ihm, dass sie jene spirituelle Achse des Lebens, die er fortwährend mit seinen Gedanken umkreist, womöglich instinktiv zu fassen bekommt. In unzähligen billigen Pensionszimmern lieben sie sich mit großem Einsatz; im Gespräch dagegen finden sie oft keinen gemeinsamen Nenner.

Jazz und rauchende Köpfe im Schlangenklub

Oliveira ist stolz, die geistige Beschränktheit der argentinischen Mittelklasse überwunden zu haben. Gleichzeitig glaubt er aber, sich in Reflexionen zu verlieren: Statt sich zu entscheiden und zu handeln, wägt er meist ebenso endlos wie fruchtlos ab. Die Maga ist mittellos aus Montevideo nach Paris gekommen, um Gesang zu studieren. Ihren kleinen Sohn Rocamadour hat sie bei einer Pflegemutter außerhalb der Stadt untergebracht. Sie bewundert Oliveiras Bildung und besucht bald, wie er, die informellen Treffen des so genannten Schlangenklubs. Dieser besteht aus einer bunten Gruppe von Freunden, die manche Nacht mit endlosen Debatten, billigem Alkohol und viel Tabak verbringen.

„Schon damals war mir klar geworden, dass Suchen meine Bestimmung war, Emblem derer, die nachts fortgehen ohne festes Ziel, Daseinsberechtigung der Matadore der Kompassnadel.“ (S. 20)

Als Sitz des Klubs gilt die Wohnung des Pärchens Ronald und Babs aus den USA. Er ist Pianist, sie Keramikerin, und gemeinsam besitzen sie eine beeindruckende Sammlung von Jazz-Schallplatten. Eines Nachts legt Ronald ein Stück nach dem anderen auf, während die Freunde in wechselnden Konstellationen über die verschiedensten Themen sprechen und immer wieder auch die Musik kommentieren. Dem rumänischen Intellektuellen Gregorovius erzählt die Maga von ihrer Zeit in Montevideo und einer Vergewaltigung, die sie dort über sich ergehen lassen musste. Oliveira gefällt diese Vertraulichkeit nicht; er weiß, dass Gregorovius in die Maga verliebt ist. Alle betrinken sich, es gibt Tränen, Streit und zärtliche Gesten. Oliveira hilft die euphorisierende Freiheit des Jazz dabei, über die Unordnung in seinem Kopf nachzudenken.

Auf der Flucht vor Mutter und Kind

Oliveira zieht zur Maga. Er hofft, damit über seine ziellose Grübelei hinwegzukommen. Außerdem hat er Schulden und muss sparen. Nach einem Monat allerdings erkrankt Rocamadour, und die Maga holt den Kleinen zu sich in die Einzimmerwohnung. Oliveira stört sein Geheule. Während die Mutter das Kind zu kurieren versucht, gibt Oliveira sich seinen Gedanken hin und beschuldigt die Maga mehrfach, mit Gregorovius geschlafen zu haben, was sie allerdings abstreitet. Die Auseinandersetzung belastet ihre Liebesbeziehung. Oliveira kündigt halbherzig und zynisch an, sich in der Seine ertränken zu wollen, und die Maga umklammert weinend seine Knie. Eigentlich will Oliveira nur kurz hinaus – wobei sein Losreißen doch recht endgültig wirkt.

„Wenn die Klarheit des Denkens zu Tatenlosigkeit führte, war sie dann nicht verdächtig, verdeckte sie dann nicht eine besonders diabolische Form von Blindheit?“ (S. 34)

Er streunt durch die Stadt, bemitleidet sich selbst als einen in die Jahre gekommenen Sinnsucher und bewundert die Maga abermals für ihre intuitive Seinsgewissheit. Er beobachtet zufällig, wie ein alter Schriftsteller auf der Straße angefahren und im Krankenwagen abtransportiert wird. Angesichts des hässlichen Wetters entschließt er sich spontan, ein billiges Klavierkonzert zu besuchen. Sowohl die dargebotenen Stücke als auch die Pianistin Berthe Trépat sind miserabel, aber Oliveira bleibt schließlich als Einziger im Saal, um der alten Musikerin moralisch beizustehen. Sogleich verdächtigt er sich selbst einer beginnenden Altersmilde. Und doch spielt er die Rolle weiter und begleitet die abgehalfterte Pianistin sogar im Regen nach Hause. Es wird ihm nicht gedankt: Berthe hält ihn am Ende für einen Verführer und schlägt ihm ins Gesicht.

Tod im Dunkeln

Gregorovius ist bei der Maga eingetroffen. Rocamadour hat noch immer hohes Fieber. Die Maga und Gregorovius löschen das Licht, damit das Kind schlafen kann. Im Dunkeln unterhalten sie sich über Paris als Metapher und Oliveiras verzweifelte Sinnsuche. Als Oliveira später durchnässt zurückkehrt, stellt er bei einem Griff unter Rocadamours Bettdecke fest, dass das Kind kalt ist. Der Junge ist gestorben. Oliveira bleibt untätig. Als die Maga rausgeht, um sich beim Nachbarn über dessen ständiges Klopfen zu beschweren, weiht Oliveira Gregorovius ein. Auch der kann sich nicht dazu aufraffen, etwas zu unternehmen.

„Die Glückliche, die glauben konnte, ohne zu sehen, die ein Ganzes bildete mit der Dauer, dem Kontinuum des Lebens.“ (über die Maga, S. 35)

Ronald und Babs kommen zu Besuch, um vom Selbstmordversuch eines Klubmitglieds, Guy, zu berichten. Später trifft der Maler Etienne ein und erzählt, dass Guy außer Gefahr ist. Oliveira unterrichtet die beiden Männer über das tote Kind, doch alle warten ab und wärmen sich unterdessen an Kaffee und Zuckerrohrschnaps, während sie nebenbei rauchen und leise über die Fragwürdigkeit des Realitätsbegriffs und die Absurdität der Existenz diskutieren. Erst um drei Uhr morgens, als die Maga ihrem Kind erneut Medizin einflößen will, sieht sie den kalten Leichnam und verfällt in einen Wein- und Schreikrampf. Gregorovius benachrichtigt die Polizei, Babs bemüht sich, die Maga zu trösten, Oliveira versucht angestrengt, seine zynische Miene aufrechtzuerhalten. Ohne ein weiteres Wort zur Maga geht er schließlich.

Die Maga verschwindet, Morelli taucht auf

Eine Woche nach dem Todesfall besucht Oliveira Gregorovius im Zimmer der Maga. Die Maga ist seit vier Tagen verschwunden. Gregorovius sah sie weinend packen, weiß aber nicht, wohin sie gegangen ist; wahrscheinlich nach Lucca oder Montevideo. Gregorovius erzählt von der Totenwache für Rocamadour, der Oliveira ferngeblieben ist. Dieser findet einen Brief der Maga, in dem sie ihrem Sohn schreibt, dass es für sie notwendig sei, allein mit Oliveira zu leben, ihm bei seiner Suche zu helfen, rauchend und bedürfnislos das Leben ihrer Boheme-Freunde zu teilen, statt bei ihm, Rocamadour, zu sein.

„Aber gleichzeitig mache ich Sachen, die mir ein klein wenig den schlechten Geschmack nach Leere nehmen. Und das ist im Grunde die beste Definition des Homo sapiens.“ (Etienne, S. 192)

Oliveira macht mit seinem Klubkameraden Etienne einen Krankenhausbesuch bei jenem alten Schriftsteller, dessen Unfall er beobachtet hat. Es stellt sich heraus, dass der Alte der vom Klub hochverehrte Autor Morelli ist. Morelli verfolgt als Schriftsteller eine ähnlich verzweifelte Suche nach einer alternativen Offenbarung wie Oliveira. Diesem übergibt er den Schlüssel zu seiner Wohnung, in der Annahme, das Krankenhaus selbst nicht mehr lebend verlassen zu können. Der Schlangenklub versammelt sich in Morellis bescheidenem Appartement. Dort diskutieren die Mitglieder ausgehend von Morellis Schriften darüber, wie man mithilfe unkonventioneller Literatur zu einer neuen Welterfahrung gelangt.

Raus aus dem Klub, rein in die Gosse

Babs ist empört von der Härte, mit der Oliveira die Maga und das tote Kind zurückgelassen hat. Sie beschimpft ihn als bösartig, als Hurensohn, als Dreck und als Inquisitor. Oliveira muss lächeln, worauf Babs sogar zuschlägt. Sie wird dann aber von anderen Klubmitgliedern zurückgehalten. Oliveira merkt, dass er künftig kein Teil des Klubs mehr sein kann. Um der Kündigung zuvorzukommen, gibt er frech seinen Austritt bekannt.

„Meine einzige Schuld ist, dass ich nicht brennbar genug war, um ihr Hände und Füße so zu wärmen, wie sie es gern gehabt hätte. Sie hat mich zum brennenden Dornbusch gewählt, und ich bin für sie eine Kanne kaltes Wasser in den Hals gewesen.“ (über die Maga, S. 226 f.)

In melancholischer Stimmung setzt sich Oliveira unter die Brücke zu den Clochards, betrinkt sich mit einer Pennerin und wird, während diese ihn gerade zu befriedigen versucht, von der Polizei erwischt und in einen Transporter geworfen. Dort gibt er sich erneut der Grübelei hin. Der Gedanke an ein imaginäres „Kibbuz des Verlangens“ lässt ihn nicht los, eine Art paradiesischen Ruheort, an dem alle spirituelle Unrast gestillt wäre. Er verbindet die Kibbuz-Idee mit dem Bild vom Kinderspiel Himmel und Hölle, in dem man ein Steinchen geschickt von einem Kreidefeld zum anderen kickt, bis es zuletzt glücklich im letzten, dem Himmelsfeld, landet. Statt vom religiösen Modell des Aufstiegs gen Himmel durch Entsagung und Weltabkehr träumt Oliveira von einem Kibbuz-Himmel, der sich dem wahrhaftig Suchenden auf der Straße, beim aufmerksamen Eintauchen in die Welt, offenbart.

Rückkehr nach Argentinien

Oliveira kehrt nach langen Jahren in Paris eher widerwillig in seine Heimat Argentinien zurück. Der Jugendfreund Traveler holt ihn gemeinsam mit seiner Frau Talita am Hafen von Buenos Aires ab. Von seiner Pariser Zeit möchte er vorerst nicht erzählen. Er verschweigt auch, dass er beim Zwischenaufenthalt des Schiffes in Montevideo die dortigen Elendsviertel vergeblich nach der Maga abgesucht hat. In Buenos Aires erwartet ihn die ehemalige Geliebte Gekrepten. Er lässt sich ohne viele Umstände in ein Hotelzimmer hineinkomplementieren, das er von nun an gemeinsam mit ihr bewohnt, und nimmt umgehend eine Arbeit als Vertreter an.

„Die Erklärung ist ein gut gekleideter Irrtum, sagte Oliveira.“ (S. 330)

Traveler und Talita führen einen kleinen Zirkus und versuchen, bei dessen Besitzer eine Stelle für Oliveira herauszuschlagen. Die Wohnung der beiden liegt dem Hotelzimmer von Oliveira und Gekrepten genau gegenüber. Eines Tages bittet Oliveira seinen Freund über die Straße hinweg um ein Paket Mate. Statt es kurz von einem Haus zum anderen zu tragen, entwickeln die Freunde mithilfe zweier Bretter eine prekäre Brücke, auf der Talita bis zur Mitte voranrobbt und schließlich in der Luft hängt, zwischen ihrem Mann und Oliveira. Kurz darauf erhält Oliveira den Job im Zirkus.

Vom Zirkus ins Irrenhaus

Bald kommt es zu Spannungen innerhalb des Trios. Traveler fällt es schwer, die einstige Freundschaft zu erneuern, solange Oliveira nichts von sich preisgibt. Oliveira fühlt sich auf rätselhafte Weise von Talita angezogen, die wiederum ihre heimliche Rolle als Medium zwischen den alten Kumpanen nicht mehr spielen will. Wiederholt steht der Gedanke im Raum, ob Oliveira nicht besser weiterziehen sollte. Doch stets wird die Entscheidung vertagt. Oliveira macht sich zudem Sorgen darüber, dass er schon mehrmals im Gesicht anderer Frauen die Maga zu sehen geglaubt hat. Er gesteht sich endlich ein, die Maga geliebt zu haben. Zugleich befürchtet er, sie habe sich womöglich ertränkt. Statt allerdings den Verlust der Geliebten weiter zu beklagen, hofft er nun, die Liebesenergie als Treibstoff für seine mysteriöse Suche verwenden zu können.

„Alles kann man umbringen, nur nicht die Sehnsucht nach dem Reich, wir tragen sie in der Farbe unserer Augen, in jeder Liebe, in allem, was tief innen quält und befreit und trügt.“ (S. 439)

Der Zirkus wird verkauft. Der ehemalige Besitzer erwirbt eine Irrenanstalt und legt deren Betrieb in die Hände seiner bisherigen Angestellten. Im Hof der Anstalt ist ein Himmel-und-Hölle-Feld auf den Boden gezeichnet. Oliveira bezieht ein Zimmer im zweiten Stock, von dem aus er das Spielfeld im Blick hat. Als Talita eines Abends sein Zimmer betritt, verwechselt Oliveira sie mit der Maga. Später besucht er mit ihr das anstaltseigene Kühlhaus. Dort bricht seine innere Blockade zusammen. Plötzlich glaubt er, von Paris erzählen zu können und wieder in der Lage zu sein, mit anderen Menschen normal umzugehen. Obwohl er weiß, dass Talita nicht die Maga ist, behandelt er sie wie seine Exgeliebte. Talita ist gerührt und lässt Oliveiras Küsse zu, im Bewusstsein, dass sie eigentlich jemand anderem gelten.

„Das Leben, wie ein Kommentar zu etwas anderem, das wir nicht erreichen, und es liegt da in Reichweite des Sprungs, den wir nicht machen.“ (S. 523)

Oliveira befürchtet die Rache Travelers und verbarrikadiert sich in seinem Zimmer mithilfe von Bindfaden- und Wasserschüsselfallen. Während er wartet, sitzt er auf dem Fensterbrett, raucht und versucht, die Stummel genau auf die Himmel-und-Hölle-Spielfelder im Hof zu schnippen. Von unten bittet Talita ihn vergeblich, das Fenster zu schließen. Oben tritt Traveler ins Zimmer, stolpert fast in die Fallen und bleibt vorerst zum Reden an der Tür stehen. Oliveira hält Talita abermals für die Maga und fantasiert darüber, vom Fenster aus direkt ins Himmelsfeld zu stürzen. Mit Traveler versöhnt er sich; er sieht in ihm einen Doppelgänger, dem es allerdings – im Unterschied zu ihm selbst – gelingt, im alltäglichen Leben zu funktionieren. Traveler geht hinunter in den Hof zu seiner Frau. Dort ist inzwischen auch die Anstaltsleitung aufgelaufen, die einen Fenstersturz befürchtet. Erst als es den drei Freunden gelingt, die anderen fortzuschicken, kehrt Ruhe ein. Oliveira, auf dem Fensterbrett balancierend, empfindet einen seltenen Moment der Harmonie – in die er sich nun doch gerne hineinfallen lassen würde.

Zum Text

Aufbau und Stil

Rayuela ist ein formal anspruchsvolles und äußerst vielseitiges Buch. Bevor der Roman beginnt, bekommt der Leser einen „Wegweiser“, der zwei grundverschiedene Lektüreverfahren vorschlägt: Neben der linearen Lektüre der beiden Hauptteile des Buches kann man einer alternativen Route folgen, die, hin- und herspringend, auch sämtliche Kapitel des dritten Teils mit einbezieht. Dieser vermeintlich „entbehrliche“ Teil umfasst mehr als ein Drittel des Gesamttextes. In ihm werden Elemente der ersten beiden Teile weiterentwickelt, er enthält Zitate aus Büchern und Zeitungen und führt mit dem Schriftsteller Morelli eine neue Figur ein, über die u. a. das Thema Literatur behandelt wird. Rayuela, vom Autor selbst anfänglich als „Anti-Roman“ bezeichnet, ist in der Tat ein kompositorisches Experiment, zusammenmontiert aus verschiedenen Erzählperspektiven und -formen. Figuren werden weder ordentlich eingeführt noch psychologisch ausgearbeitet. Ausufernde und dialogreiche Milieuszenen wechseln sich ab mit reflexiven Passagen, komische Abschnitte werden konterkariert durch ernste. Ein Kapitel steckt voller erfundener Wörter, ein anderes wechselt Zeile für Zeile zwischen zwei Texten, und statt ans Romanende gerät man, wenn man der zweiten Route des „Wegweisers“ folgt, schließlich in eine Endlosschleife.

Interpretationsansätze

  • In Rayuela kommt ein Unbehagen an der Ordnung der Welt zum Ausdruck. Oliveira zweifelt am konventionellen Gebrauch menschlicher Gefühle, an den ausgetretenen Pfaden der Verständigung und sogar am grundlegenden Gerüst abendländischen Denkens.
  • Oliveira beschwört ein alternatives, ganz und gar wahrhaftiges Dasein jenseits des einschnürenden Netzes der Normalität. Diese utopische Hoffnung hat verschiedene Namen („Mitte“, „Reich“, „Kibbuz des Verlangens“) und zielt auf eine Offenbarung – wenn auch nicht im religiösen Sinn.
  • Der Protagonist befindet sich ständig auf der Suche, erreicht aber nie sein Ziel; er verfehlt die Geliebte ebenso wie die ersehnte „Mitte“. Doch er lernt, dass es weniger auf die Erfüllung ankommt als auf das Streben selbst. Die Suche, die Sehnsucht und die Liebe ohne Gegenüber schulen seine Sensibilität, die ihn dem alternativen Dasein näherbringt.
  • Oliveira und die Maga verkörpern zwei gegensätzliche Formen der Wahrnehmung. Während Oliveira ein analytisches, distanziertes Verhältnis zu den Dingen pflegt, kommt die Maga ihnen auf intuitive, empfindsame Weise oft sehr viel näher.
  • Das formale Durcheinander des Buches ist das Spiegelbild einer Welt, deren traditioneller Struktur und Hierarchie der Autor misstraut. Cortázar erhofft sich, dass der Leser – so heißt es im Buch – zum „Komplizen“ wird, der die Fragmente des Textes verbindet und damit selbst für ein kleines Stück Offenbarung sorgt.
  • Cortázar löst den Gegensatz von Spiel und Ernst auf. Nicht nur wählt er als Titel seines intellektuell anspruchsvollen Buchs den Namen eines Kinderspiels; er lässt seine Figuren auch sonst durch lauter Situationen wandeln, in denen sich Spiel und Ernst verschränken: von den Suchspielen im Pariser Dickicht über die Denkspiele des Schlangenklubs und den Jazz bis hin zum Zirkus in Buenos Aires und schließlich dem Irrenhaus. Hier fallen nicht nur Spiel und Ernst in eins, sondern auch Verstand und Wahnsinn.

Historischer Hintergrund

Stabilität und Aufruhr zu Beginn der 60er Jahre

Ende der 1950er Jahre galt die Nachkriegszeit als abgeschlossen. Westeuropa hatte sich politisch stabilisiert, der allgemeine Wohlstand wuchs. 1958 traten die Römischen Verträge in Kraft, mit deren Hilfe die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, die Vorform der heutigen EU, errichtet wurde. Demokratie und Kapitalismus schienen eine dauerhaft erfolgreiche Kombination zu sein. Gleichzeitig aber befand sich die Welt im Kalten Krieg. Die USA und die Sowjetunion bedrohten sich gegenseitig mit einem riesigen nuklearen Arsenal und sorgten dadurch für konstante politische Spannungen. Parallel dazu schwelten in verschiedenen Teilen der Welt postkolonialistische Konflikte: Während die USA ihren Einstieg in den Vietnamkrieg vorbereiteten, befand sich Frankreich im Algerienkrieg; erst 1962 errangen die Algerier die Unabhängigkeit.

In Lateinamerika erstarkte die Opposition ebenfalls und wehrte sich gegen die Bevormundung der USA. Mit der kubanischen Revolution gelang es 1959 erstmals einer linksgerichteten Bewegung, die hegemonialen Bestrebungen der USA abzublocken und einen radikal unabhängigen Neubeginn zu unternehmen. Kubas Beispiel hatte eine beträchtliche Signalwirkung für den ganzen Kontinent.

In Europa reifte unterdessen eine neue Form des subkulturellen Protests heran. Insbesondere das Paris der Jazzklubs, Cafés und Bars war der Nährboden einer intellektuellen, zunächst vom Existenzialismus inspirierten Boheme, die dem kapitalistischen Wohlstandsmodell misstraute. Die Situationisten etwa betrieben eine radikale Demaskierung der Gesellschaft und beförderten jenen rebellischen Geist, der 1968 in die Studentenrevolte mündete.

Entstehung

Bis Mitte der 50er Jahre war Julio Cortázar für diejenigen, die sein Werk kannten, vor allem ein Autor meisterlich konstruierter surrealer Erzählungen. Nach einigen Jahren in Paris, wo er regelmäßig von der Unesco als Übersetzer beschäftigt wurde, begann ein Öffnungsprozess: Cortázar entdeckte die Flexibilität der Romanform für sich. Paris hatte ihn aufgeschlossener gemacht, sogar buchstäblich: Er trug kaum noch eine Krawatte, wie er das früher, in Argentinien, stets getan hatte. Er fand mehr Abnehmer für seine Texte, erste Erzählungen wurden übersetzt, er nahm stärker am literarischen Leben teil.

Bis kurz vor Vollendung des Romans Rayuela trug dieser den Titel Mandala; doch schließlich entschied sich Cortázar für etwas weniger Hochtrabendes. Als Erstes entstand der Kern des „argentinischen“ Kapitels. Cortázar entschied dann, dass die Figur Oliveira ein Vorleben in Paris haben musste – davon ausgehend begann sich ein immer umfangreicherer Textkorpus zu formen, in den Cortázar auch einige verstreute Notizen aus früheren Pariser Jahren integrierte. Er schrieb nicht diszipliniert und regelmäßig, sondern eher anfallsweise, mitunter wie im Rausch. Bald wusste er, dass er es mit einem – auch formal – anspruchsvollen Projekt zu tun hatte: „Was ich gerade schreibe“, sagte er einem Freund, „wird so etwas wie ein Anti-Roman.“ Erst am Ende des Schreibprozesses brachte Cortázar die verschiedenen Fragmente des Buches in eine Reihenfolge.

Er beteiligte sich auch am verlegerischen Prozess: Er schlug eine Kreidezeichnung des Himmel-und-Hölle-Spiels als Titelmotiv vor und wählte sogar die Schrifttypen der ersten, argentinischen Ausgabe. Das Buch erschien im Sommer 1963. Cortázar nannte es später einen „persönlichen Exorzismus“: „Hätte ich Rayuela nicht geschrieben, hätte ich mich wahrscheinlich in die Seine gestürzt.“

Wirkungsgeschichte

Durch Rayuela verlor Cortázar binnen weniger Jahre seinen Insiderstatus und wurde zu einem international angesehenen Autor. Der Roman stieg bald zu einem Kultbuch der jungen Generation auf. Trotz seiner experimentellen Struktur identifizierten sich Tausende Leser mit Oliveira und der Maga. Rayuela brachte eine Art existenzielle Unrast auf den Punkt und galt deshalb über viele Jahre hinweg als wichtiger Initiationstext und als Herausforderung zugleich. Das Buch war außerdem eines der zentralen Werke des beginnenden „Booms“ lateinamerikanischer Literatur innerhalb Europas und der USA. Gemeinsam mit Mario Vargas Llosa, Gabriel García Márquez und Carlos Fuentes wurde Cortázar als erstaunliche neue Stimme in der Weltliteratur wahrgenommen.

Trotzdem kam der Ruhm nur schrittweise. In Frankreich dauert es zehn Jahre, bis eine erste Auflage von 2500 Exemplaren verkauft war; in deutscher Übersetzung erschien Rayuela erst 1981, fast 20 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung. Für die spanischsprachige Literatur kam das Erscheinen von Rayuela jedenfalls, in den Worten von Vargas Llosa, „einem Erdbeben gleich“. Der Roman, so der peruanische Autor weiter, „erschütterte bis auf die Grundfesten alle Konventionen und Überzeugungen, die wir als Autoren und Leser über Mittel und Ziele des Schreibens hatten, und dehnte die Grenzen des Genres bis zu vorher undenkbaren Extremen aus“. Inzwischen zählt Rayuela unbestritten zu den bedeutendsten Romanexperimenten des 20. Jahrhunderts.

Über den Autor

Julio Cortázar wird am 26. August 1914 als Sohn argentinischer Eltern in Brüssel geboren. 1918 kehren die Eltern nach Argentinien zurück. Der Vater verlässt die Familie, Cortázar wächst mit Mutter, Tante, Großmutter und seiner jüngeren Schwester am Rande von Buenos Aires auf. Schon als Kind schreibt er Gedichte und Prosa. Er absolviert eine Ausbildung zum Lehrer; ein Philosophiestudium bricht er ab, um mit dem Lehrerlohn seine Mutter finanziell unterstützen zu können. Parallel zu Anstellungen in der argentinischen Provinz schreibt er. Als er 1945, mit der Machtübernahme Juan Peróns, das Lehramt niederlegt, kann er bereits erste Veröffentlichungen vorweisen. In den Folgejahren publiziert er regelmäßiger und wird außerdem Übersetzer für Englisch und Französisch. 1951 geht er mit einem Stipendium des französischen Staates nach Paris. Dort wird er, von Reisen und Kurzaufenthalten abgesehen, bis zu seinem Tod leben. Mehr als 20 Jahre lang arbeitet er regelmäßig als Übersetzer für die Unesco. In den 50er Jahren erscheinen die ersten Erzählbände, 1963 schließlich der Roman Rayuela. Obwohl er später noch weitere Romane veröffentlicht, wird er auf Dauer vor allem als Meister kürzerer Erzählungen gefeiert. Nach einer Reise ins Kuba der siegreichen Revolution beginnt er sich stärker politisch zu engagieren – in den 70er Jahren etwa für den chilenischen Sozialismus, in den 80ern für die Revolution in Nicaragua. 1981 erhält er durch ein Dekret des frisch gewählten Präsidenten François Mitterand die französische Staatsbürgerschaft. Im gleichen Jahr wird ihm eine Leukämie diagnostiziert. Cortázar, der bei seinem Tod zum dritten Mal verheiratet ist, stirbt am 12. Februar 1984 in Paris.

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