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Auf den Marmorklippen

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Auf den Marmorklippen

Klett-Cotta,

15 min read
10 take-aways
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What's inside?

Geliebt, gelobt, verhasst und verrissen: Ernst Jüngers Auf den Marmorklippen ist das literarische Dokument einer gespaltenen Generation.

Literatur­klassiker

  • Parabel
  • Moderne

Worum es geht

Ode an den Untergang

Die Nazis umwarben ihn vergeblich, Goebbels hasste ihn, und entnazifizieren lassen wollte er sich schon gar nicht: Ernst Jünger. Die Grünen gingen auf die Barrikaden, als die Stadt Frankfurt ihm 1982 den Goethe-Preis verlieh; doch Joschka Fischer musste eingestehen, dass er für seine Generation eine Art Geheimtipp war, „umgeben von der Aura des intellektuell Obszönen“. Ernst Jünger, der 1998 im biblischen Alter von 102 Jahren starb, steht wie kein anderer deutscher Schriftsteller für die Widersprüche, Irrwege und Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Mit Auf den Marmorklippen hat er diese schon vor Beginn des Zweiten Weltkriegs in eine fremd klingende Prosa gegossen, die in keine Schublade passt. Ein Widerstandsbuch? Nein, den Schuh sollten sich andere anziehen, widersprach Jünger. Ein den Untergang und die Gewalt verherrlichendes, kaltes und barbarisches Machwerk? So urteilten zwar Thomas Mann und viele andere, aber sie standen dabei noch stark unter dem Eindruck der Kriegskatastrophe. Faszinierend ist jedenfalls, wie Jünger seine Absage an die Gewaltherrschaft in eine Sprach- und Bilderwelt packt, wie sie der nationalsozialistischen Propagandamaschinerie nicht besser hätte einfallen können. Jünger wird ein kontroverser Autor bleiben. Wer verstehen will, warum, muss ihn lesen.

Take-aways

  • Ernst Jüngers Auf den Marmorklippen ist eines der umstrittensten Werke des 20. Jahrhunderts.
  • Inhalt: Der Erzähler und sein Bruder leben als Botaniker in der uralten Kulturlandschaft der Marina, die zunehmend vom Terrorregime des Oberförsters bedroht wird. Obwohl sie im Wald eine grauenvolle Schinderhütte entdecken, entscheiden sie sich gegen den Widerstand. Am Ende sehen sie dabei zu, wie die Marina-Kultur in Flammen aufgeht.
  • Das Buch erschien im Herbst 1939, und viele lasen es als Allegorie auf die Naziherrschaft.
  • Jünger selbst wollte es als allgemeine Parabel auf die Tyrannei verstanden wissen.
  • In den 1920er Jahren hatte er mit den Nazis sympathisiert, sich aber später von ihnen distanziert.
  • Wie der fiktive Erzähler im Buch wählte Jünger den Weg der inneren Emigration und entschied sich gegen den offenen Widerstand.
  • Das Buch spiegelt seine zwiespältige Haltung: Jünger war gegen die Nazis, aber für den Untergang der alten Ordnung.
  • Kritiker schmähten das Buch nach Kriegsende als kitschig, faschistoid und elitär.
  • Jüngers Verehrer sahen es als Beweis, dass wahre Kunst auch im Schatten der Nazis gedeihen konnte.
  • Zitat: „Von allen Schrecken der Vernichtung stieg zu den Marmorklippen einzig der goldene Schimmer empor. So flammen ferne Welten zur Lust der Augen in der Schönheit des Unterganges auf.“

Zusammenfassung

Goldene Zeiten

Der Erzähler und sein Bruder Otho führen ein zurückgezogenes Leben als Pflanzenkundler in einer kleinen Winzerstadt am Ufer eines Sees, der Großen Marina. Im Süden liegt das freie Bergland Alta Plana und im Norden die Ebene der Campagna. Durch die Marmorklippen abgeschottet, leben dort nomadische Hirten – ein primitives, heidnisches Volk, das Blutrache praktiziert und sich in Felle und Lumpen kleidet. Am Rand der Campagna liegt unbesiedeltes Moorland und dahinter erstrecken sich im Hochwald die gefürchteten Jagdgründe des Oberförsters. In der reichen, mediterranen Landschaft der Marina gedeihen die herrlichsten Weine, aber auch die Künste und Wissenschaften. Bauern geben den Dichtern und Musikern das Nötigste zum Leben. Die beiden Botaniker trinken jeden Herbst mit den Wirten und Winzern auf Glück und Überfluss. Eines frühen Morgens, als sie trunken vom Wein zu ihrer Rautenklause am Rand der Marmorklippen hinaufsteigen, begegnen ihnen die Geister der Ureinwohner des Landes, grau und mit hölzernen Gesichtern. Ein böses Omen.

„Ihr alle kennt die wilde Schmermut, die uns bei der Erinnerung an Zeiten des Glückes ergreift.“ (S. 5)

Die Rautenklause ist auf einer von Weinbergen umgebenen Felseninsel erbaut. Auf dem sandigen Pfad, der zur Klause hinaufführt, sonnen sich oft die Lanzenottern in der Mittagssonne. Die alte Köchin Lampusa bietet ihnen jeden Abend einen Kessel Milch an. Erio, Lampusas kleiner Enkel und Sohn des Erzählers, bewegt sich inmitten der giftigen Schlangen, als wäre er eine von ihnen: Sie wiegen ihre dreieckigen Köpfe über ihm hin und her, als wollten sie ihn vor drohender Gefahr beschützen. Erios Mutter Silvia ist nach dem Krieg um Alta Plana, in dem auch die beiden Brüder kämpften, mit Fremden weggegangen und hat Erio bei Lampusa zurückgelassen. Otho setzte sich dafür ein, dass der Kleine bei ihnen aufwächst. Anfangs fühlte sich der Erzähler dadurch in seinem Seelenfrieden gestört. Mittlerweile aber hat er den Jungen liebgewonnen. Das Interesse der Brüder gilt den Lilien, doch in den Bücherregalen finden sich auch die Werke der Kirchenväter und anderer klassischer Autoren sowie viele Wörterbücher. Anhand ihrer botanischen Studien ahnen sie, dass den Elementen eine tiefere Ordnung innewohnt und dass sich hinter jedem Unglück ein Sinn verbirgt. Diese Erkenntnis spendet ihnen Kraft, als der Oberförster in der Marina an Einfluss gewinnt.

Schleichende Machtergreifung

Der Erzähler kennt den Oberförster noch als Alten Herrn der Mauretanier, eines mächtigen Geheimbundes, dem die Brüder selbst vor ihrem Rückzug in die Rautenklause angehörten. Er ist steinreich und berühmt für die derben Trink- und Spielgelage, die er in seinem Waldschloss veranstaltet. Die ersten drohenden Zeichen des Umschwungs werden kaum wahrgenommen. Gab es in der Campagna nicht schon immer Streit und Totschlag um Wasser und Weideplätze? Dieses Mal aber unterwandern Agenten des Oberförsters die Hirtensippen und stacheln sie gegen die bestehende Ordnung auf. Sie erpressen Grundherren mit exorbitanten Forderungen, plündern, brandschatzen und morden, ohne dass sie sich dafür vor einem Richter verantworten müssen. Literaten kupfern die Hirtenlieder ab und kleiden sich in Zottelfelle, weil sie sich von der Bewegung eine Art neue Freiheit erhoffen, und immer mehr Marina-Bewohner beginnen, die barbarischen Hirtengötter anzubeten. Viele kommen in Blutrachefehden ums Leben. Die Götzendiener erkaufen von drittklassigen Barden die Verse für das Eburnum, eine seit dem Altertum überlieferte Ehrung verstorbener Helden. Die ursprünglich reinen Lobpreisungen arten nun jedes Mal in stumpfsinnige Hasstiraden aus. Und wenn nach altem Brauch ein schwarzer Adler in die Luft gelassen wird, um die Namen der Helden zu den Göttern zu tragen, tritt nicht wie üblich Stille ein. Stattdessen ertönen wilde Jubelschreie.

Offener Terror

Die engen Vertrauten des Oberförsters schleichen sich in Amtsstuben und Gerichte ein und machen selbst vor Klöstern nicht halt. Der Söldnerführer Biedenhorn verhökert die Dienste seiner Soldaten an die Meistbietenden und lebt wie die Made im Speck. Jäger mit kleinen Äuglein und zerfressenen Visagen verbreiten Angst und Schrecken. Wenn sie in Lampusas Küche vespern, fangen sie oft Perlenechsen und ziehen ihnen bei lebendigem Leibe die herrliche goldgrüne Haut ab, weil die Huren des Oberförsters sich gerne damit schmücken. Viele Menschen werden nachts abgeführt und nie wieder gesehen. Förster stapfen über die Weinberge und hinterlassen Stangen mit Runenzeichen und Tiersymbolen.

„Wie immer, wo der Zweifel sich mit Fülle paart, bekehrten wir uns zur Gewalt – und ist nicht sie das ewige Pendel, das die Zeiger vorwärtstreibt, sei es bei Tage, sei es in der Nacht?“ (S. 27)

Die Brüder erwägen zunächst den bewaffneten Kampf, verwerfen die Idee aber und beschließen, sich auf geistigen Widerstand zu beschränken. Trost spendet ihnen der Spiegel Nigromontans, den ein alter Lehrer ihnen hinterlassen hat. Wenn dieser die Sonnenstrahlen einfängt und ein Feuer entfacht, wird alles, was davon erfasst wird, in die Ewigkeit überführt. Sie wollen ihn für ihre Schriften verwenden, wenn die Stunde der Vernichtung gekommen ist. Außerdem besitzen sie eine Lampe aus Bergkristall, die das Feuer des Spiegels für die Nacht aufbewahrt.

Die Schinderhütte

An einem Nebeltag machen sich die Brüder in die Campagna auf, um nach einer seltenen Blume zu suchen. Am Weidehof des befreundeten Hirten Belovar machen sie Station. Der Sippenführer ist seinen Feinden ein fürchterlicher Rächer, würde für seine Freunde aber durchs Feuer gehen. Auf seinem Hof scheint die Welt noch in Ordnung; Weiden und Vieh sind unversehrt. Die gesuchte Blume, das Rote Waldvögelein, blüht in Waldlichtungen. Deshalb arbeiten sich die Brüder durch die düstere Moorlandschaft bis an die Rodung Köppelsbleek vor, einen verrufenen Ort. Der Erzähler sieht die Pflanze schon im Buchenlaub schimmern, als er Otho eine Klagelaut ausstoßen hört. Hinter einem Busch mit roten Beeren bietet sich ihnen ein Bild des Grauens: Über dem dunklen Tor einer Hütte grinst sie ein Totenkopf an, eingerahmt von einem aus Menschenhänden gebildeten Giebelfries. An den Bäumen klappern Schädel im Wind, am Eingang steht eine Schinderbank mit aufgezogener Haut, dahinter liegen bleiche, schwammige Massen. Ein kleines Männlein reibt sich pfeifend die Hände; in der Luft liegt süßlicher Verwesungsgeruch. Die beiden Brüder stürzen zurück zum Roten Waldvögelein, messen es mit dem Zirkel aus und notieren die genauen Funddaten.

„Wer aber hätte glauben mögen, dass man den Schmalz- und Buttergöttern, die den Kühen die Euter füllten, nun an der Marina zu huldigen begann?“ (S. 42)

In ihrer Klause bekommen sie am Tag darauf Besuch von dem Mauretanier Braquemart und dem Fürsten von Sunmyra. Braquemart ist ein eiskalter Theoretiker und Machtmensch, der wie der Oberförster an die natürliche Überlegenheit der Herrenrasse glaubt. Allerdings möchte er die Erde nicht wie jener in einen Urwald, sondern in sein eigenes Sklavenreich verwandeln. Der Fürst ist ein junger, dekadenter Träumer von höchstem Adel, der an der Schändlichkeit der Welt zu verzweifeln scheint. Braquemart fragt die Brüder über geografische Einzelheiten aus, während der Fürst teilnahmslos danebensitzt. Die Erwähnung von Köppelsbleek bereitet Braquemart Freude. Der Fürst hingegen wird zornig, als er von der Schändung des Eburnums hört. Der Erzähler und sein Bruder wollen sich dem Widerstand gegen den Oberförster nicht anschließen. Sie bezweifeln, dass ein bloßer Machtwechsel viel ändern würde. Für einen echten Wandel müssten neue Ideen und Glaubensgrundsätze her. Die Verschwörer brechen früh morgens ohne Begleitung zu den Weidegründen auf.

Das Attentat

Am Vormittag reicht Lampusa den Brüdern einen Zettel von Pater Lampros. Der Pater, der die Entwicklungen an der Marina von Anfang an durchschaut hat, ist ein guter Freund. Er nimmt den Terror des Oberförsters mit seltsam heiterer Gelassenheit hin. Der Besuch der Verschwörer ist ihm nicht entgangen, und in seiner Botschaft lädt er den Fürsten dringend zu sich ins Kloster ein. Die Brüder verdächtigen ihre Köchin der Kumpanei mit den Leuten des Oberförsters. Sie schicken Erio mit einem Lagebericht zum Kloster. Dann entzünden sie mit ihrem Sonnenspiegel das Feuer und speichern es in der Kristalllampe. Erio kehrt mit der schriftlichen Aufforderung des Paters zurück, dem Fürsten nachzugehen und für ihn zu sorgen. Der Erzähler nimmt seine einzige Waffe, eine simple Jagdflinte, verabschiedet sich von Otho und macht sich auf den Weg zu Belovar. Dessen Hof ist in Aufruhr. Ihm wurde Vieh gestohlen, und es wimmelt im Wald von Jägern und Brandstiftern. Belovar besteht trotzdem darauf, den Erzähler mit seinen Sippenbrüdern und Kampfhunden zu begleiten.

„Gerade hierin lag ein meisterhafter Zug des Oberförsters; er gab die Furcht in kleinen Dosen ein, die er allmählich steigerte und deren Ziel die Lähmung des Widerstandes war.“ (S. 46)

Die Hundeknechte lassen die Tiere Blut lecken. Dann macht sich die Gruppe in mondheller Nacht auf den Weg. Ein Späher tappt gleich zu Anfang in eine Eisenfalle, die ihm grausam die Brust zerschneidet. Offenbar war die Falle überwacht, denn nun scheint das Moor zu erwachen, man hört ein Rascheln und Pfeifen, als trieben sich Ratten im Schilf herum. Als Belovar seine Hunde auf die herumirrenden Gauner im Gestrüpp loslässt, gibt es ein Blutbad: Einigen gelingt es, in den dunklen Wald zu flüchten, die meisten aber werden von den Windhunden gestellt und dann von den Molosser Doggen totgebissen.

Die letzte Schlacht

Die Hunde zieht es Richtung Köppelsbleek. Im Fackelschein glänzen die Baumstämme wie rote Säulen. Wieder schickt Belovar seine Windhunde voraus. Doch diesmal geht die Rechnung nicht auf: Die Tiere werden von den Bluthunden des Oberförsters in Stücke gerissen. Es sind rote Kubadoggen mit schwarzer Maske, wie sie die Spanier einst zum Indianermorden abrichteten. Die Männer hören Belovars stolze Tiere in der Ferne heulen und wissen, dass jede Hilfe zu spät kommt. Schon stürzen die Bluthunde aus den Büschen, an der Spitze das Ungeheuer Chiffon Rouge, der Lieblingshund des Oberförsters. Belovar lässt nun seine gelben Doggen los. Im Kampf sind sie den roten überlegen, doch die Kubadoggen sind in der Überzahl, und sie sind auf die Menschenjagd abgerichtet. Schon hört man das laute „Joho!“ des Oberförsters im Wald. Der Erzähler versucht, im immer dichteren Rauch auf Chiffon Rouge zu schießen. Vergeblich. Da sieht er im Laub vor seinen Füßen das Rote Waldvögelein schimmern. Und tatsächlich, vor ihm liegt Köppelsbleek. In der Ferne sieht er das Schloss des Oberförsters brennen. Die Verschwörer haben offensichtlich ihr Ziel erreicht.

„Ja diese Schinder nahmen sich nicht einmal die Mühe, sie zu töten, sondern beraubten sie noch lebend ihrer Haut und ließen sie als weiße Schemen die Klippen hinunter schießen, an deren Fuß sie unter Qualen verendeten.“ (über die Perlenechsen, S. 48)

Doch der Erzähler hat sich zu früh gefreut: Auf den Eisenstangen vor der Schinderhütte sind zwei neue Köpfe aufgespießt: der des Fürsten und jener Braquemarts. Auf dem Antlitz des Fürsten liegt der Hauch eines Lächelns. Es ist das Lächeln eines Menschen, der seine Furcht besiegt hat. Braquemart hingegen schaut unverändert. Offenbar hat er nach Art der Mauretanier im letzten Augenblick auf eine Giftkapsel gebissen. Wie in Trance nimmt der Erzähler das Fürstenhaupt und steckt es in seine Tasche. Dann geht er über das von verstümmelten Hunde- und Menschenleichen übersäte Schlachtfeld zurück. Auch Belovar liegt dort, mit gespaltenem Kopf, umringt von einem Kranz von Gegnern, die er tapfer zur Strecke gebracht hat.

Untergang und Wiedergeburt

Auf dem Rückweg sieht der Erzähler nichts als verbrannte Erde; das Gesindel aus dem Wald plündert und mordet, Belovars Weidehof liegt in Trümmern. Von der Spitze der Marmorklippen aus sieht der Erzähler das ganze Land in Flammen stehen, mitsamt seiner Städte, Schlösser, Tempel und Klöster. Kein Laut dringt zu ihm hinauf, und er kann seinen eigenen Schrei nicht hören. Da nähern sich ihm die Bluthunde. Langsam schreitet er die Marmorklippenstufen hinab und springt über die Hecke der Rautenklause, als würde er schweben. Die Hunde und das Gesindel kratzen und poltern an der Gartenpforte. Otho hört die Hilfeschreie des Erzählers nicht, als er lächelnd, im Festgewand, mit der Kristalllampe ins Herbarium tritt. Lampusa grinst nur grimmig – ihre Sympathie gilt den Siegern. Erio aber schlägt mit einer Metallgabel auf das Silberkesselchen und lockt die Lanzenottern hervor. Wie maurische Tänzerinnen umzingeln sie Männer und Hunde und töten sie in einem goldenen Reigen. Erio winkt seinem Vater lächelnd zu. Da erwacht dieser aus der Trance.

„Wo immer die Gebäude, wie Menschenordnung sie errichtet, brüchig wurden, schoss seine Brut wie Pilzgeflecht hervor.“ (über den Obesrförster, S. 52)

Die Brüder waschen das Fürstenhaupt mit Wein und betten es in eine Duftamphore mit weißen Lilien und Rosenblättern. Dann verlassen sie die Klause. An der Biegung zum Kloster blicken sie noch einmal zurück und sehen dabei zu, wie in der tief dunklen Flamme Nigromontans ihr Lebenswerk verbrennt. Auch das Kloster steht in Flammen. Pater Lampros steht im Kirchenfenster. Als ihm der Erzähler das Haupt des Fürsten entgegenhält, hebt der Pater seine Hand wie zur Segnung. Dann stürzen wie auf Kommando die Mauern über ihm zusammen. Über der zerstörten Stadt liegt kalter Rauch. Auf Biedenhorns Zwinger weht nun die Fahne des Oberförsters. Der Söldnerhäuptling erinnert sich daran, dass die Brüder ihm im Krieg das Leben gerettet haben, und hilft ihnen, ein Schiff nach Alta Plana zu bekommen. Das Haupt des Fürsten werden sie Jahre später den Christen an der Marina übergeben, damit sie es beim Neubau des Doms in den Grundstein einfügen.

Zum Text

Aufbau und Stil

In Auf den Marmorklippen berichtet in 30 Kapiteln ein Ich-Erzähler, der selbst anonym bleibt: Distanziert und ohne Emotionen beobachtet er die aufziehende Bedrohung durch den tyrannischen Oberförster. Auf dem Höhepunkt der Katastrophe gerät er in einen Trancezustand, der ihn dem Schicksal seiner Zeitgenossen entrückt. Die Geschichte spielt in einer fabelhaften Welt, in der die unterschiedlichsten geschichtlichen Epochen und geografischen Regionen zusammengewürfelt und symbolisch verdichtet werden: Griechische und altgermanische Götter teilen sich mit dem Christengott den Himmel, während antike, mittelalterliche und zeitgenössische Kriege nahtlos ineinander übergehen. Die altmodische Sprache verstärkt den Eindruck des Märchenhaften: Der Wald wird zum „Tannicht“, in dem übles „Gelichter“ feige „Meintaten“ begeht und ein 70-Jähriger sein blutjunges „Weibchen“ verprügelt. Jünger deutet vieles symbolisch an, etwa wenn der Erzähler in der Nähe der Schinderhütte eklige Schmeißfliegen beobachtet. Seine Figuren zeichnet er wie auf mittelalterlichen Gemälden ohne Tiefenperspektive; Gewalt ästhetisiert er, indem er Feuersbrünste und Morde zu verstörend erhabenen Bildern stilisiert.

Interpretationsansätze

  • Auf den Marmorklippen handelt von der Kapitulation einer Kultur vor barbarischer Terrorherrschaft. Das Ende der menschlichen Zivilisation ist im Buch besiegelt. Sie muss untergehen, damit aus den Trümmern etwas Neues hervorgehen kann.
  • Auf den ersten Blick liest sich das Buch als Allegorie auf die Nazis: Der Oberförster ist eine Art Verschmelzung von Göring und Hitler, Braquemart repräsentiert den Typ Goebbels, und der Krieg um Alta Plana erinnert an den Ersten Weltkrieg. Jünger selbst wollte sein Buch aber als allgemeines Modell für den Totalitarismus verstanden wissen.
  • Der Ich-Erzähler und sein Bruder ziehen den Rückzug ins Private einer Teilnahme am Umsturzversuch vor. Die dekadente bürgerliche Marina-Gesellschaft ist nicht mehr zu retten. Eine neue geistige Aristokratie, eine neue „Ordnung“ und neue „Theologen“ müssten her, um Freiheit und Menschenwürde zu verteidigen. In den gemeinen Bürger setzt Jünger keine Hoffnungen; eine Haltung, die ihn u. a. mit seinem älteren Zeitgenossen Stefan George verbindet, eine ebenso umstrittene Gestalt im Kulturbetrieb.
  • Für heutige Leser ist die Teilnahmslosigkeit der Akteure verstörend: Nach der Entdeckung der albtraumhaften Schinderhütte gehen sie ungerührt ihrer Botanikerpflicht nach und füllen das Blättchen für ihr Herbarium aus. Jünger sah es als Tugend an, im Angesicht des Schrecklichen den Sinn für die Schönheit der Welt zu bewahren. Was manche als Kälte kritisierten, war für ihn ein Hauptmerkmal seiner Generation, die von den Erfahrungen im Ersten Weltkrieg geprägt war. In Tagebüchern aus dieser Zeit sprach er vom „verrohenden Einfluss des Krieges“: Der Schrecken lasse ihn schlicht kalt.
  • Viele Interpreten zitieren die Marmorklippen als Paradebeispiel für Jüngers amoralischen Ästhetizismus. Andere glauben in dem Werk gerade dessen Überwindung zu erkennen, weil Jünger moralische Positionen beziehe und sich der Ethik des Mitleids zuwende.
  • Als die Marina-Welt in Flammen aufgeht, entsteht ein unauflöslicher Widerspruch zwischen Ablehnung der Terrorherrschaft auf der einen und dem Beschwören von Nazi-Untergangsmythen auf der anderen Seite. Es entsteht ein Spannungsverhältnis, das abstoßend und faszinierend zugleich wirkt.

Historischer Hintergrund

Literatur unter dem Hakenkreuz

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 spaltete sich die deutschsprachige Literaturlandschaft in drei Lager: Nazi-Sympathisanten schrieben ideologisch verbrämte Bauern- und Kriegsromane, die nach 1945 zu Recht in der Versenkung verschwanden. Rund 2500 Schriftsteller und Publizisten wurden vertrieben oder emigrierten. Eine dritte Gruppe wählte den Weg der inneren Emigration: Sie blieben im Land, schlossen sich dem Widerstand an oder zogen sich ins Privatleben zurück. Nach 1945 stritten die inneren und äußeren Emigranten heftig über Rolle und Verantwortung des Künstlers in der Zeit des Dritten Reichs. Beide Seiten beanspruchten für sich, das „andere Deutschland“ repräsentiert zu haben.

Ähnlich wie die Exilanten waren auch die inneren Emigranten ganz unterschiedlich politisch motiviert. Zu ihnen gehörten Pazifisten und Demokraten wie Erich Kästner, aber auch rechte Konservative wie Ernst Jünger, die zu Beginn der Weimarer Republik mit ihrem literarischen Schaffen den geistigen Boden für den Nationalsozialismus mitbereitet hatten. Jünger war ein Befürworter der konservativen Revolution, zu denen auch der spätere Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg gehörte. Ihre Vertreter waren antiegalitär und antidemokratisch eingestellt. Sie wollten gegenüber dem wahrgenommenen Nihilismus ihrer Zeit verloren geglaubte Werte und Tugenden zur Geltung bringen und eine hierarchische Gesellschaftsordnung auf der Basis einer geistigen Aristokratie errichten. Nach anfänglichen Sympathien lehnten sie die Gewaltherrschaft der Nazis zunehmend ab.

Entstehung

Jünger weigerte sich 1933, der gleichgeschalteten Deutschen Dichterakademie beizutreten, woraufhin seine Berliner Wohnung von der Gestapo durchsucht wurde und er sich aufs Land zurückzog. Obwohl der Autor eine zu enge Interpretation der Marmorklippen als Parabel auf die Nazi-Herrschaft immer ablehnte, sind die Parallelen zu seiner eigenen Biografie und zur unmittelbaren geschichtlichen Wirklichkeit unverkennbar: Hinter Bruder Otho verbirgt sich sein jüngerer Bruder Friedrich Georg Jünger, mit dem er in den 1920er Jahren in konservativ-nationalistischen Zirkeln verkehrte. Die im Buch beschriebene Rautenklause ähnelt dem Weinberghaus auf einem felsigen Rebenhang in Überlingen am Bodensee, in dem die Jüngers zwischen 1936 und 1939 lebten und wo der Autor mit der Arbeit an dem Buch begann. Ein Anlass hierfür könnte der nächtliche Besuch des Widerstandskämpfers Adam von Trott zu Solz im Weinberghaus gewesen sein, der 1944 im Zusammenhang mit dem Stauffenberg-Attentat auf Hitler hingerichtet wurde. Er hatte in jener Nacht einige Zeit vor Kriegsbeginn um Unterstützung für die Umsturzpläne gebeten. Jünger notierte Jahre später in seinem Tagebuch sein Fazit zu diesem Ereignis: „Die wollen den Drachen angehn und erwarten die Legitimation von dir.“ Jünger hielt ein Attentat jedoch für unzureichend, um das System der Tyrannei zu stürzen. Wie viele andere seiner Generation verspürte er das, was er später als die „Lust am Untergang“ bezeichnete. Am 21. April 1939 schrieb er in sein Tagebuch: „Auch das historische System geht hin und wieder, um zu bestehen, gleich dem Kosmos in Feuer auf.“

Wirkungsgeschichte

Auf den Marmorklippen erschien – unzensiert – im Herbst 1939. Die meisten Leser verstanden es als Parabel auf die Nazis und ein Buch des Widerstands. Der Politikwissenschaftler Dolf Sternberger lobte es später in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als „kühnstes Erzeugnis der Schönen Literatur“ jener Zeit: „Man rieb sich die Augen, es schien fast unglaublich, dass dergleichen möglich war.“ Joseph Goebbels soll kurz nach der Veröffentlichung Jüngers Inhaftierung und Einweisung ins Konzentrationslager angeordnet haben, ein Schicksal, vor dem Adolf Hitler persönlich den Schriftsteller angeblich bewahrte.

Nach Kriegsende wurde über kaum ein Werk so erbittert gestritten wie das Ernst Jüngers. Thomas Mann hielt ihn für einen „zweifellos begabten Mann, der ein viel zu gutes Deutsch schrieb für Hitler-Deutschland“, aber auch für einen „Wegbereiter und eiskalten Genüssling des Barbarismus“. Bertolt Brecht giftete: „Vielleicht sollte man ihn überhaupt nicht einen Schriftsteller nennen, sondern sagen: Er wurde beim Schreiben gesehen.“ In den 50er Jahren stiegen die Marmorklippen kurzzeitig zur Schullektüre auf, doch schon bald darauf schlug das Pendel um: Anstatt das Buch wie zuvor als Ehrenrettung der Literatur im Dritten Reich zu feiern, geißelten es die Interpreten der 60er und 70er Jahre als reaktionäres, im faschistischen Kitsch verfangenes Machwerk, das Gewalt und den Untergang verherrliche. Maxim Biller schrieb 1998 in einem Nachruf über Jünger: „Er war der kälteste Schriftsteller, den Deutschland in diesem Jahrhundert hervorgebracht hat, er fürchtete den Tod nicht und auch nicht Hitler oder den atomaren Holocaust, und für die Demokratie hatte er nicht einmal ein Schulterzucken übrig. War Jünger deshalb ein schlechter Schriftsteller? Aber natürlich.“ Heute erinnert insbesondere die Prosa von Christian Kracht an Jüngers kühle Ästhetisierung grässlicher Vorgänge.

Über den Autor

Ernst Jünger wird am 29. März 1895 in Heidelberg als Sohn eines promovierten Chemikers geboren. Einer seiner Brüder ist der ebenfalls bekannte Schriftsteller Friedrich Georg Jünger. Seine Kindheit verbringt Jünger vor allem in Hannover. Noch als Gymnasiast geht er zur Fremdenlegion nach Nordafrika, wird aber vom Vater zurückgeholt. Nach dem Notabitur 1914 meldet er sich als Kriegsfreiwilliger und erhält im Ersten Weltkrieg höchste militärische Auszeichnungen als Soldat. Seine Kriegserlebnisse verarbeitet er in mehreren Werken, darunter In Stahlgewittern (1920), das ihn sogleich berühmt macht. Nach dem Krieg dient er bis 1923 in der Reichswehr und studiert danach Zoologie und Philosophie, bricht seine Studien aber ab, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. Nach anfänglichen Sympathien hält er sich von den Nationalsozialisten fern und lehnt sowohl einen ihm von der NSDAP angebotenen Sitz im Reichstag als auch die Aufnahme in die Dichterakademie ab. 1939 erscheint sein Roman Auf den Marmorklippen, in der das Regime eines brutalen „Oberförsters“ beschrieben wird. Im gleichen Jahr wird Jünger zur Wehrmacht eingezogen und leistet als Hauptmann Dienst in Frankreich, vor allem in Paris. 1944 wird Jünger, der einigen der Attentäter vom 20. Juli nahesteht, wegen kritischer Äußerungen aus der Wehrmacht entlassen. Weil er sich weigert, den Entnazifizierungsbogen der Siegermächte auszufüllen, wird er nach dem Krieg zunächst mit Publikationsverbot belegt. Anfang der 50er Jahre zieht Jünger nach Wilflingen in Baden-Württemberg, wo er bis zu seinem Lebensende wohnt. Jünger erhält u. a. den Goethepreis und das Bundesverdienstkreuz. Er wird in Frankreich sehr geschätzt, der französische Präsident Mitterand besucht ihn sogar in Wilflingen. Neben seiner Arbeit als Schriftsteller betätigt er sich auch als Insektenforscher und kommt dadurch zu einigem Ansehen. Sein tagebuchartiges Werk Siebzig verweht erscheint in fünf Teilen von 1980 bis 1997. Jünger stirbt kurz vor seinem 103. Geburtstag am 17. Februar 1998. Erst nach seinem Tod wird bekannt, dass er 1996 zum Katholizismus konvertierte.

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