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Fanny Hill

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Fanny Hill

Memoirs of a Woman of Pleasure

dtv,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
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Was ist drin?

Ein geheimer Klassiker: John Cleland lässt in seinem Feuerwerk erotischer Bekenntnisse nichts aus, driftet aber nie in die Untiefen der Pornografie ab.


Literatur­klassiker

  • Erotik
  • Aufklärung

Worum es geht

Die ehrenwerteste Dirne der Welt

Als Fanny Hill Mitte des 18. Jahrhunderts erstmals erschien, wurde der Roman als derart obszön und anstößig empfunden, dass sein Autor John Cleland sogar vor Gericht erscheinen musste. Tatsächlich ist die Geschichte nicht ohne Brisanz: Fanny Hill, ein Landmädchen von gerade mal 15 Jahren, kommt nach London, um sich dort ihren Lebensunterhalt als Bedienstete zu verdienen. Sie wird von einer Kupplerin aufgegriffen und landet im Bordell. Zwar wird sie schon nach kurzer Zeit von einem Gentleman gerettet und aufgenommen, gerät aber bald wieder in die Mühle der Prostitution. Erst Jahre später findet Fanny wieder auf den rechten Weg zurück und lebt schließlich als ehrbare Ehefrau. Clelands Roman war nicht so sehr wegen seines Inhalts berüchtigt – die Verführung tugendhafter Mädchen war zu seiner Zeit ein beliebtes Sujet –, sondern vielmehr wegen der Offenheit, mit der Fanny von ihrer Zeit als Edelprostituierte erzählt. Dank Clelands Erzählkunst wirken aber auch diese detaillierten Schilderungen selten pornografisch oder abstoßend. Für den heutigen Leser sind seine Bemühungen, ausdrucksstarke Synonyme für Geschlechtsorgane und Sexualakte zu finden, eher amüsant denn anstößig. Trotzdem wurde Fanny Hill erst vor wenigen Jahrzehnten in den Klub der literarisch wertvollen Bücher aufgenommen.

Take-aways

  • Fanny Hill ist ein geheimer Klassiker: Lange Zeit wurde der literarische Rang des erotischen Romans verkannt.
  • Der Autor John Cleland wurde für sein unzüchtiges Buch sogar zeitweise verhaftet.
  • In zwei sehr langen Briefen an eine unbekannte Dame berichtet Fanny Hill von ihrem früheren Dasein als Dirne.
  • Schon als ganz junges Mädchen macht sie erste Bekanntschaft mit der Londoner Prostituiertenszene, wird aber von einem netten Herrn gerettet.
  • Nachdem ihre große Liebe ins Ausland verschwunden ist, gibt sie sich vollständig irdischen Gelüsten hin.
  • Sie macht Erfahrungen als Mätresse und Edelprostituierte.
  • Äußerst detailgetreu berichtet Fanny von ihren Erlebnissen mit Männern und Frauen, von Orgien, Sadomasochismus und anderen sexuellen Spielarten.
  • Als sie Jahre später ihre Jugendliebe wieder trifft, verwandelt sich die lustorientierte Fanny in eine tugendhafte und glückliche Ehefrau.
  • Fanny Hill wurde bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts von Kritikern als pornografisch und daher als literarisch minderwertig verschmäht.
  • Noch 1968 wurde der Roman von einem deutschen Gericht als „objektiv unzüchtig“ bezeichnet und verboten.
  • Fanny Hill ist neben den erotischen Schilderungen auch eine akkurate Zeit- und Milieustudie Englands im 18. Jahrhunderts.
  • Trotz seines brisanten Inhalts ist in Fanny Hill kein einziges obszönes Wort zu finden.

Zusammenfassung

Ein Waisenmädchen kommt nach London

Mit 15 Jahren verliert Fanny Hill ihre Eltern während einer Pockenepidemie. Aufgewachsen auf dem Land, kaum mit schulischer Bildung versehen und völlig mittellos, muss sich die Waise Gedanken über ihre Zukunft machen. Sie beschließt, nach London zu gehen und sich dort eine Stellung als Dienstmädchen zu suchen. Der Zufall kommt ihr zu Hilfe, als sie eine Dame namens Esther Davis trifft, die verspricht, ihr in London unter die Arme zu greifen. Mit ihren wenigen Habseligkeiten folgt Fanny Esther in die große, unbekannte Stadt. Dort angekommen, bringt die bis dahin so gütig scheinende Esther das Mädchen in einem Gasthaus unter und verschwindet ohne viele Worte. Fanny, ganz auf sich allein gestellt, meldet sich am nächsten Morgen bei einem Arbeitsvermittlungsbüro, das ihr von Esther empfohlen wurde. Als sie dort auf einen Bescheid wartet, tritt eine ältere Dame namens Madam Braun an sie heran und bietet ihr eine Stelle als Dienstmädchen an. Die naive Fanny nimmt das Angebot sofort an und zieht bei Madam Braun ein. Auch Tage später hat Fanny noch nicht realisiert, dass es sich bei ihrer Anstellung weniger um die Arbeit einer Bediensteten als vielmehr um die eines Freudenmädchens handelt.

Erste Erfahrungen im Freudenhaus

Im festen Glauben, die Gesellschafterin Madam Brauns zu werden, wird Fanny die ersten paar Tage im Haus der Dame unter Verschluss gehalten. Als Gesellschaft bekommt sie die etwa 25-jährige Phöbe zur Seite gestellt, die den Auftrag hat, Fanny für ihren ersten Kontakt mit einem Kunden vorzubereiten. Diese ahnt davon natürlich nichts und ist umso erstaunter, als Phöbe, mit der sie ein Bett teilt, sie anzufassen beginnt. Doch Phöbe erweist sich als ziemlich erfahren auf diesem Gebiet und es gelingt ihr durch allerhand Fingerfertigkeiten, in der völlig unerfahrenen Fanny Hitzewallungen aufkommen zu lassen. Kurze Zeit später findet Madam Braun, die Zeit sei reif, und sie stellt Fanny einem Herrn vor. Doch der erste Freier könnte nicht schlechter ausgewählt worden sein: Fanny ekelt sich so sehr vor dem hässlichen Kerl mit Mundgeruch, dass sie sich mit aller Kraft wehrt, als dieser ihr an die Wäsche gehen will. Das Unternehmen schlägt fehl und Fanny wird fürs Erste geschont.

„Wahrheit! unverstellte, nackte Wahrheit ist meine Losung, und ich werde mir nicht die Mühe nehmen, ihr eine Hülle anzulegen, sondern Umstände und Lagen so malen, wie sie mir wirklich vorgekommen sind, unbesorgt, ob ich jene Gesetze des Wohlanstands übertrete, die nie für solche uneingeschränkten vertrauten Verbindungen, wie die unsrigen, gemacht waren.“ (S. 7 f.)

Als sie ein wenig später unfreiwillig und zum ersten Mal in ihrem Leben Zeugin eines Geschlechtsaktes wird, ist sie sehr beunruhigt über die, wie ihr scheint, unglaubliche Größe des männlichen Geschlechtsteils, von dem sie sich nicht vorstellen kann, dass es in ihren kleinen Körper hineinpasst, ohne Schmerzen zu verursachen. Doch die schlaue Phöbe weiß Rat und lässt Fanny zusehen, wie ein anderes Mädchen mit ihrem Freier schläft. Erstaunt beobachtet Fanny, dass die junge und ebenso zierlich gebaute Polly große Freude an der Sache zu haben scheint, von Schmerzen keine Rede. Mit diesem Kniff nimmt Phöbe Fanny nicht nur ihre Ängste, sondern versetzt sie in solche Wallungen, dass sie ihr erstes Mal kaum erwarten kann.

Flucht aus dem Bordell

Bevor Fanny ganz offiziell in das Gewerbe eingeführt wird, sieht sie zum ersten Mal den Mann, der ihren Werdegang maßgeblich beeinflussen soll: Charles. Fanny findet ihn schlafend in der Eingangshalle des Hauses vor und entbrennt augenblicklich in Liebe zu ihm. Charles ist ebenso begeistert von Fanny, er befreit sie aus dem Bordell und holt sie zu sich nach Hause. Nachdem die beiden die ersten Tage in einem rauschartigen Zustand in Charles’ Wohnung verbracht haben, verschafft er Fanny, die nun seine Mätresse ist, eine eigene Bleibe. Die überglückliche Fanny verbringt in ihrem Liebesnest frohe Monate mit Charles, ausgefüllt mit Hingabe und Lust.

„Hier war kein Platz, so wenig zum Sitzen wie zum Stehen; indem sie mich aber an die Tür lehnen ließ, hob sie mir meine Röcke auf und fing mit ihren geschäftigen Fingern an, den Teil an mir zu visitieren und zu durchsuchen, wo jetzt die Hitze und der Reiz so heftig waren, dass ich vor Begierde hätte hinsterben können.“ (über Phöbe, S. 57)

Doch das Glück währt nicht ewig: Plötzlich verschwindet Charles spurlos. Fannys Nachforschungen ergeben, dass er von seinem Vater, der ihn möglichst weit weg sehen will, gegen seinen Willen ins Ausland verfrachtet worden ist. Das Mädchen bricht daraufhin völlig zusammen und wird schwer krank. Gepflegt wird sie von der Hauswirtin, einer habsüchtigen und listigen Kupplerin, die einen Vorteil aus Fannys Elend zieht: Kaum ist Fanny wieder auf den Beinen, setzt ihr die Hauswirtin eine gesalzene Rechnung vor und droht ihr mit Gefängnis, sollte sie diese nicht bezahlen können. Völlig verängstigt gibt Fanny dem Druck nach und lässt sich auf einen Herrn ein, den ihr die Hauswirtin vorstellt.

Fanny, die offizielle Mätresse

Herr H. bezahlt die Schulden bei der Hauswirtin, schläft mit Fanny und nimmt sie dann mit zu sich nach Hause. Das Mädchen ist zuerst völlig apathisch und gibt sich widerstandslos hin. Nach dem Verlust von Charles ist ihr alles egal. Bald aber muss sie feststellen, dass ihr neuer Verehrer gar kein so übler Mensch ist: Er besorgt ihr eine Wohnung und überhäuft sie mit Geschenken. Zudem ist er galant und freundlich. Nach einer Weile hat sich Fanny recht gut in ihr neues Leben eingefunden, sie unterhält Verbindungen mit anderen Mätressen und lässt es sich gut gehen. Ihr unbeschwertes Dasein wird jäh unterbrochen, als sie Herrn H. heimlich beim Geschlechtsakt mit einem Dienstmädchen beobachtet. Fanny weiß zwar, dass sie als ausgehaltenes Mädchen nicht in der Position ist, ihm Vorwürfe zu machen, dennoch kann und will sie seine Untreue nicht auf sich sitzen lassen.

„Weil jetzt mein ganzes Gewand bis an die Mitte des Körpers aufgerollt war, warf ich mich aufs Ruhebett in eine solche Lage hin, die ihm den vollen Anblick des Sitzes der Wonne und der ganzen bezaubernden Landschaft dort herum gab.“ (über William, S. 122)

Im Vergleich zu anderen Frauen ihrer Zunft hat sie sich bisher nichts zuschulden kommen lassen, nun aber beschließt sie, Gleiches mit Gleichem zu vergelten und auf diese Weise Rache an Herrn H. zu nehmen. Als geeignetes Objekt erscheint ihr der junge Schützling ihres Gönners: Der bäurische und unschuldige William lässt sich von der inzwischen recht abgefeimten Fanny nur zu leicht verführen, und bald unterhalten die beiden ein Verhältnis, das sowohl ihr als auch ihm große Freude verschafft. Als ihre Liebelei von H. aufgedeckt wird, zieht er sofort die Konsequenzen aus der Untreue seiner Mätresse. Fannys Einwand, dass er ja dasselbe Vergehen begangen habe, lässt er nicht gelten. Trotz Fannys Bitten und Flehen wirft er sie binnen Wochenfrist aus der Wohnung, gibt ihr aber fairerweise Geld und überlässt ihr die Geschenke, die sie von ihm bekommen hat.

Zurück im Bordell

Obwohl Fanny sich über ihre neu gewonnene Freiheit freut, sieht sie sich gezwungen, wieder eine Geldquelle ausfindig zu machen. Sie stellt sich darauf ein, ihren Lebensunterhalt künftig als Straßendirne bestreiten zu müssen, ein Umstand, den sie mit Gelassenheit zur Kenntnis nimmt. Zum Glück wird sie von Frau Cole unter die Fittiche genommen, einer Kupplerin guten Schlags: Ehrlich und charakterlich einwandfrei unterhält Frau Cole ein Freudenhaus der Luxusklasse. Die erfahrene Zuhälterin ist darauf bedacht, nur die schönsten und lieblichsten Mädchen bei sich arbeiten zu lassen; die Räumlichkeiten sind gepflegt und hübsch ausstaffiert, die Kundschaft ausgewählt und von untadeligem Ruf.

„Ihr Galan begann, ihr im Stehen noch den Busen zu enthüllen, der, als er entblößt war, uns glauben machte, es sei noch mehr Licht ins Zimmer gekommen, so außerordentlich blendend war sein Weiß.“ (S. 184)

Bereits kurze Zeit nach ihrer Ankunft wird Fanny in die Gepflogenheiten von Frau Coles Bordell eingeweiht. Unter dem Vorwand, eine Art Aufnahmeprüfung absolvieren zu müssen, wird Fanny zu einer Orgie eingeladen. Sie und drei weitere Mädchen bekommen je einen galanten jungen Herrn zugeteilt, mit dem sie speisen und trinken und sich gut unterhalten. Nach dem Essen wird der Tisch im Raum durch ein Bett ersetzt und Fanny wird Zeugin, wie sich jedes Pärchen nacheinander vor den Augen der anderen liebt. Der Akt wird jeweils von unterstützendem und aufmunterndem Beifall begleitet, und als die Reihe an Fanny ist, ist sie nur zu willig, sich auf das Spiel einzulassen.

Fannys Leben als Dirne

Fanny, die mittlerweile 18 Jahre alt ist, gefällt es in Frau Coles Haus ausnehmend gut. Tagsüber arbeitet sie mit den anderen Mädchen im Laden ihrer Helferin, einer Boutique, die die umsichtige Frau zur Tarnung ihrer Geschäfte unterhält. Der Umgang untereinander ist locker und freundschaftlich, Frau Cole ist für Fanny mittlerweile zu einer Ersatzmutter geworden, die ihr mit Rat und Tat zur Seite steht und stets das Beste für ihr Mädchen will. Zwischendurch bedient Fanny ihre Kunden, über die sie sich nicht im Mindesten beklagen kann, da sie alle wohlerzogen und galant sind. Zudem findet Fanny selbst so große Freude und Lust am Sex, dass die Arbeit für sie kein Zwang ist.

„Die Männer haben, wenn sie einmal fasziniert sind, besonders durch das Gesicht, einen Vorrat von Einfalt, von der ihre Herrenweisheit sich wenig träumen lässt und durch die auch die scharfsichtigsten unter ihnen von uns hintergangen werden.“ (S. 198 f.)

Als sie eines Tages beim Gemüsekauf von einem jungen Herrn angesprochen wird, beschließt sie, ihm einen Streich zu spielen. Ihr jugendliches und unschuldiges Aussehen benutzt sie dazu, ihn glauben zu machen, sie sei noch Jungfrau. Frau Cole spielt das Spiel mit und gibt die zwar züchtige, aber leicht zu überredende Lehrmeisterin Fannys. Auf diese Täuschung fällt Herr Norbert leichtgläubig herein. Da der Preis für die Entjungferung eines Mädchens besonders hoch ist, gelingt es Fanny und ihrer Vertrauten, den Herrn abzuzocken. Dank fingierten Blutungen und Fannys schüchternem Benehmen bleibt der Bluff unentdeckt. Herr Norbert nimmt Fanny sogar als Mätresse. Er ist ihr überaus dankbar, dass sie seiner schwachen Potenz mit Nachsicht und Geduld begegnet. Wenige Zeit später stirbt Fannys Gönner und sie kehrt in Frau Coles Haus zurück.

Mehr Geschichten über Freier

Fannys sexuelle Energie bleibt weiterhin ungebrochen und führt sie manchmal sogar dazu, nach einem verdrießlichen Akt mit einem Freier ihre Befriedigung bei einem potenten Matrosen zu suchen. Frau Cole entgeht die Lust an der Lust ihres Freudenmädchens nicht und sie wagt es, Fanny um einen besonderen Gefallen zu bitten: Sie hat einen Kunden namens Barville, für den es schwierig ist, eine passende Gespielin zu finden, da er sadomasochistisch veranlagt ist. Die neugierige Fanny lässt sich auf dieses Experiment ein. Zunächst fesselt sie Barville und peitscht ihn mit Ruten aus. Nachdem er – von Fanny blutig geschlagen – zum Höhepunkt gekommen ist, geht es an den zweiten Teil der Abmachung: Er soll sie nun ebenfalls schlagen. Am liebsten würde sie aussteigen, doch sie steht zu ihrem Wort und spielt die Tapfere, obwohl ihr der Schmerz anfänglich nicht zusagt. Um auch Fannys Begierde zu befriedigen, versuchen die beiden miteinander zu schlafen, was sich als schwierig herausstellt, da Fanny weder sitzen noch liegen kann. Doch Barville weiß Rat und stellt sie kurzerhand auf den Kopf, um so den Akt zu vollziehen.

„Die Täuschung war vollendet; keine andere Idee kam ihm in den Kopf, als dass er eine noch nie betretene Mine geöffnet hätte, und dies vermehrte seine Zärtlichkeit mir gegenüber und zugleich seine Begierde, sie völlig aufzuhauen.“ (über Herrn Norbert, S. 211)

Obwohl sich Fanny im Nachhinein eingestehen muss, dass ihr dieses Abenteuer zu mehr Befriedigung verholfen hat, als sie anfangs gedacht hat, will sie sich unter keinen Umständen erneut darauf einlassen. Frau Cole, der bewusst ist, dass Fanny nicht so leicht abzuschrecken ist, traut ihr weitere Kunden mit sonderbaren Wünschen zu. So hat es Fanny beispielsweise mit einem Herrn zu tun, der höchstes Vergnügen daran empfindet, ihre Haare zu kämmen oder ihr Handschuhe zu schenken, von denen er die Spitzen abbeißt.

Fanny wird tugendhaft

Neben all diesen bisweilen bizarren Erfahrungen versucht Fanny, ein gemäßigteres Leben zu führen. Dies geschieht nicht aus dem Wunsch heraus, ihr Dasein mit tugendhafteren Beschäftigungen zu füllen. Der Grund für ihren Wandel ist Langeweile: Fanny hat mittlerweile fast alles gesehen und mitgemacht, die verschiedenen Sexpraktiken und Stellungen üben nicht mehr denselben Reiz auf sie aus wie früher. So kommt es Fanny sehr gelegen, als Frau Cole beschließt, ihr Metier aufzugeben und ihren Lebensabend an einem anderen Ort zu verbringen. Fanny, die mittlerweile ein beträchtliches Vermögen zusammengespart und zudem noch Geld von einem Verehrer geerbt hat, zieht sich ebenfalls aus dem käuflichen Gewerbe zurück.

„Er zwang sich nun seinen Weg durch; als ich aber fühlte, dass er an der rechten Tür vorbeiging und gewaltig an die unrechte schlug, so sagte ich’s ihm, worauf er aber antwortete: ‚Oh meine Liebe, nur einen Hafen für den Sturm.‘“ (über Herrn Norbert, S. 218)

Nun, wo sie eigentlich ein ruhiges und beschauliches Leben führen könnte, kommt ihr ihre alte Liebe Charles wieder in den Sinn. Sie stellt Nachforschungen an und erfährt, dass er in wenigen Monaten nach England zurückkommen wird. Um die Zeit zu überbrücken, unternimmt Fanny eine kleine Reise, während der sie von einem Unwetter überrascht wird und in einem Gasthaus Unterschlupf findet. Durch einen glücklichen Zufall trifft Fanny den verfrüht eingetroffenen Charles dort an. Nun hat ihre Reise endlich ein Ende: Charles ist zwar inzwischen völlig mittellos, der soziale Abstieg des Paares wird aber durch Fannys Vermögen verhindert. Die beiden heiraten, bekommen einen Sohn und führen ein moralisch einwandfreies Leben. Und Fanny kommt zur Einsicht, dass Lust und Laster dornige Rosen sind, während Tugendhaftigkeit der alleinige Weg zur Glückseligkeit ist.

Zum Text

Aufbau und Stil

Fanny Hill ist ein Briefroman, der aus nur zwei etwa gleich langen Briefen besteht, die an eine unbekannte „Madam“ gerichtet sind – offenbar eine enge Vertraute Fannys. Der erste Brief handelt von Fannys Werdegang als Prostituierter und endet damit, dass ihr Gönner Herr H. sie rauswirft und sie bei Frau Cole einzieht. Der zweite Brief erscheint gleich dem ersten gewissermaßen als Beichte Fannys und schließt mit der Feststellung, wie glücklich sie nun sei, ein tugendhaftes und ehrbares Leben zu führen. Aber allein aufgrund der Länge der Briefe wird deutlich, dass die Tugendbeteuerungen am Schluss in erster Linie die detailgetreue Nacherzählung von Fannys Erlebnissen rechtfertigen sollen – ein beliebtes literarisches Mittel zur Zeit Clelands. Stilistisch erreicht der Roman bisweilen ein recht hohes literarisches Niveau, das ihn von der Schund- und Trivialliteratur abhebt, wenn auch einige Stellen etwas arg ins Pathetische und Kitschige abdriften. Die Sätze sind oft lang und verschachtelt. John Clelands Beschreibung der sexuellen Aktivitäten Fannys wie auch die fantasievollen Bezeichnungen für die menschlichen Geschlechtsteile sind virtuos, aber für den heutigen Leser mitunter auch unfreiwillig komisch („Ihre aufgehobenen Röcke und das Hemd zeigten der Gesellschaft die wohlgeformtesten Beine, die man sich denken konnte, und einen vollen Anblick der angenehmen Fleischkluft, aus der der mit Haaren beschattete Mund, süß einladend, sanft und schwellend hervorragte.“).

Interpretationsansätze

  • Mit viel Fantasie und ohne die Dinge jemals beim Namen zu nennen, beschreibt Cle-land den Geschlechtsverkehr und die Geschlechtsteile von Männern und Frauen. Er schafft das Kunststück einer detailgetreuen Schilderung, ohne vulgär zu werden. Skurrilerweise enthält Fanny Hill, das jahrhundertelang als obszön und pervers galt, kein einziges wirklich obszönes Wort.
  • Obwohl Fanny selbst keine Gelegenheit zum Geschlechtsverkehr, welcher Art auch immer, auslässt, ist sie über alle Maßen empört, als sie einem Akt von zwei Schwulen beiwohnt. Homosexualität wird als verabscheuungswürdig, lächerlich und ekelhaft bezeichnet, was für Clelands Zeit nicht verwunderlich ist: Noch im 18. Jahrhundert stand auf homosexuelle Aktivitäten die Todesstrafe.
  • Der Roman scheint merkwürdig unausgewogen: Nachdem Cleland fast neun Zehntel des Buches mit detaillierten Beschreibungen von Sexualakten gefüllt hat, lässt er seine Heldin auf wenigen Seiten zur tugendhaften und moralisch einwandfreien Ehefrau mutieren.
  • Fanny Hill beinhaltet zuletzt eine deutliche Moral: Einzig die Heirat aus Liebe und ein tugendhaftes Leben führen zum höchsten Glück; die Sexualität vermag nur vorübergehende Lust zu schenken.
  • In Fanny Hill lassen sich zwei verschiedene Haltungen erkennen: einerseits die freizügige der französischen Literatur, die erotische Schilderungen längst aufgenommen hatte, andererseits die puritanisch-moralische der englischen Bürger-schicht.
  • Fanny Hill kann auch als kultur- und sozialgeschichtliches Zeugnis gelesen werden: Der Roman vermittelt authentische Kenntnisse über gesellschaftliche Verhältnisse und Vorstellungen im England des 18. Jahrhunderts.

Historischer Hintergrund

Der Roman im Zeitalter der Aufklärung

Das 18. Jahrhundert wird als das Zeitalter der Aufklärung bezeichnet. In Europa, insbesondere in England und Frankreich, entstanden Bewegungen, die großen Einfluss auf den Verlauf der Geschichte nahmen und mitbestimmend für unsere heutige Weltsicht waren. In sämtlichen Lebensbereichen fand ein Umdenken statt, der Mensch wollte unabhängiger und selbstständiger werden. Man forderte religiöse Toleranz, politische und wirtschaftliche Freiheit und erhob Vernunft und Intellekt zu den höchsten Tugenden. Die Französische Revolution von 1789 und die Herausbildung einer modernen Demokratie waren die politischen Folgen.

Da mit der Entstehung einer bürgerlichen Öffentlichkeit nicht mehr ausschließlich der Adel tonangebend war, konnte sich ein freier literarischer Markt entwickeln. Schriftsteller hatten den Geschmack der bürgerlichen Gesellschaft zu befriedigen, wenn sie erfolgreich sein wollten. Die Gattung des bürgerlichen Romans entstand, und mit seiner Entwicklung wurden neue Unterarten konstituiert. Besonders beliebt beim englischen Publikum des 18. Jahrhunderts waren Abenteuerromane (Robinson Crusoe), Reiseromane (Gullivers Reisen) und natürlich Briefromane, wie sie u. a. Samuel Richardson (Pamela, Clarissa) und John Cleland geschrieben haben.

Entstehung

Über die Bedingungen, unter denen Fanny Hill entstand, ist nicht viel bekannt. Man weiß aber, dass John Cleland die letzte Fassung seines Briefromans im Gefängnis Fleet Prison anfertigte, wo er wie manch anderer Schuldner seine Strafe absitzen musste. Wie schon bei anderen Schriftstellern (z. B. Marquis de Sade) dürften die Enge und Eintönigkeit des Gefängnisaufenthaltes Clelands Fantasie beflügelt haben. Als Lebemann hatte John Cleland sicherlich einige Erfahrungen mit dem Metier, das er in Fanny Hill so wirklichkeitsnah beschreibt. Als bahnbrechende Neuerung des Autors darf der Roman nicht verstanden werden. Im Gegenteil: Als Clelands Briefroman erschien, waren erotische Romane in England längst keine Seltenheit mehr.

Die Flut erotischer Geschichten, bisweilen auch pornografischer Werke, war von Frank-reich auf die Insel gelangt. In Frankreich hatte sich erotische Literatur in Form autobiografischer Beichtberichte schon lange einen Platz im Herzen der Leserschaft gesichert. John Cleland, der gezwungen war, mit seinen Schriften einigen Erfolg zu verbuchen, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, sprang auf den Zug auf, der Verkaufszahlen versprach. So bediente er sich beim Schreiben des Romans verschiedener Vorbilder und vermischte sie zu seinem eigenen Werk, das parodistische und erotische Komponenten gekonnt miteinander verbindet.

Wirkungsgeschichte

Es dauerte über 200 Jahre, bis Fanny Hill zu den Klassikern der Weltliteratur gezählt wurde. Als der erste Band des Briefromans 1748 erstmals publiziert wurde (der zweite Band erschien ein Jahr später), konnte er nur unter dem Ladentisch verkauft werden, zu brisant war sein Inhalt. John Cleland und sein Verleger wurden 1749 sogar vorübergehend festgenommen.

Auch in den nächsten Jahrhunderten wurde Fanny Hill als pornografischer Schund bezeichnet und stand auf dem Index. Erst 1963 erschien die erste offizielle englischsprachige Ausgabe in den USA, 1970 in England. Noch 1968 wurde das Buch in Deutschland als „objektiv unzüchtig“ bezeichnet und verboten, und zwar auf Betreiben des Volkswartbundes, den der Literaturwissenschaftler Gero von Wilpert einmal als den „Moralwächter der Volksseele“ bezeichnete. Heute gehört Fanny Hill zu denjenigen englischen Romanen, von denen am meisten Auflagen samt Illustrationen und Übersetzungen angefertigt worden sind.

Bis dem Buch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts endlich literarische Anerkennung zuteilwurde, bedachte man es mit vielen Schmähungen und Verunglimpfungen. Dem Autor wurde vorgeworfen, Fanny Hill nur deshalb unter dem Deckmantel moralischer Tugendhaftigkeit geschrieben zu haben, damit er schamlos Obszönitäten verbreiten konnte. Cleland wurde mitunter mit Marquis de Sade verglichen, der übrigens auch für seine wenig zeitgemäße Literatur im Gefängnis landete. Selbst als Cleland 1750 eine gekürzte und weit harmlosere Fassung seines Briefromans anfertigte, wurde ihm vom Bischof von London vorgeworfen, mit seinem Schundbuch für das Erdbeben verantwortlich zu sein, das in diesem Jahr London heimsuchte. Trotz oder vielleicht gerade wegen seines schlechten Rufs war Fanny Hill von seinem ersten Erscheinen an ein Sensationserfolg, der schnell in verschiedene Sprachen übersetzt und mit Illustrationen versehen verkauft wurde.

Über den Autor

John Cleland wird 1709 in England geboren (das genaue Datum ist nicht bekannt). Seine Eltern, der Vater ein Schotte und die Mutter holländisch-jüdischer Abstammung, sind gebildete Leute. Sie verschaffen John und seinem jüngeren Bruder eine hervorragende Ausbildung an einer Privatschule, die John jedoch nach zwei Jahren verlässt. Der Grund für den Schulabbruch ist unbekannt. Als 18-Jähriger geht er nach Indien, wo er als Soldat dient und später Ratssekretär wird. 1741 kehrt er nach England zurück, kurze Zeit später stirbt sein Vater. Danach geht es finanziell bergab und der mittlerweile 31-jährige John muss sich mit Tätigkeiten wie Übersetzen und Journalismus über Wasser halten. Das gelingt ihm mehr schlecht als recht: Mehrmals muss er seine Schulden im Gefängnis abarbeiten. Immerhin findet er dort die Inspiration für seinen Erstlingsroman Fanny Hill. Aber auch der durchschlagende Erfolg dieses Buches befreit Cleland nicht aus der Schuldenfalle, denn von seinem Verleger wird er mit lediglich 20 £ abgespeist. So betätigt sich Cleland schriftstellerisch in den unterschiedlichsten Genres, allen voran denen, die einen satten Gewinn versprechen. Neben Romanen wie Fanny Hill oder Memoirs of a Coxcomb, ebenfalls ein erotisch angehauchtes Werk, verfasst er erotische Novellen, Tragödien und Lyrik. Außer Fanny Hill wird jedoch keines seiner Werke besonders bekannt. Im Zuge der aufklärerischen Bewegung verfasst Cleland auch Zeitungsartikel und Kritiken, betätigt sich als Amateurwissenschaftler und veröffentlich lüstern-fiktionale Geschichten über angeblich abartige Lebensführungen. Aber weder diese Betätigungen noch seine Ausflüge in den medizinischen und linguistisch-etymologischen Bereich verschaffen ihm den erhofften Erfolg oder Anerkennung. Als er am 23. Januar 1789 stirbt, ist er zu einem griesgrämigen und vom Leben enttäuschten Mann geworden.

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