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Das Kapital

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Das Kapital

Kritik der politischen Ökonomie (Auswahl-Ausgabe)

Kröner,

15 minutes de lecture
12 points à retenir
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Die Bibel der Marxisten: Marx analysiert in seinem ökonomischen Hauptwerk detailliert den Prozess der Kapitalakkumulation und die Ausbeutung des Proletariats durch die Kapitalisten.


Literatur­klassiker

  • Ökonomie
  • Moderne

Worum es geht

Wissenschaftliche Kritik des Kapitalismus

Das Kapital ist Karl Marx’ wissenschaftliches Hauptwerk. Anders als etwa Das kommunistische Manifest ist es kein ebenso knapper wie glühender Aufruf zur Revolution, sondern eine äußerst umfangreiche, systematische und detailreiche Analyse und „Kritik der politischen Ökonomie“, so der Untertitel. Entsprechend lange hat Marx dafür gebraucht: Allein am ersten Band arbeitete er ganze 15 Jahre. Marx versucht in seiner weit ausholenden und komplexen Abhandlung hinter die versteckten Funktionsweisen des Kapitalismus zu kommen. Dabei nähert er sich schrittweise über die Begriffe der Ware, des Tauschwerts und des Gebrauchswerts seiner berühmt gewordenen Arbeitswertlehre: Eine Ware, so Marx, ist so viel wert wie die darin „geronnene“ Arbeitszeit. Der Arbeiter muss, da er keine Produktionsmittel besitzt, seine Arbeitskraft verkaufen, und zwar an die Kapitalisten, die Maschinen und andere Produktionsmittel besitzen. Der Kapitalist will seine Waren nicht verkaufen, um andere Waren erwerben zu können, sondern um sein Geld zu vermehren. Das „geldheckende Geld“, der kapitalistische Akkumulationsprozess, steht im Zentrum der Marx’schen Kritik. Die Auswirkungen von Marx’ Werk auf die Wissenschaften sind kaum zu überschätzen – geschweige denn diejenigen auf die weit reichenden politischen Umwälzungen in großen Teilen der Welt im 20. Jahrhundert.

Take-aways

  • Das Kapital ist Karl Marx’ Hauptwerk und eines der berühmtesten und umstrittensten Bücher der Welt.
  • Es zeichnet die Funktionsweise des damaligen Wirtschaftssystems detailliert auf und bildet die wissenschaftliche Basis von Marx’ Kapitalismuskritik.
  • Die Grundlage des kapitalistischen Systems ist die Ware.
  • Jede Ware hat einen Gebrauchswert (Nützlichkeit) und einen Tauschwert (relativer Wert im Vergleich zu anderen Waren).
  • Der Wert einer Ware lässt sich außerdem durch die für ihre Herstellung benötigte Arbeit bzw. Arbeitszeit bemessen.
  • Die Produktivkraft der Arbeit schwankt je nach technischem Stand, Rohstoffangebot, Geschicklichkeit der Arbeiter und anderen Faktoren.
  • Geld erleichtert den Warenaustausch: Als Münze kann es noch Äquivalent des Warenwertes sein, als Papiergeld ist es abstrakte Verkörperung des Tauschwertes.
  • Normalerweise wird Ware gegen Geld und dieses wieder gegen Ware getauscht. Der Kapitalist macht es umgekehrt: Er tauscht Geld gegen Ware und diese wieder gegen Geld – mehr Geld.
  • Dem Kapitalisten kommt es vor allem auf den Mehrwert an. Geschaffen wird dieser durch die Arbeitskraft der Arbeiter.
  • Sie erarbeiten einen Gebrauchswert, der höher ist als der Tauschwert ihrer Arbeitskraft: Hieraus zieht der Kapitalist den Profit – meist zum Nachteil des Arbeiters.
  • Der Arbeiter muss seine Arbeitskraft verkaufen, weil er nicht im Besitz von Produktionsmitteln ist. Denn diese wurden der Arbeiterklasse in historischen Klassenkämpfen immer wieder streitig gemacht.
  • Marx’ Theorie übte auf den Verlauf des 20. Jahrhunderts einen so starken Einfluss aus wie keine andere.

Zusammenfassung

Die Ware und ihr Wert

Waren sind die Essenz des Reichtums in kapitalistischen Gesellschaften. Sie sind Dinge, die Bedürfnisse befriedigen können, entweder direkt (z. B. Nahrung gegen den Hunger oder Kleidung gegen die Kälte) oder indirekt (etwa eine Maschine zur Herstellung von warmen Jacken). Jede Ware hat naturgemäß zwei Arten von Wert:

  1. Der Gebrauchswert ist ein Maß für die Nützlichkeit einer Ware. Er „klebt“ sozusagen an der individuellen Ware, kann also nicht losgelöst von ihr betrachtet werden. Der Gebrauchswert ist dabei vom investierten Arbeitsaufwand völlig unabhängig, d. h. der Käufer einer Tonne Stahl schert sich überhaupt nicht darum, wie viele Mühen aufgewendet werden mussten, um diesen Stahl zu verfertigen.
  2. Der Tauschwert der Ware: Damit ist das Verhältnis gemeint, in dem eine bestimmte Ware mit einer anderen getauscht werden kann. Beispielsweise könnte ein Kilogramm Weizen einer Menge von 100 ml Stiefelwichse entsprechen.
„Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ‚ungeheure Warensammlung’, die einzelne Ware als seine Elementarform.“ (S. 15)

Damit man ganz verschiedene Waren miteinander vergleichen kann, müssen sie etwas enthalten, das bei allen identisch ist. Was also haben eine Tonne Stahl und ein Ballen feinstes Tuch gemeinsam? Es ist die für ihre Herstellung verwendete Arbeit. Sie weist der Ware ihren Wert zu, mehr noch: Sie erzeugt daraus einen Wert. Der Wert der Ware lässt sich also durch die Arbeit und diese durch die verwendete Arbeitszeit bemessen. Dabei betrachtet man anspruchsvollere, komplexe Arbeiten als multiplizierte einfache Arbeiten. Von der simplen Tätigkeit ausgehend lässt sich auf diese Weise jede noch so komplexe Arbeit erfassen.

Produktivkraft der Arbeit

Die Produktivkraft der Arbeit kann sehr unterschiedlich sein: Je nach Naturverhältnissen, gesellschaftlicher Organisationsstufe, technischem Stand, wissenschaftlicher Forschung und Geschicklichkeit der Arbeiter kann mit einer Stunde Arbeit mehr oder weniger Warenmenge erzeugt werden. Diamanten zu finden ist mühsam und zeitaufwändig. Wenn man nun plötzlich auf eine reichhaltige Diamantenmine träfe, würde sich die Produktivkraft der Arbeit immens steigern lassen: ganz einfach deshalb, weil man nicht so lange graben müsste, um eine bestimmte Menge der begehrten Edelsteine zu finden. Ähnlich ist es mit technischen Entwicklungen: Der Fortschritt beflügelt die Produktivkraft der Arbeit, weil dank Erfindungen, Maschinen usw. in kürzerer Zeit mehr Waren hergestellt werden können.

„Ein Gebrauchswert oder Gut hat also nur einen Wert, weil abstrakt menschliche Arbeit in ihm vergegenständlicht oder materialisiert ist.“ (S. 18)

Es gibt Güter, die zwar einen Gebrauchswert haben, aber trotzdem nicht als Waren bezeichnet werden können. Meist handelt es sich dabei um Güter, die vor allem zum eigenen Gebrauch hergestellt werden. Um Ware zu sein, müssen sie aber einen gesellschaftlichen Gebrauchswert haben, also handelbar sein. Wert hat nur ein Gebrauchsgegenstand. Ist ein Gut nutzlos, ist es auch wertlos.

Das Geld und der Fetischcharakter der Ware

Der Austausch von Waren wurde in der Geschichte der Menschheit schnell stark vereinfacht, indem allgemeine Äquivalenzformen verwendet wurden: Muscheln, Tiere oder Edelmetalle als Tauschmittel. Münzen aus Edelmetallen sind besonders beliebt: Sie sind leicht in verschiedene Mengen unterteilbar und besitzen selbst genügend Wert, um jederzeit als Ersatz für andere Güter akzeptiert zu werden. Allerdings hat der Warenwert des Geldes mehr und mehr an Bedeutung verloren; Geld wurde zu einer abstrakten Verkörperung des Tauschwertes: Das Papiergeld war geboren, dessen materieller Wert, anders als beim Münzgeld, überhaupt nichts mehr mit seiner Funktion als Wertmesser zu tun hat.

„Eine Ware scheint auf den ersten Blick ein selbstverständliches, triviales Ding. Ihre Analyse ergibt, dass sie ein sehr vertracktes Ding ist, voll metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken.“ (S. 49)

Die Ware wurde für die Menschen zum Fetisch: Sie verselbstständigte sich und erhielt eine mysteriöse Aura. Der Grund: Der einzelne Mensch, der eine Ware oder Geld gegen eine andere Ware tauscht, ist nicht mehr direkt mit der darin „geronnenen“ Arbeitszeit verbunden. Für einen Leibeigenen aus dem Mittelalter, der im Grunde genommen nur das verzehrte und besaß, was er selbst produzierte, konnte das Produkt seiner Arbeit noch kein Fetisch sein. Der Fetischcharakter (etwa Verehrungswürdigkeit) der Ware besteht erst, seit es überhaupt Waren, also innerhalb der Gesellschaft ausgetauschte Güter, gibt.

Waren- und Geldkreislauf

Bei der Zirkulation von Waren bilden sich Preise heraus. Preise sind ein Maß für die in den Waren gebundene Arbeit. Allerdings können die Preise durchaus zu hoch oder zu niedrig sein. Die eigentliche Warenzirkulation geschieht, indem Waren mittels Geld gegeneinander ausgetauscht werden: Beispielsweise verkauft ein Weber das Produkt seiner Arbeit und erhält dafür eine gewisse Menge Geld. Von diesem Geld kauft er nun beispielsweise eine Bibel zur häuslichen Erbauung. Er tauscht also sein Geld gegen eine Ware und damit gegen die Arbeit anderer. Die Zirkulation verläuft folglich nach dem Prinzip

„Die Zirkulation des Geldes als Kapital ist dagegen Selbstzweck, denn die Verwertung des Wertes existiert nur innerhalb dieser stets erneuerten Bewegung. Die Bewegung des Kapitals ist daher maßlos. Als bewusster Träger dieser Bewegung wird der Geldbesitzer Kapitalist. Seine Person, oder vielmehr seine Tasche, ist der Ausgangspunkt und der Rückkehrpunkt des Geldes.“ (S. 116)

Ware --> Geld --> Ware

oder anders gesagt: Der Arbeiter tauscht ein selbst verfertigtes Stück Arbeit gegen ein fremdgefertigtes Stück Arbeit.

Doch es gibt noch einen anderen Kreislauf. Dann nämlich, wenn Geld nicht mehr die Rolle des Mittelsmannes, sondern diejenige der Hauptperson spielt: Das Prinzip

„G - G’, geldheckendes Geld lautet die Beschreibung des Kapitals im Munde seiner ersten Dolmetscher, der Merkantilisten.“ (S. 118)

Geld --> Ware --> Geld

beschreibt die Geburt des Kapitals. Ware wird nicht gekauft, weil sie einen Gebrauchswert darstellt, sondern sie wird gekauft, um sie zu verkaufen - und mehr Kapital anzusammeln. Hier kommt es also nicht auf den Gebrauchswert, sondern auf den Tauschwert an, oder besser gesagt: auf den Mehrwert, um den sich das Kapital vergrößert. Wohin führt dieser Prozess? Zu immer mehr Kapital: mehr Geld --> Ware --> noch mehr Geld usw. Der Warenkreislauf hat den Endzweck, Bedürfnisse zu befriedigen. Der Geldkreislauf - der freilich das Vorhandensein des Warenkreislaufs voraussetzt - ist dagegen reiner Selbstzweck. Der Geldbesitzer, der diesen Prozess steuert, ist der Kapitalist, dem es nur um ein einziges Prinzip geht: reicher und immer noch reicher zu werden.

Verkaufte Arbeitskraft

Doch woher kommt der Mehrwert? Wenn Waren und Geld ausgetauscht werden, gibt es zunächst nirgendwo in diesem Prozess eine unentdeckt gebliebene „Mehrwertfabrik“. Sie ist aber vorhanden, und zwar in einer ganz bestimmten Art von Ware: Es handelt sich um die Arbeitskraft des Arbeiters, die dieser wie eine Ware verkauft. Der Wert der Arbeitskraft bemisst sich nach den Aufwendungen, die der Arbeiter für seine Existenz benötigt. Diese sind – abgesehen von Nahrungsmitteln – historisch und kulturell verschieden, je nachdem, was in einer gegebenen Epoche und Kultur als Existenzminimum angesehen wird. Der Tauschwert der Arbeit, also der Lohn, den der Kapitalist dem Arbeiter für einen ganzen Tag seiner Arbeit zahlt, sichert nur dessen Existenzminimum. Der Gebrauchswert der Arbeit aber ist für ihren Käufer, den Kapitalisten, höher: Dieser Mehrwert kommt dem Kapitalisten zugute: Sein eingesetztes Geld verwandelt sich in Kapital.

„Die zweite wesentliche Bedingung, damit der Geldbesitzer die Arbeitskraft auf dem Markt als Ware vorfinde, ist die, dass ihr Besitzer, statt Waren verkaufen zu können, worin sich seine Arbeit vergegenständlicht hat, vielmehr seine Arbeitskraft selbst, die nur in seiner lebendigen Leiblichkeit existiert, als Ware feilbieten muss.“ (S. 129)

Die Rohmaterialien und die Arbeitsmittel (Maschinen), die der Kapitalist im Produktionsprozess einsetzt, sind konstantes Kapital. Das bedeutet, dass sich ihr Wert während des Produktionsprozesses nicht verändert. Anders verhält es sich mit der Arbeitskraft: Sie erbringt den Wert, der dem Arbeiter als Lohn abgegolten wird, und noch einen Mehrwert darüber hinaus. Der in Form von Arbeitskraft umgesetzte Teil des Kapitals kann daher als variables Kapital bezeichnet werden.

Die Wissenschaft von der Ausbeutung des Arbeiters

Der Handel mit Arbeitskraft als Ware hat zur Folge, dass der Arbeiter am Ende des Tages statt eines selbst verfertigten Produkts lediglich das Geld in Händen hält, das ihm sein Arbeitgeber für die Überlassung seiner Arbeitskraft zahlt. Die Nähe zum erarbeiteten Gut geht verloren: Der Arbeiter entfremdet sich von seiner Arbeit, weil ihr Resultat nicht mehr ihm gehört, sondern dem Kapitalisten. Arbeit ist ein integraler Bestandteil der menschlichen Persönlichkeit. Doch insbesondere der Industriearbeiter, der spezialisierte, stupide Tätigkeiten ausführt, besitzt keinerlei Beziehung mehr zu seinem Werk. Warum aber muss der Arbeiter seine Arbeitskraft überhaupt verkaufen? In den meisten Fällen deswegen, weil er nicht im Besitz von Produktionsmitteln (z. B. Maschinen oder Rohmaterialien) ist, die er für eine selbstständige Verfertigung von Produkten benötigt. Denn diese befinden sich fast ausschließlich in den Händen der Kapitalisten.

„Das Produkt ist Eigentum des Kapitalisten, nicht des unmittelbaren Produzenten, des Arbeiters.“ (S. 147)

Aus der Formel „Mehrwert / notwendige Arbeit“ lässt sich die Rate des Mehrwerts ersehen; sie beschreibt den Grad der Ausbeutung des Arbeiters, der auf diese Weise um den Mehrwert seiner Arbeit gebracht wird. Jede Stunde, die der Arbeiter über die zur Selbsterhaltung notwendige Zeit hinaus beim Kapitalisten arbeitet, bringt nur dem Kapitalisten, nicht aber dem Arbeiter einen Wert. Der Kapitalist versucht natürlich, den Mehrwert zu steigern: indem er die Arbeitszeit ausdehnt (aus einem Zwölfstundentag beispielsweise einen Achtzehnstundentag macht) oder den Anteil der Mehrwertarbeitszeit an der gesamten Arbeitszeit erhöht. Dies gelingt dadurch, dass die Produktivität bei gleich bleibendem Lohn gesteigert wird.

Die Kapitalakkumulation

Der Kapitalist betreibt mit seinem Geld die Kapitalakkumulation (Anhäufung). Er reinvestiert einen Teil des Geldes, um damit weitere Produktionsmittel anzuschaffen. So kommt ein sich selbst verstärkender Prozess ins Rollen. Bei der intensiven Kapitalakkumulation wird die Arbeitsproduktivität massiv gesteigert, z. B. durch den technischen Fortschritt. Wächst die Bevölkerung gleichzeitig mit dieser Produktivitätssteigerung, kommt es zur Bildung einer „industriellen Reservearmee“, einem Heer von Arbeitslosen. Der Kapitalist muss nur mit dem Finger schnippen, und schon sind neue Arbeiter in ihrem Elend bereit, sich für noch weniger Lohn anstellen zu lassen. So machen sich die Arbeiter gegenseitig Konkurrenz und der Kapitalist ist der Nutznießer dieses Prozesses. In dem gleichen Maße, wie sich der Reichtum der Kapitalisten vermehrt, vergrößert sich das Elend der Arbeiterschaft. Der Arbeiter muss sich dem Gesetz der Maschine unterwerfen, seinen Arbeitstag verlängern oder verkürzen, umsiedeln oder andere Maßnahmen ergreifen, damit der Kapitalist zufriedengestellt wird. Die Überbevölkerung macht es möglich, dass der Kapitalist stets auf genügend Arbeitswillige (bzw. zur Arbeit Gezwungene) trifft, die er aus der Reservearmee abschöpfen kann.

Klassenkämpfe

Das Verhältnis zwischen Kapitalist und Arbeiter meint weniger ein persönliches Verhältnis zwischen zwei Menschen, es handelt sich vielmehr um ein Verhältnis der Klassen: Arbeiter- und Kapitalistenklasse, die seit Jahrhunderten um den Mehrwert der Arbeit kämpfen. Dieses Verhältnis ist seit jeher von Gewalt geprägt. Seine Wurzeln liegen in der mittelalterlichen Feudalgesellschaft. Erst nachdem diese aufgelöst und die ehemals Leibeigenen zu freien Menschen wurden, konnten sie ihre Arbeitskraft auf dem Markt anbieten. Oder besser: Sie wurden in die Lohnknechtschaft gestoßen und geprügelt. Eine Welle der Expropriation (Enteignung) wogte durch die Länder, insbesondere in England: Erst wurden Bauern von ihrem Ackerland gedrängt, weil es als Weideland gebraucht wurde, dann konfiszierten königliche Günstlinge im Zuge der Reformation die Kirchengüter, die sie untereinander verschacherten. Das geringe Privateigentum in den Händen vieler wurde zum umfangreichen Privateigentum in den Händen weniger. Noch dazu wurden in den folgenden Jahrhunderten die Gewaltakte nachträglich gesetzlich legitimiert.

„Der in Arbeitskraft umgesetzte Teil des Kapitals verändert dagegen seinen Wert im Produktionsprozess. Er reproduziert sein eignes Äquivalent und einen Überschuss darüber, Mehrwert, der selbst wechseln, größer oder kleiner sein kann.“ (S. 170)

Doch irgendwann wird das Kapital an seiner eigenen Gewinnsucht zugrunde gehen. Die Kapitalisten werden immer mehr Maschinen und immer weniger Arbeiter für die Produktion verwenden. Das Elend der Massen wird wachsen, während sich das Kapital immer mehr auf immer weniger Kapitalisten konzentriert. Die Enteignung setzt sich so lange fort, bis die Zustände so unerträglich geworden sind, dass sie sich in einer Revolution entladen werden. Die Enteignung der Enteigner steht dann bevor.

Zum Text

Aufbau und Stil

Die vorliegende Ausgabe von Das Kapital gibt ausgewählte Teile der drei Bände wieder. Ursprünglich war das Werk auf vier Bände angelegt, doch nur der erste wurde von Marx selbst vollendet. Die weiteren Bände beruhen auf Notizen und Konzepten, die von Marx’ Freund Friedrich Engels in die endgültige Form gebracht wurden – und entsprechend einen weniger abgerundeten Stil aufweisen. Im ersten Band legt Marx die Grundlagen seiner Theorie der Arbeitswertlehre, des Mehrwerts und der Kapitalakkumulation dar. Dieses Buch macht mit fast 400 Seiten den größten Teil des Werkes aus. Besonders der siebte Abschnitt ist für das Marx’sche Geschichtsverständnis wichtig: Hier finden sich die berühmten Thesen von der „Geschichte der Klassenkämpfe“ und eine Analyse der Entstehung der Kapitalistenklasse und des Proletariats. Der zweite und dritte Band sind erheblich schwieriger zu verstehen als der erste, weil Marx bzw. Engels hier vor allem auf die mathematische Methode zurückgreift, um den Kreislauf des Kapitals mit vielen (nicht immer sehr erhellenden) Gleichungen zu „beweisen“. Grundsätzlich liest sich das Werk wie eine Mischung aus wissenschaftlicher Abhandlung, Essay und Pamphlet, gewürzt mit etlichen Spitzen gegen die Kapitalisten wie auch gegen Marx’ Vorläufer in der ökonomischen Wissenschaft. Insgesamt kommt die Schrift aber keineswegs so feurig und kämpferisch daher wie Das kommunistische Manifest. Marx selbst schreibt über seinen Stil: „Mit Ausnahme des Abschnitts über die Wertform wird man daher dies Buch nicht wegen Schwerverständlichkeit anklagen können. Ich unterstelle natürlich Leser, die etwas Neues lernen, also auch selbst denken wollen.“

Interpretationsansätze

  • Für die Erklärung des Konzepts des Mehrwerts verwendet Marx viele Seiten. Er betont, dass der Handel „Arbeitskraft gegen Geld“ durchaus gerecht vonstattengeht. Dennoch liefert der Arbeiter mehr ab, als er bezahlt bekommt. Diese auf den ersten Augenblick paradoxe Situation ergibt erst dann Sinn, wenn Tauschwert (die Arbeit, die der Arbeiter bezahlt bekommt) und Gebrauchswert (der Wert, den der Kapitalist mit dem Produkt aus Arbeit und Produktionsmitteln erzielen kann) separat betrachtet werden.
  • Die Arbeitswertlehre ist das Fundament der Marx’schen Analyse. Die Ansätze der klassischen ökonomischen Theorie lässt Marx nur begrenzt gelten. Seiner Auffassung nach hat nur diejenige Ware Wert, die auch Arbeit enthält. Natürliche Ressourcen, wie beispielsweise Wälder, besitzen nach dieser Konzeption keinen Arbeitswert, da sie keine Waren sind, wohl aber einen Gebrauchswert.
  • Marx leitet zwar historisch her, wie die Klasse der Kapitalisten zur Welt kam. Aber er sucht nicht nach einer Erklärung für die Lust der Kapitalisten an der Geldvermehrung.
  • Die Klassengegensätze zwischen Proletariat und Kapitalisten sind für Marx systemimmanent. Sie sind strukturell bedingt, starr und werden immer bestehen, solange das System bestehen bleibt. Es gibt keine Möglichkeit für Kompromisse und keine Reformchancen, weil die Interessen von Kapitalisten und Proletariern diametral entgegengesetzt sind. Die Folgerung aus dieser These ist der gewaltsame Umsturz des Kapitalismus, die „Expropriation der Expropriateurs“.
  • Karl Marx folgt mit seiner Geschichtstheorie einem wichtigen Vorgänger in der Philosophie des deutschen Idealismus: G. W. F. Hegel stellte die Dialektik (These, Antithese, Synthese) ins Zentrum seiner Lehre. Marx wollte Hegel „vom Kopf auf die Füße“ stellen und dessen Idealismus (die Existenz des Menschen, das, was ihn vom Tier unterscheidet, ist bedingt durch das Bewusstsein seiner selbst) in einen historischen Materialismus umdeuten: Das Sein bestimmt das Bewusstsein, nicht umgekehrt.

Historischer Hintergrund

Kinder der Industrialisierung: Das Proletariat

Die Folgen der industriellen Revolution, die Marx in seinem Exil in England besonders gut studieren konnte, bildeten einen wesentlichen Hintergrund seiner Theorie, insbesondere des historischen Materialismus. Die Industrialisierung verhalf der Fabrikarbeit zum Durchbruch. Arbeitsteilung und Spezialisierung führten zu enormen Produktivitätssteigerungen. Die Fabriken schossen in den Städten wie Pilze aus dem Boden. Dank der Dampfmaschine wurden die Produktionsstätten von natürlichen Antriebskräften wie Wind, Wasser und Muskelkraft unabhängig. Die Landbevölkerung strömte in die Städte und in die Fabriken. Der Grund: Zuvor allgemein zugängliches Weideland wurde in Privatbesitz umgewandelt. Die Grundbesitzer enteigneten bei dieser Einhegung viele Bauern und beraubten sie damit ihrer Lebensgrundlage. Der Landbevölkerung blieb also nichts anderes übrig, als sich ihre Nahrungsmittel in der Stadt zu verdienen. So schufen Industrialisierung und Privatisierung im 18. und 19. Jahrhundert eine neue Klasse von unterprivilegierten Menschen: die Proletarier. Marx bezeichnete damit die Arbeiter, die über keine Produktionsmittel, sondern nur über ihre blanke Arbeitskraft verfügten, die sie als „Lohnsklaven“ den Kapitalisten anbieten mussten. Verelendung, katastrophale Gesundheits- und Wohnungszustände und unmenschliche Arbeitszeiten waren die sozialen Folgen dieses Systems. Die Überbevölkerung und die kapitalistischen Rationalisierungsbestrebungen führten überdies zur Bildung einer „industriellen Reservearmee“ (Marx), also einer Gruppe von Arbeitslosen, die großen Druck auf die Löhne und die ohnehin schon schlechten Arbeitsbedingungen ausübten.

Entstehung

Karl Marx benötigte annähernd 15 Jahre für die Reinschrift des ersten Bandes von Das Kapital. Am 2. April 1851 schrieb er an seinen Freund Friedrich Engels, dass er vorhabe, nach Sichtung seiner zahlreichen Quellen und einer groben Skizzierung seines Konzeptes in wenigen Wochen „mit der ganzen ökonomischen Scheiße“ fertig zu sein. Doch daraus wurde nichts. Noch etliche Jahre arbeitete er am ersten Band, vertröstete seinen Verleger mehr als einmal, kündigte sein Werk aber bei Freunden als „den großen Wurf“ an. Entsprechend hoch waren die Erwartungen. 1867 erschien der erste Band. Engels zeigte sich bei der Durchsicht des Manuskriptes konsterniert, obwohl Marx ihn vorgewarnt hatte: Er solle nur nicht umfallen, denn obwohl das Werk den Titel Das Kapital trage, enthalte es zu diesem Thema nur wenig. Wilhelm Liebknecht, der Gründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, gab sogar unumwunden zu, dass ihn „noch nie ein Buch so enttäuscht“ habe. Die geplanten weiteren Bände des Werks konnte Marx nicht mehr vollenden. Glücklicherweise hatte er jedoch ausführliche Manuskripte erstellt, die den Aufbau und die Struktur des gesamten Werks vorzeichneten. Nach Marx’ Tod hatte Engels für die Edition der ausstehenden Bände Schwerstarbeit zu leisten: Der zweite Band stützte sich noch auf einigermaßen ausformulierte Vorlagen und kam 1885 heraus. Band drei entstand aufgrund vager Skizzen, was ihm auch anzumerken ist, und erschien erst 1894. Marx hatte auch noch einen vierten Band geplant, in dem er vor allem die Theorien früherer Ökonomen auseinandernehmen wollte.

Wirkungsgeschichte

Das Kapital hatte eine außerordentlich weit reichende Wirkung, und zwar sowohl in der ökonomischen und philosophischen Wissenschaft als auch – in Form des Marxismus-Leninismus – in der politischen Wirklichkeit. Marx’ Werk inspirierte sozialistische Autoren und Politiker in aller Welt. Die so genannte Grenznutzenschule der Ökonomie setzte sich in ihren Arbeiten ebenfalls detailliert mit Marx auseinander, wenn auch teilweise nur, um seine Thesen zu widerlegen, so z. B. Eugen von Böhm-Bawerk in Kapital und Kapitalzins (1884–1889). In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts tobte der Kampf der Systeme auch in der ökonomischen Wissenschaft: Der österreichische Ökonom Joseph Alois Schumpeter (Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 1942) griff die Marx’sche Theorie der Zerschlagung des Kapitalismus durch die Revolution des Proletariats auf: Der Kapitalismus werde aber nicht vom Sozialismus zerstört, sondern ersticke schließlich an seiner eigenen Produktivität, zerstöre seine sozialen Schutzschichten und erstarre in Bürokratie.

Handfeste revolutionäre Sprengkraft entwickelte Das Kapital vor allem in Russland: Lenin sah in der Marx’schen Abhandlung den wissenschaftlichen Beweis für die Notwendigkeit einer Revolution, die 1917 tatsächlich vollzogen wurde. Doch nach der Russischen Revolution brach dort nicht das Reich der Freiheit an, wie Marx gemeint hatte, sondern es folgte unter Josef W. Stalin eine grausame Diktatur und ein totalitäres System, das sich zwar über Russland hinaus ausdehnte und auch viele Dritte-Welt-Länder erfasste, sich aber letztlich als nicht lebensfähig erwies. Der Marxismus zeigte sich als sehr mutations- und variationsfreudige Lehre. Bedeutende Philosophen in der Nachfolge von Marx waren u. a. Theodor W. Adorno, Louis Althusser, Walter Benjamin, Antonio Gramsci, Georg Lukács und Ernst Bloch.

Über den Autor

Karl Marx wird am 5. Mai 1818 in Trier geboren. Seine Familie ist jüdisch, konvertiert jedoch zum evangelischen Glauben, damit der Vater seinen Juristenberuf weiter ausüben kann. Nach dem Abitur 1835 an einem Trierer Gymnasium studiert Marx in Bonn und ab 1836 in Berlin Jura, Philosophie und Geschichte. 1841 promoviert er an der Universität Jena. Anschließend wird er Redakteur bei der Rheinischen Zeitung, wo er Probleme mit der Zensur bekommt; 1843 wird die Zeitung verboten. Im gleichen Jahr heiratet Marx seine Jugendfreundin Jenny von Westphalen. Bis 1845 weilt er im liberalen Frankreich, lernt dort Heinrich Heine kennen und ist Mitherausgeber der Deutsch-Französischen Jahrbücher. Auf Druck der preußischen Regierung wird er aus Frankreich ausgewiesen und geht nach Brüssel. 1844 lernt er den Fabrikantensohn Friedrich Engels kennen. 1849 siedelt er nach London über, nachdem er erneut aus Preußen und aus Paris ausgewiesen wurde. In London muss ihn sein Freund Engels finanziell unterstützen, denn Marx zeigt sich nicht unbescheiden: Die Tochter soll Klavierunterricht bekommen, seine Frau Urlaub an der See machen und er selbst gönnt sich den Luxus eines Privatsekretärs. Außerdem spekuliert er, wie einem Brief an seinen Onkel zu entnehmen ist: „Ich habe, was dich nicht wenig wundern wird, spekuliert, teils in amerikanischen Funds, namentlich aber den englischen Aktienpapieren, die wie Pilze in diesem Jahr hier aus der Erde wachsen. Diese Art von Operationen nimmt nur wenig Zeit fort, und man kann schon etwas riskieren, um seinen Feinden das Geld abzunehmen.“ In London beginnt Marx ein intensives Studium, dessen Frucht sein Hauptwerk ist: Das Kapital, eine Kritik der politischen Ökonomie und zugleich seine Begründung des historischen Materialismus. 1881 stirbt seine Frau, 1883 seine älteste Tochter Jenny, wenig später, allen Lebensmutes beraubt, er selbst: am 14. März 1883.

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