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Anna Göldin. Letzte Hexe

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Anna Göldin. Letzte Hexe

dtv,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
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Was ist drin?

Ergreifender Roman über einen der letzten Hexenprozesse in Europa.


Literatur­klassiker

  • Historischer Roman
  • Gegenwartsliteratur

Worum es geht

Besonders sein ist gefährlich

Anna Göldi war die letzte als Hexe hingerichtete Frau in der Schweiz. Ihr Schicksal ist Gegenstand dieses packenden, glänzend geschriebenen Romans. Eveline Hasler hat sorgfältig recherchiert und geschickt Originaldokumente in den Text eingewoben. Sie macht ihre Figuren, die Zeit und den Ort des Geschehens zum Greifen anschaulich, ohne auch nur in die Nähe inhaltlicher oder sprachlicher Plattitüden zu kommen, wie sie historische Romane leider so oft ausmachen und die ins Genre der reinen Unterhaltungsliteratur verweisen. Anna Göldi wird sehr plastisch als eine besondere Frau, die viel mehr ist – und sieht – als eine bloße Magd. Aus dieser Abweichung von ihrer sozialen Rolle erwachsen die meisten ihrer Probleme, und mit großer Betroffenheit verfolgt man ihren Weg. Letztlich hat sie keine Chance in einer Kleinstadt, in der die mächtigen Männer fast alle miteinander verwandt sind. Man möchte um Anna Göldi weinen, die erst 226 Jahre nach ihrem Tod rehabilitiert wurde.

Take-aways

  • Anna Göldin. Letzte Hexe ist eine Romanbiografie über eine der letzten in Europa als Hexe hingerichteten Frauen.
  • Inhalt: Anna Göldin tritt eine Stelle als Magd bei den Tschudis in Glarus an. Nach einem Jahr findet die Tschudi-Tochter Anna Migeli Stecknadeln in ihrem Milchbecher. Anna wird beschuldigt und entlassen. Als Anna Migeli anfängt, Nadeln zu spucken, wird Anna verfolgt, festgenommen und schließlich als Hexe hingerichtet.
  • Der Roman ist eine soziale Studie über die Ohnmacht einer Magd im 18. Jahrhundert. Geschlecht und sozialer Stand machen sie zu einem Menschen ohne Rechte.
  • Eine psychologische Erklärung der gespuckten Stecknadeln ist, dass sie spitze, wütende Worte repräsentieren, die man nicht sagen konnte, sondern schlucken musste.
  • In den Text eingearbeitet finden sich Passagen aus Originalquellen, etwa aus Briefen oder Gerichtsprotokollen.
  • Der Roman erschien 1982, exakt 200 Jahre nach dem Tod der Anna Göldi (so der richtige Name) 1782.
  • Die Hochzeit der Hexenverfolgungen liegt zwischen 1550 und 1650, also nicht im Mittelalter, sondern in der frühen Neuzeit.
  • Erst 2008 wurde Anna Göldi offiziell rehabilitiert und ihre Hinrichtung als Justizmord bezeichnet.
  • Die aus Glarus stammende Eveline Hasler ist eine der bekanntesten Schriftstellerinnen der Schweiz.
  • Zitat: „Wörter, die man schluckt, werden lebendig, Anna. Wetten, die kommen in irgendeiner Form wieder heraus. Das erleben wir vielleicht noch, Anna, dass die Wörter, von gewaltigem Druck herausgeschleudert, selbständig durch die Luft fliegen.“ 

Zusammenfassung

Eine neue Stelle

Anna Göldin wird im August 1734 in Sax als Kind armer Leute geboren. Mit 46 Jahren tritt sie ihre achte oder neunte Stelle als Magd bei den Tschudis in Glarus an. Der Hausherr Dr. Tschudi ist Arzt und Ratsmitglied. Seine Frau, Elsbeth Tschudi, hat zehn Kinder geboren, von denen fünf am Leben sind. Der Schlosser Ruedi Steinmüller, mit dem Anna befreundet ist, hat ihr von der freien Stelle erzählt. Anna wirkt jünger als sie ist, und Dr. Tschudi hält sie für gesund und zupackend. Diesen Eindruck hat auch Frau Tschudi, zögert aber zunächst, Anna einzustellen – vielleicht, weil diese so selbstbewusst auftritt. In ihrer Haltung liegt nichts Devotes. Frau Tschudi findet sie auch zu modisch gekleidet für eine Magd. Anna lernt die Kinder kennen: Susanna ist die Älteste, sie ist schön, klug und vernünftig. Die Zweitälteste ist Anna Migeli. Sie ist acht oder neun Jahre alt und steht im Schatten ihrer älteren Schwester. Als sie Anna die Hand gibt, fühlt Anna etwas Kaltes, Hartes, sie verkneift sich einen Schrei. Es ist eine Hühnerklaue. Der vierjährige Heinrich Tschudi lacht über den Streich. Anna freut sich, wieder in Glarus zu sein. Die reichen Herrenhäuser stehen in harschem Kontrast zu ihrer ärmlichen Herkunft. Ihre Mutter schickte sie immer zu Nachbarn, um Dinge zu erbitten, besonders nach dem Tod ihres geliebten Vaters. Damals musste Anna auch die Schule abbrechen, deshalb hat sie zwar Lesen gelernt, aber nicht Schreiben.

Anna und die Familie

Anna Migeli ist das frechste Tschudi-Kind. Sie wühlt zum Beispiel in Annas Sachen und behauptet dann, sie dürfe das, weil es ihr Haus sei. Andererseits hängt sie sehr an Anna: So verlangt sie von ihrer Mutter, dass Anna ihr „gute Nacht“ sagt. Das macht Elsbeth Tschudi eifersüchtig, zumal ihr Mann sagt, Anna habe eine gute Art, mit den Kindern umzugehen. Anna Migeli schlüpft auch nachts zu Anna ins Bett. Anna will sie erst wegschicken, lässt sie dann aber doch bei sich schlafen. Sie hat selbst einmal ein Kind gehabt, in Straßburg. Sie musste den Jungen bei einer Amme in Pflege geben, während sie arbeiten ging. Er hieß Melchior, wie sein Vater, ist aber gestorben.

„Wo sie hinkam, kräuselten sich die Wellen, als hätte man einen Stein geworfen.“ (über Anna, S. 10)

Einmal bittet Dr. Tschudi die Magd zu sich an den Tisch. Freundlich spricht er mit ihr über einen Kräutergarten, den sie herrichten soll. Um diesen Garten gibt es Streit zwischen den Eheleuten: Frau Tschudi findet Kräutergärten mittelalterlich. Eines Morgens, als Anna sich in der Küche den Oberkörper wäscht, steht Dr. Tschudi in der Tür und starrt sie an. Anna drückt ihre Kleider an sich und hält seinem Blick stand. So bezwingt sie ihn, er weicht zurück. Kurze Zeit später steht Tschudi dann nachts in ihrer Kammer. Sie drängt ihn hinaus, will kein Unglück mehr und die Frau nicht kränken. Als Anna den neuen Kräutergarten anlegt, kommt Dr. Tschudi dazu. Die beiden flirten, Frau Tschudi sieht es vom Fenster aus. Der Doktor spielt seinen Trumpf aus: Er sagt, er habe gehört, dass sie ihr eigenes Kind umgebracht habe. Anna beteuert, dass es ein Unglück gewesen sei, und beschwört ihn, seiner Frau nichts zu sagen. Lüstern bestätigt er, dass sie nun ein Geheimnis miteinander hätten.

Der Streit und die Stecknadeln

Anna ist seit über einem Jahr bei den Tschudis und alles läuft zur allgemeinen Zufriedenheit. Da gibt es einen Streit: Anna Migeli springt Anna von hinten an und zerrt ihr die Haube vom Kopf. Susanna hat es gesehen und ermahnt ihre freche Schwester. Anna geht in ihre Kammer, um ihre Haube zu richten. Susanna geht zu ihrer Mutter. Doch diese schlägt unverständlicherweise sie, Anna Migeli kommt ungeschoren davon. Susanna klagt Anna das Unrecht, das ihr widerfahren ist. Anna versucht, mit Frau Tschudi zu reden, doch die sagt, sie solle sich nicht einmischen, und droht, sie zu entlassen. Kurz darauf, am 19. Oktober, findet Anna Migeli morgens in ihrer Milchtasse eine Stecknadel, in den folgenden Tagen ebenfalls. Anna beteuert, sie habe nichts damit zu tun und wüsste gar nicht, wo sie Stecknadeln hernehmen solle. Frau Tschudi durchsucht die Küche, Anna ebenfalls – ohne Ergebnis. Und doch passiert es wieder. Am 25. Oktober wird Anna von Frau Tschudi aus dem Dienst entlassen.

„Du bist wie der Vater, Anni. Da und doch nicht da. (…) Anders. Willst darüber hinaus. Wie soll ich das besser sagen? Eine Träumerin halt.“ (die Mutter, S. 38)

Steinmüller ermutigt Anna, sich für ihr Recht einzusetzen: Sie solle sich an den Landammann wenden. Der heiße zwar auch Tschudi, sei aber vernünftig. Der Landammann staunt, dass eine Magd zu ihm kommt, findet es jedoch vorteilhaft für die Idee der Demokratie und lässt sie vor. Anna berichtet, man habe sie einfach fortgeschickt, ohne die Sache mit den Stecknadeln abzuklären. Der Landammann schickt sie zum Pfarrer, der sei ein naher Verwandter von Frau Tschudi und könne sie vielleicht umstimmen. Der Pfarrer Johann Jakob Tschudi schneidet Anna gleich das Wort ab. Er findet es ungehörig, dass sie es wagt, ihre Herrschaft der Ungerechtigkeit zu bezichtigen, und legt ihr nahe, das Land zu verlassen. Als Anna daraufhin wieder zum Landammann geht, ist der durch einen Besuch von Dr. Tschudi umgestimmt worden: Sie müsse die Täterin sein, weil niemand sonst mit der Milch zu tun habe im Hause Tschudi. Frau Steinmüller erzählt, alle sprächen schon davon, dass Anna den Tschudi-Kindern Stecknadeln zu essen gegeben habe, schließlich habe die Magd sich sogar an ihrem eigenen Fleisch und Blut vergangen. Da weiß Anna, dass ihre Vergangenheit sie eingeholt hat. Am 29. Oktober verlässt sie Glarus.

Krankheit und Flucht

Anna Migeli bekommt merkwürdige Anfälle. Sie zittert dann heftig, hat Zuckungen und redet wirr. Eine der vornehmen Damen von Glarus stellt einen Zusammenhang her zwischen den Stecknadeln in der Milch und den Anfällen. Sie fragt Frau Tschudi, ob noch nie eine Stecknadel aus dem Kind herausgekommen sei. Frau Tschudi verneint. Doch noch während des Besuchs dieser Dame hat das Kind wieder einen Anfall, und diesmal kommt eine Stecknadel, es zieht sie zwischen den Zähnen hervor. Von nun an spuckt Anna Migeli immer wieder Stecknadeln. Die ganze Stadt redet darüber, und die meisten sehen Anna als die Übeltäterin, obwohl das Stecknadelspucken erst 18 Tage nach ihrem Weggang aufgetreten ist. Auf Dr. Tschudi wächst der Druck, die Magd zur Rechenschaft zu ziehen. Dass er es nicht tut, schürt Gerüchte, er habe eine Affäre mit ihr gehabt. Auch seine Frau wirft ihm das vor. Schließlich gibt er nach. Ab dem 26. November wird Anna steckbrieflich gesucht.

„Wörter, die man schluckt, werden lebendig, Anna. Wetten, die kommen in irgendeiner Form wieder heraus. Das erleben wir vielleicht noch, Anna, dass die Wörter, von gewaltigem Druck herausgeschleudert, selbständig durch die Luft fliegen.“ (Steinmüller, S. 89)

Sie flüchtet sich zu ihrer Cousine, der Hebamme Katharina Göldin, nach Werdenberg. Diese fragt Anna, ob sie schwanger sei. Nein, sagt Anna, sie habe nur zugenommen. Als bekannt wird, dass Katharina sie beherbergt, muss Anna weiterfliehen. Sie hätte heiraten sollen, sagt Katharina. Anna denkt an die Männer, die sie geliebt hat: Da war ein Knecht, der dann aber nicht sie, sondern eine hässliche Witwe heiratete, aus Vernunftgründen. Die Liebe, hatte er gesagt, sei etwas für Herren. Auch Melchior Zwicki, Pfarrerssohn und Medizinstudent, konnte sich seine Liebe zu Anna nicht leisten. Er sagte immer, eine neue Zeit werde bald kommen, dann spielten die Standesunterschiede keine Rolle mehr. Schließlich fügte er sich doch seiner Mutter, die sagte, ein Zwicki mit einer Magd, das sei unmöglich. Anna flieht weiter zu ihrer Schwester Barbara nach Sax. Hier saß sie drei Jahre lang im Gefängnis, als Strafe für den Kindsmord, den sie aber gar nicht begangen hat. Am nächsten Tag kommt ein Bote, um Anna zu warnen. Es sei ein Läufer ausgeschickt, um sie zu fassen. Sie müsse sofort weg und dürfe sich nicht bei Verwandten verstecken. Melchior Zwicki habe ihn geschickt.

Der Schatten von früher

Unterdessen geht es Anna Migeli immer schlechter. Sie spuckt fast täglich Stecknadeln, und ihr linkes Bein ist gelähmt und verkürzt. Ihre Anfälle werden zum Schauspiel für Sensationslustige. Man hört das Kind Annas Namen stöhnen. Anna flieht unterdessen weiter nach Sennwald. Hier geht sie zum Pfarrhaus, wo sie einst gearbeitet hat. Dort lässt man sie übernachten. Sie erinnert sich: Als sie hier in Stellung war, mit Anfang zwanzig, hatte sie Jakob Roduner kennengelernt, einen Tischlerlehrling. Die beiden wurden heimlich ein Paar, denn Jakob durfte nicht heiratete, weil er sonst kein Meister werden konnte. Doch dann wurde Anna schwanger. Jakob sah seine Zukunft in Gefahr und suchte das Weite. Anna meinte, vor Kummer sterben zu müssen. Sie traute sich nicht, dem Pfarrer oder seiner Frau von ihrer Schwangerschaft zu erzählen. Und so gebar sie das Kind allein in ihrer Mägdekammer. Als sie nicht zum Dienst erschien, fand man sie schlafend und das Bett blutverschmiert. Sie gestand, ein Kind geboren zu haben. Das Kind hatte sie auf ihre Brust gelegt und war dann eingeschlafen. Als sie dann die Decke zurückschlug, war es tot. Anna wurde der Prozess gemacht, sie wurde als Kindsmörderin verurteilt, ohne dass das Kind obduziert worden wäre.

Die Schlinge zieht sich zu

Ein Verwandter der Tschudis, der Schützenmeister, hat den Garten der Tschudis nach Elsbeths Wünschen umgestaltet. Er sieht jetzt aus wie in Versailles. Anschließend sitzt er die meiste Zeit am Krankenbett von Anna Migeli. Nachdem er sie gefragt hat, ob Anna Komplizen gehabt habe, singt sie das Lied vom „bucklicht Männlein“. Wenig später berichtet der Schützenmeister, Anna Migeli habe erzählt, Ruedi Steinmüller habe in Annas Mägdekammer auf dem Bett gesessen, außerdem sei eine Gestalt ohne Arme und Beine am Boden herumgehampelt. Anna habe dem Mädchen dann ein gezuckertes Leckerli zu essen gegeben.

„Was soll ich mit dieser Geschichte zu tun haben?, fragt sie und schaut ihm ins Gesicht. Haltet ihr mich im Ernst für so dumm?“ (Anna zu Dr. Tschudi, S. 92)

Unterdessen geht Anna auf den Rat eines Bauern hin nach Degerschen, wo ein Wirt eine Magd sucht. Sie tritt die Stelle unter falschem Namen an. Im Februar fühlt sie sich so sicher, dass sie einen Brief nach Glarus senden will, um sich ihren Koffer nachschicken zu lassen. Sie bittet den Schulmeister, der oft in die Wirtschaft kommt, den Brief für sie zu schreiben. Steinmüller solle den Koffer an ihre Cousine Katharina Göldin schicken. Der Schulmeister hat den Namen Göldin in der Zeitung gelesen, macht sich auf den Weg nach Glarus und erstattet Meldung. Kurz darauf wird Anna im Wirtshaus festgenommen. Zweieinhalb Tage dauert der Fußmarsch nach Glarus, schon unterwegs wird sie mancherorts als Hexe beschimpft. In Glarus selbst wird es ein Spießrutenlaufen, eine Frau spuckt vor ihr aus. Sie wird im Rathaus gefangen gesetzt. Ein Teufelsaustreiber versucht, das „besessene“ Kind zu heilen. Er malt Kreuze an die Wand, bohrt ein Loch in die Türschwelle, lässt das Haus vor Sonnenaufgang räuchern. Er bestätigt auch die öffentliche Meinung, die Stecknadeln kämen von dem Leckerli, von dem Anna Migeli erzählt hat. Seine Bemühungen indes sind vergebens. Er folgert, nun könne nur noch die helfen, die das Kind verdorben habe.

Anna heilt Anna Migeli

Auf Dr. Tschudis Betreiben fragt man Anna, ob sie das Kind nicht wieder heilen könne. Sie entgegnet, sie habe dem Kind nichts getan. Wie solle sie ihm also helfen können? Die Antwort lautet, dass ihre Schuld ohnehin feststehe, und wenn sie nicht gestehe, werde der Scharfrichter seines Amtes walten. Ihre Strafe werde aber milder ausfallen, wenn sie der Bitte nachkomme. Anna sitzt in der Falle und sagt schließlich zu. Sie betastet Anna Migelis gelähmtes Bein und murmelt etwas dazu. Zwei Stunden dauert der Heilungsversuch. Das Kind hält die ganze Zeit still und Anna ist hinterher schweißüberströmt. Der Schützenmeister, der das Kind hält, sagt, dass etwas Leben in das Bein gekommen sei und es sich auch ein wenig gestreckt habe. Noch zwei Mal werden die Heilungsversuche im Rathaus wiederholt, dann gibt es auf Annas Vorschlag einen weiteren Versuch in der Küche der Tschudis, dort, wo das Übel angefangen hat. Anna drückt, dreht und streckt das Bein, und irgendwann ist ein lautes Krachen zu hören. Von da an kann das Kind stehen und gehen, es ist geheilt. Man staunt über Annas Heilkräfte.

Gefoltert und ermordet

Anna wird verhört, dabei werden ihr Aussagen unterstellt, man fragt nur nach dem Wo und Wann. Am Anfang sagt sie, dass sie nichts mit den Stecknadeln zu tun habe, nach vier Stunden sagt sie Ja zu allem, auch zu der Behauptung, sie habe das Leckerli, das sie Anna Migeli gegeben hat, ihrerseits von Steinmüller erhalten. Später widerruft sie diese Aussage und sagt, der Teufel habe es ihr gegeben. Anna bricht zusammen. Dr. Tschudi lässt seine genesene Tochter im Gerichtssaal den Mann identifizieren, der angeblich das Leckerli gemacht hat. Sie geht zu Steinmüller. Der wird verhaftet. Anna wird gefoltert, nackt auf eine Leiter gezogen, zuerst ohne, dann mit einem schweren Stein an den Füßen.

„Die Leute lebten ihre sechzig oder siebzig Jahre banalen Dingen entlang: fressen, saufen, schlafen, Kinder zeugen; in tiefere Zusammenhänge wollten sie nicht schauen, lieber blind sein wie ans Licht gescharrte Maulwürfe. Wer mehr wisse, mehr spüre, sei verdächtig.“ (Steinmüller, S. 105 f.)

Der Leiter der evangelischen Kirche in Zürich empört sich in einem Brief über den Aberglauben in Glarus und die Behandlung der Magd. Dass gebildete Männer in einem aufgeklärten Jahrhundert sich so verhielten, sei eine große Schande. Pfarrer Tschudi antwortet, das alles seien Tatsachen, die gespuckten Stecknadeln ebenso wie die Heilung des Kindes. Steinmüller wird gefoltert und gesteht, dem Mädchen das Leckerli gegeben zu haben. Dann erhängt er sich im Gefängnis. Der Rat diskutiert, ob man Anna töten oder lebenslänglich hinter Gitter bringen soll. Vor der Urteilsverkündigung fragt Dr. Tschudi Anna in Anwesenheit der Ratsmänner, ob er jemals Unzüchtiges mit ihr getan oder von ihr verlangt habe. Sie verneint. Das Urteil lautet Tod durch das Schwert. Am 18. Juni 1782 wird Anna öffentlich hingerichtet.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Roman Anna Göldin. Letzte Hexe gliedert sich in drei Teile, die wiederum in 10 bis 15 Kapitel unterteilt sind. Zwei Zeitebenen sind miteinander verflochten: Die Ereignisse ab Annas Eintritt bei den Tschudis bis zu ihrem Tod werden immer wieder unterbrochen von Annas Erinnerungen, die ihre Vorgeschichte aufrollen. Zusätzlich erzeugen viele Schauplatzwechsel ein hohes Tempo und eine dichte, packende Atmosphäre. Der Roman ist in der dritten Person geschrieben, aber es gibt viele innere Monologe, die eine starke Identifikation mit der Hauptfigur erzeugen. Insgesamt werden die Figuren, der Ort und die Zeit sehr anschaulich dargestellt. Die Sprache ist sehr bildhaft und ausdrucksstark, oft poetisch, etwa in Wendungen wie „Seiltanzen auf der Nahtstelle der Tage“ oder „Träume mit Wundrändern“.

Interpretationsansätze

  • Der Roman beruht auf dem wahren Fall der Anna Göldi, die 1782 im schweizerischen Glarus als Hexe hingerichtet wurde. Der Fall löste europaweit Empörung aus. In den Text eingearbeitet sind, kursiv gesetzt, Passagen aus Originalquellen, etwa aus Briefen oder Gerichtsprotokollen.
  • Der Roman ist eine soziale Studie über die Ohnmacht einer Magd im 18. Jahrhundert. Geschlecht und Stand machen sie zu einem Menschen ohne Rechte, ihr wird keine Würde zuerkannt. Ihr gegenüber stehen Männer, zumal mächtige Männer, also Gewinner der Gesellschaft, die durch ihren Status und ihre Beziehungen das Recht auf ihre Seite zu drehen wissen. 
  • Anna verteidigt ihre Würde, sie weigert sich, devot zu sein und sich in ihren Rang zu fügen. Ihr Selbstbewusstsein und ihre Präsenz wirken faszinierend auf Männer und irritierend auf Frauen. Genau diese Besonderheit bringt Anna immer wieder in Schwierigkeiten.
  • Eveline Hasler lässt zentrale Punkte offen, auf die die Quellen keine eindeutige Antwort geben, und öffnet damit Deutungsspielräume. Das betrifft etwa die Frage, ob Anna eine Affäre mit Dr. Tschudi hat oder nicht. Beides ist denkbar, die Autorin schildert Annäherungen und Flirts, aber keine eindeutigen Szenen. Außerdem gibt sie keine eindeutige Erklärung für die Stecknadeln in der Milch und die gespuckten Stecknadeln. Sie lässt das Rätsel stehen.
  • Hasler bietet eine symbolisch-psychologische Deutung der Stecknadeln an. Demnach stehen sie für verletzende und wütende Worte zwischen den Menschen, solche, die man von anderen gesagt bekommt, und solche, die man selbst gern aussprechen würde, die aber viele Menschen aufgrund ihres niedrigen Standes nicht sagen können und daher schlucken müssen. Diese Worte sammeln sich dann im Bauch und müssen irgendwann als etwas anderes ausgespuckt werden.
  • Hasler lässt keinen Zweifel daran, dass Anna mehr sieht und weiß als die meisten Menschen, das zeigen besonders deutlich ihre Heilkräfte, die sie mit Steinmüller gemeinsam hat. Doch solche Gaben werden gefährlich, wenn sie auf den Aberglauben der Menschen treffen.

Historischer Hintergrund

Hexenprozesse in Europa

Anders als oft angenommen, waren Hexenverfolgungen nicht so sehr ein Phänomen des Mittelalters als vielmehr der frühen Neuzeit; der Höhepunkt lag zwischen 1550 und 1650. Zu Beginn der Neuzeit gab es viele Bedrohungen, wie etwa die Kleine Eiszeit, die zu schweren Unwettern und Hungersnöten führte, außerdem große Seuchen wie die Pest und verheerende Kriege wie den Dreißigjährigen Krieg von 1618 bis 1648. Auch das Strafrecht der frühmodernen Staaten trug dazu bei, dass es zu massenhafter Hexenverfolgung kommen konnte.

Der vorchristliche Glaube, dass Unglück wie Missernten und persönliche Krisen durch schwarze Magie bewirkt würde, war im Volk verbreitet. Die Menschen suchten Sündenböcke und forderten Hexenprozesse zum Teil auch gegen den Willen der Obrigkeit. Den Denunziationen lagen oft persönliche und konfessionelle Konflikte zugrunde, oder es sollte unliebsame Konkurrenz ausgeschaltet werden. Sowohl Opfer als auch Ankläger waren in Mitteleuropa meistens Frauen. Schätzungen gehen von insgesamt 3 Millionen Hexenprozessen und 40 000 bis 60 000 Hinrichtungen aus.

Im Fall Anna Göldi wertete der Publizist Walter Hauser zuvor unbekannte Quellen aus und kam 2007 zu dem Schluss, dass Anna wohl ein Verhältnis mit Dr. Tschudi hatte. Dieser habe seine Magd beseitigen wollen, weil überführte Ehebrecher kein politisches Amt bekleiden durften. Daher habe er den Hexenprozess ins Rollen gebracht. Hauser stellte auch fest, dass das Gericht des evangelischen Rats, das Anna Göldi verurteilte, gar nicht zuständig war: Über Anna als Kantonsfremde hätte ein anders zusammengesetzter Rat, halb katholisch und halb evangelisch, urteilen müssen.

Entstehung

Eveline Hasler wurde in Glarus geboren, wo, so Hasler, „zwar jeder wusste, dass es eine Göldin gab, aber keiner darüber sprach. Fragte man die Lehrer, wichen sie aus.“ Dieses Tabu weckte das Interesse der Autorin. Hasler wollte wissen, warum ausgerechnet in ihrer Heimatstadt der letzte Hexenprozess Europas geführt wurde. Hasler brachte dabei ihre beiden Interessengebiete und Studienfächer zusammen: Psychologie und Geschichte. Sie verwendete anderthalb Jahre auf die Recherche und noch einmal anderthalb Jahre auf die Niederschrift. Ihre wichtigsten Quellen waren die Prozessakten sowie Darstellungen des Falls in verschiedenen Jahrbüchern und Aufzeichnungen der Kantonsgeschichte, außerdem Jakob Wintelers Buch Der Anna-Göldi-Prozess im Urteil der Zeitgenossen von 1954. Hasler schmückte die Geschichte aber auch aus und erfand Details, wo es blinde Flecken in der Biografie gab, um die historische Person lebendig zu machen.

Vor Eveline Hasler hatte schon Kaspar Freuler aus dem Stoff einen Roman gemacht. Dieser erschien 1945 unter dem Titel Anna Göldi. Die letzte Hexe der Schweiz. 1948 erschien von Freuler ein gleichnamiges Theaterstück.

Wirkungsgeschichte

Eveline Haslers Roman erschien 1982 und machte die Autorin schlagartig berühmt. 1991 wurde er von Gertrud Pinkus verfilmt. Buch und Film lösten in Glarus eine Debatte aus, das Schweigen war gebrochen. Doch erst 2008 wurde Anna Göldi vom Glarner Landrat rehabilitiert. Sie wurde dadurch vom Vorwurf der „Vergiftung“ entlastet, zudem wurde ihre Hinrichtung nun offiziell als Justizmord und das Verfahren gegen sie als nicht rechtmäßig bezeichnet. Noch im Jahr zuvor hatten sowohl die Kantonsregierung also auch der reformierte Kirchenrat eine Rehabilitation Anna Göldis abgelehnt – mit der Begründung, sie sei im Bewusstsein der Glarner Bevölkerung längst rehabilitiert. Der Jurist und Autor Walter Hauser hatte den Rehabilitationsantrag anlässlich des 225. Todestages von Anna Göldi 2007 gestellt.

2014 wurde in Glarus ein Mahnmal zu Anna Göldi installiert: Aus zwei runden Fenstern im Dachgeschoss des Gerichtsgebäudes leuchtet tags wie nachts Licht. Unten an der Hauswand ist zudem eine Erinnerungstafel angebracht.

Eveline Hasler wird noch immer in erster Linie mit ihrem Roman zu Anna Göldi in Verbindung gebracht. Das Buch machte sie zu einer der meistgelesenen Schweizer Schriftstellerinnen.

Über die Autorin

Eveline Hasler wird am 22. März 1933 in Glarus geboren, ihr Mädchenname ist Schubiger. Als ihre Eltern sich scheiden lassen, wird sie dem Vater zugesprochen und lebt in dessen neuer Familie. Dadurch wird das Kind zu einem Sonderfall in der Kleinstadt. Sie studiert Psychologie und Geschichte im schweizerischen Freiburg und in Paris, danach ist sie zunächst in St. Gallen als Lehrerin tätig. Sie heiratet den Naturwissenschaftler und Lehrer Pino Hasler und bekommt drei Kinder. In den 1960er-Jahren beginnt Eveline Hasler, Kinder- und Jugendbücher zu schreiben, etwa die fantastischen Geschichten um die Hexe Lakritze. Sie ist auch Mitglied des sogenannten Friedrich-Bödecker-Kreises, der, inspiriert von der 68er-Bewegung, die Kinder- und Jugendbuchliteratur weg von betulicher Idylle hin zum echten Leben führen will. Unter anderem gehören dieser Gruppe Christine Nöstlinger, Klaus Kordon und Irina Korschunow an. Haslers Komm wieder, Pepino (1967) ist eines der ersten Kinderbücher, das von Gastarbeiterkindern handelt. Der Sonntagsvater (1973) ist von Haslers eigenen Erfahrungen als Scheidungskind inspiriert. Ab 1979 schreibt Hasler auch Prosa und Lyrik für Erwachsene. Berühmt wird sie 1982 mit Anna Göldin. Letzte Hexe, ihrem ersten Roman, der eine historische Person zur Hauptfigur hat. Es ist bis heute ihr bekanntestes Buch. In Die Wachsflügelfrau (1991) zeichnet Hasler das Leben von Emilie Kempin-Spyri nach, die als erste Schweizerin in Jura promovierte. Hauptfigur von Der Zeitreisende (1994) ist Henry Dunant, der Gründer des Roten Kreuzes. Oft schreibt Hasler Romanbiografien über starke, originelle Außenseiter, die in ein Zeitalter hineingeboren werden, das ihnen nicht gewachsen ist. Eveline Hasler wird vielfach mit Preisen ausgezeichnet, ihr gesamtes Werk umfasst über 60 Titel. Sie lebt heute mit ihrem Mann in Ronco sopra Ascona im Tessin.

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