Jane Austen
Anne Elliot
oder die Kraft der Überredung
dtv, 2011
Was ist drin?
Das herbstliche Liebeslied der notorischen Spottdrossel Jane Austen.
- Liebesroman
- Romantik
Worum es geht
Wer heiratet wen?
Worum es in Anne Elliot geht? Natürlich um Liebe, Heirat, Missverständnisse; um Ausfahrten mit dem Zweispänner, Spaziergänge durch malerische Hügellandschaften, Tanzvergnügen bei Kerzenschein; um Herrenhäuser, Cottages, Zweitwohnsitze in mondänen Kurorten. Um Standesfragen: Bauer, Bürger oder Edelmann? Um Verwandtschaftsfragen: Wer mit wem und zu welchem Grad? Und schließlich um Fragen des Anstands: Was gehört sich, was nicht, und was nur unter welchen Bedingungen? Das hört sich alles kitschig an, ist es aber nicht. Für den Ausgleich sorgt Jane Austens ironischer Ton, der sich bei allzu grober Dummheit ihrer Figuren zu genussvoller Verachtung steigern kann, der aber auch reinste Tugend nicht unverspottet glücklich werden lässt. Austen zeigt sich in ihrem letzten und wohl gelungensten Roman als Meisterin eines zugleich nüchternen und unterhaltsamen Moralismus in der Tradition des von ihr bewunderten Samuel Johnson. Ihr Interesse gilt den endlosen Spielarten der Comédie humaine und dem, was daraus zu lernen ist. Die Szenerie ist stets eine beschränkte – die Beletage des Lebens eben, kein Erdgeschoss, kein Keller –, aber Austen gelingt es, sie mit so viel Leben auszustaffieren, dass man nichts vermisst.
Take-aways
- Anne Elliot ist Jane Austens letzter und für manche ihr gelungenster Roman.
- Inhalt: Anne Elliot ist 27 und immer noch nicht verheiratet. Mit 20 hat sie sich überreden lassen, die Verlobung mit dem mittellosen Marineoffizier Frederick Wentworth aufzulösen. Jetzt kreuzen sich ihre Wege erneut, und Wentworth ist inzwischen reich. Nach manchen Verwicklungen und Gefühlsverwirrungen finden die beiden wieder zueinander.
- In Anne Elliot geht es um den Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft, zwischen Innen und Außen, Gefühl und Verstand, Liebe und Geld.
- Die Titelfigur unterscheidet sich von Austens anderen Protagonistinnen dadurch, dass sie bereits zu Beginn mit einer Reife auftritt, die andere erst zum Romanende hin erreichen.
- Anne Elliot ist wie alle Jane-Austen-Romane gefühlsbetont, aber frei von Kitsch.
- Als Jane Austen den Roman 1815 schrieb, war sie schon durch eine Krankheit geschwächt.
- Die Veröffentlichung erlebte Austen nicht mehr. Sie starb mit 41 Jahren, elf Monate nach Abschluss des letzten Kapitels.
- Vieles deutet darauf hin, dass sie den Roman als unfertig betrachtete und das Manuskript später noch einmal überarbeiten wollte.
- Jane Austen, in deren Romanen es fast ausschließlich ums Heiraten geht, blieb selbst unverheiratet.
- Zitat: „(…) Anne, die so fein und gescheit war, dass jeder vernunftbegabte Mensch von ihr angetan sein musste, galt bei Vater und Schwester gar nichts; ihr Wort hatte kein Gewicht, ihre Interessen mussten immer hintanstehen – sie war einfach nur Anne.“
Zusammenfassung
Anne allein zu Haus
Im Herrenhaus Kellynch Hall lebt die 27-jährige Anne Elliot, die mittlere von drei Töchtern des dünkelhaften Witwers Sir Walter Elliot. Ihre ältere Schwester Elizabeth ist kaltherzig und voller Hochmut. Mary, die Jüngste, die als Frau des biederen Charles Musgrove im nahen Uppercross lebt, ist wehleidig und eingebildet. Ganz anders Anne. Ihr Charakter vereint Vernunft, Anstand und Selbstlosigkeit – Tugenden, die aber weder ihr Vater noch die Schwestern zu schätzen wissen. In der Hackordnung der Familie steht Anne ganz unten. Einzig ihre mütterliche Freundin, die verwitwete Lady Russell, erkennt ihren Wert und steht ihr mit Rat und Tat zur Seite. Allerdings wird Lady Russells Urteil durch ihre übermäßige Wertschätzung von Rang und Titeln etwas getrübt. Vor sieben Jahren hat Anne auf Lady Russells Drängen ihre Verlobung mit dem mittellosen Marineoffizier Frederick Wentworth gelöst, worunter sie immer noch leidet.
Finanzkrise und Umzugspläne
Sir Walter lebt über seine Verhältnisse. Da er sich nicht einschränken will, steuert er langsam, aber sicher dem Ruin entgegen. Sein Anwalt, Mr. Shepherd, weiß Rat: Sir Walter muss Kellynch Hall vermieten und anderswo ein bescheideneres Quartier beziehen. Der stolze Baronet ist zunächst skeptisch, freundet sich schließlich aber mit dem Gedanken an. Die neue Residenz der Elliots soll der vornehme Kurort Bath sein. Ein Mieter für Kellynch Hall ist bald gefunden: der Kriegsveteran Admiral Croft, der sich auf der Suche nach einem Altersruhesitz befindet. Mr. Shepherd leitet die Sache in die Wege, und so nehmen die Umzugspläne Gestalt an. Sir Walter und Elizabeth fahren zur Wohnungssuche nach Bath. Anne können sie dabei nicht gebrauchen. Mit dabei ist jedoch die verwitwete Mrs. Clay, Mr. Shepherds Tochter, eine geschickte Ränkeschmiedin. Das schmeckt Lady Russell gar nicht, sie fürchtet, Mrs. Clay werde Sir Walter um den Finger wickeln.
Wiedersehen in Uppercross
Anne verbringt eine Woche bei Lady Russell, dann siedelt sie nach Uppercross über, wo ihre Schwester Mary mit ihrem Ehemann Charles in unmittelbarer Nähe zu den Schwiegereltern, den Musgroves, ein beschauliches Leben führt. Mary kränkelt mal wieder. Anne findet sich bereitwillig in die Rolle der Krankenpflegerin. Mit Engelsgeduld erträgt sie Marys Launen. Ganz nach ihrem Herzen sind dagegen Charles’ Schwestern Louisa und Henrietta, zwei hübsche, unverdorbene Mädchen im heiratsfähigen Alter. Anne lernt auch die Crofts näher kennen, die sich als herzliche Menschen erweisen. Es stellt sich heraus, dass die Frau des Admirals, Mrs. Croft, die Schwester jenes Frederick Wentworth ist. Als sie bei Gelegenheit erwähnt, dass dieser seinen Besuch angekündigt hat, löst sie damit bei Anne heftige Gefühlswallungen aus. Frederick ist inzwischen Captain und leidlich wohlhabend. Obwohl eigentlich nur auf der Durchfahrt, setzt er sich in Uppercross fest. Kein Wunder, wird er doch gleich von beiden Musgrove-Töchtern begeistert umschwärmt. Anne ist seine Anwesenheit unangenehm; ihre Liebe, so viele Jahre erfolgreich verdrängt, hat nichts an Kraft eingebüßt. Daher schmerzt sie die Förmlichkeit, mit der ihr der Captain nun begegnet. Für zusätzliche Verwirrung sorgt bald Fredericks Verhältnis zu Louisa und Henrietta: Offenbar ist er auf Freiersfüßen, scheint sich jedoch zunächst nicht festlegen zu wollen. Erst allmählich neigt sich die Waage zu Louisas Gunsten.
Neue Bekanntschaften
Immer wieder empfängt auch Anne von Wentworth Signale – Gesten, Blicke, kleine Bevorzugungen –, die sie hoffen lassen. Bald naht jedoch ihr Abschied, Lady Russell erwartet sie in Kellynch Hall. Doch vorher steht noch ein Ausflug in den Küstenort Lyme auf dem Programm. Captain Wentworth hat dort Bekannte, seinen Kameraden Captain Harville und dessen Frau. In Lyme angekommen, mieten sich Mary, Charles, Anne, Henrietta, Louisa und Wentworth in einem Gasthaus ein. Es ist Mitte November und kaum etwas los, genau richtig für erholsame Strandspaziergänge. Wentworth stellt ihnen die Harvilles vor, offenherzige und anständige Leute. Unter ihrem Dach wohnt der introvertierte Captain Benwick, der mit der kürzlich verstorbenen Schwester von Mrs. Harville verlobt war. Sein freundliches, schwermütiges Wesen trägt ihm allgemeine Sympathien ein. Insbesondere Anne fühlt sich zu ihm hingezogen, was auf Gegenseitigkeit zu beruhen scheint.
„Sir Walter Elliot von Kellynch Hall in Somersetshire war ein Mann, der zu seiner Erbauung kein anderes Buch zur Hand nahm als das Baronetsregister (...)“ (S. 7)
Am nächsten Morgen, als die Gruppe von einem Spaziergang zurückkehrt, begegnet ihnen ein vornehmer Fremder, der Anne bewundernd ansieht. Tatsächlich scheint die Seeluft etwas von Annes jugendlicher Frische zurückzubringen. Das bemerkt auch Wentworth. Zurück im Gasthaus begegnet Anne dem Fremden erneut. Er sieht gut aus und beweist vollendete Manieren. Nachforschungen ergeben, dass es sich um einen Verwandten handelt, einen entfernten Cousin, Mr. Elliot. Anne ist ihm nie zuvor begegnet. Seinerzeit war Mr. Elliot von Sir Walter per Testament als Erbe und künftiger Ehemann für Elizabeth bestimmt worden. Zur allgemeinen Überraschung hatte er jedoch eine Frau von niedriger Geburt, aber mit riesigem Vermögen geheiratet und den Kontakt zu Kellynch Hall abgebrochen.
„(...) Anne, die so fein und gescheit war, dass jeder vernunftbegabte Mensch von ihr angetan sein musste, galt bei Vater und Schwester gar nichts; ihr Wort hatte kein Gewicht, ihre Interessen mussten immer hintanstehen – sie war einfach nur Anne.“ (S. 10)
Der Aufenthalt in Lyme neigt sich dem Ende zu. Den Abschluss soll ein gemeinsamer Spaziergang bilden. Dabei kommt es zu einem Unfall: Louisa, die ausgelassen auf der Mole herumtollt, stürzt und bleibt wie tot liegen. Die Gruppe verfällt in Panik, nur Anne behält die Nerven. Sie schickt Benwick los, einen Arzt zu holen. Louisa wird zu den Harvilles gebracht. Sie lebt, ist jedoch nicht bei Bewusstsein. Mrs. Harville besteht darauf, dass Louisa bei ihnen bleibt; sie selbst will sie pflegen. Jetzt gilt es, die Eltern zu verständigen. Zu diesem Zweck fahren Anne und Wentworth nach Uppercross. Nachdem die Nachricht überbracht ist, fährt der Captain sofort nach Lyme zurück. Anne bleibt noch und leistet den Musgroves Beistand.
Neue Heimat Bath
Sir Walter und Elizabeth haben derweil in Bath ein prachtvolles Haus am Camden Place gefunden. Anne versucht, sich ihrer neuen Lebenslage zuzuwenden, doch in Gedanken weilt sie ganz bei den Geschehnissen der letzten Wochen. Entsprechend widerwillig tritt sie schließlich die Reise nach Bath an, das fortan ihre Heimat sein soll.
„Niemand war im Umkreis von Kellynch aufgetaucht, der an Frederick Wentworth herangereicht hätte, so wie sie ihn im Gedächtnis trug. Keine zweite Liebe, in ihrem Alter das einzige wahrhaft natürliche, wirksame und ausreichende Heilmittel, war für sie denkbar gewesen in ihrem engen gesellschaftlichen Rahmen, dafür war sie zu wählerisch, zu anspruchsvoll in ihrem Geschmack.“ (über Anne, S. 36)
Auch ihr Cousin, Mr. Elliot, ist in Bath. Er trägt Trauer, seine Frau ist kürzlich gestorben. Wie es scheint, richtet er sein ganzes Bestreben auf eine Versöhnung mit Sir Walter. Im Haus am Camden Place ist er beinahe täglich zu Gast, führt sich vortrefflich auf, und bald hat jedermann eine hohe Meinung von ihm. Nur Anne ist misstrauisch Und fragt sich, was er sich von der Bindung an die Elliots verspricht. Denn reich ist er ohnedies. Ob er es auf eine Ehe mit Elizabeth abgesehen hat? Lady Russell hingegen ist von Mr. Elliott durchaus angetan. Ihre Sorge gilt eher der umtriebigen Mrs. Clay, die weiter ihre Fäden spinnt. Sir Walter hat unterdessen eigene Probleme: Eine Cousine, Lady Dalrymple, hat ebenfalls ihre Zelte in Bath aufgeschlagen – eine prächtige Gelegenheit, aller Welt seine verwandtschaftlichen Beziehungen zum Hochadel vorzuführen! Leider jedoch ist man seit Langem entfremdet, und so sieht sich Sir Walter zu einiger Katzbuckelei genötigt, um die Gunst der Dame zu erlangen.
Die tapfere Mrs. Smith
Anne trifft eine alte Schulfreundin, Mrs. Smith, die inzwischen verwitwet ist. Sie leidet unter Rheuma, ist gänzlich verarmt und lebt einsam und zurückgezogen in Bath, unter der Obhut einer Pflegerin, der tüchtigen Schwester Rooke, die ihr allerhand Klatsch und Tratsch zuträgt. Trotz ihres Schicksals ist Mrs. Smith guten Mutes und lässt sich das Leben nicht vermiesen. Der Sympathie, die sie und Anne füreinander hegen, haben die Jahre nichts anhaben können, bald herrscht wieder die alte Vertraulichkeit. Derweil macht es den Anschein, als habe Mr. Elliot ein neues Ziel: Anne. Lady Russell ist begeistert: Wie gern würde sie, statt der ungeliebten Elizabeth, Anne als Herrin von Kellynch Hall sehen! Doch die findet immer weniger Gefallen an Mr. Elliot, er ist ihr zu undurchsichtig, zu gefällig.
Unerwartete Wendung
Anne erhält einen Brief von Mary mit Neuigkeiten: Die Crofts kommen nach Bath. Louisa geht es besser, sie kann bald nach Hause. Und: Captain Benwick und Louisa sind ein Paar! Anne ist verblüfft: Weder kommt es also zur Verlobung zwischen Louisa und Captain Wentworth, noch kann, wie es zwischendurch den Anschein hatte, Captain Benwick in Anne verliebt gewesen sein. Als die Crofts in Bath eintreffen, erfährt Anne vom Admiral Einzelheiten. Besonders interessiert sie natürlich, wie Captain Wentworth zu der verblüffenden Wendung steht. Vorsichtig fragt sie nach. Der Admiral versichert, Wentworth habe sich völlig unberührt gezeigt. Anne mag das kaum glauben. Wenig später trifft sie den Captain, der ebenfalls nach Bath gereist ist, wieder. Wentworth scheint verändert, im Gespräch wirkt er befangen. Nur allmählich entspannt sich die Stimmung etwas – jedenfalls bis zu dem Augenblick, da Wentworth herausfindet, dass Mr. Elliots Avancen gegenüber Anne immer konkreter werden. Anlässlich eines Konzertabends bei Lady Dalrymple treffen die drei aufeinander. Zunächst unterhalten sich Anne und Wentworth. Bald kommen sie auf Louisa zu sprechen. Wie entzückt ist Anne, als der Captain ihr indirekt zu verstehen gibt, dass das schlichte Mädchen niemals seinen Ansprüchen genügt habe. Nur aus Pflichtgefühl sei er nach ihrem Sturz so lange bei ihr geblieben. Im weiteren Verlauf des Abends wird Anne dann von Mr. Elliot in Beschlag genommen und Wentworth zieht sich, offenbar eifersüchtig, zurück.
Gespenster der Vergangenheit
Tags darauf besucht Anne Mrs. Smith. Ihr Bericht vom vorangehenden Abend bleibt jedoch recht lückenhaft. Mrs. Smith vermutet, dass irgendetwas oder irgendjemand Annes ganze Aufmerksamkeit verlangt haben müsse – etwa Mr. Elliot? Anne staunt: Woher kennt Mrs. Smith ihren Cousin? Es handelt sich, wie sich herausstellt, um eine alte Bekanntschaft, seit vielen Jahren eingeschlafen. Jetzt habe sie von Schwester Rooke gehört, dass Mr. Elliot in Bath sei, ein Auge auf Anne geworfen habe und die Verlobung kurz bevorstehe. Nachdem Anne ihre Verwirrung überwunden hat, klärt sie Mrs. Smith auf: Keineswegs werde sie Mr. Elliot heiraten; es gebe da jemand anders. Mrs. Smith berichtet daraufhin von den Umständen ihrer Bekanntschaft mit Mr. Elliot: Er war mit ihrem verstorbenen Mann befreundet, war mittellos, aber ehrgeizig, heiratete eine reiche Frau, trieb durch seinen schlechten Einfluss Mr. Smith in den Ruin und verweigerte sich schließlich den Hilfegesuchen der Witwe kaltherzig. In einem Brief, den Mrs. Smith zum Beweis hervorholt, zeigt sich Mr. Elliot tatsächlich unverhohlen als der Schuft, als den sie ihn eben beschrieben hat. Dass er so engen Kontakt zu Sir Walter suche, habe noch einen anderen Grund, meint Mrs. Smith: Er fürchte Mrs. Clays Intrigen. Käme es zu einer Verbindung zwischen ihr und Sir Walter, wäre sein Erbe in Gefahr.
Alles wird gut
Anne ist schockiert. Sie will sich mit Lady Russell darüber beraten, was jetzt zu tun sei. Doch daraus wird nichts, denn weitere Neuankömmlinge nehmen sie in Beschlag: Mary, Charles, die Musgroves, Henrietta und Captain Harville. In deren Hotelsuite trifft Anne auch Wentworth wieder, der sie jedoch meidet. Stattdessen unterhält sich Anne mit Captain Harville. Das Thema ist die Leichtigkeit, mit der Captain Benwick, so kurz nach dem Tod seiner geliebten Frau, sein Herz neu vergeben kann. Anne stellt die These auf, dass Frauen treuer lieben als Männer, und hält ein flammendes Plädoyer für weibliche Beständigkeit. Währenddessen sitzt Wentworth in Hörweite. Kurz darauf stürmt er grußlos davon, kommt aber noch einmal zurück und überreicht Anne einen Brief, der er offenbar eben geschrieben hat. Danach verschwindet er wieder. Der Brief enthält eine verzweifelte Liebeserklärung Wentworths, der Captain will endlich wissen, woran er ist. Anne ist überwältigt. Sie will jetzt allein sein und lässt sich daher von Charles Musgrove nach Hause bringen. Unterwegs begegnen sie Wentworth; Charles verabschiedet sich sogleich und lässt die beiden allein.
„Er hatte Anne Elliot nicht vergeben. Sie hatte ihn schändlich behandelt, sie hatte ihn fallen gelassen und enttäuscht, und schlimmer noch, sie hatte dabei eine Charakterlosigkeit bewiesen, die seine eigene Entschiedenheit und Selbstgewissheit nicht hinnehmen konnten. Sie hatte ihn aufgegeben, um es anderen recht zu machen.“ (über Wentworth, S. 72 f.)
Wentworth, stellt sich heraus, hat Anne immer geliebt, die Sache mit Louisa war nur ein Missverständnis, doch dann kam die Eifersucht auf Mr. Elliot hinzu – ebenfalls ein Missverständnis, wie Anne erläutert. Der Bund der beiden wird erneuert, einer Heirat steht nichts mehr im Weg. Sir Walter gibt sein Einverständnis, und auch Lady Russell sieht ein, dass sie sich in Wentworth getäuscht hat. Anne, weit davon entfernt, ihr etwas nachzutragen, ist sogar der Meinung, alles habe gar nicht anders kommen dürfen, ihre Liebe sei aus den langen Jahre des Leidens gestärkt hervorgegangen. Mr. Elliot übrigens hat sich, wie man hört, mit Mrs. Clay nach London abgesetzt.
Zum Text
Aufbau und Stil
Anne Elliot spielt der Reihe nach an vier Schauplätzen, woraus eine vieraktige Struktur entsteht: Kellynch Hall, Uppercross, Lyme und Bath. Die Geschichte wird von einer allwissenden Erzählerin wiedergegeben, die, je nach Wichtigkeit der Charaktere, hier und da Einblicke in deren Gedanken- und Gefühlswelt gewährt. Jane Austen nutzt dabei die Technik der erlebten Rede, als deren Pionierin, wenn nicht Erfinderin, sie gilt. Die erlebte Rede ist im Prinzip die von der Erzählerin redigierte Fassung der unausgesprochenen Gedanken, Meinungen oder gefühlsmäßigen Tendenzen eines Charakters. Doch auch an direkter Rede, also an Dialogen, ist Anne Elliot überaus reich. Dagegen sind Beschreibungen von Situationen, Landschaften usw. kurz gehalten und stehen immer im Dienst des Ganzen. Fast alle Charaktere sind sorgfältig ausgearbeitet und miteinander in Balance gebracht; die feinen Unterschiede ihrer jeweiligen Ausdrucksweisen gehen allerdings in der Übersetzung verloren. Jane Austens Stil in Anne Elliot ist in Wirklichkeit eine Vielzahl von Stilen, virtuos verwoben, immer einem bestimmten ästhetischen Zweck dienend.
Interpretationsansätze
- In Anne Elliot verhandelt Jane Austen den Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft, zwischen Innen und Außen, Gefühl und Verstand, Liebe und Geld. Hätte die Heldin schon beim ersten Antrag Wentworths auf ihr Herz hören und sich mit der Entscheidung für den mittellosen Mann gegen die Ansprüche ihrer Familie stellen sollen? Diese Frage wird von vielen Seiten beleuchtet, bleibt aber letztlich offen.
- In Annes Bevorzugung der tüchtigen Offiziersfamilien vor ihrer eigenen, ebenso stolzen wie nichtsnutzigen Verwandtschaft bildet sich der historische Übergang von der Aristokratie zur Meritokratie ab; von einer Gesellschaft also, in der Status ausschließlich vererbt wird, zu einer, in der auch persönliches Verdienst etwas zählt.
- Unschwer ist in Anne Elliot das „Aschenputtel-Motiv“ zu erkennen: Ein tugendhaftes Mädchen, von ihrer hartherzigen Familie verkannt und erniedrigt, liebt einen Prinzen, der sie schließlich aus ihrer Abhängigkeit befreit und ihr Genugtuung verschafft.
- Das Motiv der Überredung spielt, obwohl es den englischen Originaltitel Persuasion (der allerdings nicht von Jane Austen selbst stammt) ausmacht, eine eher oberflächliche Rolle. Zwar wird es in mehreren Varianten durchgespielt, entpuppt sich jedoch bei näherer Betrachtung weitgehend als Formalismus.
- In einem gewissen Sinn kann man Anne Elliot als unvollendetes Werk bezeichnen: Der Roman ist kürzer als seine Vorgänger, auch sind einige Charaktere nicht ganz durchgestaltet. Denkbar ist, dass Jane Austen eine spätere Überarbeitung plante.
- Die Hauptfigur Anne Elliot unterscheidet sich von Austens anderen Romanheldinnen dadurch, dass sie ihre Jugend schon hinter sich hat und bereits zu Beginn des Romans mit einer Reife auftritt, die von den Hauptfiguren der anderen Romane erst am Ende erreicht wird.
- In einer Schlüsselszene betont Anne, dass, wenn es darum geht, über die Gefühlstiefe und Treue von Männern und Frauen zu streiten, Bücher als Beweismittel nicht zugelassen sind, da Bücher traditionell von Männern geschrieben würden. Hier dient Anne wohl als direktes Sprachrohr von Jane Austen.
Historischer Hintergrund
Im Windschatten der Geschichte
Der Beginn des 19. Jahrhunderts war eine Zeit historischer Umbrüche in Europa. Doch so gewaltig auf dem Kontinent die Weltgeschichte tobte, so gemächlich zog im ländlichen Süden Englands das Leben in geregelten Bahnen dahin. Mochten die Armeen Napoleons das alte politische Gefüge – das Imperium der Habsburger, das preußische Staats-Uhrwerk, das russische Riesenreich, die britische Seemacht – in seinen Grundfesten erschüttern; mochten die sechs Koalitionskriege, an deren Ende Napoleon endlich niedergerungen war, wohl Millionen Menschen das Leben gekostet haben; mochten auf dem Wiener Kongress 1814/15 die Siegermächte die alte Ordnung zu erzwingen suchen; mochte der revolutionäre Funken dennoch weiterschwelen und neues Unheil verheißen – die große Streitfrage in Hampshire, Essex oder Kent lautete: Tee oder Milch zuerst?
Das britische Königreich erlebte eine Periode dauerhaften inneren Friedens, zumal auf dem Land, wo die Uhren ohnehin langsamer gingen. Besonders Gutsbesitzer und niederer Adel, die sich nicht um ihren Unterhalt sorgen mussten, führten ein ruhiges, an äußeren Ereignissen oft armes Leben. Umso wichtiger war die Sphäre des Sozialen. Hier herrschte ein nuanciertes moralisches Regelwerk, dessen Grundwerte Rationalität, Toleranz und Wirklichkeitssinn tief im 18. Jahrhundert wurzelten und von allen Gesellschaftsschichten anerkannt wurden. Die Epoche der Industrialisierung, mit Klassenkampf und Massenelend, lag noch in weiter Ferne. Zu Jane Austens Zeit galt die bestehende Ordnung als eine Art prästabilierte Harmonie, in der jedermann seinen gottgegebenen Platz innehatte.
Entstehung
Jane Austen schrieb Anne Elliot in Chawton, wo ihr Bruder Edward sie 1809, nach dem Tod des Vaters, mitsamt ihrer Mutter und ihrer Schwester Cassandra in einem Backsteinbau auf seinem Grundstück untergebracht hatte. Zu diesem Zeitpunkt war Jane Austen bereits eine produktive Schriftstellerin. Doch erst in Chawton begann sie, die Rolle mit vollem Ernst auszufüllen. Damit verbunden war der Abschied von ihrer Jugend und allen Hoffnungen auf Ehe und eigene Kinder, die sie gehegt haben mochte. Jane Austen scheint diesen Abschied jedoch durchaus als Befreiung empfunden zu haben. Der Alltag in Chawton bestand aus Schreiben, Lesen, Plaudern mit Cassandra, die viel unterwegs war und so ihre Schwester mit Anekdoten und Neuigkeiten aus dem Dorfleben versorgen konnte; abends saß man beisammen im Salon und beschäftigte sich mit Handarbeiten. Oft waren auch die anderen Brüder mit ihren Familien zu Besuch, was Jane Austen Gelegenheit gab, in der Rolle als Lieblingstante der zahlreichen Neffen und Nichten zu glänzen. In den folgenden Jahren schrieb sie Mansfield Park und Emma.
1815 erkrankte Jane Austen an, wie man heute annimmt, Nebenniereninsuffizienz und verlor von Tag zu Tag an Lebenskraft. Dennoch schrieb sie noch den Roman Anne Elliot, den sie im Juli 1816 fertigstellte. Ein paar Wochen später nahm sie das Manuskript noch einmal hervor, um das Ende zu überarbeiten, mit dessen ursprünglicher Fassung sie nicht zufrieden war. Knapp ein Jahr darauf starb sie. Ihr Bruder Henry besorgte die Veröffentlichung ihres letzten Romans.
Wirkungsgeschichte
Anne Elliot erschien im Doppelpack mit Die Abtei von Northanger, einem bis dahin unveröffentlichten Frühwerk, nur wenige Monate nach Jane Austens Tod. Der Originaltitel Persuasion geht wohl auf Henry zurück, vermutlich hatte die Autorin das Manuskript unter dem Arbeitstitel The Elliots verfasst. Der Roman wurde von Publikum und Kritik gleichermaßen wohlwollend aufgenommen. Doch Austen war keine Bestsellerautorin, und so blieb Anne Elliot, wie auch Jane Austens übriges Werk, einem kleinen, aber feinen Leserkreis vorbehalten. Das änderte sich, als gegen Ende des 19. Jahrhunderts diverse Biografien der Autorin sowie Werkausgaben zu erschwinglichen Preisen erschienen. Kritiker begannen nun, sich umfassend und differenziert mit ihren Werken auseinanderzusetzen, und entdeckten hinter der unterhaltsamen, harmlos moralisierenden Fassade ihrer Liebesgeschichten große Literatur.
Parallel dazu kam die Lawine der populären Austen-Begeisterung ins Rollen, die mit Anbruch des Internetzeitalters noch einmal Fahrt aufnahm. Dutzende Male wurden Austens Romane verfilmt, mindestens viermal allein Anne Elliot. Austen-Fans, die so genannten „Janeites“, pilgern nach Chawton und zu den Schauplätzen von Austens Romanen, kleiden sich im Regency-Stil, kaufen Jane-Austen-Merchandise, vom Kaffeebecher bis zum Stickkissen, verfassen Jane-Austen-Fortsetzungen, schimpfen auf Jane-Austen-Parodien und diskutieren im Internet über die wahre Auslegung der „heiligen Schriften“ ihres Idols.
Über die Autorin
Jane Austen wird am 16. Dezember 1775 als siebtes Kind des Pfarrers George Austen und seiner Frau Cassandra in Steventon, Hampshire, geboren. Sie und ihre ältere Schwester Cassandra, der sie sehr nahesteht, erhalten nur eine grundlegende Schulbildung von etwa fünf Jahren. Anschließend bilden sie sich zu Hause in Malerei, Klavierspielen und vor allem in der umfangreichen Bibliothek ihres Vaters weiter. Jane fängt bereits mit zwölf Jahren an zu schreiben. In dieser Zeit entstehen zahlreiche Jugendwerke, die sie später überarbeitet. Zwischen 1795 und 1799 schreibt sie an frühen Fassungen ihrer erst später veröffentlichten Romane. Zeitgenossen beschreiben die junge Jane als begeisterte Tänzerin und Theaterbesucherin. Sie hat einige Verehrer, scheint jedoch nicht besonders am Heiraten interessiert zu sein. Wie ihre Schwester Cassandra bleibt sie ledig. Als ihr Vater 1805 stirbt, sind die Schwestern und die Mutter finanziell von Janes Brüdern abhängig. Häufige Wohnortwechsel zwischen Bath, London, Clifton, Warwickshire und Southampton sowie kürzere Aufenthalte bei mehreren Verwandten prägen diese Zeit. 1809 lassen sich die drei Frauen schließlich in dem Dorf Chawton, Hampshire, nieder. Die wiedergefundene Stabilität weckt in Jane neue kreative Kräfte. Sie bereitet Verstand und Gefühl (Sense and Sensibility, 1811) sowie Stolz und Vorurteil (Pride and Prejudice, 1813) zur Veröffentlichung vor. 1814 erscheint Mansfield Park und 1816 Emma. Jane Austen ist zu diesem Zeitpunkt bereits eine viel gelesene, wenn auch anonyme Autorin. Sie stirbt im Alter von 41 Jahren am 18. Juli 1817, wahrscheinlich an der Addison-Krankheit, deren Ursache damals unbekannt und die nicht behandelbar ist. Die Romane Anne Elliot (Persuasion) und Die Abtei von Northanger (Northanger Abbey) erscheinen postum im Jahr 1818. Erst zu diesem Zeitpunkt gibt Janes Bruder Henry die Urheberschaft aller sechs Werke bekannt.
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