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Die allertraurigste Geschichte

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Die allertraurigste Geschichte

Diogenes Verlag,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Ein Roman über Seitensprünge unter Freunden – und ihre dramatischen Folgen.


Literatur­klassiker

  • Liebesroman
  • Moderne

Worum es geht

Ein Geheimtipp der literarischen Moderne

Wenn es um die literarische Moderne in Großbritannien geht, stehen üblicherweise Ezra Pound, T. S. Eliot und James Joyce im Rampenlicht. Doch eigentlich hat Ford Madox Ford einen Platz neben ihnen verdient. Als umtriebiger Verleger und Kritiker stand er in persönlichem Kontakt mit so gut wie allen wichtigen Schriftstellern seiner Zeit. Gemeinsam mit seinem Freund Joseph Conrad schrieb er drei Romane. Doch Ford war nicht nur vorzüglicher Kenner, sondern auch Könner: An seinem 40. Geburtstag begann er mit der Arbeit an Die allertraurigste Geschichte, mit der er sein schriftstellerisches Können unter Beweis stellen wollte. Welcher Buchtitel wäre besser geeignet, die Krisen- und Verfallsstimmung der Moderne auf den Punkt zu bringen? Meisterhaft setzt Ford den Erzähltyp des unzuverlässigen Erzählers um, führt subtile Widersprüche und Unklarheiten ein und lässt den Leser am Ende der packenden Geschichte mit vielen offenen Fragen zurück. Ein Buch, bei dem sich nicht nur die Lektüre, sondern auch die wiederholte Lektüre lohnt.

Take-aways

  • Die allertraurigste Geschichte ist ein Klassiker der englischen Moderne und gilt als Meisterwerk von Ford Madox Ford.
  • Inhalt: Das englische Paar Edward und Leonora Ashburnham lernt im Kurort Bad Nauheim die Amerikaner John und Florence Dowell kennen. Zwischen den beiden Ehepaaren entwickelt sich eine neun Jahre dauernde Freundschaft. Eine Affäre zwischen Edward und Florence führt schließlich zu einer Tragödie, die mit dem doppelten Selbstmord der beiden endet.
  • Das Werk ist bekannt für seinen gekonnten Einsatz einer unzuverlässigen Erzählperspektive.
  • Ford Madox Ford begann mit Die allertraurigste Geschichte an seinem 40. Geburtstag, um sein schriftstellerisches Können unter Beweis zu stellen.
  • Die ersten Kapitel des Romans erschienen 1914 in der legendären Avantgardezeitschrift Blast.
  • Auf Bitte des Verlegers änderte Ford nach Anbruch des Ersten Weltkrieges und aus Gründen der besseren Verkäuflichkeit den Titel des Buches von The Saddest Story zu The Good Soldier
  • Zeitlebens war Ford mehr als Verleger und Literaturkritiker bekannt denn als Autor .
  • Das Motiv des Ehebruchs sorgte bei vielen von Fords Zeitgenossen für moralische Entrüstung.
  • Heute wird der Roman in diversen Bestenlisten der englischen Literatur geführt.
  • Zitat: „Dies ist die traurigste Geschichte, die ich je gehört habe.“

Zusammenfassung

Eine Freundschaft zu viert

Im deutschen Kurort Bad Nauheim treffen im Spätsommer 1904 zwei Ehepaare aufeinander: das amerikanische Pärchen John und Florence Dowell und die Engländer Edward und Leonora Ashburnham. Die Dowells sind gut betucht. Sie leben seit Jahren in Paris und bereisen Europa. Den Sommer verbringen sie meist in Bad Nauheim, weil Florence seit ihrer Überfahrt nach Europa ein schwaches Herz hat. Sie ist lebenslustig und redselig, muss aber auf ärztlichen Rat jegliche Aufregung vermeiden, um ihr Herz zu schonen – das ist die Aufgabe ihres sie behütenden, treuherzigen Mannes. Die Ashburnhams sind noble Engländer. Edward, ein vollendeter Gentleman, vorbildlicher Offizier und angesehener Friedensrichter, ist ebenfalls herzkrank. Zwischen den beiden Paaren entwickelt sich eine enge und ungetrübte Freundschaft. Neun Jahre später steht John Dowell vor den Trümmern dieser friedlichen Zeit. Immer wieder erinnert er sich an bessere Tage:

„Dies ist die traurigste Geschichte, die ich je gehört habe.“ (S. 13)

Als er den adligen Edward und dessen belesene Gattin beim Abendessen im Hotel Excelsior kennenlernt, schätzt er sich glücklich: Von nun an muss er nicht mehr stumm und einsam den Begleitdienst im Kurprogramm seiner Frau verrichten. Neun wunderschöne Jahre verleben die Paare miteinander, geben sich dem luxuriösen Leben der guten Gesellschaft hin, lassen sich treiben. Über Persönliches wird nie gesprochen. Rückblickend muss John sagen: Sie haben sich eigentlich gar nicht gekannt. Man tut das, was vornehme Leute eben so tun: dinieren, Ausflüge machen, gelehrige Gespräche führen. Florence genießt es, Edward zu belehren. Ständig erklärt sie ihm Geschichte und Kultur. Eines Nachmittags, bei einem ihrer vielen Ausflüge, erklärt sie Edward etwas über die Wurzeln des Protestantismus. Dabei berührt sie ihn leicht am Handgelenk. Da zerreißt die Idylle ihrer unschuldigen Freundschaft für einen Augenblick. Vor John tut sich ein dunkler Abgrund auf und Leonora stürzt irritiert davon. Noch wehrt sich John gegen seine Ahnungen und die klagenden Andeutungen Leonoras. Noch hält die idyllische Fassade stand.

Der Hauptmann Ashburnham

Edward nimmt John nie für voll. Er ist belesen und kann Frauen gegenüber eine sentimentale Poesie an den Tag legen, die er Männern gegenüber, denen er die Rolle des tapferen Soldaten vorspielt, nie durchblicken lässt. Einmal hat er im Zug ein Dienstmädchen geküsst. Es war ein riesiger Skandal, von dem er sich gerade noch erholte. Von da an hielt er sich an die Damen seiner eigenen Klasse. Eine davon ist die hübsche und blutjunge Maisie Maidan, die wegen eines Herzleidens in Bad Nauheim zur Kur weilt. Zu dieser Zeit beginnen Florence und Edward, einen intimeren Ton miteinander anzuschlagen. Maisie, betrübt darüber, dass Edward sie fallen gelassen hat, will zu ihrem Ehemann abreisen, als ihr Herz unter der Anstrengung, ihren Koffer zu tragen, versagt. Leonora findet ihre Leiche.

„Seine Ehe mit Leonora war von seinen Eltern eingefädelt worden, und obwohl er sie stets ungeheuer bewunderte, hatte er ihr eigentlich nie vorgespiegelt, dass er mehr als Zärtlichkeit für sie empfand, wenn er auch verzweifelt ihre moralische Stütze brauchte …“ (über Edward, S. 75 f.)

Was das erotische Prickeln der beiden Ehen betrifft, ist nicht mehr viel los. Bei den Ashburnhams hat es so etwas vielleicht ohnehin nie gegeben. Leonora hält Edward über Wasser, finanziell und moralisch. Schon vor Jahren ist sie hinter seine Treulosigkeit gekommen – und auf die riesigen Schulden gestoßen, die er für sündhaft teure Mätressen auf sich genommen hat. Also hat sie ihn dazu gebracht, sein Vermögen auf sie zu überschreiben, und verwaltet seither seinen Besitz. Scheidung kam für sie als gute Katholikin nie infrage. Sie sieht es als ihre Aufgabe, Edward zu bessern. Und sie ist eine gute Schauspielerin: Nach außen hin tut sie so, als ob sie und ihr Mann sich der todkranken Mrs. Maidan angenommen hätten. Als Florence einmal sieht, wie Leonora Maisie ohrfeigt, setzt Leonora alles daran, dass Florence nicht auf den Gedanken kommt, dies sei aus Eifersucht geschehen. Leonora weiß auch: Edward und Florence haben eine Affäre miteinander. Florence bildet sich ein, sie vollbringe damit eine gute Tat und bringe Edward und Leonora wieder zusammen; sie macht auch entsprechende Bemerkungen gegenüber Leonora. Diese begegnet solchem Gerede nur mit eisigem Abscheu.

Die Ehe der Dowells

Der 4. August ist ein Schicksalstag für Florence. Es ist ihr Geburtstag und der Tag, an dem sie 1899 mit ihrem Onkel und einem jungen Mann namens Jimmy zu einer Weltreise aufbrach, auf der sie England kennen und lieben lernte. Es ist auch der Jahrestag ihrer Hochzeit mit John zwei Jahre später. Nachdem der sie auf ihrem Familienanwesen in Connecticut umworben hatte, machte sie ihm klar, dass sie jeden Mann heiraten würde, der ihr ein Leben in Europa finanzieren könne. Da John reich geerbt hatte, heiratete sie ihn – gegen den Willen ihrer Familie, die nicht wollte, dass ihre Tochter in den Sündenpfuhl Europa auswandert. Gleich nach ihrer heimlichen Hochzeit schifften sie sich ein. Während der Überfahrt begann Florences mysteriöses Herzleiden. In Le Havre holte Jimmy sie ab, der für die nächsten zwei Jahre mit den beiden zusammenlebte und der mit Florence jene Scharade entwarf, die sie John fortan vorspielte. Ihr Herzleiden wurde als Grund dafür herangezogen, dass sie viel Zeit allein benötige. Nach zehn Uhr abends durfte John ihr Schlafzimmer nicht mehr betreten, bis zehn Uhr morgens. Vor dem Eintreten musste er laut anklopfen – um das schwache Herz der Armen nicht zu erschrecken. Das war das Schauspiel, das sie mit ihrem Liebhaber Jimmy aufführte, um John zu betrügen. Als sie seiner 1903 müde wird, übernimmt Edward Ashburnham seinen Platz.

„Sie fragen, wie man sich als betrogener Ehemann fühlt. Du lieber Himmel, ich weiß es nicht. Man fühlt überhaupt nichts. Es ist nicht die Hölle, und es ist gewiss nicht unbedingt der Himmel.“ (S. 88)

John wäre es zu diesem Zeitpunkt durchaus recht, wenn Florence mit Jimmy durchbrennen würde. Er liebt sie nicht mehr und die ständige Betreuung ermüdet ihn. Auch gegen ihre Beziehung mit Edward hat er nicht viel einzuwenden. Doch Leonora will den Schein einer perfekten Ehe um jeden Preis aufrechterhalten. Sie würde nie zulassen, dass Edward sich mit Florence nach England oder Amerika absetzt. Edward weiß das. 

Florences Tod

Es ist wieder ein 4. August, an dem Johns Unwissenheit und Glück enden: Am 4. August 1913 spricht er in einer Hotellobby zufällig mit einem Fremden, als Florence kreidebleich in den Saal gelaufen kommt – und, als sie die beiden Männer im Gespräch sieht, völlig überstürzt auf ihr Zimmer läuft. Der Fremde weiht daraufhin John in den Grund für Florences Erschrecken ein: Er kennt sie von früher, bei ihrer letzten Begegnung kam sie gerade aus Jimmys Schlafzimmer. So werden John die Augen geöffnet über seine Frau. Als er zu ihr hochgeht, ist ihr Schlafzimmer das erste Mal in ihrem Eheleben nicht verschlossen. Florence liegt tot auf dem Bett, ein leeres Fläschchen in ihrer schlaffen Hand.

„Denn Ruhe hatte ich mit Florence nie, und ich glaube kaum, dass ich nach ein oder zwei Jahren noch etwas wie Liebe für sie empfand. Sie wurde für mich zu einem seltenen und zerbrechlichen Gegenstand, einer Bürde, aber einer sehr zarten.“ (S. 112)

Während des letzten gemeinsamen Sommers in Bad Nauheim ist Nancy Rufford mit den Ashburnhams angereist. Sie ist die Tochter einer Freundin Leonoras. Nach dem angeblichen Selbstmord ihrer Mutter lebt Nancy seit Jahren in Obhut der Ashburnhams. Sie vergöttert Edward wie einen Vater. Und auch Edward hat sie bald lieb gewonnen – freilich, wie er John mehrmals versichert, ohne erotische Gefühle für sie zu hegen. An jenem unglückseligen 4. August 1913 gehen Edward und Nancy ins Casino. Florence hat sich verspätet und eilt ihnen hinterher. Als sie die zwei einholt, haben sie gerade auf einer Parkbank haltgemacht. Im Dunkel der Nacht kommt Florence näher und hört Edward zu Nancy sagen, dass er sie liebe. Deshalb stürzt Florence kreidebleich in die Hotellobby: Sie hat Edwards Liebe verloren. Und als sie dort sieht, wie ihr Mann mit jemandem im Gespräch ist, der über ihre Affäre mit Jimmy Bescheid weiß, wird sie von Verzweiflung übermannt. Denn seit sie mit John verheiratet ist, will sie nur ein einziges Geheimnis bewahren: ihre Beziehung zu dem Taugenichts Jimmy. Es würde ihr nichts ausmachen, John ihre Liebe zu Edward zu beichten. Sie tut es nur deshalb nicht, weil Leonora sie davon abhält. Aber ihrer Affäre mit Jimmy schämt sie sich.

„Sie haben keine Vorstellung davon, wie gründlich es für mich vorbei war mit Florence. Von jenem Tag an bis heute habe ich ihr keine weiteren Gedanken gewidmet; ich habe ihr nicht einmal einen Seufzer geschenkt.“ (S. 143)

Deshalb läuft sie in ihr Zimmer und trinkt jene Flasche Zyankali, die sie schon seit Jahren für genau diesen Fall mit sich führt. John hat, wie alle anderen, stets gedacht, dass sich in der Flasche Florences Herzmedikament befinde. Als er sie tot auffindet, denkt er zunächst, sie sei an einem Herzanfall gestorben, da sie ihre Medizin im Hotelzimmer vergessen und zu spät gefunden habe. Es ist Leonora, die ihm später die Augen öffnet. Nun, da John Florence verloren hat, empfindet er zunächst gar nichts. Er ist wie betäubt, aber keineswegs traurig. Nach einiger Zeit stellt sich sogar ein Gefühl der Befreiung ein: Nach zwölf Jahren der aufopfernden Krankenpflege kann er nun endlich wieder ins Leben eintauchen, Leidenschaften erleben. Noch in der ersten Schockphase nach Florences Tod schlägt Leonora ihm vor, er könne nun Nancy heiraten. John macht sich diesen Vorschlag bereitwillig zu eigen und geht, zwei Wochen nach dem Tod seiner Frau, zurück nach Philadelphia, um sich wieder seiner Geschäfte anzunehmen – schließlich will er der jungen Nancy ein anständiges Leben bieten. Leonora würde sofort in die Heirat von John und Nancy einwilligen. 

Edwards Liebschaften

Die Ehe zwischen Leonora und Edward hat sich schon sehr früh emotional abgekühlt. Als Edwards Seitensprünge immer mehr zunahmen und Leonora infolge der kostspieligen Affäre mit einer gewissen La Dolciquita in Monte Carlo die Finanzen von Edward übernahm, wandelte sich die Gleichgültigkeit langsam in abgrundtiefen Hass. Als die Ashburnhams das Ehepaar Dowell kennenlernen, sprechen sie privat bereits kein Wort mehr miteinander. Nur in der Öffentlichkeit halten sie die Fassade einer ordentlichen Ehe aufrecht. In Indien hatte Edward eine Affäre mit der Frau eines Offiziers. Als dieser versetzt wurde und die Beziehung endete, wandte er sich der jungen Maisie Maidan zu. Doch nun, mit Nancy, verspürt er erstmals richtige Liebe. Er ist ihr mit Haut und Haaren verfallen.

„Während meines Lebens mit Florence hatte ich fast vergessen, dass es so etwas wie Mode oder Berufe oder Gewinnsucht gab. Ich hatte tatsächlich vergessen, dass es ein Ding wie den Dollar gab und dass ein Dollar höchst begehrenswert sein kann, wenn man keinen besitzt.“ (S. 180)

Für Leonora hat Edwards Beziehung zu Florence die langsam gewachsene und zarte Hoffnung zerstört, dass ihr Mann einst zu ihr zurückkehren werde. Nach der Affäre mit der geschwätzigen Florence will sie ihn aber auch gar nicht mehr zurückhaben. Sie gewährt Edward wieder Zugriff auf ihr gemeinsames Vermögen, doch nun kontrolliert sie seine Ausgaben umso schärfer. In ihrer Verzweiflung versucht sich Leonora selbst an einem Seitensprung, aber ohne Erfolg. Vielleicht ist es ihre katholische Erziehung, die dafür sorgt, dass sie sich keinem anderen als ihrem Gatten hingeben kann.

Das tragische Ende

Während John in Amerika weilt, erreicht ihn zunächst ein Telegramm von Edward, dann eines von Leonora. Beide bitten ihn, möglichst rasch nach Branshaw, dem Anwesen der Ashburnhams, zu kommen. Seit seiner Abreise hat sich viel verändert. Edward ist von Nancy abgerückt, fest entschlossen, keine Liebschaft mit ihr anzufangen. Dies hat wiederum Leonora in eine Krise gestürzt. Über Jahre ist es ihr einziger Lebensinhalt gewesen, Edwards Affären zu steuern, und nun kann sie sich das erste Mal darauf verlassen, dass er ihr treu bleibt. Schließlich schlägt Edward vor, Nancy solle zu ihrem Vater nach Indien gehen und ihn pflegen. Langsam setzt sich bei der kindlichen und streng katholischen Nancy die Einsicht durch, dass sich ihr Onkel und ihre Tante, wie sie die Ashburnhams stets nennt, gar nicht lieben und dass Edward eine andere Frau liebt – sie. Leonora will sich nun doch scheiden lassen und Edward Nancy überlassen. Doch sie ist boshaft genug, um Nancy von Edwards Untreue und Trunksucht zu erzählen. Das wiederum schmälert Nancys Liebe zu Edward beträchtlich. Sie willigt ein, nach Indien zu gehen, und lässt Edward wissen, dass sie ihn nicht mehr liebt. Beide Frauen sind äußerst grausam zu ihm, denn Edward benötigt für sein Weiterleben unbedingt das Wissen, dass Nancy ihn immer noch liebt, auch wenn sie am anderen Ende der Welt ist.

„Und die Gewissheit, dass Edward Leonora nicht liebte und dass Leonora Edward hasste, vertiefte sich in ihr. Vielleicht liebte Edward dann auch eine andere Frau. Es war undenkbar.“ (über Nancy, S. 251)

Gemeinsam mit dem aus Amerika angereisten John bringt Edward Nancy zum Bahnhof und verabschiedet sich ruhig und nüchtern von ihr. Während der nächsten Tage scheint es ihm besser zu gehen. Doch als er von Nancy ein kurzes Telegramm erhält, dass sie in Brindisi angekommen ist und sich gut amüsiert, zieht er sich zurück und schneidet sich die Kehle durch. Nancy liest später von Edwards Selbstmord in der Zeitung. Sie wird wahnsinnig und verfällt in Apathie. John reist sogar nach Indien und bringt sie zurück nach England, doch eine Heilung tritt nicht ein. Nun sitzt er mit ihr in Branshaw Manor – erneut Krankenpfleger für eine Frau, die ihn nicht liebt. Leonora dagegen heiratet einen Nachbarn und lebt endlich das ordentliche Leben, das sie sich stets gewünscht hat: als wohlhabende Gutsherrin und Mutter eines ehelichen Kindes.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Roman Die allertraurigste Geschichte besteht aus vier Teilen, die jeweils in drei bis vier Unterkapitel aufgeteilt sind. Auch wenn das Werk weit entfernt ist von der sprachlichen Radikalität eines James Joyce oder einer Gertrude Stein als Repräsentanten der klassischen Moderne, weist es viele Merkmale auf, die seine Einordnung in diese Epoche rechtfertigen. Am auffälligsten ist Ford Madox Fords gekonnter Einsatz des Stilmittels eines „unzuverlässigen Erzählers“. Als ein solcher erweist sich John Dowell, der die Chronik der unheilvollen Freundschaft der beiden Ehepaare erzählt. Von Zeit zu Zeit wendet er sich direkt an den Leser, als säße man einander bei einem lockeren Kamingespräch gegenüber, dann wieder betont Dowell, dass er die Geschichte über eine lange Zeitstrecke hinweg niedergeschrieben habe. Seine Darstellung der Geschichte besticht durch Unvollständigkeit. Ständig wechselt er zwischen den einzelnen Episoden der fast 25 Jahre umfassenden Erzählung, wobei er wiederholt Details verschweigt und erst später preisgibt oder einen Erzählfaden unvermittelt abbricht, um ihn später wieder aufzunehmen. Der Leser gerät bald in Zweifel, wie vertrauenswürdig dieser Erzähler ist, zumal Dowell selbst ständig seine eigenen Einschätzungen und Ansichten untergräbt. Er beschreibt meist sehr kurze Szenen, die sich um dramatische Höhepunkte sammeln, was dem gesamten Roman eine Dynamik und Spannung verleiht, die für derart umfangreiche Bücher bemerkenswert ist.

Interpretationsansätze

  • Der tragische Kern der Geschichte wird von einer  Schicht ironischer Leichtigkeit umhüllt. Das hat einige Kritiker dazu bewogen, in dem Roman eine misslungene Komödie zu sehen. Tatsächlich aber legte Ford ihn als Kommentar über das Leben in der Moderne an.
  • Kulturelle Unterschiede sind ein starkes Erklärungsmotiv für die Konflikte der Protagonisten. Das sind einerseits die weltanschaulichen Unterschiede zwischen Protestantismus und Katholizismus, andererseits die zwischen Amerika und Europa.
  • In einem Brief an seinen Verleger schrieb Ford, der Roman analysiere eine allen Männern eigene Sehnsucht nach Polygamie. Diese Weltsicht nimmt auch John Dowell gegen Ende des Romans ein, wo er versucht, das rätselhafte Verhalten Edwards und seine eigenen Gefühlsregungen zu rationalisieren.
  • Mit seiner Darstellung des Ehe- und Sittenlebens der anglo-amerikanischen Oberschicht erstellt Ford das psychologische Profil einer Epoche. Bereits in seiner literarischen Biografie The Fifth Queen hatte Ford gemäß eigener Aussage versucht, in einer Einzelgeschichte die Weltsicht und Normen einer ganzen Generation zu bündeln.
  • Ford wird eine Nähe zur Psychoanalyse Freuds attestiert. Es ist unklar, ob Ford Freud gelesen hat, dennoch sind Themen wie die Verdrängung von Sexualität oder inzestuöse Gefühle im Eheleben der beiden Paare sowie in der Beziehung zwischen Nancy und Edward sehr präsent.

Historischer Hintergrund

Die literarische Moderne

Der Beginn der literarischen Moderne wird vielfach im späten 19. Jahrhundert angesetzt. Als Vorläufer gelten der deutsche Naturalismus und das französische L’art pour l’art bzw. Fin de Siècle. Ihren radikalsten Ausdruck fand sie freilich in den zahlreichen, meist internationalen Ismen der 1920er- und 30er-Jahre. Den Auftakt zur klassischen Moderne gab 1909 das Gründungsmanifest des Futurismus von Filippo Tommaso Marinetti. In England formierte sich 1914 eine weitere Frühform der Avantgarde, der Vortizismus, um Ezra Pound, Wyndham Lewis und andere.

Gemeinsam war diesen Bewegungen eine grundlegende Hinterfragung der Bedeutung von Kunst. Dies führte zur bewusst irritierenden, oft skandalösen Überschreitung traditioneller Kunstformen, für die die Avantgardebewegungen legendär wurden. Vor allem hatten sie sich zum Ziel gesetzt, die Trennung zwischen schöngeistiger und abgehobener Kunst und dem konkreten Alltagsleben zu überwinden. Dafür setzte die Moderne auf die literarische Form des Manifests, der Proklamation sowie auf Frühformen der Aktionskunst wie Happening oder Intervention. Diese oft als Grundlagenkrise bezeichnete Situation in den Künsten ging einher mit beängstigenden Veränderungen der Gesellschaft, etwa der rasanten Industrialisierung, dem Schwinden des Vertrauens in traditionelle Formen der Religion sowie dem nahen Ende der geopolitischen Friedensphase der Pax Britannica im Ersten Weltkrieg.

Entstehung

Ford Madox Ford ging immer davon aus, dass er erst im Alter von 40 Jahren einen Roman von bleibender Bedeutung zustande bringen würde. Am 17. Dezember 1913, seinem 40. Geburtstag, setzte er sich an seinen Schreibtisch, um die lang herbeigeredete Probe seines literarischen Talents zu erbringen. Das Resultat nannte Ford zunächst The Saddest Story. Ein Vorabdruck der ersten Kapitel des Romans erschien am 20. Juni 1914 in der ersten Ausgabe des heute legendären Magazins Blast, dem kurzlebigen Aushängeschild der britischen Avantgardebewegung des Vortizismus. Diese Veröffentlichung wies zwar noch den Originaltitel des Romans auf, dafür aber einen ungewohnten Autorennamen: Ford Madox Hueffer.

Der Beginn des Ersten Weltkriegs veränderte schließlich Titel und Autornamen. Angesichts des Krieges mit Deutschland legte der Schriftsteller 1919 den Familiennamen seines deutschstämmigen Vaters, Hueffer, endgültig ab und führte fortan nur mehr den Familiennamen seiner Mutter, Madox, weiter. Außerdem legte ihm sein Verleger nahe, dass angesichts der Brutalität des Stellungskrieges ein Titel wie Die allertraurigste Geschichte Gift für den Verkauf des Romans sein würde. Deshalb änderte Ford den Titel seines Romans für die Buchveröffentlichung zu The Good Soldier (Der brave Soldat) ab – ein Titel, der offenkundig dem Zeitgeist besser entsprach, aber den Leser auf falsche Spuren führte. Dass er den Titel seines Romans derart verändert und verfälscht hatte, sollte Ford den Rest seines Lebens bereuen. Im März 1915 erschien das Buch mit neuem Titel und Namen. Lediglich im doppeldeutigen Untertitel A Tale of Passion, was sowohl Eine Geschichte über Leidenschaft als auch Eine Leidensgeschichte bedeuten kann, blieb Fords Originaltitel in Andeutungen erhalten.

Wirkungsgeschichte

Aus Angst, durch eine erneute Titeländerung das Nachleben seines Meisterwerks zu gefährden, behielt Ford Madox Ford den Titel The Good Soldier bei. Dass es sein Meisterwerk war, wusste Ford von Anfang an. Im Vergleich zu diesem Roman schienen ihm all seine vorigen Werke planlos, stereotyp und übereilt. Diese Selbsteinschätzung verfestigte sich mit zunehmendem Alter. Schrieb Ford 1927 noch, Die allertraurigste Geschichte sei das beste seiner Vorkriegsbücher, hob er diese zeitliche Beschränkung 1931 auf, um kurz vor seinem Tod sogar zu verkünden, dass dieses Buch überhaupt das einzige seiner Werke sei, das zähle. Die Kritik hat diese Ansicht mehrheitlich geteilt, auch wenn die Darstellung von Ehebrüchen unter Fords Zeitgenossen für einige moralische Empörung sorgte. Während Fords Schriftstellerkollegen die Bedeutung des Romans erkannten und auch Vertreter nachfolgender Generationen wie Graham Greene oder Ian McEwan seinen Einfluss anerkannten, blieb der erhoffte finanzielle Erfolg aus. Der sollte sich für Ford erst mit der Veröffentlichung von Das Ende der Paraden einstellen.

Die allertraurigste Geschichte wurde 1981 unter der Regie von Kevin Billington für das Fernsehen adaptiert und 2008 im Rahmen des BBC-4-Programms Book at Bedtime von Ross Kemp in eine Hörspielfassung gebracht. Heute gilt der Roman als wichtiges literarisches Vermächtnis der britischen Moderne und als bedeutender Beitrag zum englischsprachigen Roman. Das Verlagshaus Modern Library führte Die allertraurigste Geschichte 1998 in seiner Liste der 100 besten englischsprachigen Romane des 20. Jahrhunderts auf dem 30. Platz. Die BBC listete das Buch 2015 auf Rang 13 der 100 größten englischen Romane.

Über den Autor

Ford Madox Ford wird als Ford Hermann Hueffer am 17. Dezember 1873 im englischen Merton geboren. Sein Vater stammt aus Deutschland, seine Mutter ist Engländerin. Ford studiert in London und konvertiert 1891 zum Katholizismus. 1894 heiratet er Elsie Martindale. Ihre Ehe wird durch Fords Affären mit Künstlerinnen wie Violet Hunt, Jean Rhys oder Stella Bowen getrübt. Zwischen 1906 und 1908 veröffentlicht er The Fifth Queen, eine Trilogie historischer Romane über Catherine Howard, die fünfte Frau von Heinrich VIII. Seinen Zeitgenossen wird Ford aber hauptsächlich als Literaturkritiker und Verleger bekannt. 1908 gründet er die Zeitschrift English Review und 1924 in Paris die Transatlantic Review. Diese Arbeit bringt ihn in engen Austausch mit literarischen Größen wie Gertrude Stein, Ernest Hemingway oder Henry James. Gemeinsam mit seinem Freund Joseph Conrad schreibt er drei Romane. Sein Roman The Good Soldier (Die allertraurigste Geschichte) von 1915 gilt heute als Meisterwerk der Literatur der englischen Moderne. Von 1915 bis 1917 nimmt er für die Royal Army am Ersten Weltkrieg teil und schreibt zwei Propagandabücher für das War Propaganda Bureau. Seine Kriegserfahrungen verarbeitet er in zahlreichen Gedichten, die heute zu den Höhepunkten der britischen Kriegsdichtung gezählt werden, sowie in dem vierbändigen Romanwerk Parades End (Das Ende der Paraden), das zwischen 1924 und 1928 veröffentlicht wird. 1933 erscheint seine Autobiografie It Was the Nightingale. Die letzten Jahre seines Lebens lebt er in einer Beziehung mit der Malerin Janice Biala in der französischen Provence. Am 26. Juni 1939 stirbt Ford in Deauville, Frankreich.

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