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Metaphysische Abhandlung

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Metaphysische Abhandlung

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Was ist drin?

Ein vollkommenes Universum voller unsterblicher Seelen – Leibnizʼ Weltbild für Optimisten.


Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Frühe Neuzeit

Worum es geht

Antworten auf die großen Fragen

Warum gibt es das Böse in der Welt? Sind wir frei in unserem Tun? Wie hängen Seele und Körper zusammen? Wie sind wir mit anderen und der Umwelt verbunden? Was bleibt, wenn wir sterben? Fragen, die die Menschheit seit Jahrtausenden umtreiben. Leibniz hat sie beantwortet – nicht widerspruchsfrei und nicht erschöpfend, aber auf eine Art, die bis heute nachwirkt. Er fasst das Universum nicht als zufällige, sondern als vernünftige Konstruktion auf. Die Natur ist für ihn nicht eine bloße Abfolge von mechanischen Prozessen, sondern ein aus gutem Grund in Gang gesetztes harmonisches Spiel. Die kleine Abhandlung bietet einen würdigen Einstieg – sowohl in Leibnizʼ Werk als auch in die Grundfragen der Philosophie.

Take-aways

  • Die Metaphysische Abhandlung ist Leibniz’ erste vollständige Darstellung seines philosophischen Ansatzes.
  • Inhalt: Gott hat die Welt vollkommen erschaffen. Jede individuelle Substanz ist eine in sich abgeschlossene Welt. Alles, was ihr je zustoßen wird, enthält sie bereits. Sie entsteht durch Schöpfung und ist nur über Gott mit den anderen Substanzen verbunden. Der Mensch ist frei und festgelegt zugleich. Das Böse erfüllt seinen Zweck in Gottes vollkommenem Plan.
  • Leibniz hat die Abhandlung als Brief an den Philosophen Antoine Arnauld verfasst.
  • Sie war ein Diskussionsangebot zur Wiedervereinigung der christlichen Konfessionen.
  • Der Text erklärt das Verhältnis zwischen freiem Willen und Schicksal.
  • Er ist die Vorstufe zu der berühmteren und umfangreicheren Monadologie, dem philosophischen Hauptwerk von Leibniz.
  • Leibniz versucht einen Brückenschlag zwischen dem Materialismus und Teilen der mittelalterlichen Lehre, der Scholastik.
  • Die in der Metaphysischen Abhandlung entwickelten Gedanken sind zum Teil Grundlagen der Aufklärung.
  • Der Text wurde erst anderthalb Jahrhunderte nach seiner Entstehung als Buch veröffentlicht.
  • Zitat: „Überdies ist jede Substanz gleichsam eine Welt im Ganzen und ein Spiegel Gottes oder vielmehr des Universums (…)“

Zusammenfassung

Von der Vollkommenheit

Es gibt in der Natur verschiedene Vollkommenheiten. Gott besitzt sie alle, und zwar in höchstem Maße. Man erkennt Vollkommenheit generell daran, dass sie ein Maximum hat. Demnach ist zum Beispiel das Wesen der Zahl keine Vollkommenheit, denn die Vorstellung einer höchsten Zahl birgt in sich einen Widerspruch. Das höchste Wissen oder die Allmacht enthält dagegen keine Unmöglichkeit und ist daher vollkommen. Gott als Besitzer der höchsten Weisheit handelt vollkommen. Der Mensch kann durch fortschreitendes Wissen dahin gelangen, die Werke Gottes als vollkommen zu erkennen. Im Willen Gottes kann man auch seine Güte erkennen. Doch die Dinge, die Gott erschaffen hat, sind nicht allein durch seinen Willen gut, sondern durch eine Regel, die dem Willen und Wirken Gottes vorausgeht: Der Wille Gottes richtet sich nach seinem vollkommenen Verstand.

„Weniger vollkommen zu handeln, als man eigentlich gekonnt hätte, heißt unvollkommen handeln.“ (S. 7)

Die Meinung neuerer Denker, Gott hätte die Welt besser machen können, als er sie gemacht hat, ist unangemessen. Denn wenn er wider besseres Wissen etwas nicht Vollkommenes geschaffen hätte, obwohl er es vollkommen hätte erschaffen können, dann handelt er nicht vollkommen und nicht nach Maßgabe der höchsten Vernunft, zu der nur er fähig ist. Der Mensch soll darum mit allem, was ihm der Wille Gottes beschert, zufrieden sein. Dabei soll er aber nicht tatenlos warten, bis sich ihm Gottes Wille erschließt, sondern er soll sich fragen, was der Wille Gottes sein könnte, und nach dem vermuteten Willen handeln. Der Mensch soll sein Tun dahingehend prüfen, ob es der Allgemeinheit, dem Schönen und Vollkommenen dient. In der Macht des Menschen liegt das Streben. In der Macht Gottes liegt es, das Streben zum Erfolg oder zum Misserfolg zu führen.

„Die Willensakte oder Handlungen Gottes pflegt man in ordnungsgemäße und außerhalb ihrer stehende einzuteilen. Man tut aber gut, zu bedenken, dass Gott nichts außerhalb der Ordnung macht.“ (S. 13)

Vollkommenheit im Sinne einer allgemeinen Harmonie zeigt sich in der Kombination aus einfachsten Mitteln und größter Wirkung. Diesem Prinzip folgen auch die Vernunft und die Wissenschaften: Dort gibt es wenige Regeln, mit denen viel erklärt und bewirkt werden kann. Gott hat die allgemeine Ordnung nach diesen Vernunftsprinzipien und damit in der vollkommensten Art geschaffen. Dieser Ordnung entsprechen alle Phänomene, die in der Welt auftreten, auch die, die wir Wunder nennen.

Es gibt einen allgemeinen und einen besonderen Willen Gottes. Der allgemeine Wille äußert sich in Naturgesetzen, die wir erkennen können; der besondere Wille äußert sich dagegen mitunter auch außerhalb dieser Gesetze. Doch auch die Akte des besonderen Willens unterliegen dem höchsten göttlichen Gesetz.

Betrachtet man die Handlungen der Menschen, so kann man sie nach guten und schlechten unterscheiden. Die an sich guten Handlungen entsprechen dem Willen Gottes, die an sich schlechten finden im Rahmen der allgemeinen Gesetze statt – Gott lässt sie zu, wenn sie im größeren Kontext, der nur ihm sichtbar ist, zur Vollkommenheit der Welt beitragen.

Von den individuellen Substanzen

Wenn ein Subjekt alle Merkmale beinhaltet, die es vollständig beschreiben, es selbst aber nicht Teil eines anderen ist, so kann man es eine individuelle Substanz nennen. Doch das reicht als Erklärung nicht aus. Für seine Vollständigkeit benötigt das Subjekt alle Merkmale, die ihm zukommen, auch die, die nicht unmittelbar erkennbar sind. Das bedeutet, eine individuelle Substanz enthält alle, auch die „virtuellen“ – also möglichen – Merkmale. Wer ein Subjekt vollständig versteht, kann alle seine Merkmale aus ihm herleiten. Dies geht so weit, dass alle vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Zustände dieses Subjekts aus ihm selbst hergeleitet werden könnten. Allerdings ist ein so umfassendes Verständnis nur Gott möglich.

„Überdies ist jede Substanz gleichsam eine Welt im Ganzen und ein Spiegel Gottes oder vielmehr des Universums (…)“ (S. 21)

Zwei individuelle Substanzen können nicht identisch sein und man kann eine individuelle Substanz nicht teilen. Aus diesem Grund verändert sich die Anzahl der individuellen Substanzen nicht. Individuelle Substanzen können nur durch Schöpfung entstehen und durch Vernichtung verschwinden. Jede einzelne individuelle Substanz repräsentiert die gesamte Welt aus der ihr eigenen Perspektive. So wird sie zum Spiegel und zur Nachahmung Gottes und drückt auf ihre Weise Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Universums aus. 

„(…) so glaube ich (…), dass das gesamte Wesen des Körpers nicht bloß in der Ausdehnung besteht, d. h. in Größe, Gestalt und Bewegung, sondern dass man notwendigerweise darin etwas anderes anerkennen muss, das eine Beziehung zu den Seelen hat und das man gewöhnlich substanzielle Form nennt.“ (S. 25)

Die alten Philosophen lagen mit ihren Erkenntnissen bezüglich der Substanzen in vielen Aspekten richtig. Ausdehnung, Größe, Gestalt und Bewegung definieren das Wesen eines Dinges nicht ausreichend, denn sie sind flüchtige, veränderliche Größen. Sie brauchen außerdem eine substanzielle Form. Damit diese sich bildet, ist Kontinuität nötig.

Vernünftige Seelen sind erkenntnisfähige Substanzen. Sie sind sich ihrer selbst und ihrer Handlungen bewusst. Damit sind allein sie für Belohnung und Bestrafung empfänglich. Sie sind „Bürger des Universalstaates“, Untertanen Gottes und zugleich Herrscher über alle anderen Geschöpfe.

Von der Freiheit des Menschen

Wenn alle individuellen Substanzen bereits sämtliche zukünftigen Zustände in sich tragen, was bedeutet das dann für die menschliche Freiheit? Dazu muss man unterscheiden zwischen gewissen und notwendigen Ereignissen. Gott hat bei der Erschaffung der individuellen Substanzen all ihre Wesenszüge und damit auch ihre Handlungen festgelegt. Damit sind die Weichen grundsätzlich gestellt: Alles, was ihnen begegnen wird, ist (für Gott) gewiss – doch darum nicht gleichzeitig notwendig. Notwendig wäre es, wenn sein Gegenteil unmöglich wäre. Julius Cäsar etwa musste den Rubicon nicht aus einer logischen Notwendigkeit heraus überschreiten, er tat es aus freiem Willen. Allein Gott sah es voraus, da er das Wesen Cäsars derart angelegt hat, dass dieser so handelte. Die Handlungen des Menschen sind daher frei und bestimmt zugleich. Ereignisse, die Gottes Plan zuwiderlaufen, scheitern nicht daran, dass sie unmöglich sind, sondern daran, dass sie weniger vollkommen sind und sich daher nicht in seinen Plan fügen.

„(…) obwohl Gott (…) gewiss allemal das Beste wählt, so hindert das nicht, dass das weniger Vollkommene an sich möglich ist und bleibt, selbst wenn es sich niemals ereignen wird; denn nicht seine Unmöglichkeit, sondern seine Unvollkommenheit bewirkt seine Verwerfung.“ (S. 31)

Jede individuelle Substanz ist eine Welt in sich und daher ist keine direkt mit einer anderen verbunden. Nur eigene Gedanken und Wahrnehmungen führen das Individuum zu weiteren Gedanken und Wahrnehmungen. Gott hat aber dafür gesorgt, dass jede Substanz eine Perspektive auf die gesamte Welt in sich trägt. Die von Gott gegebenen Regeln, nach denen die einzelnen Substanzen sich orientieren, sind universell. Daher können unterschiedliche Substanzen, die den gleichen Regeln folgen, dieselben Phänomene ausdrücken und so einander „begegnen“. Ohne diese göttliche Ausrichtung der Substanzen an Phänomenen, die einander entsprechen, gäbe es keinerlei Verbindung der Substanzen.

Die individuellen Substanzen können sich im Lauf ihrer Existenz verändern. Sie können an Weite und Macht zunehmen oder einbüßen. Dadurch werden andere Substanzen indirekt beeinflusst und empfinden Lust oder Schmerz.

Physik und Metaphysik

Individuelle Substanzen sind in der Lage, die (untergeordneten) Naturgesetze zu verstehen, nicht aber die (übergeordnete) „Wesenheit“ der Welt. Das, was sich außerhalb der Naturgesetze ereignet, nennen wir „übernatürlich“. Doch auch dies findet innerhalb der universellen göttlichen Regeln statt. Ein Beispiel, um die Grenzen der natürlichen Regeln aufzuzeigen: Descartes geht wie die meisten anderen Mathematiker davon aus, dass die Bewegungsgröße (Geschwindigkeit x Masse) eines Körpers seiner bewegenden Kraft entspricht. Mit einer einfachen Versuchsanordnung und den Erkenntnissen von Galilei lässt sich dies aber widerlegen. Dadurch erkennen wir, dass ein Körper nicht allein durch seine Masse, Form und Bewegung bestimmt wird, sondern auch durch seine Kraft, die von den übrigen Größen verschieden ist. Hier zeigt sich, dass bestimmte Phänomene, die wir der Physik zuordnen, besser als Gegenstand der Metaphysik betrachtet werden sollten.

„Nimmt man diese Ansichten ernst, die alles der Notwendigkeit der Materie oder einem gewissen Zufalle zuschreiben (…), dann ist es schwierig, einen vernunftvollen Urheber der Natur anzuerkennen.“ (S. 51)

Es ist unzureichend, die Welt als rein mechanische Reihe von Ereignissen aufzufassen. Mehr noch: Es ist gefährlich und unvernünftig. Wer alles aus der Materie herleitet, unterschlägt deren Ursache und Zweck. Das ist so, als wolle man die Eroberung einer Stadt mit der Wirkung von Kanonenpulver anstelle der Strategie des Feldherrn erklären. Bestimmte Naturphänomene kann man auf zweierlei Art beweisen: nach ihrer Wirkursache und nach ihrer Zweckursache. Oft ist es einfacher, über die Zweckursache Klarheit zu finden. Das zeigt das Beispiel von Snellius, dem Entdecker der Lichtbrechungsregeln. Snellius ist von einer Hypothese zum Zweck ausgegangen und fand seine Regeln so schneller. Eine Versöhnung der mechanischen und metaphysischen Sichtweisen wäre ein Gewinn.

Über die Arten der Erkenntnis

Wenn wir etwas erkennen, es von anderem unterscheiden und beurteilen, aber nichts über die Eigenschaften des Erkannten sagen können, dann haben wir es mit der verworrenen Erkenntnis zu tun. Beispiel: Wir erkennen ein Kunstwerk für gut, können aber nicht sagen, warum. Wenn wir hingegen die Kriterien unserer Erkenntnis erklären können, sprechen wir von deutlicher Erkenntnis. Beispiel: Ein Goldhändler kann anhand bestimmter Prüfkriterien echtes von falschem Gold unterscheiden. Doch auch die Herkunft der Kriterien kann verworren und unbekannt sein. Daher gibt es verschiedene Abstufungen der deutlichen Erkenntnis. Wenn alle Definitionen eines Dings bis zum Ursprung zurück klar erkennbar sind, dann handelt es sich um eine adäquate Erkenntnis. Die Steigerung davon ist die intuitive Erkenntnis. Von ihr sprechen wir, wenn wir auf einen Schlag alle Merkmale eines Begriffs bis zu ihrem Ursprung deutlich vor uns sehen. Intuitive Erkenntnis gibt es nur sehr selten. In der Regel sind unsere Erkenntnisse verworren und beruhen auf Annahmen.

Aus der Art der Erkenntnis ergibt sich auch die Art unserer Definitionen. Eine Nominaldefinition beschreibt einen Gegenstand, von dem man noch nicht genau weiß, ob seine Existenz überhaupt möglich ist. Wenn eine Definition bereits die Möglichkeit des Gegenstandes zeigt, dann ist sie eine reale Definition. In diese Kategorie fallen Definitionen, die auf Erfahrung und Beobachtung basieren. Wenn etwas nur durch logisches Nachdenken ohne Erfahrung bewiesen werden kann, ist die Definition kausal. Auch hier gibt es eine Steigerung: die vollkommene oder wesentliche Definition. Sie beschreibt ihren Gegenstand bis auf seine Grundlagen, ohne weitere Voraussetzungen.

Was genau ist nun eine Idee? Eine Idee ist kein flüchtiger Gedanke, der nur existiert, während wir ihn denken. Eine Idee ist fest verankert im Geist. Denn vernunftbegabte Substanzen beinhalten die ganze Welt und damit die Ideen in sich. Die Seele hat keine Öffnungen nach außen, sie geht nur mit inneren Zuständen um. Sie trägt bereits alles Wissen in sich. Dieses Wissen lässt sich mit Aufmerksamkeit erschließen.

„(…) denn auf natürliche Weise tritt nichts von außen her in unseren Geist, und es ist eine üble Angewohnheit, zu denken, unsere Seele empfinge irgendwelche Kunde bringende Bilder und hätte Türen und Fenster.“ (S. 67)

Platos Lehre von der „Wiedererinnerung“ war der Wahrheit deutlich näher als Aristotelesʼ Lehre von der Seele als unbeschriebenem Blatt. Um die Idee vom Begriff deutlicher zu unterscheiden, können wir sagen, dass die Idee in unserer Seele immer da ist – bewusst oder unbewusst. Der Begriff ist das, was wir selbst durch Nachdenken formen. Der Begriff ist daher kein Ergebnis der sinnlichen, äußeren Wahrnehmung, sondern der inneren Erfahrung. Es gibt nur eine Instanz außerhalb unserer Seele, die direkten Einfluss auf uns nehmen kann: Gott. Manche Philosophen behaupten, die Ideen seien nur in Gott, nicht aber in den Menschen verankert. Wir können aber nicht durch die Ideen eines Wesens außerhalb von uns denken. Diese Auffassung unterschlägt, dass die Seelen fähig sind, in einer inneren Erkenntnis Begriffe aus Ideen zu formen.

Die Seelen

Als Spiegel Gottes beinhaltet die Seele des Menschen den Willen, das ihr gut Scheinende anzustreben. Das Streben allein enthält bereits Gutes. Wie aber kann es sein, dass Sünder und Verräter wie Judas schlecht handeln? Sie tun es, weil sie von Gott so angelegt sind, dass sie in einem Akt des freien Willens – jedoch entsprechend der Vorhersehung Gottes – ihre Sünde begehen. Und warum gibt es diese Sünder überhaupt? Weil sie in einem größeren Zusammenhang ihren Beitrag zur vollkommenen Welt leisten. Es hängt einzig von Gott ab, wer welche Gnade erhält. Die Gründe dafür zu hinterfragen, sprengt das menschliche Fassungsvermögen.

„Es bleibt also nur die Frage, warum ein solcher Judas, der Verräter, der in der Idee Gottes nichts als möglich ist, wirklich existiert. Auf diese Frage aber darf man hienieden keine Antwort erwarten (…)“ (S. 75)

Die bisherigen Überlegungen sind geeignet, die Religion zu festigen und „die Seelen in göttlicher Liebe“ zu entflammen. So wie Gott die Substanzen hervorbringt, so bringen wir als Substanzen die Gedanken hervor. Die Verknüpfung der Substanzen ist allein das Werk Gottes. Da es keinen direkten Kontakt der Substanzen untereinander gibt, sind sie vor der Vernichtung durch äußere Umstände sicher. Das gilt auch für die Seele, wenn der dazugehörige Körper zerfällt. So erklärt sich ihre Unsterblichkeit. Denn nur Gott ist in der Lage, individuelle Substanzen zu vernichten. Was aber ist das Verhältnis von Körper und Seele? Als vollständige, sich selbst beinhaltende Welt ist die Seele ein Ausdruck des gesamten Universums. Der Körper mit seinen Sinnen repräsentiert eine spezielle Perspektive und eine zeitlich begrenzte Projektionsfläche der einzelnen Seele.

Es gibt individuelle Substanzen, die das Universum weniger vollkommen ausdrücken als der menschliche Geist, etwa die Seelen der Tiere, da diese über keine Selbstreflexion verfügen. Eine Substanz mit Ich-Bewusstsein ist metaphysisch gesehen unvergänglich, zudem aber auch moralisch beständig. Denn durch ihr Ich-Bewusstsein und ihre Erinnerungsfähigkeit ist die menschliche Seele für Strafe und Belohnung empfänglich. Die Kontinuität des Ich ist Bestandteil der Unsterblichkeit der Seele. Wenn die Seele nicht erinnern könnte, müsste man sie als vernichtet betrachten.

Die Person kann man als den moralischen Anteil einer Substanz bezeichnen. Auch dieser Teil der Seele wird von Gott erhalten. Gott ist damit nicht nur der Urheber der Substanzen, sondern auch das Oberhaupt eines vollkommenen Staates der Personen. Durch seine Reflexionsfähigkeit ist der Mensch Gott näher als alle anderen Substanzen. Gott verleiht ihm im Rahmen der universalen Harmonie so viel Vollkommenheit wie möglich. Es gibt eine Verwandtschaft zwischen dem Geist Gottes und dem der Menschen. Der menschliche Geist repräsentiert eher Gott als die Welt; andere individuelle Substanzen repräsentieren eher die Welt als Gott. Der Mensch nutzt die anderen Substanzen, um Gott zu dienen.

„Ein einziger Geist gleicht einer ganzen Welt, da er sie nicht nur ausdrückt, sondern sie auch erkennt, und er verhält sich in ihr nach der Weise Gottes.“ (S. 93)

Der Vollkommenheit der Substanzen entspricht auf moralischer Ebene die Glückseligkeit der Personen. Der Sinn des Gottesstaates ist die größtmögliche Glückseligkeit der Personen. Um diese zu erreichen, verlangt Gott nichts als das Streben der Menschen nach dem, was sie als Gottes Willen erkennen und vermuten. Jesus Christus hat die Wahrheiten des Gottesstaates allgemein verständlich formuliert und uns die Angst vor den Leiden des Körpers genommen, indem er uns die Unversehrtheit der Seelen und den Sieg des Guten und Gerechten gezeigt hat.

Zum Text

Aufbau und Stil

Die Metaphysische Abhandlung ist in 37 nummerierte Abschnitte unterteilt, die jeweils mit einer These überschrieben sind. Die Sprache ist komplex, die Sätze sind in vielen Fällen sehr lang. Im Text befinden sich zahlreiche Zitate und Aussprüche in lateinischer und griechischer Sprache. Leibniz nimmt Bezug auf andere Autoren wie Descartes, Platon, Aristoteles, einige ungenannte zeitgenössische Philosophen sowie auf mittelalterliche Kirchenväter und die Bibel. Ein häufiges Stilmittel sind Fragen, die anderen zugeschrieben und schließlich beantwortet werden. Der Text ist streckenweise als Rechtfertigung formuliert und wirbt um Verständnis für die eigene Position. Da die Abhandlung als Gesprächsbeitrag bzw. Brief verfasst ist, verzichtet Leibniz auf eine geordnete Einführung oder eine Zusammenfassung zum Stand der Dinge. Das macht den Text relativ voraussetzungsreich. Leibniz nähert sich seinen Gegenständen immer wieder von verschiedenen Seiten. Dadurch wird man beim Lesen gezwungen, den roten Faden eines vorhergehenden Kapitels wieder aufzunehmen. 

Interpretationsansätze

  • Leibniz richtet sich gegen den reinen Materialismus. Durch die Einführung der „individuellen Substanzen“ in Anlehnung an mittelalterliche Philosophen wehrt sich Leibniz gegen die zu seiner Zeit weit verbreitete philosophische Auffassung, Materie sei die Substanz der Welt. Bei Leibniz ist Materie als teilbare, vergängliche Größe nur das Beiwerk der Schöpfung. Das Entscheidende, die eigentliche Substanz, sind die substanziellen Formen, im Falle des Menschen die Seele, denn die sind unteilbar und unsterblich.
  • Die Abhandlung ist ein Dokument des Rationalismus: Leibniz geht davon aus, dass der Mensch grundsätzlich mithilfe der Vernunft – und nicht durch empirische Beobachtung – die Welt und die ihr zugrunde liegenden Ideen erfassen und erklären kann. Diesen philosophischen Ansatz bezeichnet man als Rationalismus. Ihm entgegengesetzt ist der Empirismus, der einzig die messbare Welt als Erkenntnisgegenstand gelten lässt.
  • Der Gegensatz von Schicksal und Freiheit wird aufgelöst. Der alte Widerspruch von menschlicher Freiheit und im Voraus bestimmtem Schicksal wird von Leibniz nicht für eine Seite entschieden, sondern in ein System integriert und aufgelöst. Gott sieht zwar alles voraus, doch der Mensch handelt dennoch nach seinem freien Willen – innerhalb der ihm von Gott gesteckten Grenzen. Da wir den Plan Gottes nicht kennen, handeln wir sowohl nach unserem Willen als auch nach Gottes Willen, da wir als abgeschlossene Welten Gottes Plan in uns tragen.
  • Der Text ist auch der Versuch einer Theodizee, einer Rechtfertigung Gottes. Wie kann ein allmächtiger und gütiger Gott die Existenz und das Wirken des Bösen in der Welt zulassen? Diese Frage ging als Theodizee – ein von Leibniz geprägter Begriff – in die philosophische Begriffsgeschichte ein. Leibniz beantwortet die Frage mit dem Hinweis auf die bestmögliche, vollkommen erschaffene Welt. Gott hat demnach die Welt und ihren gesamten Lauf vollkommen entworfen. Das Böse darin erfüllt langfristig seinen Zweck. Doch den zu erkennen, überfordert den Menschen. Er kann sich mithilfe der Vernunft der Erkenntnis annähern, doch er kann Gottes allwissenden Standpunkt nicht einnehmen.

Historischer Hintergrund

Der Dreißigjährige Krieg und die beginnende Aufklärung

1648 endete der Dreißigjährige Krieg mit dem Westfälischen Frieden. Europa lag weitgehend in Trümmern. Kämpfe und Plünderungen, dazu Krankheiten und Hunger in den Folgejahren sorgten dafür, dass in einigen besonders hart getroffenen Gegenden Deutschlands nur noch etwa ein Drittel der Vorkriegsbevölkerung lebte. Insgesamt schätzt man den damaligen Bevölkerungsverlust in Deutschland auf 40 Prozent. Trotz des offiziellen Friedens war der Graben zwischen katholischen und evangelischen Christen noch immer sehr tief. Der Westfälische Friede erlaubte es jedem Landesherrn, die Konfession im eigenen Staat wieder selbst zu bestimmen und darüber hinaus mehr Unabhängigkeit von Reich und Kaiser zu haben. Es entstanden eigene Verwaltungen, eigene Heere – die Kleinstaaterei in Deutschland erreichte in den ersten Jahrzehnten nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges ihren Höhepunkt.

In Verbindung mit der frühen Aufklärung löste sich die alte Bindung von weltlicher Herrschaft und Religion immer mehr auf. Moderne Fürsten beriefen sich nicht mehr ausschließlich auf ihre gottgewollte Autorität, sondern auf weltliche Vernunft und Notwendigkeiten, die in den Lehren von Frühaufklärern wie Thomas Hobbes oder John Locke ihren Ausdruck fanden. Das zunehmende Verständnis für die Mechanismen der Natur, die Entdeckung von physikalischen Gesetzen und die Erfindung von effektiven Maschinen bewirkten Ende des 17., Anfang des 18. Jahrhunderts den Glauben an die unbegrenzte Macht des menschlichen Verstandes. Der Glaube an Gott und die Verankerung in den Konfessionen drohte mehr und mehr verloren zu gehen. Der Empirismus, eine Lehre, die vor allem die sinnliche Erfahrung und die messbaren Phänomene zu den entscheidenden Kriterien der Welterkenntnis machte, setzte sich zunehmend durch. Gott wurde als Erklärung nicht mehr benötigt. Dem Empirismus stellten sich Vertreter des Idealismus – zu denen Christian Wolff und auch Gottfried Wilhelm Leibniz gehörten – entgegen. Sie vertraten die Auffassung, dass nicht die messbare Welt, sondern die ihnen zugrunde liegenden Ideen zählen, dass also nicht die Physik die Welt erklärt, sondern das, was außerhalb und über der Physik steht: die Metaphysik.

Entstehung

Die Metaphysische Abhandlung entstand innerhalb weniger Wochen zwischen Weihnachten 1685 und Anfang Februar 1686. Leibniz war zu dieser Zeit Hofrat im Dienste des Hannoverschen Fürstenhauses und in Europa unterwegs, um für eine Chronik zu dessen Geschichte zu recherchieren. Er schrieb die Abhandlung als Angebot des Gedankenaustauschs für den Philosophen Antoine Arnauld unter Vermittlung des Landgrafen Ernst von Hessen-Rheinfels in französischer Sprache. Der Zweck des Kontakts der beiden Philosophen sollte nach Wunsch des Grafen die Grundlage für eine Annäherung und Verständigung katholischer und protestantischer Glaubensangehöriger sein. Mithilfe gemeinsamer philosophisch-theologischer Grundlagen hoffte der Graf auf eine Wiedervereinigung beider Kirchen. Dies war auch Leibnizʼ Motivation.

Ein weiterer Grund für die Niederschrift der Abhandlung war die kritische Auseinandersetzung mit dem vorherrschenden Materialismus und der Wunsch, mittelalterliche Philosophen und Teile ihrer Lehre, der Scholastik, wieder nutzbar zu machen. Mehrfach wird im Text betont, dass sich der Materialismus dem Verdacht der Gottlosigkeit, des Atheismus, aussetzt. Leibniz geht in seiner Abhandlung auf verschiedene antike, mittelalterliche und moderne Philosophen wie Platon, Thomas von Aquin oder René Descartes ein, deren Ideen er zum Teil übernimmt, zum Teil weiterentwickelt.

Wirkungsgeschichte

Die Metaphysische Abhandlung wurde – wie die meisten seiner Schriften – zu Leibnizʼ Lebzeiten nicht veröffentlicht. Der Autor sah offenbar selbst nicht die Notwendigkeit einer Publikation, die über den Briefkontakt zu Antoine Arnauld hinausgehen würde. Für Leibnizʼ eigene weitere philosophische Entwicklung ist die Abhandlung allerdings eine wichtige Etappe. Die Ideen seiner späteren Werke, insbesondere der Monadologie, nehmen hier erstmals konkrete Form an. Auf die Metaphysische Abhandlung folgte ein sehr fruchtbarer Briefwechsel mit Arnauld. Darin entwickelte Leibniz seine Thesen weiter. Als Buch wurde der Text aber erst 1846 in einer Werkausgabe veröffentlicht.

Leibnizʼ Idee der von Gott vollkommen erschaffenen Welt, die er in der Abhandlung entwarf und in der Monadologie ausformulierte, zog auch Kritik, ja sogar Spott auf sich. Voltaire machte sich über das Konzept der „besten aller Welten“ in seinem Roman Candide lustig. Für die Aufklärung insgesamt waren Leibnizʼ Impulse aber sehr ergiebig. Führende Denker der Aufklärung wie David Hume oder Immanuel Kant beriefen sich auf Leibniz. Auch neuere Philosophen von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Martin Heidegger oder Edmund Husserl haben sich intensiv mit Leibnizʼ Metaphysik auseinandergesetzt. Bis heute beeinflusst das Werk des „letzten Universalgelehrten“ die philosophische Debatte. 

Über den Autor

Gottfried Wilhelm Leibniz wird am 21. Juni 1646 als Sohn des Professors Friedrich Leibnütz und seiner Frau Catharina in Leipzig geboren. Der Familienname ist wohl slawischen Ursprungs und wird von Leibniz 1671 zur heute geläufigen Form geändert. Leibniz besucht ab 1655 die Nicolaischule und erhält als Professorensohn einen Freibrief für die Universität. Er beginnt früh mit dem Selbststudium in der väterlichen Bibliothek. 1661 immatrikuliert er sich für das Fach Philosophie, interessiert sich aber auch für Mathematik und alte Sprachen. 1663 beginnt er ein Jurastudium. Aufgrund seines jugendlichen Alters bleibt ihm die Promotion in Leipzig versagt. Er erhält in Nürnberg seinen Doktortitel und schlägt das Angebot für eine Professur aus. In den folgenden Jahren lebt er von ererbtem Vermögen und knüpft Kontakte zu Geistesgrößen seiner Zeit. Ab 1667 steht er in Diensten des Kurfürsten von Mainz. 1673 wird er für sein Modell einer Rechenmaschine in die britische Royal Society aufgenommen. Nach einigen Jahren in Paris tritt er 1676 als Bibliothekar und Hofrat in die Dienste des Herzogs Johann Friedrich von Hannover, für den er bis zu seinem Lebensende tätig bleibt. Ab 1685 schreibt er im Auftrag des Welfenhauses eine Geschichte des Königshauses. 1700 wird er Präsident der neu gegründeten Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin. In den folgenden Jahren gründet er drei weitere Akademien. 1711 soll er den Freiherrentitel verliehen bekommen haben. Eine Urkunde ist nicht vorhanden. Leibniz setzt seinen Neffen als Universalerben ein. Er stirbt am 14. November 1716 vereinsamt in Hannover.

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