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Nachts unter der steinernen Brücke

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Nachts unter der steinernen Brücke

dtv,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
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Was ist drin?

Nachts unter der steinernen Brücke wird eine verbotene Liebe träumende Realität.


Literatur­klassiker

  • Roman
  • Moderne

Worum es geht

Der Roman des jüdischen Prag

Was verbindet einen notorisch klammen Kaiser und einen sagenhaft reichen Juden? Mehr als ihnen lieb und mehr als ihnen bewusst ist, mehr jedenfalls als nur Geldangelegenheiten. Leo Perutzʼ Roman Nachts unter der steinernen Brücke ist ein mystisch-magisches Meisterwerk voll ironischer Volten und mit einer tragischen Liebe im Zentrum. Er ist überaus raffiniert aufgebaut: Der Leser muss regelrecht mithelfen, das Puzzle der Geld- und Liebesverstrickungen zusammenzusetzen. Alles wird von einer Grundmelancholie durchzogen, denn die Hauptfiguren haben ihre glücklichen Zeiten schon lange hinter sich. Auch die Zeit, in der die Handlung spielt – um 1600 –, ist lange vorbei, und doch wird die Zeit, wird der Ort Prag, werden die Figuren so plastisch, als wäre man mitten unter ihnen. Es geht um Menschliches, Allzumenschliches, um Glück und Pech, oft auch um eine warme Mahlzeit. Perutz hielt mit diesem Roman, den er 1924 begann und 1951 beendete, eine untergegangene Epoche fest: die reiche Kultur des jüdischen Lebens im alten Prag.

Take-aways

  • Nachts unter der steinernen Brücke ist der bekannteste Roman des österreichischen Schriftstellers Leo Perutz.
  • Inhalt: Kaiser Rudolf II. verliebt sich in die Jüdin Esther, die aber verheiratet ist. Durch einen Zauber des Rabbi Loew begegnen sich die beiden nachts im Traum, bis ein Kindersterben über die Prager Judenstadt kommt. Der Rabbi beendet den Zauber und Esther stirbt. Später rächt sich ihr Ehemann, inzwischen Financier des Kaisers, indem er all seinen Reichtum verschenkt und dem Kaiser nichts hinterlässt.
  • Der historische Roman spielt um 1600. Eine zweiteilige Rahmenhandlung ist um 1900 bzw. um 1950 angesiedelt.
  • Zentrales Thema ist die Erinnerung an die verschwundene jüdische Kultur Prags.
  • Der Roman speist sich aus historischen Fakten, Volkslegenden und jüdischer Mystik.
  • Der Text besteht aus 14 nicht chronologisch angeordneten Einzelgeschichten, die erst nach und nach eine zusammenhängende Romanhandlung ergeben.
  • Die übernatürlichen Elemente stellen den Roman in die Nähe des magischen Realismus, der unter anderem durch Jorge Luis Borges und Gabriel García-Márquez vertreten wird.
  • Perutz war einer der erfolgreichsten Autoren der Zwischenkriegszeit. Im Dritten Reich geriet er in Vergessenheit und wurde erst in den 1980er-Jahren wiederentdeckt.
  • Die Entstehung des Romans erstreckte sich über 27 Jahre, von 1924 bis 1951.
  • Zitat: „Wenn der Abendwind über den Wellen des Flusses dahinglitt, schmiegte sich die Blüte des Rosmarins enger an die rote Rose, und der träumende Kaiser fühlte an seinen Lippen den Kuss der Traumgeliebten.“

Zusammenfassung

Die Pest in der Judenstadt

Im Jahr 1589 sterben in der Prager Judenstadt scharenweise Kinder an der Pest. Koppel-Bär und Jäckele-Narr, die ihr Geld damit verdienen, bei Feiern die Leute zu belustigen, verdienen in diesen Zeiten nichts und suchen daher auf dem Friedhof nach Münzen. Da hört Jäckele-Narr unheimliche Geräusche und sieht ein merkwürdiges Flimmern. Kinder schweben in langen weißen Hemden über den Gräbern, unter ihnen Blümchen, die am Vortag verstorbene Tochter des Flickschusters. Die beiden Spaßmacher erschrecken fürchterlich und laufen zu Rabbi Loew, um ihm vom Erlebten zu erzählen. Der Rabbi schließt aus ihrem Bericht, dass in der Judenstadt ein Sünder leben muss. Er trägt den beiden auf, sie sollen mit Speisen zurück zum Friedhof gehen und damit die toten Kinder anlocken. Sie sollen eines von ihnen am Saum des Kleides fassen und fragen, welche Sünde das große Sterben verursacht.

„Der hohe Rabbi (…) verstand das Zeichen Gottes. Er wusste nun, dass in den Gassen der Judenstadt ein Sünder lebte, der in seiner Verborgenheit immer wieder von neuem frevelte, Tag um Tag. Und um dieses Sünders willen war das große Sterben über die Stadt gekommen (…)“ (S. 13 f.)

So geschieht es. Blümchen erscheint und gibt ihnen die Auskunft, dass das Sterben „um der Sünde Moabs willen“ geschehe, dass also eine Ehebrecherin in der Gemeinde lebe. Der Rabbi verkündet diese Enthüllung in der Gemeindeversammlung. Er fordert die Sünderin auf, sich zu erkennen zu geben, aber keine der Frauen tritt vor. Auf Anweisung des Rabbis spielt nun Jäckele-Narr auf dem Friedhof auf seiner Geige ein Lied, um damit den Geist Blümchens zum Rabbi zu locken. Der fragt das Mädchen direkt nach dem Namen der Sünderin, doch es kennt ihn nicht. Außer Gott wisse das nur einer, nämlich der Rabbi selbst. Dieser stöhnt auf und entlässt das Kind. Noch in der gleichen Nacht geht er zum Fluss. Unter der steinernen Brücke steht ein Rosenstrauch und daneben, eng mit ihm verschlungen, ein Rosmarin. Der Rabbi gräbt den Rosmarin aus und wirft ihn in den Fluss. In dieser Nacht hört die Pest auf zu wüten. In dieser Nacht stirbt auch die schöne Esther, die Frau des Juden Mordechai Meisl, in ihrem Haus in der Judenstadt. Und in der Prager Burg wacht der Kaiser des Römischen Reichs und König von Böhmen, Rudolf II., mit einem Schrei auf.

Des Kaisers Tisch

Im Frühsommer 1598 sind zwei junge böhmische Männer unterwegs in der Prager Altstadt: der Jurastudent Peter Zaruba von Zdar und Georg Kapliř von Sulavice, Gutsbesitzer und kaiserlicher Lebensmittellieferant. Kapliřs Gedanken kreisen ganz um seine Geschäfte, während Zaruba sich mit revolutionären Gedanken trägt: Er träumt von mehr Rechten für die Stände und von einem böhmischen Kaiser mit reformiertem Glauben. Wo immer die beiden auf ihrem Gang Juden begegnen, spricht Kapliř verächtlich über sie, was Zaruba zunehmend auf die Nerven geht. Außerdem jammert Kapliř über die schlechte Zahlungsmoral des Hofes. Er schlägt Zaruba vor, ihn bei seinem Geschäftsgang auf die kaiserliche Burg zu begleiten, immerhin könne er dann an des Kaisers Tisch speisen. Zaruba wundert sich, dass Kapliř anscheinend nicht weiß, dass niemals ein Zaruba von Zdar von des Kaisers Tisch essen kann. Denn der berühmte Heerführer Johannes Zischka prophezeite einst auf dem Sterbebett, dass einmal ein Zaruba von Zdar die böhmische Freiheit wieder aufrichten werde. Es sei aber sehr wichtig, dass er niemals von des Kaisers Tisch esse, sonst werde Unglück über das Böhmerland kommen.

„Wer jene Sünde begangen hat (…), das weiß ich nicht (…). Das weiß nächst Gott nur einer und der bist du.“ (Blümchen zum Rabbi Loew, S. 20)

Kapliř geht also allein auf die Burg. Zaruba kommt derweil an einem Lokal vorbei, vor dem der Wirt ein herrliches Essen mit vier Haupt- und acht Nebengerichten anpreist, das nur drei Groschen kosten soll. Das ist verdächtig günstig, aber Zaruba verlangt es so sehr nach einer guten Mahlzeit, dass er nicht nachfragt. Als er mit dem Essen fertig ist, sieht er den missmutigen Kapliř vorbeikommen und winkt ihn zu sich herein. Kapliř hat die Anweisung erhalten, sich sein Geld beim Meisl-Juden auszahlen zu lassen – eine Zumutung. Sie reden über ihr jeweiliges Mittagessen, und es stellt sich heraus, dass sie das Gleiche gegessen haben. Der herbeigerufene Wirt erklärt, dass er wochentags verkauft, was in der kaiserlichen Küche übrig bleibt. Zaruba ist entsetzt: Das bedeutet, dass er von des Kaisers Tisch gegessen hat. Später verlieren die böhmischen Aufständischen die Schlacht auf dem Weißen Berg, und Peter Zaruba wird zusammen mit 24 anderen Revolutionären hingerichtet.

Der Heinrich aus der Hölle

Kaiser Rudolf II. kann nicht schlafen, es geht ihm schlecht. Vom Fenster seines Zimmers in der Prager Burg kann er die Dächer des Judenviertels sehen. Von dort ist einst seine Geliebte, die schöne Jüdin Esther, Nacht für Nacht zu ihm gekommen, bis sie ihm vor einigen Jahren entrissen wurde. Außerdem liegt dort sein geheimer Schatz, der Besitz des Juden Meisl. Rudolf ruft seine Bediensteten. Die sind derlei Zustände des Kaisers gewöhnt, sie meinen, er werde vom Teufel heimgesucht oder von seinem Bruder Matthias, der ihm nach der Krone und nach dem Leben trachtet. Sie flößen ihm Wein ein, weil sie wissen, dass er sich nach der zweiten Kanne meistens beruhigt. So auch diese Nacht. Am nächsten Tag empfängt der Kaiser den Gesandten des marokkanischen Kaisers. Als er diesen sieht, sagt er, es sei „der Heinrich“ – damit meint er Heinrich Twaroch, der vor langer Zeit Futterknecht am Hof war und dem Kaiser drei Goldmünzen gestohlen hat. Er entging damals dem Tod, indem er die Gitterstäbe seiner Gefängniszelle durchfeilte. Zum Entsetzen seiner Entourage geht der Kaiser auf den Gesandten zu, spricht ihn als „Heinrich aus der Hölle“ an und gebietet ihm, in die zurückzukehren. Am Abend verlässt der marokkanische Gesandte seine Unterkunft und begibt sich in ein nahe gelegenes Dorf – es ist tatsächlich Heinrich Twaroch, der seinen Vater besucht. Nach gelungener Flucht hat er Karriere am marokkanischen Hof gemacht.

Der entwendete Taler

Als junger Prinz reitet Rudolf eines Tages allein von Prag in Richtung seines Schlosses Bernatek. Auf einer Waldlichtung sieht er zwei riesige Männer mit roten Haaren, die vor drei Münzhaufen stehen. Zuerst hält er sie für Räuber, als er sie aber nach dem Weg fragt und sie ihm antworten, erkennt er an ihren Stimmen, dass es Dämonen sind. Das ganze Geld, sagen sie, sei für Mordechäus Meisl, Rudolfs künftigen Kammerknecht, bestimmt. Der Prinz hat zwar Angst, aber die Prophezeiung macht ihn trotzig. Er will auch etwas von dem Geld haben und nimmt sich einen silbernen Taler. Zornig sagt einer der Dämonen, dass Rudolf nicht Ruhe haben werde, bis der Taler zu seinem eigentlichen Besitzer gelangt sei. Dann lösen sich die Dämonen samt Geldhaufen in Luft auf.

„Soll denn alles einem Juden gehören? (…) Das gilt nicht. Ich will auch meinen Teil.“ (Kaiser Rudolf, S. 82)

Am nächsten Tag ereignen sich einige Unfälle und Missgeschicke, und Rudolf wird klar, dass er den Taler nicht behalten kann. Er fragt Juden nach Mordechäus Meisl, doch niemand kennt ihn. So beschließt Rudolf, die Prophezeiung auf die Probe zu stellen: Er lässt den Taler von der steinernen Brücke fallen. In diesem Moment aber fährt ein Fischerboot vorbei. Rudolf verfolgt den Weg des Talers: Zuerst ist er im Mantel des Fischers, dann wandert er zu einem Mann, der dem Fischer seine Montur abkauft, um inkognito zu seiner Geliebten zu gelangen. Die Geliebte wirft den Mantel am nächsten Morgen aus dem Fenster, wo er in einem Baum hängen bleibt, von wo ihn wiederum ein Fuhrmann mit dem Stiel seiner Peitsche herunterholt. Der Fuhrmann verkauft den Mantel an einen Altkleiderhändler im Judenviertel. Rudolf setzt sich in dessen Laden und wartet, was passiert. Da kommt ein Junge herein, der die Taschen der Altkleider ausräumen darf und dem Händler dafür zwei Dickpfennige bezahlt. Der Junge findet den Taler und bricht in Jubel aus. Vom Altkleiderhändler erfährt Rudolf den Namen des Jungen: Mordechai Meisl.

Nachts unter der steinernen Brücke

Nachts unter der steinernen Brücke schmiegt sich der Rosmarin noch enger an die rote Rose, und der träumende Kaiser fühlt den Kuss seiner Traumgeliebten. Sie liegen beieinander und flüstern. Sie weiß nicht, auf welche Weise sie Nacht für Nacht zu ihm kommt und warum. Zum ersten Mal haben die beiden sich gesehen, als der Kaiser durch das Judenviertel ritt. Sie sahen sich an und konnten einander nicht vergessen. Sie sind glücklich, sie lieben sich, sie schmiegen sich aneinander, aber die Frau ist auch traurig und weint. Sie hat gegen Gottes Gebot verstoßen, sagt sie. Sie will nicht fort von Rudolf – und muss es doch, ohne zu wissen, wohin. Am nächsten Morgen erwacht die schöne Esther, die Ehefrau des Mordechai Meisl, in ihrem Haus am Dreibrunnenplatz. Sie träumt Nacht für Nacht den gleichen Traum, einen schönen Traum – aber zum Glück, flüstert sie, nur ein Traum.

Der Maler Brabanzio

Kaiser Rudolf II. lebt, seit ihm seine Traumgeliebte entrissen wurde, nur noch für die Kunst. Er fügt seiner Kunstkammer immer neue Werke hinzu, ohne sich darum zu kümmern, ob die Finanzlage das hergibt. Das Werk eines unbekannten Malers, das ihn bezaubert hat, kommt ihm in die Hände. Der Künstler nennt sich Signor Brabanzio; er ist ein Freigeist, der oft als Landstreicher unterwegs ist. Momentan weilt er wieder mal in Prag, in der Werkstatt seines Bruders. Dort sucht Kaiser Rudolf ihn auf, als öffentlicher Schreiber verkleidet. Er rät dem Maler, seine Kunst dem Kaiser zu zeigen, sich um den Posten eines Hofdieners zu bemühen. Doch das ist für den Maler schon allein deshalb nicht attraktiv, weil er weiß, dass der Kaiser seinen Dienern meist den Lohn schuldig bleibt, und auch ansonsten hat er keine Lust, einem Herrn zu dienen. Da betritt Mordechai Meisl die Werkstatt. Er ist schon mehrmals dagewesen, um den Maler zu bitten, nach seiner Beschreibung ein Bildnis seiner verstorbenen Frau Esther anzufertigen. Jedes Mal hat ihm Brabanzio gesagt, dass so etwas nicht möglich sei. Meisl und der Kaiser erkennen einander nicht. Meisl klagt sein Leid, seine anhaltende Trauer um Esther. Dem verkleideten Kaiser kommt es vor, als habe er selbst diese Worte gesprochen. Gedankenverloren und von den anderen nicht beachtet fängt er an, seine Geliebte Esther aus dem Gedächtnis zu zeichnen. Er ist nicht zufrieden mit dem Porträt, lässt es liegen und verlässt die Werkstatt, ohne dass die anderen es bemerken. Da wirbelt ein Windstoß die Papiere am Boden durcheinander. Meisl erblickt das Bildnis seiner Esther, findet sie genau getroffen und zahlt dem verdutzten Maler 8 Gulden.

Das verzehrte Lichtlein

Mordechai Meisl, der sich immer wieder die Nacht vor Augen ruft, in der Esther starb, erinnert sich daran, dass sie in ihrer Todesnot rief: „Rudolfe, hilf!“, und er fragt sich, ob sie den Kaiser meinte. Des Kaisers Kammerdiener Philipp Lang geht spät am Abend zu Meisl. Dieser unterhält eine geheime Geschäftsbeziehung zum Kaiser: Meisl genießt so viele Privilegien wie sonst niemand im Reich, erst recht kein anderer Jude. Unter anderem darf er im ganzen Reich Handel treiben und gegen Zinsen Geld verleihen. Im Gegenzug zahlt er dem Kaiser regelmäßig einen Anteil von seinem Gewinn aus. Die Vereinbarung sieht auch vor, dass bei Meisls Tod die Hälfte seines Vermögens an den Kaiser fällt. Philipp Lang spekuliert darauf, dass Meisl nicht mehr lange leben wird. Nach den geschäftlichen Dingen kommen die beiden auf den Kaiser zu sprechen und auf die Frage, warum er nie geheiratet habe. Rudolf warte, so Lang, immer noch auf seine große Liebe von einst, die ihm plötzlich entrissen worden sei. In Meisl keimt der Wunsch, den Kaiser einmal persönlich zu sehen. Er verkleidet sich als Metzgerknecht und geht ins Schloss. Als er den Kaiser sieht, weiß er, dass dieser es war, der ihm die Frau genommen hat. In seiner Trauer und in seinem Hass beschließt er, sich zu rächen, indem er dem Kaiser kein Geld hinterlässt. Also setzt er alles daran, ein armer Mann zu werden, indem er in der Judenstadt ein Armenhaus, ein Siechenhaus, ein Waisenhaus und ein neues Rathaus bauen und die Straßen pflastern und beleuchten lässt.

Der Engel Asael

Der Engel Asael besucht den Rabbi Loew. Er wirft ihm vor, das Gleichgewicht der Welt gestört zu haben. Der Rabbi weiß, was der Engel meint: Als der Kaiser eines Tages durch die Judenstadt ritt, wurde ein Anschlag auf ihn verübt. Von einem Dach aus warf jemand einen schweren Stein, der Rudolf getötet hätte, wenn der Rabbi das Wurfgeschoss nicht in eine Schwalbe verwandelt hätte. Noch ein zweites Mal hat der Rabbi in den göttlichen Plan eingegriffen: Als nämlich Rudolf die schöne Esther erblickte und sie nicht vergessen, aber auch nicht wiederfinden konnte, ließ er den Rabbi zu sich rufen. Der erkannte das beschriebene Mädchen als Esther und sagte, es sei ihm unmöglich, ein Treffen zu arrangieren, denn sie sei die Frau eines anderen. Doch der Kaiser drohte mit der Vertreibung aller Juden aus seinem Reich. Der Rabbi pflanzte daraufhin die Rose und den Rosmarin unter der steinernen Brücke. Er sprach Zauberworte über die beiden, sodass jede Nacht die Seele des Kaisers in die Rose und die Seele Esthers in den Rosmarin flog. Nacht für Nacht träumten die beiden, sie lägen beieinander.

„Wenn der Abendwind über den Wellen des Flusses dahinglitt, schmiegte sich die Blüte des Rosmarins enger an die rote Rose, und der träumende Kaiser fühlte an seinen Lippen den Kuss der Traumgeliebten.“ (S. 95)

Dies alles erzählt der Medizinstudent Jakob Meisl seinem Nachhilfeschüler um die Jahrhundertwende in seiner Studentenbude in der Prager Judenstadt. Noch heute, ein halbes Jahrhundert später, erinnert sich der einstige Junge genau daran. Sein letzter Besuch in der Judenstadt ist ihm besonders im Gedächtnis geblieben: Damals zeigte ihm Jakob Meisl das Testament seines Vorfahren Mordechai Meisl. Dieses führte tatsächlich als Erbmasse nur Dinge des täglichen Gebrauchs auf. Während sie über das Testament sprachen, wurden Jakob Meisl und sein Schüler Zeugen, wie das Quartier, das mit „Meisls Gut“ gebaut worden war, abgerissen wurde.

Zum Text

Aufbau und Stil

Nachts unter der steinernen Brücke ist ein historisch-fantastischer Roman, der in Prag, an der Schwelle vom 16. zum 17. Jahrhundert angesiedelt ist. 14 Einzelepisoden, die nicht chronologisch angeordnet sind und nur zum Teil die gleichen Hauptfiguren haben, entpuppen sich nach und nach als zusammenhängende Romanhandlung rund um den Kaiser Rudolf II., den Rabbi Loew, den Juden Meisl und dessen schöne Frau Esther – manchmal werden diese Figuren aber nur am Rand einer Episode erwähnt. Den Rahmen der Geschichtensammlung bildet die Prämisse, dass ein Nachfahre des Mordechai Meisl, der Medizinstudent Jakob Meisl, sie seinem 15-jährigen Nachhilfeschüler um die Wende zum 20. Jahrhundert erzählt. Der Junge von damals schreibt sie aber erst 50 Jahre später auf. Dieser verschachtelte Aufbau führt dazu, dass der Leser selbst die Puzzleteile zusammenfügen muss, um ihren Zusammenhang zu begreifen. Die zentrale Liebesgeschichte ist romantisch und tragisch; andererseits ist der Roman, mit seinen zahlreichen launigen Nebenfiguren und ironischen Pointen, sehr komisch. Perutz erzeugt große atmosphärische Dichte und vermittelt Zeit, Ort und Figuren sehr anschaulich.

Interpretationsansätze

  • Die Ironie des Schicksals bestimmt in vielen Geschichten den Lauf der Handlung. Unvermutetes Glück, das manchmal doch wieder entzogen wird, unwahrscheinliche Zufälle oder aber eine punktgenaue Vorhersage lassen die Figuren und den Leser staunen oder lachen und erzeugen spannende Höhepunkte.
  • Der Roman besteht aus einer Mischung aus historischer Wirklichkeit und Fiktion. Historische Figuren wie Wallenstein oder Kepler treten als Nebenfiguren auf, und geschichtliche Ereignisse erhalten eine neue, ironische Begründung – etwa, dass die Schlacht beim Weißen Berg (1620), als die protestantischen böhmischen Stände gegen eine kaiserlich-katholische Armee kämpften, nur deshalb verloren wurde, weil einer der Rädelsführer, ohne es zu wissen, von des Kaisers Tisch gegessen und damit eine prophetische Warnung missachtet hatte.
  • Das Magische, Übernatürliche hat ganz selbstverständlich Platz in den Geschichten, ohne dass sich die Figuren darüber wundern. Dem Rabbi Loew, der die Lehren der Kabbala tief durchdrungen hat, stehen magische Kräfte zur Verfügung. Und auch Rudolf II. ist klar, dass er es mit Dämonen zu tun hat, als er den Taler entwendet.
  • Eine große Rolle spielt das Unbewusste als parallele Realität, vor allem im Traum. Die verbotene Liebe zwischen Esther und dem Kaiser verwirklicht sich nur im Traum, und in diesem Traum ist Esther sich ihres Lebens als Meisls Frau nicht bewusst. Auch der Kaiser und Meisl haben mehr Berührungspunkte, als ihnen bewusst ist. Erst am Ende rückt in Meisls Bewusstsein, dass es eine Verbindung zwischen seiner Frau und dem Kaiser gab. Er kennt allerdings nicht die ganze Wahrheit, der Leser hat einen Wissensvorsprung.
  • Der historische Roman, der um 1600 spielt, hat einen doppelten zeitlichen Rahmen, der ihn an spätere Ereignisse anbindet: erstens an die Zeit um 1900, als das Prager Judenviertel abgerissen wurde – in dieser Zeit bekommt ein 15-Jähriger die Geschichten von seinem Nachhilfelehrer erzählt –, zweitens an die Zeit um 1950, als der Junge von damals alles aufschreibt. Es ist die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als das Judentum in Prag ausgelöscht war. Zentral ist damit das Thema Erinnerung des Vergangenen. Der Roman bezeugt und bewahrt eine Kultur, die doppelt bzw. dreifach vorbei ist.

Historischer Hintergrund

Jüdisches Leben in Prag

Ab dem elften Jahrhundert gab es jüdische Siedlungen in Prag. Zu einem ersten schweren Pogrom gegen die Juden kam es 1369. Ab Anfang des 16. Jahrhunderts erhielten die Juden mehr Rechte, und es begann für sie ein goldenes Zeitalter mit einem reichen kulturellen Leben. Prag wurde Anziehungspunkt für viele jüdische Gelehrte, unter ihnen Rabbi Judah Löw, der der Legende nach einen Golem erschaffen haben soll. Um 1700 lebten in Prag mehr Juden als in jeder anderen Stadt Europas. 1744 befahl die österreichische Kaiserin und Königin von Böhmen, Maria Theresia, die Vertreibung aller Juden aus Prag; ab 1748 durften sie zurückkommen. Kaiser Joseph II. erweiterte 1782 in seinem sogenannten Toleranzpatent die Rechte für die Juden in Böhmen. Nun durften etwa jüdische Ärzte auch nichtjüdische Patienten haben.

Ab 1848 waren die Juden weitgehend gleichberechtigt. Sie mussten nicht mehr im Getto leben, sondern konnten sich überall in der Stadt niederlassen; sie studierten an der Universität, gründeten Studentenschaften und Zeitschriften. Das einstige Judenviertel, jetzt Josephstadt genannt, verfiel und wurde zwischen 1893 und 1913 größtenteils abgerissen und durch repräsentative Bauten nach Pariser Vorbild ersetzt. Lediglich der jüdische Friedhof, das Rathaus, die Zeremonienhalle und sechs Synagogen blieben infolge von Bürgerprotesten erhalten. Die Gründung der Tschechoslowakei 1918 brachte zunächst gute Bedingungen für die jüdische Bevölkerung. 1922 kam es aber zu antisemitischen Ausschreitungen. Unter der nationalsozialistischen Besatzung ab 1939 wurden die Prager Juden in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Überlebende wanderten nach Israel aus oder in die USA. Nach dem Systemwechsel 1989 verließen weitere Juden die Stadt. Heute leben kaum noch Juden in Prag.

Entstehung

Der historische Roman Nachts unter der steinernen Brücke, der bis kurz vor seiner Veröffentlichung den Arbeitstitel Meisls Gut trug, schöpft seinen Stoff aus historischen Begebenheiten, aus Volkssagen und aus jüdischen Legenden rund um das jüdische Leben in Prag am Übergang vom 16. zum 17. Jahrhundert. Perutz stand in der Tradition der Romantik und sah sich stark von E. T. A. Hoffmann beeinflusst. Mit diesem hat er einen Hang zur Fantastik und zu Schauerelementen gemein. Die Entstehung des Romans zog sich ungewöhnlich lange hin, nämlich 27 Jahre. Am 22. Juli 1924 notierte Perutz, dass er mit Meisls Gut begonnen habe, und bereits 1925 erschein das erste Kapitel in der Literaturzeitschrift Der neue Merkur. 1925 begann er jedoch den Roman Wohin rollst du, Äpfelchen …, der schon als Vorabdruck in einer Zeitung ein großer Erfolg wurde. Es folgten weitere Texte, und Meisls Gut geriet aufs Abstellgleis.

1938 ging Perutz ins Exil nach Palästina. Dort setzte er im April 1943 die Arbeit an dem Roman fort, und zwei Jahre später schrieb er an Freunde, dass ihm nur noch zwei Geschichten fehlten, „um den Zusammenhang des Ganzen herzustellen“. Die Fertigstellung dieser letzten beiden Geschichten, „Das verzehrte Lichtlein“ und „Der Engel Asael“, nahm weitere sechs Jahre in Anspruch. Am 15. März 1951 schrieb er in einem Brief, dass der Roman fertig sei: „Ich glaube, das Buch ist mir wirklich gelungen, schade nur, dass ich es nicht vor zwanzig Jahren geschrieben habe.“

Wirkungsgeschichte

Damit war der Weg zur Veröffentlichung aber noch nicht frei: Perutzʼ langjähriger Verleger Paul Zsolnay lehnte den Roman ab, obwohl er ihn schätzte – mit der Begründung, „die deutsche Seele habe sich Werken jüdischen Geistesguts noch nicht wieder eröffnet“. 1953 erschien das Werk in der Frankfurter Verlagsanstalt. Die Literaturkritiker lobten es in den höchsten Tönen; so schrieb etwa Friedrich Torberg, dies sei Perutzʼ „wahrscheinlich reifster und eindrucksvollster Roman“. Der große Verkaufserfolg blieb jedoch aus, insofern behielt Paul Zsolnay recht.

Ab den 1980er-Jahren kam es zu einer Wiederentdeckung des Schriftstellers Leo Perutz, und seit dieser Zeit ist Nachts unter der steinernen Brücke sein erfolgreichster Roman und wurde in viele Sprachen übersetzt. Immer neue Auflagen erscheinen. Perutz selbst hat seine Renaissance vorhergesehen, sie war ihm Trost in der literarischen Vergessenheit. 1949 schrieb er: „Die wirklich maßgebenden Faktoren, die Zeitungen, die Kritik, die Verleger und die Literaturgeschichte, registrieren mich als nicht mehr vorhanden, wenn nicht gar als nie vorhanden gewesen. Umso sicherer ist meine Auferstehung in 40 Jahren“. Heute ist beispielsweise Daniel Kehlmann ein großer Bewunderer von Perutz; er sieht in ihm den „großen magischen Realisten der deutschen Literatur“, der wie Jorge Luis Borges und Gabriel García Márquez das Magische „mit unbewegtem Gesicht“ erzähle.

Über den Autor

Leo Perutz wird am 2. November 1882 in Prag als ältestes von vier Kindern eines jüdischen Textilfabrikanten geboren. Er ist ein schlechter Schüler und wechselt mehrfach die Schule. Ab 1905 studiert er in Wien Volkswirtschaft und Versicherungsmathematik. In dieser Zeit beginnt er zu schreiben und veröffentlicht erste Texte in Zeitschriften. 1907 tritt er eine Stelle als Versicherungsmathematiker in Triest an. Perutz publiziert Fachartikel und entwickelt die nach ihm benannte Perutzʼsche Ausgleichsformel. 1915 erscheint Die dritte Kugel, sein erster Roman, der auf Anhieb ein Erfolg wird. Im selben Jahr wird er zum Kriegsdienst eingezogen, 1916 kommt er an die russische Front. Nach einem Lungenschuss ist er für längere Zeit im Lazarett, 1917 kommt er ins Kriegspressequartier, wo er den „rasenden Reporter“ Egon Erwin Kisch kennenlernt. 1918 heiratet er Ida Weil, aus der Ehe gehen drei Kinder hervor. Es beginnt eine literarisch produktive Zeit, Perutz schreibt sechs Romane, die von der Kritik gelobt werden und sich gut verkaufen – besonders gut Der Meister des Jüngsten Tages (1923) und Wohin rollst du, Äpfelchen … (1928). Durch seinen Erfolg kommt er mit vielen bekannten Schriftstellern in Kontakt, etwa mit Bertolt Brecht, Robert Musil und Franz Werfel. 1928 stirbt Ida Perutz nach der Geburt ihres Sohnes Felix. Ihr Tod stürzt Perutz in eine schwere Krise, er zieht sich aus dem öffentlichen Leben zurück. Auch macht ihm die Wirtschaftskrise Ende der 1920er-Jahre zu schaffen, und ab 1933 fällt dann der deutsche Buchmarkt ganz für ihn weg. 1935 heiratet er erneut. Nach dem Anschluss Österreichs an Hitlers Deutschland 1938 flieht Perutz mit seiner Familie nach Tel Aviv. In Palästina ist es schwer für ihn: Als assimilierter Jude hat er wenig Interesse am Zionismus, er weigert sich, Hebräisch zu lernen, und vermisst die kulturelle Atmosphäre Wiens. Nach der Gründung Israels fühlt er sich noch unwohler, weil er jeglichen Nationalismus und die Vertreibung der Araber ablehnt. Literarisch kann er nirgends mehr Fuß fassen. 1953 erscheint Nachts unter der steinernen Brücke. Ab 1952 verbringt Perutz stets die Sommermonate in Wien und in Bad Ischl. Dort stirbt er überraschend am 25. August 1957.

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