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Philosophie des Geldes

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Philosophie des Geldes

Suhrkamp,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
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Was ist drin?

Simmels hellsichtige Analyse der Macht des Geldes über die Menschen ist heute aktueller denn je.


Literatur­klassiker

  • Soziologie
  • Moderne

Worum es geht

Das Geld und der moderne Mensch

Im Vorwort zu seiner Philosophie des Geldes betont Georg Simmel, dass es sich bei dem Werk nicht um eine ökonomische Studie handelt. Im Zentrum der umfangreichen Untersuchung steht vielmehr die Frage, wie sich das Geld auf den Lebensstil der Menschen und ihre Beziehungen auswirkt. Die Geldwirtschaft hat laut Simmel zwar zur Befreiung des Individuums geführt. Zugleich füllt das Geld jedoch eine Leere aus, die durch den Verlust persönlicher und religiöser Bindungen entstanden ist. Aus dem einstigen Mittel zum Leben ist selbst ein Lebenszweck geworden, ein moderner Gott, den die Massen anbeten – und der ihrer Sehnsucht nach Sinn doch niemals gerecht wird. Simmel zeigt sich als nüchterner Beobachter und scharfsinniger Analytiker seiner Zeit − eine geschlossene, systematische Theorie liefert er jedoch nicht. Ebenso wenig bietet er einen Gegenentwurf zur kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Das trug ihm den Vorwurf der „Geldapologetik“ ein. Aus heutiger Sicht besteht der Wert des Buches jedoch gerade in seiner ideologischen Standpunktlosigkeit. Unter dem Eindruck der Finanzkrise gewinnt der Klassiker wieder an Aktualität.

Take-aways

  • Philosophie des Geldes zählt zu den Hauptwerken des Soziologen Georg Simmel.
  • Inhalt: Die Geldwirtschaft hat die Freiheit und Individualisierung des Menschen vorangetrieben. In der aufgeklärten, rationalen Moderne ist das Geld jedoch vom Tauschmittel zum Selbstzweck, ja sogar zum Religionsersatz geworden. Der moderne Mensch verspürt eine Sehnsucht, die er mit Konsum und ständigen Aktivitäten vergeblich zu stillen sucht.
  • Simmels Interesse gilt nicht volkswirtschaftlichen Fragen, sondern den Auswirkungen des Geldes auf die Beziehungen und den Lebensstil der Menschen.
  • Der gebürtige Berliner Simmel erkannte einen engen Zusammenhang zwischen dem rasanten Wachstum der Großstädte und der Geldherrschaft.
  • Anhand zahlreicher Beispiele aus Geschichte und Philosophie, Kunst und Mode, Arbeitswelt und Alltag belegt der Autor seine These von der Allmacht des Geldes.
  • Mangelnde Systematik erklärt den fragmentarischen, mitunter weitschweifigen Charakter des Werkes.
  • Zwar beklagt Simmel die Entfremdung durch das Geld, er bietet aber keine gesellschaftliche Alternative zum Kapitalismus an.
  • Vor allem linke Kritiker warfen dem Werk „Geldapologetik“ vor.
  • Mit der Finanzkrise seit 2007 hat dieser Klassiker der Soziologie wieder an Aktualität gewonnen.
  • Zitat: „Das Geld hat jene sehr positive Eigenschaft, die man mit dem negativen Begriffe der Charakterlosigkeit bezeichnet.“

Zusammenfassung

Subjektives Begehren verleiht den Dingen ihren Wert

Das Sein und der Wert der Dinge sind voneinander unabhängige Phänomene. Der Wert eines Objekts zählt, etwa im Unterschied zur Farbe, nicht zu seinen Eigenschaften. Das Objekt erhält erst dadurch einen Wert, dass ein Subjekt es für wertvoll erachtet. Etwas, was von einem Subjekt begehrt wird und wofür dieses Hindernisse überwinden muss, erscheint wertvoll. Je größer diese Hindernisse sind – sei es, weil das Objekt teuer, selten oder verboten ist –, desto größer ist der Wert. Solange der Mensch nur von seinen Trieben gesteuert wird, hat er keine besonderen Ansprüche an die Objekte. Sobald aber seine elementaren Bedürfnisse befriedigt sind, begehrt er vor allem die Objekte, die am schwierigsten zu erlangen sind. Allerdings dürfen sie nicht unerreichbar sein, sonst erlischt das Begehren.

Geld konzentriert den Wirtschaftswert

Im Tausch erhalten die Dinge einen objektiven Wert, denn sie werden verglichen und gegeneinander abgewogen. Wenn für einen Gegenstand etwas geopfert werden muss – etwa Arbeitskraft oder andere Güter –, bedeutet das, dass er nicht nur für ein einzelnes Subjekt, sondern auch an sich etwas wert ist. Wirtschaft ist Tausch: Wer eine wild gewachsene Beere pflückt und isst, handelt noch nicht wirtschaftlich. Der wirtschaftliche Wert eines Gegenstands besteht in seinem Preis, d. h. in der Höhe des Opfers, das man dafür bringt. In der Frühzeit der Menschheit wurden Naturalien wie Vieh und Früchte getauscht, später waren Felle, Kupfer und Bronze Tauschmittel. Geld stellt die höchste Entwicklungsstufe in diesem Prozess dar. Es hat aber – über den geringen materiellen Wert der Edelmetalle hinaus – keinen Eigenwert. Unabhängig von seinem Substanzwert drückt es lediglich das Wertverhältnis zwischen den Dingen auf symbolische, abstrakte Weise aus.

„So ist es nicht deshalb schwierig, die Dinge zu erlangen, weil sie wertvoll sind, sondern wir nennen diejenigen wertvoll, die unserer Begehrung, sie zu erlangen, Hemmnisse entgegensetzen.“ (S. 35)

In diesem Sinn hat Geld einen rein soziologischen, gesellschaftlichen Charakter: Es ist Ausdruck für das Verhältnis der Menschen, die aufeinander angewiesen sind, um ihre Wünsche zu befriedigen. Für ein einzelnes Individuum wäre Geld sinnlos. Während der Naturaltausch zwischen zwei Individuen stattfindet, tritt bei Geldgeschäften als dritte Partei die Gesamtheit der Gesellschaft hinzu: als diejenige Instanz, die ein Metallstück durch seine Prägung oder einen Papierschein durch seinen Aufdruck akzeptiert und damit seine Weiterverwertbarkeit garantiert. Historisch betrachtet ist die Entwicklung der Geldwirtschaft ein Prozess der Kräfteverdichtung und -konzentrierung, wie er auch bei der Entstehung des zentralisierten neuzeitlichen Staates oder der modernen Maschinen- und Waffentechnik zu beobachten ist. Im Geld kondensiert und konzentriert sich Wert.

Geld auf dem Weg vom Mittel zum Zweck

Um einen Zweck zu erreichen, bedient man sich eines Werkzeugs – nicht nur im wörtlichen Sinn. So ist auch die Institution des Staates ein Werkzeug, durch das man Schutz erhält. Geld ist ein abstraktes, indifferentes und an keinen spezifischen Inhalt gebundenes Werkzeug, um etwas zu erlangen, das man besitzen will. Das Besondere am Geld ist, dass es sich vom Mittel zum Zweck gewandelt hat. Während einst das Seelenheil oder auch nur die Befriedigung der Grundbedürfnisse der Endzweck des menschlichen Strebens waren, ist heute das Geld zum höchsten, absoluten Wert geworden. Es wird mit geradezu religiöser Inbrunst angebetet. Gier und Geiz bilden die extremen, krankhaften Formen dieser Liebe. Die einzige Qualität des − moralisch vollkommen gleichgültigen − Geldes besteht in seiner Quantität. Die entscheidende Frage lautet stets: Wie viel? Da heute immer mehr Dinge mit Geld zu kaufen sind und das Geld inzwischen zu einem absoluten Wert geworden ist, messen wir die Dinge nur noch nach ihrem Geldwert, also danach, wie viel sie kosten. Statt Qualität zählt Quantität. Der moderne Mensch mag Dinge, weil sie besonders viel kosten oder, im Gegenteil, weil sie besonders wenig kosten.

Geldwirtschaft fördert Freiheit und Individualisierung

Der Mensch unterscheidet sich vom Tier in der Fähigkeit der objektiven Betrachtung und im Tausch. Darin liegt das spezifisch Menschliche: dass man begehrte Dinge anderen nicht einfach wegnimmt, sondern dass man sie erlangt, indem man etwas anderes dafür gibt. Die Beziehungen der Menschen untereinander werden durch das Geld versachlicht und objektiviert. Im Mittelalter standen die Menschen durch die Wirtschaftsform des Naturaltausches in einem sehr engen persönlichen Abhängigkeitsverhältnis. Der moderne Mensch dagegen zahlt Geld für Leistungen und Waren, unabhängig von der Person, die dahintersteht. Der Bauer und sein Gutsherr waren stärker aufeinander angewiesen als der Lohnarbeiter und sein Arbeitgeber es sind. Der Lohnarbeiter fühlt sich seinem Arbeitgeber nicht mehr als Person untertan; dieser mietet lediglich seine Arbeitskraft. Die individuelle Freiheit und Unabhängigkeit sind durch das objektive Tauschmittel des Geldes gewachsen. In der modernen Geldwirtschaft ist der Mensch zwar von einer größeren Zahl Personen abhängig, aber auf einer rein sachlichen Ebene: Sie sind Funktionsträger, die ihn mit Dienstleistungen, Kapital oder Waren versorgen.

„Dieser Charakter des reinen Symbols der ökonomischen Werte ist das Ideal, dem die Entwicklung des Geldes zustrebt, ohne ihn je völlig zu erreichen.“ (S. 181 f.)

Freiheit bedeutet, seinen Willen ohne Hindernisse verwirklichen zu können. Je mehr man besitzt, über desto mehr Dinge kann man frei verfügen, allerdings nur, wenn die Dinge selbst es zulassen. Holz etwa lässt sich nicht verbiegen, so sehr man es auch will. Da Geld aber formlos, mobil und nachgiebig gegenüber unserem Willen ist, bedeutet sein Besitz eine Steigerung unserer Freiheit und eine Ausdehnung unserer Macht über die Objekte. Geld fördert zudem die Individualisierung in der Gesellschaft, indem es dem Einzelnen größere Unabhängigkeit gegenüber Gruppeninteressen verleiht. Der moderne Mensch ist frei in der Wahl seiner Geschäftsbeziehungen und kann sich zu Arbeitszwecken mit anderen zusammenschließen, ohne seine persönliche Freiheit aufzugeben − anders als das mittelalterliche Zunftmitglied.

Nivellierung, Entfremdung und Rationalisierung

Die Tatsache, dass die trivialsten wie die schönsten, die unmoralischsten wie die sittlichsten Dinge für Geld zu haben sind, ebnet die Unterschiede zwischen ihnen ein und macht sie austauschbar. Vor dem alles durchdringenden Prinzip der Käuflichkeit, das in Geldheirat, Prostitution und Bestechung gipfelt, schützt allein das Lebensideal der Vornehmheit: Der Vornehme widersetzt sich der Nivellierung und Abflachung, indem er die Dinge – um ihren Unterschied wissend – nur nach ihrem Wert, nicht nach ihrem Preis beurteilt.

„Außerhalb des Tausches ist das Geld so wenig etwas wie Regimenter und Fahnen außerhalb der gemeinsamen Angriffe und Verteidigungen oder wie Priester und Tempel außerhalb der gemeinsamen Religiosität.“ (S. 212)

Zwar haben die Menschen durch das Geld an Freiheit gewonnen, aber nur im negativen Sinn: als Freiheit von alten Bindungen und Zwängen. Nun leben sie in einem Zustand der Leere, der Langeweile und der Haltlosigkeit, sie spüren die Sehnsucht, ihrem Leben und den Dingen einen tieferen Sinn zu geben. Der moderne Mensch, der durch die Existenz des Geldes nicht mehr an die Dinge selbst gebunden ist, sucht Halt in den Dingen. Doch die Leichtigkeit von Kauf und Verkauf, von Gewinn und Verlust fördert nur das Gefühl seiner Entwurzelung. Alles ist bloß noch Mittel, ohne dass ein Endzweck erkennbar wäre. Während die Menschen in primitiven Kulturen danach streben, mit relativ geringem Aufwand Nahrungsmittel zu beschaffen, herrschen in einer vom Geldverkehr geprägten Gesellschaft endlos lange, vielgliedrige Zweckreihen vor, hinter denen der Endzweck zurücktritt. Noch im Mittelalter wurde in hohem Maße für den Eigenbedarf produziert, während heute die meisten Berufstätigen Interessen dienen, die ihren eigenen Gesichtskreis überschreiten und aus denen sich wieder neue Zwecke und Interessensketten ergeben.

„Es gehört zu den Funktionen des Geldes, die ökonomische Bedeutung der Dinge in der ihm eigenen Sprache nicht nur überhaupt darzustellen, sondern zu kondensieren.“ (S. 242)

Die Geldwirtschaft wird von Verstand und Objektivität, von Zweckmäßigkeit und Kausalität gelenkt. In früheren, nicht geldwirtschaftlich geprägten Epochen dominierte dagegen das Gemüt. Die ungeheure Verflachung des Gefühls- und Gemütslebens in der Moderne entspringt der Charakterlosigkeit des Geldes, seinem rein intellektuellen, sachlichen, moralisch vollkommen gleichgültigen Wesen. So wie die Uhr die abstrakte Zeit messbar gemacht hat, so berechnet das Geld ohne Rücksicht auf persönliche oder sittliche Hintergründe den abstrakten Wert unserer Lebensinhalte: Die Welt erscheint als eine einzige große Rechenaufgabe.

Die Vergegenständlichung der Kultur

Im Vergleich zu früheren Zeiten sind die Dinge, die uns heute umgeben, kultivierter: die Geräte, die Verkehrsmittel oder die Erzeugungen von Wissenschaft, Technik und Kunst. Dagegen hat die Kultur der Menschen, insbesondere der Angehörigen der höheren Stände, keinerlei Fortschritte gemacht. Im Gegenteil: Die gesprochene und geschriebene Sprache ist im Lauf der Zeit immer inkorrekter und nichtssagender geworden. Die privaten und gesellschaftlichen Unterhaltungen sind uninteressanter und flacher als noch vor 100 Jahren. Die Maschinen sind heute klüger als die Arbeiter, die sie bedienen. Geisteswissenschaftler gebrauchen Worte, deren Inhalt sie nicht verstehen. Der Bildungsbegriff des 18. Jahrhunderts sah noch eine die ganze Persönlichkeit des Menschen umfassende Ausbildung und die Vermittlung innerer Werte vor. An seine Stelle ist im 19. Jahrhundert eine Auffassung von Bildung getreten, die sich auf Wissen, Kenntnisse und Verhaltensweisen beschränkt. Diese Entwicklung ist auf eine Objektivierung, also eine Vergegenständlichung der Kultur insgesamt zurückzuführen.

„Das Geld hat jene sehr positive Eigenschaft, die man mit dem negativen Begriffe der Charakterlosigkeit bezeichnet.“ (S. 273)

Die geistige Arbeit von Jahrhunderten nimmt in Gebrauchsgegenständen und Kunstwerken, in Organisationen und Traditionen, in allem, was wir als Kulturwerte bezeichnen, Gestalt an. Indem so der stetig gewachsene Geist eine konkrete Form bekommt und damit in einen anderen Aggregatzustand eintritt, trennen sich die Kultur der Dinge und die Kultur der Menschen voneinander. Der objektive Geist geht als allgemeines Kulturgut in die Dinge und somit in den Besitz der gesamten Gesellschaft über, aber er wird in weitaus geringerem Umfang von den einzelnen Subjekten aufgenommen. Die kulturelle Entwicklung der Individuen bleibt deutlich hinter derjenigen der Dinge zurück, und beide verselbstständigen sich.

Das Auseinandertreten von Mensch und Ding

Infolge von Arbeitsteilung und Spezialisierung ist heute in einem Produkt von der Seele und Persönlichkeit des Arbeiters, der es hergestellt hat, nichts mehr zu finden. Nur das Kunstwerk, das ein einzelner Mensch geschaffen hat, ist noch Ausdruck eines Subjekts. In der kapitalistischen Gesellschaft treten die schaffende Persönlichkeit und das von ihr geschaffene Werk auseinander. Der Arbeiter ist weder für das Material noch für das fertige Produkt verantwortlich, seine Arbeitskraft ist selbst zur Ware geworden ist. Ebenso wie der Arbeiter hat auch der Konsument kein persönliches Verhältnis mehr zum Produkt; es wurde völlig unabhängig von seiner Person hergestellt. All dies führt zu einer Verkehrung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Arbeiteten früher die unteren Schichten für die oberen, so ist es heute umgekehrt: Der Chemiker ersinnt neue Kleiderfarben, um den Massengeschmack zu bedienen, der Großhändler importiert Weizen, um das Proletariat zu ernähren.

„Wer Geld über ein bestimmtes Maß hinaus besitzt, gewinnt damit noch den zusätzlichen Vorteil, es verachten zu können.“ (S. 279 f.)

Die durch Arbeitsteilung entstandene Entfremdung zwischen Menschen und Gegenständen zeigt sich im modernen Lebensstil. Bis in das frühe 19. Jahrhundert gab es in den Wohnungen weniger Dinge als heute, sie zeichneten sich durch Schlichtheit und Dauerhaftigkeit aus. Inzwischen sind Gegenstände vielfältig, kurzlebig und mit Geld leicht ersetzbar, sodass wir keine Zeit haben, eine persönliche Beziehung zu ihnen aufzubauen. Die Kleidermoden wechseln rasant, und von der Architektur über den Gartenbau und die Inneneinrichtungen bis hin zur Kunst herrscht eine verwirrende Vielfalt der Stilrichtungen.

Distanz und Sinnsuche in der Moderne

Die Geldwirtschaft lockert den Familienzusammenhalt: Jeder kann sich auf seine individuelle Begabung verlassen und bedarf der Solidarität seiner Angehörigen nicht mehr. Außerdem errichtet das Geld Schranken zwischen den Menschen, indem es den funktionalen Charakter ihrer Beziehungen betont. Ohne diese Form der Distanzierung wäre das gedrängte, hektische Zusammenleben in modernen Großstädten kaum zu ertragen. Auch der Abstand zwischen Mensch und Ware ist durch das Geld gewachsen, ebenso wie die Entfernung des Stadtmenschen von der Natur. Die Mittel haben mehr Bedeutung erlangt als der Zweck, Nebensächlichkeiten verdecken den Blick auf das Wesentliche. So verbergen z. B. die atemberaubenden Fortschritte in der Kommunikationstechnik die Tatsache, dass es vor allem darauf ankommt, was man sich zu sagen hat – und nicht mit welchen technischen Mitteln das geschieht. Mithilfe von Wissenschaft und Technik beherrscht der moderne Mensch zwar die Natur, doch er zahlt dafür mit seinem Lebenssinn und seiner geistigen und seelischen Einheit. Daher verspürt er ständig eine Spannung und einen Mangel, eine innere Unruhe und vage Sehnsucht, die er in immer neuen Anregungen, Sensationen und Aktivitäten vergeblich zu stillen sucht.

Zum Text

Aufbau und Stil

Georg Simmels fast 800 Seiten umfassende Philosophie des Geldes gliedert sich in zwei große Teile, die jeweils wiederum in drei Kapitel unterteilt sind. Während der „Analytische Teil“ die erkenntnistheoretischen und logischen Voraussetzungen der Geldwirtschaft behandelt, widmet sich der anschließende „Synthetische Teil“ den Auswirkungen des Geldes auf Gesellschaft und Kultur. Dabei folgt der Autor keiner strengen Systematik, sondern liefert fortwährend neue Betrachtungen und Impressionen zu verschiedensten Themen. Seine Neigung, jeden verborgenen Aspekt ans Licht zu holen und von verschiedenen Seiten zu beleuchten, lässt das Buch mitunter weitschweifig erscheinen. Beim Leser setzt Simmel umfassende Kenntnisse der abendländischen Philosophie und Geschichte voraus, wie die selbstverständlichen Bezüge in der Argumentation zeigen. Trotz der sprachlichen und gedanklichen Dichte wird im Text weitgehend auf Absätze verzichtet, was die ohnehin trockene Lektüre, vor allem des ersten Teils, erschwert. Die im zweiten Teil vermehrt eingefügten alltäglichen Beobachtungen sorgen zwar für Anschaulichkeit, dennoch bleibt der Gesamteindruck eines eher sperrigen, zerrissenen und essayistischen Werkes bestehen.

Interpretationsansätze

  • Im Vorwort weist Simmel ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei der Philosophie des Geldes nicht um eine volkswirtschaftliche Untersuchung handelt. Vielmehr geht es ihm um die logische Struktur des Geldes, um dessen Einfluss auf das Verhältnis zwischen den Menschen, auf ihr Lebensgefühl und die gesamte moderne Kultur.
  • Kennzeichnend für Simmel, der sich schon in früheren Schriften mit der Erkenntnistheorie Immanuel Kants auseinandergesetzt hat, ist sein Relativismus, insbesondere in Bezug auf die menschliche Erkenntnis: Es gibt keine objektive Wirklichkeit oder Wahrheit – also auch keinen absoluten Wert –, sondern nur verschiedene Vorstellungen davon.
  • In Anlehnung an den deutschen Philosophen Arthur Schopenhauer propagiert Simmel das Lebensideal der Vornehmheit, das sich in einer ästhetischen Distanzierung zu den Dingen und der Welt äußert. In der Kunst findet der Mensch Erlösung von der alles beherrschenden Geldwirtschaft, denn nur hier werden die Ideale der Schönheit und Sittlichkeit von allen Preiserwägungen abgelöst.
  • In Bezug auf den Gedanken der Gleichheit aller Menschen vertritt der Autor eine eher elitäre, individualistische Auffassung. Der Sozialismus mit seiner nivellierenden Tendenz ist für ihn kein gültiges Gesellschaftsideal. Kultur kann nur von einer Minderheit gestaltet werden, die sich vom Durchschnittsgeschmack der Massen abhebt.
  • Simmel beklagt zwar wie Karl Marx die Entfremdung durch Arbeitsteilung und Geldwirtschaft. Er ruft jedoch keineswegs zum Umsturz der kapitalistischen Verhältnisse auf und bietet auch kein alternatives Gesellschaftsmodell an. Befreiung von den Zwängen der modernen Massengesellschaft finden die Menschen allenfalls im Rückzug ins Private und im geselligen Beisammensein mit Gleichgesinnten.
  • Simmels These vom Zusammenhang zwischen Geldwirtschaft und Verstandesherrschaft nimmt Max Webers Begriff der Zweckrationalität vorweg. Weber stellte das rationale Abwägen von Mittel und Zweck als ein soziales Handlungsprinzip in der Moderne der traditionellen Wertrationalität gegenüber.

Historischer Hintergrund

Die pulsierende Metropole Berlin um 1900

Mit der Gründung des Deutschen Reichs ging im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts nicht nur ein Boom in der Industrie, sondern auch einer im Bankwesen einher. Bereits 1870 wurde zum Ausbau der Exportbeziehungen in Berlin die Deutsche Bank gegründet, die sich neben der Vergabe von Handelskrediten schon bald auch dem Inlandsgeschäft zuwandte und damit einen raschen Aufschwung einleitete. Im gleichen Jahr entstand in Hamburg die Commerzbank, 1872 folgte die Gründung der Dresdner Bank. Insgesamt entstand zwischen 1870 und 1873 eine Vielzahl neuer Banken, von denen die meisten allerdings den durch eine Spekulationswelle ausgelösten Gründerkrach von 1873 nicht überlebten. Viele kleinere Privat- und Regionalbanken wurden von den drei deutschen Großbanken übernommen, sodass es in der Folgezeit zu einer Konzentration im Bankgeschäft kam.

Noch vor der Jahrhundertwende folgten die Großbanken Commerzbank und Dresdner Bank der Deutschen Bank nach Berlin. Die Hauptstadt des 1871 gegründeten Deutschen Reichs war um die Jahrhundertwende das größte Industriezentrum und der bedeutendste Börsenplatz Deutschlands. In nur drei Jahrzehnten war die alte, beschauliche Residenz- und Garnisonsstadt zur modernsten europäischen Metropole herangewachsen. Aus den östlichen Gebieten des Landes, aus Brandenburg, Schlesien und Ostpreußen, strömten immer neue Zuwanderer nach Berlin.

Auswärtige Besucher staunten über das rasante Tempo und das lärmende Treiben in der Reichshauptstadt. An den Kreuzungen stauten sich Omnibusse, Automobile und Droschken. Auf den Bürgersteigen drängten sich die Passanten vor den luxuriösen Auslagen der Warenhäuser; Straßenlaternen und Leuchtreklamen machten die Nacht zum Tag. Umso krasser war im Gegensatz dazu die Armut vieler Einwohner der Arbeiterviertel, die in tristen Mietskasernen auf engstem Raum und in erschreckenden hygienischen Verhältnissen lebten. Die große Zahl von Obdachlosen und Prostituierten war ein sichtbares Zeichen für die soziale Spaltung der Stadt, in der Arm und Reich in unmittelbarer Nähe beieinanderlebten.

Entstehung

Das spannungsreiche Leben der Großstädte, die zugleich Zentren der Finanzwelt waren, weckte schon früh Georg Simmels Interesse für die Geldwirtschaft. Bereits 1889 schrieb der Berliner Kaufmannssohn einen Essay mit dem Titel Zur Psychologie des Geldes. In den 1890er Jahren kam er in vielen Aufsätzen und Zeitungsbeiträgen immer wieder auf das Thema zurück. Als Autor und Publizist war Simmel sehr produktiv. In seinen gut besuchten Vorlesungen an der Berliner Universität widmete sich der Privatdozent jenseits des wissenschaftlichen Mainstreams Fragen der Philosophie, Soziologie und modernen Kultur – und weckte damit die Missgunst einiger Kollegen, die seine Bewerbung um eine Heidelberger Professur hintertrieben, z. T. aus antisemitischen Motiven. 1900 erhielt er doch noch eine – allerdings unbezahlte – Stelle als außerordentlicher Professor an der Humboldt-Universität. Im gleichen Jahr erschien sein Hauptwerk Die Philosophie des Geldes, nachdem zuvor bereits einzelne Abschnitte in verschiedenen Vorabdrucken und Zeitungsartikeln und sogar als Übersetzungen ins Russische veröffentlicht worden waren. Das Buch, an dem er jahrelang geschrieben hatte, war nach Simmels eigenem Bekunden unter großen Mühen entstanden. In Briefen aus jener Zeit an seine Freunde klagt er, die Arbeit gehe weder vorwärts noch rückwärts, und gerade die einfachsten Dinge bereiteten ihm unüberwindliche Schwierigkeiten.

Wirkungsgeschichte

Die Philosophie des Geldes konnte „nur in dieser Zeit und nur in Berlin geschrieben werden“, urteilte ein Kritiker in einer Rezension des Werks. Tatsächlich traf es den Nerv einer nervösen, von einer unbestimmten Sehnsucht erfüllten Zeit. Trotzdem verkaufte es sich anfangs eher schleppend. Aufgrund des unsystematischen, essayistischen Charakters blieb zudem eine wissenschaftliche Debatte aus. Dennoch beeinflusste das Buch viele zeitgenössische Denker, von Georg Lukács über Theodor W. Adorno bis zu Walter Benjamin und später Niklas Luhmann. Vor allem linke Kritiker warfen Simmel „Geldapologetik“ vor und bezeichneten seine Theorie als „Philosophie des kapitalistischen Geistes“, die der Geldwirtschaft ihre Argumente liefere, ohne nach den Bedingungen ihrer Entstehung oder gar nach Alternativen zu fragen. In den Kulturwissenschaften genießt Simmels Werk bis heute Klassikerstatus. Vor dem Hintergrund der Finanzkrise seit 2007 gewinnt das Buch an neuer Aktualität und wurde in jüngster Zeit auch von Ökonomen wiederentdeckt.

Über den Autor

Georg Simmel wird am 1. März 1858 in Berlin als jüngstes von sieben Kindern in eine wohlhabende jüdische, zum Christentum konvertierte Kaufmannsfamilie geboren. Nach dem Tod des Vaters 1874 gerät Georg unter die Vormundschaft des Musikverlegers Julius Friedländer, der ihm später sein Vermögen hinterlässt. Simmel studiert Geschichte, Kunstgeschichte und Philosophie in Berlin, wo er ab 1885 als Privatdozent tätig ist. 1890 erscheint sein Werk Über sociale Differenzierung. Im gleichen Jahr heiratet er die Malerin und Schriftstellerin Gertrud Kinel. Das Haus des Ehepaars avanciert zu einem geistig-kulturellen Zentrum Deutschlands, in dem u. a. Rainer Maria Rilke, Stefan George, Edmund Husserl, Georg Lukács und Ernst Bloch verkehren. Trotz antisemitisch motivierter Einwände gegen seine Anstellung erhält Simmel 1900 eine außerordentliche Professur für Sozial- und Geschichtsphilosophie an der Berliner Humboldt-Universität. Im gleichen Jahr wird seine Philosophie des Geldes veröffentlicht. Seine für ihre rhetorische Brillanz berühmten Vorlesungen geraten zu kulturellen Ereignissen, die über Fachkreise hinaus ein buntes Publikum anziehen. Die wachsende Popularität trägt Simmel aber auch den Ruf eines unkonventionellen Exoten ein. Zusammen mit Ferdinand Tönnies, Werner Sombart und Max Weber gründet Simmel 1909 die Deutsche Gesellschaft für Soziologie. Erst 1914 wird der 56-jährige Außenseiter im akademischen Betrieb zum ordentlichen Professor berufen – ins ferne Straßburg. Er leidet unter dem provinziellen Mief der Universität und der geistigen Isolation, verfasst aber in dieser Zeit Bücher wie Grundfragen der Soziologie (1917) und Der Konflikt der modernen Kultur (1918). Am 26. September 1918 stirbt Georg Simmel an Leberkrebs.

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