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Schlafes Bruder

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Schlafes Bruder

Reclam,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Ein genialer Musiker muss es leidvoll erfahren: Wer schläft, liebt nicht.


Literatur­klassiker

  • Künstlerroman
  • Gegenwartsliteratur

Worum es geht

Ein postmoderner Heimatroman

Johannes Elias Alder ist ein sensibler Außenseiter, der mit seinem musikalischen Genie und seiner schicksalhaften Liebe alleingelassen wird – von aller Welt und von Gott. Schlafes Bruder erzählt die Geschichte dieses strahlenden Talents in düsterer Alpenlandschaft auf so berückende wie bedrückende Weise. Das kaum zu ertragende Leben des Elias Alder wird mit der zürnenden Stimme eines Erzählers berichtet, der wohltuend Partei für den tragischen Helden ergreift und mit seinem Sarkasmus die Niedertracht des bäuerlichen Milieus erträglicher macht. Er tut dies in einer Sprache von hoher Musikalität, von verstörender Derbheit und schillernder Schönheit zugleich. Elias, in seiner radikalen Bereitschaft, alles dranzugeben, ist ein wahrer Romantiker. Als seine große Liebe ihn verschmäht, beschließt er in einem wahnhaften Akt der Selbstbestimmung, sich das Leben zu nehmen – als einzige Möglichkeit, frei zu sein. Gerade weil der Autor seinen Helden der ganzen Wucht seines Schicksals ausliefert, ist es eine erschütternd zärtliche Geschichte.

Take-aways

  • Schlafes Bruder, erschienen 1992, war ein Sensationserfolg der deutschen Nachkriegsliteratur.
  • Inhalt: In einem österreichischen Bergdorf kommt 1803 der geniale Musiker Johannes Elias Alder zur Welt. Die Leute verkennen sein Genie, die Neider halten ihn klein, seine große Liebe Elsbeth verschmäht ihn. Nach seinem ersten öffentlichen Auftritt begeht er Selbstmord: Inspiriert von dem Bach-Choral Komm, oh Tod, du Schlafes Bruder will er nie wieder schlafen, denn wer schläft, liebt nicht.
  • Die wichtigsten Themen des Romans sind Glaube, Liebe und Hoffnung.
  • Schneider setzt der Religion die Musik als etwas wahrhaft Heiliges entgegen.
  • Schon in den ersten Sätzen des Romans wird die ganze Geschichte mitsamt ihrem tragischen Ende vorweggenommen.
  • Robert Schneider wuchs als Bergbauernkind in Vorarlberg auf. Sein Studium in Wien brach er ab, um Schlafes Bruder zu schreiben. 
  • 23 Verlage lehnten das Manuskript ab, Reclam verkaufte dann über 1,5 Millionen Exemplare.
  • Joseph Vilsmaier verfilmte 1995 den Stoff als großes Alpen-Epos.
  • Schneider konnte später nicht mehr an den Erfolg seines Debüts anknüpfen.
  • Zitat: „Das ist die Geschichte des Musikers Johannes Elias Alder, der zweiundzwanzigjährig sein Leben zu Tode brachte, nachdem er beschlossen hatte, nicht mehr zu schlafen.“

Zusammenfassung

Das letzte Kapitel

1912 verhungert Cosmas Alder, der letzte Bewohner Eschbergs. Man hat ihn längst tot geglaubt, umgekommen im „Dritten Feuer“, das am 5. September 1892 Eschberg verwüstete, zusammen mit weiteren zwölf Opfern aus den Familien der Alder und Lamparter. Nach seinem Tod tilgt die wuchernde Natur bald jede Spur und jeden Gedanken an das ausgebrannte Eschberg.

„Das ist die Geschichte des Musikers Johannes Elias Alder, der zweiundzwanzigjährig sein Leben zu Tode brachte, nachdem er beschlossen hatte, nicht mehr zu schlafen.“ (S. 9)

Bis zum Tod des letzten Alder haben sich die beiden Familien über Jahrhunderte hinweg vermischt. Aus all der inzuchtgeschädigten Nachkommenschaft sticht ein Kind von unerhörter Musikalität heraus, das am Johannistag 1803 zur Welt kommt: Johannes Elias Alder. Die Hebamme singt das zunächst leblose Baby durch ein Tedeum ins Leben. Ab seinem Taufschrei – in Wahrheit ein Jubelschrei, da das Kind erstmals die Orgel spielen hört – ist Elias seinen Eltern Seff und Agathe (auch die Seffin genannt) unheimlich, denn er hat „die gläserne Stimme“: Wenn er spricht, ertönt ein hohes, andauerndes Pfeifen. Außerdem hat er ein so feines Gehör, dass er selbst den fallenden Schnee hört.

„Nicht von ungefähr vergliche ein altes Wort Schlaf und Tod mit Brüdern. Wie, dachte er, könne ein Mann reinen Herzens behaupten, er liebe sein Weib ein Leben lang, tue dies aber nur des Tags und dann vielleicht nur über die Dauer eines Gedankens? Das könne nicht von Wahrheit zeugen, denn wer schlafe, liebe nicht.“ (über Elias, S. 9)

Mit fünf Jahren begleitet er seinen Vater an einen Bach und entdeckt dort einen vom Wasser glatt geschliffenen Stein, der ihn magisch anzieht. Als er allein dorthin zurückkehrt, widerfährt ihm eine wunderbare und zugleich gewaltsame Verwandlung: Sein Gehör erweitert sich um ein Vielfaches, sein Kinderkörper verändert sich in schrecklichen Krämpfen. Er hört den Donner seines Herzens und kann sogar die Schallwellen sehen. Dann hört er von fern den Herzschlag seines Vaters, seltsam versetzt zu seinem eigenen, das Schlagen Hunderter anderer Herzen und unzählige Geräusche; er kann das ganze Universum hören. Schließlich dringt der weiche Puls eines noch ungeborenen Eschberger Kindes an sein Ohr. Nach diesem Hörwunder ist Elias verändert: Sein Körper ist in die Pubertät eingetreten, seine Stimme tönt in vollem Bass. Seine Augen strahlen in einem gleißenden Gelb, was ihm den Spott von ganz Eschberg und den Spitznamen „Gelbseich“ einbringt. 

Das ihm vorbestimmte Herz

Von aller Welt gemieden hat Elias nur eine Person, die seine Nähe sucht: seinen kalten und nüchternen Cousin Peter Elias Alder. Der erkennt als Einziger Elias’ Genie und hält ihn eben deshalb unter Kontrolle. Elias ist dankbar für Peters Freundschaft, ja er liebt ihn und wird ihm hörig. Die Mutter behindert seine Entwicklung eher, malträtiert ihn mit Abreibungen, Aufgüssen und Umschlägen sowie Exorzismen, sie verfällt dubiosen Kulten aus Verzweiflung über ihr rätselhaftes Kind. Nur der Vater steht ihm in seiner wortkargen Art nahe. Schließlich kommt das Kind zur Welt, dessen Herzschlag Elias während des Klangwunders vernommen hat. Es ist Peters Schwester Elsbeth. Sie ist es, die Elias von Anbeginn an vorbestimmt ist. Elias spürt ihre Geburt als körperlichen Schmerz. Ihr Herzschlag ist der „Klang der Liebe“.

„Gott schuf einen Musikanten, ohne dass dieser auch nur einen einzigen Takt auf Papier setzen durfte (…). Die Menschen aber vollendeten in ihrer himmlischen Einfalt diesen – wir wollen es nicht anders bezeichnen – satanischen Plan.“ (S. 13)

In der Schule fällt der Gelbseich zwischen Wasserköpfen, Pockennarbigen und mongoloiden Kindern kaum auf. Mit seinem mächtigen Penis macht er die Eschberger Frauen ganz wirr. Während Elias in der Öffentlichkeit kein Wort mehr spricht, schreit er an jenem glatt geschliffenen Stein am Bach „alles hinaus, was es hinauszuschreien galt“ und „schleift“ an seiner Stimme. Dabei spricht er in der Frequenz der Tiere, die sich ihm ohne Angst nähern. Außerdem lernt er, fremde Stimmen täuschend echt nachzuahmen. Mit zwölf wird er Blasebalgtreter an der Orgel. Indem er den Organisten beobachtet, bringt er sich selbst das Orgelspielen bei. Kurz vor Weihnachten lässt er sich nachts in der Kirche einschließen. Allein mit sich und der Orgel fühlt er sich frei – was ihn zu Tränen rührt. Während er zu spielen beginnt und ganz natürlich ins Komponieren verfällt, steht draußen Peter. Dessen Vater hat ihm zur Strafe für einen nichtigen Mundraub den Arm gebrochen, und Peter sinnt auf Rache.

Das "Erste Feuer"

Während der Christmette zerreißt Elias’ Schrei die Andacht: Es brennt! Elias weiß, dass Elsbeth krank im Bett liegt, und bricht durch das Dach zu ihrer Schlafkammer durch. Als er sie in seine Arme nimmt und hinausträgt, liegen ihre Herzen aneinander und vereinen sich in einem einzigen Puls. Unerträglich schmerzhaft spürt Elias jenen Herzschlag, den er als Fünfjähriger gehört hat, und er verliebt sich schicksalhaft in seine Cousine. Derweil brennt das „Erste Feuer“ – von Peter gelegt – das halbe Dorf nieder. Menschen kommen zu Tode, die Existenz vieler Bauern ist zerstört, und Elias’ Rufen lockt kein einziges Tier mehr herbei. Obwohl niemand die Verleumdungen glaubt, der Dorfschnitzer habe das Feuer gelegt, wird dieser gelyncht. Aus den schrillen Stimmen der Mörder hört Elias voller Schmerz seinen Vater als Rädelsführer heraus. Auch weiß er, dass Peter das Feuer gelegt hat, verrät ihn aber nicht.

Elsbeth und der Frühling

1820 kommt ein Wanderprediger, ein Apostel der Liebe, durchs Dorf und bläut den Leuten ein, sie dürften nicht mehr schlafen, denn wer schlafe, liebe nicht. Elias wacht daraufhin ganze Nächte durch, immer im Gedanken an Elsbeth. Mit 19 Jahren lebt er im Körper eines 40-Jährigen. Dabei bleibt er nervös wie in Jugendtagen, und verglichen mit den anderen Eschbergern ist er geradezu schön. Nach außen hin legt er sich einen seltsam gezierten Gang zu, der die innere Welt seiner leichtfüßigen, grazilen Kompositionen abbildet. Viele Nächte verbringt er auf der Orgelempore, und Peter – heimlich in ihn verliebt – wird sein Balgtreter. Das verstimmte Instrument kann Elias’ Ansprüche an den perfekten Klang indes nicht erfüllen, und so zerlegt er es in einer Nachtaktion und restauriert alle Pfeifen und Register. Er will die Seele der Orgel heilen – mit fatalen Folgen: Das Instrument verzeiht nun keine Fehler mehr, weshalb sich der mittelmäßige Organist aus Scham zuerst bewusstlos säuft und dann das Leben nimmt. So wird Elias am Ostermorgen zum Organisten von Eschberg, und man überträgt ihm auch gleich noch das Amt des Dorflehrers. Diese Rolle füllt er hingebungsvoll aus. Die Kinder lieben ihn.

„Was Elias gehört und geschaut hatte, vergaß er, aber den Klang des ungeborenen Herzens nicht mehr. Denn es war das Herzschlagen jenes Menschen, der ihm seit Ewigkeit vorbestimmt war. Es war das Herz seiner Geliebten.“ (S. 38)

Elsbeth träumt sehnsüchtig von einem Fremden, der sie küsst. Dabei verkennt sie, dass mit Elias ein Fremdling anderer Sorte an ihr interessiert ist – einer, der ihr womöglich ein anderes Leben als das der Bäuerin und Mutter bescheren könnte. Er musiziert nur für sie, erschafft eine Musik von solcher Schönheit, dass die Eschberger ganz gesittet werden und selbst die Seffin wieder die Lieder ihrer Jugend singt. Elias führt Elsbeth an seinen Lieblingsplatz, den Stein am Bach. Er erörtert ihr seine Theorie, dass man von hier in den Himmel aufsteigen könne, und spricht zu ihr vom Gleichklang ihrer Herzen. Ihren staunenden Blick hält er für Verliebtheit – ein grausamer Irrtum, der seine leidenschaftliche Liebe ins Unermessliche steigert. Peter hat die Szene beobachtet und ersinnt einen finsteren Plan. Er will Elsbeth mit Lukas Alder zusammen- und den liebeskranken Elias auf andere Gedanken bringen.

Höriger Komplize in Peters bösem Spiel

Aus Peter ist ein sadistischer, hinterhältiger Jungbauer geworden. Körperlich ist er durch seinen verkrüppelten Arm gezeichnet, sein Wuchs ist klein geblieben. Er hat schöne Augen, die jedoch abgründig schimmern. Elias ist sich bewusst, dass seine Treue ihn zum Komplizen von Peters Bosheiten macht, aber er will den Freund nicht verlieren. Eines Nachts lässt er sich von Peter in den Wald locken. Mit verstellter Stimme verführt Elias eine Frau des Dorfes dazu, sich nackt auszuziehen, sich die Haare zu scheren und sich wie eine Sau im Dreck zu suhlen. Er steht ganz unter Peters Einfluss, und auch körperlich kommt dieser ihm nahe. Elias ist danach von Schuldgefühlen zerfressen, für die er beim Orgelspiel Vergebung sucht. Er verändert sich, spielt gegen die Gesetzmäßigkeiten der Musik, sucht Sündiges und Verbotenes. Wo er zuvor naiv war, hat er nun eine dämonische Kraft.

„Dass Elias unverdorben blieb in all dem dörflichen Schmutz von Mutmaßungen, Lügen und Verleumdungen, ist allein dem Wesen seines Herzens zuzuschreiben. Es war gut. Es hatte die Kraft zu hoffen.“ (S. 53)

Elias verzehrt sich so sehr nach Elsbeth, dass es ihn krank macht. Seff nutzt die Intimität des Krankenbettes, um ihm zu beichten. Dass sein Sohn in für einen gemeinen Mörder hält, schmerzt ihn. Die beiden schließen Frieden. Kurz darauf erleidet Seff einen Schlaganfall, der ihn für den Rest seines Lebens halbseitig lähmt und ihn stumm macht. So wenig, wie Vater und Sohn ihre Zuneigung in Worte fassen können, so wenig mag Elias Elsbeth seine Liebe gestehen. Als das Gerücht kursiert, Elsbeth würde bald den Lukas heiraten, gibt er auf. Verschlossen sitzt er neben ihr, als sie eines Tages gemeinsam ins Städtchen Götzberg fahren. Er verweigert sich Elsbeth und der ganzen Welt. Sie hängt derweil ihren eigenen Gedanken nach und stellt sich vor, wie es wäre, von Elias einen Heiratsantrag zu bekommen. Ob er sie wohl liebt? Würde er sich einen Ruck geben, würde sie ihn schon wollen. Plötzlich wird sie ohnmächtig, und als Elias sie auffängt, liegen zum zweiten Mal ihre beiden Herzen aufeinander. Wieder durchfährt Elias ein unerträglicher Schmerz, der seine Abkehr Lügen straft. Ohne Elsbeth wird er nicht leben können. So will er ihr nun doch seine Liebe gestehen, vorsichtig und Schritt für Schritt. Doch er hat die Rechnung ohne Lukas gemacht. Elsbeth ist von diesem schwanger, und so bleibt Elias nur die Ehre, auf ihrer Hochzeit mit Lukas die Orgel zu spielen.

Elias schreit Gott in sich zu Tode

Länger schon hat Elias an Gott gezweifelt. Nun geht er hin und „schreit Gott in sich zu Tode“. Warum lässt dieser ihn so leiden? Warum hat Gott solche Qualen erschaffen, ihn mit solchen Augen gestraft, ihm eine solch unglückliche Liebe eingegeben? Elias verflucht Gott und macht sich schließlich von ihm frei: Nicht mehr dessen Wille soll geschehen, sondern der von Johannes Elias Alder, selbst wenn das seinen Untergang bedeutet. Elias hat mehrfach das Gefühl, nicht allein im Eschberger Kirchlein zu sein. Er spürt eine seltsame Wärme und hört einen spukhaften Ton. In einer der Bänke sieht er ein zerlumptes Kind sitzen, das Spuren von Misshandlung trägt. Als er näher kommt, sieht er, dass das halbnackte Kind keinen Bauchnabel hat. Er erkennt das Kind als Gott und bittet um die ewige Ruhe, dann bricht er zusammen.

„Gott ist stärker, denn er liebt alles Unrecht unter der Sonne.“ (S. 95)

Als man ihn am nächsten Morgen findet, haben seine Augen ihre natürliche grüne Farbe zurückgewonnen, und seine Mutter erzählt, der Vater sei in der Nacht für eine halbe Stunde trotz Lähmung aufgestanden und habe gesprochen. Danach verspürt Elias keine Sehnsucht mehr nach Elsbeth. In vollkommener Erschöpfung lässt er sich gehen. Weil aber selbst Hoffnungslosigkeit besser auszuhalten ist als Leidenschaftslosigkeit, will er sich doch noch einmal zum Lieben aufraffen. Damit durchkreuzt er indes den Plan Gottes, der ihn von der Liebe befreit hat, auf dass er leben könne. Gott hat ein Einsehen gehabt und wollte Elias erlösen, doch der stürzt sich geradewegs in seinen Untergang.

Kömm, o Tod, du Schlafes Bruder

Auf Einladung des Domorganisten von Feldberg, der in Eschberg die Orgel besichtigt und dabei Elias’ Talent entdeckt hat, reisen Elias und Peter zum jährlichen Orgelfest. Elias’ mongoloider Bruder Philipp will ihn nicht gehen lassen, als ahne er Böses. Abgerissen und verwahrlost tritt Elias unter die herausgeputzten Orgelschüler von Feldberg. Da er als Vorletzter an die Reihe kommt, hat er Zeit, am Vorspiel der anderen zu studieren, was sich hinter Begriffen wie Choralbearbeitung, Präludium und Fuge verbirgt, denn Notenlesen hat er nie gelernt, Musiktheorie schon gar nicht. Als er dran ist, muss man ihm den Bach-Choral Kömm, o Tod, du Schlafes Bruder erst einmal vorspielen. Dann aber improvisiert Elias meisterlich über die Melodie, spielt siebenstimmig und mit irrsinniger Fußgeschwindigkeit und übersetzt die Bedeutung des Textes und seine eigene Verzweiflung in Musik. Sein Spiel wird zur Predigt, und er wird von den Zuhörern verstanden. In seinem Spiel lehnt er sich gegen Gott und sein Dasein auf, dann vereinigt ihn die Musik mit Elsbeth: Er hört auf einmal ihren Herzschlag wieder. In seiner zweistündigen Darbietung verausgabt sich Elias komplett und fasst schließlich einen radikalen Entschluss.

„Mit dem letzten Quentchen seines begrenzten Willens entschied er sich für Elsbeth und somit gegen sein musikalisches Genie. Weil ihm aber das Genie von Gott gegeben, entschied er sich gegen Gott.“ (S. 96)

Mit Peter wandert er zurück nach Eschberg. Kurz vor dem Dorf biegt er ab zu seinem Platz auf dem Stein am Bach. Während seines Orgelkonzerts hat Elias begriffen, dass er Elsbeth immer nur halb geliebt und dass Gott sie ihm deshalb auch nicht gegeben hat. Wie nämlich kann jemand ganz und gar lieben, der einen Großteil jedes Tages verschläft? Im Schlaf kann man nicht lieben, und so hat Elias entschieden, nie mehr zu schlafen. Er fordert von Peter, dass der ihm bei seinem Selbstmord durch Schlafentzug hilft, aber niemandem etwas verrät. Über Tage hinweg hält der Freund ihm die Treue, versorgt ihn mit Tollkirschen und anderen Rauschmitteln, bindet ihn an einen Baum, taucht ihn ins kalte Wasser. Elias hat Halluzinationen, wandert und verirrt sich, und als er schon nicht mehr sprechen kann, tauchen plötzlich die Tiere des Waldes auf: Elias redet noch immer, aber in der Frequenz der Tiere. Nach über einer Woche, am 9. September 1825 stirbt er an einer Überdosis Tollkirschen.

Cosmas Alder, der letzte Eschberger

Peter bestattet seinen Geliebten im Unterholz und kehrt geläutert zurück. Er erlebt das „Zweite Feuer“, in dem Seff Alder ums Leben kommt. Danach folgen die Menschen Gottes Willen und ziehen aus Eschberg fort. Nur 13 Sturköpfe, unter ihnen Cosmas Alder, bleiben im Dorf zurück. Cosmas ist der Erstgeborene von Elsbeth, die etwa neun Jahre nach Elias’ Tod mit ihren sechs Kindern einen Spaziergang unternimmt und entdecken muss, dass der Stein am Bach verschwunden ist. Auf Cosmas’ Frage, was Liebe bedeute, weiß sie keine Antwort.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Roman ist präzise durchkomponiert. Die Handlung springt mit Vorgriffen und Rückblenden zwischen 1800 und 1912 hin und her. Berühmt geworden ist der erste Satz, der wie in einer Nussschale die ganze Geschichte enthält. „Das letzte Kapitel“ steht gleich zu Beginn und erschließt sich in seiner ganzen Tragweite nach dem Abschluss der Lektüre. Das längste Kapitel, „Elsbeth und der Frühling“, markiert genau die Mitte der Erzählung und enthält doch schon deren Ende. Der allwissende Erzähler mischt sich in der Wir-Form und mit bissiger Ironie kommentierend ins Geschehen ein und zürnt Gott und der Welt ob Elias’ schändlichen Schicksals. Er ergreift Partei für Elias und bewahrt die Geschichte dieses verkannten Genies für die Nachwelt, zugleich erzählt er von einer untergegangenen Welt aus einer fernen Zeit. Der Wortkargheit der Bergbauern angemessen gibt es kaum Dialoge, dafür seitenweise skurrile Anekdoten. Elias’ Verwandlungen erhalten großen Raum; hier versucht die Sprache, den Klang des Universums und der Musik abzubilden. Ansonsten ist sie erdig und gekünstelt zugleich, altertümelnd und dennoch innovativ, mit zahlreichen Anleihen beim Vorarlberger Dialekt.

Interpretationsansätze

  • Schlafes Bruder etabliert die Musik als das wahrhaft Heilige im Gegensatz zur Religion. Elias ist ihr Vertreter auf Erden. Der Text bildet Musik in der Sprache ab und ist an diesen Stellen vollkommen frei von Ironie, während Beschreibungen von Klerus und Kirchgängern mit bissigem Sarkasmus Doppelmoral und Falschheit entlarven. Darin ist eine scharfe Religions- und Zivilisationskritik enthalten.
  • Im ewigen Kampf gegen die Natur fristen die Bergbauern ihr karges Dasein in steter Bedrohung. Nach drei Feuersbrünsten geben die Menschen ihr Dorf auf, das im Moment des Erzählens längst verschwunden ist. Elias, das Naturgenie, hat dagegen einen intuitiven Zugang zur Natur und steht mit dem Universum in Kontakt. Dies macht ihn zum Außenseiter.
  • Das Herz ist das wichtigste Motiv des Romans. Dies beginnt mit der Widmung „Pascales Herzschlagen“ und zieht sich leitmotivisch durch den gesamten Text. Das Herz als Gegengewicht zum Verstand und zu den niederen Instinkten wie Neid oder Sadismus ist klar mit Elias assoziiert und seine entscheidende Verbindung zur geliebten Elsbeth.
  • Das Dreieck Glaube, Liebe, Hoffnung ist der bestimmende Themenkomplex, um den der Roman beharrlich kreist. Im Lauf seines Lebens nähert sich Elias erst Gott an und verbannt ihn schließlich. Die Liebe ist das bestimmende Element seines Lebens und bleibt ihm doch verwehrt. Die Beziehungen zu seinem Vater, dem behinderten Bruder und zu Peter bleiben hinter seiner eigenen Empfindsamkeit zurück, und Elsbeth bekommt er nie. Nach Jahren steten Hoffens lässt er alles fahren und wählt aus eigenem Willen den Tod.
  • Schneider spielt in postmoderner Weise mit Struktur, Sprache und Motiven. Das Sujet und die Sprache des Romans passen in kein gängiges Raster. Dialektale Ausdrücke stehen neben Neuprägungen. Er zeigt eine derbe, altertümliche Welt, die den Traditionen des religiösen Jahreskreises folgt, zugleich immer ironisch gebrochen ist und ihre Künstlichkeit nicht verheimlicht. Und der allwissende Erzähler ist sich in Gottes Gegenwart seiner Sache dann doch nicht hundertprozentig sicher.

Historischer Hintergrund

Vorarlberg zwischen Donaumonarchie und Moderne

Mit dem Ersten Weltkrieg endete das Habsburgerreich. Die Identitätskrise des nunmehr kleinen Österreichs spiegelte sich in der Literatur: Joseph Roth stimmte den Abgesang auf die Monarchie an, Robert Musil schrieb den Mann ohne Eigenschaften. Sozialdemokratische wie auch konservativ-religiöse Strömungen erstarkten, die Wirtschaftskrise verhärtete Fronten, führte aber auch zu einer Blüte der sozialkritischen Literatur und des politischen Kabaretts. Franz Werfel, Ödön von Horváth und Stefan Zweig schufen große Werke. Der Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich 1938 zwang viele Künstler und Intellektuelle in die Emigration – ein Braindrain, von dem sich die Kultur lange nicht erholte.

Nach 1945 sah sich Österreich als erstes Opfer Hitlers und arbeitete die eigene Geschichte kaum auf. Die Kulturszene war geprägt von Spannungen zwischen ehemaligen Nazianhängern und innovativen Kräften wie der Gruppe 47 um Ilse Aichinger, Ingeborg Bachmann, Paul Celan und Erich Fried. Letztere produzierten eine frische deutsche Literatur, die kunstvoll Traditionelles – etwa Mundartdichtung – integrierte und mit Motiven wie Tod und Außenseitertum arbeitete. Seither kennzeichnet Sprachskeptizismus ebenso wie Freude am Sprachspiel die österreichische Literatur, zu sehen bei Ernst Jandl oder Friederike Mayröcker. Die Politik war ab den 1950er-Jahren von einem Konsens zwischen Volkspartei und Sozialdemokraten beherrscht; ab 1971 baute die SPÖ das Land zum wirtschaftsstarken Sozialstaat aus, mit Bundeskanzler Bruno Kreisky als Symbolfigur für Modernisierung und Offenheit. Autoren wie Peter Handke und Thomas Bernhard prägten die deutsche Literatur dauerhaft. Ab 1986 kämpfte eine Koalitionsregierung gegen die Wirtschaftskrise, und die Waldheim-Affäre zwang zur Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit.

Nach Vorarlberg, ganz im Westen Österreichs, wanderten nach dem Zweiten Weltkrieg deutsche Heimatvertriebene ein, gefolgt von Gastarbeitern aus Jugoslawien und der Türkei. Die Textilwirtschaft lieferte ihre Produkte traditionell über den Alpenrhein ins schweizerische St. Gallen, in dessen Einflussbereich Vorarlberg gelegen hatte, bis es 1815 endgültig zu Habsburg gekommen war – eine damals dünn besiedelte Gegend, die sich erst mit Industrialisierung, Bahnbau und Rheinregulierung bevölkerte. Die Geografie – offen zur Schweiz und zum Bodensee, dagegen hohe Berge im Osten – prägte auch die Sprache: Man sprach Alemannisch, verwandt mit deutsch-schweizerischen, südbadischen und Allgäuer Dialekten.

Entstehung

Robert Schneider brach 1986 sein Studium ab, um Schlafes Bruder zu schreiben. Er war gewieft in der Akquise von Literaturstipendien und schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch, unter anderem als Dorforganist. Als Einflüsse nannte er die österreichische Literatur von vor 1945, darüber hinaus sind Parallelen zwischen Roman und Leben augenfällig: Schneider siedelte die Handlung in seiner Heimatregion an, dem Alpenrheinischen bei Götzis, und entlehnte viele Ausdrücke aus dem dortigen Dialekt. Er gestand ein, dass er mit lebenden Vorbildern gearbeitet habe und sein Buch auch eine Abrechnung gewesen sei. Die Rückständigkeit der Bergbewohner, ihre Sprachlosigkeit und Ignoranz gegenüber außergewöhnlichem Talent kannte er aus seinem eigenen Umfeld. Als Adoptivkind wusste er nicht um seine Herkunft und konnte dieser Fremdheit etwas Magisches abgewinnen, während er darunter litt, dass es daheim keine Bücher oder Musik gab. Bis er die Welt der Musik entdeckte und sich schließlich selbst an die Orgel setzte, hatte sein Heimatort Meschach, ebenso wie das fiktive Eschberg, nur einen miserablen Organisten. Zugleich musste sich Schneider, der in Wien Zwölftonmusik bei einem Schüler von Karlheinz Stockhausen studierte, immer gegen das Klischee des Bergbauerntölpels wehren. Zwei Jahre lang schickte er sein Manuskript an Verlage und kassierte über 20 Absagen, bevor der Reclam-Verlag das Werk publizierte.

Wirkungsgeschichte

Schlafes Bruder erschien 1992 und wurde vollkommen überraschend innerhalb kürzester Zeit zu einem der erfolgreichsten deutschsprachigen Bücher der Nachkriegszeit. Schneider unterstützte die Vermarktung durch selbst gestaltete Werbung für 2000 Mark. Die Leser liebten das Buch, das rund 200 Mal rezensiert und in knapp 40 Sprachen übersetzt wurde. Die Kritik war sich uneins. Mittlerweile gehört es zum Kanon der deutschsprachigen Schullektüren. Schon 1995 verfilmte Joseph Vilsmaier den Stoff, Schneider schrieb das Drehbuch und übernahm sogar eine kleine Rolle (als Kutscher). Der Film, der für einen Golden Globe nominiert wurde, inszenierte die Geschichte als derbes Alpendrama mit einem Soundtrack von Hubert von Goisern. In seinem Kielwasser knackten die Buchverkäufe die Millionengrenze. Ein Jahr später kam Schlafes Bruder in Zürich auch als Oper auf die Bühne, es folgten Bearbeitungen als Theaterstück und Ballett. Schneider erhielt mehrere Preise. Im Literaturbetrieb trat er selbstbewusst fordernd auf und hielt die Stellung von Autoren und der Literatur als solcher gegenüber Verlagen und Kritikern hoch, was ihm viel Gegenwind einbrachte. Sein nächstes Buch, Die Luftgängerin, wurde von der Literaturkritik spektakulär verrissen, und er konnte niemals wieder an den Erfolg seines Erstlings anknüpfen. Die Tantiemen erlaubten ihm jedoch, längere Zeit in New York zu leben und Schauplätze für seinen dritten Roman, Die Unberührten, zu erkunden.

Über den Autor

Robert Schneider wird am 16. Juni 1961 in Bregenz geboren. Im Alter von zwei Jahren adoptiert ihn das Bergbauern-Ehepaar Schneider. Mit drei Adoptivgeschwistern wächst er in Meschach auf, einem Dorf mit 60 Einwohnern in der Nähe von Götzis. Mit 20 geht er nach Wien zum Studium der Komposition, Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte. Das bricht er 1986 ab, um als freier Schriftsteller zu arbeiten. Sein Debüt Schlafes Bruder wird 1992 zu einer Sensation. Schneider schlägt die Anlageempfehlungen seiner Freunde in den Wind und verwirklicht sich Kindheitsträume, etwa einen roten 56er-Corvette-Sportwagen. Vor seinem Elternhaus legt er einen Skulpturenpark mit Figuren aus seinem Roman an. Sein Theaterstück Dreck wird 1993 am Hamburger Thalia-Theater aufgeführt und zum meistgespielten Stück der Saison; die Zeitschrift Theater heute kürt ihn zum Nachwuchsdramatiker des Jahres. Schneiders zweiter Roman Die Luftgängerin (1998) macht weniger wegen seiner literarischen Qualität Furore, sondern vielmehr aufgrund von Schneiders forderndem Auftreten im Literaturbetrieb. Die Kritik ist vernichtend. Zwei Jahre später erscheint der dritte Teil seiner „Rheintalischen Trilogie“, Die Unberührten. Es folgen vier weitere Romane (Der Papst und das Mädchen, Schatten, Kristus, Die Offenbarung) und ein Theaterstück fürs Schauspielhaus Zürich. Ab 2007 veröffentlicht Schneider keinen wichtigen Text mehr und verlegt sich stattdessen auf die Dokumentarfilmerei. Mit Ende 40 kreuzt die Liebe den Weg des eingefleischten Junggesellen: Zurückgezogen aus der Öffentlichkeit lebt er heute mit seiner Frau Christina, einer Langstreckenpilotin, wieder in seinem Elternhaus und kümmert sich vornehmlich um den Garten und seine drei Kinder.

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