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Sohn dieses Landes

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Sohn dieses Landes

Kein & Aber,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
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Was ist drin?

Schwarz gegen Weiß gegen Rot: die Farbpalette rassistischer und politischer Vorurteile im Chicago der 1930er-Jahre.


Literatur­klassiker

  • Roman
  • Naturalismus

Worum es geht

Richard Wright greift in Sohn dieses Landes die Gewalt auf, die aus den Machtverhältnissen in der amerikanischen Gesellschaft erwächst. Die jüngsten politischen Entwicklungen in den USA verleihen diesem 1940 erschienenen Roman eine brennende Aktualität. Öffentliche Ruhe fußt auf Vertrauen, heißt es im Roman, und dieses Vertrauen gab es damals so wenig wie heute. Bigger Thomas, der gebeutelte Held des Romans und verstoßene Sohn dieses Landes, bleibt als literarische Figur im Gedächtnis eingebrannt: in seiner Brutalität und Tatkraft, seiner Überforderung und Naivität, Angst und Unerschrockenheit und in seiner kurzsichtigen Selbstüberschätzung. Wright verlangt den Lesern einiges ab: die Identifikation mit einem Vergewaltiger und Mörder. Knapp 600 Seiten lang präsentiert sich die Welt aus der Sicht eines ungebildeten und sozial benachteiligten Schwarzen. Normal ist, was Bigger als normal empfindet, und entsprechend brutal ist der Text an ein paar Stellen – nichts für Zartbesaitete.

Take-aways

  • Sohn dieses Landes ist eines der wichtigsten Bücher über die Rassenbeziehungen in den USA.
  • Inhalt: Der junge Schwarze Bigger Thomas tötet die Tochter seines weißen Arbeitgebers. Er beseitigt die Leiche, wird aber als Täter identifiziert. Es beginnt eine beispiellose Menschenjagd, getrieben von Angst, Rassenhass und Rachsucht. Biggers kommunistischer Verteidiger versucht, wenigstens eine lebenslange Haft herauszuschlagen, indem er die Tat als systembedingt erklärt. Vergebens: Das System sieht die Todesstrafe vor.
  • Das Buch erschien 1940 und wurde über Nacht zum Bestseller, es übertraf sogar John Steinbecks Früchte des Zorns.
  • Richard Wright schöpfte aus der Quelle eigener Erfahrungen als Sohn befreiter Sklaven in den Südstaaten.
  • Wright, selbst zeitweise Kommunist, thematisiert im Buch amerikanischen Rassismus und Antikommunismus.
  • Der Roman erklärt schwarze Gewalt als Folge gesellschaftlicher Machtverhältnisse.
  • In den 50er-Jahren prägte Wright das Schlagwort „Black Power“.
  • Orson Welles adaptierte den Stoff 1941 für den Broadway. In der Verfilmung von 1951 übernahm Wright selbst die Hauptrolle.
  • Eine aktuelle Neu-Adaption von HBO (2019) endet nicht auf dem elektrischen Stuhl, sondern sehr zeitgemäß mit einem „police killing“.
  • Zitat: „Angst, Hass und Schuld sind die Schlüssel zu dieser Tragödie!“

Zusammenfassung

Die neue Stelle

Bigger Thomas bewohnt mit seiner Mutter, seinem Bruder Buddy und seiner Schwester Vera ein einzelnes Zimmer mit zwei Betten in der South Side von Chicago. Seine erste Tat des Tages: mit der Pfanne eine Ratte erschlagen. Dann geht er mit einem Freund ins Kino. Sie masturbieren im Dunkeln und sehen in der Wochenschau Aufnahmen von Mary Dalton, einer Tochter der gehobenen Gesellschaft, bei deren Familie Bigger am Abend als Chauffeur anfangen soll. Biggers Clique hat bisher nur kleine Ladendiebstähle begangen. Nun wollen sie erstmals ein weißes Geschäft angreifen – Tabubruch und Herausforderung zugleich. Bigger ist die treibende Kraft, doch seine Nervosität und Aufregung arten in einer gewalttätigen Auseinandersetzung aus, sodass der gemeinsame Raub nun nicht durchgeführt wird.

„Und am Ende der Straße, die du gehst, Junge, da steht der Galgen.“ (Biggers Mutter, S. 17)

Abends tritt Bigger bei Familie Dalton seine Stellung als Chauffeur an. Er betritt zum ersten Mal die einschüchternde Welt der Weißen, eine Welt mit Teppichen und Gemälden, gedämpftem Licht und Klaviermusik. Die Daltons präsentieren sich freundlich und philanthropisch, was Bigger außerordentlich befremdet. Mr. Dalton bietet ihm mehr Lohn, als er müsste. Die Arbeitsbedingungen scheinen vorteilhaft: Bigger soll die Familienangehörigen chauffieren und ist für den Betrieb der Heizung zuständig. Mrs. Dalton ist blind und streicht wie ein Gespenst in wallenden Kleidern, mit weißem Haar und in Begleitung einer weißen Katze durchs Haus.

Totschlag

Abends soll Bigger Mary zur Universität fahren. Doch sie hat andere Pläne und will den Abend mit ihrem Freund Jan Erlone, einem Kommunisten, verbringen. Jan übernimmt das Steuer und die drei fahren durch Chicago. Mary und Jan verhalten sich auf eine Art distanzlos, die Bigger verunsichert und deshalb auch wütend macht. Er soll ihnen ein Schwarzenlokal auf der Südseite empfehlen und dann auch noch mit ihnen dort einkehren, unter den peinlichen Blicken seiner Freunde und seines Mädchens Bessie. Alle trinken zu viel Alkohol. Bigger kutschiert das heftig schmusende Paar eine Weile durch die Stadt und setzt Jan schließlich ab.

„Wenn etwas von ihm verlangt wurde, sträubte er sich. Das war seine Art zu leben, und er verbrachte seine Tage damit, die mächtigen Impulse einer Welt, die er fürchtete, zu bezwingen oder zu befriedigen.“ (über Bigger, S. 61)

Mary ist so betrunken, dass sie nicht mehr allein in ihr Zimmer findet. Bigger begleitet sie notgedrungen. Die beiden küssen sich. Plötzlich steht die blinde Mutter im Zimmer und ruft nach Mary. Bigger gibt sich nicht zu erkennen, sondern hält Mary panisch den Mund zu. Als Mrs. Dalton das Zimmer endlich wieder verlässt, hat Bigger Mary versehentlich erstickt. Er muss die Leiche beseitigen. Das Beste, was ihm einfällt, ist, sie in einem Koffer in den Keller zu schleppen und dort im enormen Heizofen zu verbrennen – doch sie passt nicht ganz hinein. Da er sie mit den Füßen voraus in die Feuerkammer geschoben hat, muss er ihr mit der Axt den Kopf abhacken, um die Luke schließen zu können. Er bedeckt den Leichnam mit Kohlen und geht nach Hause. Auf dem Heimweg legt er sich Erklärungen zurecht: Er wird behaupten, Jan sei der Letzte, der Mary gesehen habe. Bigger legt sich ins Bett und schläft.

Flucht

Zunächst glauben die Daltons, die rebellische Mary sei abgehauen. Bigger verwischt alle Spuren und verhält sich unauffällig. Er entwickelt den Plan, eine Entführung vorzutäuschen und von den Daltons 10 000 Dollar Lösegeld zu erpressen. Als er Bessie in den Plan einweiht, ahnt sie, dass Bigger Mary etwas angetan haben könnte, und stellt kritische Fragen. Schließlich willigt sie jedoch ein, ihm zu helfen.

„Sein Verbrechen war ein Anker, der ihn sicherte im Strom der Zeit, es gab ihm ein Gefühl der Zuversicht, das weder sein Revolver noch sein Messer ihm geben konnten.“ (über Bigger, S. 142)

Mr. Dalton engagiert den Privatdetektiv Britten, der aus einer antikommunistischen Haltung heraus Jan für Marys Verschwinden verantwortlich macht. Bigger kann eine halbwegs glaubwürdige Geschichte des fraglichen Abends bieten und erwehrt sich jeglicher kommunistischer Verdächtigungen. Es steht das Wort eines Schwarzen gegen das eines „Roten“. Jans Versuche, Marys Verhalten vom letzten Abend zu decken, enden damit, dass er sich noch verdächtiger macht. Die ganze Zeit faucht und bullert im Hintergrund der Ofen.

„Sie war für ihn kein Mensch aus Fleisch und Blut. (…) Der Mord an ihr schien ihm mehr als ausreichend gerechtfertigt durch die Angst und Scham, die er in ihrer Gegenwart empfunden hatte.“ (über Mary und Bigger, S. 153)

Zurück bei Bessie schreibt Bigger seinen Erpresserbrief und unterzeichnet mit „ein Roter“. Die Übergabe soll an einem verlassenen Haus in der South Side stattfinden. Bessie findet das alles andere als idiotensicher. Weil sie seinen Plan nicht unterstützt, überlegt Bigger, sie aus dem Weg zu schaffen. Statt zu fliehen, kehrt er immer wieder an den Tatort zurück, wo bald schon Reporter den Hintereingang und die Küche belagern.


„Die Neger wollen in Ruhe gelassen werden, und diese Roten zwingen sie, mit ihnen gemeinsame Sache zu machen.“ (ein Reporter, S. 282)

Mr. Dalton wendet sich über die Presse an die vermeintlichen Entführer. Die Journalisten rücken Bigger auf die Pelle. Ihre Anwesenheit hindert ihn daran, die Asche aus dem Ofen zu räumen. Erst zieht er nicht mehr, dann ist die Küche voller Qualm – und schließlich fischt einer der Journalisten ein Knöchelchen aus dem Aschehaufen und bald auch einen Ohrring und die Axtklinge. Jetzt sucht Bigger das Weite und stürzt sich aus der überhitzten Küche in die klirrend kalte Nacht. Er versteckt sich mit Bessie in einem verlassenen Haus. Sie will sich ihm nicht hingeben, also vergewaltigt er sie. Weil sie zu viel weiß und in seinen Plänen keinen Platz mehr hat, erschlägt er sie mit einem Ziegelstein und wirft sie mehrere Stockwerke hinab in einen Lichtschacht. Zu spät fällt ihm ein, dass sie all sein Geld in der Tasche hat und er seine Flucht jetzt mit nur sieben Cent bestreiten muss.

Menschenjagd

Am nächsten Morgen kämpft sich Bigger durch den Schnee, um eine Zeitung zu klauen: Die Presse verbreitet, er habe Mary nicht nur ermordet, sondern auch vergewaltigt – eine Tat, auf die die Todesstrafe steht. Es kommt zu Ausschreitungen und Angriffen auf Schwarze. Und es beginnt eine beispiellose Menschenjagd. Die Polizei durchkämmt Straße für Straße, Haus um Haus. Systematisch wird jedes Fahrzeug, das den „schwarzen Gürtel“ der Stadt verlässt, kontrolliert. Bürgerwehren werden gebildet, mehrere Hundert Neger, die Bigger ähnlich sehen sollen, sitzen in Untersuchungshaft, Hunderte sind aus ihren Stellungen bei Weißen entlassen worden. Alle Ausfallstraßen sind durch starken Schneefall blockiert. Bigger findet Zuflucht in verschiedenen leeren Wohnungen bewohnter Blocks.

„Er hatte zwei Morde begangen und sich eine eigene Welt geschaffen.“ (über Bigger, S. 316)

Das Netz zieht sich zusammen. Bigger hört die Verfolger in der Nachbarschaft und flüchtet aufs Dach. Doch auch dort wird er gefunden. Zwar knüppelt er einen Verfolger nieder, doch am Ende hockt er ausweglos auf einer Zisterne und wird mit Wasserwerfern regelrecht heruntergeschossen. An den Füßen zieht man ihn durch die Dachluke und über mehrere Treppen hinunter, sein Kopf schlägt auf jeder Stufe auf. Dann liegt er draußen im Schnee und verliert endlich das Bewusstsein.

Untersuchung

Bigger spürt, dass das Todesurteil gegen ihn bereits gefallen ist, und ergibt sich seinem Schicksal. Die Wärter versorgen ihn mit der Tagespresse. Bigger wird dort als Affe und Tier bezeichnet und seine Familie wird diskreditiert. Ein Journalist aus Mississippi plädiert für die fortgesetzte Rassentrennung und kritisiert die laxe Haltung im Norden. Jan, der um Mary trauert, vergibt Bigger seine Tat. Sein Verständnis für Biggers Situation erschüttert Biggers Haltung ihm gegenüber in ihren Grundfesten. Auf der Straße brüllt der Mob und ist bereit zum Lynchmord.

„Zwei Männer breiteten seine Arme aus, als wollten sie ihn kreuzigen. Sie traten ihm mit den Füßen auf die Handgelenke und drückten sie tief in den Schnee. Seine Augen schlossen sich, und um ihn wurde es dunkel.“ (über Bigger, S. 354)

Jan ist bemüht, Bigger einen Anwalt von der kommunistischen Arbeiterrechtshilfe, Boris Max, zu vermitteln. Doch Bigger weiß nicht, wem er trauen kann. In Biggers Zelle treffen die Welten der Weißen, Schwarzen und Roten aufeinander. Als Familie, Freunde, Kommunisten und die Daltons gegangen sind, ist Bigger allein in der Zelle mit dem Staatsanwalt Buckley. Er erfährt, dass Bessie gefunden wurde. Sie lebte noch, als Bigger sie in den Schacht warf, und trug belastendes Beweismaterial in der Tasche. Buckley will Bigger weitere Vergewaltigungen und Morde unterschieben – vielleicht, denkt Bigger, damit er die tatsächlich begangenen Taten gesteht. Bigger will nicht als unzurechnungsfähig hingestellt werden. Er will keinen Ausweg. Gerne würde er dem Anwalt erklären, dass die Morde nur Ausbrüche des Hasses waren, der ihn schon sein ganzes Leben lang begleitete. Doch weder hofft er auf Verständnis noch ist er in der Lage, dies richtig zu erklären. Also gesteht er und unterschreibt.

Verhandlung

In der Anhörung wird Jan aggressiv und tendenziös verhört, als stünde er unter Anklage. Bigger versteht, dass auch bei Kommunisten Recht nach zweierlei Maß bemessen wird. Der Verteidiger Max befragt Mr. Dalton, der Mehrheitsaktionär der South Side Real Estate Company ist, die vielen Schwarzen Wohnungen vermietet, darunter auch die Wohnung von Biggers Familie. Max demaskiert den „alten Brauch“, Negern nur Wohnungen auf der Südseite zu vermieten, für die zudem mehr Miete verlangt wird, als es bei Weißen der Fall wäre. Max deutet außerdem an, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse für Biggers Taten verantwortlich sind. Zum Abschluss der ersten Anhörung lässt Buckley die Leiche von Bessie als Beweis für den Mord an Mary hereinfahren. Durch die tobende Menge hindurch empört sich Max gegenüber dem Untersuchungsrichter, dass diese Handlung sich, wie schon Jans Befragung, in hetzerischer Weise an die Gefühle des Mobs wendet. Doch in der Zurechtweisung, die Max daraufhin vom Untersuchungsrichter erntet, schwingen ebenfalls Rachsucht und Wut mit.

„Obwohl er ein schwarzes und ein weißes Mädchen umgebracht hatte, würde er nur für den Mord an dem weißen Mädchen bestraft werden. Das schwarze Mädchen war lediglich ein ‚Beweisstück‘.“ (über Bigger, S. 435)

Auf der Fahrt ins Gefängnis machen die Polizisten einen Abstecher zum Haus der Daltons, wo sensationsgierige Reporter auf Bigger warten und von ihm nachgestellt sehen möchten, wie er Mary vergewaltigte. Gegenüber hat der Ku-Klux-Klan ein brennendes Kreuz aufgestellt. Bigger ist entsetzt und sagt sich daraufhin endgültig von Gott und Kirche los. Im Gefängnis führt er das erste richtige Gespräch mit Max. Es fällt ihm schwer, zu vertrauen, denn das ist ihm noch nie gut bekommen. Dennoch: Bigger öffnet sich. Er erzählt, was er getan hat und warum, wie er lebt und fühlt, welche Träume er hatte, welche täglichen Diskriminierungen und Anfeindungen er erlebt hat. Nach dem Mord hat er sich frei gefühlt, als sei es die erste bedeutungsvolle Handlung seines Lebens gewesen. Zum ersten Mal hat er sich gegen die Weißen behaupten können. Max versteht, dass Bigger nie im Leben eine echte Chance bekommen hat, und es erstaunt ihn, dass die einsetzende Schwarzenbewegung an Leuten wie Bigger einfach vorbeigeht. Durch den Kontakt mit Max und Jan erscheint Bigger die Masse der Weißen auf einmal nicht mehr wie ein Berg von Hass, sondern als eine Ansammlung von Menschen. Zum ersten Mal versteht er sich als soziales Wesen und als Teil eines gemeinschaftlichen Ganzen. Er will nicht mehr sterben.

Verteidigung

Bigger wird vor der großen Jury des Mordes angeklagt. Draußen schützt die Armee das Gerichtsgebäude vor dem wütenden Mob. Obwohl Bigger geständig ist, lässt Buckley 60 Zeugen aufrufen und zwei Tage lang das Verbrechen in jeder Facette noch einmal durchkauen. Dann beginnt Max sein Plädoyer. Für ihn steht hier nicht Bigger, sondern es stehen alle Schwarzen Amerikas vor Gericht. Max zielt auf ein geringeres Strafmaß ab, indem er darlegt, wie äußere Umstände Biggers Tat bedingt haben. Er will die Gesetze und Prozesse aufdecken und die unseligen Kreisläufe durchbrechen. Max beschreibt das Milieu in den Schwarzenvierteln: keine Bildung, primitivste Wohnverhältnisse, nur Arbeit und Sex als Ventile. Er spricht vom Schicksal der ganzen Nation und beschreibt die amerikanische Gesellschaft als „kranken Gesellschaftsorganismus“. Für ihn wurzelt Biggers Verbrechen in der amerikanischen Zivilisation, die von gnadenlosen Regeln bestimmt wird: fressen oder gefressen werden. Der Erfolg der Weißen war nur möglich durch die Versklavung der Schwarzen. Dessen sind sich die Weißen sehr wohl bewusst – man verschließt aber die Augen vor der unfassbaren Unmenschlichkeit. Max führt aus, wie die Negerbevölkerung terrorisiert wurde und wie sich die Jagd nach Bigger zur Massenhysterie aufschaukelte; etwas, das nicht ohne vorgefertigte Meinung und schon lange verhärtete Fronten hätte passieren können.

„Um die Wahrheit zu sagen, Mr. Max – es erscheint mir irgendwie natürlich, dass ich jetzt auf den elektrischen Stuhl muss. Wenn ich mir’s überlege, dann hat es eigentlich so kommen müssen.“ (Bigger, S. 471)

Das Unrecht im Leben der schwarzen Bevölkerung ist für Max nicht natürlich oder gottgegeben, sondern menschengemacht. Es ist so groß, dass es keine Ungerechtigkeit mehr darstellt, sondern eine feststehende Tatsache, die neue Lebensformen bedingt. Diese wiederum sind den Weißen fremd und machen ihnen Angst. Das Ende der Sklaverei erklärt sich für Max nicht aus moralischen Gründen, sondern weil Maschinen die Sklaven ökonomisch überflüssig machten. Er bezeichnet Bigger und den Mob draußen als „machtlose Schachfiguren im blinden Spiel sozialer Kräfte.“ Bessie und Bigger waren unter ihren Umständen nicht fähig, Liebe zu empfinden – verbunden waren sie nur durch Lust. Max fasst Biggers chaotische, widerstreitende Gefühle in Worte und spricht von „Entfremdung“; erst durch die Tat hätten Biggers Gefühle „eine konkrete Gestalt annehmen“ können. Sein Mord sei ein „Akt der Schöpfung“ gewesen.

„Es wäre besser, wir hätten überhaupt keine Gerichtshöfe, als dass Recht unter derartigen Umständen gesprochen würde! Jede Lynchjustiz wäre ehrlicher als ein solcher Scheinprozess!“ (Max, S. 507)

Für Max ist die Lage der Schwarzen nichts weniger als die Bankrotterklärung des American Dream. Er sieht sie als eine entfremdete, verkümmerte und von weißen Kapitalisten geknechtete Nation. Sie hatten nicht das Glück der Weißen und suchen noch immer das gelobte Land, in dem sie sich positiv entwickeln können. Sein Fazit: Die Weißen können ihre Hände nicht in Unschuld waschen. Das System hat dieses Verbrechen vorbereitet. Deshalb ist es widersinnig, Rache an Bigger zu üben und ihn hinzurichten. Andererseits könne Bigger im Gefängnis wahre Freiheit erfahren: Sicherheit und Bildung, eine Identität, eine klare Beziehung zur Welt. Bigger würde als Insasse zum ersten Mal im Leben Teil der Zivilisation. Und das Gericht würde mit einem solchen Akt beweisen, dass es Ausmaß und Grund dieser Tat tatsächlich verstanden habe. Es würde einen ersten Schritt tun, um den letzendlichen Untergang der Nation zu verhindern.

Todesurteil

Ein Blick auf Buckley reicht Bigger, um zu wissen, dass er verloren ist. In seiner Rede geht Buckley nur auf einzelne Worte von Maxʼ Rede ein, nicht auf ihre tatsächliche Aussage. Es ist, als hätte es sie nicht gegeben. Hetzerisch und rassistisch schildert er die begangenen Taten so, wie sie sich gemeinhin vorgestellt werden, und bezeichnet Bigger als bestialisches Ungeheuer, tollwütigen Hund, Affen, Rohling und Untermenschen. Das Gericht zieht sich für nur eine Stunde zurück, das Urteil steht fest: Todesstrafe. Das Publikum tobt. Am Vorabend von Biggers Hinrichtung besucht Max ihn in der Zelle. Der Einspruch beim Gouverneur ist gescheitert.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Roman gliedert sich in drei Teile, betitelt Angst, Flucht, Schicksal. Der erste Teil kontrastiert das schwarze Milieu von Biggers Familie und Freunden mit der Welt der Weißen in Person von Biggers Arbeitgebern; er endet mit der Tötung Marys. Die umfangreicheren Teile 2 und 3 beschreiben Biggers Flucht, Verfolgung und Gefangennahme sowie seinen Prozess im hoffnungslos voreingenommenen amerikanischen Justizsystem. Die Geschichte wird aus Biggers Perspektive erzählt. Sein inneres Chaos und seine paradoxen Gefühle spiegeln sich auf der Textebene wider, vieles ist redundant und widersprüchlich. Andere Perspektiven, etwa jene der Weißen oder von Biggers Umfeld, treten durch Dialoge in den Text. Im dritten Teil nimmt das Plädoyer von Biggers Anwalt rund 35 Seiten ein und ist zugleich erkennbar ein Manifest des Autors Wright. Dieser spielt stark mit Kontrasten von Heiß und Kalt – der fauchende Ofen als eine Art Vorhölle vs. Schnee, Wind und auch menschliche Kälte – und erwähnt immer wieder das Motiv der Blindheit. Er entlarvt die Sprache des weißen Rassismus, Antisemitismus und Antikommunismus. Das Schlüsselmotiv des Romans ist Angst, die immer in Verbindung mit Wut, Hass oder Erregung auftaucht. Die Beschreibungen sind oft drastisch und bisweilen voller Pathos.

Interpretationsansätze

  • Sohn dieses Landes gehört zum amerikanischen Naturalismus. Dieser stellte eine Steigerung des Realismus dar und verschrieb sich der exakten Beobachtung von Mensch, Gesellschaft und Natur. Negatives wird exakt wiedergegeben, der Mensch in seinem Milieu gezeigt, empirische Wirklichkeit dargestellt. Darwin und Marx waren die geistigen Brüder der Naturalisten. Vertreter außerhalb der USA waren Émile Zola, Gerhart Hauptmann oder Henrik Ibsen.
  • Wrights zentrale These ist, dass Biggers Morde ein Ausdruck systemischer Gewalt sind. Damit erklärt er sie im Sinne des historischen Materialismus. Er benennt die Angst als das Grundgefühl sowohl der Schwarzen wie auch der Weißen. Die amerikanische Gesellschaft erscheint als von einem gnadenlosen Sozialdarwinismus geprägt: fressen oder gefressen werden. Am Ende des Romans erweist sich die Machtlosigkeit der Worte gegenüber den manifesten Interessen der herrschenden Klasse.
  • Wright nutzt eigene Erfahrungen als kreative Quelle. Er war ein Enkel befreiter Sklaven in den Südstaaten, verbrachte seine Kindheit in Mississippi und kam als Halbwüchsiger nach Chicago. Bigger Thomas ist sein gescheitertes Alter Ego, während er selbst durch seine Intelligenz, Bildung, kulturelles und politisches Engagement den gesellschaftlichen Aufstieg schaffte. Auch Wrights kommunistische Überzeugungen sind klar erkennbar.
  • Wright formuliert im Text die Sehnsucht nach einem starken, charismatischen Führer, hinter dem sich die Schwarzen vereinigen und mit dessen Hilfe sie sich befreien können. Knapp 15 Jahre später prägte er mit „Black Power“ eines der wichtigsten Schlagworte der schwarzen Befreiungsbewegung und etwa zeitgleich betrat Martin Luther King die politische Bühne der USA.
  • Wright übt harsche Religionskritik: In einer Welt, in der Religion die schwarzen Massen betäubt und der Ku-Klux-Klan sein Unwesen im Zeichen des Kreuzes treibt, kann Bigger nicht anders, als sich von Gott abzuwenden.

Historischer Hintergrund

Die South Side von Chicago und die Black Renaissance

1865 wurde in den USA die Sklaverei abgeschafft. Aus Sklaven wurden freie Menschen – vermeintlich. Denn die Rassentrennung bestand weiter fort, Lynchmorde waren keine Ausnahme. Am Heiligen Abend 1865 gründete sich der rassistische und gewalttätige Ku-Klux-Klan mit dem erklärten Ziel, die Schwarzen zu unterdrücken. Bis 1930 zogen rund 1,6 Millionen Afroamerikaner aus den ländlichen Gegenden des Südens in die Städte des Nordens, Mittleren Westens und Westens. Bis 1970 wuchs ihre Zahl auf rund 6 Millionen. Zwischen 1910 und 1930 wuchs die schwarze Bevölkerung in den nördlichen Bundesstaaten um rund 40 Prozent; in Chicago stieg sie in dieser Zeit von etwa 44 000 auf etwa 230 000 Personen an, die überwiegend aus Mississippi stammten. Diese Wanderbewegung ging als „Great Migration“ in die amerikanische Geschichte ein. Auf dem Wohnungsmarkt konkurrierten die Schwarzen mit der großen Zahl europäischer Einwanderer. In Chicago durften sie nur in einem klar eingegrenzten, viel zu kleinen Gebiet im Süden der Stadt siedeln, der South Side, auch schwarzer Gürtel oder Ghetto genannt. Chicago war ein Zentrum von Rassenunruhen, aus denen jedoch auch ein wachsendes Bewusstsein für die angespannten Rassenbeziehungen hervorging.

Der Börsencrash von 1929 und die damit einhergehende Wirtschaftskrise trafen die schwarze Bevölkerung überproportional hart. Aus der Not heraus bildete sich ein starker Gemeinschaftssinn mit sozialem und kulturellem Aktivismus, der in den 1920er-Jahren eine kulturelle Blüte hervorbrachte. Weltbekannt wurde die Harlem Renaissance in New York; ihre „kleine Schwester“ war die Chicago Black Renaissance. Jazz, Blues und Gospel waren Musikrichtungen, die in diesen Jahren aufblühten. Während der Great Migration waren so hochkarätige Musiker wie Muddy Waters und Chester Burnett nach Chicago gekommen. Literaten griffen die Rassenunruhen und Identitätsfragen in ihren Werken auf. Sie bildeten 1930 die South Side Writers Group, deren Mitglieder eng zusammenarbeiteten und sich gegenseitig inspirierten. Eine ganze Reihe von Zeitungen und Magazinen setzten sich für die Belange der Schwarzen ein, unterstützten Publikationen und gaben den Schriftstellern nicht nur ein Forum, sondern oft auch eine Anstellung.

Entstehung

Richard Wright gehörte der South Side Writers Group an und wurde einer ihrer bekanntesten und erfolgreichsten Vertreter. Er war als junger Mann aus Mississippi nach Chicago gekommen und war vom Rassismus in den Südstaaten geprägt. Er hatte seine eigenen Erfahrungen machen müssen mit einem abwesenden Vater, mit Arbeitslosigkeit, Armut, Krankheit, der Wohlfahrt und den miserablen Arbeits- und Lebensbedingungen der schwarzen Bevölkerung. Die Arbeit an Sohn dieses Landes begann er Ende der 30er-Jahre allerdings unter günstigeren Bedingungen: Er war von Chicago nach New York gezogen, hatte dort Beziehungen zur Kommunistischen Partei geknüpft und war Redakteur bei der kommunistischen Zeitung Daily Worker. 1938 erhielt er für seine Kurzgeschichte Fire and Cloud einen mit 500 Dollar dotierten Preis, zudem wurden alle vier von ihm zum Wettbewerb eingereichten Geschichten unter dem Titel Uncle Tom’s Children veröffentlicht. Das Buch verkaufte sich sehr gut. In der Folge erhielt Wright ein Guggenheim-Stipendium, um Sohn dieses Landes zu beenden. Dabei ließ er sich auch von einem wahren Kriminalfall inspirieren: Die Pressehetze, Vorverurteilung und rassistische Verunglimpfung im Fall Bigger Thomas ähneln jener von Robert Nixon, der 1939 als Serienmörder in Chicago hingerichtet wurde.

Wirkungsgeschichte

Sohn dieses Landes war das erste Buch eines schwarzen Autors, das vom Book of the Month Club in sein Programm aufgenommen wurde. Die Verkaufszahlen waren atemberaubend: eine Viertelmillion Exemplare in drei Wochen. Das Buch verdrängte sogar John Steinbecks Früchte des Zorns von der Bestsellerliste. Der Buchclub forderte allerdings Änderungen im Text. So wurde beispielsweise die Masturbationsszene im Kino gestrichen und Max’ Plädoyer gekürzt. Wright wurde einer der wohlhabendsten Autoren des Landes und Sprecher für die Belange der Schwarzen, gewürdigt unter anderem von der National Association for the Advancement of Colored People. Der Roman war ein Weckruf an Kunstschaffende, für die Rechte der Schwarzen zu kämpfen. Er wurde intensiv an den Universitäten rezipiert und für seine vielschichtige, differenzierte Darstellung von Schwarzen gelobt. Orson Welles adaptierte den Stoff 1941 erfolgreich für den Broadway. In einer Verfilmung von 1951 übernahm der film-affine 42-jährige Wright selbst die Hauptrolle. Der Fernsehanbieter HBO hat den Stoff 2019 zeitgemäß verfilmt – in dieser Adaption findet Bigger Thomas den Tod nicht auf dem elektrischen Stuhl, sondern wird auf der Straße von einem Polizisten erschossen.

Über den Autor

Richard Wright kommt am 4. September 1908 auf einer Plantage in Mississippi zur Welt. Seine Großeltern sind befreite Sklaven und die Erfahrungen mit dem Rassismus in den Südstaaten prägen sein Schaffen ein Leben lang. Ohne Vater und mit einer kranken Mutter verbringt er viel Zeit in der Obhut von Verwandten. Die Highschool schließt er als Jahrgangsbester ab und zieht 1927 nach Chicago. Hier tritt er 1933 in die Kommunistische Partei ein, schließt sich der Chicago South Side Writers Group an und nimmt 1936 am National Negro Congress teil. Kurz darauf zieht er nach New York und beginnt die Arbeit an Sohn dieses Landes (Native Son, 1940). Wrights erste Ehe mit einer Tänzerin dauerte nur ein Jahr; in der Kommunistin Ellen Poplar, einer Weißen, findet er die Partnerin fürs Leben. Die beiden heiraten 1941 und bekommen zwei Töchter. Wright befreundet sich mit den Schriftstellern Ralph Ellison und James Baldwin. Aus Protest gegen Stalin tritt Wright wieder aus der KP aus, ist aber politisch weiterhin weit links zu verorten – das denkt auch das FBI und beobachtet ihn ab 1943. Wright verarbeitet seine Jugendjahre in dem Roman Black Boy (1945). 1946 zieht er nach Paris, wo er sich mit Gertrude Stein, Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir anfreundet und die Romane The Outsider (1953) und Savage Holiday (1954) schreibt. Er unternimmt Reisen nach Asien und Afrika, die er in politischen Essays verarbeitet. Sein Werk Black Power (1954), das die Unabhängigkeitsbewegungen der afrikanischen Kolonien beschreibt, prägt eines der wichtigsten Schlagworte der schwarzen Befreiungsbewegung. 1959 erscheint mit The Long Dream Teil 1 einer geplanten Trilogie. Teil 2, American Hunger, erscheint 1974 postum, denn Wright stirbt am 28. November 1960 infolge eines Herzinfarkts. Als französischer Staatsbürger wird er auf dem Friedhof Père Lachaise in Paris beigesetzt.

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