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Zeit der Unschuld

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Zeit der Unschuld

Manesse,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

In Edith Whartons preisgekröntem Roman steht ein Mann zwischen zwei Frauen – er trifft seine Wahl und muss mit der Entscheidung leben.


Literatur­klassiker

  • Gesellschaftsroman
  • Realismus

Worum es geht

Was wäre, wenn …?

Was wäre, wenn wir uns über gesellschaftliche Konventionen hinwegsetzen und tun würden, was wir wollen? Wäre das klug? Wäre das erwachsen? Und vor allem: Wäre es das Richtige? Diese Frage lässt Edith Wharton in ihrem Roman Zeit der Unschuld offen. Ihr Protagonist Newland Archer ist hin- und hergerissen zwischen Affekt und Vernunft, zwischen innerem Aufruhr und äußerer Zurückhaltung. So konkret der Roman diese Frage im Kontext des späten 19. Jahrhunderts und der High Society New Yorks ansiedelt, so universell lässt sie sich stellen. Newland Archer entscheidet sich letztlich für Vernunft und Zurückhaltung, er kann nicht anders. Der Text verdammt ihn nicht dafür – und feiert ihn auch nicht. Archer ist ein Mensch, der verzichtet und die Folgen des Verzichts erträgt. Macht ihn das zum Helden? Nein. Aber zum Feigling bestimmt auch nicht.

Take-aways

  • Zeit der Unschuld ist der bekannteste Roman der amerikanischen Schriftstellerin Edith Wharton.
  • Inhalt: Newland Archer, Sohn einer reichen New Yorker Familie, lebt ganz nach den Regeln der feinen Gesellschaft. Er heiratet standesgemäß die langweilige May, und jeder Impuls, mit ihrer Cousine, der skandalumwitterten Ellen, durchzubrennen, scheitert an den zementierten Konventionen. Jahre später erlebt Archer an seinen Kindern, wie sich die Zeiten geändert haben.
  • Im Zentrum des Romans steht der Konflikt des Einzelnen mit der Gesellschaft.
  • Der Text nutzt immer wieder Ironie und Sarkasmus, ohne zur Parodie zu werden.
  • Edith Wharton schrieb den Roman in fortgeschrittenem Alter in Frankreich. Sie hatte die USA zu dem Zeitpunkt seit über zehn Jahren nicht mehr betreten.
  • Zeit der Unschuld erschien zunächst in vier Teilen in einer Zeitschrift, dann erst als Buch.
  • Wharton erhielt für den Roman 1921 den Pulitzer-Preis.
  • Martin Scorsese verfilmte das Buch 1993 mit Starbesetzung. Zuvor gab es bereits einen Stumm- und einen Farbfilm.
  • Bis in TV-Serien der 2000er-Jahre wirkt das Buch als popkulturelles Phänomen nach.
  • Zitat: „Ich kann dich nur lieben, wenn ich auf dich verzichte.“

Zusammenfassung

New Yorks High Society

Ein New Yorker Opernhaus in den 1870er-Jahren: Newland Archer, ein junger Mann aus dem Geldadel, beobachtet während der Oper Faust aus der Clubloge heraus die Loge gegenüber. Dort sieht er die junge und hübsche May Welland, seine künftige Verlobte. Noch weiß niemand in New Yorks High Society von der heimlichen Übereinkunft der beiden. Auf einmal geraten die Herren in der Clubloge in Aufregung: Die Loge gegenüber betritt Ellen Olenska, Mays Cousine. Ihr Auftritt ist ein Skandal. Denn die kurz zuvor aus Europa eingereiste Ellen ist vor ihrem Mann, dem polnischen Grafen Olenski, geflohen – mithilfe seines Sekretärs, wie man munkelt. Archer ist empört, dass man seine künftige Verlobte in Gesellschaft der umstrittenen Gräfin sieht. Nach dem Ende des Aktes geht Archer hinüber und bittet May um die Erlaubnis, beim Ball am späteren Abend ihre Verlobung bekannt zu geben. May stimmt zu und stellt ihm Ellen Olenska vor. Ellen und Archer kennen sich aus Kindertagen. Archer ist entrüstet über Ellens anmaßende und kecke Bemerkungen über die feine New Yorker Gesellschaft.

Jeder Einzelne war nicht viel wert, doch zusammengenommen repräsentierten sie ,New Yorkʻ, und die gewohnte männliche Solidarität bewog ihn, in allen sogenannten moralischen Fragen ihre Grundsätze anzuerkennen.“ (über Archer, S. 12)“

Im Anschluss an die Oper findet sich die Gesellschaft zum alljährlichen Ball bei Mrs. und Mr. Beaufort ein. Mr. Beaufort ist ein englischer Bankier und Lebemann, seine einst mittellose Frau stammt aus einer Familie der New Yorker High Society. Archer findet seine künftige Braut beim Eintreffen auf dem Ball umringt von Gästen, die bereits von der bevorstehenden Verlobung wissen. Er hätte sich die Bekanntgabe zwar anders gewünscht als auf einem Ball, verbringt aber dennoch einen gesellschaftlich erfolgreichen Abend, an dem Ellen Olenska zu seiner Beruhigung nicht teilnimmt.

‚Frauen sollten frei sein, so frei wie wirʻ, erklärte er, eine Erkenntnis, deren ungeheure Konsequenzen er in seiner Gereiztheit nicht ermessen konnte.“ (über Archer, S. 45)“

Der erste Verlobungs-Antrittsbesuch führt zu Mays und Ellens Großmutter, Mrs. Manson Mingott. Sie ist die verwitwete und schwer übergewichtige Matriarchin des Klans und die einzige Unterstützerin von Archers beschleunigten Hochzeitsplänen. Ellen erscheint in Begleitung von Mr. Beaufort – zum Missfallen von Archer und Mays Mutter, Mrs. Welland. Archer will Ellen von seiner Verlobung in Kenntnis setzen, aber sie weiß bereits davon. Am nächsten Tag ist Sillerton Jackson zu Gast bei den Archers. Er wird gern von Mrs. Archer, Archers Mutter, eingeladen, um über den neuesten Klatsch und Tratsch zu reden, über den er bestens informiert ist. Im Gespräch über die umstrittene Gräfin versteigt sich Archer zu der These, dass Frauen die gleichen Rechte wie Männer haben sollten.

Familienbande

Einige Tage später lädt Ellens Tante zum Dinner „zu Ehren der Gräfin Olenska“. Außer den Beauforts und den Jacksons sagt ganz New York ab – ein Affront. Noch dazu ohne eine erklärende Begründung. Ellens Tante sucht Unterstützung bei Mays Mutter, die sich ihrerseits an Archer wendet, der damit wiederum zu seiner Mutter geht. Diese sucht Unterstützung bei Mr. und Mrs. van der Luyden, die als die Spitze der New Yorker Gesellschaft gelten. Louisa van der Luyden, eine Cousine von Archer, handelt sofort und plant mit ihrem Mann einen Empfang zu Ehren eines Verwandten aus Europa, zu dem sie Ellen Olenska demonstrativ einladen. Auf dem Empfang sind nun alle Gäste gezwungen, sich mit der Gräfin auseinanderzusetzen. New York hat die Lektion der van der Luydens gelernt: Niemand erteilt Mitgliedern ihrer Verwandtschaft einen Korb. Die Verbindungen von Ellen zum Mingott-Clan sind kompliziert. Ihre Eltern starben früh, und sie zog mit ihrer Tante, der flatterhaften Medora Manson, durch Europa. Dort lernte sie den polnischen Grafen kennen, während Medora, mehrfach verwitwet und immer weniger wohlhabend, regelmäßig nach New York zurückkehrte. Ellen und Archer unterhalten sich kurz und Ellen lädt ihn für den nächsten Tag zu sich nach Hause ein.

(…) eine langweilige Verbindung, eingegangen aus materiellen und gesellschaftlichen Interessen und zusammengehalten auf der einen Seite durch Ahnungslosigkeit, auf der anderen durch Heuchelei.“ (Archer über die Ehe, S. 47)“

Ellens Haus befindet sich in einem wenig eleganten Stadtteil. Das Innere ist eher karg, aber außergewöhnlich eingerichtet. Ellen selbst ist zunächst nicht da, Archer wird vom Dienstmädchen empfangen und soll warten. Schließlich erscheint sie in Begleitung von Mr. Beaufort, der dann wieder geht. Zwischen Ellen und Archer entspinnt sich ein vertrauliches Gespräch, das Archer aufwühlt. Ohne genau zu wissen, wieso, schickt er ihr danach gelbe Rosen – allerdings ohne Absender. Am Folgetag versucht Archer erneut, May zu einer zeitigen Hochzeit zu überreden. Sie ist von seinem Enthusiasmus gerührt, beharrt aber wie ihre Mutter auf einer längeren Verlobungszeit. Am Nachmittag kommt es zu einem Streit zwischen Archer und seiner Mutter. Sie erzählt ihm, die Gräfin Olenska habe eine Veranstaltung im Hause einer „gewöhnlichen“ Dame der Gesellschaft verbracht, woraufhin Archer Ellen verteidigt. Plötzlich wird Mr. van der Luyden angekündigt. Er gilt als New Yorks Instanz für Sitte und Ordnung und kommt gerade von Ellen, der er den Verhaltenskodex der Stadt erläutert hat – dezent, aber bestimmt.

„Wenn man die New Yorker Luft zu atmen gewohnt war, gab es Zeiten, wo einem alles weniger Kristallklare die Luft zu nehmen schien.“ (S. 98)

Zwei Wochen später wird Archer in der Kanzlei, in der er als Anwalt arbeitet, zu seinem Seniorpartner gerufen. Dieser hat den Auftrag erhalten, Ellens Scheidung vom Grafen Olenski zu verhindern, um einen Skandal zu vermeiden; der Graf hat gedroht, bei einer Scheidung die Sache mit dem Sekretär öffentlich zu machen. Archer soll Ellen klarmachen, dass ein solcher Prozess „unerfreulichen Gerede“ zur Folge hätte. Unwillig stimmt Archer zu. Er geht zu Ellen, die erneut Besuch von Mr. Beaufort hat. Als Beaufort gegangen ist, redet Archer Ellen die Scheidung aus. Er warnt vor dem Skandal und der sensationslüsternen Presse. Sie lässt sich schließlich überzeugen. Archer geht aufgewühlt. Einige Zeit später sinnt er während einer emotionalen Theaterszene über Ellen nach. May ist mit ihren Eltern aufs Land gereist, Ellen aber ist im Theater. Er trifft sie in der Loge der Beauforts, wo sie ihm zu verstehen gibt, dass sie weiß, von wem die Rosen kamen, und ihm ihren Dank ausspricht – den Dank für seine Überredung. 

Fluchten und Geständnisse

Einige Tage später erreicht Archer ein Brief von Ellen, in dem sie ihm schreibt, dass sie davongelaufen sei und sich nun auf dem Landsitz der van der Luydens befinde. Archer hat eine Einladung in der Nachbarschaft und nutzt diese, um Ellen aufzusuchen. Er trifft sie auf dem Fußweg der Villa der van der Luydens, der zur Straße führt. Sie sprechen kurz zu zweit, aber bald erscheint Mr. Beaufort, offensichtlich unter einem Vorwand. Ellen ist erschrocken. Archer nimmt an, dass sie vor Beaufort geflohen ist, weiß aber nicht, ob er ihr zu aufdringlich ist oder ob sie Angst hat, ihm zu verfallen. Wieder in New York erreicht Archer eine neue Nachricht von Ellen: Er solle sie besuchen, sie wolle alles erklären. Er wägt ab – und bricht stattdessen zu May auf. Dort angekommen wird er von May zur Rede gestellt: Will er eine frühere Hochzeit, weil er sich seiner Sache nicht sicher ist? Archer fühlt sich ertappt, erkennt dann aber erleichtert, dass May nicht auf Ellen, sondern auf eine alte, unwichtige Affäre anspielt.

Ich kann dich nur lieben, wenn ich auf dich verzichte.“ (Ellen zu Archer, S. 175)“

Zurück in New York sucht Archer Mrs. Manson Mingott auf. Die Matriarchin dankt ihm für seinen Einsatz in Bezug auf Ellens Scheidung. Ellen und sie wollen Archer bei seiner vorgezogenen Hochzeit unterstützen. Archer besucht Ellen am Folgetag und trifft dort auf Medora Manson. Sie hat einen Bittbrief des Grafen Olenski an Ellen in der Hand. Als Ellen schließlich selbst auftaucht, kommt es zu einem emotionalen Ausbruch. Archer gesteht Ellen, dass er sie liebt und alles für sie aufgeben will. Auch Ellen liebt Archer, ihren – wie sie jetzt weiß – einzigen echten Vertrauten in New York. Doch für sie ist klar, dass alle Entscheidungen schon getroffen und unumkehrbar sind. Sie könne ihn nur durch Verzicht lieben. In die Szene platzt die Haushälterin mit einem Telegramm von May: Deren Eltern billigen jetzt auf Drängen von Mrs. Manson Mingott die frühere Hochzeit.

Das Eheleben in New Yorks High Society

Es ist Hochzeitstag: Archer und May werden standesgemäß getraut und der Bräutigam fühlt sich wie in der Oper. Er durchlebt den Tag bis zur Abreise in die Flitterwochen wie in Trance. Hier erwartet ihn eine Überraschung: Die frisch Vermählten werden im Haus der van der Luydens einquartiert. Die weiteren Flitterwochen führen das Paar nach London. Bei einem Besuch trifft Archer auf Monsieur Rivière, den Lehrer des Neffen des Gastgebers. Seit langer Zeit kann Archer mit jemandem ein gehaltvolles Gespräch führen. Er bemerkt dabei, was ihm in seiner Ehe und in New York fehlt.

Im August sind Archer und seine Frau auf dem Anwesen der Beauforts eingeladen. Beim Bogenschützenwettbewerb trifft sich die High Society New Yorks. May verkörpert für Archer nach wie vor die vollkommene Gattin. Medora Mansons Bericht über die zurückgezogen in Washington lebende Ellen nimmt Archer relativ gefasst zur Kenntnis. Er hat sich seinem Eheschicksal ergeben, doch erzürnt ihn eine Bemerkung Beauforts, der ironisch über Mays biedere Schönheit spricht. Für einen Moment sind seine Zweifel zurück. May regt an, ihre Großmutter in deren nahe gelegenem Landhaus zu besuchen. Mrs. Manson Mingott erzählt, dass Ellen gerade zu Besuch ist, und bittet Archer, sie draußen am Strand zu holen. Archer geht hinaus, sieht Ellen in der Ferne, holt sie aber nicht. Er geht zurück und behauptet, sie nicht gefunden zu haben. May bemerkt ihm gegenüber später, Ellen mache den Eindruck, als ob sie ihre Freunde nicht schätze. Sie verbringe Zeit mit merkwürdigen Leuten. Vielleicht sei sie mit dem Grafen doch glücklicher. Archer reagiert sarkastisch.

„Sie haben mir die Augen für das wahre Leben geöffnet und im selben Moment von mir verlangt, dass ich ein Scheinleben fortführe. Und das ist mehr, als ein Mensch ertragen kann.“ (Archer zu Ellen, S. 244)

Archer erfährt, das Ellen sich in Boston aufhält, und fährt ebenfalls dorthin – offiziell „aus beruflichen Gründen“. Ellen hat gerade durch einen Gesandten das Angebot ihres Mannes erhalten, zu ihm zurückzukehren. Archer überredet sie, mit ihm einen Ausflug zu machen und sich nicht erneut mit dem Gesandten zu treffen. Ellen erzählt Archer von den anderthalb Jahren, in denen sie sich nicht gesehen haben. Nach Washington sei sie geflohen, um der New Yorker Tristesse zu entgehen. Dass sie aber nicht nach Europa zurückgegangen sei, liege an Archer. Archer fühlt die Leidenschaft für Ellen wieder wachsen. Doch sie macht ihm keine Hoffnung: Wenn sie dieser Leidenschaft nachgäben, müsse sie zurück nach Europa gehen. Sie will in seiner Nähe bleiben – aber nur, solange sie keine Versuchung für ihn darstellt. Obwohl es keine Zärtlichkeiten zwischen den beiden gibt, fühlt sich Archer nach diesem Tag beruhigt und erfüllt. Als er in New York aus dem Zug steigt, begegnet ihm Monsieur Rivière. Es stellt sich heraus, dass er der Gesandte des Grafen ist. Er bittet Archer, alles zu tun, damit Ellen nicht zu Olenski zurückgeht. Sie sei Amerikanerin und dürfe nicht zurück. Archer ist erst reserviert, aber dann ist er Rivière für dessen aufrechte Sorge dankbar.

Dramatische Entwicklungen

Archer hat Ellen vier Monate nicht gesehen. Beim Thanksgiving-Dinner sind die Gäste unterschiedlicher Meinung über Ellens zurückgezogenes Leben in Washington. Zudem brodelt die Gerüchteküche: Mr. Beaufort soll sich verspekuliert haben. Sillerton Jackson bemerkt Archer gegenüber, dass Ellen, sollte Beaufort bankrottgehen, kein Geld mehr zur Verfügung habe. Die Unterstützung des Grafen sei dahin. Auch Mrs. Manson Mingott habe Ellen die Unterstützung gestrichen, als sie sich geweigert habe, nach Europa zurückzugehen. Archer ist erbost über die Andeutung, Ellen sei Beauforts Mätresse. Archer eröffnet May, dass er beruflich nach Washington müsse, er glaubt aber, dass sie weiß, dass er Ellen treffen will.

Doch bevor dies geschieht, spitzen sich die Ereignisse zu: Beaufort ist tatsächlich bankrott und Mrs. Manson Mingott erleidet einen Schlaganfall. May beordert Archer aus der Kanzlei zu ihrer Großmutter. Dort angekommen erfährt er, dass Beauforts Frau am Vorabend zu Mrs. Manson Mingott gekommen ist, um sie um Unterstützung für sich und ihren Mann zu bitten. Mrs. Manson Mingott hat entrüstet abgelehnt und in der folgenden Nacht den Schlaganfall erlitten. Archer schickt ein Telegramm an Ellen. Als sie antwortet, dass sie am nächsten Tag ankommen werde, bietet Archer sich an, sie vom Bahnhof abzuholen – nicht ohne sich dabei May gegenüber umständlich aus seiner geplanten Washington-Reise herauszureden.

Nachdem er Ellen mit einer Kutsche abgeholt hat, erfährt Archer, dass Rivière derjenige war, der ihr damals bei der Flucht vor Olenski geholfen hat. Die Gerüchte um den vermeintlichen Geliebten lassen Archer nun kalt. Wieder branden die Emotionen auf. Ellen küsst Archer überschwänglich, zieht sich aber sofort wieder zurück. Archer will erneut mit ihr durchbrennen, aber sie redet ihm alles aus. Er steigt aus der Kutsche aus und lässt Ellen allein weiterfahren.

Ich will … irgendwie will ich mit dir fort, in eine Welt, wo Wörter wie dieses – Kategorien wie diese – nicht existieren. Wo wir einfach nur zwei Menschenwesen sind, die einander lieben, die füreinander das ganze Leben bedeuten, und wo sonst nichts auf Erden von Bedeutung ist.“ (Archer zu Ellen, S. 290)“

Als Archer nach Hause kommt, graut ihm vor dem Rest seines Lebens. Ihm kommt sogar der Gedanke, Mays Tod könne ihn befreien. Einige Tage später wird Archer zu Mrs. Manson Mingott gerufen. Die alte Dame teilt ihm mit, dass Ellen fortan bei ihr leben wird. Gegen die ganze Verwandtschaft habe sie beschlossen, Ellen ein ordentliches Einkommen zu geben und sie als ihre Pflegerin zu engagieren. Sie habe übrigens Ellen schon immer dazu geraten, Archer zu heiraten, setzt sie noch dazu. Mrs. Manson Mingott will Archer als Verbündeten im Kampf für Ellen gewinnen. Als er geht, rät sie ihm, das Gespräch gegenüber May nicht zu erwähnen.

Archer verabredet sich mit Ellen im neuen Museum of Art und bittet sie ein weiteres Mal, mit ihm durchzubrennen. Sie aber will ihre Großmutter nicht verletzen. Plötzlich bietet sie ihm an, eine Nacht mit ihm zu verbringen und dann zurück nach Europa zu gehen. Archer ist entflammt und bestürzt zugleich. In der Überzeugung, ihr die erneute Flucht ausreden zu können, nimmt er das Angebot an und verabredet sich mit ihr für den übernächsten Tag.

Eine Leidenschaft endet

Am Tag darauf besucht Archer die Oper. Wie vor zwei Jahren wird Faust gegeben. Aus der Clubloge heraus beobachtet Archer seine Frau in der Loge van der Luydens. May trägt ihr Hochzeitskleid. Archer überkommt das Verlangen, ihr endlich reinen Wein einzuschenken. Er verlässt mit ihr die Oper. Beim Aussteigen aus der Kutsche zerreißt das Hochzeitskleid. Archer will May nun alles gestehen, als sie ihn unterbricht und ihm mitteilt, dass Ellen nun doch nach Europa zurückkehrt – mit dem Segen und der finanziellen Unterstützung ihrer Großmutter, damit sie dort unabhängig leben kann. May zeigt Archer einen entsprechenden Brief von Ellen. Archer ist am Boden zerstört. May erzählt ihm, sie habe gestern noch mit Ellen gesprochen und ihr gegenüber die Einigkeit der Eheleute Archer betont.

(…) er hatte es längst aufgegeben, ihr wirkliches Ich von der Person, zu der Tradition und Dressur sie geformt hatten, trennen zu wollen.“ (über Archer und May, S. 327)“

Archer und May veranstalten ein Abschiedsdinner für Ellen. Alle sind demonstrativ freundlich zum Ehrengast. Archer empfindet die allgemeine Heuchelei und fühlt sich beobachtet, als ob alle von seiner Leidenschaft für Ellen wüssten. Ein Abschied unter vier Augen findet nicht statt. Ellen fährt davon und Archer ist überzeugt, dass er ihr folgen wird. Beim anschließenden Gespräch mit May findet er wieder nicht die richtigen Worte, als May ihm sagt, dass sie schwanger ist. Sie hat es auch Ellen erzählt – bevor diese den Brief verfasst hat.

Ihr habt euch ja nie um etwas gebeten. Und ihr habt euch nie etwas erzählt. Ihr habt nur dagesessen und euch beobachtet und zu erraten versucht, was unter der Oberfläche vor sich geht. Im Grunde ein Taubstummenasyl!“ (Dallas zu Archer, S. 357)“

26 Jahre sind vergangen. Archer resümiert sein Leben in der Bibliothek seines Hauses. Er hat drei Kinder, hat Bekanntschaft mit Theodore Roosevelt gemacht, war ein Jahr lang Abgeordneter und ist heute Witwer, denn May ist vor zwei Jahren gestorben, nachdem sie sich bei der Pflege ihres jüngsten Kindes eine Lungenentzündung zugezogen hatte. Archers ältester Sohn Dallas ruft aus Chicago an und überredet den Vater zu einer Reise nach Europa, bevor er seine Braut – die verwaiste Tochter von Mr. Beaufort und dessen zweiter Frau – heiraten wird. In Paris setzt Dallas seinen Vater davon in Kenntnis, dass sie bei der Gräfin Olenska eingeladen sind. Der verblüffte Archer muss erkennen, dass sein Sohn von seiner einstigen Schwärmerei weiß.

Für mich ist es hier wirklicher, als wenn ich hinaufginge“. (Archer, S. 362)“

Dallas erzählt ihm, dass selbst May davon wusste und dass ihr bewusst war, worauf er für ihr Familienleben verzichtet hatte. Als Vater und Sohn vor Ellens Wohnung stehen, bleibt Archer draußen vor der Tür, während Dallas hinaufgeht. Archer geht zurück zum Hotel, ohne Ellen zu treffen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Roman Zeit der Unschuld ist in zwei Teile und insgesamt 34 Kapitel unterteilt. Die Geschichte ist in der dritten Person erzählt und folgt der Figurenperspektive der männlichen Hauptfigur Newland Archer; nur sein Innenleben, nicht das der übrigen Figuren wird geschildert. Die Haupthandlung erstreckt sich über etwa zwei Jahre, das letzte Kapitel überspringt dann eine Lücke von 26 Jahren. Der Text bemüht sich um authentisches Lokalkolorit. Zu diesem Zweck werden häufig historische Personen, Institutionen und Ereignisse erwähnt, die in die Handlungszeit passen – wobei der Autorin allerdings einige nachweisbare zeitliche Fehler unterlaufen sind. An vielen Stellen wird bildungsbürgerliches Wissen über Literatur, Musik, Theater und bildende Künste vorausgesetzt. Dazu passt auch die häufige Verwendung französischer Begriffe. Wörtliche Figurenrede macht einen großen Teil des Textes aus. Der Ton der Erzählung ist an vielen Stellen ironisch, mitunter sogar sarkastisch, ohne dabei zur Parodie zu werden. Die Stadt New York und ihre feine Gesellschaft werden vielfach personalisiert, also sprachlich wie eine handelnde Figur geschildert, etwa: „Das konservative New York speiste um sieben“.

Interpretationsansätze

  • Der Roman zeigt den Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft. Der Protagonist Archer will sich gegen die Regeln auflehnen, muss aber erkennen, dass er selbst zu sehr ein Produkt dieser Regeln ist, um wirklich aus ihnen auszubrechen.
  • Ein zentrales und ambivalentes Motiv des Romans ist die Unschuld. May könnte einerseits als unschuldig gelten, andererseits wird am Ende des Romans klar, dass sie nie kindlich unwissend war. Die New Yorker High Society ist nur zum Schein unschuldig und steckt voller Intrigen. Tatsächlich schuldlos an ihrer Situation ist einzig Ellen, die ironischerweise von der Gesellschaft schuldig gesprochen wird.
  • Ein weiteres Motiv sind die unterschiedlichen moralischen Maßstäbe für Mann und Frau, die der Roman etwa am Beispiel von Affären zeigt. Eine Affäre beim Mann wird akzeptiert und offiziell verschwiegen, während eine auch nur unterstellte Affäre bei einer Frau unweigerlich soziale Ächtung nach sich zieht.
  • Im Roman wird auch ein Gegensatz zwischen Amerika und Europa thematisiert. Das zeigt sich unter anderem am Beispiel Ellens, die sich in New York die Scheidung erhofft. Das formal liberale Amerika erweist sich als deutlich konservativer als das formal konservative Europa.
  • Der Roman zeigt eine Gesellschaft, die Angst vor der Realität hat. Es zählt der schöne Schein. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass etwas „Unerfreuliches“ ans Tageslicht kommt.
  • Eine Aussicht auf Besserung bringt der gesellschaftliche Fortschritt. Die nächste Generation unterliegt nicht mehr den strengen Regeln der Eltern und kann daher freier agieren – wie etwa Dallas. So zeigt der Roman, dass gesellschaftlicher Fortschritt aus der Unfreiheit herausführen kann – und zwar ganz natürlich und ohne Revolution.
  • Der Roman enthält auch den Lebensentwurf der Autorin, auf den Punkt gebracht in dem Satz: „Für mich ist es hier wirklicher, als wenn ich hinaufginge.“ Auch Edith Wharton kehrte nicht aus Frankreich nach New York zurück. Sie schrieb nur darüber. In der Fiktion und Rückschau war die Stadt für sie echter als im Hier und Jetzt. An diesem Punkt treffen sich Whartons Lebensentwurf und die Perspektive ihrer Hauptfigur Archer.

Historischer Hintergrund

New York und der europäische Krieg

Der Erste Weltkrieg war 1920 auch für viele Amerikaner, speziell die New Yorker, noch eine offene Wunde, an die niemand gern erinnert wurde. Kriegsliteratur war nicht gefragt, die „heile“ amerikanische Vorkriegswelt dagegen sehr; ein Kontrast zur traurigen Realität. Und die sah so aus: Unter den rund neun Millionen toten Soldaten und sechs Millionen zivilen Opfern des Krieges waren etwa 100 000 Amerikaner, die nach Kriegseintritt der USA 1917 auf dem alten Kontinent fielen.
Die USA waren ein entscheidender Faktor für den Sieg gegen das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn – auch bereits vor 1917. Etwa 40 Prozent der Munition und Waffen von Großbritannien, Frankreich und Russland stammten aus den USA. Im Zuge dieser Transaktionen wurden die USA von einem der größten Schuldner der Welt zum größten Gläubiger. Im gesamten Jahr 1914 betrug der Exportüberschuss der USA noch etwa eine Milliarde Dollar. Im Jahr 1916 verzeichnete man durchschnittlich 1,6 Milliarden Dollar – pro Woche. Von der materiellen Hilfe der Amerikaner für die Entente-Mächte wusste natürlich auch der Kriegsgegner. Deutsche Saboteure verübten 1916 einen Anschlag auf den Hafen von New York. Das als „Black Tom Desaster“ in die Geschichte New Yorks eingegangene Inferno sorgte für 7 Tote, 38 Verletzte und viele Millionen Dollar Schaden. Allein die Freiheitsstatue musste für 100 000 Dollar restauriert werden. Die ersten sichtbaren Kriegsschäden auf amerikanischem Boden seit dem Bürgerkrieg – ausgerechnet in der Stadt, die sich immer für unverwundbar hielt. Dieser Schock saß tief und wurde zum Teil mit einer kulturellen Rückbesinnung auf die unverwundeten USA kompensiert.

Entstehung

Edith Wharton war eine der bekanntesten amerikanischen Autorinnen ihrer Zeit und bereits weit in ihren 50ern, als sie die Arbeit an Zeit der Unschuld begann. Sie lebte bereits seit über zehn Jahren in Frankreich, hatte als Frontreporterin die verheerenden Auswirkungen des Ersten Weltkriegs gesehen und beschrieben und kam nun auf ihr Thema, das alte New York, zurück. Ihr Vertrauter und guter Freund, der Schriftsteller Henry James, hatte ihr bereits früher zu diesem Thema geraten, denn in dieser Welt war sie aufgewachsen. Wharton schrieb meistens an mehreren Projekten gleichzeitig, so auch in diesem Fall. Zeit der Unschuld entstand 1919 parallel zu einer Kriegserzählung, die Wharton zunächst herausbringen wollte. Doch sowohl die Zeitschrift Pictorial Review als auch der Verlag Scribner’s lehnten ab mit der Begründung, es gebe aktuell keinen Markt für Kriegsromane. Wharton fügte sich widerwillig und stellte relativ schnell den Roman Zeit der Unschuld fertig, um das vereinbarte Honorar nicht zu verlieren.

Als Wharton ihren Roman schrieb, erfreute sich die Kulturanthropologie allgemeiner Beliebtheit. Um 1900 herum entstanden viele Abhandlungen über Sitten und Bräuche verschiedener Völker. Wharton hatte Kontakt zu einigen Anthropologen wie Bronisław Malinowski, deren präzise Instrumente sie sich aneignete, um die New Yorker Gesellschaft zu sezieren. 1919 hatte Wharton bereits einen Essay veröffentlicht, in dem sie die Unterschiede zwischen amerikanischen und französischen Frauen beschrieb. Damit waren die Figuren von May und Ellen bereits grob umrissen.

Wirkungsgeschichte

Zeit der Unschuld ist Edith Whartons bekanntester und neben Haus der Freude ihr erfolgreichster Roman. Er verkaufte in den ersten beiden Jahren nach der Buchveröffentlichung 115 000 Exemplare in den USA. Vor der Buchveröffentlichung war der Text bereits in vier aufeinanderfolgenden Ausgaben der Zeitschrift Pictorial Review veröffentlicht worden. Auch hier waren die Verkaufszahlen mehr als zufriedenstellend. Die Kritiken fielen unterschiedlich aus. Die Evening Post nannte das Werk „ein Ruhmesblatt für die amerikanische Literatur“, für die New York Times Book Review war es „einer der besten Romane des 20. Jahrhunderts“. Besonders die Genauigkeit der Autorin bei den historischen Fakten und der Schilderung des Milieus wurden durchweg gelobt. 1921 erhielt Wharton für den Roman als erste Frau überhaupt den Pulitzer-Preis – und das, obwohl ein Jurymitglied ihr später Ignoranz gegenüber den unteren Gesellschaftsklassen vorwarf.

1928 setzte die Bühnenautorin Margaret Ayer Barnes den Stoff erstmals als Theaterstück um. Katharine Cornell, einer der größten Bühnenstars ihrer Zeit, spielte Ellen Olenska mit großem Erfolg am Broadway. Bereits 1924 wurde das Buch als Stummfilm inszeniert, 1934 erstmals als Tonfilm. Die berühmteste Filmadaption ist die von Martin Scorsese aus dem Jahr 1993 mit Daniel Day-Lewis, Michelle Pfeiffer und Winona Ryder in den Hauptrollen. Auf das Buch wird bis heute immer wieder in der Popkultur verwiesen. Zum Beispiel hat die amerikanische Fernsehserie Sex and the City mehrfach mit Motiven und Zitaten aus Whartons Roman gearbeitet.

Über die Autorin

Edith Wharton wird 1862 als Edith Newbold Jones in New York City als drittes Kind ihrer Eltern geboren. Sie ist die Tochter eines durch Immobilienbesitz wohlhabenden Elternhauses. Ab 1866 verbringt die Familie sechs Jahre in Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien und kehrt 1872 nach New York zurück. Das Kind ist nach den Eindrücken aus Europa von der Tristesse der Stadt ernüchtert. Edith veröffentlicht in ihren Teenagerjahren einige Gedichte unter Pseudonym. Ihre Familie hält die Schriftstellerei für brotlose Kunst. 1882 stirbt erst Whartons Vater, kurz darauf platzt ihre Verlobung mit dem Sohn eines reichen Hoteliers. 1885 heiratet sie den zwölf Jahre älteren Edward Robbins Wharton, einen wohlhabenden Bostoner Bankier. Einige Jahre und viele Reisen später zieht das Ehepaar Wharton nach Land’s End, wo Edith mit der Hilfe eines Architekten das Haus dekoriert und mit ihm ein Buch über Hausdekoration herausgibt, das 1897 zu ihrem ersten Erfolg wird. Während der Ehe mit dem zunehmend depressiv werdenden Edward schreibt Wharton eine Reihe von Kurzgeschichten und einen Roman. Ihr zweiter Roman Haus der Freude (The House of the Mirth) wird 1905 zum Publikumserfolg. Das Buch begründet ihren Ruf als bedeutende Autorin. 1908 beginnt Wharton eine Affäre mit dem Journalisten William Morton Fullerton, 1913 wird ihre Ehe nach 28 Jahren geschieden. Schon seit 1907 lebt sie in Frankreich. Als 1914 der Krieg ausbricht, hilft Wharton bei der Unterbringung von Flüchtlingen und berichtet in Artikeln von der Front. Diese Texte werden unter dem Titel Fighting France ein amerikanischer Bestseller. Nach dem Krieg lebt Wharton abwechselnd bei Paris und in Hyères. Hier entsteht unter anderem ihr größter Erfolg, der Roman Zeit der Unschuld (The Age of Innocence, 1920), für den sie 1921 als erste Frau den Pulitzer-Preis erhält. 1923 folgt die Ehrendoktorwürde an der Universität Yale. Dreimal wird Wharton für den Literaturnobelpreis nominiert. Sie stirbt 1937 nach einem Schlaganfall auf ihrem Landsitz bei Paris. 

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