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Das Prinzip Verantwortung

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Das Prinzip Verantwortung

Versuch einer Ethik fĂŒr die technologische Zivilisation

Suhrkamp,

15 min read
12 take-aways
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What's inside?

Hans Jonas’ philosophische Theorie zur Rettung der Welt: Ein Aufruf zur Verantwortung fĂŒr das Erbe der menschlichen Zivilisation anstelle des blinden „Prinzips Hoffnung“.


Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Moderne

Worum es geht

Philosophisches Handbuch fĂŒr eine aus den Fugen geratene Welt

Darf die Menschheit kollektiven Selbstmord begehen? Dass sie technisch dazu in der Lage ist, darĂŒber bestehen bereits seit Jahrzehnten keine Zweifel. Die Philosophie hatte lange Zeit keine Antwort auf diese und andere Probleme des technologischen Zeitalters. Hans Jonas lieferte in seinem Hauptwerk von 1979 die philosophische Theorie zu den Bedrohungen durch die schier unbegrenzte Macht des Fortschritts. In Das Prinzip Verantwortung ruft er nach ZĂŒgeln, die die Menschheit von der Zerstörung ihrer selbst abhalten. Jonas zeigt auf, wieso die herkömmliche Ethik angesichts der großen Bedrohungen der Zivilisation nicht mehr hinreichend ist. Er kritisiert die Utopie des Marxismus, der genau wie der Kapitalismus auf der Ausbeutung der Natur beruht und die vergebliche Hoffnung auf einen besseren Menschen nĂ€hrt. Der Philosoph hĂ€lt diesem irrigen Wunschglauben das hĂ€ssliche Bild des schlimmstmöglichen Endes entgegen. Nur durch die Furcht vor der Apokalypse könne die Menschheit zur Vernunft gebracht werden. Statt den Menschen mit Ernst Blochs „Prinzip Hoffnung“ untergehen zu sehen, nimmt Jonas ihn mit dem „Prinzip Verantwortung“ in die Pflicht. Jonas’ Verantwortungsethik legte den Grundstein fĂŒr eine Debatte um die Zukunft der Welt, die bis heute nichts an AktualitĂ€t verloren hat.

Take-aways

  • Mit seinem Hauptwerk Das Prinzip Verantwortung erlangte der Natur- und Technikphilosoph Hans Jonas weltweite Anerkennung.
  • Das Buch ist der Entwurf einer Ethik im Zeitalter der modernen Technologien.
  • Im Gegensatz zu frĂŒher ist der Mensch heute in der Lage, mit der Technik die ganze Welt zu zerstören.
  • Da die bisherige Ethik dieser Bedrohung nicht gerecht wird, besteht in der Moderne ein ethisches Vakuum.
  • Der Mensch hat die moralische Pflicht, das Erbe der Zivilisation und den Planeten Erde zu bewahren.
  • Nötig ist dazu eine „Heuristik der Furcht“, die mit den schlimmstmöglichen Gefahren rechnet; IrrtĂŒmer sind nicht mehr erlaubt.
  • Die Menschheit hat kein Recht auf kollektiven Selbstmord, sie ist moralisch zum Dasein verpflichtet.
  • Weil die Menschheit mit ihrem Handeln bereits heute ihre Zukunft aufs Spiel setzt und darum weiß, steht sie in der Verantwortung.
  • Utopien, die naive Hoffnungen in einen besseren Menschen setzen, wie etwa der Marxismus, taugen angesichts der realen Gefahren nichts.
  • Dem „Prinzip Hoffnung“ von Ernst Bloch muss deshalb das „Prinzip Verantwortung“ entgegengestellt werden.
  • In Anbetracht der drohenden ökologischen Katastrophe sind eine zurĂŒckhaltende Anwendung der Technik und ein vorsichtiger Umgang mit den Ressourcen geboten.
  • Jonas’ Buch legte 1979 den Grundstein zu einer anhaltenden Debatte ĂŒber den Umgang mit dem Fortschritt in Technik und Medizin.

Zusammenfassung

Das ethische Vakuum der Moderne

Die Ethik ging bisher davon aus, dass die Natur des Menschen und der Dinge im Grunde feststĂŒnde. Daraus ließen sich GrundsĂ€tze des richtigen Handelns ableiten. Ob eine Tat „gut“ oder „schlecht“ war, zeigte sich innerhalb kurzer Zeit; das menschliche Handeln hatte eine beschrĂ€nkte Reichweite. Diese Voraussetzungen haben sich im Zeitalter der modernen Technologien geĂ€ndert. Durch die technischen Möglichkeiten erhĂ€lt das menschliche Handeln eine ganz neue Dimension. Seine Auswirkungen auf die Natur sind unabsehbar. Das Wissen ĂŒber die Folgen des Tuns bleibt hinter der menschlichen Schaffenskraft zurĂŒck: Der „Homo faber“ ist ĂŒber den „Homo sapiens“ hinausgewachsen. Anders als in frĂŒheren Zeiten ist der Mensch heute in der Lage, die ganze Welt zu zerstören. Kants individueller Imperativ genĂŒgt darum nicht mehr; die neuen ethischen Imperative sind kollektiver Art. Sie sollen verhindern, dass der Fortbestand der Menschheit gefĂ€hrdet ist.

„Der endgĂŒltig entfesselte Prometheus, dem die Wissenschaft nie gekannte KrĂ€fte und die Wirtschaft den rastlosen Antrieb gibt, ruft nach einer Ethik, die durch freiwillige ZĂŒgel seine Macht davor zurĂŒckhĂ€lt, dem Menschen zum Unheil zu werden.“ (S. 7)

Der moderne Mensch ist zum Objekt der Technik geworden: Sie verlĂ€ngert sein Leben, kontrolliert sein Verhalten, öffnet aber auch neue Möglichkeiten der GesellschaftsverĂ€nderung. Aus alldem ergibt sich ein ethisches Vakuum in der Moderne: Da die MĂ€chte des Handelns viel grĂ¶ĂŸer geworden sind (kollektiv, kumulativ und technologisch), lassen sie sich nicht mehr mit den Normen der klassischen Ethik fassen. Es muss eine neue Ethik geben, um die neuartigen Handlungsformen zu regulieren und zu ordnen.

FĂŒr eine neue Zukunftsethik

Es stellen sich nun zwei prinzipielle Fragen: Was sind die Grundlagen der Ethik? Und wie kann sie in der Gesellschaft durchgesetzt werden? Die eine Frage betrifft die Moral, die andere die Politik. Eine Wissenschaft, die die möglichen Fernwirkungen der Technik beschreibt, fehlt uns. Diese Wissenschaft mĂŒsste vor allem die Bedrohung des Menschen zum Inhalt haben. Zur Abschreckung muss ein Bild des Schlechten gemalt werden. Nur so erkennen die Menschen, was sie wirklich schĂ€tzen. Eine „Heuristik der Furcht“ ist nötig; wir mĂŒssen lernen, uns vor den Folgen unseres zerstörerischen Handelns zu Ă€ngstigen. Je unsicherer die Zukunftsprojektionen, desto grĂ¶ĂŸer ist die Denkpflicht – denn mit der KomplexitĂ€t wĂ€chst auch die Bedrohung durch den schlimmstmöglichen Ausgang. Die schlechte Prognose hat Vorrang vor der Heilsprophezeiung, weil sich die Menschheit angesichts der nicht mehr umkehrbaren Effekte der Technologie keine IrrtĂŒmer erlauben darf. In der Anwendung von Techniken ist generell BedĂ€chtigkeit geboten, da durch die Dynamik der kumulierten Effekte Korrekturen schwierig geworden sind. Das Wissen vom Möglichen reicht zwar nicht als Beweismittel fĂŒr Vorhersagen aus, aber es genĂŒgt als philosophisches Denkexperiment. Die Politik fordert allerdings eine andere Beweislage und Prognostik, weshalb die Gefahr besteht, dass die SchlĂŒsse der Ethik womöglich nicht rechtzeitig angewandt werden.

„Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung vertrĂ€glich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“ (S. 36)

Das menschliche Handeln enthĂ€lt immer ein Element der Wette. Die Ethik hat bisher geregelt, dass man um nichts wetten darf, was einem nicht gehört. Der Einsatz darf vor allem nicht das Leben anderer gefĂ€hrden, es sei denn zur Abwehr des schlimmsten Übels. Die großen Wagnisse der Technologie werden also ausgeschlossen, weil damit fremde Interessen als Wetteinsatz verwendet werden. Im Gegensatz zum Einzelnen hat die Menschheit als Ganzes kein Recht auf Selbstmord, sondern eine unbedingte Pflicht zum Dasein. Das Vabanquespiel mit der Technik, bei dem es um das Wohl der Menschheit geht, ist darum ethisch unannehmbar. In der Zukunftsethik entfĂ€llt die ReziprozitĂ€t, wonach jede Pflicht das GegenstĂŒck eines Rechts ist: Man ist heute verantwortlich, ohne Anspruch auf Gegenleistung, so wie Eltern moralisch fĂŒr ihre Kinder verantwortlich sind. Allein aufgrund ihrer Existenz hat die Menschheit eine Verantwortung fĂŒr die Idee des Menschen. Ein kategorischer Imperativ gebietet, dass es Menschen gebe.

Zweck und Wert

Im Rahmen der Zukunftsethik muss nun das VerhĂ€ltnis von Zwecken und Werten geklĂ€rt werden. Der Zweck antwortet auf die Frage nach dem „Wozu?“. Er kann frei von Werturteilen sein. Der Hammer beispielsweise ist fĂŒr seinen Zweck und mit diesem geschaffen worden, der Zweck ist jedoch nicht in ihm, sondern steht nur dem Besitzer zur VerfĂŒgung. Der Gerichtshof wurde ebenfalls fĂŒr einen Zweck geschaffen, ist aber, im Gegensatz zum Hammer, auch von ihm beseelt. Er funktioniert nur durch seinen Zweck. Beides sind eindeutig Zweckgebilde, die von dem Menschen fĂŒr den Menschen geschaffen wurden. Anders z. B. das Verdauungsorgan: Es erfĂŒllt einen immanenten und unwillkĂŒrlichen Zweck im Ganzen des lebenden Körpers. Das Leben hat im Körper einen Selbstzweck; daraus folgt, dass die Natur ĂŒber das menschliche Bewusstsein hinaus einen Zweck hat und in sich Werte hegt. Als NĂ€chstes muss nun untersucht werden, ob wir diesen Werten der Natur beipflichten mĂŒssen.

Das Gute, das Sollen und das Sein

Was also ist das Gute in der Natur, das bewirkt, dass das Sein zum Sollen wird und damit eine Handlung einfordert? Ein solches Gebot kann vom ureigenen Anspruch der Natur auf ihr Sein ausgehen. Im Zweck des Seins liegt eine grundsĂ€tzliche Selbstbejahung des Seins, dadurch ist das Sein gegenĂŒber dem Nichtsein absolut besser. Da jedes Lebewesen sein eigener Zweck ist, ist die Selbstbejahung des Seins auch ein „Ja zum Leben“ und ein „Nein zum Tod“. Der kritische Punkt der Moraltheorie ist der Unterschied zwischen dem Wollen und dem Sollen. Es kommt dabei primĂ€r auf die Sache an, nicht auf den Willen: MoralitĂ€t kann nie sich selbst zum Ziel haben; der Inhalt einer Handlung steht an erster Stelle. Die Menschen sind potenziell moralische Wesen, schon allein, weil sie zwischen moralisch und unmoralisch unterscheiden können. Etwas, das uns begegnet, hat einen Anspruch auf Existenz in sich und erzeugt in uns den Willen, es darin zu unterstĂŒtzen – das ist das GefĂŒhl der Verantwortung.

Theorie der Verantwortung

Verantwortung ist die Folge eines Kausalzusammenhangs: Ein TĂ€ter muss fĂŒr seine Tat „antworten“. Dabei mĂŒssen die Taten nicht bewusst sein. Es gibt auch eine Verantwortung frei von Schuld, so wie z. B. Eltern fĂŒr ihre Kinder haften. ZusĂ€tzlich zur bloßen Verantwortlichkeit enthĂ€lt die Verantwortung ein GefĂŒhl, dass man etwas tun soll: Der Mensch hat die Pflicht, sich einer Sache anzunehmen, weil es in seiner Macht steht. Gegen diese natĂŒrliche Verantwortung kann man sich nicht wehren. Unverantwortlich handeln kann nur, wer Macht ĂŒber das Wohlergehen von anderen hat. Als Archetyp fĂŒr die Verantwortung kann das neugeborene Kind gelten, dessen bloßes Atmen die Eltern verpflichtet, es zu umsorgen.

„Es ist die Vorschrift, primitiv gesagt, dass der Unheilsprophezeiung mehr Gehör zu geben ist als der Heilsprophezeiung.“ (S. 70)

Neben der natĂŒrlichen Verantwortung der Eltern gibt es eine nach Inhalt und Zeit begrenzte vertragliche Verantwortung, die man wie ein Amt annehmen und wieder ablegen kann. Die Verantwortung der Politik ist selbstgewĂ€hlt und kĂŒnstlich. PrimĂ€r ist aber die Verantwortung von Mensch zu Mensch, eine Urverantwortung, die jeder Mensch selbst erfahren hat. Diese liegt in der bloßen Möglichkeit begrĂŒndet, dass es eine Verantwortung geben könnte.

„Über das individuelle Recht zum Selbstmord lĂ€sst sich reden, ĂŒber das Recht der Menschheit zum Selbstmord nicht.“ (S. 80)

Im Unterschied zum organischen Wachstum in der Natur hat die Geschichte von Gesellschaften kein vorgezeichnetes Ziel. Die Menschheit ist immer schon da und nie erst herbeizufĂŒhren. Auch kann die Zukunft nur beschrĂ€nkt vorausgesagt werden. Dem Menschen bleibt stets Spielraum, um Unvorhergesehenes zu schaffen. Das System des Marxismus, eine umfassende spekulative Theorie, steht und fĂ€llt mit der Geschichte. Das meiste von dem, was im Marxismus wirklich passierte, wurde nicht vorausgesehen.

„Niemals darf Existenz oder Wesen des Menschen im Ganzen zum Einsatz in den Wetten des Handelns gemacht werden.“ (S. 81)

Das menschliche Handeln hat sich so verĂ€ndert, dass die Verantwortung heute ganz neue Inhalte und Zeitspannen umfasst. Sie stand bisher nicht im Zentrum der ethischen Theorie, weil Wissen und Macht beschrĂ€nkt waren und das Ziel jeder Herrschaft die Dauerhaftigkeit war. In der Moderne hingegen sorgen die Dynamik, das grĂ¶ĂŸere Wissen und die gesteigerte Macht des Menschen dafĂŒr, dass Kants Leitsatz „Du kannst, denn du sollst“ umgekehrt werden muss: „Du sollst, denn du tust, denn du kannst“.

GefÀhrdete Zukunft und Fortschrittsgedanke

Im Zeitalter einer allmĂ€chtig gewordenen Zivilisation ist die erste Pflicht des menschlichen Verhaltens, die Zukunft der Menschheit zu sichern. Der Mensch hat das Gleichgewicht der Evolution gestört. Das Bacon’sche Ideal, ĂŒber die Natur zu herrschen, ist lĂ€ngst erfĂŒllt. Aber gerade durch das Übermaß an Erfolg der Technik droht die ökologische Katastrophe. Anstatt den Menschen zu befreien, hat die UnterdrĂŒckung der Natur ihn selbst verknechtet.

„Und selbst der klarste Zweck der Kernwaffen im eventuellen Gebrauch – nĂ€mlich Vernichtung – verrĂ€t nicht, dass der Zweck ihrer AnhĂ€ufung der Nichtgebrauch ist.“ (S. 113)

Kann der Marxismus diesem Problem besser begegnen als der Kapitalismus? Die marxistische BedĂŒrfniswirtschaft ist wohl weniger verschwenderisch in der Verteilung der GĂŒter. Weitere Vorteile sind die totale Regierungsgewalt mit der Möglichkeit, auch UnpopulĂ€res durchzusetzen, sowie ein Hang zu Moralismus und Askese. So scheint der Marxismus fĂŒr die drohende Gefahr besser gewappnet zu sein. Doch genau wie der Kapitalismus sind auch die kommunistischen Systeme auf dem Maximierungsmotiv aufgebaut und betreiben einen Technikkult. Die grĂ¶ĂŸte Gefahr geht davon aus, dass der Marxismus auf der Utopie aufbaut, der „eigentliche Mensch“ komme erst noch. Von diesem utopischen Ideal mĂŒssen wir uns verabschieden. Fortschritte in Zivilisation und Technik haben immer einen Preis: Wissenschaftlicher Fortschritt fĂŒhrt zur ZerstĂŒckelung des Wissens, technischer Fortschritt zu moralischen Dilemmas. Die ideale Gesellschaft gibt es nicht, jedes System hat Vor- und Nachteile. So haben freiheitliche Systeme einen Kompromisscharakter, weil sie auch dem Schlechten Freiheiten geben. Ein realistisches Bild des „bestmöglichen Staates“ ist aber dem ideologischen „Wolkenkuckucksheim“ vorzuziehen. Die „pragmatische Utopie“ taugt als Leitbild fĂŒr die politische Praxis – im Gegensatz zur Utopie des Marxismus, der sie im Ernst herbeifĂŒhren will.

Kritik der Utopie

Die Utopie ist eine weltliche Form der Heilslehre. Sie ist unbrauchbar, weil sie von einer messianischen Verwandlung des Menschen ausgeht. Die Metaphorik des „Aufstands der Verdammten“ ist ĂŒberholt, weil sich die Klassenkampfsituation verlagert hat: Die „Verdammten der Erde“ leben in der Dritten Welt, wĂ€hrend die Industrienationen zu Wohlfahrtsstaaten geworden sind. Ein Klassenkampf unter den Nationen aber ist ein Irrweg, weil er die explosive Gefahr eines Weltkriegs oder des Terrorismus birgt. Eine vernĂŒnftige Antwort auf die neue Klassenkampffrage wĂ€re ein Konsumverzicht in den ĂŒberentwickelten LĂ€ndern – aus reinem Selbstinteresse. Die marxistische Utopie, die die BedĂŒrfnisse aller durch die Technik befriedigen möchte, stĂ¶ĂŸt an ihre natĂŒrlichen Grenzen. Nahrung, Rohstoffe und Energien sind beschrĂ€nkt und mehrheitlich nicht erneuerbar. Selbst wenn unbegrenzte Energie zur VerfĂŒgung stehen wĂŒrde, hĂ€tte dieser Verbrauch nach den Gesetzen der Physik einen Treibhauseffekt zur Folge. In der Energiewirtschaft ist deshalb ein bedĂ€chtiges Vorgehen und Bescheidenheit im Fortschritt gefordert. Die Utopie, das unbescheidene Ziel par excellence, muss man sich aus dem Kopf schlagen.

„Diese Art Verantwortung und VerantwortungsgefĂŒhl, nicht die fomal-leere ‚Verantwortlichkeit' jedes TĂ€ters fĂŒr seine Tat, meinen wir, wenn wir von der heute fĂ€lligen Ethik der Zukunftsverantwortung sprechen.“ (S. 175)

Auch als positiver Traum ist die Utopie, wie sie Ernst Bloch in Das Prinzip Hoffnung fordert, gefĂ€hrlich. Das Reich der Freiheit ohne Arbeit, von dem Karl Marx trĂ€umte, erweist sich als lĂ€hmendes Nichtstun. Die Muße verliert ihren Reiz, wenn sie obligatorisch wird. So wie Festen jede Lust abgeht, wenn sie alltĂ€glich gefeiert werden, ist die generelle Utopie eines irdischen Paradieses sinnlos. Es ist also ein Irrtum, dass die Freiheit dort beginnt, wo die Notwendigkeit aufhört. Die „Humanisierung“ der Natur ist nichts als schöngeredete Ausbeutung und entspringt dem Wunderglauben. Der anthropologische Grundfehler der „Ontologie des Noch-nicht-Seins“ Blochs steckt darin, dass sie von einer VerĂ€nderung des menschlichen Wesens ausgeht. Doch wĂ€hrend das menschliche Wissen wĂ€chst, bleibt seine Natur zweideutig, sowohl gut als auch böse. So nötig eine Verbesserung der Bedingungen ist, so unnötig ist dafĂŒr der Köder der Utopie. Es braucht die Einsicht, dass die Existenz des Menschen ihr eigener Zweck ist.

„Kant sagte: Du kannst, denn du sollst. Wir mĂŒssen heute sagen: Du sollst, denn du tust, denn du kannst, das heißt dein exorbitantes Können ist schon am Werk.“ (S. 230 f.)

Als Alternative fĂŒr das Modell der Utopie bietet sich eine Ethik der Verantwortung an, die dem galoppierenden VorwĂ€rts die ZĂŒgel anlegt. Dem „Prinzip Hoffnung“ von Ernst Bloch wird das „Prinzip Verantwortung“ gegenĂŒbergestellt. Wenn die Verantwortung nicht wahrgenommen wird, ist die Angst vor dem schlimmstmöglichen Ausgang hilfreich. In Ehrfurcht vor dem, was der Mensch war und ist, erscheint die Verantwortung fĂŒr die Zukunft als Ziel des Menschen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Die rund 400 Seiten von Das Prinzip Verantwortung sind in sechs Kapitel aufgeteilt, die aus mehreren Unterkapiteln bestehen. Das erste Kapitel beschreibt die verĂ€nderte Ausgangslage fĂŒr die Ethik in einer Zeit, in der durch Technik alles machbar erscheint. Die Kapitel zwei bis vier widmen sich philosophischen Grundfragen wie der nach dem Sein, dem Guten und dem Sollen. In diesem Teil ist das Werk hochtheoretisch und in seiner moralphilosophischen Wortwahl, die mitunter an den Versuch eines Gottesbeweises erinnert, streckenweise mĂŒhsam. Viel konkreter und packender schreibt der Autor wieder im fĂŒnften Kapitel, in dem er das VerhĂ€ngnis des Fortschrittsglaubens in der Moderne analysiert. Im letzten Kapitel liefert Jonas eine teils polemische Kritik der Utopie und dabei insbesondere von Ernst Blochs Das Prinzip Hoffnung. Hier gewinnt die Sprache enorm an SchĂ€rfe und Tempo. Nachdem Jonas im Exil jahrzehntelang nur auf Englisch publiziert hatte, entschloss er sich angesichts seines vorgerĂŒckten Alters dazu, das Buch in seiner deutschen Muttersprache zu schreiben und so schneller damit fertig zu werden. Selbstkritisch berichtet Jonas im Vorwort, ihm sei bei VortrĂ€gen ein „archaisches“ Deutsch nachgesagt worden und seine Sprache sei stellenweise „altfrĂ€nkisch“ – eine durchaus zutreffende EinschĂ€tzung. Die Behandlung eines höchst zeitgemĂ€ĂŸen Gegenstandes in einem nicht zeitgemĂ€ĂŸen Philosophie- und Sprachstil ist allerdings vom Autor ausdrĂŒcklich gewollt.

InterpretationsansÀtze

  • Das Prinzip Verantwortung ist, wie es im Untertitel heißt, der „Versuch einer Ethik fĂŒr die technologische Zivilisation“. Die bisherige Ethik beurteilt Jonas als unzureichend fĂŒr die globalen Herausforderungen, die fĂŒr die Menschheit zunehmend bedrohlich sind. In der Moderne sei eine Ethik gefragt, die der gesteigerten Zerstörungsmacht des Menschen und den weit in die Zukunft reichenden Folgen seines Tuns gerecht werde.
  • Dem kategorischen Imperativ Kants setzt Jonas einen ökologischen Imperativ entgegen: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen vertrĂ€glich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“ Nötig sind demzufolge insbesondere ein Verzicht auf Konsum und ein vorsichtiger Umgang mit den FrĂŒchten des Fortschritts.
  • Das Prinzip Verantwortung ist schon dem Titel nach ein Gegenentwurf zu Ernst Blochs Das Prinzip Hoffnung aus den 50er Jahren. Mit Blick auf die unkontrollierbaren Bedrohungen der Menschheit kritisiert Jonas die modernen Utopien und plĂ€diert stattdessen fĂŒr die geistige Haltung einer „Heuristik der Furcht“: Nur wer sich das Schlimmste ausmalt, kann das Gute fĂŒr kommende Generationen erhalten.
  • Weil die Ereignisse in unserer komplexen Welt kaum vorherzusagen sind und es immer ein Worst-Case-Szenario geben kann, rĂ€t die „Heuristik der Furcht“, nichts zu unternehmen und alles beim Alten zu belassen. Sie hat die Tendenz, uns zur PassivitĂ€t im Umgang mit Wissenschaft und Technik zu verfĂŒhren.
  • Hans Jonas zĂ€hlt sich zu den Postmarxisten: Um eine ideologiefreie Wertphilosophie bemĂŒht, kritisiert er sowohl den Marxismus als auch den Kapitalismus, die beide auf der gleichen Ausbeutung der Natur beruhen.
  • Obwohl die Auseinandersetzung mit dem mittlerweile nur noch historisch interessanten Marxismus breiten Raum einnimmt, ist das Werk nach wie vor aktuell: Die Ethik der Verantwortung bietet eine philosophische Hilfestellung im Umgang mit Fragen der Energieverteilung, Gentechnik oder KlimaverĂ€nderung.

Historischer Hintergrund

Die Schattenseiten des Fortschritts

In den 1970er Jahren befand sich die Welt mitten im Kalten Krieg der beiden GroßmĂ€chte USA und Sowjetunion. Diese vertraten zwei unterschiedliche Wirtschaftssysteme, Kapitalismus und Kommunismus, und lieferten sich, beide mit verbĂŒndeten Staaten im Schlepptau, einen Wettkampf um die Macht. Im Kalten Krieg fand ein atomares WettrĂŒsten zwischen Ost und West statt und es wurden zahlreiche so genannte Stellvertreterkriege gefĂŒhrt, in denen sich die USA und die Sowjetunion auf fremden Territorien indirekt bekĂ€mpften, so beispielsweise im Vietnamkrieg, der 1973 mit dem RĂŒckzug der USA zu Ende ging. Im gleichen Jahr flammte der Konflikt im Nahen Osten neu auf, als Israel im Jom-Kippur-Krieg gegen Syrien und Ägypten kĂ€mpfte. Dieser Konflikt mĂŒndete in ein Öl-Embargo der arabischen LĂ€nder gegenĂŒber den Israel-freundlichen Staaten des Westens. Die dadurch ausgelöste weltweite Ölkrise fĂŒhrte den Industriestaaten erstmals die große AbhĂ€ngigkeit vom Erdöl vor Augen und weckte ein Bewusstsein fĂŒr die Endlichkeit der Energieressourcen. Nach dem jahrzehntelangen Aufschwung in der Folge des Zweiten Weltkriegs zeichneten sich in den 1970er Jahren vermehrt die Schattenseiten des technologischen Fortschritts ab. Obwohl der technische Fortschritt weiterhin schier explodierte, etwa in der Raumfahrt oder in der Weiterentwicklung des Computers, gab es in verschiedenen Bereichen RĂŒckschlĂ€ge. Im MĂ€rz 1979 ereignete sich in Harrisburg im amerikanischen Bundesstaat Pennsylvania der bis dahin grĂ¶ĂŸte Zwischenfall in einem Atomkraftwerk, als es in einem Reaktor zu einer Kernschmelze kam. Umweltkatastrophen wie die DioxinVerseuchung um eine Chemiefabrik im italienischen Seveso 1976 oder erste FĂ€lle von Ölpest durch havarierte Tankschiffe förderten das Bewusstsein fĂŒr die Verletzlichkeit der Natur. In verschiedenen LĂ€ndern wurden Ende des Jahrzehnts Umweltschutzbewegungen gegrĂŒndet. WĂ€hrend die 70er Jahre im Westen von einer gesellschaftlichen Liberalisierung geprĂ€gt waren, verbreitete sich zugleich ein GefĂŒhl der Besorgnis angesichts der Bedrohung durch Kriege, Umweltzerstörung und den internationalen Terrorismus.

Entstehung

Der aus Nazideutschland schon 1933 emigrierte Hans Jonas lebte seit 1955 in den USA, wo er u. a. an der New School for Social Research in New York lehrte. Dort setzte sich der Philosoph vermehrt mit den Naturwissenschaften auseinander. Die Rahmenbedingungen waren gĂŒnstig: Die zahlreichen aus Europa emigrierten Wissenschaftler und KĂŒnstler am Lehrinstitut befruchteten sich gegenseitig in ihren interdisziplinĂ€ren Forschungen. In den 60er Jahren publizierte Hans Jonas eine Reihe philosophischer Überlegungen zu Biologie und Technik. Mehrere Teile von Das Prinzip Verantwortung veröffentlichte er zwischen 1973 und 1977 als AufsĂ€tze in US-amerikanischen wissenschaftlichen Zeitschriften. FĂŒr die Niederschrift des Werks – nicht in Englisch, sondern in Deutsch, seiner Muttersprache – zog sich Jonas in die Abgeschiedenheit einer Villa in Beth Jizchak (Israel) zurĂŒck, wo er die ersten Kapitel verfasste. Ihm wurde dafĂŒr ein akademisches Urlaubsjahr durch zwei Stiftungen finanziert. In seinem Vorwort vom Juli 1979 dankt der Autor Freunden in Israel und in der Schweiz, wohin er sich wĂ€hrend der Jahre der Entstehung des Werkes immer wieder zu Arbeitsklausuren zurĂŒckzog. Das Prinzip Verantwortung erschien erstmals 1979 im Insel Verlag in Frankfurt am Main.

Hans Jonas ergĂ€nzte die Analysen seines Hauptwerks 1985 durch die Studie Technik, Medizin und Ethik, in der er praktische ethische MaßstĂ€be ermittelte, vor allem im Bereich der Humanbiologie und der Medizin. Außerdem stellte er darin das Dogma der Freiheit von Wissenschaft und Forschung in Zweifel und forderte mehr Bewusstsein dafĂŒr ein, dass nicht alles technisch Machbare auch in die Tat umgesetzt werden muss.

Wirkungsgeschichte

Das Prinzip Verantwortung ist das bekannteste Werk des Moralphilosophen Hans Jonas. Das Buch machte ihn weit ĂŒber die Fachkreise hinaus bekannt und löste eine leidenschaftliche Debatte ĂŒber die Folgen des technischen Fortschritts und die aktuelle Situation der Menschheit aus. Als einer der ersten Philosophen gab Jonas eine Antwort auf die Gefahren der modernen Technik. Heute wird deshalb jede neue Erkenntnis in den Naturwissenschaften auf ihre ethische Unbedenklichkeit geprĂŒft und der Mensch sieht sich mehr denn je mit der Forderung konfrontiert, zukĂŒnftigen Generationen eine lebenswerte Umwelt zu hinterlassen. Das Prinzip Verantwortung hat tatsĂ€chlich eine Besinnung in weiten Kreisen der Gesellschaft bewirkt – und das können sich die allerwenigsten philosophischen FachbĂŒcher auf die Fahnen schreiben. Hans Jonas, der unter Theologen und Philosophen schon zuvor als origineller Denker geschĂ€tzt wurde, gelangte als BegrĂŒnder der Verantwortungsethik zu Weltruhm. Kritisiert wurde er jedoch fĂŒr sein BemĂŒhen, moralische Handlungsnormen metaphysisch zu begrĂŒnden. Auch einzelne Aspekte seiner EinschĂ€tzung des Marxismus waren umstritten. AnlĂ€sslich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1987 hob Jonas die politische Dimension der Verantwortungsethik hervor und zeigte die Notwendigkeit von Konsumverzicht und einer EinschrĂ€nkung des freien Marktes auf.

In der Diskussion um Umweltschutz, Biotechnologie, Genforschung und medizinische Fortschritte allgemein liefert die Jonas’sche Verantwortungsethik bis heute anhaltende Impulse. An der Freien UniversitĂ€t Berlin wurde 1998 das Hans Jonas-Zentrum zur Erforschung der Fragen der Zukunftsverantwortung gegrĂŒndet.

Über den Autor

Hans Jonas wird am 10. Mai 1903 als Sohn eines Textilfabrikanten in Mönchengladbach geboren. Nach dem Abitur studiert er Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Freiburg, Berlin, Heidelberg und Marburg. Er ist SchĂŒler der Philosophen Edmund Husserl und Martin Heidegger sowie des Religionswissenschaftlers Rudolf Bultmann. In dessen Seminar lernt er die Philosophin Hannah Arendt kennen, mit der er eine lebenslange Freundschaft pflegt. 1928 promoviert er mit einer Dissertation ĂŒber den Begriff der Gnosis. Jonas wird in den folgenden Jahren zunehmend klarer, dass er als Jude nicht in Deutschland bleiben kann. 1933 emigriert er nach London, 1935 siedelt er nach PalĂ€stina ĂŒber. Im Zweiten Weltkrieg ist er Mitglied der britischen, 1948/49 Artillerieoffizier in der israelischen Armee. 1949 zieht er nach Kanada, wo er als Professor in Montreal und Ottawa arbeitet. 1955 folgt der Umzug nach New York, wo er an der New School for Social Research forscht und lehrt. Gastprofessuren fĂŒhren ihn u. a. nach Princeton, Chicago und MĂŒnchen. Nach frĂŒhen Arbeiten zur spĂ€tantiken und frĂŒhmittelalterlichen Philosophie wendet sich Jonas Problemen der Naturphilosophie zu. SpĂ€ter rĂŒckt die Ethik in einer naturwissenschaftlich-technisch geprĂ€gten Welt in den Fokus seiner Arbeit. 1979 erscheint sein bekanntestes Werk Das Prinzip Verantwortung. Das Buch löst eine lebhafte und dauerhafte Debatte ĂŒber die Zukunftsverantwortung von Forschung und Technik aus. 1987 erhĂ€lt Jonas den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und wird EhrenbĂŒrger seiner Heimatstadt Mönchengladbach. Hans Jonas stirbt am 5. Februar 1993 in New York. Als sich sein Todestag zum zehnten Mal jĂ€hrt, erscheint posthum Jonas’ Autobiografie Erinnerungen.

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