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Nachdenken über Christa T.

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Nachdenken ĂŒber Christa T.

Suhrkamp,

15 min read
12 take-aways
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What's inside?

Ein Leben im Zwiespalt zwischen idealem und real existierendem Sozialismus: Dieser Roman aus der DDR ist das bewegende PortrÀt einer ganzen Generation.

Literatur­klassiker

  • Roman
  • Gegenwartsliteratur

Worum es geht

Leben im Arbeiter- und Bauernstaat

„Christa T. stirbt an LeukĂ€mie, aber sie leidet an der DDR.“ Marcel Reich-Ranickis plakativer Satz ĂŒber Christa Wolfs Roman Nachdenken ĂŒber Christa T. trifft fast ins Schwarze – aber doch knapp daneben. Denn die frĂŒh verstorbene Freundin der Ich-ErzĂ€hlerin lĂ€sst sich nicht so einfach in ein Schema pressen. Jung und idealistisch trĂ€umt Christa T. nach dem Krieg vom Aufbau einer besseren Gesellschaft. Schon bald stellt sie enttĂ€uscht fest, dass unter den Tatmenschen und Opportunisten des Arbeiter- und Bauernstaates kein Platz fĂŒr sie ist. Die Individualistin kann sich nicht anpassen, zieht sich ins Private zurĂŒck und scheitert schließlich auch an ĂŒbersteigerten AnsprĂŒchen an sich selbst. Der Roman wurde im Westen gefeiert, wĂ€hrend er im Osten zunĂ€chst nur in kleiner Auflage erschien. Womöglich haben beide Seiten mit ihrem Scheuklappendenken Christa T. Unrecht getan. Denn Wolfs Roman ĂŒber das Leben in den Anfangsjahren der DDR ist von Zweifeln und vorsichtigen Deutungsversuchen durchsetzt. Jedes Fragezeichen fordert den Leser auf, eigene Antworten zu finden: Was ist ein erfĂŒlltes Leben? LĂ€sst sich das Streben nach persönlichem GlĂŒck mit gesellschaftlichem Engagement vereinbaren? Wie in den meisten Werken von Wolf geht es auch in diesem um Ideologie und Alltag in der DDR, doch hier steht erstmals der Mensch im Mittelpunkt.

Take-aways

  • Nachdenken ĂŒber Christa T. begrĂŒndete Christa Wolfs Weltruhm als bedeutendste Autorin der DDR.
  • Die Ich-ErzĂ€hlerin erinnert sich darin an ihre Studienfreundin Christa T., die 35-jĂ€hrig an LeukĂ€mie gestorben ist.
  • Wie viele junge Intellektuelle wĂ€hrend der Aufbauphase nach dem Krieg trĂ€umt Christa T. von einem besseren Deutschland, das sozialistisch sein soll.
  • Sie wird Dorfschullehrerin, studiert Germanistik und unterrichtet nach ihrem Examen an einer Berliner Oberschule.
  • 1953, im Jahr des DDR-Volksaufstandes, verliebt sie sich unglĂŒcklich. Sie spĂŒrt zum ersten Mal echte Todessehnsucht.
  • Der phantasievollen und individualistischen jungen Frau fĂ€llt es immer schwerer, sich mit dem real existierenden Sozialismus abzufinden.
  • 1956 heiratet sie einen Tierarzt, zieht mit ihm nach Mecklenburg und wird Hausfrau und Mutter.
  • Um der deprimierenden Kleinstadtwohnung zu entkommen, plant Christa, ein weißes Haus auf einem HĂŒgel am See zu bauen.
  • Noch vor dem Einzug bricht bei ihr der Krebs aus. Sie bringt ihre dritte Tochter zur Welt und stirbt wenige Monate spĂ€ter.
  • Christa Wolf perfektionierte mit diesem Werk ihren Stil der "subjektiven AuthentizitĂ€t": die ErklĂ€rung gesellschaftlicher ZusammenhĂ€nge aus der persönlichen Erfahrung heraus.
  • In der DDR wurde das Buch ein Fall fĂŒr die Zensur, wĂ€hrend es im Westen als Abgesang auf den Sozialismus gefeiert wurde.
  • TatsĂ€chlich hat die Autorin stets an der Idee vom Sozialismus als der besseren Gesellschaftsform festgehalten.

Zusammenfassung

Anfang einer Freundschaft

Die ErzĂ€hlerin macht sich Gedanken ĂŒber ihre Freundin Christa T., die im Februar 1963 im Alter von 35 Jahren an LeukĂ€mie gestorben ist. Zu Hilfe nimmt sie ihre eigene Erinnerung sowie die TagebĂŒcher, Briefe, unvollendeten Manuskripte und bekritzelten Zettelchen aus dem Nachlass der Verstorbenen. Die erste Begegnung mit Christa T. im Jahr 1943 steht der ErzĂ€hlerin noch deutlich vor Augen: Christa T., mit Spitznamen Krischan genannt, ist vom Land in das ProvinzstĂ€dtchen gekommen, um dort die Oberschule zu besuchen. Anstatt sich demĂŒtig und zurĂŒckhaltend, eben wie ein Neuankömmling, zu benehmen, fordert sie ihre MitschĂŒlerinnen tĂ€glich neu heraus. Sie scheint mutig und ehrlich, aber auch verschlossen und geheimnisvoll. Schließlich ĂŒberwindet die ErzĂ€hlerin ihre anfĂ€ngliche Eifersucht und freundet sich mit Krischan an. Im Januar 1945 mĂŒssen beide mit ihren Familien vor den heranrĂŒckenden Russen fliehen. Erst sieben Jahre spĂ€ter begegnen sie sich an der UniversitĂ€t wieder.

Hoffnung auf Neubeginn

Zu Beginn der Nazizeit: Christa T., die Tochter eines Dorfschullehrers, der gegen den Gutsherren im Ort rebelliert und als „Soziknecht“ beschimpft wird, sehnt sich nach GĂŒte und Gerechtigkeit. Als Kind erlebt sie entsetzt die rohe und grausame Seite des Menschen: ein PĂ€chter, der aus bloßem Überdruss ihren Lieblingskater an der Stallwand zerschmettert; die Vertreibung der Zigeunerfamilie aus ihrem Dorf; ein kleiner Junge, der wĂ€hrend der Flucht nach Westen erfriert und im Schnee zurĂŒckgelassen wird. All das nĂ€hrt in ihr den verzweifelten Wunsch nach einer besseren Welt.

„Nachdenken, ihr nach - denken. Dem Versuch, man selbst zu sein.“ (S. 9)

Nach dem Krieg macht sie eine Ausbildung als Lehrerin und unterrichtet in einer mecklenburgischen Dorfschule. Christa T. glaubt an die Bildung des „neuen Menschen“. Begeistert verschlingt sie die Schriften sowjetischer Literaten und PĂ€dagogen. Eine kurze Zeit lang glaubt sie, die ErfĂŒllung ihrer tiefen SehnsĂŒchte gefunden zu haben. Doch dann sieht sie vom Fenster ihrer Dachkammer aus eine Bande von Jungen, die Hunde mit Steinen bewerfen und willkĂŒrlich Elsterneier aus einem Nest schleudern. Sie ahnt, dass gewisse Dinge sich niemals Ă€ndern werden. Nach drei Jahren wird ihr die dörfliche Idylle zu eng und sie bewirbt sich um ein Hochschulstudium.

Allein unter Freunden

An der Leipziger UniversitĂ€t herrscht Aufbruchstimmung. Inmitten der TrĂŒmmerstĂ€dte streifen sich die Studenten Arbeitshandschuhe ĂŒber und bauen KindergĂ€rten, bilden Lernkollektive und verpflichten sich, niemals eine schlechtere Durchschnittsnote als „gut“ zu erreichen. Christa T. gibt sich große MĂŒhe, in dieses System hineinzupassen. Doch es gelingt ihr nicht. Ihre damalige Freundin Gertrud Born, die spĂ€ter Dölling heißen und Dozentin an der UniversitĂ€t sein wird, nennt diese Andersartigkeit „merkwĂŒrdig“ und „verletzend“ – schließlich stellt Christa T. ungewollt alles in Frage, was die Nachkriegsgeneration in der DDR aufzubauen versucht. Christa glaubt wie alle anderen an das vor ihnen liegende kommunistische Paradies. Nur sind ihre AnsprĂŒche an sich selbst und die Gesellschaft ungleich höher. Sie kann sich nicht mit dem Gedanken abfinden, bloß Teil einer reibungslos funktionierenden Maschinerie zu werden.

„Und bloß nicht vorgeben, wir tĂ€ten es ihretwegen. Ein fĂŒr alle Mal: Sie braucht uns nicht. Halten wir also fest, es ist unseretwegen, denn es scheint, wir brauchen sie.“ (S. 10)

Christa T. verliebt sich in ihren Mitstudenten Kostja, einen unnahbaren Schönling. Die Geschichte verlĂ€uft unglĂŒcklich, weil Kostja von Christa ĂŒberfordert zu sein scheint. Am Ende schnappt er seinem Freund GĂŒnther dessen Freundin Inge weg. Damit bereitet er indirekt GĂŒnthers tiefen Fall vor. Denn kurz nach diesem Ereignis hĂ€lt GĂŒnther seine PrĂŒfungsstunde fĂŒr das Lehrerexamen zum Thema „Schillers Kabale und Liebe – der Vorrang der gesellschaftlichen vor den persönlichen Motiven im Verhalten Ferdinands“. Entgegen dieser Vorgabe spricht sich GĂŒnther vor den SchĂŒlern dafĂŒr aus, dass romantische Liebe und Liebeskummer auch im Sozialismus ihren Platz hĂ€tten – und wird dafĂŒr seines Postens als ParteisekretĂ€r enthoben. Die BegrĂŒndung: GĂŒnther sei dem Subjektivismus verfallen. SpĂ€ter wird Kostja Inge heiraten, GĂŒnther wird zeitlebens ledig bleiben. Christa T. stĂŒrzt in diesem FrĂŒhsommer 1953 erstmals in tiefe Depressionen. In einem nie abgeschickten Brief schreibt sie ihrer Schwester, dass sie sterben wolle. Sie fĂŒhlt sich unnĂŒtz, kleinbĂŒrgerlich, ihren tatkrĂ€ftigen Kommilitonen in allem unterlegen. An der Gesellschaft, so redet sie sich ein, kann es nicht liegen. Es muss ihre eigene Schuld sein.

Der Wahrsager

In den Sommerferien fĂ€hrt Christa T. zu ihren Eltern ins Dorf. Sie hört von einem österreichischen General, der „den Blick“ hat, und lĂ€sst ihn in ihre Zukunft schauen. Der Wahrsager rĂ€t ihr davon ab, sich von ihrem nĂ€chsten Verehrer zur Ehe bewegen zu lassen. Sie solle sich erst einmal beruflich entfalten und werde dann in sechs, sieben Jahren vermutlich einen Doktor oder Professor heiraten. Schließlich deutet er an, dass die Ehe frĂŒhzeitig durch den Tod – entweder den der Frau oder den des Mannes – beendet werde. Christa T. schließt daraus, dass der General ihr einen frĂŒhen Tod vorausgesagt hat. Nach den Sommerferien kehrt sie dennoch zuversichtlich an die UniversitĂ€t zurĂŒck und meldet ihre Examensarbeit ĂŒber Theodor Storm an, mit dessen Werk sie sich identifiziert: der war sich seiner Grenzen bewusst und versuchte doch immer wieder, sie schreibend zu ĂŒberwinden. Der Dichter, so Christa T. in ihrer Examensarbeit, erschuf ein „Sehnsuchtsbild menschlicher Schönheit“.

Generationenwechsel

Nach dem Examen nimmt sie eine Stellung als Lehrerin in einer Berliner Oberschule an. EnttĂ€uscht stellt sie fest, dass eine neue Generation von SchĂŒlern vor ihr sitzt: abgebrĂŒht, ehrgeizig und opportunistisch. Sie können ĂŒber den Idealismus der Lehrerin nur lachen. Zum Aufsatzthema „Bin ich zu jung, meinen Beitrag fĂŒr die Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft zu leisten?“ schreiben sie nur propagandistische PlattitĂŒden herunter. Christa T. wĂŒrde am liebsten allen eine Vier geben, doch das kann sie nicht, da es sich um eine Wettbewerbsarbeit handelt. Eine SchĂŒlerin erklĂ€rt gleichmĂŒtig, dass niemand sie dazu zwingen könne, durch Dummheit ihre Zensur zu verderben. Der Direktor der Schule weist seine junge Kollegin sanft zurecht, nicht mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen. Schließlich könne man nicht „Macht und GĂŒte“ auf einmal haben.

„Das Paradies kann sich rar machen, das ist so seine Art. Soll den Mund verziehen, wer will: Einmal im Leben, zur rechten Zeit, sollte man an Unmögliches geglaubt haben.“ (S. 60)

Im Herbst geht es mit der Klasse zum Ernteeinsatz aufs Land. Am Tag der Abreise – die Kartoffelfelder sind fast abgeerntet und alle sind bester Stimmung – lĂ€sst einer der SchĂŒler sich fĂŒr Geld auf eine abstoßende Mutprobe ein: Vor den Augen aller beißt er einer Feldkröte den Kopf ab. Christa T. wendet sich ab und weint. Dieses Mal gibt sich der Direktor weniger verstĂ€ndnisvoll und erteilt ihr eine RĂŒge wegen Verletzung der Aufsichtspflicht. Sieben Jahre spĂ€ter trifft sie einen ehemaligen SchĂŒler wieder, der nun Arzt geworden ist und Christa T. freundlich ĂŒber ihren Irrtum aus jener Zeit aufklĂ€rt: Moralische AnsprĂŒche haben nach seiner Ansicht in der PĂ€dagogik nichts zu suchen. Um zu ĂŒberleben, mĂŒsse man lernen, sich den RealitĂ€ten des Lebens anzupassen.

Tierarztfrau in Mecklenburg

Noch wĂ€hrend ihrer Studienzeit lernt Christa T. in der Mensa den VeterinĂ€rstudenten Justus kennen, der aus einer anderen Stadt zu einer Konferenz angereist ist. Justus ist vom ersten Augenblick an in sie verliebt. Doch sie lĂ€sst sich Zeit, schreibt gelegentlich Briefe und ruft erst an, als er sie schon fast aufgegeben hat. Ihre Freunde sind von der Wahl ĂŒberrascht. Justus, ein Sohn pommerscher Bauern, wird mit Christa T. in eine mecklenburgische Kleinstadt ziehen. Sie wird das Großstadtleben und ihre Lehrerinnenlaufbahn aufgeben, Kinder bekommen und ihrem Mann den Tee so zubereiten, wie er ihn mag. Der ErzĂ€hlerin wird erst jetzt bewusst, dass ihre Freundin sich mit dem RĂŒckzug in ihre Rolle als Ehefrau auch vor den eigenen AnsprĂŒchen und der stĂ€ndigen Versagensangst schĂŒtzte.

„Sie hat gefĂŒhlt, wie die Worte sich zu verwandeln beginnen, wenn nicht mehr guter Glaube und Ungeschick und Übereifer sie hervorschleudern, sondern Berechnung, SchlĂ€ue, Anpassungstrieb.“ (S. 63)

In ihrem letzten Jahr in Berlin besucht Christa T. zusammen mit Justus dessen Cousine im Westen der Stadt. Diese und ihr Mann, ein Börsenmakler, entpuppen sich trotz ihrer anders lautenden VorsĂ€tze als feiste, gönnerhafte Westler. Die Cousine beklagt seufzend den Materialismus im kapitalistischen Westen und packt anschließend eine Tasche mit GewĂŒrzen, die Justus so gerne mag. „Oder soll ich dir lieber einen BĂŒstenhalter schenken?“, fragt sie ihre Besucherin ungerĂŒhrt. Kurze Zeit spĂ€ter heiraten Justus und Christa T., ganz ohne Feier und Besucher. Am Abend, wĂ€hrend der Pause in der Oper, ist der JungvermĂ€hlten nicht wohl. In ihrer Hochzeitsnacht beschimpft sie ihren hilflosen Mann als „Viehdoktor“. Ihr altes Leiden, die Depression, ist wieder zum Vorschein gekommen.

Schwere Geburt

Im November 1956 hören die ErzĂ€hlerin und Christa T. im Westradio von der sowjetischen Niederschlagung des Volksaufstandes in Ungarn. Sie begreifen, dass die Zeit der TrĂ€umer und Idealisten endgĂŒltig abgelaufen ist und sie sich der ungeschminkten Wirklichkeit stellen mĂŒssen. Sie wissen: Die Rolle der Betrogenen wird man ihnen verwehren. Im gleichen Herbst bringt Christa T. ihre Tochter Anna unter schier endlos scheinenden, krĂ€ftezehrenden Wehen zur Welt. Nach der Geburt zieht die junge Familie zunĂ€chst provisorisch in ein SommerhĂ€uschen und dann in ein altes, ungemĂŒtliches Eckhaus in einer mecklenburgischen Kleinstadt. Christa T. bleibt dort eine Fremde. Den Ehefrauen des Zahnarztes und des Schulleiters erscheint sie seltsam, ja fast unheimlich. Sie versucht zu schreiben, kommt aber, auch wegen ihrer chronischen MĂŒdigkeit, nicht ĂŒber Fragmente hinaus. Wenn möglich, fĂ€hrt sie mit ihrem Mann ĂŒbers Land. Gemeinsam versuchen sie die widerstrebenden Bauern davon zu ĂŒberzeugen, sich freiwillig zu landwirtschaftlichen Genossenschaften zusammenzuschließen. Hier, umgeben von spröder Freundlichkeit und echten Geschichten, fĂŒhlt Christa T. sich heimisch.

Das weiße Haus auf dem HĂŒgel

Christa T. spĂŒrt, dass die dĂŒstere Kleinstadtwohnung sie auf Dauer erdrĂŒcken wird. Sie beginnt, Skizzen von ihrem Traumhaus auf einem kleinen HĂŒgel am See zu zeichnen: weiß, mit einem Schilfdach und einem riesigen Fenster zum Wasser hin. Das Ufer soll vom Schilf befreit werden, damit Anna und ihre kleine Schwester Lena im Sommer dort baden können. Wieder reagieren ihre Freunde mit UnverstĂ€ndnis. Ausgerechnet Christa T. als Hausbesitzerin, in diesen Zeiten? Aber sie lĂ€sst sich trotz aller Schwierigkeiten nicht von ihren PlĂ€nen abbringen. Mal fehlen zwar die Materialien, dann das Geld und meistens beides zusammen. Wieder wird der ErzĂ€hlerin erst im Nachhinein klar, was das Haus fĂŒr ihre Freundin bedeutete: eine AnnĂ€herung ans Leben, eine feste Wurzel, die sie stĂ€rker machen sollte, sich den Widrigkeiten des Daseins zu stellen.

„Wann - wenn nicht jetzt? So beginnt der Brief, den ich gerne unterschlagen hĂ€tte, denn er wurde nie abgeschickt, und außer ihr und mir kennt ihn niemand.“ (S. 78)

WĂ€hrend die Bauarbeiten schleppend vorangehen, verliebt sich Christa T. in einen jungen Förster, den Jagdfreund ihres Mannes. Justus weiß davon. Er reagiert hilflos, tobt oder schweigt tagelang und kommt immer öfter angetrunken aus der Kneipe zurĂŒck. Er hat in dieser Zeit auch berufliche Probleme: Der korrupte Direktor eines Volksgutes versucht, ihn in eine AffĂ€re von Unterschlagungen und nachlĂ€ssiger Viehpflege zu verwickeln. Christa T. kĂ€mpft mit sich und ihrer verbotenen Liebe. Es ist, wie der ErzĂ€hlerin spĂ€ter aufgeht, ihre Art, sich nicht mit den Gegebenheiten abzufinden. Einer der vielen ManuskriptentwĂŒrfe ihrer Freundin trĂ€gt den Titel: „Die große Hoffnung oder Über die Schwierigkeit, ,ich‘ zu sagen.“

Einzug und Tod

Am Silvesterabend 1961/62 ist die AffĂ€re mit dem Förster vergessen. Christa T. berichtet der ErzĂ€hlerin lĂ€chelnd, dass sie ihr drittes Kind erwartet. Sie lĂ€dt ihre Freunde zur Besichtigung des Rohbaus ein. Der Wind pfeift durch die Ritzen. Die Besucher spĂŒren, dass dieses Haus der rauen Natur trotzen muss. Kaum vorstellbar, dass es irgendwann einmal bewohnbar sein wird. Doch sieben Monate spĂ€ter ist es so weit: Christa T., hochschwanger und schwerfĂ€llig, feiert mit ihren Freunden den Einstand und serviert KrĂ€uterkartoffeln. Zu diesem Zeitpunkt ist bei ihr bereits die LeukĂ€mie ausgebrochen. Ihr Gesicht ist aufgedunsen, die Haut trocken und schuppig – eine Folge der starken Medikamente. Die Ärzte haben beschlossen, das Risiko der Geburt zu wagen. Im Grunde wissen alle, dass die Heilung ihrer Krankheit einem Wunder gleichkĂ€me. Christa T. ist wild entschlossen zu leben, sie will an dieses Wunder glauben. Ihre dritte Tochter kommt gesund zur Welt. In der ersten Zeit nach der Geburt geht es Christa gut. Doch schon wenig spĂ€ter bricht sie unerwartet in ihrem neuen Haus zusammen und wird wieder ins Krankenhaus eingeliefert. In ihren letzten Wochen erkundigt sie sich nicht einmal mehr nach den Kindern. An einem eisigen Februartag des Jahres 1963 stirbt Christa T.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Ausgangs- und Orientierungspunkt in diesem Roman ist die Situation der Ich-ErzĂ€hlerin: Eine geraume Zeit nach dem Tod ihrer Freundin Christa T. erinnert sie sich, liest Briefe, Tagebuchaufzeichnungen, betrachtet alte Fotos oder rekonstruiert in Gedanken Treffen mit ehemaligen WeggefĂ€hrten. Die Chronologie der Ereignisse durchbricht die ErzĂ€hlerin mit ZeitsprĂŒngen, Vorwegnahmen und Reflexionen. Der Leser muss die vielen Mosaiksteinchen in einem kreativen Prozess selbst zu einem Gesamtbild der Christa T. zusammensetzen – und wird, immer unsicherer, jedes Steinchen dreimal in der Hand umdrehen. Denn die ErzĂ€hlerin liefert kaum eine Erkenntnis, die sie nicht im gleichen Atemzug wieder hinterfragt: War Christa T. wirklich so? Oder ist das nur das Bild, das wir von ihr haben? Hat das wirklich stattgefunden? Oder habe ich es nur erfunden? Christa Wolf bringt ihre Leser durch diesen betont subjektiven Stil dazu, die Geschichte, ihre UmstĂ€nde und die eigenen (Vor-)Urteile permanent zu hinterfragen. Der nicht immer einfach zu bewĂ€ltigende Stil besteht oft aus Gedankenfetzen: Lange, durch Kommas getrennte Hauptsatzreihen wechseln sich ab mit dem Stakkato von Ellipsen (grammatisch unvollstĂ€ndigen SĂ€tzen). Wolf verwendet hĂ€ufig Symbole und Bilder aus der Natur, um politische Ereignisse oder persönliche Befindlichkeiten zu unterstreichen.

InterpretationsansÀtze

  • Der Roman behandelt das SpannungsverhĂ€ltnis zwischen Individuum und Staat. Die Protagonistin glaubt an die Utopie einer besseren, sozialistischen Welt, zerbricht aber letztlich am real existierenden Sozialismus in der DDR. Trotz aller Anstrengungen gelingt es der phantasievollen, nonkonformistischen Christa T. nicht, sich dem kollektivistischen Gesellschaftsideal anzupassen. Sie sucht die Schuld dafĂŒr bei sich selbst und erkrankt, möglicherweise als Folge davon, tödlich.
  • Das kollektive „Wir“, das die Autorin ĂŒber weite Strecken verwendet, steht stellvertretend fĂŒr die enttĂ€uschten Hoffnungen einer ganzen Generation junger Intellektueller in der DDR, die in der Aufbruchphase der frĂŒhen 1950er Jahre an die Möglichkeit eines sozialistischen Paradieses auf Erden glaubten.
  • Christa Wolf nennt die Dinge nicht direkt beim Namen. Begriffe wie „Sozialismus“ oder „Partei“ kommen gar nicht vor. Gesellschaftliche und politische Themen werden mit Hilfe von Chiffren aus dem GefĂŒhlsleben der Heldin gespiegelt: Den Arbeiteraufstand von 1953 erlebt Christa T. in Form der gescheiterten Liebe zu Kostja und den Mauerbau 1961 als Ausbruchsversuch aus ihrem Leben durch eine AffĂ€re mit dem Freund ihres Mannes.
  • Das weiße Haus auf dem HĂŒgel ist ein Symbol fĂŒr Christa T.s Versuch, innerhalb der Systemgrenzen ihre eigene Nische zu finden und endlich „ich“ zu sagen. Doch es ist zu spĂ€t: Ihre Entfremdung vom System ist bereits zu weit fortgeschritten, und die tödliche Krankheit hat schon Besitz von ihr ergriffen.
  • Christa Wolf verabschiedete sich mit diesem Roman endgĂŒltig von der Doktrin des sozialistischen Realismus und setzte dieser ihre „subjektive AuthentizitĂ€t“ entgegen – die ErklĂ€rung gesellschaftlicher ZusammenhĂ€nge aus der persönlichen Erfahrung heraus.
  • Viele westliche Kritiker interpretierten den Roman als Abgesang auf den Sozialismus. Doch die Autorin hat dem stets widersprochen. Der SchlĂŒsselsatz „Wann, wenn nicht jetzt?“ sei vielmehr ein Ausdruck von Hoffnung gewesen, dass die DDR ihr Versprechen einer besseren Gesellschaft endlich einlöse.

Historischer Hintergrund

Sozialistische Literatur zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Viele Vertreter der jungen Nachkriegsgeneration in der sowjetischen Besatzungszone sahen in der GrĂŒndung der DDR am 7. Oktober 1949 den Beginn eines neuen, moralischen Zeitalters gekommen: Antifaschistisch, pazifistisch, emanzipatorisch und kollektiv verantwortlich sollte dieser neue Staat sein, ein GegenstĂŒck zum kapitalistischen Westen. Doch die RealitĂ€t sah schon bald ganz anders aus: Vor allem die Bauern und der Mittelstand widersetzten sich den Kollektivierungen, bis man sie schließlich dazu zwang. Zahlreiche LeistungstrĂ€ger siedelten in den Westen ĂŒber. Zugleich kam die Wirtschaft nicht in Gang, nicht zuletzt auch wegen der rigorosen sowjetischen Demontagepolitik. Die Hoffnung auf Besserung nach dem Tod Josef Stalins im FrĂŒhjahr 1953 erfĂŒllte sich nicht. Zwar beschloss die SED-FĂŒhrung im Juni darauf den „Neuen Kurs“, der die KonsumgĂŒterindustrie stĂ€rken sollte. Doch die im Mai erlassene Normerhöhung von 10,3 % blieb bestehen. Eine (Arbeits-)Norm bezeichnete im Rahmen der Planwirtschaft die in einem bestimmten Zeitraum zu leistende Arbeit. Am 17. Juni kam es zu einem Volksaufstand, den sowjetische Truppen brutal niederschlugen. Mit dem Einmarsch der Roten Armee in Ungarn im November 1956 trat die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit des Kommunismus erneut deutlich zutage. In der DDR erschwerte im selben Jahr ein neues Passgesetz Reisen in den Westen. Die „Republikflucht“ wurde zur Straftat erklĂ€rt. Doch die Abwanderung der besten Köpfe ließ sich so nicht stoppen. Bis 1961 verließen fast drei Millionen Menschen das Land. Am 13. August dieses Jahres ließ die DDR-FĂŒhrung daraufhin die Berliner Mauer bauen.

Entstehung

Christa Wolf hatte sich bereits zunehmend von der offiziellen DDR-Politik entfremdet, als sie Nachdenken ĂŒber Christa T. schrieb. Auf dem 11. Plenum des SED-Zentralkomitees (ZK) im Dezember 1965, dessen Ziel die Maßregelung junger KĂŒnstler in der DDR war, setzte sie sich als einzige Rednerin gegen eine restriktivere Kulturpolitik ein. Nach dieser Rede erlitt sie eine schwere Herzattacke und war mehrere Wochen lang psychisch krank. Ihrem Biografen Jörg Magenau sagte sie rĂŒckblickend, dass das Plenum zu einer Polarisierung unter den KĂŒnstlern fĂŒhrte: „Es gab einige, die bereit waren, sich anzupassen, die sich der Einengung der Kunst fĂŒgten, die dort verordnet wurde. (...) Ich begann darĂŒber nachzudenken, was uns ĂŒberhaupt noch zu tun möglich blieb – immer noch mit der Vorstellung, dass die Strukturen dieses Landes geeignet seien, eine vernĂŒnftige Gesellschaft zu entwickeln.“ Mit dieser Einstellung geriet sie zunehmend in die MĂŒhlen der Zensur. Von Nachdenken ĂŒber Christa T. schrieb sie insgesamt vier Fassungen. Zuletzt reichte sie noch ein Kapitel nach, um die Aufsichtsbehörden zu besĂ€nftigen. Obwohl ein Gutachten dem Roman die Gefahr „ideologischer Desorientierung“ bescheinigte, wurde im Mai 1968 der Druck von 15 000 Exemplaren genehmigt. Die Autorin stellte fest, dass sie ihrem Alter Ego wĂ€hrend der Arbeit nĂ€her gerĂŒckt war: „SpĂ€ter merkte ich, dass das Objekt meiner ErzĂ€hlung gar nicht so eindeutig sie, Christa T., war oder blieb. Ich stand auf einmal mir selbst gegenĂŒber.“

Wirkungsgeschichte

Unter dem Eindruck des „Prager FrĂŒhlings“ im Unruhejahr 1968 wurde die Druckgenehmigung fĂŒr den Roman wieder zurĂŒckgenommen. Nachdenken ĂŒber Christa T. erschien dann nur noch in einer Auflage von 800 Exemplaren in Halle/Saale, wĂ€hrend das Buch, das 1969 auch in der Bundesrepublik erschien, dort auf den Bestsellerlisten landete. Das Lob und die z. T. einseitige Vereinnahmung der KĂŒnstlerin durch westliche Kritiker wirkte sich auf die Autorin wie ein Bumerang aus: „Christa T. stirbt an LeukĂ€mie, aber sie leidet an der DDR“, schrieb der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki. Nach Aussage Wolfs bewirkte diese Äußerung des „Literaturpapstes“, dass in der DDR ein Auslieferungsstopp fĂŒr das Werk verhĂ€ngt wurde. Die Zensurbehörde stellte abermals die Forderung nach Änderungen, die die Autorin aber nicht mehr erfĂŒllte. Erst vier Jahre spĂ€ter wurde das Buch in ihrer Heimat erfolgreich neu aufgelegt.

Christa Wolf wurde mit Nachdenken ĂŒber Christa T. international berĂŒhmt und gewann zahlreiche Literaturpreise. Ihr neuer Stil der „subjektiven AuthentizitĂ€t“ brachte der Autorin im Ausland klingende Beinamen wie „Stimme der DDR“ ein. In ihrer Heimat markierte der zĂ€he Kampf mit der Zensur den Beginn ihrer intensiven Überwachung durch die Stasi, die bis zum Zusammenbruch des Staates andauerte. Die Autorin stand mit ihrem KunstverstĂ€ndnis nicht allein da. Am nĂ€chsten kommt der Romanheldin Christa T. wohl die 1972 von Ulrich Plenzdorf geschaffene Figur Edgar Wibeau in Die neuen Leiden des jungen W. Auch Plenzdorfs Held, ein Junge voller sozialistischer Ideale, zerbricht an der RealitĂ€t der DDR. Den Machthabern war diese Literatur allerdings ein Dorn im Auge. Auf der 9. Tagung des ZK der SED 1973 warnte der ParteisekretĂ€r Erich Honecker davor, „eigene Leiden der Gesellschaft aufzuoktroyieren“. Die Darstellung von „Vereinsamung und Isolierung des Menschen von der Gesellschaft“ stĂŒnde dem „Anspruch des Sozialismus“ an die Literatur entgegen.

Über den Autor

Christa Wolf wird am 18. MĂ€rz 1929 in Landsberg an der Warthe geboren. Nach der Vertreibung 1945 lĂ€sst sich ihre Familie in Mecklenburg-Vorpommern nieder. Wolf arbeitet zunĂ€chst als Schreibkraft und macht 1949 ihr Abitur. Im selben Jahr tritt sie der SED (Sozialistische Einheitspartei) bei. WĂ€hrend des Germanistikstudiums lernt sie ihren spĂ€teren Mann, den Schriftsteller Gerhard Wolf, kennen. Nach dem Studium arbeitet Christa Wolf zunĂ€chst als wissenschaftliche Mitarbeiterin fĂŒr den Deutschen Schriftstellerverband, dann als Verlagslektorin und als Redakteurin einer Literaturzeitschrift. Ab 1962 ist sie freie Schriftstellerin. Ein Jahr darauf erscheint der Roman Der geteilte Himmel, eine Auseinandersetzung mit dem Mauerbau und mit unterschiedlichen LebensentwĂŒrfen in beiden Teilen Deutschlands. Christa Wolf gilt als Vorzeigeintellektuelle der jungen DDR, doch schon bald gerĂ€t sie wegen ihres subjektiven Stils und der Behandlung kontroverser Themen in Konflikt mit dem Machtapparat. Ihr zweiter Roman Nachdenken ĂŒber Christa T.(1968) erscheint zunĂ€chst nur in kleiner Auflage. 1976 unterstĂŒtzt die Autorin den Protest gegen die ZwangsausbĂŒrgerung des Liedermachers Wolf Biermann. Bei aller Kritik bleibt sie der Idee des Sozialismus dennoch treu. Als sogenannte „loyale Dissidentin“ darf sie reisen, hĂ€lt VortrĂ€ge im Ausland und wird zunehmend als gesamtdeutsche Schriftstellerin anerkannt. 1980 erhĂ€lt sie den renommierten westdeutschen Georg-BĂŒchner-Preis. 1983 erscheint ihre ErfolgserzĂ€hlung Kassandra. Nach dem Fall der Mauer setzt Wolf sich fĂŒr den „dritten Weg“ einer reformierten DDR und gegen die Wiedervereinigung ein. 1993 gibt sie zu, zwischen 1959 und 1962 als IM (inoffizielle Mitarbeiterin) fĂŒr die Stasi gearbeitet zu haben, weist aber auch darauf hin, dass sie ab 1969 permanent von der Spitzelbehörde ĂŒberwacht wurde. In den 90er-Jahren diffamieren westliche Kritiker die einst gefeierte Schriftstellerin als „Staatsdichterin der DDR“. Sie stirbt am 1. Dezember 2011 in Berlin.

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