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Nomoi

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Nomoi

Reclam,

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10 take-aways
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What's inside?

Was ist die beste Staatsverfassung und wie lÀsst sie sich umsetzen? Platon widmete dieser Frage sein letztes Werk.


Literatur­klassiker


Worum es geht

Ein unterschÀtzter Meilenstein der politischen Philosophie

Wenn es um die politische Philosophie Platons geht, wird hauptsĂ€chlich ĂŒber den Dialog Der Staat gesprochen. Die Nomoi (Gesetze) hingegen, Platons lĂ€ngster und letzter von ihm selbst verfasster Dialog, galten lange als Zeichen der politischen Resignation und philosophischen AltersschwĂ€che des Atheners. Dabei wagen sie ein viel spannenderes Projekt: als Gedankenexperiment den fiktiven Idealstaat aus Der Staat in die RealitĂ€t zu ĂŒberfĂŒhren. Dazu spannt der Dialog einen weiten Bogen von Tugendlehre und Kosmologie ĂŒber die Geschichte politischer Staatsformen bis zu juristischen Einzelheiten und sogar konkreten Vorgaben fĂŒr Erziehung, Ehe oder Alkoholgenuss. Dank dieser Themenvielfalt sind die Nomoi eine umfassende EinfĂŒhrung in Platons Philosophie – und als solche wurden sie bis ins Mittelalter auch rezipiert. Auch wenn dem modernen Leser einige Gesetze Platons recht autoritĂ€r und totalitĂ€r erscheinen mögen, lohnt sich die LektĂŒre dieses reichhaltigen Textes, vor allem wegen seines allgemeinen Zugangs zur politischen Philosophie.

Take-aways

  • Platons SpĂ€twerk Nomoi (auf Deutsch: Gesetze) gilt als Beginn der systematischen politischen Philosophie.
  • Inhalt: Drei Ă€ltere Herren – ein namenloser Athener, der Kreter Kleinias und der Spartaner Megillos â€“ pilgern zu einem kretischen Zeus-Heiligtum und unterhalten sich dabei ĂŒber Form und Ausrichtung einer idealen Verfassung und darĂŒber, wie eine solche realisiert werden könnte.
  • Die Nomoi sind der lĂ€ngste Dialog, den Platon geschrieben hat.
  • Sie gelten als der letzte von Platon selbst verfasste Text.
  • WĂ€hrend der frĂŒhere Dialog Der Staat einen fiktiven Idealstaat entwirft, geht es in den Nomoi darum, wie ein solcher konkret umgesetzt werden kann.
  • Der Dialog thematisiert unter anderem das noch heute brisante Fundierungsproblem des Rechts.
  • Platon versuchte, den sizilianischen Tyrannen Dionysios II. fĂŒr seine politischen Ideen zu gewinnen, scheiterte jedoch dramatisch.
  • Besonders in der Antike und frĂŒhen Neuzeit haben sich westliche wie arabische Philosophen und Politiker auf die Nomoi berufen.
  • In der Moderne wurden Platons Staatsideale als totalitĂ€r kritisiert.
  • Zitat: â€žDer Gesetzgeber (muss) bei seiner Gesetzgebung sich drei Ziele setzen: dass die Stadt, der er Gesetze gibt, frei und mit sich selbst befreundet sein und Vernunft besitzen soll.“

Zusammenfassung

Das Ziel der Gesetzgebung

Der Kreter Kleinias, der Spartaner Megillos und ein namenloser Athener, allesamt Ă€ltere Herren, wandern zu einem kretischen Zeus-Heiligtum und unterhalten sich dabei ĂŒber Politik. Der Athener will von Kleinias und Megillos wissen, wen Sie als Urheber ihrer jeweiligen Gesetze sehen. FĂŒr den Spartaner ist dies Apollo, fĂŒr den Kreter Zeus. Nun fragt der Athener nach dem Zweck ihrer Gesetze. WĂ€hrend Kleinias den Krieg angibt, spricht sich der Athener fĂŒr Frieden als Staatszweck aus: Der Gesetzgeber soll vor allem fĂŒr Frieden unter den BĂŒrgern und mit anderen Staaten sorgen. Was den Endzweck der Gesetze betrifft, unterscheidet der Athener die göttlichen GĂŒter Einsicht, Besonnenheit, Gerechtigkeit und Tapferkeit von den menschlichen GĂŒtern Gesundheit, Schönheit, Kraft und Reichtum. Er erklĂ€rt, dass die göttlichen ĂŒber den menschlichen GĂŒtern stehen, weil sie vernĂŒnftiger sind, und dass sie deshalb den Zweck der Gesetzgebung darstellen sollten. Da aber ein tugendhaftes Leben nicht gesetzlich verordnet werden kann, wendet sich das GesprĂ€ch der Erziehung zu. Der Athener fĂŒhrt aus, der Mensch sei eine von Schmerzen und LĂŒsten gelenkte Marionette der Götter. Da sich seine natĂŒrlichen Antriebe nicht von sich aus mit dem Vernunftgesetz deckten, mĂŒsse das GefĂŒhlsleben des Menschen durch Gewöhnung und EinĂŒbung in Übereinstimmung mit der Tugend und dem Gesetz gebracht werden: durch Erziehung.

„,Ist es ein Gott oder irgendein Mensch, ihr Gastfreunde, dem ihr den Ursprung eurer Gesetzgebung zuschreibt?‘, ,Ein Gott, Fremder (
).‘“ (der Athener und Kleinias, S. 5) “

In der Erziehung kommt, gemĂ€ĂŸ dem Athener, der Musik, insbesondere dem Chorreigen, eine entscheidende Rolle zu. Einerseits lĂ€sst sich an der Fertigkeit im Tanzen und Singen eine „schöne Erziehung“ erkennen, denn nur tugendhafte Menschen erfreuen sich an Darstellungen der Tugend und können selbst tanzen und singen. Andererseits ist die Musik ein wichtiges Erziehungsmittel, insofern sie die Unruhe der Kinder in geordnete Bewegungen und Melodien kanalisiert und zudem die Jugend an das Ideal gewöhnt, dass Tugend mit Schönheit und GlĂŒck einhergeht. Der Athener erklĂ€rt es daher fĂŒr wĂŒnschenswert, alle Formen von Tanz und Musik zu verbieten, die nicht der Einheit von Schönheit, Tugend und GlĂŒck entsprechen. Das sei sogar notwendig, um das Wohl der Gesellschaft zu befördern.

Die beste Staatsverfassung

Nun fordert der Athener, die drei MĂ€nner sollten sich in Gedanken in die historische RealitĂ€t der StaatsgrĂŒnder zurĂŒckversetzen. Er beginnt die Rekonstruktion mit der Zeit nach einer jener großen Überschwemmungen, die den Großteil der damals lebenden Menschen vor allem in den StĂ€dten ausgelöscht hat – und mit ihnen die kulturellen und technischen Errungenschaften der vorangegangenen Generationen. Die Menschen dieser Zeit, meint er, seien aber gerade deshalb gutmĂŒtiger, tapferer, besonnener und gerechter gewesen und hĂ€tten zunĂ€chst in Sippen, dann in grĂ¶ĂŸeren Siedlungen und schließlich in StĂ€dten zusammen gelebt. In diesen prallten unterschiedliche BrĂ€uche aufeinander, was einheitliche Gesetze nötig machte. Nacheinander geht nun der Athener die verschiedenen Epochen bis zur Gegenwart durch.

„Erziehung (besteht) im Hinziehen und HinfĂŒhren der Kinder zu der Denkweise (
), die vom Gesetz als richtig verkĂŒndet und auch von den tĂŒchtigsten und Ă€ltesten MĂ€nnern aufgrund ihrer Erfahrung als wirklich richtig anerkannt ist.“ (der Athener, S. 63)

Danach wendet er sich den Verfassungsformen zu: Alle existierenden Staaten seien Mischformen der beiden Grundformen Demokratie und Monarchie. Die Demokratie habe in Athen, die Monarchie in Persien ihren Höhepunkt erreicht. Dabei sei auch ihre gemeinsame SchwĂ€che zutage getreten: Sowohl die Perser als auch die Athener vernachlĂ€ssigten die Erziehung. In der Folge verweichlichten Erstere und Letztere wurden anmaßend und selbstgerecht.

„Der Gesetzgeber (muss) bei seiner Gesetzgebung sich drei Ziele setzen: dass die Stadt, der er Gesetze gibt, frei und mit sich selbst befreundet sein und Vernunft besitzen soll.“ (der Athener, S. 138)

Der Athener fasst die bisherige Diskussion zusammen: Der Zweck des Staates ist die Wahrung von Freiheit, Frieden und Ordnung. Dies ist nur durch eine Verfassung zu erreichen, die die goldene Mitte zwischen Monarchie und Demokratie findet. Kleinias wirft ein, dass diese Überlegungen höchst gelegen kommen: Er sei eben in ein neunköpfiges Gremium berufen worden, das Gesetze fĂŒr eine neue Kolonie erarbeiten soll. Er sieht darin die Gelegenheit, das bisher Erörterte in eine konkrete Stadtverfassung umzusetzen.

Bedingungen fĂŒr einen bestĂ€ndigen Staat

Wie sollte eine Kolonie gelegen sein? Die drei MĂ€nner einigen sich auf Folgendes: Weder die NĂ€he zum Meer noch ein besonders fruchtbarer Boden sind wĂŒnschenswert, da sie den Handel mit anderen Staaten fördern, welcher die Menschen charakterlich verdirbt. Import und Export sind auf ein Mindestmaß zu beschrĂ€nken, um die Kolonie nicht abhĂ€ngig zu machen oder anderweitig zu schwĂ€chen. In die Kolonie sollen möglichst tugendhafte Menschen aufgenommen werden. SpĂ€ter mĂŒssen geeignete Beamte die Kolonie von schĂ€dlichen Elementen bereinigen, auch durch Mittel wie Todesstrafe und Verbannung. Außerdem ist gute Gesetzgebung entscheidend. Der Athener nennt den Mythos des Kronos-Staates als Vorbild: Kronos soll göttliche Wesen als Könige eingesetzt haben, da er erkannte, dass die Menschen, sobald sie Macht ĂŒber andere Menschen ausĂŒben, ungerecht werden und ihre Macht missbrauchen. Deshalb soll nur herrschen, wer Diener der Gesetze ist – nicht, wer durch Gewalt an die Macht gekommen ist. Die bekannten Staatsformen wie Aristokratie, Demokratie oder Monarchie sind deshalb keine legitimen Regierungsformen, weil sie die Partikularinteressen einer einzelnen Klasse dem gesamten Staat aufzwingen.

„Der Gott dĂŒrfte nun fĂŒr uns am ehesten das Maß aller Dinge sein, und dies weit mehr als etwa, wie manche behaupten, irgendein Mensch.“ (der Athener, S. 163) “

Nun entwerfen die drei MĂ€nner eine BegrĂŒĂŸungsrede an die fiktiven Siedler der neuen Kolonie: Die Siedler sollen niemals vergessen, dass Gott das Maß aller Dinge ist und dass die Menschen danach streben sollen, den Göttern Ă€hnlich zu werden. Es gibt deshalb eine klare Rangordnung der GĂŒter und der Ehrerbietung: Die oberste Pflicht jedes StadtbĂŒrgers besteht darin, die Götter (neben den Eltern) in höchster Ehre zu halten. Danach soll er, etwa durch Erziehung, seine Seele pflegen und ehren. Erst danach kommt die Sorge um den eigenen Körper und zuletzt jene um den Besitz, wobei hinsichtlich Gesundheit und Reichtum stets Maß gehalten werden sollte. Der Athener macht seine GesprĂ€chspartner darauf aufmerksam, dass der Gesetzgeber immer die Zustimmung seiner Untertanen einholen sollte. Er unterscheidet deshalb zwei Arten von Gesetzgebung: WĂ€hrend eine einfache Gesetzgebung nur Pflichten vorschreibt und Strafen androht, schickt eine doppelte Gesetzgebung jedem Gesetz eine Einleitung voraus, die den Sinn des Gesetzes erklĂ€rt. Durch diese BegrĂŒndung wird es den BĂŒrgern erleichtert, sich freiwillig und selbstbestimmt an die Gesetze der Kolonie zu halten.

Verwaltung und Regulierung

Da die ideale Verfassung nur den Göttern möglich ist, muss nach der zweitbesten Verfassung gesucht werden, die auch fĂŒr Menschen realisierbar ist. Diese wird, nach Meinung der GesprĂ€chspartner, zwar nicht ohne Privateigentum an Boden auskommen. Doch muss sichergestellt werden, dass dieses Eigentum jedem Bewohner zukommt und dass kein wirtschaftliches Ungleichgewicht entsteht. Da eine Spaltung die grĂ¶ĂŸte Gefahr fĂŒr jede Gesellschaft darstellt, muss die Kluft zwischen Arm und Reich so klein wie möglich gehalten werden. Deshalb darf niemand das ihm zugeloste StĂŒck Land verlieren können. Dessen Gegenwert stellt die untere Eigentumsgrenze dar, die obere sollte beim Drei- bis Vierfachen liegen. Das LandstĂŒck muss durch strenge Erbfolge in derselben Familie verbleiben und nur ein Drittel des gesamten Ertrags darf verkauft werden. Die Überwachung der Einhaltung dieser Vorgaben obliegt dem Verwaltungsapparat. Die Einrichtung der Ämter und die Auswahl der Beamten hat grĂ¶ĂŸte Wichtigkeit. Denn an den Beamten wird es liegen, ob die Gesetze richtig umgesetzt werden. Die ersten GesetzeswĂ€chter sollen 37 MĂ€nner zwischen 50 und 70 Jahren sein. Ihre Finanzen mĂŒssen fĂŒr alle BĂŒrger offen einsehbar sein und geheime Bereicherung im Amt muss schwer bestraft werden.

„Diejenige (Stadt), die wir jetzt in Angriff genommen haben, wĂŒrde wohl, wenn sie irgendwie verwirklicht wĂŒrde, der Unsterblichkeit am nĂ€chsten kommen und die am zweitbesten geeinte Stadt sein (...)“ (der Athener, S. 199)

WĂ€hrend einige Lebensbereiche wie die Erziehung nicht gesetzlich geregelt werden können, mĂŒssen andere Bereiche wie sportliche Wettbewerbe, das Zusammenleben der Geschlechter oder die Musik streng reguliert werden. Die Erziehung unterliegt dagegen lediglich Empfehlungen – etwa jener, dass Bewegung und ErnĂ€hrung fĂŒr den SĂ€ugling sehr wichtig sind und daher schon die Schwangeren sich ausreichend bewegen und ausgeglichen ernĂ€hren sollen. Die Kindeserziehung soll weder zu hart noch zu verzĂ€rtelnd und fĂŒr MĂ€dchen wie Jungen gleich sein. Sie soll in den Jugendlichen ein heiteres GemĂŒt ausbilden. Diese Charakterart entspricht den Göttern, denn sie meidet weder den Schmerz, noch jagt sie blind der Lust nach. Schließlich soll der Muße und Bildung viel Raum gegeben werden, denn die Jugendlichen sollen ihr Leben lang Körper und Geist bilden und verbessern. Musik, Tanz oder Tragödiendichtung mĂŒssen hingegen streng kontrolliert werden. So soll die Musik nur gute Affekte heraufbeschwören und stets eine Bitte an die Götter beinhalten.

„Eine Gesetzgebung ist eine gewaltige Leistung; wenn aber eine gut eingerichtete Stadt ungeeignete Beamte mit der Anwendung der gut abgefassten Gesetze betraut, so wird sich nicht nur kein Vorteil aus den guten Gesetzen ergeben (
), sondern es werden so ziemlich die schlimmsten SchĂ€den und Nachteile fĂŒr die StĂ€dte daraus hervorgehen.“ (der Athener, S. 215) “

Der Lebensalltag der Kolonie soll durch einen bestĂ€ndigen Zyklus aus religiösen Opfern und Festen geordnet werden und fĂŒr beide Geschlechter gleichermaßen im Zeichen eines allgemeinen Wehrdienstes stehen. Diesem Zweck allein sollen alle gymnastischen Wettbewerbe dienen und daher stets in voller RĂŒstung abgehalten werden sowie möglichst Waffengebrauch beinhalten. Da die Kolonie ihre BĂŒrger nicht unterdrĂŒcken und ihnen ein relativ hohes Maß an Freizeit und FestaktivitĂ€ten eröffnen soll, ist die Regulierung der Geschlechterbeziehungen umso wichtiger. Klar ist, dass alle sexuellen Beziehungen zwischen den BĂŒrgern im Rahmen der Ehe und zum Zweck der Zeugung von Nachkommen stattfinden sollen. Das erste Gesetz der Kolonie wird daher die Ehe betreffen und vorschreiben, dass MĂ€nner zwischen 30 und 35, MĂ€dchen zwischen 16 und 20 Jahren zu heiraten haben. Wer danach noch unverheiratet ist, soll bestraft werden, da die Zeugung von Kindern wesentlich fĂŒr den Erhalt der Kolonie ist. Eheschließungen sollen eher zum Nutzen der Gemeinschaft und weniger aus Neigung stattfinden. Das Ehepaar soll sich rasch von den Eltern emanzipieren, einen eigenen Hausstand grĂŒnden und das Eheleben möglichst öffentlich gestalten, da nur in der Öffentlichkeit ein harmonisches, tugendhaftes Leben eingeĂŒbt werden kann.

Das Strafgesetz

Die Gesetzgebung soll die Siedler zu guten BĂŒrgern erziehen und diejenigen bessern und belehren, die Unrecht tun. Doch es gibt auch einige Kapitalverbrechen, die unentschuldbar sind. Dies sind alle Verbrechen gegen die Götter, den Stadtstaat und die eigenen Eltern. Wer sie begeht, beweist, dass seine Seele nicht belehrt werden kann. Sie mĂŒssen darum mit dem Tod geahndet werden. Alle Verbrechen mĂŒssen danach beurteilt werden, ob sie aus Furcht, aus unkontrollierter Begierde oder aus falschen Erwartungen begangen wurden. Außerdem ist es von Bedeutung, ob es sich um offene oder verborgene Gewaltanwendung, etwa um Totschlag, oder aber um Intrigen handelt. Der Nachweis des Wahnsinns begrĂŒndet UnzurechnungsfĂ€higkeit und fĂŒhrt zu einer einjĂ€hrigen Verbannung. Jeder Mord – auch an Sklaven – wird mit dem Tod bestraft. Selbstmörder werden ebenfalls bestraft, insofern sie ohne Ehren in einem anonymen Grab außerhalb der Stadt bestattet werden.

„Meine Behauptung lautet (
), dass ein richtiges Leben weder der Lust nachjagen noch den Schmerz völlig vermeiden darf, sondern eben die rechte Mitte vorziehen muss, die ich gerade als heiter bezeichnet habe, eine GemĂŒtsverfassung, die wir (
) der Gottheit beilegen und damit das Richtige treffen.“ (der Athener, S. 283) “

Das schwerste Verbrechen ist der Zweifel an den Göttern. Er kann auf drei Arten verĂŒbt werden: als Atheismus, der die Existenz der Götter verneint; als Agnostizismus, der die Frage fĂŒr unentscheidbar hĂ€lt; oder als Zweifel darĂŒber, ob die Götter – auch wenn es sie geben sollte â€“ sich ĂŒberhaupt um uns Menschen kĂŒmmern. Derlei Einstellungen fĂŒhren dazu, dass Gesetze als willkĂŒrliche Setzungen angesehen und nicht mehr befolgt werden, weshalb jede GotteslĂ€sterung mit dem Tod zu bestrafen ist. Alles Unrecht wird aus Unwissen begangen. Der Fehler der Atheisten liegt etwa darin, nicht zu verstehen, dass die Seele ĂŒber dem Körper steht. Die Bewegungen der Körper unterliegen dem Ă€ußeren Anstoß und werden durch Hindernisse gehemmt. Nur die Selbstbewegung vermag einen Körper frei und selbststĂ€ndig zu bewegen. Sie ist das Wesen jedes Dings, seine Seele. Da letztlich sogar die Sterne sich selbst bewegen, liegt die Existenz einer Weltseele, eines Gottes, auf der Hand. Der Fehler der Zweifler liegt darin, dass sie den Göttern schlechte Eigenschaften zuschreiben, wenn sie behaupten, die Götter wĂŒrden nicht eingreifen, wenn die Guten leiden und die Bösen siegen. Das ist einerseits nur ein Schein, da die Bösen im nĂ€chsten Leben ihre Taten bereuen werden, und andererseits prinzipiell keine Art, ĂŒber Götter zu sprechen: Diese haben per se keine negativen Eigenschaften.

Die NĂ€chtliche Versammlung

FĂŒr den Erhalt der Kolonie durch die Wirren der Geschichte hindurch soll eine „NĂ€chtliche Versammlung“ sorgen. Sie ist die oberste HĂŒterin der Gesetze und muss den Stadtstaat vor Spaltung, Tugendlosigkeit oder anderen Arten des Zerfalls bewahren. Sie besteht aus den zehn Ă€ltesten GesetzeswĂ€chtern, den amtierenden Aufsehern, honorigen BĂŒrgern und Priestern sowie Informanten, die ĂŒber politische Entwicklungen aus dem Ausland berichten. Die Versammlung sollte im Morgengrauen tagen, da zu dieser Tageszeit die WĂ€chter noch unbelastet von ihren AlltagsgeschĂ€ften sind. Ihre Aufgabe besteht zunĂ€chst darin, die Vernunft zu wahren und sich das Ziel der Verfassung, die Tugend, in aller Klarheit vor Augen zu halten. Dabei mĂŒssen die GesetzeshĂŒter insbesondere die Einheit der vier Tugenden verstanden und verinnerlicht haben. Sie sollen in Dialektik geĂŒbt sein, um klar denken und argumentieren zu können, und sie sollen das wahre Wesen der Welt, die Seele und die Götter, genau kennen. Mit diesem Wissen ausgestattet, soll die NĂ€chtliche Versammlung beurteilen, welche GesetzesĂ€nderungen oder -vorschlĂ€ge fĂŒr das Wohl der Stadt aufzunehmen oder abzulehnen sind.

Zum Text

Aufbau und Stil

Die Nomoi sind Platons umfassendstes Werk. Der Titel lĂ€sst sich mit „Gesetze“ ĂŒbersetzen. Das Werk ist in zwölf BĂŒcher unterteilt, deren erste drei staatstheoretischen Grundsatzfragen gewidmet sind, wĂ€hrend die BĂŒcher vier bis zwölf den detaillierten Gesetzesentwurf fĂŒr eine fiktionale Stadt namens Magnesia vorstellen. Wie die meisten Werke Platons sind die Nomoi ein Dialog, eine unvermittelte Abfolge von Reden und Antworten. Es gibt nur drei Redner: den Kreter Kleinias, den Spartaner Megillos und den namenlosen Athener, der der WortfĂŒhrer ist. Die drei Ă€lteren MĂ€nner unternehmen am Tag der Sommersonnenwende auf Kreta eine Wanderung zur Zeus-Höhle im Ida-Gebirge. In dieser Höhle soll König Minos der Legende nach von Zeus die Gesetze Kretas empfangen haben. Unterwegs diskutieren die drei Pilger darĂŒber, wie Organisation und Verfassung eines optimalen Staates aussehen sollten. Das GesprĂ€ch wird, wie stets in den Dialogen Platons, von einem Hauptredner dominiert, der als Stellvertreter Platons gesehen werden kann. Sokrates ist es diesmal nicht – anders als in sĂ€mtlichen anderen platonischen Dialogen. Die beiden anderen Charaktere bleiben blass. Ihre Rolle ist meist darauf reduziert, einen Hintergrund fĂŒr die AusfĂŒhrungen des Atheners abzugeben oder diesem zuzustimmen. Der Ton ist fĂŒr Platons VerhĂ€ltnisse ungewöhnlich praxisnah. Ein Beispiel ist die Rede an die fiktiven Kolonisten im vierten und fĂŒnften Buch. Hier wendet sich Platon an ein breites Publikum und vermeidet komplexe philosophische Argumente.

InterpretationsansÀtze

  • Die Auswahl der drei GesprĂ€chspartner hat großen Symbolwert: Sie reprĂ€sentieren die drei wichtigsten griechischen Staaten Athen, Kreta und Sparta, womit Platon nahelegt, dass sein Dialog die Synthese dieser verschiedenen Staatsverfassungen finden will.
  • In der Forschung wird hĂ€ufig nach realen historischen BezĂŒgen der Nomoi gesucht. So wird der namenlose Athener hĂ€ufig fĂŒr Platon selbst gehalten und die diskutierte Kolonie mit der Stadt Magnesia am MĂ€ander in der heutigen TĂŒrkei identifiziert.
  • Im platonischen VerstĂ€ndnis von Politik hat die PĂ€dagogik eine zentrale Stellung. Die BĂŒrger sollen nicht bloß durch Vorschriften und Strafen, sondern von Geburt an durch Erziehung zu tugendhaften StaatsbĂŒrgern geformt werden.
  • Die Nomoi thematisieren das noch heute brisante Fundierungsproblem des Rechts. Dieses besteht darin, dass die alltĂ€gliche Geltung von Gesetzen von deren adĂ€quater Anwendung sowie ihrer Verankerung in der Lebenswelt abhĂ€ngt, weshalb Platon so ausfĂŒhrlich die Beamten und die Erziehung thematisiert.
  • Der wesentliche Unterschied zum bekanntesten politischen Werk Platons, dem Staat, ist der Praxisbezug. WĂ€hrend Der Staat einen fiktiven Idealstaat entwirft, drehen sich die Nomoi darum, wie dieses Ideal mit konkreten Menschen in spezifischen geografischen und historischen UmstĂ€nden umgesetzt werden könnte.
  • Auch wenn der Idealstaat Platons das GlĂŒck aller BĂŒrger garantieren will, trĂ€gt er eindeutig totalitĂ€re ZĂŒge. Die BĂŒrger verfĂŒgen ĂŒber sehr wenig Mitbestimmungsrechte und mĂŒssen sich damit abfinden, dass der Großteil ihres Privatlebens rigoros reguliert wird.

Historischer Hintergrund

Das klassische Griechenland

Das klassische Griechenland beginnt ungefĂ€hr 500 v. Chr. mit dem Entstehen einer genuinen Geschichtsschreibung, dem Ende der Tyrannis und dem – Perikles zugeschriebenen – Beginn der Demokratie in Athen. Diese Epoche gilt als Höhepunkt der politisch-militĂ€rischen wie kulturellen Vorherrschaft Athens im Mittelmeerraum. Griechenland war zu dieser Zeit politisch, wirtschaftlich und kulturell in einzelnen, relativ autonomen Stadtstaaten (Poleis) organisiert. Diese besaßen jeweils Kolonien im Mittelmeerraum, deren Bevölkerungszahl wohl ebenso groß war wie die des Mutterlands. Der Großteil der Bevölkerung betrieb Privatlandwirtschaft auf Subsistenzniveau. Athen war in dieser Epoche als Basisdemokratie organisiert, an der allerdings nur freie MĂ€nner beteiligt waren. Im Verlauf des vierten Jahrhunderts v. Chr. geriet die attische Demokratie immer stĂ€rker in die Krise. Die einjĂ€hrige Tyrannenherrschaft der Dreißig im Jahr 404 v. Chr. gilt, zusammen mit der Ermordung des Sokrates durch das attische Volksgericht 399 v. Chr., als Ausgangspunkt der politischen Philosophie Platons. Das klassische Griechenland endete bald nach dem Tod Platons mit dem Ende der attischen Demokratie 322 v. â€‹â€‹â€‹â€‹â€‹â€‹â€‹Chr. und der MachtĂŒbernahme Makedoniens in Griechenland in der Person Phillip II. und seines Sohnes Alexander.

Entstehung

Der Dialog Nomoi entstand in der letzten Lebensphase Platons und gilt als letzter Dialog vor seinem Tod. Nur fĂŒr das erste Buch ist die Entstehungszeit relativ sicher bestimmbar: nach 352 v. â€‹â€‹â€‹â€‹â€‹â€‹â€‹Chr. Aufgrund der enormen LĂ€nge des Werks wird jedoch ein lĂ€ngerer Entstehungszeitraum angenommen, der sich wahrscheinlich auf mehrere Schreibphasen verteilte. Laut Aristoteles begann Platon die Nomoi nach Fertigstellung von Der Staat. Platon dĂŒrfte hier Material verarbeitet haben, das ursprĂŒnglich fĂŒr seine Dialoge Kritias und Hermokrates bestimmt gewesen war. Außerdem arbeitete er die zahlreichen RatschlĂ€ge zu konkreten GesetzesvorschlĂ€gen, um die Platons Akademie immer wieder gebeten wurde, in den Dialog ein. Diese Empfehlungen bilden den Kern des praxisbezogenen Teils der Nomoi.

Geordnet und komponiert hat Platon diese Materialien wohl erst nach seiner dritten Sizilienreise, von der er im Sommer 360 v. â€‹â€‹â€‹â€‹â€‹â€‹â€‹Chr. zurĂŒckkehrte. Dort hatte er versucht, sich fĂŒr das Akademiemitglied Dion einzusetzen, der der platonischen Philosophie am Hofe des Tyrannen Dionysios II. Gehör verschaffen wollte. Bei diesem fiel Dion jedoch in Ungnade. Er wurde der Verschwörung bezichtigt, wodurch Platon wohl selbst in Gefahr geriet und nur knapp nach Athen entkam. TatsĂ€chlich fĂŒhrte Dion 357 v. Chr. einen erfolgreichen Staatsstreich durch, fiel drei Jahre danach jedoch selbst einem Mord zum Opfer. Das persönliche Schicksal seines Freundes sowie das realpolitische Scheitern seiner politischen Ideale dĂŒrften Platon schwer getroffen haben und bilden den unmittelbaren Entstehungskontext der Nomoi. Das Werk ist unvollendet geblieben, wobei die Forschung annimmt, dass Platon den Inhalt kaum mehr erweitert, sondern den ausufernden Text vielmehr gestrafft und geschliffen hĂ€tte.

Wirkungsgeschichte

Die Forschung hat lange darĂŒber gestritten, ob die Nomoi tatsĂ€chlich von Platon selbst oder aber von SchĂŒlern seiner Akademie verfasst wurden. Obwohl der Dialog mittlerweile als authentisches Werk Platons gilt, bleibt unklar, wie stark etwa sein Herausgeber – der Platon-SchĂŒler Philippos von Opus – in den Originaltext eingegriffen hat. In der Antike wurden die Nomoi stĂ€rker rezipiert als in der Neuzeit. Philosophen wie Xenophon und Isokrates bezogen sich auf sie, Syrianos, Damaskios und Proklos kommentierten sie. In Rom wurden sie von Cicero und den FrĂŒhchristen wohlwollend aufgenommen. Selbst einige StaatsmĂ€nner wie Demetrios von Phaleron bezogen ihre Politik nachweislich auf die Nomoi. Dabei wurde der Dialog besonders im arabischen Raum wirksam, wo er – anders als in Europa – gemeinsam mit dem Staat in voller LĂ€nge ĂŒberliefert geblieben war. Die BĂŒcher galten als zentraler Text der Philosophie Platons und damit der Philosophie insgesamt. Etliche politische Maßnahmen – etwa die Reform des Kalifats – wurden mit den Nomoi begrĂŒndet.

In der Neuzeit war der Bezug auf die Nomoi nicht nur positiv. Philosophen wie John Stuart Mill oder Karl Popper kritisierten die politische Philosophie Platons als totalitĂ€r. Auch in literarischer Hinsicht wurde der Dialog im 19. Jahrhundert vorwiegend als mangelhaft eingeschĂ€tzt. Erst im 20. Jahrhundert wandte sich die Forschung den Nomoi als einem Werk der politischen Philosophie und weniger der Rechts- oder Politikwissenschaft zu. Heute besteht weitgehend Konsens darĂŒber, dass die drei politischen Schriften Platons – Der Staat, Der Staatsmann und Nomoi – eine einheitliche politische Philosophie ausdrĂŒcken, allerdings in drei unterschiedlichen Aspekten. Die Nomoi gelten nicht lĂ€nger als Ausdruck der Resignation Platons angesichts seines Scheiterns in der griechischen Politik, sondern aufgrund ihres Geschichts- und Praxisbezugs als Beginn der systematischen politischen Philosophie in der europĂ€ischen Kulturgeschichte.

Über den Autor

Platon gilt als einer der grĂ¶ĂŸten philosophischen Denker aller Zeiten. Zusammen mit seinem Lehrer Sokrates und seinem SchĂŒler Aristoteles bildet er das Dreigestirn am Morgenhimmel der westlichen Philosophie. Platon wird 427 v. Chr. in Athen geboren, als Sohn des Ariston, eines Nachfahren des letzten Königs von Athen. Da Platon aus aristokratischen Kreisen stammt, scheint eine politische Laufbahn vorgezeichnet. Doch die Politik verliert fĂŒr ihn schnell an Reiz, als er sieht, wie die oligarchische Herrschaft der Dreißig im Jahr 404 v. Chr. Athen unterjocht. Platon betrachtet die Politik von nun an mit einem gewissen Abscheu, sie lĂ€sst ihn aber nie ganz los. Er wird ein SchĂŒler des Sokrates, dessen ungerechte Hinrichtung im Jahr 399 v. Chr. ihn stark prĂ€gen wird. Fortan tritt Sokrates als Hauptdarsteller seiner philosophischen Schriften auf: 13 Briefe und 41 philosophische Dialoge sind ĂŒberliefert. Nach der Verurteilung des Sokrates flĂŒchtet Platon zu Euklid nach Megara (30 Kilometer westlich von Athen). Er reist weiter in die griechischen Kolonien von Kyrene (im heutigen Libyen), nach Ägypten und Italien. 387 v. Chr. kehrt er nach Athen zurĂŒck und grĂŒndet hier eine Schule: die Akademie. Deren Studienplan umfasst die Wissensgebiete Astronomie, Biologie, Mathematik, politische Theorie und Philosophie. Ihr berĂŒhmtester SchĂŒler wird Aristoteles. 367 v. Chr. ergibt sich fĂŒr Platon die einmalige Möglichkeit, sein in seinem Hauptwerk Der Staat entworfenes Politikideal in die Praxis umzusetzen: Er wird als politischer Berater an den Hof von Dionysios II., dem Herrscher von Syrakus, gerufen. Seine Hoffnungen, diesen in der Kunst des Regierens zu unterweisen, zerschlagen sich jedoch. Platon stirbt um 347 v. Chr. in Athen.

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